Language of document : ECLI:EU:T:2012:578

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

26. Oktober 2012(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Iran zur Verhinderung der nuklearen Proliferation – Einfrieren von Geldern – Nichtigkeitsklage – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑53/12

CF Sharp Shipping Agencies Pte Ltd mit Sitz in Singapur (Singapur), Prozessbevollmächtigte: S. Drury, Solicitor, sowie Rechtsanwälte K. Adamantopoulos und J. Cornelis,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch B. Driessen und V. Piessevaux als Bevollmächtigte,

Beklagter,

wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EU) Nr. 961/2010 des Rates vom 25. Oktober 2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 (ABl. L 281, S. 1), der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1245/2011 des Rates vom 1. Dezember 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 961/2010 (ABl. L 319, S. 11) und der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 961/2010 (ABl. L 88, S. 1), soweit sie die Klägerin betreffen,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová (Berichterstatterin), der Richterin K. Jürimäe und des Richters M. van der Woude,

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2012

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die CF Sharp Shipping Agencies Pte Ltd, ist eine singapurische Gesellschaft, die u. a. als Schiffsagent tätig ist.

2        Hintergrund der vorliegenden Rechtssache sind die restriktiven Maßnahmen, die eingeführt wurden, um auf die Islamische Republik Iran Druck auszuüben, damit sie proliferationsrelevante nukleare Tätigkeiten und die Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen einstellt.

3        Der Name der Klägerin wurde durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1245/2011 des Rates vom 1. Dezember 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 961/2010 (ABl. L 319, S. 11) in die Liste in Anhang VIII der Verordnung (EU) Nr. 961/2010 des Rates vom 25. Oktober 2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 (ABl. L 281, S. 1) aufgenommen.

4        Diese Aufnahme in die Liste hatte zur Folge, dass die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin gemäß Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 961/2010 eingefroren wurden.

5        In Bezug auf die Klägerin lautete die Begründung in der Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 wie folgt:

„Scheinfirma im Eigentum oder unter der Kontrolle der [Islamic Republic of Iran Shipping Lines (IRISL)].“

6        Der Rat der Europäischen Union setzte die Klägerin von der Aufnahme ihres Namens in die Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 in Kenntnis, das die Klägerin nach ihren Angaben am 13. Dezember 2011 erhielt.

7        Mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 beantragte die Klägerin beim Rat, ihr alle einschlägigen Unterlagen zu übermitteln, die für die in der Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe herangezogen worden seien. Der Rat bestätigte den Erhalt dieses Schreibens am 19. Dezember 2011.

8        Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 beantragte die Klägerin beim Rat die Überprüfung der Entscheidung, sie in die Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 aufzunehmen.

9        Am 19. Januar 2012 sandte die Klägerin ein Telefax an den Rat, in dem sie ihn um nähere Angaben zu den Fristen bat, innerhalb deren die in ihren Schreiben vom 15. und 19. Dezember 2011 enthaltenen Anträge behandelt würden. Der Rat bestätigte den Erhalt des Telefax mit E‑Mail vom selben Tag.

10      Mit Schreiben vom 23. März 2012 antwortete der Rat auf die Schreiben der Klägerin vom 15. und 19. Dezember 2011, dass er ihren Antrag auf Streichung ihres Namens aus der Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 nach Überprüfung ablehne. Er führte hierzu aus, dass die Klägerin, sollte sie tatsächlich nicht im Eigentum der Islamic Republic of Iran Shipping Lines (IRISL) stehen, von den IRISL als Scheinfirma zur Durchführung von Zahlungen zugunsten der ebenfalls von restriktiven Maßnahmen betroffenen Gesellschaft P. benutzt worden sei, die wiederum im Namen der IRISL im Nahen Osten handele. Der Rat führte ferner aus, dass er die hinsichtlich der Klägerin abgegebene Begründung in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 in diesem Sinne ändern wolle.

11      Da die Verordnung Nr. 961/2010 durch die Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 88, S. 1) aufgehoben wurde, wurde der Name der Klägerin vom Rat in Anhang IX der letztgenannten Verordnung aufgenommen. Die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin sind deshalb nunmehr gemäß Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung eingefroren. Die hinsichtlich der Klägerin abgegebene Begründung stimmt mit der in der Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 aufgeführten überein.

