Language of document : ECLI:EU:T:2005:429

Rechtssache T‑52/02

Société nouvelle des couleurs zinciques SA (SNCZ)

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Artikel 81 EG – Kartell – Zinkphosphatmarkt – Geldbuße – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung – Nichtigkeitsklage“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Höchstbetrag – Berechnung – Unterscheidung zwischen dem Endbetrag und dem Zwischenbetrag der Geldbuße – Folgen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

2.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens mit der Kommission – Herabsetzung des Betrages, der sich aus der Anwendung der Vorschrift über die Obergrenze der Geldbuße ergibt

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

3.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Leitlinien der Kommission – Möglichkeit der Berücksichtigung der besonderen Situation kleiner und mittlerer Unternehmen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

4.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Messung der tatsächlichen Fähigkeit, auf dem betroffenen Markt eine Schädigung herbeizuführen – Erheblichkeit der Marktanteile des betroffenen Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Einteilung der betroffenen Unternehmen in Gruppen mit einem für die jeweilige Gruppe gleichen Ausgangsbetrag – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

6.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Keine Notwendigkeit, den Umsatz der betroffenen Unternehmen zu berücksichtigen und die Geldbußen proportional zu diesem Umsatz festzusetzen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

7.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Vorsätzliche Begehung – Begriff

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Erstmaliges Eingreifen der Kommission in einem besonderen Sektor – Kleine und mittlere Unternehmen, die betroffen sind – Ausschluss

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Verhängung – Kein Erfordernis eines vom Unternehmen aus der Zuwiderhandlung gezogenen Vorteils – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Mildernde Umstände – Fehlen eines Vorteils – Ausschluss

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nummer 2 Absatz 1)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens – Mit den Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, erzielter Umsatz – Jeweilige Berücksichtigung – Grenzen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Einteilung der betroffenen Unternehmen in Gruppen mit einem für die jeweilige Gruppe gleichen Ausgangsbetrag – Einordnung eines Unternehmens in die gleiche Gruppe mit anderen Unternehmen, die einen höheren Gesamtumsatz haben – Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung – Ausschluss – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

1.      Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, wonach die Kommission Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen kann, schreibt vor, dass der Endbetrag der Geldbuße, der gegen ein Unternehmen festgesetzt wird, herabzusetzen ist, wenn er 10 % des Umsatzes des Unternehmens übersteigt, unabhängig von den Zwischenberechnungen, mit denen der Dauer und der Schwere der Zuwiderhandlung Rechnung getragen werden soll. Somit gilt die Höchstgrenze von 10 % gemäß dieser Bestimmung nur für den von der Kommission festgesetzten Endbetrag der Geldbuße und nicht für die Zwischenberechnungen einschließlich der Festsetzung des Ausgangsbetrags für diese Berechnungen.

Wenn die Kommission in ihre Berechnung einen Zwischenbetrag – einschließlich des Ausgangsbetrags – einbezieht, der die Höchstgrenze von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens übersteigt, ist der Umstand, dass sich bestimmte bei dieser Berechnung berücksichtigte Faktoren wie die Dauer der Zuwiderhandlung nicht auf den Endbetrag der Geldbuße auswirken, nicht zu beanstanden, da dies die Folge des Verbots des Artikels 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ist, die Höchstgrenze von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens zu überschreiten.

(vgl. Randnrn. 38-40)

2.      Der Ansatz der Kommission für die Bemessung der Geldbußen bei Wettbewerbsverstößen, wonach der Faktor der Zusammenarbeit nach der Anwendung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zum Tragen kommt und sich damit unmittelbar auf die Höhe der Geldbuße auswirkt, stellt sicher, dass die Mitteilung über die Zusammenarbeit in Kartellsachen ihre praktische Wirksamkeit in vollem Umfang entfaltet. Würde der Grundbetrag nämlich vor Anwendung dieser Mitteilung die Obergrenze von 10 % weit übersteigen, und könnte diese Grenze nicht unmittelbar auf ihn angewandt werden, wäre der Anreiz für das betroffene Unternehmen, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, weit geringer, da der Endbetrag der Geldbuße in jedem Fall, mit oder ohne Zusammenarbeit, auf 10 % herabgesetzt würde.

