Language of document : ECLI:EU:C:2023:425

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

25. Mai 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2011/92/EU – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 – Unter Anhang II fallende Projekte – Städtebauprojekte – Prüfung anhand von Schwellenwerten oder Kriterien – Art. 4 Abs. 3 – Relevante Auswahlkriterien des Anhangs III – Art. 11 – Zugang zu den Gerichten“

In der Rechtssache C‑575/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 14. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 20. September 2021, in dem Verfahren

Wertlnvest Hotelbetriebs GmbH

gegen

Magistrat der Stadt Wien,

Beteiligter:

Verein Alliance for Nature,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter),

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der WertInvest Hotelbetriebs GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt K. Liebenwein und Rechtsanwältin L. Pöcho,

–        des Magistrats der Stadt Wien, vertreten durch Senatsrat G. Cech,

–        des Vereins Alliance for Nature, vertreten durch Rechtsanwälte W. Proksch und P. Pyka,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Kögl, W. Petek, A. Posch und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. November 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung insbesondere von Art. 4 Abs. 2 und 3, von Art. 11, von Anhang II Nr. 10 Buchst. b und von Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 (ABl. 2014, L 124, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 2011/92).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der WertInvest Hotelbetriebs GmbH und dem Magistrat der Stadt Wien (Österreich) über einen Antrag auf Genehmigung eines städtebaulichen Projekts.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1 und 7 bis 11 der Richtlinie 2011/92 lauten:

„(1)      Die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten [(ABl. 1985, L 175, S. 40)] ist mehrfach und in wesentlichen Punkten geändert worden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit empfiehlt es sich, die genannte Richtlinie zu kodifizieren.

(7)      Die Genehmigung für öffentliche und private Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, sollte erst nach einer Prüfung der möglichen erheblichen Umweltauswirkungen dieser Projekte erteilt werden. Diese Prüfung sollte anhand sachgerechter Angaben des Projektträgers erfolgen, die gegebenenfalls von den Behörden und von der Öffentlichkeit, die möglicherweise von dem Projekt betroffen ist, ergänzt werden können.

(8)      Projekte bestimmter Klassen haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sollten grundsätzlich einer systematischen Prüfung unterzogen werden.

(9)      Projekte anderer Klassen haben nicht unter allen Umständen zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt; sie sollten einer Prüfung unterzogen werden, wenn sie nach Auffassung der Mitgliedstaaten möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(10)      Die Mitgliedstaaten können Schwellenwerte oder Kriterien festlegen, um zu bestimmen, welche dieser Projekte wegen der Erheblichkeit ihrer Auswirkungen auf die Umwelt einer Prüfung unterzogen werden sollten; die Mitgliedstaaten sollten nicht verpflichtet sein, Projekte, bei denen diese Schwellenwerte nicht erreicht werden bzw. diese Kriterien nicht erfüllt sind, in jedem Einzelfall zu prüfen.

(11)      Legen die Mitgliedstaaten derartige Schwellenwerte oder Kriterien fest oder nehmen sie Einzelfalluntersuchungen vor, um zu bestimmen, welche Projekte wegen der Erheblichkeit ihrer Auswirkungen auf die Umwelt einer Prüfung unterzogen werden sollten, so sollten sie den in dieser Richtlinie aufgestellten relevanten Auswahlkriterien Rechnung tragen. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip werden diese Kriterien in konkreten Fällen am besten durch die Mitgliedstaaten angewandt.“

4        In Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

c)      ‚Genehmigung‘: Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält;

d)      ‚Öffentlichkeit‘: eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

e)      ‚betroffene Öffentlichkeit‘: die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. Im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse;

…“

5        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.“

6        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Umweltverträglichkeitsprüfung identifiziert, beschreibt und bewertet in geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls die unmittelbaren und mittelbaren erheblichen Auswirkungen eines Projekts auf folgende Faktoren:

a)      Bevölkerung und menschliche Gesundheit;

b)      biologische Vielfalt …;

c)      Fläche, Boden, Wasser, Luft und Klima;

d)      Sachgüter, kulturelles Erbe und Landschaft;

e)      Wechselbeziehung zwischen den unter den Buchstaben a bis d genannten Faktoren.“

7        Art. 4 Abs. 2 bis 5 der Richtlinie 2011/92 lautet:

„(2)      Bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4, ob das Projekt einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen werden muss. Die Mitgliedstaaten treffen diese Entscheidung anhand

a)      einer Einzelfalluntersuchung

oder

b)      der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien.

Die Mitgliedstaaten können entscheiden, beide unter den Buchstaben a und b genannten Verfahren anzuwenden.

(3)      Bei der Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien für die Zwecke des Absatzes 2 sind die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können Schwellenwerte oder Kriterien festlegen, bei deren Erfüllung Projekte weder der Feststellung gemäß den Absätzen 4 und 5 noch einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, und/oder Schwellenwerte oder Kriterien, bei deren Erfüllung Projekte in jedem Fall einer Umweltverträglichkeitsprüfung ohne Durchführung einer Feststellung gemäß den Absätzen 4 und 5 unterliegen.

(4)      Beschließen Mitgliedstaaten, eine Feststellung für in Anhang II aufgeführte Projekte zu verlangen, liefert der Projektträger Informationen über die Merkmale des Projekts und die damit verbundenen möglichen erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt. Anhang II.A enthält eine detaillierte Aufstellung der zu liefernden Informationen. Der Projektträger berücksichtigt gegebenenfalls verfügbare Ergebnisse anderer einschlägiger Bewertungen der Auswirkungen auf die Umwelt, die aufgrund anderer Unionsgesetzgebung als dieser Richtlinie durchgeführt wurden. Der Projektträger kann darüber hinaus eine Beschreibung aller Aspekte des Projekts und/oder aller Maßnahmen zur Verfügung stellen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden oder verhindert werden sollen.

