Language of document : ECLI:EU:C:2024:89

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 25. Januar 2024(1)

Rechtssache C743/22

DISA SUMINISTROS Y TRADING SLU (DISA)

gegen

Agencia Estatal de la Administración Tributaria

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Supremo [Oberster Gerichtshof, Spanien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom – Richtlinie 2003/96/EG – Art. 5 – Verbrauchsteuer auf Mineralöle – Regionaler Verbrauchsteuersatz für Mineralöle zusätzlich zum nationalen Verbrauchsteuersatz – Staffelung der Verbrauchsteuersätze im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in Abhängigkeit von der Region, in der die Ware verbraucht wird“






I.      Einführung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 2003/96/EG(2).

2.        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DISA Suministros y Trading SLU (im Folgenden: DISA oder Kassationsbeschwerdeführerin) und der Agencia Estatal de la Administración Tributaria (Steuerverwaltungsbehörde, Spanien) aufgrund von Anträgen der Kassationsbeschwerdeführerin auf Erstattung von Steuerzahlungen, die aufgrund des zusätzlichen Steuersatzes einer Autonomen Gemeinschaft auf die Verbrauchsteuer auf Mineralöle (Impuesto Especial sobre Hidrocarburos) (im Folgenden: IEH) geleistet wurden.

3.        Diese Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, die Frage zu klären, ob die Richtlinie 2003/96 unabhängig von der Einhaltung der von ihr vorgegebenen Mindeststeuerbeträge ein einheitliches Steuerniveau im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vorschreibt oder ob die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Spielraum belässt, um für ein und dasselbe Erzeugnis und für ein und dieselbe Verwendung unterschiedliche Verbrauchsteuersätze je nach Landesteil, in dem das Erzeugnis verbraucht werden soll, vorzusehen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2003/96

4.        In den Erwägungsgründen 2 bis 5, 9, 10, 15 und 24 der Richtlinie 2003/96 heißt es:

„(2)      Das Fehlen von Gemeinschaftsbestimmungen über eine Mindestbesteuerung für elektrischen Strom und Energieerzeugnisse mit Ausnahme der Mineralöle kann dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes abträglich sein.

(3)      Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erreichung der Ziele der anderen Gemeinschaftspolitiken erfordern die Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträgen für die meisten Energieerzeugnisse einschließlich elektrischen Stroms, Erdgas und Kohle.

(4)      Erhebliche Abweichungen zwischen den von den einzelnen Mitgliedstaaten vorgeschriebenen nationalen Energiesteuerbeträgen könnten sich als abträglich für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erweisen.

(5)      Durch die Festsetzung angemessener gemeinschaftlicher Mindeststeuerbeträge lassen sich die derzeit bestehenden Unterschiede bei den nationalen Steuersätzen möglicherweise verringern.

(9)      Den Mitgliedstaaten sollte die nötige Flexibilität für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen eingeräumt werden.

(10)      Die Mitgliedstaaten haben den Wunsch geäußert, Steuern unterschiedlicher Art auf Energieerzeugnisse und auf elektrischen Strom einzuführen oder beizubehalten. Im Hinblick darauf sollte bestimmt werden, dass die Mitgliedstaaten die Anforderung hinsichtlich der Mindeststeuerbeträge erfüllen, wenn die Gesamtheit der von ihnen als indirekte Steuern erhobenen Abgaben (mit Ausnahme der Mehrwertsteuer) die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreitet.

(15)      Die Möglichkeit, gestaffelte nationale Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis anzuwenden, sollte unter bestimmten Umständen oder beständigen Voraussetzungen zulässig sein, sofern die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge und die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln eingehalten werden.

(24)      Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, bestimmte weitere Steuerbefreiungen oder ‑ermäßigungen anzuwenden, sofern dies nicht das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt oder zu Wettbewerbsverzerrungen führt.“

5.        Art. 1 der Richtlinie 2003/96 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten erheben nach Maßgabe dieser Richtlinie Steuern auf Energieerzeugnisse und elektrischen Strom.“

6.        In Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der genannten Richtlinie 2003/96 heißt es:

„(1)      Als Energieerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie gelten die Erzeugnisse:

b)      der KN-Codes 2701, 2702 und 2704 bis 2715;“

7.        Art. 3 der Richtlinie 2003/96 sieht vor:

„Die in der Richtlinie 92/12/EWG genannten Begriffe ‚Mineralöle‘ und ‚Verbrauchsteuern‘, soweit diese auf Mineralöle Anwendung finden, sind dahin gehend auszulegen, dass sie alle Energieerzeugnisse, den elektrischen Strom und alle nationalen indirekten Steuern nach Artikel 2 bzw. Artikel 4 Absatz 2 dieser Richtlinie umfassen.“

8.        Art. 4 der Richtlinie 2003/96 sieht vor:

„(1)      Die Steuerbeträge, die die Mitgliedstaaten für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom nach Artikel 2 vorschreiben, dürfen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten.

