Language of document : ECLI:EU:C:2017:822

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 26. Oktober 2017(1)

Rechtssache C494/16

Giuseppa Santoro

gegen

Comune di Valderice,

Presidenza del Consiglio dei Ministri

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale civile di Trapani [Zivilgericht Trapani, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Befristete Arbeitsverträge – Mit einem Arbeitgeber des öffentlichen Sektors abgeschlossene Verträge – Maßnahmen zur Ahndung des missbräuchlichen Einsatzes befristeter Arbeitsverträge – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“






I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang dieser Richtlinie(2). Es fügt sich ein in eine Reihe von Vorabentscheidungsersuchen italienischer Gerichte über die Vereinbarkeit des Verbots der Umwandlung befristeter Verträge in unbefristete Verträge im öffentlichen Sektor bei missbräuchlichem Einsatz solcher Verträge durch einen Arbeitgeber(3).

2.        Jedoch möchte das vorlegende Gericht im Unterschied zu den früheren Ersuchen im vorliegenden Fall wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Missbrauch befristeter Arbeitsverträge zu ahnden, was es dem Gerichtshof ermöglicht, seine Rechtsprechung zur Richtlinie 1999/70 und zur Rahmenvereinbarung zu vertiefen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

3.        Nach Art. 1 der Richtlinie 1999/70 soll mit dieser „die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung … durchgeführt werden“.

4.        Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie … nachzukommen, [und haben] alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. …“

5.        Paragraf 5 („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.      Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:

a)      sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen;

b)      die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse;

c)      die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

2.      Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner legen gegebenenfalls fest, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse:

a)      als ‚aufeinanderfolgend‘ zu betrachten sind;

b)      als unbefristete Verträge oder Verhältnisse zu gelten haben.“

B.      Italienisches Recht

6.        Die Richtlinie 1999/70 wurde durch das Decreto legislativo n. 368 – Attuazione della direttiva del Consiglio del 28 giugno 1999, n. 1999/70/CE relativa all’accordo quadro CES, UNICE, CEEP sul lavoro a tempo determinato (Gesetzesdekret Nr. 368 zur Umsetzung der Richtlinie 1999/70) vom 6. September 2001 (GURI Nr. 235 vom 9. Oktober 2001) in italienisches Recht umgesetzt. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzesdekrets sieht in seiner für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung Folgendes vor:

„Wird das Arbeitsverhältnis bei Verträgen mit einer Laufzeit von weniger als sechs Monaten über den dreißigsten Tag hinaus fortgesetzt und ist die Gesamtdauer nach Abs. 4a abgelaufen, oder wird es in den anderen Fällen über den fünfzigsten Tag hinaus fortgesetzt, so gilt der Vertrag mit Ablauf der erwähnten Fristen als unbefristet.“

7.        Art. 5 Abs. 4a dieses Gesetzesdekrets bestimmt:

„Unbeschadet der Regelung der aufeinanderfolgenden Verträge in den vorstehenden Absätzen gilt das Arbeitsverhältnis nach Abs. 2 als unbefristet, wenn aufgrund aufeinanderfolgender befristeter Verträge zur Ausübung vergleichbarer Aufgaben das Arbeitsverhältnis zwischen demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer insgesamt die Dauer von 36 Monaten einschließlich Verlängerungen und Erneuerungen, unabhängig von den Unterbrechungszeiträumen zwischen den Verträgen, überschreitet …“

8.        Art. 36 des Decreto legislativo n. 165 – Norme generali sull’ordinamento del lavoro alle dipendenze delle amministrazioni pubbliche (Gesetzesdekret Nr. 165 über allgemeine Vorschriften betreffend die Regelung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen) vom 30. März 2001 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 106 vom 9. Mai 2001) bestimmt:

„1.      Die öffentlichen Verwaltungen stellen für die Erfordernisse ihres gewöhnlichen Bedarfs ausschließlich mittels unbefristeter Beschäftigungsverträge … ein.

2.      Um bloß zeitlich begrenzten und außergewöhnlichen Erfordernissen zu genügen, können sich die öffentlichen Verwaltungen, unter Beachtung der geltenden Einstellungsverfahren, der im Zivilgesetzbuch und in den Gesetzen über die Arbeitsbeziehungen im Unternehmen vorgesehenen flexiblen vertraglichen Formen der Einstellung und der Beschäftigung von Personal bedienen.

5.      Jedenfalls kann die Verletzung zwingender Vorschriften über die Einstellung oder die Beschäftigung von Arbeitnehmern durch die öffentlichen Verwaltungen nicht zur Begründung unbefristeter Arbeitsverhältnisse mit diesen öffentlichen Verwaltungen führen, unbeschadet ihrer Haftung und der Sanktionen, die gegen diese verhängt werden können. Der betroffene Arbeitnehmer hat Anspruch auf Ersatz der Schäden, die sich aus der unter Verstoß gegen zwingende Vorschriften erbrachten Arbeitsleistung ergeben …“

9.        Art. 32 Abs. 5 der Legge n 183 – Deleghe al Governo in materia di lavori usuranti, di riorganizzazione di enti, di congedi, aspettative e permessi, di ammortizzatori sociali, di servizi per l’impiego, di incentivi all’occupazione, di apprendistato, di occupazione femminile, nonche’ misure contro il lavoro sommerso e disposizioni in tema di lavoro pubblico e di controversie di lavoro (Gesetz Nr. 183 über die Übertragung von Befugnissen an die Regierung in den Bereichen Schwerarbeit, Behördenreorganisation, Urlaub, Bereitschaftsdienste und Freizeitausgleich, Maßnahmen der sozialen Sicherung, Arbeitsvermittlung, Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung, Ausbildung und Beschäftigung von Frauen, Maßnahmen gegen nicht angemeldete Arbeit und Bestimmungen zur Beschäftigung im öffentlichen Sektor und zu Arbeitskämpfen) vom 4. November 2010 (Supplemento Ordinario zur GURI Nr. 262 vom 9. November 2010) bestimmt:

„In Fällen der Umwandlung befristeter Verträge verurteilt das Gericht den Arbeitgeber zu Schadensersatz gegenüber dem Arbeitnehmer, indem es unter Berücksichtigung der Kriterien des Art. 8 des Gesetzes Nr. 604 vom 15. Juli 1966 eine pauschale Entschädigung festsetzt, die mindestens das 2,5‑Fache und höchstens das 12‑Fache der letzten tatsächlichen vollen Monatsvergütung beträgt.

III. Sachverhalt

10.      Von 1996 bis 2002 übte Frau Giuseppa Santoro bei der Comune di Valderice (Gemeinde Valderice, Italien) eine berufliche Tätigkeit als Arbeitnehmerin mit gemeinnützigen Aufgaben aus. Sodann wurde sie von derselben Gemeinde aufgrund eines Vertrags über die koordinierte und dauerhafte Mitarbeit bis Ende 2010 eingestellt. Am 4. Oktober 2010 schloss sie mit dieser Gemeinde einen bis zum 31. Dezember 2012 befristeten Teilzeitarbeitsvertrag ab. Dieser Vertrag, der dreimal verlängert wurde, lief am 31. Dezember 2016 aus und hatte somit insgesamt eine Laufzeit von mehr als fünf Jahren.