(5)      Die zuständige Behörde trifft die Feststellung auf der Grundlage der vom Projektträger gemäß Absatz 4 gelieferten Informationen, wobei sie gegebenenfalls die Ergebnisse von vorgelagerten Prüfungen oder aufgrund anderer Unionsgesetzgebung als dieser Richtlinie durchgeführten Prüfungen der Umweltauswirkungen berücksichtigt. Die Feststellung wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und es werden darin

a)      unter Verweis auf die einschlägigen Kriterien in Anhang III die wesentlichen Gründe für die Entscheidung angegeben, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzuschreiben, oder

b)      unter Verweis auf die einschlägigen Kriterien in Anhang III die wesentlichen Gründe für die Entscheidung angegeben, keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzuschreiben, und, sofern vom Projektträger vorgelegt, alle Aspekte des Projekts und/oder Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden oder verhindert werden sollen.“

8        Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a)      ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b)      eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.“

9        Anhang II („In Artikel 4 Absatz 2 genannte Projekte“) Nr. 10 („Infrastrukturprojekte“) dieser Richtlinie bestimmt:

„…

b)      Städtebauprojekte, einschließlich der Errichtung von Einkaufszentren und Parkplätzen;

…“

10      In Anhang III („Auswahlkriterien gemäß Artikel 4 Absatz 3 [Kriterien für die Entscheidung, ob für die in Anhang II aufgeführten Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden sollte])“ der Richtlinie 2011/92 heißt es:

„1.      Merkmale der Projekte

Die Merkmale der Projekte sind insbesondere hinsichtlich folgender Punkte zu beurteilen:

a)      Größe und Ausgestaltung des gesamten Projekts;

b)      Kumulierung mit anderen bestehenden und/oder genehmigten Projekten und Tätigkeiten;

2.      Standort der Projekte

Die ökologische Empfindlichkeit der geografischen Räume, die durch die Projekte möglicherweise beeinträchtigt werden, muss unter Berücksichtigung insbesondere folgender Punkte beurteilt werden:

a)      bestehende und genehmigte Landnutzung;

b)      Reichtum, Verfügbarkeit, Qualität und Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressourcen (einschließlich Boden, Flächen, Wasser und biologische Vielfalt) des Gebiets und seines Untergrunds;

c)      Belastbarkeit der Natur unter besonderer Berücksichtigung folgender Gebiete:

vii)      Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte,

viii)      historisch, kulturell oder archäologisch bedeutende Landschaften und Stätten.

3.      Art und Merkmale der potenziellen Auswirkungen

Die möglichen erheblichen Auswirkungen der Projekte auf die Umwelt sind anhand der in den Nummern 1 und 2 dieses Anhangs aufgeführten Kriterien zu beurteilen; insbesondere ist den Auswirkungen des Projekts auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Faktoren unter Berücksichtigung der folgenden Punkte Rechnung zu tragen:

a)      Umfang und räumliche Ausdehnung der Auswirkungen (beispielsweise geografisches Gebiet und Anzahl der voraussichtlich betroffenen Personen);

g)      Kumulierung der Auswirkungen mit den Auswirkungen anderer bestehender und/oder genehmigter Projekte;

…“


 Österreichisches Recht

11      In § 3 („Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung“) des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 – UVP‑G 2000) (BGBl. 697/1993) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UVP‑G 2000) heißt es:

„(1)      Vorhaben, die in Anhang I angeführt sind, sowie Änderungen dieser Vorhaben sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Für Vorhaben, die in Spalte 2 und 3 des Anhanges 1 angeführt sind, ist das vereinfachte Verfahren durchzuführen. …

(2)      Bei Vorhaben des Anhanges 1, die die dort festgelegten Schwellenwerte nicht erreichen oder Kriterien nicht erfüllen, die aber mit anderen Vorhaben gemeinsam den jeweiligen Schwellenwert erreichen oder das Kriterium erfüllen, hat die Behörde im Einzelfall festzustellen, ob auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist. Für die Kumulierung zu berücksichtigen sind andere gleichartige und in einem räumlichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die bestehen oder genehmigt sind, oder Vorhaben, die mit vollständigem Antrag auf Genehmigung bei einer Behörde früher eingereicht oder nach §§ 4 oder 5 früher beantragt wurden. Eine Einzelfallprüfung ist nicht durchzuführen, wenn das geplante Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des Schwellenwertes aufweist. Bei der Entscheidung im Einzelfall sind die Kriterien des Abs. 5 Z 1 bis 3 zu berücksichtigen, die Abs. 7 und 8 sind anzuwenden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist im vereinfachten Verfahren durchzuführen. Die Einzelfallprüfung entfällt, wenn der Projektwerber/die Projektwerberin die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung beantragt.

(4)      Bei Vorhaben, für die in Spalte 3 des Anhanges 1 ein Schwellenwert in bestimmten schutzwürdigen Gebieten festgelegt ist, hat die Behörde bei Zutreffen dieses Tatbestandes im Einzelfall zu entscheiden, ob zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der Umweltauswirkungen der schützenswerte Lebensraum (Kategorie B des Anhanges 2) oder der Schutzzweck, für den das schutzwürdige Gebiet (Kategorien A, C, D und E des Anhanges 2) festgelegt wurde, wesentlich beeinträchtigt wird. Bei dieser Prüfung sind schutzwürdige Gebiete der Kategorien A, C, D oder E des Anhanges 2 nur zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Einleitung des Verfahrens ausgewiesen oder in die Liste der Gebiete mit gemeinschaftlicher Bedeutung (Kategorie A des Anhanges 2) aufgenommen sind. Ist mit einer solchen Beeinträchtigung zu rechnen, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Bei der Entscheidung im Einzelfall sind die Kriterien des Abs. 5 Z 1 bis 3 zu berücksichtigen, Abs. 7 und 8 sind anzuwenden. Die Einzelfallprüfung entfällt, wenn der Projektwerber/die Projektwerberin die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung beantragt.

(4a)      Bei Vorhaben, für die in Spalte 3 des Anhanges 1 andere als in Abs. 4 genannte besondere Voraussetzungen festgelegt sind, hat die Behörde bei Zutreffen dieser Voraussetzungen unter Anwendung des Abs. 7 im Einzelfall festzustellen, ob durch das Vorhaben mit erheblichen schädlichen oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt im Sinn des § 1 Abs. 1 Z 1 zu rechnen ist. Stellt sie solche fest, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem vereinfachten Verfahren durchzuführen. Die Einzelfallprüfung entfällt, wenn der Projektwerber/die Projektwerberin die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung beantragt.

(6)      Vor Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung oder der Einzelfallprüfung dürfen für Vorhaben, die einer Prüfung gemäß Abs. 1, 2 oder 4 unterliegen, Genehmigungen nicht erteilt werden und kommt nach Verwaltungsvorschriften getroffenen Anzeigen vor Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung keine rechtliche Wirkung zu. Entgegen dieser Bestimmung erteilte Genehmigungen können von der gemäß § 39 Abs. 3 zuständigen Behörde innerhalb einer Frist von drei Jahren als nichtig erklärt werden.

(7)      Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. …

(9)      Stellt die Behörde gemäß Abs. 7 fest, dass für ein Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, ist eine gemäß § 19 Abs. 7 anerkannte Umweltorganisation oder ein Nachbar/eine Nachbarin gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 berechtigt, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben. Ab dem Tag der Veröffentlichung im Internet ist einer solchen Umweltorganisation oder einem solchen Nachbarn/ einer solchen Nachbarin Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren. Für die Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation ist der im Anerkennungsbescheid gemäß § 19 Abs. 7 ausgewiesene Zulassungsbereich maßgeblich.“


12      Anhang I des UVP‑G 2000 bestimmt:

„Der Anhang enthält die gemäß § 3 UVP-pflichtigen Vorhaben.