(2)      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff ‚Steuerbetrag‘ die Gesamtheit der als indirekte Steuern (mit Ausnahme der Mehrwertsteuer) erhobenen Abgaben, die zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr direkt oder indirekt anhand der Menge an Energieerzeugnissen und elektrischem Strom berechnet werden.“

9.        Art. 5 der Richtlinie 2003/96 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können unter Steueraufsicht gestaffelte Steuersätze anwenden, soweit diese die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten und mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, und zwar in den folgenden Fällen:

–        Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den gestaffelten Steuersätzen und der Qualität der Erzeugnisse;

–        die gestaffelten Steuersätze richten sich nach dem Verbrauch an elektrischem Strom und sonstigen Energieerzeugnissen, die als Heizstoff verwendet werden;

–        die Steuersätze gelten für den öffentlichen Personennahverkehr (einschließlich Taxis), die Müllabfuhr, die Streitkräfte und öffentliche Verwaltung, Menschen mit Behinderung oder Krankenwagen;

–        es wird bei den in den Artikeln 9 und 10 genannten Energieerzeugnissen bzw. dem elektrischen Strom zwischen betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung unterschieden.“

10.      Art. 6 der Richtlinie 2003/96 bestimmt:

„Den Mitgliedstaaten steht es frei, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen zu gewähren, und zwar entweder:

a)      direkt;

b)      über einen gestaffelten Steuersatz oder

c)      indem sie die entrichteten Steuern vollständig oder teilweise erstatten.“

11.      Art. 19 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/96 sieht vor:

„(1)      Zusätzlich zu den Bestimmungen der vorstehenden Artikel, insbesondere der Artikel 5, 15 und 17, kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission einen Mitgliedstaat ermächtigen, auf Grund besonderer politischer Erwägungen weitere Befreiungen oder Ermäßigungen einzuführen.

Mitgliedstaaten, die eine solche Maßnahme einzuführen beabsichtigen, setzen die Kommission hiervon in Kenntnis und übermitteln ihr alle einschlägigen und erforderlichen Informationen.

Die Kommission prüft den Antrag unter anderem im Hinblick auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes, die Wahrung des lauteren Wettbewerbs sowie die Gesundheits‑, Umweltschutz‑, Energie- und Verkehrspolitik der Gemeinschaft.

(3)      Gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass die in Absatz 1 genannten Befreiungen oder Ermäßigungen insbesondere unter dem Aspekt des lauteren Wettbewerbs oder des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkt[es] oder aufgrund der Gesundheits‑, Umweltschutz‑, Energie- und Verkehrspolitik der Gemeinschaft nicht länger aufrechterhalten werden können, so unterbreitet sie dem Rat geeignete Vorschläge. Der Rat beschließt über diese Vorschläge einstimmig.“

2.      Richtlinie 2008/118/EG

12.      In Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/118/EG(3) heißt es

„(1)      Diese Richtlinie legt ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die mittelbar oder unmittelbar auf den Verbrauch folgender Waren (nachstehend ‚verbrauchsteuerpflichtige Waren‘ genannt) erhoben werden:

a)      Energieerzeugnisse und elektrischer Strom gemäß der [Richtlinie 2003/96];

(2)      Die Mitgliedstaaten können für besondere Zwecke auf verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den gemeinschaftlichen Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer vereinbar sind, wobei die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen ausgenommen sind.“

B.      Spanisches Recht

13.      Art. 50ter („Steuersätze der Autonomen Gemeinschaft“) der Ley 38/1992 de Impuestos Especiales (Gesetz 38/1992 über die Verbrauchsteuern) vom 28. Dezember 1992 (im Folgenden: Verbrauchsteuergesetz) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Die Autonomen Gemeinschaften können einen regionalen Steuersatz für die Verbrauchsteuer auf Mineralöle festlegen, um zusätzlich die Waren zu besteuern, für die die Steuersätze gemäß den Nrn. … gelten und die in ihrem jeweiligen Gebiet verbraucht werden. Die Anwendung des regionalen Steuersatzes erfolgt gemäß den Bestimmungen dieses Gesetzes sowie innerhalb der Grenzen und unter den Bedingungen, die in den Finanzierungsvorschriften der Autonomen Gemeinschaften festgelegt sind.

