Language of document : ECLI:EU:C:2022:571

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. Juli 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Verordnung (EG) Nr. 715/2007 – Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen – Art. 3 Nr. 10 – Art. 5 Abs. 1 und 2 – Abschalteinrichtung – Kraftfahrzeuge – Dieselmotor – Schadstoffemissionen – Emissionskontrollsystem – In das Motorsteuergerät integrierte Software – Abgasrückführventil (AGR-Ventil) – Durch ein ‚Thermofenster‘ begrenzte Reduzierung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen – Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung der Emissionskontrollsysteme verringern – Art. 5 Abs. 2 Buchst. a – Ausnahme von diesem Verbot – Richtlinie 1999/44/EG – Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter – Art. 3 Abs. 2 – Im Rahmen einer Nachbesserung eines Fahrzeugs eingebaute Einrichtung“

In der Rechtssache C‑134/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Eisenstadt (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2020, in dem Verfahren

IR

gegen

Volkswagen AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Kammerpräsidentin I. Ziemele sowie der Richter M. Ilešič, J.‑C. Bonichot, F. Biltgen, P. G. Xuereb (Berichterstatter), N. Piçarra und N. Wahl,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von IR, vertreten durch Rechtsanwalt M. Poduschka,

–        der Volkswagen AG, vertreten durch die Rechtsanwälte H. Gärtner, F. Gebert, F. Gonsior, C. Harms, N. Hellermann, F. Kroll, M. Lerbinger, S. Lutz‑Bachmann, L.‑K. Mannefeld, K.‑U. Opper, H. Posser, J. Quecke, K. Schramm, W. F. Spieth, J. von Nordheim, K. Vorbeck, B. Wolfers und B. Wollenschläger,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Huttunen und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2021

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) sowie von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999, L 171, S. 12).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IR und der Volkswagen AG wegen einer Klage auf Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, das mit einer Software ausgerüstet ist, durch die die Abgasrückführung dieses Fahrzeugs nach Maßgabe der ermittelten Temperatur und Höhenmeter verringert wird.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 1999/44

3        Die Richtlinie 1999/44 wurde durch die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. 2019, L 136, S. 28) mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkts bleibt jedoch die Richtlinie 1999/44 auf diesen anwendbar.

4        Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 1999/44 sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

f)      ‚Nachbesserung‘ bei Vertragswidrigkeit die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes.“

5        Art. 3 („Rechte des Verbrauchers“) der Richtlinie sah vor:

„(1)      Der Verkäufer haftet dem Verbraucher für jede Vertragswidrigkeit, die zum Zeitpunkt der Lieferung des Verbrauchsgutes besteht.

(2)      Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6.

…“

 Verordnung Nr. 715/2007

6        In den Erwägungsgründen 1 und 6 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:

„(1)      … Die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen sollten … harmonisiert werden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften erlassen, und um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

(6)      Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich. …“

7        Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 sieht vor:

„Diese Verordnung legt gemeinsame technische Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen (nachstehend ‚Fahrzeuge‘ genannt) und Ersatzteilen wie emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen fest.“

8        Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:

10.      ‚Abschalteinrichtung‘ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

9        Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Der Hersteller weist nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Der Hersteller weist außerdem nach, dass alle von ihm in der Gemeinschaft verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.

Diese Pflichten schließen ein, dass die in Anhang I und in den in Artikel 5 genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

(2)      Der Hersteller stellt sicher, dass die Typgenehmigungsverfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung der Produktion, der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge beachtet werden.

Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden. …

…“

10      Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sieht vor:

„(1)      Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

(2)      Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a)      die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;

b)      die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;

[oder]

c)      die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“

11      Anhang I („Emissionsgrenzwerte“) dieser Verordnung enthält u. a. die Emissionsgrenzwerte für Stickstoffoxid (NOx).

 Verordnung Nr. 692/2008

12      Die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 (ABl. 2008, L 199, S. 1) wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 (ABl. 2011, L 158, S. 1) geändert (im Folgenden: Verordnung Nr. 692/2008). Durch die Verordnung (EU) 2017/1151 der Kommission vom 1. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 715/2007, zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung Nr. 692/2008 sowie der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 der Kommission und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 692/2008 (ABl. 2017, L 175, S. 1) wurde die Verordnung Nr. 692/2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkts bleibt die Verordnung Nr. 692/2008 jedoch auf diesen anwendbar.