 Verfahren und Anträge der Parteien

12      Mit Klageschrift, die am 12. Februar 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

13      Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin gemäß Art. 76a der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, im beschleunigten Verfahren zu entscheiden. Mit Entscheidung vom 8. März 2012 hat das Gericht (Vierte Kammer) diesem Antrag stattgegeben.

14      Die Klagebeantwortung des Rates ist am 26. März 2012 eingereicht worden.

15      Am 26. April 2012 hat das Gericht die Parteien aufgefordert, ihm nähere Angaben zu den Verbindungen zwischen der Klägerin, den IRISL und P. zu machen. Die Parteien sind dieser Aufforderung innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nachgekommen.

16      Am 16. Mai 2012 hat der Rat beim Gericht zusätzliche Erklärungen abgegeben, in denen er geltend gemacht hat, die Klägerin habe Zahlungen erhalten oder durchgeführt, die mit den IRISL verbundene Gesellschaften, nämlich I., K., O. und C., betroffen hätten, um die Auswirkungen restriktiver Maßnahmen gegenüber den IRISL zu umgehen.

17      Die Klägerin hat dazu mit Schreiben vom 6. Juni 2012 Stellung genommen.

18      In der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2012 sind die Parteien angehört worden und haben die mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

19      In der Klageschrift hat die Klägerin beantragt,

–        die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 und die Verordnung Nr. 961/2010 mit sofortiger Wirkung für nichtig zu erklären, soweit die Aufnahme der Klägerin in die Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 betroffen ist;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

20      In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre Anträge dahin gehend angepasst, dass sie auch die Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 267/2012 beantragt, soweit ihre Aufnahme in die Liste in Anhang IX dieser Verordnung betroffen ist.

21      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

22      Die Klägerin macht drei Klagegründe geltend, mit denen sie erstens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf ihre angeblichen Verbindungen zu den IRISL, zweitens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und drittens eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte und ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz rügt. Sie beantragt ferner, die etwaige Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte mit sofortiger Wirkung vorzunehmen.

23      Nach Ansicht des Gerichts ist zunächst zu prüfen, ob die von der Klägerin vorgenommene Anpassung der Anträge zulässig ist.

 Zur Zulässigkeit der Anpassung der Anträge der Klägerin

24      Wie oben aus Randnr. 11 hervorgeht, wurde nach Einreichung der Klageschrift die Verordnung Nr. 961/2010 in der durch die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 geänderten Fassung durch die Verordnung Nr. 267/2012 aufgehoben und ersetzt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihre ursprünglichen Anträge so angepasst, dass die Klage auf Nichtigerklärung aller dieser Rechtsakte (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte) gerichtet ist. Der Rat hat angegeben, dass er sich einer solchen Anpassung nicht entgegenstelle.

25      In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, dass, wenn eine Verordnung, die einen Einzelnen unmittelbar und individuell betrifft, während des Verfahrens durch einen Rechtsakt mit gleichem Gegenstand ersetzt wird, dieser als neue Tatsache anzusehen ist, die den Kläger zur Anpassung seiner Anträge und Klagegründe berechtigt. Es wäre nämlich mit einer geordneten Rechtspflege und dem Erfordernis der Prozessökonomie unvereinbar, wenn der Kläger eine weitere Klage erheben müsste. Außerdem wäre es ungerecht, wenn das betreffende Organ den Rügen in einer beim Unionsrichter gegen einen Rechtsakt eingereichten Klageschrift dadurch begegnen könnte, dass es den angefochtenen Rechtsakt anpasst oder durch einen anderen ersetzt und sich im Verfahren auf diese Änderung oder Ersetzung beruft, um es der Gegenpartei unmöglich zu machen, ihre ursprünglichen Anträge und Klagegründe auf den späteren Rechtsakt auszudehnen oder gegen ihn ergänzende Anträge zu stellen und zusätzliche Angriffsmittel vorzubringen (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, Slg. 2008, II‑3019, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Hinsichtlich der Frist, innerhalb deren eine solche Anpassung der Anträge vorgenommen werden kann, hält das Gericht die in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehene Frist von zwei Monaten grundsätzlich nicht nur dann für anwendbar, wenn die Klage auf Nichtigerklärung eines Rechtsakts durch Klageschrift erhoben wird, sondern auch dann, wenn sie im Rahmen eines anhängigen Verfahrens im Wege der Anpassung des Antrags auf Nichtigerklärung eines früheren, aufgehobenen und durch den fraglichen Rechtsakt ersetzten Rechtsakts erhoben wird.