(2)      Anzuwenden ist der regionale Steuersatz derjenigen Autonomen Gemeinschaft, in deren Gebiet der Endverbrauch der besteuerten Erzeugnisse stattfindet. Im Sinne dieses Artikels gelten Waren als im Gebiet einer Autonomen Gemeinschaft verbraucht, wenn sie an einem der folgenden Orte in Empfang genommen werden:

…“

14.      Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes war in den Haushaltsjahren 2013 bis 2018 in Kraft. Er wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2019 durch die Ley 6/2018 de Presupuestos Generales del Estado para 2018 (Gesetz 6/2018 über den allgemeinen Staatshaushalt für das Jahr 2018) vom 3. Juli 2018 aufgehoben, in dessen Begründung es unter anderem heißt:

„Im Bereich der Verbrauchsteuern wird der regionale Satz der Mineralölsteuer in den staatlichen Sondersatz integriert, um die Einheitlichkeit des Marktes im Bereich der Brenn- und Kraftstoffe zu gewährleisten, ohne dass dadurch die Ressourcen der Autonomen Gemeinschaften beeinträchtigt werden, und dies innerhalb des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens.“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      CLH, TEPSA und SECICAR, bei denen es sich um IEH-pflichtige Logistikunternehmen handelt, reichten für die Zeiträume zwischen den Jahren 2013 und 2015 Selbstveranlagungen ein und legten den IEH-Betrag auf DISA um. Letztere ist im Bereich des Kaufs, des Verkaufs, des Imports und der Großhandelsvermarktung von Mineralölerzeugnissen tätig.

16.      Nachdem sie den IEH abgeführt hatte, beantragte DISA bei der Steuerverwaltung die Berichtigung der von CLH, TEPSA und SECICAR im Selbstveranlagungsverfahren eingereichten Steuererklärungen und forderte die Erstattung der Beträge, die dem zusätzlichen regionalen Satz der Verbrauchsteuer auf Mineralöle entsprachen, wie er von der jeweiligen Autonomen Gemeinschaft festgelegt worden war (im Folgenden: regionaler Verbrauchsteuersatz auf Mineralöle oder regionaler IEH-Satz).

17.      Zur Begründung ihrer Anträge machte DISA geltend, dass dieser in Art. 50ter des seit dem 1. Januar 2013 geltenden Verbrauchsteuergesetzes genannte regionale Steuersatz gegen das Unionsrecht verstoße, da er einige Bestimmungen der Richtlinie 2003/96 und insbesondere deren Art. 5 verletze, da er nicht den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahmen für die Anwendung gestaffelter Steuersätze entspreche und dem von dieser Richtlinie verfolgten Ziel der einheitlichen Besteuerung zuwiderlaufe.

18.      Die Steuerverwaltung lehnte diese Anträge mit der Begründung ab, dass es nicht ihre Aufgabe sei, darüber zu entscheiden, ob die spanische Regelung gegen das Unionsrecht verstoße oder nicht.

19.      Die Kassationsbeschwerdeführerin legte daraufhin beim Tribunal Económico-Administrativo Central (Zentrale Rechtsbehelfsbehörde in Verwaltungssachen, Spanien) Widerspruch gegen diese Ablehnung ein.

20.      Anschließend erhob die Kassationsbeschwerdeführerin gegen die Zurückweisung ihres Widerspruchs bei der Kammer für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) Klage, die mit Urteil vom 25. November 2020 abgewiesen wurde. Obwohl die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) feststellte, dass die rechtlichen Zweifel bezüglich der Auslegung der Richtlinie 2003/96 sie dazu veranlassen könnten, ein Vorabentscheidungsersuchen einzureichen, wies sie den Antrag auf Erstattung der gezahlten Beträge mit der Begründung zurück, dass DISA nicht nachgewiesen habe, dass sie diese Beträge nicht an andere Personen weitergereicht habe, so dass es bei der Kassationsbeschwerdeführerin zu einer ungerechtfertigten Bereicherung hätte kommen können.

21.      Die Kassationsbeschwerdeführerin legte gegen das Urteil der Audiencia Nacional beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein.

22.      Das vorlegende Gericht betont, dass der Ausgang des Ausgangsverfahrens von der Auslegung der Richtlinie 2003/96 mit Blick auf den regionalen Verbrauchsteuersatz auf Mineralöle abhänge. Es ist insoweit der Ansicht, dass weder diese Richtlinie noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs eine eindeutige Auslegung von Art. 5 dieser Richtlinie in Bezug auf die Frage anböten, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Richtlinie dem entgegenstehe, dass in einem Mitgliedstaat im Bereich der Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom für ein und dasselbe Erzeugnis je nach betreffendem Gebiet gestaffelte Steuersätze eingeführt würden.

