Language of document : ECLI:EU:C:2020:194

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

11. März 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsamer Zolltarif – Kombinierte Nomenklatur – Tarifierung – Position 8901 – Schiffskaskos – Seeschifffahrt – Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind – Begriff“

In der Rechtssache C‑192/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Februar 2019, in dem Verfahren

Rensen Shipbuilding BV,

Beteiligter:

Inspecteur van de Belastingdienst/Douane district Rotterdam,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Rensen Shipbuilding BV, vertreten durch B. J. B. Boersma, advocaat,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros, P. Vanden Heede und M. Salyková als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1031/2008 der Kommission vom 19. September 2008 (ABl. 2008, L 291, S. 1) (im Folgenden: KN).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Rensen Shipbuilding BV und dem Inspecteur van de Belastingdienst/Douane district Rotterdam (Inspektor der Steuer-/Zollverwaltung des Bezirks Rotterdam, Niederlande) über die zolltarifliche Einreihung von Schiffskaskos.

 Rechtlicher Rahmen

 KN

3        Die mit der Verordnung Nr. 2658/87 eingeführte KN beruht auf dem Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, das vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation (WZO), ausgearbeitet und mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren eingeführt wurde. Dieses Übereinkommen wurde mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) genehmigt.

4        Teil II („Zolltarif“) der KN enthält einen Abschnitt XVII, zu dem u. a. Kapitel 89 („Wasserfahrzeuge und schwimmende Vorrichtungen“) gehört.

5        Kapitel 89 der KN enthält die Position 8901, die wie folgt lautet:

„8901      Fahrgastschiffe, Kreuzfahrtschiffe, Fährschiffe, Frachtschiffe, Lastkähne und ähnliche Wasserfahrzeuge zum Befördern von Personen oder Gütern“.

6        Die Position 8901 des Kapitels 89 enthält folgende Unterpositionen:

8901 20

– Tankschiffe:

8901 20 10

– – für die Seeschifffahrt

8901 20 90

– – andere

8901 90

– andere Wasserfahrzeuge zum Befördern von Gütern sowie Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach zur Personen- und Güterbeförderung bestimmt sind:

8901 90 10

– – für die Seeschifffahrt


– – andere:

8901 90 91

– – – ohne maschinellen Antrieb

8901 90 99

– – – mit maschinellem Antrieb


7        Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN lautet:

„Rümpfe von Wasserfahrzeugen und unvollständige oder unfertige Wasserfahrzeuge, auch zerlegt, sowie zerlegte vollständige Wasserfahrzeuge sind, wenn die Wasserfahrzeuggattung zweifelhaft ist, in die Position 8906 einzureihen.“

8        Die Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 89 sieht vor:

„Zu den Unterpositionen … 8901 20 10, … 8901 90 10 … gehören nur Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind und deren größte Rumpflänge (ohne Berücksichtigung überragender Teile) 12 m oder mehr beträgt. Fischereifahrzeuge und Rettungsfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind, gelten ohne Rücksicht auf ihre Rumpflänge stets als Wasserfahrzeuge für die Seeschifffahrt.“

 Erläuterungen zur KN

9        Nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 erlässt die Europäische Kommission Erläuterungen zur KN (im Folgenden: Erläuterungen zur KN).

10      Die im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. Mai 2008 (ABl. 2008, C 133, S. 1) veröffentlichten Erläuterungen zur KN sehen in Bezug auf die Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN Folgendes vor:

„Als ‚Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind‘, gelten Wasserfahrzeuge, die aufgrund ihrer Bauart und ihrer Ausrüstung auch bei schwerem Wetter (etwa Windstärke 7 nach der Beaufort-Skala) auf See bleiben können. Wasserfahrzeuge dieser Art haben im Allgemeinen ein wasserdichtes Deck und wetterfeste Aufbauten.

Als ‚Wasserfahrzeuge für die Seeschifffahrt‘ gelten die den vorstehenden Voraussetzungen entsprechenden Wasser- und Luftkissenfahrzeuge, auch wenn sie hauptsächlich z. B. in Küstengewässern, in Flussmündungen oder auf Seen verwendet werden.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

11      Im Mai und im September 2009 ließ Rensen Shipbuilding 27 Schiffskaskos aus China unter der für Wasserfahrzeuge zum Befördern von Gütern für die Seeschifffahrt geltenden Unterposition 8901 90 10 der KN zollrechtlich anmelden.