27      Diese Lösung findet ihre Rechtfertigung nämlich darin, dass die Vorschriften über die Klagefristen zwingendes Recht und vom Gericht so anzuwenden sind, dass die Rechtssicherheit und die Gleichheit der Rechtsbürger vor dem Gesetz gewährleistet sind (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Januar 2007, PKK und KNK/Rat, C‑229/05 P, Slg. 2007, I‑439, Randnr. 101) und jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz vermieden wird (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Januar 1987, Misset/Rat, 152/85, Slg. 1987, 223, Randnr. 11).

28      Als Ausnahme von diesem Grundsatz vertritt das Gericht jedoch die Auffassung, dass diese Frist im Rahmen eines anhängigen Verfahrens dann nicht gilt, wenn zum einen der fragliche Rechtsakt und der Rechtsakt, mit dem er aufgehoben und ersetzt wird, in Bezug auf den Betroffenen den gleichen Gegenstand haben, im Wesentlichen auf die gleichen Gründe gestützt sind und im Kern inhaltlich übereinstimmen, sich somit nur durch ihren jeweiligen zeitlichen Geltungsbereich unterscheiden und zum anderen die Anpassung der Anträge ausschließlich auf den Erlass des fraglichen Rechtsakts selbst, der diesen früheren Rechtsakt aufhebt und ersetzt, und nicht auf einen neuen Klagegrund, eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel gestützt ist.

29      In einem solchen Fall wird dadurch, dass die Anpassung der Anträge nach Ablauf der genannten Frist von zwei Monaten vorgenommen wird, die Rechtssicherheit keineswegs beeinträchtigt, da der Gegenstand und der Rahmen des Rechtsstreits, wie sie durch die ursprüngliche Klage festgelegt sind, keine andere Änderung erfahren als hinsichtlich dessen zeitlicher Dimension.

30      Folglich ist es unter den oben in Randnr. 28 beschriebenen Umständen zulässig, dass ein Kläger seine Anträge und Klagegründe anpasst, und zwar selbst dann, wenn die Anpassung nach Ablauf der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Frist von zwei Monaten vorgenommen wurde.

31      Da im vorliegenden Fall alle oben in Randnr. 28 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 267/2012, soweit ihre Aufnahme in die Liste in Anhang IX dieser Verordnung betroffen ist, zulässig.

 Zur Begründetheit

32      Das Gericht ist der Auffassung, dass zunächst der zweite, auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gestützte Klagegrund zu prüfen ist.

33      Hierzu trägt die Klägerin vor, dass der Erlass der gegen sie gerichteten restriktiven Maßnahmen vom Rat rechtlich nicht ausreichend begründet worden sei. Die Behauptungen, sie stehe im Eigentum oder unter der Kontrolle der IRISL, seien nämlich ein bloßer Verweis auf den anwendbaren Rechtssatz und folglich keine spezifischen und konkreten Gründe, aus denen der Rat der Auffassung gewesen sei, dass gegen sie restriktive Maßnahmen zu richten seien. Insbesondere habe der Rat keine näheren Angaben dazu gemacht, in welcher Form sie von den IRISL gehalten oder kontrolliert werden solle, oder zusätzliche Informationen zu den Gründen angegeben, aus denen sie eine „Scheinfirma“ der IRISL sein solle.

34      Der Rat hält dem entgegen, die angegebene Begründung sei ausreichend, da er insbesondere die Art der Verbindungen zwischen der Klägerin und den IRISL angegeben habe, nämlich die Tatsache, dass sie als Scheinfirma zur Durchführung von Zahlungen an P. benutzt worden sei.