23.      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Richtlinie 2003/96, insbesondere deren Art. 5, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift wie Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes, die es den Autonomen Gemeinschaften gestattet, für ihre Hoheitsgebiete unterschiedliche Verbrauchsteuersätze auf Mineralöle für ein und dasselbe Erzeugnis festzulegen, entgegensteht?

24.      Die Kassationsbeschwerdeführerin, die spanische Regierung sowie die Europäische Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

25.      Vor der Würdigung der einzigen vom vorlegenden Gericht formulierten Vorlagefrage ist über die von der spanischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu entscheiden.

26.      Denn die spanische Regierung macht geltend, dass die Vorlagefrage wegen ihres hypothetischen Charakters für unzulässig erklärt werden müsse. Ihr zufolge ist die Frage der Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht niemals vor den früher mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichten und nicht einmal im Rahmen des Kassationsbeschwerdeverfahrens vor dem vorlegenden Gericht erörtert worden, da dieses ursprünglich auf die Frage der Befugnis der Kassationsbeschwerdeführerin zur Einleitung eines Verfahrens zur Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge beschränkt gewesen sei.

27.      Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung für Fragen zur Auslegung des Unionsrechts, die das nationale Gericht in dem von ihm in eigener Verantwortung festgelegten rechtlichen und tatsächlichen Rahmen stellt und deren Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit spricht. Der Gerichtshof kann es nur dann ablehnen, über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung einer Unionsvorschrift offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(4).

28.      Im vorliegenden Fall hat die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage jedoch einen unmittelbaren Bezug zu den Gegebenheiten bzw. zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, da dieser einen Antrag der Kassationsbeschwerdeführerin auf Erstattung des Betrags betrifft, der der regionalen Tranche des IEH entspricht, die sie entrichtet hat, wobei der Antrag damit begründet worden ist, dass diese Tranche gegen die Richtlinie 2003/96 und insbesondere gegen deren Art. 5 verstoße. Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass der Ausgang des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung dieser Richtlinie abhänge, da es nach dem nationalen die Kassationsbeschwerde regelnden Recht über die Begründetheit dieser Beschwerde entscheiden müsse(5). Schließlich geht aus der Vorlageentscheidung, ohne dass dies von der spanischen Regierung bestritten wird, eindeutig hervor, dass die von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsansprüche einen Zeitraum betreffen, in dem Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes in Kraft war.

29.      Daher ist die von der spanischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

B.      Zur Begründetheit

30.      Mit seiner einzigen Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2003/96, insbesondere deren Art. 5, einer nationalen Bestimmung wie Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes, die die Autonomen Gemeinschaften ermächtigt, regional gestaffelte Verbrauchsteuersätze für Mineralöle festzulegen, entgegensteht, auch wenn die von dieser Richtlinie geforderten Mindeststeuersätze eingehalten werden.

1.      Vorbemerkungen

31.      Zunächst ist feststellen, dass die vorliegende Rechtssache dadurch gekennzeichnet ist, dass die in Rede stehende nationale Bestimmung es jeder spanischen Autonomen Gemeinschaft erlaubte, einen eigenen regionalen Satz der Verbrauchsteuern für Mineralöle festzulegen, der zusätzlich zum nationalen Verbrauchsteuersatz galt(6).

32.      Wie aus der Beschreibung des nationalen rechtlichen Rahmens in Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, hat die spanische Regierung außerdem Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes, der in Spanien in den Jahren 2013 bis 2018 galt, geändert und den zusätzlichen regionalen Steuersatz mit Wirkung zum 1. Januar 2019 aufgehoben(7). Seit seiner Aufhebung hat das Königreich Spanien ein anderes System zur Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften eingerichtet, das einen einheitlichen Steuersatz für das gesamte Staatsgebiet vorsieht(8).

2.      Die in der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Hauptelemente des harmonisierten Besteuerungssystems

33.      Es ist anzumerken, dass die Richtlinie 2003/96, indem sie ein harmonisiertes System der Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vorsieht, ausweislich ihrer Erwägungsgründe 2 bis 5 und 24 das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes im Energiesektor insbesondere durch Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen fördern soll(9). Die Richtlinie 2003/96 soll die Abweichungen zwischen den nationalen Energiesteuerbeträgen verringern, da festgestellt wurde, dass diese dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes abträglich sind(10).

34.      Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Unionsgesetzgeber die Vorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom nicht vollständig, sondern nur teilweise harmonisiert, da die Richtlinie lediglich harmonisierte Mindeststeuerbeträge festlegt(11). Zu diesem Zweck schreibt die Richtlinie in ihrem Art. 4 Abs. 1 vor, dass die Steuerbeträge, die die Mitgliedstaaten für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom nach Art. 2 dieser Richtlinie vorschreiben, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten dürfen.

