Language of document : ECLI:EU:T:2015:500

Rechtssachen T‑413/10 und T‑414/10

(auszugsweise Veröffentlichung)

Socitrel – Sociedade Industrial de Trefilaria, SA

und

Companhia Previdente – Sociedade de Controle de Participações Financeiras, SA

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Spannstahl – Preisfestsetzung, Marktaufteilung und Austausch sensibler Geschäftsinformationen – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Leitlinien von 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Angemessene Verfahrensdauer“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Sechste Kammer) vom 15. Juli 2015

1.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beurteilung der Begründungspflicht nach den Umständen des Einzelfalls – Erforderlichkeit, alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte zu nennen – Fehlen

(Art. 296 AEUV)

2.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Anwendung eines Multiplikators auf den Ausgangsbetrag – Verweis auf die für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung dargelegten Erwägungsgründe – Hinreichende Begründung

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 25)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verpflichtungen der Kommission – Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer – Verstoß – Folgen – Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, wegen überlanger Dauer des Verfahrens – Voraussetzung – Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen – Faktoren, die die Dauer des Verwaltungsverfahrens erklären können

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 17 des Rates)

4.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vertrauensschutz – Verstoß – Voraussetzungen – Erlass eines Änderungsbeschlusses durch die Kommission nach Erhebung einer Klage gegen den ursprünglichen Beschluss – Beachtung der Sorgfaltspflicht und der Verteidigungsrechte – Kein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

5.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften, deren Kapital sie vollständig oder fast vollständig hält, auch im Fall einer Holdinggesellschaft

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53)

6.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften, deren Kapital sie vollständig oder fast vollständig hält, auch im Fall einer Holdinggesellschaft – Beweisrechtliche Obliegenheiten der Gesellschaft, die diese Vermutung widerlegen will – Für eine Widerlegung der Vermutung unzureichende Erkenntnisse

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53)

7.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften, deren Kapital sie vollständig oder fast vollständig hält – Widerlegbarkeit – Berücksichtigung unter Wahrung der Grundsätze der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen, der Rechtssicherheit und der Waffengleichheit

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Höchstbetrag – Berechnung – Zu berücksichtigender Umsatz – Kumulierter Umsatz aller Gesellschaften, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses, mit dem die Geldbuße verhängt wird, die als Unternehmen handelnde wirtschaftliche Einheit bilden

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Höchstbetrag – Berechnung – Zu berücksichtigender Umsatz – Umsatz im letzten Geschäftsjahr vor der Festsetzung der Geldbuße – Heranziehung des in einem anderen früheren Geschäftsjahr erzielten Umsatzes – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilungskriterien – Schwere der Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens – Unterscheidung – Kartell, das aus mehreren Teilen besteht – Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 13 und 22)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Bestimmung des Schweregrads gestaffelt nach unterschiedlichen Kategorien von Unternehmen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung begangen haben – Geringer Abstand zwischen den Sätzen, die auf Unternehmen, die eine Zuwiderhandlung begangen haben, angewandt werden – Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – Beurteilung

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilungskriterien – Falsche Beurteilung der eigenen Rechtsstellung durch das betreffende Unternehmen – Keine Auswirkung

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Verpflichtung der Kommission, sich an ihre frühere Entscheidungspraxis zu halten – Fehlen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Passive Mitwirkung oder Mitläufertum des Unternehmens – In den neuen Leitlinien nicht übernommener Umstand – Entscheidungsspielraum der Kommission

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung – Beurteilungskriterien

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Höchstbetrag – Berechnung – Gesellschaften, die während des Zuwiderhandlungszeitraums ein Unternehmen bildeten, und Gesellschaft, die nach der Zuwiderhandlung einen daran Beteiligten erworben hat – Anwendung verschiedener Modalitäten für die Berechnung der Obergrenze – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 106)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 135-137)

3.      Im Bereich des Wettbewerbs kann die Nichteinhaltung einer angemessenen Dauer bei der Abwicklung der Verwaltungsverfahren zweierlei Folgen nach sich ziehen.