(vgl. Randnr. 41)

3.      Die Leitlinien, die die Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen erlassen hat, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, erlauben ihr, gegebenenfalls die besondere Situation zu berücksichtigen, in der sich die kleinen und mittleren Unternehmen befinden.

(vgl. Randnr. 42)

4.      Wird für die Bemessung einer Geldbuße, die wegen Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften verhängt wird, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, den Wettbewerb zu schädigen, untersucht, was eine Beurteilung des tatsächlichen Gewichts dieser Unternehmen auf dem betreffenden Markt, d. h. ihren Einfluss auf diesen, einschließt, so vermittelt der Gesamtumsatz nur ein unvollständiges Bild der Verhältnisse. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass ein mächtiges Unternehmen mit vielen unterschiedlichen Geschäftsbereichen auf einem spezifischen Produktmarkt nur am Rande vertreten ist. Ebenso wenig lässt sich ausschließen, dass ein Unternehmen mit einer starken Stellung auf einem räumlichen Markt außerhalb der Gemeinschaft auf dem Markt der Gemeinschaft oder des Europäischen Wirtschaftsraums nur schwach vertreten ist. In diesen Fällen bedeutet der bloße Umstand, dass das betreffende Unternehmen einen hohen Gesamtumsatz erzielt, nicht unbedingt, dass es einen entscheidenden Einfluss auf den von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt ausübt. Daher sind die Marktanteile eines Unternehmens, auch wenn sie nicht entscheidend für die Schlussfolgerung sein können, dass ein Unternehmen einer mächtigen Wirtschaftseinheit angehört, doch relevant für die Bestimmung des Einflusses, den das Unternehmen auf den Markt ausüben konnte.

(vgl. Randnr. 65)

5.      Nach Nummer 1 Abschnitt A Absatz 6 der Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, kann bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung eine Differenzierung gerechtfertigt sein, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren. Im Übrigen verfügt die Kommission zwar über ein gewisses Ermessen bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden, doch muss die Höhe der Geldbußen zumindest in einem angemessenen Verhältnis zu den anderen Faktoren stehen, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle gespielt haben.

Daher muss, wenn die Kommission die betroffenen Unternehmen für die Bemessung der Geldbußen in Gruppen einteilt, so dass für Unternehmen derselben Gruppe der gleiche Ausgangsbetrag gilt, die Bestimmung der Schwellenwerte für jede der auf diese Weise gebildeten Gruppen schlüssig und objektiv gerechtfertigt sein.

(vgl. Randnrn. 67-68)

6.      Bei der Bemessung der Geldbußen wegen Wettbewerbsverstößen ist die Kommission nicht verpflichtet, bei ihrer Berechnung von Beträgen auszugehen, die auf dem Umsatz der betroffenen Unternehmen basieren. Wenn die Geldbußen gegen mehrere Unternehmen festgesetzt werden, die an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligt sind, müssen die von der Kommission für die betroffenen Unternehmen ermittelten endgültigen Beträge der Geldbußen dabei auch nicht jeden Unterschied zwischen den Unternehmen bei den Gesamt‑ oder Produktumsätzen widerspiegeln.

Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 verlangt in Fällen, in denen Geldbußen gegen mehrere Unternehmen festgesetzt werden, die an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligt sind, auch nicht, dass die gegen ein kleines oder mittleres Unternehmen festgesetzte Geldbuße, als Prozentsatz vom Umsatz ausgedrückt, nicht höher sein darf als die gegen die größeren Unternehmen festgesetzten Geldbußen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich nämlich, dass sowohl bei den kleinen oder mittleren Unternehmen als auch bei den größeren Unternehmen für die Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt werden müssen. Wenn die Kommission gegen die an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt, die angesichts der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung im Fall des jeweiligen Unternehmens gerechtfertigt sind, ist nicht zu beanstanden, dass bei einigen Unternehmen die Geldbuße im Verhältnis zum Umsatz höher ist als bei anderen Unternehmen.