In Spalte 1 und 2 finden sich jene Vorhaben, die jedenfalls UVP-pflichtig sind und einem UVP-Verfahren (Spalte 1) oder einem vereinfachten Verfahren (Spalte 2) zu unterziehen sind. Bei in Anhang 1 angeführten Änderungstatbeständen ist ab dem angeführten Schwellenwert eine Einzelfallprüfung durchzuführen; sonst gilt § 3a Abs. 2 und 3, außer es wird ausdrücklich nur die ,Neuerrichtung‘, der ,Neubau‘ oder die ,Neuerschließung‘ erfasst.

In Spalte 3 sind jene Vorhaben angeführt, die nur bei Zutreffen besonderer Voraussetzungen der UVP-Pflicht unterliegen. Für diese Vorhaben hat ab den angegebenen Mindestschwellen eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Ergibt diese Einzelfallprüfung eine UVP-Pflicht, so ist nach dem vereinfachten Verfahren vorzugehen.

Die in der Spalte 3 genannten Kategorien schutzwürdiger Gebiete werden in Anhang 2 definiert. Gebiete der Kategorien A, C, D und E sind für die UVP-Pflicht eines Vorhabens jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Antragstellung ausgewiesen sind.


UVP

UVP im vereinfachten Verfahren


Spalte 1

Spalte 2

Spalte 3


Infrastrukturprojekte



Z 17


a) Freizeit- oder Vergnügungsparks, Sportstadien oder Golfplätze mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 10 ha oder mindestens 1 500 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge;

b) Freizeit- oder Vergnügungsparks, Sportstadien oder Golfplätze in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A oder D mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 5 ha oder mindestens 750 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge.

c) Vorhaben nach lit. a und b und damit in Zusammenhang stehende Anlagen, die auf Grund von Vereinbarungen mit internationalen Organisationen für Großveranstaltungen (zB Olympische Spiele, Welt- oder Europameisterschaften, Formel 1-Rennen) errichtet, verändert oder erweitert werden, nach Durchführung einer Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 4a;

Z 18


a) Industrie- oder Gewerbeparks mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 50 ha;

b) Städtebauvorhaben3a) mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m2;

c) Industrie- oder Gewerbeparks in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A oder D mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 25 ha;

Bei lit. b ist § 3 Abs. 2 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten 5 Jahre genehmigt wurden, einschließlich der beantragten Kapazität bzw. Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist.

Z 19


a) Einkaufszentren mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 10 ha oder mindestens 1 000 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge;

b) Einkaufszentren in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A oder D mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 5 ha oder mindestens 500 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge;

Z 20


a) Beherbergungsbetriebe, wie Hotels oder Feriendörfer, samt Nebeneinrichtungen mit einer Bettenzahl von mindestens 500 Betten oder einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 5 ha, außerhalb geschlossener Siedlungsgebiete:

b) Beherbergungsbetriebe, wie Hotels oder Feriendörfer, samt Nebeneinrichtungen mit einer Bettenzahl von mindestens 250 Betten oder einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 2,5 ha, außerhalb geschlossener Siedlungsgebiete:

Z 21


a) Errichtung öffentlich zugänglicher Parkplätze oder Parkgaragen für Kraftfahrzeuge mit mindestens 1 500 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge;

b) Errichtung öffentlich zugänglicher Parkplätze oder Parkgaragen für Kraftfahrzeuge in schutzwürdigen Gebieten der Kategorie A, B oder D mit mindestens 750 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge.

… “

13      Anhang 1 Z 18 Spalte 2 Fn. 3a des UVP‑G 2000 stellt klar:

„Städtebauvorhaben sind Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinausreichenden Einzugsbereich. Städtebauvorhaben bzw. deren Teile gelten nach deren Ausführung nicht mehr als Städtebauvorhaben im Sinne dieser Fußnote.“


14      In Anhang 2 des UVP‑G 2000 heißt es:

„Einteilung der schutzwürdigen Gebiete in folgende Kategorien:

Kategorie

schutzwürdiges Gebiet

Anwendungsbereich

A

besonderes Schutzgebiet

… in der Liste gemäß Artikel 11 Abs. 2 des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt [unterzeichnet in Paris am 16. November 1972 (United Nations Treaty Series, Bd. 1037, Nr. I-15511)] eingetragene UNESCO-Welterbestätten

D

belastetes Gebiet (Luft)

gemäß § 3 Abs. 8 festgelegte Gebiete

… “

15      § 70 („Bauverhandlung und Baubewilligung“) des Wiener Stadtentwicklungs‑, Stadtplanungs- und Baugesetzbuchs, Bauordnung für Wien (LGBl. 1930/11) in der auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung sieht in Abs. 1 vor:

„Besteht die Möglichkeit, dass durch ein Bauvorhaben subjektiv-öffentliche Nachbarrechte berührt werden (§ 134a), ist, wenn nicht das vereinfachte Baubewilligungsverfahren zur Anwendung kommt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, zu der auch der Planverfasser und der Bauführer, sofern nicht § 65 Abs. 1 anzuwenden ist, zu laden sind. … “

16      § 134 („Parteien“) der Bauordnung für Wien bestimmt:

„(1)      Partei im Sinne des § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist in allen Fällen, in denen [die Bauordnung für Wien] ein Ansuchen oder eine Einreichung vorsieht, der Antragsteller oder Einreicher.

(3)      Im Baubewilligungsverfahren … sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie, unbeschadet Abs. 4, gemäß § 70 Abs. 2 bzw. spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben. Nachbarn erlangen keine Parteistellung, wenn sie der geplanten Bauführung auf den Bauplänen oder unter Bezugnahme auf diese ausdrücklich zugestimmt haben. Das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn … ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte …. Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Bauwerk liegen.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

17      Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens plante im Zentrum der Stadt Wien (Österreich) die Errichtung eines Gebäudekomplexes mit der Bezeichnung „ICV Heumarkt Neu – Neubau Hotel InterContinental, Wiener Eislaufverein WEV“ (im Folgenden: Projekt „Heumarkt Neu“).