Wenn sich einerseits der Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer auf den Ausgang des Verfahrens auswirkt, kann ein solcher Verstoß zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen. Was die Anwendung der Wettbewerbsregeln angeht, kann die Überschreitung der angemessenen Zeitspanne insoweit einen Grund für eine Nichtigerklärung nur bei einer Entscheidung darstellen, mit der Zuwiderhandlungen festgestellt werden, und sofern erwiesen ist, dass der Verstoß gegen diesen Grundsatz die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen beeinträchtigt hat. Außerhalb dieser besonderen Fallgestaltung wirkt sich die Nichtbeachtung der Verpflichtung zur Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nicht auf die Rechtsgültigkeit des Verwaltungsverfahrens im Rahmen der Verordnung Nr. 17 aus. Da jedoch der Beachtung der Verteidigungsrechte in Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen größte Bedeutung zukommt, muss verhindert werden, dass diese Rechte aufgrund der übermäßigen Dauer der Ermittlungsphase in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden und dass die Verfahrensdauer der Erbringung von Beweisen dafür entgegensteht, dass keine Verhaltensweisen vorlagen, die die Verantwortung der betroffenen Unternehmen auslösen könnten. Aus diesem Grund darf sich die Prüfung einer etwaigen Beeinträchtigung der Ausübung der Verteidigungsrechte nicht auf den Abschnitt beschränken, in dem diese Rechte ihre volle Wirkung entfalten, nämlich den zweiten Abschnitt des Verwaltungsverfahrens, der sich von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung erstreckt. Die Beurteilung der Quelle einer etwaigen Schwächung der Wirksamkeit der Verteidigungsrechte muss sich auf das gesamte Verwaltungsverfahren erstrecken und es in voller Länge einbeziehen.

Wenn andererseits die Verletzung der angemessenen Verfahrensdauer ohne Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens ist, kann eine solche Verletzung dazu führen, dass der Unionsrichter im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Verletzung, die sich aus der Überschreitung der angemessenen Dauer des Verwaltungsverfahrens ergibt, in angemessener Weise korrigiert, indem es gegebenenfalls die Höhe der Geldbuße herabsetzt.

Um die Dauer eines Verwaltungsverfahrens in Kartellsachen zu erklären, sind insoweit u. a. zu berücksichtigen die Dauer des Kartells, sein räumlich ausgedehnter Umfang, die Organisation des Kartells in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, die Zahl der Zusammenkünfte, die im Rahmen des Kartells abgehalten wurden, die Zahl der beteiligten Unternehmen, die Zahl der Anträge auf Anwendung der Kronzeugenregelung und die Zahl in unterschiedlichen Sprachen abgefasster Dokumente, die im Rahmen von Nachprüfungen zur Verfügung gestellt oder in deren Verlauf sichergestellt wurden und die von der Kommission zu prüfen sind, die Auskunftsverlangen, die Zahl der Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die Zahl der Verfahrenssprachen sowie die Anträge betreffend die Leistungsfähigkeit.

(vgl. Rn. 151-155, 168, 169)

4.      Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gehört zu den grundlegenden Prinzipien der Union. Die Berufung auf diesen Grundsatz ist an drei Voraussetzungen gebunden. Erstens muss die Verwaltung dem Betroffenen präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite machen. Zweitens müssen diese Zusicherungen geeignet sein, bei dem Adressaten begründete Erwartungen zu wecken. Drittens müssen die Zusicherungen im Einklang mit den anwendbaren Rechtsnormen stehen.

Im Übrigen beinhaltet die Sorgfaltspflicht die Pflicht der Kommission, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen.