13      Art. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 sah vor:

„In dieser Verordnung werden Maßnahmen zur Durchführung der Artikel 4, 5 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 festgelegt.“

14      In Art. 2 Nr. 18 der Verordnung Nr. 692/2008 hieß es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

18.      ‚Emissionsminderungssystem‘ im Zusammenhang mit einem OBD-System [On-Board-Diagnosesystem] die elektronische Motorsteuerung sowie jedes emissionsrelevante Bauteil im Abgas- oder Verdunstungssystem, das diesem Steuergerät ein Eingangssignal übermittelt oder von diesem ein Ausgangssignal erhält“.

15      Art. 3 Abs. 9 der Verordnung Nr. 692/2008 sah vor:

„Die Prüfung Typ 6 zur Messung der Emissionen bei niedrigen Temperaturen gemäß Anhang VIII gilt nicht für Dieselfahrzeuge.

Bei der Beantragung einer Typgenehmigung belegen die Hersteller der Genehmigungsbehörde jedoch, dass die [Stickstoffoxid (NOx)]-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei -7 [Grad Celsius] innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht, wie in der Prüfung Typ 6 beschrieben.

Darüber hinaus macht der Hersteller der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen.

Diese Angaben umfassen auch eine Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen.

Die Genehmigungsbehörde erteilt keine Typgenehmigung, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht.

…“

16      Art. 10 („Emissionsmindernde Einrichtungen“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 sah vor:

„Der Hersteller gewährleistet, dass emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch, die in Fahrzeuge mit einer EG‑Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingebaut werden, in Übereinstimmung mit Artikel 12, Artikel 13 und Anhang XIII dieser Verordnung über eine EG‑Typgenehmigung als selbstständige technische Einheiten im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 2007/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1)] verfügen.

…“

17      In Anhang I („Verwaltungsvorschriften für die EG-Typgenehmigung“) Abs. 3.3 („Erweiterung der Typgenehmigung hinsichtlich der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen [Prüfung Typ 5]“) der Verordnung Nr. 692/2008 hieß es:

„3.3.1.      Die Typgenehmigung darf auf andere Fahrzeugtypen erweitert werden, deren nachstehende Parameter des Motors oder des Emissionsminderungssystems identisch sind oder Werte innerhalb der angegebenen Toleranzen aufweisen.

3.3.1.1.      Fahrzeug

3.3.1.2.      Motor

3.3.1.3.      Parameter des Emissionsminderungssystems

c)      Abgasrückführung:

mit oder ohne

Art (gekühlt oder nicht gekühlt, aktive oder passive Steuerung, Hochdruck oder Niederdruck)

…“

 Österreichisches Recht

18      § 871 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ABGB) bestimmt:

„War ein Teil über den Inhalt der von ihm abgegebenen oder dem anderen zugegangenen Erklärung in einem Irrtum befangen, der die Hauptsache oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt wurde, so entsteht für ihn keine Verbindlichkeit, falls der Irrtum durch den anderen veranlasst war oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder noch rechtzeitig aufgeklärt wurde.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Im Jahr 2013 schloss IR, ein Verbraucher, einen Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug der Marke Volkswagen, Modell Touran Comfortline BMT TDI, in dem ein Euro‑5-Dieselmotor des Typs EA 189 mit einem Hubraum von 1,6 Liter und mit einer Leistung von 77 kW verbaut ist.

20      IR erhob vor dem Landesgericht Eisenstadt (Österreich), dem vorlegenden Gericht, aufgrund von § 871 ABGB Klage auf Aufhebung dieses Kaufvertrags.

21      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass das in Rede stehende Fahrzeug mit einer internen emissionsmindernden Einrichtung ausgestattet ist, nämlich einem Abgasrückführventil (im Folgenden: AGR-Ventil), und dass es über eine Abgasnachbehandlung mittels Partikelfilter, jedoch keine betreffend Stickstoffoxid (NOx) verfügt.