11.      Da sie diese aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge als rechtswidrig erachtete, rief Frau Santoro das vorlegende Gericht an und beantragte namentlich die Umwandlung dieser Verträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem Ende des 36. Monats und hilfsweise den Ersatz des erlittenen Schadens.

12.      Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach Art. 36 Abs. 5 des Gesetzesdekrets Nr. 165 die Verletzung des Verbots, wiederholt einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, durch die öffentliche Verwaltung nicht zur Umwandlung dieses Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Vertrag führen könne. Folglich könne Frau Santoro als im öffentlichen Sektor beschäftigte Arbeitnehmerin nur den Ersatz des erlittenen Schadens verlangen, der nach Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 183 auf Zahlung einer pauschalen Entschädigung zwischen dem 2,5‑Fachen und dem 12‑Fachen der letzten tatsächlichen Monatsvergütung begrenzt sei, während die im privaten Sektor beschäftigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf diesen Schadensersatz sowie auf Umwandlung ihrer befristeten Verträge in einen einzigen unbefristeten Vertrag hätten.

13.      Jedoch hat der Große Senat der Corte suprema di cassazione (Kassationshof, Italien) in seinem Urteil Nr. 5072/2016 vom 15. März 2016 festgestellt, dass bei missbräuchlichem Einsatz befristeter Verträge durch eine Behörde, der aufgrund des in Art. 36 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 165 enthaltenen Verbots rechtswidrig sei, der geschädigte Arbeitnehmer zusätzlich zu der oben genannten pauschalen Entschädigung einen Anspruch auf Ersatz des Schadens im Zusammenhang mit der „entgangenen Chance“ habe, der zuerkannt werden könne, wenn feststehe, dass dem Arbeitnehmer Möglichkeiten für einen festen Arbeitsplatz entgangen seien.

14.      Dieses Urteil wurde in dem Verfahren gefällt, in dem das erstinstanzliche Gericht vom Gerichtshof hatte wissen wollen, ob der Ausschluss der Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge mit der öffentlichen Verwaltung in unbefristete Arbeitsverträge mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Im Urteil Marrosu und Sardino(4) antwortete der Gerichtshof, dass ein solcher Ausschluss mit den Paragrafen der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 1999/70 nicht unvereinbar sei, sofern die Rechtsordnung „eine andere wirksame Maßnahme enthält, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden“.

15.      Auf dieses Urteil hin gewährte das erstinstanzliche Gericht den geschädigten Arbeitnehmern nicht nur Schadensersatz in Höhe von mindestens fünf Monatssätzen, sondern auch eine „Ausgleichszahlung für die Wiedereinstellung“ in Höhe des 15‑Fachen der letzten tatsächlichen vollen Monatsvergütung. Diese Maßnahme wurde vom Berufungsgericht bestätigt und von der Corte suprema di cassazione (Kassationshof) im Urteil Nr. 5072/2016 als „unangemessen“ erachtet.

IV.    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16.      Unter diesen Umständen hat das Tribunale civile di Trapani (Zivilgericht Trapani, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stellt die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der letzten Monatsvergütung (Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 183) an einen Arbeitnehmer des öffentlichen Sektors, der das Opfer einer missbräuchlichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge ist und nur dann vollständigen Schadensersatz erhalten kann, wenn er nachweist, dass ihm entweder andere Gelegenheiten zur Anstellung entgangen sind oder er im Fall der Veröffentlichung eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens dieses erfolgreich abgeschlossen hätte, eine gleichwertige und wirksame Maßnahme in Sinne der Urteile vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino (C‑53/04, EU:C:2006:517), und vom 26. November 2014, Mascolo u. a. (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401), dar?

2.      Ist der vom Gerichtshof (u. a.) in den Urteilen vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino (C‑53/04, EU:C:2006:517), und vom 26. November 2014, Mascolo u. a. (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401), erwähnte Grundsatz der Äquivalenz dahin zu verstehen, dass ein Mitgliedstaat in dem Fall, dass er beschließt, im öffentlichen Sektor die (im privaten Sektor anerkannte) Umwandlung des Arbeitsverhältnisses nicht anzuwenden, jedenfalls verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die gleiche Vergünstigung zu gewährleisten, gegebenenfalls durch eine Entschädigung, deren Gegenstand notwendigerweise den Wert des unbefristeten Arbeitsplatzes haben muss?

17.      Frau Santoro, die Gemeinde Valderice, die italienische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und an der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2017 teilgenommen.

V.      Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit

18.      Die italienische Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, der tatsächliche Rahmen sei vom vorlegenden Gericht nicht korrekt dargestellt worden, weshalb die Vorlagefragen unzulässig seien. Nach Ansicht dieser Regierung gehen aus dem Vorabentscheidungsersuchen weder der öffentliche Sektor, in dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens aufgrund verschiedener vertraglicher Vereinbarungen gearbeitet habe, noch die ihr zugeteilten Aufgaben hervor, während diese Angaben notwendig seien, um zu verstehen, ob die streitigen Verlängerungen der betreffenden Arbeitsverträge aus „sachlichen Gründen“ im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt seien.

19.      Mir ist nicht ganz klar, ob die italienische Regierung in diesem Zusammenhang bloß Zweifel an der Zulässigkeit der Vorlagefragen äußert oder einen formellen Einwand erhebt. Ungeachtet dieser Unklarheit können die Argumente der italienischen Regierung nicht akzeptiert werden.

20.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlageentscheidung als Grundlage für das Verfahren vor dem Gerichtshof dient und es daher unerlässlich ist, dass das nationale Gericht dort insbesondere den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits erläutert(5).

21.      Zudem ist der Gerichtshof nicht befugt, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind oder ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen(6).

22.      In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass das vorlegende Gericht angegeben hat, Frau Santoro habe während eines Zeitraums, der die in der Richtlinie 1999/70 festgelegte Höchstdauer von 36 Monaten überstiegen habe, in einem Unterordnungsverhältnis im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags gestanden. Im Übrigen meint das vorlegende Gericht selbst, die Vorlagefragen bezögen sich nicht auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der von der öffentlichen Verwaltung über die erlaubten Höchstgrenzen hinaus verlängerten Arbeitsverträge, sondern einzig und allein auf die konkrete Festlegung einer „abschreckenden“ Maßnahme für den Fall der missbräuchlichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Sektor.

23.      Daher erscheint mir die Position des vorlegenden Gerichts eindeutig, was die Feststellung des Missbrauchs befristeter Verträge durch die Gemeinde Valderice betrifft, weshalb sein Vorabentscheidungsersuchen nur auf die Maßnahmen zur Ahndung eines solchen Missbrauchs abzielt.

24.      Deshalb ermöglichen die vom vorlegenden Gericht vorgetragenen tatsächlichen Umstände dem Gerichtshof meiner Ansicht nach, die Vorlagefragen zu beantworten, so dass die gestellten Fragen als zulässig anzusehen sind.

B.      Zur Begründetheit

1.      Vorbemerkungen

25.      Nach Paragraf 1 der Rahmenvereinbarung soll diese einen Rahmen schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe sind die Mitgliedstaaten nach Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge zu ergreifen.

26.      Wenn es jedoch zu einem solchen Missbrauch gekommen ist, müssen Maßnahmen angewandt werden können, die es erlauben, diesen Missbrauch zu ahnden. Eine Maßnahme dieser Art, die auf die Umwandlung in einen unbefristeten Vertrag abzielt, wird ausdrücklich in Paragraf 5 Nr. 2 Buchst. b der Rahmenvereinbarung angeführt.