18      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bestand dieses Projekt darin, das in Rede stehende Areal neu zu gestalten, wobei das vorhandene Hotel InterContinental abgerissen und zwei neue Gebäude für Hotel‑, Gewerbe- und Konferenzräumlichkeiten, ein Turm bzw. „Hochhaus“ für Hotel‑, Veranstaltungs‑, Wohn- und Bürozwecke und ein Sockel- bzw. Basisgebäude für Hotel‑, Konferenz- und Gewerbezwecke mit drei Untergeschoßen, auf welchem der Turm und eines der oben genannten Gebäude ruhen, errichtet werden sollen. Das Gebäude, das sich nicht auf dem Basisgebäude befände, würde zwischen diesem und dem angrenzenden Konzerthaus stehen und auch über drei Untergeschoße verfügen. Das Vorhaben umfasst zudem erstens die Neuerrichtung eines Eislaufplatzes zusammen mit einer unterirdischen Eishalle mit einer Fläche von ca. 1 000 m2 und einer unterirdischen Sporthalle mit einem Schwimmbad, zweitens die Errichtung einer Tiefgarage mit 275 Stellplätzen für Kraftfahrzeuge und drittens die Verlegung einer an das Projekt angrenzenden Straße um ca. 11 m. Die Flächeninanspruchnahme des Projekts „Heumarkt Neu“ würde ca. 1,55 ha betragen, die Bruttogeschoßfläche würde rund 89 000 m2 (davon 58 000 m2 oberirdisch und rund 31 000 m2 unterirdisch) umfassen. Das gesamte Vorhaben würde außerdem in der Kernzone der Unesco-Welterbestätte „Historisches Zentrum Wien“ liegen.


19      Mit Bescheid vom 16. Oktober 2018, der auf einen auf der Grundlage von § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 gestellten Antrag der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens vom 17. Oktober 2017 erging, stellte die Wiener Landesregierung (Österreich) fest, dass für das Projekt „Heumarkt Neu“ keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, da keiner der in Betracht kommenden Tatbestände des Anhangs 1, die hätten relevant sein können (insbesondere die Ziffern Z 17 bis Z 21 dieses Anhangs), erfüllt sei. In Bezug auf den Tatbestand „Städtebauvorhaben“ in Anhang 1 Z 18 lit. b UVP‑G 2000 verwies die Wiener Landesregierung auf eine Unterschreitung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Schwellenwerte bei diesem Projekt und die Nichtanwendung der Kumulierungsbestimmung des § 3 Abs. 2 UVP‑G 2000 aufgrund einer Unterschreitung der dort festgelegten 25 %‑Schwelle.

20      Das mit einer Beschwerde mehrerer Nachbarn und einer Umweltschutzorganisation gegen diesen Bescheid befasste Bundesverwaltungsgericht teilte dem Projektträger des Projekts „Heumarkt Neu“ und der Wiener Landesregierung mit, dass es von einer unzureichenden Umsetzung der Bestimmung in Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 in nationales Recht ausgehe und eine Einzelfallprüfung durchzuführen sei. Das Gericht bestellte einen Sachverständigen und beraumte eine mündliche Verhandlung an. In der Folge zog die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens ihren in Rn. 0 des vorliegenden Urteils erwähnten Antrag, festzustellen, dass für dieses Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, zurück.

21      Ungeachtet der Antragszurückziehung sprach das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 9. April 2019 aus, dass das Projekt „Heumarkt Neu“ der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliege.

22      Der mit der Revision der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens und der Wiener Landesregierung befasste Verwaltungsgerichtshof (Österreich) hob mit Erkenntnis vom 25. Juni 2021 das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2019 im Wesentlichen mit der Begründung auf, dass das Bundesverwaltungsgericht nach der Zurückziehung des Antrags der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens nicht mehr zuständig gewesen sei, eine inhaltliche Entscheidung über das Rechtsmittel zu fällen, mit dem es befasst war, und sich darauf hätte beschränken müssen, den Bescheid der Landesregierung vom 16. Oktober 2018 aufzuheben.

23      Dementsprechend hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der Landesregierung vom 16. Oktober 2018 mit Erkenntnis vom 15. Juli 2021 ersatzlos auf.


24      Zuvor hatte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens mit Antrag vom 30. November 2018 parallel zu dem oben genannten Feststellungsverfahren beim Magistrat der Stadt Wien die Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung für das Projekt „Heumarkt Neu“ beantragt.

25      Da der Magistrat der Stadt Wien keinen Bescheid über diesen Antrag erlassen hatte, brachte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens am 12. März 2021 beim Verwaltungsgericht Wien (Österreich), dem in der vorliegenden Rechtssache vorlegenden Gericht, eine Säumnisbeschwerde ein, mit der sie dieses Gericht um Erteilung der beantragten Baugenehmigung ersucht, wobei sie darauf verwies, dass das Projekt „Heumarkt Neu“ unter Beachtung der in Anhang 1 Z 18 lit. b UVP‑G 2000 festgelegten Schwellenwerte und Kriterien keiner Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sei.

26      Das vorlegende Gericht führt aus, dass es nach nationalem Recht, wenn die Säumnisbeschwerde wie im vorliegenden Fall für begründet zu erklären sei, nunmehr Sache dieses Gerichts sei, gegebenenfalls über den betreffenden Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zu entscheiden. Seine etwaige Zuständigkeit für die Entscheidung über diesen Antrag hänge jedoch ebenso wie die Zuständigkeit der Baubehörde, an deren Stelle sie im vorliegenden Fall treten würde, von der Frage ab, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, was es daher vorab zu entscheiden habe. Im vorliegenden Fall sei diese Vorfrage unter Berücksichtigung der Schwellenwerte und Kriterien für „Städtebauvorhaben“ im Sinne von Anhang 1 Z 18 lit. b UVP‑G 2000 zu prüfen, dem einzigen in diesem Anhang vorgesehenen Tatbestand, der im vorliegenden Fall in Betracht komme.

27      Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Wien (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Richtlinie 2011/92 einer nationalen Regelung entgegen, welche die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ sowohl von der Erreichung von Schwellenwerten im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha sowie einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m² als auch davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich, handelt? Spielt es dabei eine Rolle, dass im nationalen Recht besondere Tatbestände für

–        Freizeit- oder Vergnügungsparks, Sportstadien oder Golfplätze (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme bzw. ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),

–        Industrie- oder Gewerbeparks (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme),

–        Einkaufszentren (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme bzw. ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),

–        Beherbergungsbetriebe, wie Hotels oder Feriendörfer, samt Nebeneinrichtungen (ab einer gewissen Bettenanzahl bzw. ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme, beschränkt auf den Bereich außerhalb geschlossener Siedlungsgebiete) und

–        öffentlich zugängliche Parkplätze oder Parkgaragen (ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen) festgelegt sind?

