Language of document : ECLI:EU:C:2021:213

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

18. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 90/314/EWG – Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich – Pauschalreisen – Pauschalreisevertrag zwischen einem Reiseveranstalter und einem Verbraucher – Haftung des Reiseveranstalters für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch andere Dienstleistungsträger – Schäden, die sich aus Handlungen eines Angestellten eines Dienstleistungsträgers ergeben – Haftungsbefreiung – Ereignis, das der Reiseveranstalter oder der Dienstleistungsträger nicht vorhersehen oder abwenden konnte – Begriff des Dienstleistungsträgers“

In der Rechtssache C‑578/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) mit Entscheidung vom 24. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2019, in dem Verfahren

X

gegen

Kuoni Travel Ltd,

Beteiligte:

ABTA Ltd,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter N. Wahl und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi sowie des Richters J. Passer,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

–        von X, vertreten durch R. Weir und K. Deal, QC, sowie P. Banks, Solicitor,

–        der Kuoni Travel Ltd, vertreten durch W. Audland, QC, N. Ross und A. Burin, Barristers, sowie G. Tweddle, Solicitor,

–        der ABTA Ltd, vertreten durch H. Stevens, QC, J. Hawkins, Barrister, und T. Smith, Solicitor,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Lewis und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S. 59).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen X, einer Verbraucherin mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich, und der Kuoni Travel Ltd (im Folgenden: Kuoni), einem Reiseveranstalter mit Sitz im Vereinigten Königreich, wegen des Entschädigungsantrags, den X aufgrund mangelhafter Erfüllung des zwischen ihr und Kuoni geschlossenen Pauschalreisevertrags (im Folgenden: in Rede stehender Vertrag) gestellt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1, 2, 3 und 10 der Richtlinie 90/314 lauten:

„Eines der Hauptziele der [Europäischen Union] ist die Vollendung des Binnenmarktes, in dem der Fremdenverkehrssektor einen wichtigen Teil ausmacht.

Die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über Pauschalreisen weisen zahlreiche Unterschiede auf, und die einzelstaatlichen Praktiken auf diesem Gebiet sind sehr unterschiedlich. Dies führt zu Hindernissen für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet der Pauschalreisen und zu Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen den in den verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen des Reisegewerbes.

Gemeinsame Regeln für Pauschalreisen werden zur Beseitigung dieser Hindernisse und somit zur Verwirklichung eines gemeinsamen Dienstleistungsmarktes beitragen. Die in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen des Reisegewerbes werden ihre Dienstleistungen infolgedessen in anderen Mitgliedstaaten anbieten können, und die Verbraucher in der [Union] erhalten die Möglichkeit, in sämtlichen Mitgliedstaaten Pauschalreisen zu vergleichbaren Bedingungen zu buchen.

Der in dieser Richtlinie vorgesehene Schutz gilt auch für den Verbraucher, der einen Pauschalreisevertrag durch Abtretung erworben hat oder Mitglied einer Gruppe ist, für die eine andere Person einen Pauschalreisevertrag abgeschlossen hat.“

4        Art. 1 der Richtlinie 90/314 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Pauschalreisen (einschließlich Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen), die in der [Union] verkauft oder zum Kauf angeboten werden.“

5        Art. 2 der Richtlinie 90/314 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

1.      Pauschalreise: die im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt:

a)      Beförderung,

b)      Unterbringung,

c)      andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen.

Auch bei getrennter Berechnung einzelner Leistungen, die im Rahmen ein und derselben Pauschalreise erbracht werden, bleibt der Veranstalter oder Vermittler den Verpflichtungen nach dieser Richtlinie unterworfen.

2.      Veranstalter: die Person, die nicht nur gelegentlich Pauschalreisen organisiert und sie direkt oder über einen Vermittler verkauft oder zum Verkauf anbietet.

3.      Vermittler: die Person, welche die vom Veranstalter zusammengestellte Pauschalreise verkauft oder zum Verkauf anbietet.