22      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts enthielt das in Rede stehende Fahrzeug ursprünglich eine in den Rechner zur Motorsteuerung integrierte Software, aufgrund deren eine Abgasrückführung nach zwei Betriebsmodi (im Folgenden: Umschaltlogik) erfolgte, nämlich einem Modus 0, der beim Fahrbetrieb im Straßenverkehr aktiviert wird, und einem Modus 1, der beim im Labor durchgeführten die Schadstoffemissionen betreffenden Zulassungstest namens „New European Driving Cycle“ (NEDC) zum Einsatz kommt. Im Modus 0 verminderte sich die Abgasrückführungsrate. Unter normalen Nutzungsbedingungen befand sich das Fahrzeug fast ausschließlich im Modus 0 und hielt die in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwerte für Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen nicht ein.

23      Mit Schreiben vom 8. Oktober 2015 informierte der Importeur für VW-Fahrzeuge in Österreich IR darüber, dass bei seinem Fahrzeug Nacharbeiten erforderlich sein würden und die Herstellerin alle Kosten für die dafür erforderlichen Reparaturmaßnahmen tragen werde. In der Folge wurde IR aufgefordert, ein Update dieser Software, das die Umschaltlogik deaktiviere, installieren zu lassen, was er akzeptierte.

24      Dieses Update bewirkte außerdem eine Programmierung des AGR-Ventils zur Regelung der AGR-Rate in der Weise, dass dieses Ventil einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt (im Folgenden: Thermofenster), und außerhalb dieses Thermofensters die AGR-Rate linear auf 0 verringert wird, es sohin zu einer Erhöhung der Stickstoffoxidemissionen (NOx) über die Grenzwerte der Verordnung Nr. 715/2007 kam.

25      Das Kraftfahrt-Bundesamt (Deutschland), die in Deutschland für die Typgenehmigung zuständige Behörde, erteilte eine Genehmigung für eine technische Umrüstung, nämlich das Update der fraglichen Software, und nahm daher die EG‑Typgenehmigung nicht zurück. Diese Behörde kam u. a. zu dem Ergebnis, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 vorliege. Dem vorlegenden Gericht zufolge verfügte diese Behörde jedoch über keine Informationen zu der für das Update verwendeten Software, da sie deren Vorlage nicht verlangt habe.

26      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts entsprach die Umschaltlogik, mit der das in Rede stehende Fahrzeug ursprünglich ausgestattet war, nicht den Vorgaben der Verordnung Nr. 715/2007, insbesondere nicht jenen nach Art. 5 der Verordnung. Zum einen sei nach der Umschaltlogik das AGR-Ventil so eingestellt gewesen, dass bei Verwendung dieses Fahrzeugs unter normalen Bedingungen diese Verwendung nicht den Vorgaben dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entsprochen habe, und zum anderen habe es sich nicht um eine zulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung gehandelt.

27      Außerdem ergebe sich aus dem Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, dass IR davon ausgegangen sei, ein diesen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben, und dass er es nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass dies nicht der Fall sei.

28      Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass nach österreichischem Recht der Geschäftspartner eines Irrenden Rechtsfolgen des Irrtums dadurch abwenden könne, dass er den Irrenden so stelle, wie dieser stünde, wenn kein Irrtum vorläge. Die betroffene Person sei dann klaglos gestellt.

29      Volkswagen mache geltend, dass das Update der fraglichen Software im Sinne von IR erfolgt sei und IR daher klaglos gestellt habe, was dieser bestreite.

30      Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass es für seine Entscheidung feststellen müsse, ob das Thermofenster eine technische Lösung darstelle, die den Vorgaben des Unionsrechts, insbesondere den in den Verordnungen Nrn. 715/2007 und 692/2008 vorgesehenen, entspreche. Sollte dies der Fall sein, wäre der von IR geschlossene Kaufvertrag nicht aufzuheben, so dass dessen Klage abzuweisen wäre.

31      Das vorlegende Gericht gibt zu bedenken, dass in Österreich die Temperatur die meiste Zeit des Jahres unter 15 Grad Celsius liege. Es könne nicht festgestellt werden, dass das Thermofenster notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Es lasse sich auch nicht feststellen, ob bei Durchführung des Updates, ohne dass dieses Thermofenster vorgesehen gewesen wäre, die in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 genannten Vorgaben in Bezug auf die Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen beachtet würden.

