Language of document : ECLI:EU:C:2007:397

Rechtssache C-73/06

Planzer Luxembourg Sàrl

gegen

Bundeszentralamt für Steuern

(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Köln)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 17 Abs. 3 und 4 – Erstattung der Mehrwertsteuer – Achte Mehrwertsteuerrichtlinie – Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige – Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 – Anhang B – Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft – Rechtliche Bedeutung – Dreizehnte Mehrwertsteuerrichtlinie – Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige – Art. 1 Nr. 1 – Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit“

Leitsätze des Urteils

1.        Steuerrecht – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Erstattung der Steuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige

(Richtlinie 79/1072 des Rates, Art. 3 Buchst. b, 9 Abs. 2 und Anhang B)

2.        Steuerrecht – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Erstattung der Steuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige

(Richtlinie 86/560 des Rates, Art. 1 Nr. 1)

1.        Die Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 der Achten Richtlinie 79/1072 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige sind dahin auszulegen, dass eine dem Muster in Anhang B dieser Richtlinie entsprechende Bescheinigung grundsätzlich die Vermutung begründet, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt hat, mehrwertsteuerpflichtig ist, sondern dass er in diesem Mitgliedstaat auch in irgendeiner Art und Weise ansässig ist, sei es, dass er dort über den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verfügt oder dass er dort eine feste Niederlassung unterhält, von der aus Umsätze getätigt werden.

Die Steuerverwaltung des Mitgliedstaats, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt wird, ist grundsätzlich in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht durch die Angaben dieser Bescheinigung gebunden.

Diese Bestimmungen bedeuten allerdings nicht, dass es der Steuerverwaltung des Erstattungsstaats verwehrt wäre, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in dieser Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, ob diese Realität tatsächlich gegeben ist, indem sie auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückgreift, die die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hierzu vorsieht.

Geht aus den erhaltenen Informationen hervor, dass die in der Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft angegebene Anschrift weder dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen entspricht noch die einer festen Niederlassung ist, von der aus dieser Steuerpflichtige seine Umsätze tätigt, ist die Steuerverwaltung des Erstattungsstaats berechtigt, die vom Steuerpflichtigen beantragte Erstattung zu verweigern, wobei es dem Steuerpflichtigen unbenommen bleibt, den Rechtsweg zu beschreiten.

(vgl. Randnrn. 40-41, 49-50, Tenor 1)

2.        Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige ist dahin auszulegen, dass der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft der Ort ist, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden.

Bei der Bestimmung des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, und zwar in erster Linie der statutarische Sitz, der Ort der zentralen Verwaltung, der Ort, an dem die Führungskräfte der Gesellschaft zusammentreffen, und der – gewöhnlich mit diesem übereinstimmende – Ort, an dem die allgemeine Unternehmenspolitik dieser Gesellschaft bestimmt wird. Andere Elemente, wie der Wohnsitz der Hauptführungskräfte, der Ort, an dem die Gesellschafterversammlung zusammentritt, der Ort, an dem die Verwaltungsunterlagen erstellt und die Bücher geführt werden, und der Ort, an dem die Finanz- und insbesondere die Bankgeschäfte hauptsächlich wahrgenommen werden, können ebenfalls in Betracht gezogen werden.

Demgemäß ließe sich eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine „Briefkastenfirma“ oder für eine „Strohfirma“ charakteristisch ist, nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie einstufen.

(vgl. Randnrn. 61-63, Tenor 2)