35.      In Anerkennung der Notwendigkeit, den Mitgliedstaaten die notwendige Flexibilität bei der Festlegung und der Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen zu belassen, sowie der Tatsache, dass es Sache des einzelnen Mitgliedstaats ist, zu entscheiden, durch welche Maßnahmen er die Richtlinie umsetzen will, hat diese Richtlinie den Mitgliedstaaten allerdings einen Handlungs- und Ermessensspielraum im Bereich der Verbrauchsteuern eingeräumt(12). So enthält die Richtlinie eine Reihe von Bestimmungen (darunter insbesondere die Art. 5 und 7 sowie die Art. 15 bis 19), die die Möglichkeit vorsehen, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen gestaffelte Steuersätze, Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen im Bereich der Verbrauchsteuern einführen(13).

3.      Vereinbarkeit des IEH mit Art. 5 der Richtlinie 2003/96

36.      In Bezug auf Art. 5 der Richtlinie 2003/96 ist festzustellen, dass diese Bestimmung die Fallgruppen aufzählt, in denen die Mitgliedstaaten gestaffelte Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis anwenden können.

37.      Zunächst ist jedoch zu konstatieren, dass die Anwendung gestaffelter Steuersätze in verschiedenen Regionen innerhalb eines Mitgliedstaats a priori nicht zu den in dieser Bestimmung genannten Fallgruppen zählt. Denn keine der in Art. 5 dieser Richtlinie aufgeführten Fallgruppen sieht die Möglichkeit vor, eine regionale Staffelung der Verbrauchsteuern vorzunehmen. Außerdem scheint die Verwendung der Wendung „in den folgenden Fällen“ zur Bezeichnung der Fallgruppen, in denen eine gestaffelte Besteuerung nach dieser Bestimmung möglich wäre, keinen Zweifel daran zu lassen, dass die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Steuersätze auf ein und dasselbe Erzeugnis anwenden können, erschöpfend aufgezählt sind(14). Eine solche Auslegung ergibt sich im Übrigen auch aus dem 15. Erwägungsgrund der genannten Richtlinie, der vorsieht, dass „[d]ie Möglichkeit, gestaffelte nationale Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis anzuwenden, … unter bestimmten Umständen oder beständigen Voraussetzungen zulässig sein [sollte], sofern die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge und die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln eingehalten werden“(15).

38.      Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs scheint insoweit den erschöpfenden Charakter der in Art. 5 der Richtlinie 2003/96 aufgeführten Fälle bestätigt zu haben, indem sie klargestellt hat, dass diese Bestimmung in bestimmten Fällen, „die in diesem Artikel abschließend aufgezählt werden,“ gestaffelte Steuersätze vorsieht(16).

39.      Es ist jedoch festzustellen, wie das vorlegende Gericht zutreffend bemerkt, dass die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 2003/96 und insbesondere zu Art. 5 dieser Richtlinie die Frage der Einheitlichkeit der Verbrauchsteuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis und für ein und dieselbe Verwendung innerhalb eines Mitgliedstaats nicht ausdrücklich untersucht hat.

40.      Zwar wurden im Rahmen von zwei Vertragsverletzungsverfahren territorial gestaffelte Verbrauchsteuersätze, die denen des Ausgangsverfahrens vergleichbar waren, von der Kommission als im Hinblick auf die Richtlinie 2003/96 streitig angesehen(17) und die Frage, ob diese Richtlinie eine solche regionale Staffelung zulässt oder nicht, zwischen den Parteien erörtert, doch hat sich der Gerichtshof in den betreffenden Urteilen nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert. So hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Frankreich lediglich die Vertragsverletzung der Französischen Republik festgestellt, weil diese ihr System der Besteuerung von elektrischem Strom nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist an die Richtlinie 2003/96 angepasst hatte. Das Gleiche gilt für das Urteil Kommission/Italien (Zuschuss beim Erwerb von Kraftstoffen), in dem der Gerichtshof nicht zu der genannten Frage Stellung nehmen musste, da er befand, dass die von der Kommission behauptete Vertragsverletzung von dieser nicht nachgewiesen worden war(18).