32      Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Eisenstadt beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Ausrüstung eines Fahrzeugs im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung unzulässig ist, wonach das Abgasrückführventil, sohin ein Bauteil, welches das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflusst, so konstruiert ist, dass die Abgasrückführrate, d. h. der Anteil an Abgas, welches rückgeführt wird, so geregelt wird, dass es nur innerhalb des Thermofensters einen schadstoffarmen Modus gewährleistet und außerhalb dieses Thermofensters im Verlauf von 10 Grad Celsius und oberhalb von 1 000 Höhenmetern im Verlauf von 250 Höhenmetern linear auf 0 verringert wird, es sohin zu einer Erhöhung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen über die Grenzwerte der Verordnung Nr. 715/2007 kommt?

2.      Spielt es für die Beurteilung der ersten Frage eine Rolle, ob die in der ersten Frage genannte Ausrüstung des Fahrzeuges notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen?

3.      Spielt es für die Beurteilung der zweiten Frage weiters eine Rolle, ob der Teil des Motors welcher vor Beschädigung zu schützen ist, das AGR-Ventil ist?

4.      Spielt es für die Beurteilung der ersten Frage eine Rolle, ob die dort genannte Ausrüstung des Fahrzeugs bereits bei dessen Herstellung verbaut wurde oder ob die dort geschilderte Regelung des AGR-Ventils als Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 in das Fahrzeug eingebracht werden soll?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

33      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung einer bestimmten Unionsrechtsvorschrift beschränkt hat, hindert dies demzufolge den Gerichtshof nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Im vorliegenden Fall nimmt die erste Frage auf Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 Bezug. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass das vorlegende Gericht klären möchte, ob das Thermofenster eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung darstellt, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung grundsätzlich unzulässig ist.

35      Volkswagen macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass das vorlegende Gericht die Funktionsweise der fraglichen Software falsch darstelle. Diese Software führe nämlich zu einer Reduzierung der Abgasrückführung, wenn die Ladelufttemperatur im Motor – und nicht die Umgebungstemperatur – weniger als 15 Grad Celsius betrage. In technischer Hinsicht sei aber unstreitig, dass diese Ladelufttemperatur im Motor durchschnittlich um 5 Grad Celsius höher sei als die Umgebungstemperatur. Demnach erfolge eine volle Abgasrückführung nicht bei Umgebungstemperaturen bis zu 15 Grad Celsius, sondern bis zu 10 Grad Celsius, d. h. im Bereich des Jahresdurchschnitts der Umgebungstemperatur in Deutschland (10,4 Grad Celsius). Außerdem gebe das vorlegende Gericht nicht an, dass bei einer Umgebungstemperatur von unter 10 Grad Celsius die Abgasrückführungsrate nur schrittweise linear auf 0 sinke, und zwar bis zu einer Umgebungstemperatur von -5 Grad Celsius.

36      Gleichwohl ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig (Urteil vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale, C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537, Rn. 46).

37      Unter diesen Umständen ist im Hinblick auf eine zweckdienliche Antwort an das vorlegende Gericht davon auszugehen, dass es mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.

38      In Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 wird „Abschalteinrichtung“ definiert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

39      Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine solche Definition der Abschalteinrichtung dem Begriff „Konstruktionsteil“ eine große Tragweite verleiht, die sich sowohl auf die mechanischen Teile als auch auf die ihre Aktivierung steuernden elektronischen Teile erstreckt, soweit sie auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirken und dessen Wirksamkeit verringern (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 64).

40      Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 sowohl die Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen fallen, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d. h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen – wie mit dem AGR-System – die Emissionen im Vorhinein, d. h. bei ihrer Entstehung, verringert werden (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 90).

41      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass das fragliche Fahrzeug mit einem AGR-Ventil und einer in den Rechner zur Motorsteuerung integrierten Software ausgestattet ist. Dieses Ventil ist eine der Technologien, die von den Automobilherstellern zur Kontrolle und Verringerung der durch die unvollständige Verbrennung des Treibstoffs entstehenden Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen verwendet werden. Die Wirksamkeit der Beseitigung von Schadstoffen hängt mit der Öffnung des AGR-Ventils zusammen, die durch die genannte Software gesteuert wird. Außerhalb des durch das Update dieser Software geschaffenen und in Rn. 24 des vorliegenden Urteils beschriebenen Thermofensters wird die Abgasrückführungsquote linear auf 0 gesenkt, was zu einer Überschreitung der durch die Verordnung Nr. 715/2007 für Stickstoffoxid (NOx) festgelegten Emissionsgrenzwerte führt.