27.      Daher kann eine nationale Regelung, die erlassen wurde, um die von der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung vorgeschriebenen Ergebnisse zu gewährleisten, zweierlei Arten von Maßnahmen umfassen: Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch, die in Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung vorgesehen sind, und Maßnahmen zur Ahndung von Missbrauch, die insbesondere in deren Paragraf 5 Nr. 2 Buchst. b vorgesehen sind(7).

28.      Jedoch ist die Rahmenvereinbarung nach ständiger Rechtsprechung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die bei missbräuchlichem Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors ausschließt, dass diese in unbefristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse umgewandelt werden, wie dies nach Paragraf 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung vorgesehen ist, während eine solche Umwandlung bei Arbeitsverträgen oder -verhältnissen mit einem Arbeitgeber des Privatsektors vorgesehen ist, grundsätzlich nicht entgegensteht, sofern diese Regelung eine andere wirksame Maßnahme enthält, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden(8).

2.      Zu den Vorlagefragen

a)      Zur Äquivalenz der Sanktionsmaßnahmen

1)      Gegenstand der Vorlagefragen in Bezug auf den Grundsatz der Äquivalenz, Standpunkte der Parteien und Vorbemerkungen

29.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die von der Corte suprema di cassazione (Kassationshof) in ihrem Urteil Nr. 5072/2016 angesprochenen Entschädigungsmaßnahmen gleichwertige und wirksame Maßnahmen darstellen. In diesem Zusammenhang verweist das vorlegende Gericht auf den Wortlaut der Urteile Marrosu und Sardino(9) sowie Mascolo u. a.(10) und setzt diese beiden Anforderungen mit den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität gleich. In der zweiten Vorlagefrage kommt das vorlegende Gericht auf den Äquivalenzgrundsatz zurück und ersucht den Gerichtshof, sich zur Höhe der Entschädigung für die entgangene Chance zu äußern, die dem Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor gewährt wird, sofern der Mitgliedstaat entgegen der für den privaten Sektor vorgesehenen Lösung beschließt, die Umwandlung seines Arbeitsverhältnisses nicht anzuwenden. Daher scheint mir, dass diese beiden Fragen unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzgrundsatzes gemeinsam analysiert werden können.

30.      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes im Hinblick auf die Lage der Arbeitnehmer im privaten Sektor beurteilt werden muss. Ausgehend von dieser Prämisse wendet sich das vorlegende Gericht gegen die Position der Corte suprema di cassazione (Kassationshof), die die Ansicht vertreten habe, dass die Entschädigung für die entgangene Chance dem Ersatz des tatsächlichen Schadens entsprechen müsse, der in der nationalen Rechtsordnung im zivilrechtlichen Bereich zur Anwendung komme. Das vorlegende Gericht führt ferner an, der Schadensersatz könne nur in Bezug zum Wert der unbefristeten Beschäftigung stehen.

31.      Die Kommission verwirft diese Prämisse des vorlegenden Gerichts. Ihrer Ansicht nach muss die Vereinbarkeit der im Vorabentscheidungsersuchen genannten Maßnahmen mit dem Grundsatz der Äquivalenz im Licht dessen analysiert werden, was das nationale Recht für ähnliche Fälle hinsichtlich derselben Kategorie von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst vorsieht.

32.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Äquivalenzgrundsatz auf dem Grundgedanken beruht, dass die Personen, die durch das Unionsrecht verliehene Rechte geltend machen, nicht jenen gegenüber benachteiligt werden dürfen, die rein nationale Rechte geltend machen. Die vom nationalen Gesetzgeber in Ausübung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 1999/70 erlassenen Maßnahmen zur Ahndung des Missbrauchs befristeter Verträge durch Arbeitgeber des privaten Sektors setzen weiterhin das Unionsrecht um, auch wenn im nationalen Recht für den öffentlichen Sektor die Anwendung anderer Maßnahmen vorgesehen ist. Daher können die Modalitäten für diese beiden Arten von Maßnahmen nicht in Bezug auf den Äquivalenzgrundsatz verglichen werden, da diese Maßnahmen ausschließlich die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte betreffen.

33.      In Anbetracht des Vorstehenden können diese beiden Sachverhalte – wenn der Mitgliedstaat nur im öffentlichen Sektor Entschädigungsmaßnahmen als Sanktionsmaßnahmen im Sinne von Paragraf 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung vorsieht und die im privaten Sektor anerkannte Umwandlung des Arbeitsverhältnisses ausschließt –, was den Äquivalenzgrundsatz angeht, nicht für einen Vergleich herangezogen werden, um festzustellen ob dieser Grundsatz gewahrt wird, da es sich in beiden Fällen um die Ausübung von durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechten handelt.

2)      Allgemeiner Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot

34.      Hilfsweise ließe sich fragen, ob die Zweifel des vorlegenden Gerichts bezüglich der Äquivalenz der im öffentlichen Sektor und im privaten Sektor vorgesehenen Maßnahmen nicht im Wesentlichen auf den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung gestützt werden können, wonach vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt wäre.

35.      In diesem Zusammenhang weise ich mit der Kommission darauf hin, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung grundsätzlich nicht verbietet, aus der Feststellung eines missbräuchlichen Rückgriffs auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse je nach dem Sektor oder der Kategorie, zu dem bzw. der das in Rede stehende Personal gehört, unterschiedliche Folgen zu ziehen, solange die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats für diesen Sektor oder gegenüber dieser Personalkategorie eine andere wirksame Maßnahme vorsieht, um Missbräuche zu verhindern und zu ahnden(11).

36.      Daraus folgt, dass im Rahmen der Richtlinie 1999/70 die für Arbeitnehmer verschiedener Kategorien zur Verfügung stehenden Maßnahmen unterschiedlich sein können, und dass sich in diesem Zusammenhang die Frage der Gleichheit im weiteren Sinne zumindest nicht unmittelbar stellt. Die Effektivität der Sanktionsmaßnahmen gewährleistet, dass diese Arbeitnehmer nicht unionsrechtswidrig behandelt werden.

3)      Die Suche nach ähnlichen Sachverhalten im innerstaatlichen Recht

37.      Ungeachtet dieser Klarstellungen glaube ich, dass es nützlich ist, meine Analyse zum Thema Äquivalenzgrundsatz fortzusetzen, da mir scheint, dass vor allem die Suche nach angemessenen Vergleichen Zweifel beim vorlegenden Gericht auslösen könnte, wenn es auf diesen Grundsatz Bezug nimmt.

38.      Nach ständiger Rechtsprechung ist es Sache des nationalen Gerichts, das allein eine unmittelbare Kenntnis der Verfahrensmodalitäten für Klagen im Bereich des Arbeitsrechts besitzt, sowohl den Gegenstand als auch den Grund und die wesentlichen Merkmale der angeblich vergleichbaren Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, zu prüfen, um angemessene Vergleiche anstellen zu können(12). Der Gerichtshof kann dem nationalen Gericht jedoch im Hinblick auf die von Letzterem vorzunehmende Beurteilung einige Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben.