4.      Verbraucher: die Person, welche die Pauschalreise bucht oder zu buchen sich verpflichtet …, oder jede Person, in deren Namen der Hauptkontrahent sich zur Buchung der Pauschalreise verpflichtet …, oder jede Person, der der Hauptkontrahent oder einer der übrigen Begünstigten die Pauschalreise abtritt …;

5.      Vertrag: die Vereinbarung, die den Verbraucher an den Veranstalter und/oder Vermittler bindet.“

6        Art. 4 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 90/314 sieht vor:

„In [dem Fall, dass der Verbraucher gemäß Absatz 5 vom Vertrag zurücktritt oder wenn der Veranstalter – gleich aus welchem Grund, ausgenommen Verschulden des Verbrauchers – die Reise vor dem vereinbarten Abreisetag storniert,] hat der Verbraucher gegebenenfalls Anspruch auf Entschädigung wegen Nichterfüllung des Vertrages, die gemäß den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates vom Veranstalter oder Vermittler geleistet wird, es sei denn,

ii)      die Stornierung erfolgt aufgrund höherer Gewalt, d. h. aufgrund ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können; hierzu zählt jedoch nicht die Überbuchung.“

7        Art. 5 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 90/314 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen unabhängig davon übernimmt, ob er selbst oder andere Dienstleistungsträger diese Verpflichtungen zu erfüllen haben, wobei das Recht des Veranstalters und/oder Vermittlers, gegen andere Dienstleistungsträger Rückgriff zu nehmen, unberührt bleibt.

(2)      Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrags entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung übernimmt, es sei denn, dass die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil

–        die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages dem Verbraucher zuzurechnen sind;

–        diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist;

–        diese Versäumnisse auf höhere Gewalt entsprechend der Definition in Artikel 4 Absatz 6 Unterabsatz 2 Ziffer ii) oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte.

(3)      Unbeschadet des Absatzes 2 Unterabsatz 4 darf von den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 nicht durch eine Vertragsklausel abgewichen werden.

…“

 Recht des Vereinigten Königreichs

 Verordnung von 1992

8        Mit den Package Travel, Package Holidays and Package Tours Regulations 1992 (Verordnung von 1992 über Pauschalreisen, im Folgenden: Verordnung von 1992) vom 22. Dezember 1992 wurde die Richtlinie 90/314 in das Recht des Vereinigten Königreichs umgesetzt.

9        Art. 15 Abs. 1, 2 und 5 der Verordnung von 1992 sieht vor:

„(1)      Die andere Vertragspartei haftet dem Verbraucher für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag, unabhängig davon, ob diese Verpflichtungen von der betreffenden anderen Partei oder anderen Dienstleistungsträgern zu erfüllen sind, dies lässt jedoch einen der betreffenden anderen Partei gegen diese anderen Dienstleistungsträger möglicherweise zustehenden Rechtsbehelf oder Klageanspruch unberührt.

(2)      Die andere Vertragspartei haftet dem Verbraucher für Schäden, die diesem durch die Nichterfüllung des Vertrags oder die mangelhafte Erfüllung des Vertrags entstehen, es sei denn, die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung ist weder auf das Verschulden der anderen Partei noch auf das eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen, weil:

a)      die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrags dem Verbraucher zuzurechnen sind;

b)      diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist; oder

c)      diese Versäumnisse zurückzuführen sind auf:

i)      ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf diese Ausnahmeregelung beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können; oder

ii)      ein Ereignis, das die andere Vertragspartei oder der Dienstleistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte.

(5)      Unbeschadet der obigen Abs. 3 und 4 kann die Haftung gemäß den obigen Abs. 1 und 2 nicht durch eine Vertragsbedingung ausgeschlossen werden.“

 Gesetz von 1982

10      Nach Art. 13 des Supply of Goods and Services Act 1982 (Gesetz von 1982 über Warenlieferungen und Dienstleistungen) vom 13. Juli 1982 in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung war Kuoni gehalten, die im Vertrag vereinbarten Leistungen mit angemessener Sorgfalt und Sachkenntnis zu erbringen.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11      X und ihr Ehegatte schlossen mit Kuoni den in Rede stehenden Vertrag, durch den sich Kuoni verpflichtete, ihnen eine Pauschalreise nach Sri Lanka bereitzustellen, die Hin- und Rückflüge vom Vereinigten Königreich sowie einen All-inclusive-Aufenthalt in einem Hotel von 15 Nächten in der Zeit vom 8. bis 23. Juli 2010 umfasste.