Diese Grundsätze gelten selbst dann, wenn die Unternehmen sich in Bezug auf die Faktoren, die die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung betreffen, in der gleichen Lage befinden.

(vgl. Randnrn. 73-75)

7.      Für die Erfüllung des Tatbestands einer vorsätzlich begangenen Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften ist nicht erforderlich, dass sich das Unternehmen des Verstoßes gegen diese Vorschriften bewusst gewesen ist, sondern es genügt, dass es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, dass sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte.

Die Kommission darf daher bei der Bemessung der Geldbußen die Tatsache außer Betracht lassen, dass das betroffene Unternehmen keine Rechtsabteilung hat.

(vgl. Randnrn. 82-83)

8.      Die Kommission muss keine milderen Geldbußen wegen Wettbewerbsverstößen verhängen, wenn sie erstmals in einen besonderen Sektor eingreift. Sie muss die Geldbußen auch nicht abmildern, wenn kleine oder mittlere Unternehmen betroffen sind. Der Größe des Unternehmens wird nämlich durch die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 festgelegte Obergrenze und durch die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, Rechnung getragen. Abgesehen von diesen Erwägungen zur Größe gibt es keinen Grund, kleine oder mittlere Unternehmen anders als andere Unternehmen zu behandeln. Die Tatsache, dass die Unternehmen klein oder mittelgroß sind, befreit sie nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften.

(vgl. Randnr. 84)

9.      Die Höhe der wegen eines Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften festgesetzten Geldbuße muss zwar in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der festgestellten Zuwiderhandlung und zu den anderen Faktoren stehen, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle spielen, darunter zu dem Gewinn, den das betreffende Unternehmen aus seinem Verhalten ziehen konnte, doch steht die Tatsache, dass ein Unternehmen aus der Zuwiderhandlung keinen Vorteil gezogen hat, der Verhängung einer Geldbuße nicht entgegen, soll diese ihren abschreckenden Charakter nicht verlieren. Somit musste die Kommission bei der Bemessung der Geldbußen das Fehlen eines aus der betreffenden Zuwiderhandlung gezogenen Vorteils nicht berücksichtigen.

Zwar kann die Kommission nach Nummer 2 Absatz 1 fünfter Gedankenstrich ihrer Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, die Geldbuße wegen erschwerender Umstände erhöhen, um den Betrag der aufgrund der Zuwiderhandlung unrechtmäßig erzielten Gewinne zu übertreffen, doch bedeutet dies nicht, dass sie sich damit für die Zukunft verpflichtet hätte, unter allen Umständen für die Bemessung der Geldbuße den mit der festgestellten Zuwiderhandlung verbundenen finanziellen Vorteil zu ermitteln. Anders ausgedrückt kann das Fehlen eines solchen Vorteils nicht als mildernder Umstand anerkannt werden.

(vgl. Randnrn. 89-91)

10.    Für die Bemessung der Geldbuße, die wegen Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften festgesetzt wird, darf weder dem Gesamtumsatz des Unternehmens noch dem Teil dieses Umsatzes, der auf die Waren entfällt, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind, eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden, so dass die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann, insbesondere dann, wenn die betroffenen Waren nur einen geringen Teil dieses Umsatzes ausmachen.

(vgl. Randnr. 99)

11.    Es verstößt weder gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße wegen Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften, um der Wirtschaftsmacht der betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen und die Geldbußen in einer Höhe festzusetzen, die eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet, ein Unternehmen in die gleiche Gruppe einordnet wie andere Unternehmen mit einem höheren Gesamtumsatz, so dass für alle der gleiche Ausgangsbetrag festgesetzt wird, sofern diese verschiedenen Unternehmen in einer Gruppe zusammengefasst worden sind, weil ihr Umsatz auf dem betreffenden Markt und ihre Marktanteile sehr ähnlich sind und der Größenunterschied zwischen dem betroffenen und den anderen Unternehmen im konkreten Fall nicht so bedeutend ist, dass dieses Unternehmen in eine andere Gruppe hätte eingeordnet werden müssen.

(vgl. Randnrn. 69, 111-112)