42      So erkennt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Software, die nach dem Thermofenster programmiert ist, die Lufttemperatur und die Höhe des Fahrbetriebs, „um“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 „die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren“.

43      Da eine solche Software auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert, handelt es sich bei ihr um ein „Konstruktionsteil“ im Sinne dieser Bestimmung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 66).

44      Um festzustellen, ob es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Software um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 handelt, ist noch zu prüfen, ob diese Software die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind,“ verringert.

45      Die Verordnung Nr. 715/2007 definiert den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und seiner Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten.

46      Daher handelt es sich hierbei um einen unionsrechtlichen Begriff, der in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen er vorkommt, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Januar 2021, Hessischer Rundfunk, C‑422/19 und C‑423/19, EU:C:2021:63, Rn. 45).

47      Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, d. h. nicht nur, wie Volkswagen in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen vorträgt, auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen für den in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Zulassungstest, der zu dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt galt, der im Labor durchgeführt wird und aus der Wiederholung von vier Stadtfahrzyklen, gefolgt von einem außerstädtischen Fahrzyklus besteht. Dieser Begriff verweist somit auf die Verwendung dieses Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 96 und 101). Die Testzyklen für die Emissionen der Fahrzeuge im Zulassungsverfahren beruhen nämlich nicht auf den realen Betriebsbedingungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 92).

48      Diese Auslegung wird durch den Kontext von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 gestützt. Nach Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung müssen die vom Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen, dass u. a. die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden. Ferner sieht Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vor, dass der Hersteller die Fahrzeuge so ausrüsten muss, dass die Bauteile, die sich auf das Emissionsverhalten auswirken, es erlauben, dass die Fahrzeuge unter normalen Betriebsbedingungen die in der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einhalten (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 97).

49      Diesen Bestimmungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es möglich wäre, zwischen der Funktionsweise einer Einrichtung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen Software während der Phase der Zulassungstests und im Betrieb unter normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge zu unterscheiden. Im Gegenteil liefe nämlich der Einbau einer Einrichtung, die die Einhaltung der in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Grenzwerte nur während der Phase des Zulassungstests sicherstellen kann, obwohl diese Testphase normale Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs nicht nachstellen kann, der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 97 und 98). Das Gleiche gilt für den Einbau einer Einrichtung, mit der diese Einhaltung nur innerhalb eines Thermofensters sichergestellt werden kann, das zwar die Bedingungen abdeckt, unter denen die Phase des Zulassungstests stattfindet, aber nicht den normalen Fahrbedingungen, wie sie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils definiert sind, entspricht.

50      Die in Rn. 47 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, wonach der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen verweist, wie sie im Unionsgebiet üblich sind, wird auch durch das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 1 und 6 ergibt, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen zu mindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 67, 86 und 87).

51      Was die Frage angeht, ob eine Software wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Fahrbedingungen verringert, steht fest, dass Umgebungstemperaturen von weniger als 15 Grad Celsius sowie das Fahren auf Straßen über 1 000 Höhenmetern im Unionsgebiet üblich sind.

52      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 692/2008, die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist und in der Maßnahmen zur Durchführung der Art. 4, 5 und 8 der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegt werden, in ihrem Art. 3 Abs. 9 Unterabs. 2 vorsieht, dass die Hersteller der Genehmigungsbehörde belegen, dass die Stickstoffoxid (NOx)-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei -7 Grad Celsius innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht. Nach Art. 3 Abs. 9 Unterabs. 5 erteilt die Genehmigungsbehörde keine Typgenehmigung, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht. Die letztgenannte Bestimmung bestätigt die Auslegung, wonach die in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen Emissionsgrenzwerte einzuhalten sind, wenn die Temperaturen deutlich unter 15 Grad Celsius liegen.

53      Daher ist davon auszugehen, dass eine Software wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind,“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 einschränkt und daher eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

54      Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

 Zur Zulässigkeit

55      IR macht geltend, die zweite Frage, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob der Umstand, dass eine Einrichtung wie das Thermofenster notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen, eine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit einer solchen Einrichtung habe, sei hypothetischer Natur, da das vorlegende Gericht ausgeführt habe, dass es nicht habe feststellen können, ob das Thermofenster notwendig sei, um den Motor des betreffenden Fahrzeugs vor Beschädigung zu schützen.