12      Klausel 2.2 des Vertrags bestimmt:

„Ihr Vertrag wird mit [Kuoni] geschlossen. Wir werden die Erbringung der verschiedenen Leistungen, die Teil des von Ihnen bei uns gebuchten Urlaubs sind, für Sie arrangieren.“

13      Klausel 5.10. Buchst. b des genannten Vertrags sieht zum einen vor, dass Kuoni haftet, falls „wegen eines Verschuldens [dieser Gesellschaft] oder [ihrer] Vertreter oder Dienstleistungsträger ein Teil [des] vor [der] Abreise aus dem Vereinigten Königreich gebuchten Urlaubsarrangements nicht der Katalogbeschreibung oder einem angemessenen Standard entspricht oder falls [der Vertragspartner] oder ein Mitglied [seiner] Gruppe infolge einer Aktivität, die Teil dieses Urlaubsarrangements ist, zu Tode kommt oder verletzt wird“, und zum anderen, dass Kuoni „keine Haftung [übernimmt], sofern und soweit [das] Urlaubsarrangement betreffende Mängel oder der Tod oder die Körperverletzung nicht durch ein Verschulden [der Gesellschaft] oder eines [ihrer] Vertreter oder eines Dienstleistungsträgers verursacht sind, [sondern vom Vertragspartner] verursacht sind … oder auf unvorhergesehene Umstände zurückzuführen sind, die [die Gesellschaft] oder [ihre] Vertreter oder Dienstleistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnten“.

14      Am 17. Juli 2010 war X auf dem Weg zur Rezeption des Hotels, in dem sie sich aufhielt, als sie den Hotelangestellten N traf, einen diensthabenden Elektriker, der bei dem Hotel angestellt war und die Uniform eines Hotelangestellten trug. Nachdem N X angeboten hatte, ihr eine Abkürzung zur Rezeption zu zeigen, lockte N sie in den Technikraum, wo er sie vergewaltigte und tätlich angriff.

15      Im Ausgangsrechtsstreit machte X gegenüber Kuoni Schadensersatzansprüche wegen der Vergewaltigung und des tätlichen Angriffs mit der Begründung geltend, sie entsprächen einer mangelhaften Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags und einem Verstoß gegen die Verordnung von 1992. Kuoni bestritt, dass die Vergewaltigung und der tätliche Angriff, die N begangen habe, eine Verletzung ihrer gegenüber X bestehenden Verpflichtungen aus dem Vertrag oder der Verordnung von 1992 darstellen könnten. Kuoni stützte dieses Vorbringen auf Klausel 5.10. Buchst. b des Vertrags und auf Art. 15 Abs. 2 Buchst. c Ziff. ii der Verordnung von 1992.

16      Der High Court of Justice (England & Wales) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Vereinigtes Königreich) wies die Schadensersatzklage von X mit der Begründung ab, dass die „Urlaubsleistungen“ in Klausel 5.10. Buchst. b des in Rede stehenden Vertrags nicht umfassten, dass ein Mitglied des Wartungspersonals einen Gast zur Rezeption führe. Des Weiteren stellte er im Wege eines obiter dictum fest, dass sich Kuoni jedenfalls auf den Haftungsbefreiungsgrund gemäß Art. 15 Abs. 2 Buchst. c Ziff. ii der Verordnung von 1992 habe berufen können.

17      Die Berufung von X wurde vom Court of Appeal (England & Wales) (Berufungsgericht [England und Wales], Vereinigtes Königreich) ebenfalls zurückgewiesen. Er befand, dass es nicht in den Anwendungsbereich der Klausel 5.10. Buchst. b des in Rede stehenden Vertrags falle, wenn ein Mitglied des Wartungsteams des Hotels, das der Gast als solches erkenne, diesen zur Rezeption des Hotels führe. Die Verordnung von 1992 sei nicht darauf ausgelegt, die Inanspruchnahme eines Reiseveranstalters wegen unerlaubter Handlungen eines Angestellten eines Dienstleistungsträgers zu ermöglichen, sofern dessen Verhalten nicht „Teil der Aufgaben ist, für die er angestellt wurde“, und sofern der Dienstleistungsträger weder nach dem für den Verbraucher geltenden nationalen Recht noch nach dem für den Dienstleistungsträger geltenden ausländischen Recht nach den Grundsätzen der Haftung für das Verhalten Dritter haften würde. Schließlich stellte er im Wege eines obiter dictum fest, dass Kuoni weder nach Klausel 5.10. Buchst. b des genannten Vertrags noch nach Art. 15 der Verordnung von 1992 hafte, da N kein „Dienstleistungsträger“ im Sinne dieser Bestimmungen sei.