35      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsakts, wie sie in Art. 296 Abs. 2 AEUV und, speziell in Bezug auf den vorliegenden Fall, in Art. 36 Abs. 3 der Verordnung Nr. 961/2010 und in Art. 46 Abs. 3 der Verordnung Nr. 267/2012 vorgesehen ist, dem Zweck dient, zum einen den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und zum anderen dem Unionsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Rechtsakts zu ermöglichen. Die so verstandene Begründungspflicht ist ein wesentlicher Grundsatz des Unionsrechts, von dem Ausnahmen nur aufgrund zwingender Erwägungen möglich sind. Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit dem ihn beschwerenden Rechtsakt mitzuteilen; ihr Fehlen kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für den Rechtsakt während des Verfahrens vor dem Unionsrichter erfährt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 14. Oktober 2009, Bank Melli Iran/Rat, T‑390/08, Slg. 2009, II‑3967, Randnr. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Soweit nicht der Mitteilung bestimmter Umstände zwingende Erwägungen der Sicherheit der Union oder ihrer Mitgliedstaaten oder der Gestaltung ihrer internationalen Beziehungen entgegenstehen, hat daher der Rat die Einrichtung, gegen die sich restriktive Maßnahmen richten, von den besonderen und konkreten Gründen in Kenntnis zu setzen, aus denen er zu der Auffassung gelangt, dass sie erlassen werden müssten. Er hat somit die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der betreffenden Maßnahmen abhängt, und die Erwägungen aufzuführen, die ihn zu ihrem Erlass veranlasst haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Bank Melli Iran/Rat, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Außerdem muss die Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden ist, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere anhand des Inhalts des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an den Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Insbesondere ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihn in die Lage versetzt, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. Urteil Bank Melli Iran/Rat, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die Begründung der angefochtenen Rechtsakte festzustellen, dass – wie die Klägerin vorträgt – die Angabe, sie stehe „im Eigentum oder unter der Kontrolle“ der IRISL, nur eine Wiedergabe des Wortlauts von Art. 16 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 961/2010 und von Art. 23 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 267/2012 ist, ohne nähere Angaben zum konkreten Fall der Klägerin, insbesondere zur Form der ausgeübten Kontrolle oder des Eigentums.

39      Zum anderen hat die Angabe, die Klägerin sei eine „Scheinfirma“ der IRISL, gegenüber der Angabe, sie stehe im Eigentum oder unter der Kontrolle der IRISL, keinen eigenständigen Inhalt. Denn auch wenn dem Begriff „Scheinfirma“ keine genaue rechtliche Bedeutung zukommt, wird er doch verwendet, um im Wesentlichen eine Zwischengesellschaft zu bezeichnen, die gegründet wird, um die Identität desjenigen zu verschleiern, von dem bestimmte Verhaltensweisen ausgehen. Um aber als „Scheinfirma“ in diesem Sinne dienen zu können, muss die Zwischengesellschaft notwendigerweise direkt oder indirekt von der Gesellschaft kontrolliert oder gehalten werden, deren Verhaltensweisen verschleiert werden sollen. Daher werden durch die Einstufung als „Scheinfirma“ die konkreten Gründe, die den Rat zum Erlass restriktiver Maßnahmen gegenüber der Klägerin veranlasst haben, nicht näher erläutert.

40      In diesem Zusammenhang macht der Rat zu Unrecht geltend, die Klägerin könne aufgrund der Begründung der angefochtenen Rechtsakte erkennen, dass gegen sie restriktive Maßnahmen gerichtet worden seien, weil sie entweder von den IRISL zur Durchführung von Zahlungen an P. benutzt worden sei, wie der Rat in seinem Schreiben vom 23. März 2012 ausgeführt hat, oder weil sie Zahlungen erhalten oder getätigt habe, die I., K., O. und C. betroffen hätten, wie der Rat in seinen Erklärungen vom 16. Mai 2012 vorgetragen hat.

41      Denn abgesehen davon, dass diese beiden Rechtfertigungen insofern a priori widersprüchlich sind, als ihnen nicht dieselben tatsächlichen Umstände zugrunde liegen, ist zum einen festzustellen, dass in der Begründung der angefochtenen Rechtsakte weder P., I., K., O. oder C. noch der Umstand erwähnt wird, dass die Klägerin von den IRISL benutzt worden sei, um Zahlungen zu erhalten oder zu tätigen.