Außerdem ist es legitim und liegt im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung, dass ein Organ die Fehler und Versäumnisse einer Entscheidung korrigiert. Die Kommission kann nämlich eine Entscheidung, von der sie weiß, dass sie mit Fehlern und Versäumnissen behaftet ist, rechtlich nicht bestehen lassen, und insofern ist es legitim und im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung, dass ein Organ Fehler und Versäumnisse der ursprünglichen Entscheidung korrigiert. Wenn die Kommission zu diesem Zweck nach der Einreichung von Klagen gegen den ursprünglichen Beschluss einen Änderungsbeschluss erlassen hat und die Kläger aufgefordert wurden, ihre Klagegründe und Anträge nach dem Erlass des Änderungsbeschlusses anzupassen, können diese somit nicht geltend machen, dass die Kommission ihre Verteidigungsrechte verletzt habe.

Da die Kommission berechtigt ist, im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung einen ursprünglichen Beschluss, der mit Fehlern und Versäumnissen behaftet ist, zu korrigieren, kann die Verwaltung außerdem durch die Aufrechterhaltung einer solchen Entscheidung bis zu deren eventueller Nichtigerklärung durch den Unionsrichter, keine genaue, bedingungslose und übereinstimmende Zusicherung aus zuverlässigen und autorisierten Quellen geben.

Im Übrigen kann der Kommission auch kein illoyales und bösgläubiges Verhalten allein deshalb vorgeworfen werden, weil sie einen Beschluss, der nach ihrem eigenen Bekunden mit mehreren Fehlern und Lücken behaftet war, geändert hat.

(vgl. Rn. 174-176, 179, 182, 185, 187-189)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 197-208, 220, 228, 238)

6.      Im Bereich der Zuwiderhandlungen gegen Wettbewerbsregeln darf die Kommission, wenn eine Muttergesellschaft das Kapital ihrer Tochtergesellschaft während des zu deren Lasten festgestellten Zuwiderhandlungszeitraums vollständig oder fast vollständig hält, eine Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses geltend machen. Diese Vermutung kann nicht allein dadurch widerlegt werden, dass dargetan wird, dass das Tochterunternehmen die spezifischen Aspekte seiner Geschäftspolitik selbst in der Hand hat, ohne insoweit Weisungen zu erhalten. Die Autonomie der Tochtergesellschaft kann folglich nicht durch den einfachen Nachweis dargetan werden, dass sie spezifische Aspekte ihrer Vertriebspolitik bezüglich der von der Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnisse eigenständig handhabt.

Da sich die Autonomie der Tochtergesellschaft nicht nur unter dem Gesichtspunkt der operativen Führung des Unternehmens allein beurteilt, kann ferner der Umstand, dass die Tochtergesellschaft zu keinem Zeitpunkt zugunsten der Muttergesellschaft eine spezifische Informationspolitik auf dem fraglichen Markt durchgeführt hat, nicht zum Nachweis ihrer Autonomie ausreichen. Außerdem erbringt, wie bereits entschieden wurde, der Umstand, dass in den Akten nichts belegt, dass die Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft Anweisungen gegeben hätte, keinen Beweis dafür, dass solche Anweisungen tatsächlich nicht gegeben worden sind. Insoweit stellt die Vertretung der Muttergesellschaft in den Führungsorganen ihrer Tochtergesellschaft einen sachdienlichen Beweis für eine tatsächliche Kontrolle über deren Geschäftspolitik dar.

Darüber hinaus kann eine Muttergesellschaft als für eine von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung verantwortlich angesehen werden, selbst wenn eine Vielzahl operativer Gesellschaften in einem Konzern bestehen. Somit genügt die Tatsache, dass die Muttergesellschaft eine Holding ist, selbst wenn sie nicht operativ tätig ist, nicht, um die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses zu beseitigen, und führt zu keiner Umkehr der Beweislast. Insoweit genügt der Umstand, dass die Muttergesellschaft sich darauf beschränkt hat, ihre Beteiligungen zu verwalten, in Anbetracht ihrer Gesellschaftsnatur und ihres satzungsmäßigen Zwecks für sich allein nicht, um die von der Kommission herangezogene Vermutung in Frage zu stellen.