18      In einem abweichenden Votum äußerte ein Richter des Court of Appeal (England & Wales) (Berufungsgericht [England und Wales], Vereinigtes Königreich) allerdings Zweifel an der Beurteilung, dass das Hotel nach englischem Recht für eine Vergewaltigung, die ein uniformierter Angestellter, der der Öffentlichkeit als zuverlässiger Angestellter präsentiert worden sei, nicht haften müsse. Nach englischem Recht bleibe die Person, die eine vertragliche Haftung übernehme, für die Vertragserfüllung persönlich verantwortlich, auch wenn der Vertrag durch einen Dritten erfüllt werde. In Bezug auf die Richtlinie 90/314 war er der Ansicht, dass diese Richtlinie wie auch die Verordnung von 1992 im Wesentlichen darauf abziele, Urlaubern, deren Urlaub verdorben worden sei, eine Handhabe gegen die andere Vertragspartei zu geben. Es solle dem Reiseveranstalter überlassen bleiben, sich hinsichtlich der Folgen des verdorbenen Urlaubs mit seinen eigenen Vertragspartnern auseinanderzusetzen, die sich dann wiederum mit ihren eigenen Angestellten oder Auftragnehmern auseinanderzusetzen hätten. Ferner sprächen keine Gründe dafür, dass sich der Begriff des Dienstleistungsträgers beim Einsatz von Auftragnehmern oder Angestellten auf das betreffende Hotel beschränke. Des Weiteren stehe außer Zweifel, dass bestimmte Angestellte als Dienstleistungsträger anzusehen seien.

19      Im Rechtsmittelverfahren hat der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) befunden, dass er mit zwei Hauptfragen befasst worden sei, nämlich erstens, ob die Vergewaltigung und der tätliche Angriff auf X eine mangelhafte Erfüllung von Kuonis Verpflichtungen aus dem in Rede stehenden Vertrag darstellten, und zweitens, falls ja, ob sich Kuoni unter Berufung auf Klausel 5.10. Buchst. b des genannten Vertrags und gegebenenfalls auf Art. 15 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung von 1992 von der Haftung für das Verhalten von N befreien könne.

20      Um über diese zweite Frage entscheiden zu können, hält es der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) für angebracht, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

21      Im Rahmen dieses Ersuchens hat das vorlegende Gericht ausgeführt, dass von der Annahme auszugehen sei, dass die Begleitung von X zur Rezeption durch ein Mitglied des Hotelpersonals eine Leistung im Rahmen des „Urlaubsarrangements“ sei, zu dessen Bereitstellung sich Kuoni verpflichtet habe, und dass die Vergewaltigung und der tätliche Angriff eine mangelhafte Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags darstellten.

22      Unter diesen Umständen hat der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind die Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergeben, den ein Veranstalter oder Vermittler mit einem Verbraucher über eine Pauschalreise, die der Richtlinie 90/314 unterliegt, abgeschlossen hat, nicht oder nur mangelhaft erfüllt worden und ist diese Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung auf die Handlungen eines Angestellten eines Hotelunternehmens zurückzuführen, von dem Leistungen, auf die sich der Vertrag bezieht, erbracht werden:

a)      besteht dann Raum für die Anwendung der Einwendung gemäß Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich zweite Alternative der Richtlinie 90/314 und, falls ja,

b)      nach welchen Kriterien ist vom nationalen Gericht zu beurteilen, ob diese Einwendung greift?

2.      Schließt ein Veranstalter oder Vermittler mit einem Verbraucher einen Vertrag über eine Pauschalreise, die der Richtlinie 90/314 unterliegt, und erbringt ein Hotelunternehmen Leistungen, auf die sich der Vertrag bezieht, ist dann ein Angestellter des Hotelunternehmens selbst als „Leistungsträger“ im Sinne der Einwendung gemäß Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie anzusehen?

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

23      Im Anschluss an die Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts hat Kuoni mit am 3. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

24      Kuoni trägt in ihrem Antrag vor, dass die Wiedereröffnung zu beschließen sei, wenn der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass die vorliegende Rechtssache auf der Grundlage einer Auslegung des Wortes „Ereignis“, wie sie der Generalanwalt in den Nrn. 78 bis 84 seiner Schlussanträge vorgenommen habe, zu entscheiden sei.

25      Gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

26      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 252 Abs. 2 AEUV der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen stellt, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil vom 3. September 2020, Tschechische Republik/Kommission, C‑742/18 P, EU:C:2020:628, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Des Weiteren sehen die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit vor, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen. Das fehlende Einverständnis mit den Schlussanträgen des Generalanwalts kann folglich für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 3. September 2020, Tschechische Republik/Kommission, C‑742/18 P, EU:C:2020:628, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im vorliegenden Fall hatten die Parteien des Ausgangsrechtsstreits und die übrigen in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten Gelegenheit, zur Tragweite des Begriffs „Ereignis“ in Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 Stellung zu nehmen.