42      Zum anderen eignen sich die vom Rat im Schreiben vom 23. März 2012 und in den Erklärungen vom 16. Mai 2012 angeführten Umstände – ihren Nachweis unterstellt – nicht als Beleg dafür, dass die Klägerin als „Scheinfirma“ im Eigentum oder unter der Kontrolle der IRISL steht, sondern eher dafür, dass sie den IRISL oder ihnen nahestehenden Gesellschaften geholfen hat, sich den Auswirkungen der gegen sie gerichteten restriktiven Maßnahmen zu entziehen.

43      Entgegen dem Vorbringen des Rates lässt die Begründung der angefochtenen Rechtsakte somit nicht erkennen, dass sich der Rat auf die in seinem Schreiben vom 23. März 2012 oder in seinen Erklärungen vom 16. Mai 2012 dargelegten Umstände gestützt hätte.

44      Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Rat die angefochtenen Rechtsakte nicht in rechtlich hinreichender Weise begründet hat.

45      Daher ist dem zweiten Klagegrund stattzugeben, so dass zum einen die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 und die Verordnung Nr. 961/2010, soweit die Aufnahme der Klägerin in die Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 betroffen ist, und zum anderen die Verordnung Nr. 267/2012, soweit die Aufnahme der Klägerin in die Liste in Anhang IX dieser Verordnung betroffen ist, für nichtig zu erklären sind, ohne dass der zweite und der dritte Klagegrund geprüft zu werden brauchen.

46      Die Klägerin beantragt ferner, die angefochtenen Rechtsakte mit sofortiger Wirkung für nichtig zu erklären.

47      In dieser Hinsicht ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 961/2010 in der durch die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 geänderten Fassung durch die Verordnung Nr. 267/2012 aufgehoben wurde. Folglich entfalten diese Rechtsakte keine Rechtswirkungen mehr, so dass die Klägerin kein Interesse mehr daran hat, ihre Nichtigerklärung mit sofortiger Wirkung zu verlangen. Unter diesen Umständen hat sich ihr Antrag erledigt, soweit er die Verordnung Nr. 961/2010 in der durch die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 geänderten Fassung betrifft.

48      Was zum anderen die Verordnung Nr. 267/2012 angeht, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 60 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, abweichend von Art. 280 AEUV, die Entscheidungen des Gerichts, in denen eine Verordnung für nichtig erklärt wird, erst nach Ablauf der in Art. 56 Abs. 1 der Satzung vorgesehenen Rechtsmittelfrist oder, wenn innerhalb dieser Frist ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, nach dessen Zurückweisung wirksam werden (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 16. September 2011, Kadio Morokro/Rat, T‑316/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38).

49      Die Verordnung Nr. 267/2012 einschließlich ihres Anhangs IX hat die Rechtsnatur einer Verordnung, da ihr Art. 51 Abs. 2 vorsieht, dass sie in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, was den in Art. 288 AEUV vorgesehenen Wirkungen einer Verordnung entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat, C‑548/09 P, Slg. 2011, I‑11381, Randnr. 45).

50      Daher ist der Antrag der Klägerin hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen der Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 267/2012 zurückzuweisen.

 Kosten

51      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Außerdem entscheidet das Gericht gemäß Art. 87 § 6 der Verfahrensordnung, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, nach freiem Ermessen über die Kosten. Da im vorliegenden Fall der Rat mit seinem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Verordnung (EU) Nr. 961/2010 des Rates vom 25. Oktober 2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 und die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1245/2011 des Rates vom 1. Dezember 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 961/2010 werden für nichtig erklärt, soweit die Aufnahme der CF Sharp Shipping Agencies Pte Ltd in die Liste in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 betroffen ist.

2.      Die Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 961/2010 wird für nichtig erklärt, soweit die Aufnahme der CF Sharp Shipping Agencies Pte Ltd in die Liste in Anhang IX betroffen ist.

3.      Der Antrag der CF Sharp Shipping Agencies Pte Ltd, die Verordnung Nr. 961/2010 und die Durchführungsverordnung Nr. 1245/2011 mit sofortiger Wirkung für nichtig zu erklären, hat sich erledigt.

4.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.      Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

Pelikánová

Jürimäe

Van der Woude

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. Oktober 2012.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.