56      Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Im vorliegenden Fall gibt das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen zwar an, es lasse sich nicht feststellen, ob das Thermofenster notwendig sei, um den Motor des betreffenden Fahrzeugs vor Beschädigung zu schützen.

59      Aus diesem Ersuchen geht jedoch auch hervor, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 äußert, wonach das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, nicht gilt, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

60      Unter diesen Umständen ist jedoch nicht offensichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder ein hypothetisches Problem betrifft.

61      Die zweite und die dritte Frage sind daher zulässig.

 Zur Beantwortung der Fragen

62      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, wenn mit dieser Einrichtung das AGR-Ventil geschützt werden soll.

63      Da sie eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist diese Bestimmung eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 111 und 112).

64      Was zunächst den Begriff „Motor“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 betrifft, unterscheidet Anhang I der Verordnung Nr. 692/2008, wie der Generalanwalt in den Nrn. 118 und 119 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ausdrücklich zwischen dem Motor und dem Emissionsminderungssystem. Die Vorgaben für den „Motor“ sind nämlich in Abs. 3.3.1.2 dieses Anhangs aufgeführt, während die Vorgaben für die „Parameter des Emissionsminderungssystems“ in Abs. 3.3.1.3 dieses Anhangs enthalten sind. Dieser letzte Absatz umfasst unter Buchst. c ausdrücklich die Abgasrückführung. Das AGR-Ventil, durch das die Abgase bei seiner Öffnung in den Gasansaugkrümmer gelangen, damit sie ein zweites Mal verbrannt werden, stellt daher ein vom Motor getrenntes Bauteil dar. Das AGR-Ventil befindet sich nämlich in unmittelbarer Nähe des Motorblocks, direkt am Ansatz des Auspuffkrümmers.

65      Was sodann die Begriffe „Unfall“ und „Beschädigung“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass eine die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringernde Abschalteinrichtung, um nach dieser Bestimmung zulässig zu sein, es ermöglichen muss, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 109).

66      Die Verschmutzung und der Verschleiß des Motors können daher jedenfalls nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden, denn sie sind im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtungen für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 110).

67      Diese Auslegung wird durch das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel bestätigt, das, wie in Rn. 50 des vorliegenden Urteils betont, darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und in der Union die Luftqualität zu verbessern; dies impliziert eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge. Das Verbot, auf das sich Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung bezieht, würde ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 113).

68      Nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, können daher die Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 rechtfertigen.

69      Die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“ durch den Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren) (C‑693/18, EU:C:2020:1040), wird nicht durch das Vorbringen der deutschen Regierung und jenes von Volkswagen in Frage gestellt, wonach sich aus der englischen („damage“) und der deutschen („Beschädigung“) Sprachfassung ergebe, dass dieser Begriff nicht nur plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse erfasse.

70      Wie nämlich zum einen der Generalanwalt in Nr. 115 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, sprechen die Definitionen des Begriffs in der englischen und in der deutschen Sprache, obwohl sie im Unterschied zu der Definition desselben Begriffs [„dégâts“] in der französischen Sprache nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Beschädigung auf ein „plötzliches“ Ereignis zurückzuführen ist, nicht gegen die Auslegung des Begriffs „Beschädigung“, die der Gerichtshof vorgenommen hat. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die vom Gerichtshof vorgenommene enge Auslegung auf den in den Rn. 63 und 67 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen beruht.

71      Die deutsche Regierung und Volkswagen machen jedoch geltend, dass die fragliche Abschalteinrichtung notwendig sei, da sich bei zu niedrigen oder zu hohen Temperaturen Ablagerungen bei der Abgasrückführung bilden könnten und auf diese Weise zu einer falschen Stellung des AGR-Ventils, d. h. beispielsweise dazu, dass sich ein Ventil nicht mehr öffne oder nicht mehr korrekt schließen lasse, oder sogar zu einer vollständigen Blockierung dieses Ventils führen könnten. Ein beschädigtes oder schlecht positioniertes AGR-Ventil könne Beschädigungen am Motor selbst verursachen und insbesondere zu Leistungsverlusten des Fahrzeugs führen. Außerdem sei nicht vorhersehbar und kalkulierbar, wann die Ausfallgrenze des AGR-Ventils erreicht werde, da diese Grenze plötzlich und unvorhersehbar überschritten werden könne, selbst wenn eine regelmäßige Wartung dieses Ventils vorgenommen werde. Leistungsverluste des Fahrzeugs, die plötzlich und unvorhersehbar aufträten, beeinträchtigten den sicheren Betrieb des Fahrzeugs, indem z. B. die Gefahr eines schweren Verkehrsunfalls bei einem Überholvorgang erheblich erhöht werde.