41.      Die Vorlagefrage, die dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache unterbreitet wird, lässt zwei mögliche Auslegungen zu: Eine erste, von der spanischen Regierung vertretene Auslegung, wonach Art. 5 der Richtlinie 2003/96 dem Bestehen regional unterschiedlicher Steuersätze für Energieerzeugnisse nicht entgegensteht, sofern diese Steuersätze die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindestsätze einhalten; und eine zweite, von der Klägerin und der Kommission befürwortete Auslegung, wonach die sich aus Art. 5 der Richtlinie 2003/96 ergebende Verpflichtung zur Beachtung eines einheitlichen Steuerniveaus im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats für ein und dasselbe Erzeugnis unabhängig von der Einhaltung der in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindeststeuerbeträge gilt.

42.      Aus den folgenden Gründen bin ich der Meinung, dass der letzteren Auslegung der Vorzug zu geben ist.

43.      Erstens ist daran zu erinnern, dass, auch wenn der Bereich der Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom nur teilweise harmonisiert ist und die Richtlinie 2003/96 den Mitgliedstaaten eine gewisse Flexibilität und einen gewissen Handlungsspielraum einräumt, um politische Maßnahmen umsetzen zu können, die auf die nationalen Gegebenheiten zugeschnitten sind, dieser Handlungsspielraum gleichwohl begrenzt ist. Daraus folgt, dass die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, bei der Verbrauchsteuer gestaffelte Steuersätze, Befreiungen oder Ermäßigungen einzuführen, nur unter strikter Einhaltung der Voraussetzungen der einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie in Anspruch genommen werden kann. Ohne eine solche Begrenzung wäre die genannte Richtlinie nämlich bedeutungslos.

44.      Art. 5 der Richtlinie 2003/96 bildet keine Ausnahme von dieser Logik der Begrenzung, da schon der Wortlaut dieser Bestimmung den Willen des Gesetzgebers zeigt, den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Anwendung unterschiedlicher Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis zu begrenzen, und zwar unabhängig von der Einhaltung der in der Richtlinie vorgeschriebenen Mindeststeuerbeträge(19). Entgegen dem Vorbringen der spanischen Regierung gewährt die genannte Richtlinie den Mitgliedstaaten also keine absolute Freiheit bei der Festlegung gestaffelter Steuersätze, die sie unter Berufung allein darauf für angemessen halten, dass der angewandte Steuersatz über dem vorgeschriebenen Mindestsatz liege. Eine solche Auslegung würde Art. 5 der Richtlinie 2003/96 jeglicher Daseinsberechtigung berauben. Ich teile daher die von Generalanwalt Richard de la Tour in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Italien (Zuschuss beim Erwerb von Kraftstoffen) (C‑63/19, EU:C:2020:596, Nr. 82) vertretene Auffassung, dass Ausnahmen vom Grundsatz eines einheitlichen Steuersatzes für ein bestimmtes Erzeugnis und eine bestimmte Verwendung von einem Mitgliedstaat nur in den von der Richtlinie 2003/96 ausdrücklich geregelten Fällen vorgesehen werden können.

45.      Darüber hinaus ist klarzustellen, dass Art. 5 nicht die einzige Bestimmung der Richtlinie 2003/96 ist, die Unterschiede in der Besteuerung innerhalb eines Mitgliedstaats zulässt. Art. 19 dieser Richtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten nämlich, auf Grund besonderer politischer Erwägungen gestaffelte Steuersätze mittels weiterer Steuerbefreiungen oder ‑ermäßigungen einzuführen, sofern der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig keine Einwände erhebt. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Rat in Anwendung dieser Bestimmung bereits eine Reihe von Verbrauchsteuerermäßigungen für Regionen oder spezifische Gebiete innerhalb eines Mitgliedstaats genehmigt hat(20).

46.      Während die Kommission und die Kassationsbeschwerdeführerin der Ansicht sind, dass ein Mitgliedstaat, um in einer bestimmten Region einen gestaffelten Steuersatz anzuwenden, auf Art. 19 der Richtlinie 2003/96 zurückgreifen und eine Ermächtigung nach dieser Bestimmung beantragen müsse, argumentiert die spanische Regierung, ohne sich zur Notwendigkeit einer solchen Ermächtigung zu äußern, dass die Tatsache, dass Ermäßigungen der Steuerbeträge nach Art. 19 der Richtlinie genehmigt worden seien, allein schon ausreiche, um zu belegen, dass die Richtlinie tatsächlich regionale Unterschiede zulasse.

47.      Auch wenn aus dem Wortlaut von Art. 5 der Richtlinie 2003/96 selbst nicht eindeutig hervorgeht, ob das in dieser Bestimmung vorgesehene Ermächtigungssystem nur Fälle abdeckt, in denen die gestaffelte Besteuerung aus einer über die Mindestsätze hinausgehenden Befreiung oder Ermäßigung resultiert, oder ob Art. 5 dieser Richtlinie auch Situationen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende erfasst, in denen die gestaffelte Regionalsteuer über den Mindeststeuerbeträgen bleibt, ändert dies nichts daran, dass ein Mitgliedstaat, damit er sich auf diese Möglichkeit berufen kann, in jedem Fall die vorherige Ermächtigung des Rates gemäß Art. 19 dieser Richtlinie einholen muss, was die spanische Regierung im vorliegenden Fall nicht getan hat.