29      Im Rahmen der ersten Vorlagefrage, die die Auslegung der genannten Bestimmung und daher die Auslegung jedes darin enthaltenen Wortes betrifft, konnten die Beteiligten nämlich schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof abgeben, und Kuoni und weitere Beteiligte haben dies auch getan. Einige Beteiligte haben sich in ihren schriftlichen Erklärungen übrigens speziell zum Begriff „Ereignis“ geäußert. Ferner hatten die Beteiligten in Beantwortung der siebten schriftlichen Frage, die der Gerichtshof an sie gerichtet hatte, erneut Gelegenheit gehabt, sich zur Tragweite der genannten Bestimmung zu äußern.

30      Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts fest, dass alle Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der ihm vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen erheblich sind, vor ihm erörtert werden konnten, und sieht daher keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

 Zu den Vorlagefragen

31      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314, soweit er in Bezug auf die Haftung des Veranstalters einer Pauschalreise für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus einem von der Richtlinie erfassten Pauschalreisevertrag zwischen diesem Veranstalter und einem Verbraucher einen Befreiungsgrund vorsieht, dahin auszulegen ist, dass im Fall einer Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung dieser Verpflichtungen, die sich aus den Handlungen eines Angestellten eines den Vertrag erfüllenden Dienstleistungsträgers ergibt, der Angestellte für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung als ein Dienstleistungsträger anzusehen ist und sich der Veranstalter in Anwendung dieser Bestimmung von seiner Haftung für die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung befreien kann.

32      Zum ersten Teil der Fragen des vorlegenden Gerichts ist festzustellen, dass nach dem Wortlaut von Art. 1 der Richtlinie 90/314 ihr Zweck die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Pauschalreisen einschließlich Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen ist, die in der Union verkauft oder zum Kauf angeboten werden.

33      Wie sich aus Art. 2 der Richtlinie 90/314 ergibt, erfasst sie Verträge, die zwischen einem Verbraucher und einem Veranstalter oder Vermittler geschlossen werden und deren Gegenstand eine Pauschalreise ist, d. h. eine zu einem Gesamtpreis verkaufte Leistung, die länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt und die mindestens zwei der drei folgenden Dienstleistungen verbindet: Beförderung, Unterbringung und andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen der Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen (im Folgenden: Pauschalreiseverträge).

34      Um die in ihrem Art. 1 vorgesehene Angleichung zu erreichen, führt die Richtlinie 90/314 u. a. eine Regelung der vertraglichen Haftung von Pauschalreiseveranstaltern gegenüber den Verbrauchern ein, die mit ihnen einen Pauschalreisevertrag geschlossen haben. Im Einzelnen sieht Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/314 vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen unabhängig davon übernimmt, ob er selbst oder andere Dienstleistungsträger diese Verpflichtungen zu erfüllen haben. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie stellt klar, dass von dieser Haftung nicht durch eine Vertragsklausel abgewichen werden darf. Die einzig zulässigen Abweichungen sind in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie abschließend aufgezählt.

35      Art. 5 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 90/314 beschränkt somit die Freiheit der Parteien eines Pauschalreisevertrags, den Inhalt der für sie geltenden Vertragsklauseln festzulegen, indem dem Veranstalter eine Haftung gegenüber dem Verbraucher für die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags auferlegt wird. Eine der Besonderheiten dieser Haftung ist, dass sie sich auf die ordnungsgemäße Erfüllung der sich aus dem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen durch Dienstleistungsträger erstreckt. Allerdings definiert die Richtlinie 90/314 den Begriff des Dienstleistungsträgers nicht und verweist insoweit auch nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten.

36      In einem solchen Fall folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Novo Banco C‑253/19, EU:C:2020:585, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Nach ständiger Rechtsprechung sind dabei die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen (Urteil vom 10. März 2005, EasyCar, C‑336/03, EU:C:2005:150, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Im gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnet der in Art. 5 der Richtlinie 90/314 verwendete Begriff des Dienstleistungsträgers dem üblichen Sinn nach eine natürliche oder juristische Person, die Dienstleistungen gegen Entgelt erbringt. Wie auch der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehen verschiedene Sprachfassungen der Bestimmung von dieser Bedeutung aus.