72      Volkswagen macht ferner geltend, dass die Versottung von Bauteilen des Abgasrückführungssystems dadurch, dass sie eine Fehlfunktion des AGR-Ventils bis hin zu dessen Verklemmen hervorrufen könne, zu einem Durchbrand des Dieselpartikelfilters und einem Motorbrand oder sogar, als Folge davon, einem Brand des gesamten Fahrzeugs führen könne, was den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gefährde.

73      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass schon dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 zu entnehmen ist, dass eine Abschalteinrichtung, um unter die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme zu fallen, nicht nur notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen, sondern auch um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Wie der Generalanwalt in Nr. 106 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist diese Bestimmung nämlich angesichts der Verwendung der Konjunktion „und“ dahin auszulegen, dass die darin vorgesehenen Voraussetzungen kumulativ sind.

74      Daher kann in Anbetracht der Tatsache, dass diese Ausnahme, wie in Rn. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Wie der Generalanwalt in Nr. 126 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehört eine solche Prüfung jedoch im Ausgangsrechtsstreit zur Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache des vorlegenden Gerichts ist.

75      Außerdem trifft es zwar zu, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 formell keine weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vorschreibt. Doch würde eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgten Ziel, von dem diese Bestimmung nur unter ganz besonderen Umständen eine Abweichung zulässt, zuwiderlaufen und zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen von Fahrzeugen führen.

76      In Anbetracht der Tatsache, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung daher nicht im Sinne dieser Bestimmung notwendig sein.

77      Ließe man zu, dass eine Abschalteinrichtung, wie sie in Rn. 75 des vorliegenden Urteils beschrieben ist, unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen könnte, würde dies dazu führen, dass diese Ausnahme während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen anwendbar wäre, so dass der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung aufgestellte Grundsatz des Verbots solcher Abschalteinrichtungen in der Praxis weniger häufig zur Anwendung kommen könnte als diese Ausnahme.

78      Volkswagen und die deutsche Regierung machen ferner geltend, dass die „Notwendigkeit“ einer Abschalteinrichtung nicht die bestmögliche Technik erfordere und dass der Stand der Technik zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung zu berücksichtigen sei, um zu beurteilen, ob diese Notwendigkeit im Hinblick auf den Schutz des Motors und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 gegeben sei. Die Verwendung eines AGR-Systems, das mit Thermofenstern in je nach Genehmigungszeitpunkt unterschiedlichem Umfang arbeite, entspreche aber unstreitig dem Stand der Technik. Außerdem müsse bei der Auslegung des Begriffs „notwendig“ in dieser Bestimmung dem Erfordernis Rechnung getragen werden, die Umweltinteressen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller abzuwägen.

79      Wie der Generalanwalt in Nr. 129 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht zum einen aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 715/2007 hervor, dass der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen die Interessen der Automobilhersteller und insbesondere die Kosten, die den Unternehmen durch die erforderliche Einhaltung dieser Werte auferlegt werden, berücksichtigt hat. Es ist somit Sache der Hersteller, die technischen Vorrichtungen anzupassen und anzuwenden, damit diese Grenzwerte eingehalten werden, wobei diese Verordnung keineswegs den Einsatz einer bestimmten Technologie vorschreibt.

80      Zum anderen impliziert, wie in Rn. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgte Ziel, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und die Luftqualität in der Union zu verbessern, eine wirksame Verringerung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge (Urteil vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. [Abschalteinrichtung für Dieselmotoren], C‑693/18, EU:C:2020:1040, Rn. 113). Wenn aber eine Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 allein deshalb zugelassen würde, weil z. B. die Kosten für die Forschung hoch sind, die technische Ausrüstung teuer ist oder für den Nutzer häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen, würde dieses Ziel in Frage gestellt.