Außerdem wirkt sich der Umstand, dass die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Gesellschaften mit unterschiedlicher Rechtspersönlichkeit sind und unterschiedlichen Aktienbesitz und verschiedene Gesellschaftssitze haben, nicht aus, da sie ein und dasselbe Unternehmen bilden.

Völlig unerheblich ist auch das Bestehen einer nationalen Regelung, der zufolge die Verwalter einer Muttergesellschaft diese nicht vertreten, wenn sie einen Sitz im Verwaltungsrat der Tochtergesellschaft wahrnehmen. Eine Gesellschaft kann sich nämlich nicht auf das nationale Recht berufen, um sich den Unionsvorschriften zu entziehen, da die im Unionsrecht verwendeten Begriffe grundsätzlich in der gesamten Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden müssen.

Im Übrigen reicht auch der Umstand, dass die Muttergesellschaft nicht selbst in dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Bereich tätig war, nicht aus, um die Vermutung für die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses zu widerlegen.

Außerdem kann die Eigenständigkeit des Tochterunternehmen nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass das zuvor bestehende Verwaltungsorgan die Leitung nach dem Erwerb der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft beibehalten hat.

Schließlich wirkt sich, da es, um einem Unternehmen eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV zurechnen zu können, keiner Handlung und nicht einmal einer Kenntnis der Inhaber oder Geschäftsführer des betreffenden Unternehmens von der Zuwiderhandlung bedarf, sondern die Handlung einer Person genügt, die berechtigt ist, für Rechnung des Unternehmens tätig zu werden, der Umstand, dass die Muttergesellschaft keine Kenntnis vom rechtswidrigen Verhalten ihrer Tochtergesellschaft hatte, nicht auf die Möglichkeit aus, ihre gesamtschuldnerische Haftung für deren Verhalten zu bejahen.

(vgl. Rn. 210-214, 240-253)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 235-237)

8.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 258-264)

9.      Was die Bestimmung des „vorausgegangenen Geschäftsjahrs“ im Sinne von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 betrifft, muss die Kommission in den Fällen in denen es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit eingestellt oder seinen Umsatz verfälscht hat, um sich einer schweren Geldbuße zu entziehen, die Höchstgrenze der Geldbuße nach dem letzten Umsatz festsetzen, den das Unternehmen in einem abgeschlossenen wirtschaftlichen Zeitraum erzielt hat. Es steht insoweit nicht im Belieben der Kommission, die Grenze von 10 % auf frühere Geschäftsjahre als das letzte Jahr vor dem Erlass der Entscheidung zu beziehen. Die Kommission kann ein früheres Geschäftsjahr nur in Ausnahmefällen zugrunde legen, z. B. wenn das betreffende Unternehmen in dem dem Erlass der Entscheidung der Kommission vorausgehenden Geschäftsjahr keinen Umsatz erzielt hat. Zudem verfügt sie selbst in einem solchen Fall nicht über ein weites Ermessen bei der Entscheidung, welches Geschäftsjahr für die Festsetzung der Höchstgrenze der Geldbuße zu berücksichtigen ist. Sie ist nämlich verpflichtet, das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr zugrunde zu legen, das einem abgeschlossenen Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit entspricht.

Insoweit muss die Kommission für die Berechnung der Höchstgrenze der Geldbuße zwar grundsätzlich den Umsatz berücksichtigen, den das betroffene Unternehmen in dem letzten, bei Erlass der angefochtenen Entscheidung abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielt hat, aus dem Kontext und den Zielen, die die Regelung verfolgt, zu der die genannte Vorschrift gehört, folgt jedoch dass, wenn der Umsatz des Geschäftsjahrs, das dem Erlass der Entscheidung der Kommission vorausgeht, kein abgeschlossenes Geschäftsjahr mit normaler wirtschaftlicher Tätigkeit in einem Zeitraum von zwölf Monaten darstellt und somit keinen zweckmäßigen Hinweis zur tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des betreffenden Unternehmens und der angemessenen Höhe der gegen es zu verhängenden Geldbuße gibt, dieser Umsatz nicht berücksichtigt werden kann, um die Obergrenze der Geldbuße zu bestimmen. In diesem Fall, der nur unter außergewöhnlichen Umständen vorliegen wird, ist die Kommission verpflichtet, bei der Berechnung der Obergrenze der Geldbuße auf das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr abzustellen, das einem abgeschlossenen Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit entspricht.