48.      Zweitens ist das von der spanischen Regierung vorgebrachte Argument zu prüfen, dass Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes als Ausdruck der politischen Autonomie der Autonomen Gemeinschaften, die in der spanischen Verfassung anerkannt und durch Art. 4 Abs. 2 EUV geschützt sei(21), die Auslegung der Richtlinie 2003/96, wie sie von dieser Regierung befürwortet werde, rechtfertige.

49.      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt(22). Außerdem steht es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jedem Mitgliedstaat frei, die Zuständigkeiten auf innerstaatlicher Ebene zu verteilen und die nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakte mittels Maßnahmen regionaler oder örtlicher Behörden durchzuführen, sofern diese Zuständigkeitsverteilung eine ordnungsgemäße Durchführung der betreffenden Gemeinschaftsrechtsakte ermöglicht(23).

50.      Es ist jedoch zu festzustellen, dass keine der Bestimmungen der Richtlinie 2003/96 einschließlich ihres Art. 5 die in Art. 4 Abs. 2 EUV anerkannten Grundsätze in Frage stellen kann, und zwar auch dann nicht, wenn die Richtlinie in dem in Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge erläuterten Sinne ausgelegt wird. Denn mit der Festlegung einer Reihe von Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, unter bestimmten Bedingungen von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindestsätzen abzuweichen, bezweckt die Richtlinie im Wesentlichen nicht nur, den Steuertraditionen der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sondern ihnen auch die Möglichkeit zu geben, eine auf die nationalen Gegebenheiten abgestimmte Politik zu betreiben(24). Ich bin daher der Ansicht, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf den durch Art. 4 Abs. 2 EUV gewährten Schutz und insbesondere nicht auf seine interne Organisation und die Verteilung der Zuständigkeiten berufen kann, um einen Verstoß gegen das Unionsrecht zu rechtfertigen. Darüber hinaus kann nicht jede steuerliche Staffelung auf regionaler Ebene, unabhängig von ihrer Bedeutung, als Ausdruck der nationalen Identität eines Mitgliedstaats interpretiert oder mit dieser Begründung bedingungslos gerechtfertigt werden. Anders könnte es sich nur dann verhalten, wenn gegebenenfalls jede autonome Region auf der Grundlage der Verfassung die Möglichkeit hätte, eine vollständig abweichende, eigenständig von ihr festgelegte Steuerregelung zu erlassen.

51.      Drittens ist zu beachten, dass die Richtlinie 2003/96 darauf abzielt, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes im Energiesektor zu fördern. Zwar lässt diese Richtlinie grundsätzlich die Möglichkeit unterschiedlicher Steuersätze zwischen den Mitgliedstaaten zu (sofern die Mindestsätze eingehalten werden), doch würde die Anerkennung der Möglichkeit für jeden Mitgliedstaat, ohne jeglichen Rahmen oder Kontrollmechanismus innerhalb seines nationalen Hoheitsgebiets und in seinen verschiedenen Regionen gestaffelte Steuersätze anzuwenden, selbst wenn diese die Mindestsätze einhalten, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen, indem sie ihn weiter fragmentiert und so den freien Warenverkehr gefährdet, ohne dass im Übrigen die Gefahr von Steuerbetrug ausgeschlossen werden könnte.

52.      Viertens sieht die Richtlinie 2008/118, die das allgemeine System der Verbrauchsteuern regelt, in Art. 1 Abs. 2 vor, dass auf Waren, die diesen Steuern unterliegen, andere indirekte Steuern erhoben werden können. Dieser Artikel, der den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, elektrischen Strom und Energieerzeugnisse mit anderen Steuern zu belegen, soll in Verbindung mit einigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/96(25) nach Ansicht der spanischen Regierung die Erhebung einer zusätzlichen Steuer wie des IEH ermöglichen.

53.      Es sei jedoch daran erinnert, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit einräumt, auf verbrauchsteuerpflichtige Waren indirekte, von der Verbrauchsteuer getrennte Steuern zu erheben, eine solche Erhebung jedoch nur erfolgen darf, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen müssen solche Steuern für besondere Zwecke erhoben werden und zum anderen müssen diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den Unionsvorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer vereinbar sein(26).