2.      Verlangt die Richtlinie 2011/92 – insbesondere unter Beachtung der Anordnung in Anhang III Z 2 lit. c sublit. viii, wonach bei der Entscheidung, ob für die in Anhang II angeführten Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll, auch „historisch, kulturell oder archäologisch bedeutende Landschaften und Stätten“ zu berücksichtigen sind –, für Gebiete von besonderer historischer, kultureller, stadtgestalterischer oder architektonischer Bedeutung, wie zum Beispiel Unesco-Welterbestätten, niedrigere Schwellenwerte oder niederschwelligere Kriterien (als in der ersten Frage genannt) festzulegen?

3.      Steht die Richtlinie 2011/92 einer nationalen Regelung entgegen, welche bei Beurteilung eines „Städtebauvorhabens“ im Sinne der ersten Frage die Zusammenrechnung (Kumulierung) mit anderen gleichartigen und in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben darauf beschränkt, dass hierbei lediglich die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten fünf Jahre genehmigt wurden, einschließlich der beantragten Kapazität bzw. Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist, wobei Städtebauvorhaben bzw. deren Teile nach ihrer Ausführung begrifflich nicht mehr als Städtebauvorhaben anzusehen sind und die im Einzelfall vorzunehmende Feststellung, ob aufgrund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist, unterbleibt, wenn das geplante Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 Prozent des Schwellenwerts aufweist?

4.      Bei Bejahung der Fragen 1 und/oder 2:

Darf sich die im Fall einer Überschreitung des mitgliedstaatlichen Wertungsspielraumes von den nationalen Stellen (in Einklang mit den – in diesem Fall unmittelbar anwendbaren – Bestimmungen in Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 4 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/92) im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob das Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, auf bestimmte Schutzaspekte, wie etwa den Schutzzweck eines bestimmten Gebietes, beschränken, oder sind in diesem Fall sämtliche in Anhang III der Richtlinie 2011/92 genannten Kriterien und Aspekte zu berücksichtigen?

5.      Erlaubt es die Richtlinie 2011/92, insbesondere unter Beachtung der Rechtsschutzvorgaben in Art. 11, dass die in Frage 4 bezeichnete Prüfung erstmals durch das vorlegende Gericht (in einem Baubewilligungsverfahren und im Rahmen der Prüfung der eigenen Zuständigkeit) erfolgt, in dessen Verfahren die „Öffentlichkeit“ nach den Vorgaben des nationalen Rechts nur in einem äußerst eingeschränkten Rahmen Parteistellung genießt und gegen dessen Entscheidung den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d und e der Richtlinie 2011/92 nur ein äußerst eingeschränkter Rechtsschutz zur Verfügung steht? Spielt es für die Beantwortung dieser Frage eine Rolle, dass nach der nationalen Rechtslage – abseits der Möglichkeit einer amtswegigen Feststellung – nur der Projektwerber, eine mitwirkende Behörde oder der Umweltanwalt eine gesonderte Feststellung beantragen können, ob das Vorhaben der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt?

6.      Erlaubt es die Richtlinie 2011/92 im Fall von „Städtebauprojekten“ gemäß Anhang II Z 10 lit. b dieser Richtlinie, vor oder neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor Abschluss einer Einzelfallprüfung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil des Städtebauprojekts in seiner Gesamtheit bilden, wobei im Rahmen des Bauverfahrens keine umfassende Beurteilung der Umweltauswirkungen im Sinne der Richtlinie 2011/92 stattfindet und die Öffentlichkeit nur eine eingeschränkte Parteistellung genießt?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

28      WertInvest Hotelbetrieb hält das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil das Projekt „Heumarkt Neu“ nicht unter den Begriff „Städtebauprojekte“ im Sinne von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 falle, da es sich im Wesentlichen auf die Umgestaltung eines bereits bestehenden Areals beschränke.

29      Dazu ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 12. Oktober 2017, Sleutjes, C‑278/16, EU:C:2017:757, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 12. Oktober 2017, Sleutjes, C‑278/16, EU:C:2017:757, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da die Vorlagefragen ganz im Gegenteil offensichtlich mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits zusammenhängen. Außerdem beziehen sich die insoweit erhobenen Einwände von WertInvest Hotelbetrieb auf die Tragweite von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 selbst und auf die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts im Hinblick auf diese Bestimmung. Bei der Frage, ob eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vom Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften, auf die das vorlegende Gericht abstellt, erfasst wird, handelt es sich aber um eine mit der Auslegung dieser Vorschriften zusammenhängende inhaltliche Frage, so dass etwaige Zweifel, die insoweit bestehen können, die Zulässigkeit der Vorlagefragen nicht in Frage stellen können (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Oktober 2009, ČEZ, C‑115/08, EU:C:2009:660, Rn. 67).

32      Folglich ist das Vorbringen von WertInvest Hotelbetrieb, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, zurückzuweisen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

33      Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ zum einen von der Überschreitung der Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m² und zum anderen davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, zumindest mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich, handelt, und die weder niedrigere Schwellenwerte noch strengere Kriterien vorsieht, wenn die betreffenden Vorhaben in Gebieten von besonderer historischer, kultureller, stadtgestalterischer oder architektonischer Bedeutung angesiedelt sind.

34      Aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 in Verbindung mit deren Anhang II Nr. 10 Buchst. b ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von ihnen festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien bestimmen müssen, ob ein Städtebauprojekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß den Art. 5 bis 10 dieser Richtlinie zu unterziehen ist. Die Mitgliedstaaten können auch entscheiden, beide Verfahren anzuwenden.

35      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass, wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, das vorlegende Gericht, das den Sachverhalt zu würdigen hat, offenbar keinen Zweifel daran hatte, dass ein Projekt wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter den Begriff „Städtebauprojekte“ im Sinne von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 fällt; zu einer Auslegung dieses Begriffs hat es den Gerichtshof im Übrigen auch nicht befragt. Insbesondere in Anbetracht der Merkmale dieses Projekts, wie sie im Vorlagebeschluss beschrieben und in Rn. 18 des vorliegenden Urteils wiedergegeben sind, sieht der Gerichtshof vorliegend keinen Grund, die rechtliche Qualifizierung des Sachverhalts durch das vorlegende Gericht in Zweifel zu ziehen.

36      Im Übrigen kann es in Bezug auf den in Rn. 28 des vorliegenden Urteils erwähnten Einwand von WertInvest Hotelbetrieb mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass der Umstand, dass mit diesem Projekt die Umgestaltung eines bereits bestehenden Gebiets einhergehen würde, indem, wie im vorliegenden Fall, das bestehende Gebiet abgerissen und ein neues wieder aufgebaut würde, die Annahme nicht ausschließt, dass ein solches Projekt unter den Begriff „Städtebauprojekte“ im Sinne von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Irland, C‑50/09, EU:C:2011:109, Rn. 100).