39      Darüber hinaus wird die genannte Bedeutung durch den Kontext bestätigt, in dem die fragliche Bestimmung steht. Wie sich aus Rn. 33 des vorliegenden Urteils ergibt, ist Gegenstand von Pauschalreiseverträgen nämlich die Erbringung einer Kombination von Beförderungs‑, Unterbringungs- und anderen touristischen Dienstleistungen. Die Verpflichtungen, die sich aus diesen Verträgen gegenüber dem Verbraucher ergeben und von der in Art. 5 der Richtlinie 90/314 vorgesehenen Regelung der vertraglichen Haftung erfasst werden, können aber durch natürliche oder juristische Personen, die nicht mit dem Veranstalter identisch sind und Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen, erfüllt werden.

40      Die mit der Richtlinie 90/314 verfolgten Ziele, die – u. a. – nach ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 darin bestehen, Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr und Verzerrungen des Wettbewerbs zu beseitigen, sowie nach ihrem zehnten Erwägungsgrund darin, ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes zu gewährleisten (Urteil vom 16. Februar 2012, Blödel-Pawlik, C‑134/11, EU:C:2012:98, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), bestätigen ebenfalls eine solche Auslegung des Begriffs des Dienstleistungsträgers, da sie gewährleistet, dass die Haftung des Veranstalters gegenüber dem Verbraucher einen einheitlichen Umfang hat.

41      Dies vorausgeschickt, ist festzustellen, dass ein Angestellter eines Dienstleistungsträgers nicht selbst als Dienstleistungsträger im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 90/314 eingestuft werden kann, da er mit dem Pauschalreiseveranstalter keine Vereinbarung über die Erbringung einer Dienstleistung an diesen Veranstalter geschlossen hat, sondern lediglich eine Arbeit für einen Dienstleistungsträger erledigt, der eine solche Vereinbarung mit diesem Veranstalter geschlossen hat, so dass die Handlungen des Angestellten bei der Erledigung dieser Arbeit in den meisten Fällen zur Erfüllung der Verpflichtungen des ihn anstellenden Dienstleistungsträger beitragen sollen.

42      Des Weiteren bezeichnet das Wort „Angestellter“ eine Person, die ihre Arbeit im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses zu ihrem Arbeitgeber und daher unter seiner Kontrolle erledigt. Definitionsgemäß befindet sich ein Dienstleistungsträger aber in keinem Unterordnungsverhältnis, wenn er seine Dienstleistungen erbringt, so dass ein Angestellter im Rahmen der Anwendung von Art. 5 der Richtlinie 90/314 nicht als Dienstleistungsträger angesehen werden kann.

43      Allerdings schließt der Umstand, dass ein Angestellter eines Dienstleistungsträgers im Rahmen der Anwendung der in Art. 5 der Richtlinie 90/314 eingeführten Regelung der vertraglichen Haftung nicht selbst als ein Dienstleistungsträger angesehen werden kann, nicht aus, dass für die Zwecke dieser Regelung Handlungen oder Unterlassungen des Angestellten mit denen des ihn anstellenden Dienstleistungsträgers gleichgesetzt werden können.

44      Um beurteilen zu können, ob eine solche Gleichsetzung möglich ist, ist erstens festzustellen, dass die in Art. 5 der Richtlinie 90/314 vorgesehene Haftung des Veranstalters nur die Verpflichtungen betrifft, die sich aus dem in der Richtlinie definierten Pauschalreisevertrag ergeben, den er mit dem Verbraucher geschlossen hat. Sie berührt daher nicht diejenige Haftung der Vertragsparteien oder Dritter, die sich aus anderen Verpflichtungen oder anderen Haftungsregelungen wie der der strafrechtlichen Haftung ergibt.

45      Gleichwohl dürfen die sich aus einem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen, deren mangelhafte Erfüllung oder Nichterfüllung die Haftung des Veranstalters auslöst, in Anbetracht des in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Zieles der Richtlinie 90/314, u. a. ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes zu gewährleisten, nicht eng ausgelegt werden. Diese Verpflichtungen umfassen sämtliche Verpflichtungen, die mit der Erbringung von Beförderungs‑, Unterbringungs- und touristischen Dienstleistungen zusammenhängen und sich aus dem Ziel des Pauschalreisevertrags ergeben, unabhängig davon, ob diese Verpflichtungen vom Veranstalter selbst oder von anderen Dienstleistungsträgern zu erfüllen sind.