12      Im Anschluss an eine im März 2012 durchgeführte Zollkontrolle stellte der Inspektor der Steuer‑/Zollverwaltung des Bezirks Rotterdam auf der Grundlage bestimmter Geschäftsunterlagen und Bescheinigungen, die sich in der Buchhaltung dieser Gesellschaft befanden, fest, dass die angemeldeten Waren als Schiffskaskos zum Bau von Schiffen nicht für die Seeschifffahrt, sondern für die Binnenschifffahrt anzusehen seien. Daher wurden die betreffenden Kaskos als andere Tankschiffe als solche für die Seeschifffahrt in die Unterposition 8901 20 90 der KN und als andere Wasserfahrzeuge zum Befördern von Gütern sowie Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach zur Personen- und Güterbeförderung bestimmt sind, ohne und mit mechanischem Antrieb, ausgenommen für die Seeschifffahrt, in die Unterpositionen 8901 90 91 und 8901 90 99 der KN eingereiht. Infolgedessen erging am 27. April 2012 eine Zahlungsaufforderung an Rensen Shipbuilding.

13      Der mit dem anschließenden Rechtsstreit befasste Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) bestätigte mit Urteil vom 11. Juni 2015 das erstinstanzliche Urteil, mit dem die von Rensen Shipbuilding erhobene Klage für unbegründet erklärt worden war.

14      Mit Urteil vom 30. Juni 2017 hob der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) das Urteil des Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) auf.

15      Im Rahmen seiner erneuten Befassung mit der Rechtssache stellt dieses Gericht klar, dass der Rechtsstreit in diesem Stadium des Verfahrens nur die Frage betreffe, ob die betreffenden Schiffskaskos als Schiffe für die Seeschifffahrt in die Unterpositionen 8901 20 10 und 8901 90 10 der KN oder als andere Schiffe als solche für die Seeschifffahrt in die Unterpositionen 8901 20 90, 8901 90 91 und 8901 90 99 der KN einzureihen seien. Im vorliegenden Fall könnten die Kaskos in die letztgenannten drei Unterpositionen eingereiht werden, weil sie als Schiffsrümpfe für die Binnenschifffahrt dienen könnten. Stünde aber fest, dass sie auch als Rumpf für ein für die Seeschifffahrt bestimmtes Schiff dienen könnten, wären sie als solche einzureihen.

16      Es sei unstreitig, dass die betreffenden Kaskos nicht als Rumpf eines Schiffes dienen könnten, mit dem in beladenem Zustand bei schwerem Wetter die Weltmeere durchquert werden könnten, doch stritten die Parteien des Ausgangsverfahrens darüber, wie weit vor die Küste ein Schiff auf See fahren können müsse, um es als Schiff für die Seeschifffahrt ansehen zu können. Insoweit habe Rensen Shipbuilding hauptsächlich vorgetragen, dass die betreffenden Kaskos als Rümpfe solcher Schiffe dienen könnten, weil sie nach ihrer Fertigstellung auf See eingesetzt werden könnten. Nach Gutachten von Sachverständigen sollten sich nämlich Schiffe mit den Abmessungen dieser Kaskos bei schwerem Wetter bis ca. 21 Seemeilen (ungefähr 38 km) von der Küste entfernen können.

17      Da nach der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN unter die Unterpositionen 8901 20 10 und 8901 90 10 der KN u. a. nur Wasserfahrzeuge fallen, die „ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“, wirft der Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) die Frage auf, wie dies zu verstehen sei. Aus dem Wortlaut der Erläuterung der Kommission zu dieser Zusätzlichen Anmerkung lasse sich in diesem Kontext ableiten, dass Küstengewässer, Flussmündungen und Seen nicht unter den Begriff „hohe See“ fielen. Mangels einer Definition des Begriffs „Küstengewässer“ sei jedoch unklar, wie weit sich ein Schiff auf See begeben müsse, um sich auf „hoher See“ zu befinden.