37      Zur Durchführung der Richtlinie 2011/92 ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten diese Richtlinie so ausführen müssen, dass sie dabei in vollem Umfang den Anforderungen entsprechen, die die Richtlinie im Hinblick auf ihr wesentliches Ziel aufstellt, das nach Art. 2 Abs. 1 darin besteht, dass Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden (vgl. in diesem Sinne zu den entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 85/337 Urteil vom 27. März 2014, Consejería de Infraestructuras y Transporte de la Generalitat Valenciana und Iberdrola Distribución Eléctrica, C‑300/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:188, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Projekt selbst von geringer Größe erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann und dass nach ständiger Rechtsprechung die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung für bestimmte Arten von Projekten vorsehen, auch die Anforderungen von Art. 3 der Richtlinie 2011/92 erfüllen und die Auswirkungen des Projekts auf Bevölkerung und menschliche Gesundheit, biologische Vielfalt, Fläche, Boden, Wasser, Luft und Klima sowie Sachgüter, kulturelles Erbe und Landschaft berücksichtigen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Belgien, C‑435/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:176, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Ferner wird nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn die Mitgliedstaaten beschlossen haben, bei Projekten des Anhangs II der Richtlinie 2011/92 Schwellenwerte bzw. Kriterien festzulegen, um zu bestimmen, ob diese Projekte einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 dieser Richtlinie zu unterziehen sind, der ihnen eingeräumte Wertungsspielraum durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung zu unterziehen (Urteil vom 31. Mai 2018, Kommission/Polen, C‑526/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:356, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Schließlich sind die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92 verpflichtet, bei der Festlegung dieser Schwellenwerte bzw. Kriterien die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III dieser Richtlinie zu berücksichtigen.

41      Zu diesen Auswahlkriterien zählt dieser Anhang erstens die Merkmale der Projekte, die insbesondere im Hinblick auf die Größe des Projekts und die Kumulierung mit anderen bestehenden oder genehmigten Projekten zu beurteilen sind, zweitens den Standort der Projekte, so dass die ökologische Empfindlichkeit der geografischen Räume, die durch die Projekte möglicherweise beeinträchtigt werden, unter Berücksichtigung insbesondere der bestehenden und genehmigten Landnutzung sowie der Belastbarkeit der Natur unter besonderer Berücksichtigung u. a. der Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte sowie der historisch, kulturell oder archäologisch bedeutenden Landschaften und Stätten zu beurteilen ist, und drittens die Merkmale der potenziellen Auswirkungen der Projekte, insbesondere im Hinblick auf das geografische Gebiet und die Anzahl der voraussichtlich betroffenen Personen sowie die Kumulierung der Auswirkungen mit den Auswirkungen anderer bestehender und/oder genehmigter Projekte.


42      Folglich würde ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 Schwellenwerte bzw. Kriterien festlegte, bei denen nur der Größe der Projekte Rechnung getragen wird, ohne die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien zu berücksichtigen, den Wertungsspielraum überschreiten, über den er nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Belgien, C‑435/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:176, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall hat die Republik Österreich zwar offensichtlich mehrere Schwellenwerte festgelegt, die nach Maßgabe des Standortes des Projekts gelten, u. a. in den Gebieten der Kategorie A, unter denen sich auch „Unesco-Welterbestätten“ befinden, für Projekte betreffend „Einkaufszentren“ und „öffentlich zugängliche Parkplätze oder Parkgaragen“ im Sinne von Anhang 1 Z 19 und Z 21 des UVP‑G 2000, die ebenfalls unter den Begriff „Städtebauprojekte“ im Sinne von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 fallen; sie hat aber nur einen einzigen Schwellenwert für „Städtebauprojekte“ im Sinne von Anhang 1 Z 18 lit. b des UVP‑G 2000 festgelegt.

44      Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass ein Mitgliedstaat, wenn er Schwellenwerte für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung anwendet, Gesichtspunkten wie dem Standort der Projekte z. B. durch Festsetzung mehrerer Schwellenwerte für verschiedene Projektgrößen, die je nach Art und Standort des Projekts anwendbar wären, Rechnung tragen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 1999, Kommission/Irland, C‑392/96, EU:C:1999:431, Rn. 70).

45      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Projekt nach den Angaben des vorlegenden Gerichts im Kerngebiet einer Unesco-Welterbestätte befindet, so dass das in Anhang III Nr. 2 Buchst. c Ziff. viii der Richtlinie 2011/92 genannte, den Standort des Projekts betreffende Kriterium in diesem Zusammenhang besonders relevant ist.

46      Im Übrigen würde nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Mitgliedstaat, der die Kriterien und/oder Schwellenwerte so festlegte, dass in der Praxis alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen ausgenommen wären, den Wertungsspielraum im Sinne von Rn. 39 des vorliegenden Urteils überschreiten, es sei denn, aufgrund einer Gesamtbeurteilung aller ausgenommenen Projekte wäre davon auszugehen, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (Urteil vom 31. Mai 2018, Kommission/Polen, C‑526/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:356, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      In einem städtischen Umfeld, in dem der Raum begrenzt ist, sind jedoch Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m² so hoch, dass in der Praxis die Mehrheit der Städtebauprojekte von vornherein von der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausgenommen ist.

48      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss festgestellt hat, dass bestimmten Quellen zufolge in der Praxis kein Städtebauvorhaben die in Anhang 1 Z 18 lit. b des UVP‑G 2000 festgelegten Schwellenwerte und Kriterien erreichen dürfte. Zum anderen geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass in Österreich die Mehrheit der Städtebauprojekte im Sinne von Anhang II Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt.

49      Außerdem hat die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie sei sich bewusst geworden, dass die hierfür in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Schwellenwerte möglicherweise zu hoch seien, und habe aus diesem Grund beschlossen, diese Rechtsvorschriften zu ändern.

50      Letztlich wird jedoch das vorlegende Gericht auf der Grundlage aller verfügbaren relevanten Gesichtspunkte zu beurteilen haben, ob die betreffenden Schwellenwerte und Kriterien so festgelegt sind, dass in der Praxis alle oder nahezu alle betroffenen Projekte der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entzogen sind, und sich gegebenenfalls zu vergewissern, dass diese Entziehung nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass aufgrund einer Gesamtbeurteilung aller ausgenommenen Projekte davon auszugehen sei, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist.

51      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3, Anhang II Nr. 10 Buchst. b sowie Anhang III der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ zum einen von der Überschreitung der Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m² und zum anderen davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, zumindest mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich, handelt.