39.      So hat der Gerichtshof bereits im Urteil Transportes Urbanos y Servicios Generales(13) die Ansicht vertreten, dass eine Staatshaftungsklage, die auf die Verletzung der nationalen Verfassung gestützt ist, und eine Staatshaftungsklage, die auf eine Verletzung des Unionsrechts gestützt ist, als vergleichbar angesehen werden können. Genauer gesagt hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Ersatz des Schadens, den der Verletzte durch staatliches Tun oder Unterlassen erlitten haben will, der identische Gegenstand beider Klagen war(14), während das Erfordernis der Ausschöpfung der Rechtsbehelfe als ihr wesentliches Merkmal zu gelten hatte(15). Zudem waren die betreffenden Klagen gemäß Generalanwalt Poiares Maduro auf denselben Rechtsgrund, nämlich die Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlung, gestützt(16).

40.      Im Übrigen hat der Gerichtshof im Urteil Pontin(17) während er die endgültige Prüfung dem nationalen Gericht überließ, im Rahmen seiner Aufgabe, zur Auslegung des Unionsrechts beizutragen, einen Vergleich der Verfahrensmodalitäten für eine auf dem Unionsrecht beruhende Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage einer während ihrer Schwangerschaft gekündigten schwangeren Angestellten mit jenen in Betracht gezogen, bei denen es zum einen um die jedem sonstigen gekündigten Arbeitnehmer zur Verfügung stehenden Schadensersatzklagen und zum anderen um die Nichtigkeits- und Wiedereinstellungsklage einer wegen Heirat gekündigten Arbeitnehmerin ging. In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof im Urteil Bulicke(18)einen Vergleich einer Vorschrift über eine Ausschlussfrist für Schadensersatzklagen aufgrund der Verletzung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters mit Klagen betreffend den Kündigungsschutz und die Unwirksamkeit eines befristeten Vertrags ins Auge gefasst.

41.      Zwar sind die in diesen beiden Urteilen enthaltenen Auslegungshinweise weniger eindeutig als die im Urteil Transportes Urbanos y Servicios Generales(19) enthaltenen, und zwar umso weniger, als sie nicht umfassend sind, weil es nicht dem Gerichtshof obliegt, an die Stelle des nationalen Gerichts zu treten und festzustellen, ob der Grundsatz der Äquivalenz gewahrt wurde. Mir scheint, dass die angebliche Ähnlichkeit der betreffenden Klagen in den Urteilen Pontin(20) und Bulicke(21) nicht darauf beruht, dass ihr Gegenstand identisch im engeren Sinne ist. Bei bestimmten Klagen ging es um den Ersatz des erlittenen Schadens, während es bei anderen um die Wiedereinstellung einer Arbeitnehmerin ging. Jedoch bestätigen diese beiden Urteile, dass die Ähnlichkeit der Gegenstände, Rechtsgründe und wesentlichen Merkmale ausreicht, damit Klagen in Bezug auf den Äquivalenzgrundsatz als ähnlich erachtet werden können.

42.      So machte die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen in Bezug auf den Äquivalenzgrundsatz geltend, Gegenstand der im italienischen Recht vorgesehenen Entschädigungsmaßnahmen sei der Ersatz des Schadens aufgrund eines missbräuchlichen Verhaltens des öffentlichen Arbeitgebers. Meiner Ansicht nach sollte sich die Suche nach ähnlichen Sachverhalten jedoch nicht auf Sachverhalte beschränken, die dieselbe Kategorie von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst betreffen.

43.      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Edis(22) bei seinen Klarstellungen in Bezug auf die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes durch eine nationale Regelung über die Ausschlussfrist für Klagen auf Erstattung von Abgaben oder Steuern, die auf das Gemeinschaftsrecht gestützt wurden, nicht auf die auch vom vorlegenden Gericht angeführten günstigeren Modalitäten abgestellt, die die Klagen gegen Private auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge betrafen, sondern auf die Modalitäten bei Steuern und sonstigen Abgaben. Jedoch beruhte die Position des Gerichtshofs nicht auf der Vorstellung, dass diese günstigeren Modalitäten das Kriterium der Ähnlichkeit im Sinne des Äquivalenzgrundsatzes nicht erfüllten. Der Gerichtshof hat seine Entscheidung vielmehr damit begründet, dass dieser Grundsatz nicht so verstanden werden darf, dass er einen Mitgliedstaat verpflichtet, die günstigere innerstaatliche Regelung auf alle Klagen zu erstrecken, die auf Rechte aus der Unionsrechtsordnung gestützt werden(23).

44.      Wenn es um den Äquivalenzgrundsatz geht, stützt sich daher die gesuchte Ähnlichkeit nicht darauf, dass die Parteien, die Zugang zu den betreffenden Maßnahmen haben, identisch sind, sondern auf die Vergleichbarkeit des Gegenstands, des Rechtsgrundes und der wesentlichen Merkmale der Maßnahmen. Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Beweislastregeln im Zusammenhang mit der Erwirkung einer Entschädigung für die entgangene Chance, über die Höhe dieser Entschädigung und über die Höhe der pauschalen Entschädigung weniger günstig sind als jene für ähnliche Sachverhalte, die nur innerstaatliches Recht betreffen, so dass sie nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehen können(24).

45.      Falls das vorlegende Gericht keine dem streitigen Rechtsbehelf vergleichbaren Voraussetzungen für ähnliche Rechtsbehelfe innerstaatlicher Art finden sollte, müsste im Einklang mit dem Urteil Palmisani(25) vorbehaltlich der Prüfungen betreffend die Wahrung des Effizienzgrundsatzes festgestellt werden, dass das Unionsrecht der betreffenden nationalen Regelung nicht entgegensteht. Mir scheint, dass dieser Ansatz vom Gerichtshof im Urteil Impact(26) zumindest indirekt bestätigt worden ist, bei dem es um die Richtlinie 1999/70 und die Rahmenvereinbarung ging(27). In dieser Rechtssache hatte das vorlegende Gericht Fragen zu den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität gestellt. Generalanwältin Kokott hatte die betreffende Problematik ebenso wie das vorlegende Gericht im Licht dieser beiden Grundsätze erörtert(28) und die Ansicht vertreten, dass sie im vorliegenden Fall vom nationalen Gesetzgeber nicht gewahrt worden seien(29). Der Gerichtshof hat in seinem Urteil jedoch nur auf den Effektivitätsgrundsatz und seine Verletzung Bezug genommen(30).