18      In Anbetracht dieser Erläuterung der Kommission, wonach „als ‚Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind‘ … Wasserfahrzeuge [gelten], die aufgrund ihrer Bauart und ihrer Ausrüstung auch bei schwerem Wetter (etwa Windstärke 7 nach der Beaufort-Skala) auf See bleiben können“, sei auch denkbar, dass es nicht auf die Entfernung zwischen dem Schiff und der Küste ankomme, sondern nur darauf, dass das Schiff bei schwerem Wetter seetüchtig sei. Allerdings verstärke die Entfernung von der Küste die Auswirkungen schweren Wetters, u. a. aufgrund erhöhten Wellengangs. Zudem müsste, selbst wenn der Begriff „hohe See“ außer Acht gelassen würde und nur zu prüfen wäre, ob ein Schiff aufgrund seiner Bauart und seiner Ausrüstung auch bei Windstärke 7 nach der Beaufort-Skala auf See bleiben könne, geklärt werden, in welcher Entfernung von der Küste ein Schiff unter solchen Bedingungen auf See bleiben können müsse, um als „Schiff für die Seeschifffahrt“ im Sinne von Kapitel 89 der KN eingestuft werden zu können.

19      Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Die Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN bestimmt, dass sich (u. a.) die KN-Unterpositionen 8901 20 10 und 8901 90 10 („Wasserfahrzeuge für die Seeschifffahrt“) allein auf Wasserfahrzeuge beziehen, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind. Was ist in diesem Zusammenhang unter „seetüchtig“ zu verstehen?

 Zur Vorlagefrage

20      Im Ausgangsrechtsstreit geht es um die Frage, ob die in Rede stehenden Schiffskaskos in Unterpositionen der KN, die für Schiffe „für die Seeschifffahrt“ gelten, einzureihen sind, d. h. je nach Art der Kaskos in die Unterpositionen 8901 20 10 und 8901 90 10, oder in für „andere“ Schiffe geltende Unterpositionen, und zwar die Unterpositionen 8901 20 90, 8901 90 91 und 8901 90 99.

21      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach der Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN Schiffsrümpfe, wenn keine Zweifel an der Wasserfahrzeuggattung bestehen, zu der sie gehören, in die für diese Wasserfahrzeuge geltenden Unterpositionen einzureihen sind.

22      Zweitens ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das für die zolltarifliche Einreihung von Waren entscheidende Kriterium allgemein in ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteil vom 19. Dezember 2019, Amoena, C‑677/18, EU:C:2019:1142, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Diese objektiven Merkmale und Eigenschaften der Waren müssen zum Zeitpunkt der Zollabfertigung nachprüfbar sein (Urteil vom 19. Dezember 2019, Amoena, C‑677/18, EU:C:2019:1142, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Wie die Kommission ausgeführt hat, ist mangels weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte zu den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Schiffskaskos davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall die objektiven Merkmale und Eigenschaften, aufgrund deren die Schiffskaskos als Tankschiffe in die Unterposition 8901 20 der KN bzw. als andere Wasserfahrzeuge zum Befördern von Gütern sowie Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach zur Personen- und Güterbeförderung bestimmt sind, in die Unterposition 8901 90 der KN einzureihen sind, schon zum Zeitpunkt der Zollabfertigung vorhanden waren und dass diese Schiffskaskos somit nicht identisch sind; dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

25      Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 16. Februar 2017, Aramex Nederland, C‑145/16, EU:C:2017:130, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Insoweit geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts zum einen hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren nicht als Schiffsrümpfe dienen können, mit denen in beladenem Zustand bei schwerem Wetter die Weltmeere durchquert werden können. Zum anderen sollten sich nach den von Rensen Shipbuilding vorgelegten Sachverständigengutachten Schiffe mit den Abmessungen dieser Waren bei schwerem Wetter bis ca. 21 Seemeilen von der Küste entfernen können.

27      Um über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden zu können, muss das vorlegende Gericht daher wissen, ob Schiffe, die sich bei schwerem Wetter bis ca. 21 Seemeilen von der Küste entfernen können, unter den Begriff „Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“ in der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN fallen.

28      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach dieser Zusätzlichen Anmerkung zu den Unterpositionen, die Seeschiffe betreffen, nur Wasserfahrzeuge gehören, die erstens ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind und deren größte Rumpflänge zweitens (ohne Berücksichtigung überragender Teile) 12 m oder mehr beträgt, wobei die zweite Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht von Belang ist.

29      Im Wortlaut dieser Zusätzlichen Anmerkung impliziert die Verwendung des Begriffs „Beschaffenheit“, dass es auf die Bauweise und nicht auf die Verwendung des fraglichen Schiffs ankommt. Somit ist ein „Wasserfahrzeug“ im Sinne der Zusätzlichen Anmerkung ein Schiff, das aufgrund seiner konstruktionsbedingten Eigenschaften „seetüchtig“ ist, ohne dass relevant wäre, dass es nicht tatsächlich in dieser Eigenschaft eingesetzt wird.