 Zur dritten Frage

52      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Beurteilung, ob ein „Städtebauvorhaben“ einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, die Prüfung der Kumulierung seiner Auswirkungen mit denen anderer, gleichartiger und in einem räumlichen Zusammenhang stehender Vorhaben darauf beschränkt, dass hierbei lediglich die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten fünf Jahre genehmigt wurden, einschließlich der im Rahmen dieses Projekts beantragten Kapazität bzw. Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist, wobei Städtebauvorhaben bzw. deren Teile nach ihrer Ausführung begrifflich nicht mehr als Städtebauvorhaben anzusehen sind und die im Einzelfall vorzunehmende Feststellung, ob aufgrund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist, unterbleibt, wenn dieses Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des festgelegten Schwellenwerts aufweist.

53      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass sich diese Frage auf die Regelung in § 3 Abs. 2 UVP‑G 2000 in Verbindung mit dessen Anhang 1 Z 18, insbesondere mit Z 18 Spalte 2 Fn. 3a bezieht.

54      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben allerdings die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 1 sowie von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 2011/92, wenn ein Mitgliedstaat gemäß deren Art. 4 Abs. 2 Buchst. b für Projekte im Sinne ihres Anhangs II einen mit den Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie unvereinbaren Schwellenwert festlegt, unmittelbare Wirkung, so dass die zuständigen nationalen Behörden sicherstellen müssen, dass zunächst geprüft wird, ob die betreffenden Projekte möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, und, wenn ja, sodann eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2013, Salzburger Flughafen, C‑244/12, EU:C:2013:203, Rn. 48).

55      In Anbetracht der Antworten auf die ersten beiden Fragen ist daher die dritte Frage nicht zu beantworten.

56      In Anbetracht dieser Antwort werden nämlich für die Feststellung, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, die zuständige Behörde oder gegebenenfalls das vorlegende Gericht dieses Projekt zu prüfen haben, und zwar ausschließlich anhand der in Anhang III der Richtlinie 2011/92 vorgesehenen Kriterien, so dass die Beantwortung der dritten Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich ist.

 Zur vierten Frage

57      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass sich die zuständige Behörde im Rahmen der Einzelfalluntersuchung, ob ein Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, auf die Berücksichtigung bestimmter Aspekte des Umweltschutzes wie etwa den Schutzzweck eines bestimmten Gebiets, beschränken kann, oder das betreffende Projekt im Hinblick auf alle in Anhang III dieser Richtlinie genannten Auswahlkriterien zu untersuchen hat.

58      Nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92 sind bei der Untersuchung, ob bei einem Projekt mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III dieser Richtlinie zu berücksichtigen.

59      Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht, ohne gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2011/92 zu verstoßen, ausdrücklich oder stillschweigend eines oder mehrere der in Anhang III dieser Richtlinie genannten Kriterien ausschließen kann, da für die Frage, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss, je nach dem konkreten Projekt des Anhangs II der Richtlinie jedes dieser Kriterien relevant sein kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Juli 2008, Aiello u. a., C‑156/07, EU:C:2008:398, Rn. 50).

60      Daraus folgt, dass die zuständige Behörde im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung das betreffende Projekt im Hinblick auf alle Auswahlkriterien des Anhangs III der Richtlinie 2011/92 prüfen muss, um die im Einzelfall relevanten Kriterien zu bestimmen, und dass sie anschließend alle Kriterien, die sich so als relevant erweisen, gebührend berücksichtigen muss.

61      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits die These zurückgewiesen hat, dass in städtischen Gebieten die Umweltauswirkungen von Städtebauprojekten praktisch inexistent seien, und insoweit auf die Kriterien für Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte sowie für historisch, kulturell und archäologisch bedeutende Landschaften, die nunmehr in Anhang III Nr. 2 Buchst. c Ziff. vii und viii der Richtlinie 2011/92 aufgeführt sind, Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Kommission/Spanien, C‑332/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2006:180, Rn. 79 und 80).

62      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung, ob ein Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, das betreffende Projekt im Hinblick auf alle in Anhang III dieser Richtlinie genannten Auswahlkriterien zu untersuchen hat, um die im Einzelfall relevanten Kriterien zu bestimmen, und sodann alle diese für den Einzelfall relevanten Kriterien heranziehen muss.

 Zur fünften Frage

63      Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehene Einzelfalluntersuchung erstmals durch ein Gericht, das für die Erteilung einer Genehmigung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie zuständig ist, in einem Verfahren erfolgt, in dem die Öffentlichkeit nur in einem äußerst eingeschränkten Rahmen Parteistellung genießt und nach dessen Abschluss der Öffentlichkeit nur ein äußerst eingeschränkter Rechtsschutz zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht auch, ob es eine Rolle spiele, dass nach der nationalen Rechtslage – abseits der Möglichkeit einer amtswegigen Feststellung – nur der Projektwerber, eine mitwirkende Behörde oder der Umweltanwalt beantragen könne, festzustellen, ob das in Rede stehende Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sei.

64      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass das vorlegende Gericht diese Frage aus zwei Gründen stellt. Zum einen weist es darauf hin, dass nach den Vorgaben der Bauordnung für Wien in dem bei ihm anhängigen Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung nur jene Personen Parteistellung genössen, die über Eigentum oder eine Baurechtsberechtigung an einer in einem näher bezeichneten Umkreis um die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bauliegenschaft situierten Liegenschaft verfügten, so dass die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/92 von diesem Verfahren und somit a priori von der Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine etwaige Entscheidung des vorlegenden Gerichts, für dieses Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung zu verlangen, nahezu vollständig ausgeschlossen sei. Zum anderen könne nach § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 nur der Projektwerber/die Projektwerberin, eine mitwirkende Behörde oder der Umweltanwalt von sich aus beantragen, festzustellen, ob dieses Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sei.

65      Hierzu ist anzumerken, dass die Richtlinie 2011/92 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, für die Öffentlichkeit im Sinne ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. d oder für die betroffene Öffentlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie die Möglichkeit vorzusehen, das in deren Art. 4 Abs. 4 und 5 vorgesehene Feststellungsverfahren einzuleiten.

66      Ebenso wenig sieht die Richtlinie 2011/92 ein Recht der Öffentlichkeit oder der betroffenen Öffentlichkeit auf Beteiligung an einem solchen Verfahren vor.

67      Aus Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie ergibt sich jedoch, dass die am Ende dieses Verfahrens erlassene und den in dieser Bestimmung vorgesehenen formalen Anforderungen entsprechende Entscheidung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ist.

68      Im Übrigen muss nach Art. 11 der Richtlinie 2011/92 ein zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie gehörender Einzelner, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ im Sinne von Art. 11 der Richtlinie erfüllt, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der festgestellt wird, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist, im Rahmen eines gegebenenfalls gegen einen Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. April 2015, Gruber, C‑570/13, EU:C:2015:231, Rn. 44).