46.      Während ich die Prüfung letztlich dem vorlegenden Gericht überlasse, bin ich im Licht der vorstehenden Erwägungen der Ansicht, dass aus keiner der Angaben im Vorlagebeschluss hervorgeht, dass der Äquivalenzgrundsatz nicht gewahrt worden wäre, vor allem da dieses Gericht keine Sachverhalte des innerstaatlichen Rechts – mit Ausnahme jener betreffend die Arbeitnehmer des privaten Sektors – angeführt hat, die als vergleichbar angesehen werden können. Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken, dass gemäß den Ausführungen der italienischen Regierung in der mündlichen Verhandlung die Entschädigung für die entgangene Chance, die den gleichen Beweisanforderungen unterliegt, im nationalen Recht allgemein anerkannt ist. Zudem führt das vorlegende Gericht aus, der Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens sei in der nationalen Rechtsordnung auch im Zivilrecht vorgesehen. Die Kommission macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, eine Entschädigung, deren Höchstgrenzen im Vorhinein durch die italienische Regelung festgelegt worden sei, scheine im innerstaatlichen Recht auch vorgesehen zu sein, wenn feststehe, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund oder aus begründetem Anlass nicht erfüllt seien. Jedoch steigen in diesen Fällen die Mindest- und Höchstbeträge mit der Dienstdauer, was vom vorlegenden Gericht bei seinen Prüfungen in Bezug auf die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes zu berücksichtigen ist, wenn es der Ansicht ist, dass es sich um eine Klage handelt, die der betreffenden Klage im Ausgangsverfahren ähnlich ist.

b)      Zur Effektivität der Sanktionsmaßnahmen

1)      Der Gegenstand der ersten Vorlagefrage im Licht der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 1999/70 und des Effektivitätsgrundsatzes

47.      Wie ich in Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Vorlagefrage unter Verweis auf den Wortlaut der Urteile Marrosu und Sardino(31) sowie Mascolo u. a.(32) auch wissen, ob die Entschädigungsmaßnahmen, die die Corte suprema di cassazione (Kassationshof) im Urteil Nr. 5072/2016 angeführt hat, mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sind.

48.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist die Möglichkeit des Nachweises einer entgangenen Chance, eine bessere Stelle zu finden, entgegen dem Effektivitätsgrundsatz rein theoretisch, so dass die pauschale Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der Monatsvergütung das einzige Schutzinstrument für den Arbeitnehmer darstelle, der das Opfer eines missbräuchlichen Einsatzes befristeter Arbeitsverträge geworden sei. Jedoch kann eine solche pauschale Entschädigung nach Ansicht dieses Gerichts nicht als wirksame Abschreckungsmaßnahme angesehen werden.

49.      Die Kommission macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, die betreffenden Entschädigungsmaßnahmen könnten mit dem Effektivitätsgrundsatz unter der Voraussetzung vereinbar sein, dass die Entschädigung nicht nur symbolisch sei, sondern einen angemessenen und vollständigen Ersatz des erlittenen Schadens darstelle.

50.      Ich merke an, dass das vorlegende Gericht dadurch, dass es auf den Begriff „gleichwertige und wirksame Maßnahme“ im Sinne der Urteile Marrosu und Sardino(33) sowie Mascolo u. a.(34) Bezug nimmt, offensichtlich jeweils deren Rn. 53 und 79 meint, in denen der Gerichtshof festgestellt hat, dass, „wenn es zu einem missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge gekommen ist, die Möglichkeit bestehen [muss], eine Maßnahme anzuwenden, die effektive und gleichwertige Garantien für den Schutz der Arbeitnehmer bietet, um diesen Missbrauch angemessen zu ahnden und die Folgen des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beseitigen“(35).

51.      Diese Formel, die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Rahmenvereinbarung systematisch angewandt wird, ist eine Synthese aus zwei Prämissen. Zum einen weist der Gerichtshof stets darauf hin, dass es im Rahmen der Richtlinie 1999/70 den nationalen Stellen obliegt, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nur verhältnismäßig, sondern auch effektiv und abschreckend genug sein müssen, um die volle Effektivität der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen. Zum anderen führt der Gerichtshof aus, dass in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung die Einzelheiten der Durchführung solcher Normen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten durch ihr jeweiliges innerstaatliches Recht geregelt werden und daher die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität wahren müssen(36).

52.      Man könne argumentieren, dass der Begriff „Effektivität“ vom Gerichtshof in zwei verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird, zum einen in Bezug auf die Effektivität des Unionsrechts im weitesten Sinne (praktische Wirksamkeit) und zum anderen in Bezug auf den Grundsatz der Effektivität, der die Grenzen vermittelt, die das Unionsrecht der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten auferlegt. Es scheint, dass die Mitgliedstaaten vor allem im Interesse der Effektivität (praktische Wirksamkeit) des Unionsrechts Maßnahmen erlassen müssen, die hinreichend effektiv und abschreckend sind, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen, während sich der Effektivitätsgrundsatz darauf beschränkt, sicherzustellen, dass die Modalitäten für die Umsetzung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte deren Ausübung nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

53.      Dieser Ansatz findet sich auch im Urteil Angelidaki u. a.(37) sowie in den Beschlüssen Vassilakis u. a.(38) und Koukou(39), in denen der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Mitgliedstaaten alle nötigen Maßnahmen ergreifen müssen, um zum einen jederzeit sicherstellen zu können, dass die mit der Richtlinie 1999/70 vorgeschriebenen Ergebnisse erreicht werden, und um zum anderen dafür zu sorgen, dass die Einzelheiten der Durchführung der in Anwendung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen das Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz unter Beachtung u. a. des Grundsatzes der Effektivität gewährleisten(40).

54.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen können die Bedenken des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Effektivität der von der Corte suprema di cassazione (Kassationshof) vorgesehenen Maßnahmen dahin gewürdigt werden, dass es wissen möchte, ob zum einen der Beweis, der zu erbringen ist, um eine Entschädigung für die entgangene Chance zu erwirken, mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, und ob zum anderen womöglich die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung dem Umfang der betreffenden Entschädigungsmaßnahmen entgegensteht.

2)      Beraubt die Beweislast für die entgangene Chance eine Sanktionsmaßnahme ihrer Effektivität?

55.      Was den Schadensersatz für eine entgangene Chance anlangt, so ist dieser dem vorlegenden Gericht zufolge rein theoretisch, da es für den Arbeitnehmer auch unter Rückgriff auf Vermutungen, wie dies die Corte suprema di cassazione (Kassationshof) in ihrem Urteil Nr. 5072/2016 fordere, rechtlich unmöglich sei, nachzuweisen, dass er bei einem von der öffentlichen Verwaltung veranstalteten Auswahlverfahren erfolgreich gewesen wäre oder dass ihm aufgrund der aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge andere Beschäftigungsmöglichkeiten entgangen seien. Das vorlegende Gericht führt an, Vermutungen seien entgegen dem Urteil Nr. 5072/2016 keine wirksame Hilfe für den geschädigten Arbeitnehmer, und zudem veranstalte die Verwaltung niemals Auswahlverfahren.

56.      Was die Verpflichtung angeht, entgangene Beschäftigungsmöglichkeiten und den sich daraus ergebenden Verdienstentgang nachzuweisen, hat der Gerichtshof im Beschluss Papalia(41) festgestellt, dass nicht auszuschließen ist, dass dieses Erfordernis die Ausübung der dem Arbeitnehmer durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte unmöglich macht oder übermäßig erschwert, wobei er die Prüfung letztlich dem vorlegenden Gericht überlassen hat.

57.      Gleiches gilt für das Ausgangsverfahren, so dass es auch dem nationalen Gericht obliegt, die diesbezüglichen Prüfungen durchzuführen.

3)      Beraubt die Höhe der Entschädigung für entgangene Chancen eine Sanktionsmaßnahme ihrer Effektivität?

58.      Was die Höhe der Entschädigung für entgangene Chancen angeht, vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass sich der Erlass von wirksamen Sanktionsmaßnahmen nicht auf den Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens beschränken könne, wie dies im innerstaatlichen Zivilrecht vorgesehen sei, sondern dass der Wert der unbefristeten Beschäftigung widergespiegelt werden müsse.