Die Bezugnahme auf ein „abgeschlossenes Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit“ soll nämlich die Heranziehung eines Geschäftsjahrs ausschließen, in dem das betreffende Unternehmen dabei war, seine Tätigkeiten zu beenden, auch wenn noch nicht alle wirtschaftlichen Tätigkeiten eingestellt wurden, und allgemeiner eines Geschäftsjahrs, in dem das Verhalten des betreffenden Unternehmens auf dem Markt nicht dem Verhalten eines Unternehmens entsprach, das eine wirtschaftliche Tätigkeit in üblicher Form ausübt. Hingegen bedeutet der bloße Umstand, dass der erzielte Umsatz oder Gewinn in einem bestimmten Geschäftsjahr deutlich niedriger oder höher war als in vorausgegangenen Geschäftsjahren, nicht, dass das in Rede stehende Geschäftsjahr kein abgeschlossenes Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit darstellt.

(vgl. Rn. 265-268)

10.    Bei der Festsetzung der Höhe der wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen sind die Dauer der Zuwiderhandlung sowie sämtliche Faktoren zu berücksichtigen, die für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Zu den Faktoren, die bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen berücksichtigt werden können, gehören das Verhalten jedes einzelnen Unternehmens, die Rolle, die es bei der Errichtung des Kartells gespielt hat, der Gewinn, den die Unternehmen aus ihm ziehen konnten, ihre Größe und der Wert der betroffenen Waren sowie die Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Union darstellen.

Insoweit ist zwar die Tatsache, dass sich ein Unternehmen nicht an allen Tatbestandsmerkmalen eines Kartells beteiligt hat oder dass es bei den Aspekten, an denen es beteiligt war, eine untergeordnete Rolle gespielt hat, für den Nachweis des Vorliegens einer Zuwiderhandlung dieses Unternehmens irrelevant, die eingeschränkte Bedeutung der Teilnahme des betreffenden Unternehmens kann dennoch Einfluss auf die Beurteilung ihres Umfangs und ihrer Schwere und folglich auf die Höhe der Sanktion haben. Die Kommission ist somit verpflichtet, bei der Beurteilung der relativen Schwere der Kartellbeteiligung jedes der Zuwiderhandelnden die Tatsache zu berücksichtigen, dass bestimmte Zuwiderhandelnde gegebenenfalls nicht für sämtliche Teile dieses Kartells verantwortlich gemacht wurden.

Im Übrigen ist in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, dass er verlangt, dass die Rechtsakte der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist. Bei der Festsetzung von Geldbußen ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand von zahlreichen Gesichtspunkten zu ermitteln, von denen keinem gegenüber den anderen Beurteilungsgesichtspunkten unverhältnismäßiges Gewicht beizumessen ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach den Faktoren festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Faktoren dabei schlüssig und objektiv gerechtfertigt bewerten muss.

(vgl. Rn. 277-282)

11.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 283, 288, 290-293)

12.    Im Rahmen der Festlegung der Höhe der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen kann der Umstand, dass die bescheidene Größe eines beschuldigten Unternehmens und dessen Zugehörigkeit zu einem Familienkonzern Einfluss auf dessen rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse haben soll und verhindert haben soll, dass es das genaue Ausmaß der Zuwiderhandlung, an der es beteiligt war, erkennt, für die Zwecke der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung nicht berücksichtigt werden. Die Unternehmen tragen nämlich grundsätzlich selbst das Risiko einer falschen Beurteilung ihrer Rechtslage, gemäß der allgemeinen Lebensweisheit, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt.