46      Insoweit setzt die Auslösung der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/314 genannten Haftung des Veranstalters – wie auch der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen der Handlung oder Unterlassung, die bei dem Verbraucher einen Schaden verursacht hat, und den Verpflichtungen des Veranstalters aus dem Pauschalreisevertrag voraus.

47      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungen aus dem Pauschalreisevertrag im Sinne der Richtlinie 90/314, wie sie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils präzisiert worden sind, von Dienstleistungsträgern erfüllt werden können, die wiederum durch ihre Angestellte, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, handeln können. Die Vornahme oder Unterlassung bestimmter Handlungen durch diese Angestellten kann daher eine Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Pauschalreisevertrag darstellen.

48      Infolgedessen kann diese Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung, auch wenn sie auf Taten von Angestellten, die sich unter der Kontrolle eines Dienstleistungsträgers befinden, zurückgeht, die Haftung des Veranstalters gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/314 auslösen.

49      Diese Auslegung wird durch das von der Richtlinie 90/314 verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes bestätigt. Denn ohne eine solche Haftung würde – wie auch der Generalanwalt in Nr. 62 seiner Schlussanträge sinngemäß ausgeführt hat – bei der Haftung der Veranstalter für Taten ungerechtfertigt danach unterschieden, ob ihre Dienstleistungsträger sie begehen, wenn diese selbst Verpflichtungen aus einem Pauschalreisevertrag erfüllen, oder ob Angestellte der Dienstleistungsträger sie bei der Erfüllung der Verpflichtungen begehen, was es einem Veranstalter ermöglichen würde, seiner Haftung zu entgehen.

50      Folglich löst gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/314 die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung einer Verpflichtung aus einem Pauschalreisevertrag durch einen Angestellten eines Dienstleistungsträgers die Haftung des Veranstalters dieser Reise gegenüber dem Verbraucher aus, mit dem er den Vertrag geschlossen hat, wenn die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung bei dem Verbraucher einen Schaden verursacht hat.

51      Wie sich im vorliegenden Fall aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, geht das vorlegende Gericht von der Prämisse aus, dass die Begleitung von X zur Rezeption durch ein Mitglied des Hotelpersonals eine Dienstleistung gewesen sei, die zu den Reisedienstleistungen gehört habe, zu deren Erbringung sich Kuoni gemäß dem in Rede stehenden Vertrag verpflichtet habe, und dass die Vergewaltigung und der tätliche Angriff, die N an X begangen habe, eine mangelhafte Erfüllung dieses Vertrags dargestellt hätten.

52      Folglich kann in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens ein Reiseveranstalter wie Kuoni gegenüber einem Verbraucher wie X wegen einer mangelhaften Erfüllung des Vertrags zwischen den Parteien in den Fällen haftbar gemacht werden, in denen die mangelhafte Erfüllung auf ein Verhalten eines Angestellten eines Dienstleistungsträgers, der die sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen erfüllt, zurückgeht.

53      Zu dem in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angesprochenen zweiten Teil der Fragen des vorlegenden Gerichts ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 90/314 Ausnahmen von der Haftung eines Pauschalreiseveranstalters vorsieht. Nach dieser Bestimmung haftet der Veranstalter für die Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrags entstehen, es sei denn, dass die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder auf sein Verschulden noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil einer der in dieser Bestimmung genannten Haftungsbefreiungsgründe auf ihn anwendbar ist.

54      Zu diesen Befreiungsgründen gehört der in Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 genannte, der diejenigen Sachverhalte betrifft, in denen die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung des Vertrags auf ein Ereignis zurückzuführen ist, das der Veranstalter oder der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte.

55      Wie sich aus den Rn. 19 und 31 des vorliegenden Urteils ergibt, möchte im vorliegenden Fall das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob, wenn ein Pauschalreiseveranstalter die Erfüllung eines Vertrags mit zwei Verbrauchern einem Erbringer von Hoteldienstleistungen anvertraut hat und ein Angestellter dieses Dienstleistungsträgers gegenüber einem der Verbraucher eine Vergewaltigung und einen tätlichen Angriff begangen hat, dieser Umstand ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinne dieses Befreiungsgrundes darstellen kann.