69      Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Tatsache, dass eine solche Entscheidung von einem Gericht im Rahmen seiner verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit erteilt wurde, die betroffene Öffentlichkeit nicht daran hindert, diese Entscheidung anzufechten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2009, Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening, C‑263/08, EU:C:2009:631, Rn. 37).

70      Schließlich beschränkt Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92, wonach Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne dieses Artikels zum Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens gemacht werden können müssen, um deren „materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit … anzufechten“, keineswegs die Gründe, die mit einem solchen Rechtsbehelf geltend gemacht werden können (Urteil vom 15. Oktober 2015, Kommission/Deutschland, C‑137/14, EU:C:2015:683, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehene Einzelfalluntersuchung erstmals durch ein Gericht erfolgt, das für die Erteilung einer Genehmigung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie zuständig ist. Ein zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/92 gehörender Einzelner, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ im Sinne von Art. 11 dieser Richtlinie erfüllt, muss allerdings Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem anderen Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der von einem solchen Gericht erlassenen Entscheidung anzufechten, mit der festgestellt wird, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen sei.

 Zur sechsten Frage

72      Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass sie es verbietet, vor oder neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor Abschluss einer Einzelfalluntersuchung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil umfassenderer Städtebauprojekte bilden.

73      Die österreichische Regierung hält diese Frage für hypothetisch und daher unzulässig.

74      Insoweit gibt zwar das vorlegende Gericht, wie die österreichische Regierung ausführt, in seinem Vorabentscheidungsersuchen selbst insbesondere an, dass der Gegenstand des „Städtebauvorhabens“ und jener des „Detailvorhabens“, für das eine „vorgezogene“ baurechtliche Bewilligung nach Ansicht dieses Gerichts in Betracht gezogen werden könnte, ident seien. Im Übrigen geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass der Antrag der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens vom 12. März 2021, der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, dasselbe Projekt betrifft, auf das sich der Antrag auf Baubewilligung vom 30. November 2018 bezog und das im Wesentlichen der in Rn. 18 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Beschreibung des vorlegenden Gerichts in diesem Vorabentscheidungsersuchen entspricht. Außerdem hat die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens im Ausgangsverfahren offensichtlich die Erteilung einer Baubewilligung für dieses Projekt als Ganzes beantragt.

75      In seiner Frage erwähnt das vorlegende Gericht jedoch „Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen …, die einen Teil des Städtebauprojekts … bilden“, und nimmt im Rahmen des Vorlagebeschlusses auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens Bezug, wonach der Tatbestand „Städtebauvorhaben“ ungeachtet einer Pflicht zur Prüfung der Umweltverträglichkeit des gesamten Städtebauvorhabens einer Bewilligung einzelner Baumaßnahmen nicht entgegenstehe. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Gericht nach österreichischem Recht und vor der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der Richtlinie 2011/92 bzw. vor Abschluss einer Einzelfallprüfung zur Feststellung, ob die Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist, die Befugnis hat, solche einzelnen Bauarbeiten zu genehmigen, und dass im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ein entsprechender Antrag gestellt wurde.

76      Folglich ist, da für die Vorlagefragen nach der oben in Rn. 30 angeführten Rechtsprechung eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt, die sechste Frage zu beantworten.

77      Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 müssen Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung einer Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden.

78      Eine solche Regelung impliziert, dass die Prüfung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf die in Art. 3 dieser Richtlinie genannten Faktoren und auf die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren vollständig sein und vor der Erteilung dieser Genehmigung erfolgen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, Namur-Est Environnement, C‑463/20, EU:C:2022:121, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, ist eine solche vorherige Prüfung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, dass die zuständige Behörde bei ihrer Meinungsbildung die Auswirkungen auf die Umwelt bei allen technischen Planungs- und Entscheidungsprozessen so früh wie möglich berücksichtigt, um Umweltbelastungen von vornherein zu vermeiden, statt sie erst nachträglich in ihren Auswirkungen zu bekämpfen (Urteil vom 31. Mai 2018, Kommission/Polen, C‑526/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:356, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Würden einzelnen Bauarbeiten, die einen Teil eines umfassenderen Städtebauprojekts bilden, Baubewilligungen erteilt, bevor festgestellt wird, ob dieses Projekt einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 der Richtlinie 2011/92 zu unterziehen ist, und bevor gegebenenfalls eine solche Prüfung durchgeführt worden ist, liefe dies aber diesen Anforderungen und dem in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten wesentlichen Ziel, dem mit diesen Anforderungen entsprochen wird, offensichtlich zuwider.

81      Nach alledem ist auf die sechste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass sie es verbietet, vor oder neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor Abschluss einer Einzelfalluntersuchung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil umfassenderer Städtebauprojekte bilden.

 Kosten

82      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3, Anhang II Nr. 10 Buchst. b sowie Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der Fassung der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ zum einen von der Überschreitung der Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m² und zum anderen davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, zumindest mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich, handelt.

2.      Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92 in der Fassung der Richtlinie 2014/52

ist dahin auszulegen, dass

die zuständige Behörde im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung, ob ein Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, das betreffende Projekt im Hinblick auf alle in Anhang III der geänderten Richtlinie 2011/92 genannten Auswahlkriterien zu untersuchen hat, um die im Einzelfall relevanten Kriterien zu bestimmen, und sodann alle diese für den Einzelfall relevanten Kriterien heranziehen muss.

3.      Art. 11 der Richtlinie 2011/92 in der Fassung der Richtlinie 2014/52

ist dahin auszulegen, dass

er dem nicht entgegensteht, dass die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der geänderten Richtlinie 2011/92 vorgesehene Einzelfalluntersuchung erstmals durch ein Gericht erfolgt, das für die Erteilung einer Genehmigung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der geänderten Richtlinie 2011/92 zuständig ist.

Ein zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/92 gehörender Einzelner, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ im Sinne von Art. 11 der Richtlinie erfüllt, muss allerdings Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem anderen Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der von einem solchen Gericht erlassenen Entscheidung anzufechten, mit der festgestellt wird, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen sei.


4.      Die Richtlinie 2011/92 in der Fassung der Richtlinie 2014/52

ist dahin auszulegen, dass

sie es verbietet, vor oder neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor Abschluss einer Einzelfalluntersuchung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil umfassenderer Städtebauprojekte bilden.

Prechal

Arastey Sahún

Biltgen

Wahl

 

Passer

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Mai 2023.

Der Kanzler

 

Die Kammerpräsidentin

A. Calot Escobar

 

A. Prechal


*      Verfahrenssprache: Deutsch.