59.      Wenn ein Mitgliedstaat beschließt, einen Verstoß gegen das Unionsrecht durch Schadensersatz zu ahnden, muss dieser nach ständiger Rechtsprechung in dem Sinne wirksam sein und eine abschreckende Wirkung haben, dass er einen angemessenen und vollständigen Ersatz des erlittenen Schadens erlaubt(42). Jedoch bedeuten diese Erfordernisse nicht, dass einer Person, der durch eine Verletzung des Unionsrechts ein Schaden entstanden ist, Strafschadensersatz zuzuerkennen ist, der über den vollständigen Ausgleich des ihr tatsächlich entstandenen Schadens hinausgeht und eine Sanktionsmaßnahme darstellt(43).

60.      Daraus folgt, dass die Richtlinie 1999/70 und die Rahmenvereinbarung nicht verlangen, dass die Entschädigung für entgangene Chancen über den Schaden hinausgeht, den der Arbeitnehmer, der das Opfer eines Missbrauchs durch befristete Arbeitsverträge wurde, tatsächlich erlitten hat.

4)      Stellt die Höhe der pauschalen Entschädigung eine hinreichend wirksame und abschreckende Sanktionsmaßnahme dar?

61.      Was die pauschale Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der letzten Monatsvergütung angeht, die gemäß den Angaben des vorlegenden Gerichts in Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 183 für den Fall der Umwandlung eines befristeten Vertrags im privaten Sektor vorgesehen ist, so ersetzt diese Entschädigung nur das Einkommen, das „bis zum“ Obsiegen des Arbeitnehmers erzielt worden wäre. Was jedoch den öffentlichen Sektor angeht, so ist die pauschale Entschädigung, obwohl sie nur eine Zusatzmaßnahme ist, in der Praxis die einzige Maßnahme zur Ahndung von Missbrauch und kann daher nicht als wirksame Abschreckungsmaßnahme angesehen werden.

62.      Bei der missbräuchlichen Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge kann sich herausstellen, dass der Verstoß wiederkehrend und systematisch über mehrere Jahre erfolgt ist(44). Die Umwandlung in unbefristete Verträge würde es erlauben, diesen Missbrauch zu ahnden und seine Folgen dauerhaft zu beseitigen, unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem er stattfand. Im vorliegenden Fall ist diese Möglichkeit ausgeschlossen, und die im italienischen Recht vorgesehenen Entschädigungsmaßnahmen scheinen innerhalb der in Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 183 vorgesehenen Grenzen ohne Unterscheidung auf jeglichen Missbrauch anwendbar zu sein.

63.      Jedoch muss gemäß dem Urteil Asociația Accept(45) die Härte der Sanktionen im Zusammenhang mit der Gleichbehandlung in Arbeits- und Beschäftigungsfragen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Mir scheint, dass die Tragweite dieser Klarstellungen den Rahmen der Problematik der Diskriminierung von Arbeitnehmern übersteigt, so dass sie auch im Zusammenhang mit der Richtlinie 1999/70 anwendbar sind. Zum einen finden sich, wie ich in Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, dieselben Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Abschreckung wie im Urteil Asociația Accept(46) auch in der Rechtsprechung zur Rahmenvereinbarung und zu ihrem Paragrafen 5 Nr. 2 wieder. Zum anderen hat der Gerichtshof unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen der Verhältnismäßigkeit der Sanktionen und ihrer abschreckenden Wirkung in diesem Urteil u. a. auf die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Massenentlassungen Bezug genommen, was vermuten lässt, dass die gleichen Lösungen mutatis mutandis auch außerhalb des Rahmens der Diskriminierungsrichtlinien Gültigkeit haben.

64.      Zwar wird nach Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 183 der endgültige Betrag der pauschalen Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der letzten Monatsvergütung vom nationalen Gericht unter Berücksichtigung der im italienischen Recht enthaltenen Regeln festgelegt, was es erlaubt, die Umstände des Einzelfalls bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat die Kommission darauf hingewiesen, dass sich diese Kriterien auch auf das „Verhalten“ des Arbeitgebers bezögen – was nicht erlaube, die These zu untermauern, dass die pauschale Entschädigung nicht als Sanktionsmaßnahme vorgesehen gewesen sei – und dass sie daher die Berücksichtigung der Dauer des Missbrauchs ermöglichten.

65.      Allerdings stößt die Sanktion an eine Höchstgrenze, wenn der Missbrauch ein bestimmtes Ausmaß erreicht. Daher werden zum einen frühere Verstöße nicht verhältnismäßig geahndet, wenn es sich um einen offensichtlichen Missbrauch handelt. Zum anderen könnte diese Standardisierung der Sanktionen, anstatt zu ermöglichen, Wiederholungen zu verhindern, den Missbrauch fördern, da eine allgemeine Obergrenze gilt, die trotz wiederholten Missbrauchs nicht überschritten werden kann. Ich teile die Ansicht der Kommission, dass das Missverhältnis zwischen dem möglichen Umfang des Missbrauchs, der während mehrerer Jahre Folgen gehabt haben kann, und der pauschalen Entschädigung, die höchstens das 12‑Fache der Monatsvergütung ausmacht, die abschreckende Wirkung der Sanktionsmaßnahmen abschwächen kann.

66.      Um dauerhaften Missbrauch abzustellen, könnten daher die Höchstgrenzen der pauschalen Entschädigung unter Berücksichtigung der Dauer der befristeten Verträge, die unter Verstoß gegen die von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte abgeschlossenen wurden, angepasst werden, unter gleichzeitiger Wahrung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

5)      Der Synergieeffekt der Sanktionsmaßnahmen

67.      Das vorlegende Gericht merkte an, die Corte suprema di cassazione (Kassationshof) habe in ihrem Urteil Nr. 5072/2016 nicht nur die Entschädigungsmaßnahmen, sondern auch die Maßnahmen in Bezug auf die Haftung des für den rechtswidrigen Rückgriff auf einen befristeten Vertrag Verantwortlichen als geeignet erachtet, um die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Bedingungen zu erfüllen. In diesem Zusammenhang frage ich mich, ob solche Sanktionsmaßnahmen die Defizite der pauschalen Entschädigung beheben können, die daraus erwachsen, dass diese Entschädigung keine hinreichend abschreckende Maßnahme darstellt, um frühere Verstöße ahnden und Wiederholungen vermeiden zu können.

68.      Aus dem von der italienischen Regierung vorgelegten nationalen Regelungsrahmen geht hervor, dass der nationale Gesetzgeber zumindest drei Maßnahmen erlassen hat, die auf Personen anwendbar sind, die für den Missbrauch befristeter Verträge verantwortlich sind. Seltsamerweise wurden diese Vorschriften vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen nicht berücksichtigt. Mir scheint jedoch, dass nicht jede Maßnahme für sich, sondern das gesamte System der Sanktionsmaßnahmen hinreichend wirksam und abschreckend sein muss.

69.      Eine solche Lösung steht meines Erachtens mit der Logik der Rahmenvereinbarung im Einklang. Aus dem Wortlaut von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung geht hervor, dass die Mitgliedstaaten zwecks Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse verpflichtet sind, „eine oder mehrere der … Maßnahmen“ zu ergreifen, die in diesem Paragrafen enthalten sind. In diesem Zusammenhang ist das weite Ermessen, über das die Mitgliedstaaten verfügen, umso größer, da sie die Wahl haben, auf eine oder mehrere der in Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen oder aber auf gleichwertige bestehende rechtliche Maßnahmen zurückzugreifen(47). Mir scheint, dass Gleiches für die gemäß Paragraf 5 Nr. 2 vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen gilt, wobei den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionsmaßnahmen freisteht und andere Arten von Sanktionen nicht von vornherein ausgeschlossen sind(48).