56      Der genannte Befreiungsgrund ist eng auszulegen, da er von der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/314 niedergelegten Regel der Haftung der Veranstalter abweicht (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Januar 2020, Pensionsversicherungsanstalt [Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach Erreichen des Pensionsantrittsalters], C‑32/19, EU:C:2020:25, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Ferner muss der genannte Befreiungsgrund nach der in den Rn. 36 und 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung mangels Verweises auf das nationale Recht eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten, die nicht nur seinen Wortlaut, sondern auch seinen Kontext und das mit der Richtlinie 90/314 verfolgte Ziel zu berücksichtigen hat.

58      Insoweit geht erstens aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 hervor, dass das in dieser Bestimmung genannte unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignis sich von höherer Gewalt unterscheidet. Diese Bestimmung nennt nämlich als separaten Befreiungsgrund den Fall höherer Gewalt und definiert diesen Grund unter Verweis auf Art. 4 Abs. 6 Unterabs. 2 Ziff. ii der Richtlinie als ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Das ausschließende Bindewort „oder“ zwischen der im ersten Teil von Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 genannten höheren Gewalt und dem im zweiten Teil dieser Bestimmung genannten unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignis lässt nicht zu, dieses Ereignis mit einem Fall höherer Gewalt gleichzusetzen.

59      Zweitens befreit Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 den Veranstalter von der Pflicht, dem Verbraucher Schäden zu ersetzen, die entweder durch unvorhersehbare Ereignisse – unabhängig davon, ob sie normal sind – oder durch unabwendbare Ereignisse – unabhängig davon, ob sie vorhersehbar oder normal sind – verursacht werden.

60      Drittens geht aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 90/314 hervor, dass die in den verschiedenen Gedankenstrichen dieser Bestimmung genannten Befreiungsgründe die konkreten Fälle erläutern, in denen die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung der Verpflichtungen aus einem Pauschalreisevertrag weder dem Veranstalter noch einem anderen Dienstleistungsträger zurechenbar ist, weil ihnen kein Verschulden angelastet werden kann. Dieses Nichtvorliegen von Verschulden bedeutet, dass das in Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 genannte unabwendbare oder unvorhersehbare Ereignis dahin auszulegen ist, dass es eine Handlung oder einen Vorfall betrifft, die bzw. der nicht in den Kontrollbereich des Veranstalters oder des Dienstleistungsträgers fällt.

61      Da die Handlungen oder Unterlassungen eines Angestellten eines Dienstleistungsträgers, die bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus einem Pauschalreisevertrag begangen werden und zu einer Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung dieser Verpflichtungen des Veranstalters gegenüber dem Verbraucher führen, aus den in Rn. 48 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen jedoch in den genannten Kontrollbereich fallen, können diese Handlungen oder Unterlassungen nicht als unabwendbare oder unvorhersehbare Ereignisse im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 angesehen werden.

62      Daher ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314 nicht geltend gemacht werden kann, um Veranstalter von ihrer Pflicht zu befreien, Verbrauchern die Schäden zu ersetzen, die ihnen infolge der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung von Verpflichtungen aus mit diesen Veranstaltern geschlossenen Pauschalreiseverträgen entstehen, wenn sich diese Versäumnisse aus Handlungen oder Unterlassungen von Angestellten von Dienstleistungsträgern ergeben, die die genannten Verpflichtungen erfüllen.

63      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314, soweit er in Bezug auf die Haftung des Veranstalters einer Pauschalreise für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus einem von der Richtlinie erfassten Pauschalreisevertrag zwischen diesem Veranstalter und einem Verbraucher einen Befreiungsgrund vorsieht, dahin auszulegen ist, dass im Fall einer Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung dieser Verpflichtungen, die sich aus den Handlungen eines Angestellten eines den Vertrag erfüllenden Dienstleistungsträgers ergibt,

–        der Angestellte für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung nicht als ein Dienstleistungsträger angesehen werden kann und

–        der Veranstalter sich nicht in Anwendung dieser Bestimmung von seiner Haftung für die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung befreien kann.

 Kosten

64      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist, soweit er in Bezug auf die Haftung des Veranstalters einer Pauschalreise für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus einem von der Richtlinie erfassten Pauschalreisevertrag zwischen diesem Veranstalter und einem Verbraucher einen Befreiungsgrund vorsieht, dahin auszulegen, dass im Fall einer Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung dieser Verpflichtungen, die sich aus den Handlungen eines Angestellten eines den Vertrag erfüllenden Dienstleistungsträgers ergibt,

–        der Angestellte für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung nicht als ein Dienstleistungsträger angesehen werden kann und

–        der Veranstalter sich nicht in Anwendung dieser Bestimmung von seiner Haftung für die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung befreien kann.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.