81      Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Bestimmung, wie in den Rn. 63 und 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eng auszulegen ist, ist davon auszugehen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

82      Folglich ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, nicht allein deshalb unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, weil mit dieser Einrichtung das AGR-Ventil geschützt werden soll, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion dieses Bauteils verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

 Zur vierten Frage

83      Gemäß der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung und in Anbetracht der Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ist, um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner vierten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung im Sinne der letzteren Bestimmung nach Inbetriebnahme eines Fahrzeugs bei einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 eingebaut wurde, für die Beurteilung, ob die Verwendung dieser Einrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, erheblich ist.

 Zur Zulässigkeit

84      Die deutsche Regierung hält die vorliegende Frage für unzulässig, da im Vorlagebeschluss nicht dargelegt werde, weshalb die Antwort auf diese Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sei.

85      Im vorliegenden Fall ist nicht offensichtlich, dass die vierte Frage unter einen der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils aufgezählten Fälle subsumiert werden könnte, in denen der Gerichtshof es ablehnen kann, über eine Vorlagefrage zu entscheiden.

86      Vielmehr geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen zum einen hervor, dass mit dem Einbau der in Rede stehenden Abschalteinrichtung das Ziel verfolgt wurde, die Unzulässigkeit der Umschaltlogik zu beseitigen und die Anforderungen der Verordnung Nr. 715/2007 durch eine Nachbesserung zu erfüllen, und zum anderen, dass nach Auffassung des vorlegenden Gerichts zu ermitteln ist, ob sich der Umstand, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme nicht über die in Rede stehende Abschalteinrichtung verfügte, auf die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Einrichtung mit der Verordnung auswirkt.

87      Die vierte Frage ist daher zulässig.

 Zur Beantwortung der Frage

88      Weder dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, wonach die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen unzulässig ist, noch dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung, in dem der Begriff „Abschalteinrichtung“ definiert wird, lässt sich entnehmen, dass für die Beurteilung, ob die Verwendung dieser Einrichtung unzulässig ist, danach zu unterscheiden ist, ob eine Abschalteinrichtung in der Phase der Herstellung eines Fahrzeugs oder erst nach seiner Inbetriebnahme, u. a. infolge einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44, eingebaut wurde.

89      Diese Auslegung wird, wie der Generalanwalt in den Nrn. 137 und 138 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, durch den Kontext, in dem diese Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 stehen, und das mit dieser Verordnung verfolgte Ziel gestützt.

90      Zum einen ist nämlich zum Kontext dieser Bestimmungen festzustellen, dass die Hersteller nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 nachzuweisen haben, dass alle von ihnen in der Union verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung schließt diese Verpflichtung ein, dass die in Anhang I und in den in Art. 5 der Verordnung genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

91      Außerdem gewährleistet der Hersteller nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008, „dass emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch, die in Fahrzeuge mit einer EG‑Typgenehmigung nach der Verordnung [Nr. 715/2007] eingebaut werden, in Übereinstimmung mit Artikel 12, Artikel 13 und Anhang XIII dieser Verordnung über eine EG‑Typgenehmigung als selbstständige technische Einheiten im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie [2007/46] verfügen“.

92      Aus diesen Bestimmungen der Verordnungen Nr. 715/2007 und Nr. 692/2008 ergibt sich, dass die emissionsmindernden Einrichtungen die Verpflichtungen aus der Verordnung Nr. 715/2007 unabhängig davon einhalten müssen, ob sie ursprünglich oder nach Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eingebaut werden.

93      Zum anderen liefe es, wenn man Fahrzeugherstellern erlauben würde, nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eine Abschalteinrichtung einzubauen, die diese Verpflichtungen nicht einhält, dem in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Ziel der Verordnung Nr. 715/2007 zuwider, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen zu mindern.

94      Folglich ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser letzteren Bestimmung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs bei einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 eingebaut wurde, für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, unerheblich ist.

 Kosten

95      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt.

2.      Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, nicht allein deshalb unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Verwendung solcher Einrichtungen fallen kann, weil mit dieser Einrichtung das Abgasrückführventil geschützt werden soll, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion dieses Bauteils verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

3.      Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser letzteren Bestimmung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs bei einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter eingebaut wurde, für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, unerheblich ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.