30      Was insbesondere den Ausdruck „seetüchtig“ betrifft, unterscheiden sich die Sprachfassungen der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN voneinander. In u. a. der französischen („tenir la haute mer“) und der niederländischen Fassung („vaart in volle zee“) wird auf die „hohe See“ Bezug genommen, in der deutschen („seetüchtig“) und der englischen Fassung („sea-going“) hingegen schlicht auf die „See“.

31      Trotz dieser Unterschiede lässt sich aus sämtlichen Sprachfassungen der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN ableiten, dass Schiffe nur dann unter diese Bestimmung fallen können, wenn sie in der Lage sind, überall auf dem Meer, einschließlich auf hoher See, zu fahren.

32      Dagegen kann ein Schiff, das aufgrund seiner konstruktionsbedingten Eigenschaften nur in einem bestimmten Bereich vor der Küste fahren kann, nicht als seiner Beschaffenheit nach „seetüchtig“ angesehen werden.

33      Diese Auslegung wird durch die Systematik von Kapitel 89 der KN gestützt, das spezifische Unterpositionen zum einen für Schiffe „für die Seeschifffahrt“ und zum anderen für „andere“ Schiffe enthält, wobei die letztgenannten Unterpositionen im Umkehrschluss für Schiffe gelten, die nicht in der Seeschifffahrt eingesetzt werden, sondern in der Schifffahrt auf Binnengewässern wie Flüssen und Seen.

34      Wie die niederländische Regierung ausgeführt hat, verlöre die Unterscheidung zwischen Seeschiffen und Binnenschiffen aber ihren Sinn, wenn alle Binnenschiffe als Seeschiffe anzusehen wären, weil sie technisch in der Lage sind, sich einige Seemeilen von der Küste zu entfernen.

35      Diese Auslegung wird auch durch die Erläuterungen zur KN bestätigt, die, ohne rechtsverbindlich zu sein, ein wichtiges Instrument zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. Urteil vom 5. September 2019, TDK-Lambda Germany, C‑559/18, EU:C:2019:667, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Aus den Erläuterungen zur Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN geht nämlich hervor, dass als „Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“ Wasserfahrzeuge gelten, „die aufgrund ihrer Bauart und ihrer Ausrüstung auch bei schwerem Wetter (etwa Windstärke 7 nach der Beaufort-Skala) auf See bleiben können“. Zwar ließe der Umstand, dass die Erläuterungen auf die Fähigkeit zum Verbleib „auf See“ Bezug nehmen, eine Auslegung zu, wonach es ausreichen würde, dass das fragliche Schiff in der Lage wäre, irgendwo auf dem Meer zu fahren, sei es auch nur in Küstennähe. Wäre dies die in den Erläuterungen beabsichtigte Auslegung gewesen, hätte dort jedoch nicht hinzugefügt zu werden brauchen, dass als „Wasserfahrzeuge für die Seeschifffahrt“ diejenigen gelten, die den vorstehenden Voraussetzungen entsprechen, aber hauptsächlich in Küstengewässern, in Flussmündungen oder auf Seen verwendet werden.

37      Daraus folgt, dass Schiffe, die sich bei schwerem Wetter höchstens einige Seemeilen von der Küste entfernen können, nicht als „Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“ im Sinne der Zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN angesehen werden können und daher nicht unter die Unterpositionen fallen, die Schiffe „für die Seeschifffahrt“ betreffen.

38      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der KN dahin auszulegen ist, dass Schiffe, die sich aufgrund ihrer konstruktionsbedingten Eigenschaften bei schwerem Wetter nur bis ca. 21 Seemeilen von der Küste entfernen können, nicht unter den Begriff „Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“ in dieser Zusätzlichen Anmerkung fallen.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Die Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 89 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1031/2008 der Kommission vom 19. September 2008 ist dahin auszulegen, dass Schiffe, die sich aufgrund ihrer konstruktionsbedingten Eigenschaften bei schwerem Wetter nur bis ca. 21 Seemeilen von der Küste entfernen können, nicht unter den Begriff „Wasserfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach seetüchtig sind“ in dieser Zusätzlichen Anmerkung fallen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Niederländisch.