70.      Im Übrigen können diesbezüglich nützliche Erkenntnisse aus der Rechtsprechung zur Richtlinie 76/207/EG(49), betreffend die Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer, gezogen werden. Wie die Richtlinie 1999/70 schreibt diese Richtlinie keine bestimmten Sanktionen für Verstöße gegen die von der Richtlinie verliehenen Rechte vor. Entscheidet sich der Mitgliedstaat jedoch dafür, als Sanktion einen Anspruch auf Entschädigung zu gewähren, können Vorschriften, die eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, durch eine Bußgeldregelung „verstärkt“ werden(50).

71.      Daraus folgt, dass mehrere Sanktionsmaßnahmen durch ihre kombinierte Wirkung die Verstöße gegen das Unionsrecht angemessen ahnden können. Daher müssten bei der Beurteilung der abschreckenden Wirkung der Sanktionsmaßnahmen nicht nur jene berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer, der Opfer eines Missbrauchs durch befristete Arbeitsverträge geworden ist, zugutekommen, sondern auch die Gesamtheit der verfügbaren Maßnahmen.

72.      Jedoch ist anzumerken, dass zumindest eine der in den von der italienischen Regierung beschriebenen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Maßnahmen davon abhängt, dass der Missbrauch befristeter Verträge vorsätzlich erfolgt oder auf einem groben Fehlverhalten beruht. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob eine solche Bedingung den Verantwortlichen in der Praxis erlaubt, die Sanktionen systematisch zu umgehen, was die betreffenden Maßnahmen der Effizienz und der abschreckenden Wirkung berauben würde. Gleiches gilt für die möglicherweise von den Behörden gewährte Haftungsbefreiung, wenn sie über die Folgen des Missbrauchs für die Verantwortlichen entscheiden.

73.      Im Übrigen darf die Vervielfältigung der Sanktionsmaßnahmen nicht zur Verwässerung der Effektivität einer der betreffenden Maßnahmen führen, indem sie dadurch mit dem Unionsrecht unvereinbar wird. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, das unionsrechtlich vorgegebene Ergebnis zu erreichen. Jedenfalls müssen der Grundsatz der Effektivität und – wenn im innerstaatlichen Recht eine angemessene Vergleichsmöglichkeit besteht – der Grundsatz der Äquivalenz gewährleistet sein. Die Mitgliedstaaten müssen bei der Ausübung des Ermessens auch das Unionsrecht und dessen allgemeine Grundsätze beachten(51), insbesondere den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, wenn es um das Beschwerderecht geht. Daraus folgt, dass trotz einer Vielzahl von Sanktionsmaßnahmen, wenn der Mitgliedstaat Entschädigungsmaßnahmen eingeführt hat, eine symbolische Sanktion niemals als korrekte und wirksame Umsetzung der Rahmenvereinbarung erachtet werden kann, da eine vernachlässigbare Vergütung keine angemessene Entschädigungsmaßnahme darstellen kann. Aus den gleichen Gründen kann eine pauschale Entschädigung, obwohl sie vom nationalen Gesetzgeber eingeführt werden kann, die volle Entschädigung für den erlittenen Schaden nicht vollständig ersetzen(52).

74.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen dahin zu beantworten, dass die Richtlinie 1999/70 und die Rahmenvereinbarung sowie deren praktische Wirksamkeit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, die bei missbräuchlichem Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch einen öffentlichen Arbeitgeber die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Sektor ausschließt, obwohl dies im privaten Sektor als Sanktionsmaßnahme vorgesehen ist, und stattdessen Folgendes vorsieht:

–        eine pauschale Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der letzten Monatsvergütung des Arbeitnehmers des öffentlichen Sektors, der das Opfer einer missbräuchlichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge ist, unter der Bedingung, dass diese Entschädigung eine hinreichend abschreckende Maßnahme darstellt, was insbesondere durch die Festlegung von Höchstgrenzen, die von der Dauer des missbräuchlichem Einsatzes der befristeten Verträge abhängen, oder durch das Zusammenwirken mit anderen im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen sichergestellt werden kann;

–        dass der Arbeitnehmer den Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens erwirken kann, wenn der Anspruch auf diesen Ersatz an die Verpflichtung des Arbeitnehmers geknüpft ist, den Nachweis zu erbringen, dass ihm Gelegenheiten für eine feste Beschäftigung entgangen sind oder dass er ein Auswahlverfahren erfolgreich abgeschlossen hätte, wenn die Verwaltung ein solches ordnungsgemäß veranstaltet hätte.

Vorbehaltlich dieser Klarstellungen geht aus keiner Angabe im Vorlagebeschluss hervor, dass im vorliegenden Fall die nationale Regelung den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz nicht Genüge getan hätte. Nichtsdestotrotz obliegt es letztlich dem nationalen Gericht, die diesbezüglichen Prüfungen durchzuführen.

VI.    Ergebnis

75.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Tribunale civile di Trapani (Zivilgericht Trapani, Italien) wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang dieser Richtlinie sowie deren praktische Wirksamkeit stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, die bei missbräuchlichem Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch einen öffentlichen Arbeitgeber die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Sektor ausschließt, obwohl dies im privaten Sektor als Sanktionsmaßnahme vorgesehen ist, und stattdessen Folgendes vorsieht:

–        eine pauschale Entschädigung in Höhe von mindestens dem 2,5‑Fachen und höchstens dem 12‑Fachen der letzten Monatsvergütung des Arbeitnehmers des öffentlichen Sektors, der das Opfer einer missbräuchlichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge ist, unter der Bedingung, dass diese Entschädigung eine hinreichend abschreckende Maßnahme darstellt, was insbesondere durch die Festlegung von Höchstgrenzen, die proportional zur Dauer des missbräuchlichem Einsatzes der befristeten Verträge ansteigen, oder durch das Zusammenwirken mit anderen im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen sichergestellt werden kann;

–        dass der Arbeitnehmer den Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens erwirken kann, wenn der Anspruch auf diesen Ersatz an die Verpflichtung des Arbeitnehmers geknüpft ist, den Nachweis zu erbringen, dass ihm Gelegenheiten für eine feste Beschäftigung entgangen sind oder dass er ein Auswahlverfahren erfolgreich abgeschlossen hätte, wenn die Verwaltung ein solches ordnungsgemäß veranstaltet hätte.

Vorbehaltlich dieser Klarstellungen geht aus keiner Angabe im Vorlagebeschluss hervor, dass im vorliegenden Fall die nationale Regelung den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz nicht Genüge getan hätte. Nichtsdestotrotz obliegt es letztlich dem nationalen Gericht, die diesbezüglichen Prüfungen durchzuführen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 1999, L 175, S. 43.


3      Vgl. Urteile vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino (C‑53/04, EU:C:2006:517), vom 7. September 2006, Vassallo (C‑180/04, EU:C:2006:518), vom 3. Juli 2014, Fiamingo u. a. (C‑362/13, C‑363/13 und C‑407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 62 bis 64), sowie vom 26. November 2014, Mascolo u. a. (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401). Vgl. auch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 16. März 2010, Affatato (C‑3/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:144).