(vgl. Rn. 301, 304)

13.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 307)

14.    Im Bereich der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen ist, wenn eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen worden ist, die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen von ihnen zu prüfen, um festzustellen, ob bei ihnen erschwerende oder mildernde Umstände vorliegen.

Um festzustellen, ob einem Unternehmen ein mildernder Umstand wegen tatsächlicher Nichtdurchführung der widerrechtlichen Vereinbarungen zu gewähren ist, ist zu prüfen, ob die von dem Unternehmen dargelegten Umstände belegen können, dass es sich im Zeitraum seiner Teilnahme an den unzulässigen Vereinbarungen tatsächlich deren Durchführung entzogen hat, indem es sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten hat, oder dass es sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung dieses Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzt hat, dass dadurch sogar dessen Funktionieren selbst gestört wurde.

Wenn erwiesen ist, dass das zuwiderhandelnde Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen des Kartells berücksichtigen konnte, um sein Verhalten auf dem betreffenden Markt zu bestimmen, kann die fehlende Teilnahme an der einen oder anderen Vereinbarung, sofern sie erwiesen ist, für sich genommen nicht für den von der Rechtsprechung geforderten Beweis ausreichen, wonach die Zuwiderhandelnden, um den mildernden Umstand nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Leitlinien von 2006) in Anspruch nehmen zu können, nachweisen müssen, dass sie sich wettbewerbskonform verhalten haben oder dass sie sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung des Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzt haben, dass dadurch dessen Funktionieren selbst gestört wurde. Der Nachweis der Nichtteilnahme an bestimmten wettbewerbswidrigen Kartellvereinbarungen allein kann als solcher nämlich nicht ausschließen, dass die anderen Vereinbarungen den Wettbewerb auf dem betreffenden Markt schädigen konnten.

Insoweit sahen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vor, dass ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum ein mildernder Umstand sind. In der Liste der mildernden Umstände, die in Ziff. 29 der Leitlinien von 2006 genannt sind, wird bei den mildernden Umständen, die berücksichtigt werden können, ein solcher Umstand indessen nicht mehr aufgeführt. Da die Aufzählung in Ziff. 29 der Leitlinien von 2006 jedoch nicht abschließend ist, kann eine ausschließlich passive Rolle oder Mitläufertum grundsätzlich nicht von den Umständen ausgeschlossen werden, die zu einer Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße führen können.

(vgl. Rn. 313-318)

15.    Im Bereich der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen kann nach Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 im Fall einer aktiven Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (Kronzeugenregelung) und über seine rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinaus, der Grundbetrag der Geldbuße verringert werden.

Insoweit hat ein beschuldigtes Unternehmen, damit es die Anwendung dieser Bestimmung verlangen kann, nachzuweisen, dass seine Zusammenarbeit über seine gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinausgegangen ist, ohne ihm jedoch einen Anspruch auf Herabsetzung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung zu geben, und somit für die Kommission objektiv nützlich war, da diese sich in ihrer endgültigen Entscheidung auf Beweise stützen konnte, die es ihr im Rahmen ihrer Zusammenarbeit geliefert hatte und ohne die die Kommission nicht in der Lage gewesen wäre, die in Rede stehende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise zu ahnden.

Wenn ein Unternehmen einerseits den Sachverhalt nicht bestritten und auf die an es gestellten Auskunftsverlangen fristgerecht geantwortet hat, was über seine gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit nicht hinausgeht, und, andererseits nicht dargetan hat, dass die Kommission sich in ihrem endgültigen Beschluss auf Beweise stützen konnte, die es ihr im Rahmen ihrer Zusammenarbeit vorgelegt hatte und ohne die es der Kommission nicht möglich gewesen wäre, die in Rede stehende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise zu ahnden, kann dieses Unternehmen somit keinen Anspruch auf eine Herabsetzung nach Ziff. 29 der Leitlinien von 2006 erheben.

(vgl. Rn. 327-330)

16.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 334-337)