4      Urteil vom 7. September 2006 (C‑53/04, EU:C:2006:517, Rn. 49).


5      Beschluss vom 3. Juli 2014, Talasca (C‑19/14, EU:C:2014:2049, Rn. 20 und 21).


6      Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 48).


7      Vgl. in diesem Sinne meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Mascolo u. a. (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2103, Nr. 61) und Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Marrosu und Sardino (C‑53/04, EU:C:2005:569, Nr. 29).


8      Urteil vom 7. September 2006, Vassallo (C‑180/04, EU:C:2006:518, Rn. 42).


9      Urteil vom 7. September 2006 (C‑53/04, EU:C:2006:517).


10      Urteil vom 26. November 2014 (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401).


11      Urteil vom 14. September 2016, Martínez Andrés und Castrejana López (C‑184/15 und C‑197/15, EU:C:2016:680, Rn. 40, 41 und 48).


12      Vgl. Urteile vom 1. Dezember 1998, Levez (C‑326/96, EU:C:1998:577, Rn. 41 und 43), und vom 16. Mai 2000, Preston u. a. (C‑78/98, EU:C:2000:247, Rn. 55 und 56).


13      Urteil vom 26. Januar 2010 (C‑118/08, EU:C:2010:39).


14      Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 36).


15      Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 37).


16      Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2009:437, Nr. 30).


17      Urteil vom 29. Oktober 2009 (C‑63/08, EU:C:2009:666, Rn. 55 und 59).


18      Urteil vom 8. Juli 2010 (C‑246/09, EU:C:2010:418, Rn. 31 und 34).


19      Urteil vom 26. Januar 2010 (C‑118/08, EU:C:2010:39).


20      Urteil vom 29. Oktober 2009 (C‑63/08, EU:C:2009:666).


21      Urteil vom 8. Juli 2010 (C‑246/09, EU:C:2010:418).


22      Urteil vom 15. September 1998 (C‑231/96, EU:C:1998:401).


23      Urteil vom 15. September 1998, Edis (C‑231/96, EU:C:1998:401, Rn. 36 und 37).


24      Vgl. in diesem Sinne, in Bezug auf exemplarischen und Strafschadensersatz, Urteil vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a. (C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 99), und in Bezug auf die Höchstgrenze der pauschalen Entschädigung Urteil vom 22. April 1997, Draehmpaehl (C‑180/95, EU:C:1997:208, Rn. 29 bis 31).


25      Urteil vom 10. Juli 1997 (C‑261/95, EU:C:1997:351, Rn. 39).


26      Vgl. Urteil vom 15. April 2008 (C‑268/06, EU:C:2008:223).


27      Vgl. in diesem Sinn Póltorak, N., European Union Rights in National Courts, Wolters Kluwer, Warschau 2015, S. 74.


28      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Impact (C‑268/06, EU:C:2008:2, Nrn. 54 bis 79).


29      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Impact (C‑268/06, EU:C:2008:2, Nrn. 80).


30      Vgl. Urteil vom 15. April 2008, Impact (C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 45 bis 55).


31      Urteil vom 7. September 2006 (C‑53/04, EU:C:2006:517).


32      Urteil vom 26. November 2014 (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401).


33      Urteil vom 7. September 2006 (C‑53/04, EU:C:2006:517, Rn. 53).


34      Urteil vom 26. November 2014 (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 79).


35      Hervorhebung nur hier.


36      Vgl. Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 94, 95 und 102), vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino (C‑53/04, EU:C:2006:517, Rn. 51 bis 53), vom 7. September 2006, Vassallo (C‑180/04, EU:C:2006:518, Rn. 36 bis 38), vom 23. April 2009, Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 158 bis 160), vom 3. Juli 2014, Fiamingo u. a. (C‑362/13, C‑363/13 und C‑407/13, EU:C:2014:2044, Rn. 62 bis 64), sowie vom 26. November 2014, Mascolo u. a. (C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 77 bis 79). Vgl. auch Beschlüsse vom 12. Juni 2008, Vassilakis u. a. (C‑364/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:346, Rn. 125 bis 127), vom 24. April 2009, Koukou (C‑519/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:269, Rn. 64 bis 66), vom 16. März 2010, Affatato (C‑3/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:144, Rn. 45 bis 47), sowie vom 12. Dezember 2013, Papalia (C‑50/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:873, Rn. 20 bis 22).


37      Urteil vom 23. April 2009 (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 176).


38      Beschluss vom 12. Juni 2008 (C‑364/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:346, Rn. 149).


39      Beschluss vom 24. April 2009 (C‑519/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:269, Rn. 101).


40      Vgl. Beschlüsse vom 12. Juni 2008, Vassilakis u. a. (C‑364/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:346, Rn. 149), und vom 24. April 2009, Koukou (C‑519/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:269, Rn. 101).


41      Vgl. Beschluss vom 12. Dezember 2013 (C‑50/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:873, Rn. 32).


42      Vgl. Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann (14/83, EU:C:1984:153, Rn. 28), vom 2. August 1993, Marshall (C‑271/91, EU:C:1993:335, Rn. 26), und vom 17. Dezember 2015, Arjona Camacho (C‑407/14, EU:C:2015:831, Rn. 33).


43      Vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts Urteil vom 17. Dezember 2015, Arjona Camacho (C‑407/14, EU:C:2015:831, Rn. 34).


44      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass Frau Santoro von der Gemeinde Valderice mehr als fünf Jahre lang im Rahmen befristeter Verträge, und wenn man auch die anderen Verträge berücksichtigt, die mit dieser Behörde zuvor und ohne Unterbrechung abgeschlossen worden waren, nicht weniger als 20 Jahre, nämlich ab 1996, angestellt war. Es geht auch aus dem unstreitigen Sachverhalt des Beschlusses vom 12. Dezember 2013, Papalia (C‑50/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:873, Rn. 8 und 9), hervor, dass Herr Papalia beinahe 30 Jahre, von 1983 bis 2012, ohne Unterbrechung bei einer Gemeinde im Rahmen aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge gearbeitet hatte.


45      Urteil vom 25. April 2013 (C‑81/12, EU:C:2013:275, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Urteil vom 25. April 2013 (C‑81/12, EU:C:2013:275).


47      Urteil vom 26. Februar 2015, Kommission/Luxemburg (C‑238/14, EU:C:2015:128, Rn. 38).


48      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in den verbundenen Rechtssachen Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2008:686, Nr. 91).


49      Richtlinie des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40).


50      Vgl. Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann (14/83, EU:C:1984:153, Rn. 18), und vom 10. April 1984, Harz (79/83, EU:C:1984:155, Rn. 18).


51      Vgl. in diesem Sinne, in Bezug auf Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, Urteil vom 10. März 2011, Deutsche Lufthansa (C‑109/09, EU:C:2011:129, Rn. 37).


52      Vgl. zur Beziehung zwischen pauschalen Entschädigungsmaßnahmen und Maßnahmen, die auf dem Grundsatz des vollständigen Ersatzes des Schadens beruhen, Urteil vom 22. April 1997, Draehmpaehl (C‑180/95, EU:C:1997:208, Rn. 32 bis 37).