54.      Was insbesondere das Kriterium der besonderen Zielsetzung betrifft, so geht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass es zwar nicht erforderlich ist, dass die Einnahmen aus einer zusätzlichen Steuer für die verfolgte besondere Zielsetzung verwendet werden, die in Rede stehende Steuer jedoch hinsichtlich ihrer Struktur, insbesondere des Steuergegenstands oder des Steuersatzes, jedoch derart gestaltet sein muss, dass sie das Verhalten der Steuerpflichtigen mit Blick darauf beeinflusst, das besondere ausgegebene Ziel zu erreichen, beispielsweise durch eine hohe Besteuerung der betreffenden Erzeugnisse, um ihren Verbrauch unattraktiv zu machen, oder indem die Verwendung anderer Erzeugnisse gefördert wird, deren Auswirkungen der Erreichung des verfolgten Ziels weniger abträglich sind(27).

55.      Es ist jedoch nicht möglich, auf der Grundlage des dem Gerichtshof vorliegenden Aktenmaterials festzustellen, inwieweit die Einnahmen aus der zusätzlichen Steuertranche für einen besonderen Zweck bestimmt sind oder ob diese Steuer so ausgestaltet ist, dass sie die Erreichung der geltend gemachten besonderen Zielsetzung ermöglicht (falls es eine solche Zielsetzung gibt). Dies scheint jedoch beim IEH nicht der Fall zu sein. Denn wie aus den schriftlichen Erklärungen der spanischen Regierung hervorgeht, soll der regionale Satz des IEH die Zuständigkeiten der Autonomen Gemeinschaften allgemein finanzieren, damit diese anschließend über diese Einnahmen auf regionaler Ebene in den von diesen Gemeinschaften ausgewählten Bereichen verfügen können.

56.      Fünftens und letztens scheint die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung der Richtlinie 2003/96 gegen die Anwendung einer nach Gebieten gestaffelten Steuer innerhalb eines Mitgliedstaats zu sprechen(28). Denn obwohl die Richtlinie 2003/96 den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, gestaffelte Steuersätze, Steuerermäßigungen und Steuerbefreiungen einzuführen, verlangt die Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Ermessen, über das die Mitgliedstaaten nach den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie (einschließlich Art. 5 der Richtlinie) verfügen, unter Beachtung des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze und insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ausgeübt wird(29). Dies geht im Übrigen auch bereits aus dem Wortlaut von Art. 5 der genannten Richtlinie hervor, der ausdrücklich vorsieht, dass gestaffelte Besteuerungen angewendet werden können, „soweit diese … mit dem [Unions]Recht vereinbar sind“.

57.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist(30). Abgesehen von dem Fall, dass dies objektiv gerechtfertigt wäre, was vorliegend nicht der Fall zu sein scheint, kann die auf den ersten Blick vergleichbare Situation von zwei steuerpflichtigen Erzeugern von Mineralölen in ein und demselben Mitgliedstaat jedoch nicht gleich behandelt werden, wenn diese allein aufgrund eines geografischen Kriteriums unterschiedliche Steuerbeträge zahlen müssen, ohne dass diese Behandlung objektiv gerechtfertigt wäre.

58.      Nach alledem ist auf die einzige Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass die Richtlinie 2003/96, insbesondere ihr Art. 5, dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass die Mitgliedstaaten – außer in den Fällen, die in dieser Richtlinie abschließend geregelt sind – einen regional gestaffelten Verbrauchsteuersatz für Mineralöle vorsehen, der dazu führen würde, dass für ein und dasselbe Erzeugnis und für ein und dieselbe Verwendung eine unterschiedliche regionale Besteuerung angewandt würde.

V.      Ergebnis

59.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die einzige Vorlagefrage des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) wie folgt zu beantworten:

Die Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, insbesondere deren Art. 5,

ist dahin auszulegen, dass

sie dem entgegensteht, dass die Mitgliedstaaten – außer in den Fällen, die in dieser Richtlinie abschließend geregelt sind – einen regional gestaffelten Verbrauchsteuersatz für Mineralöle vorsehen, der dazu führen würde, dass für ein und dasselbe Erzeugnis und für ein und dieselbe Verwendung eine unterschiedliche regionale Besteuerung angewandt würde.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. 2003, L 283, S. 51). Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich nur auf die Richtlinie 2003/96 in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung, die den Zeitraum von 2013 bis 2015 umfasst, ohne spätere Änderungen und Überarbeitungen dieser Richtlinie zu erwähnen.


3      Richtlinie des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. 2009, L 9, S. 12).


4      Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES (C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5      Das vorlegende Gericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass DISA auf dem Verwaltungsweg die Erstattung der von ihr gemäß dem regionalen IEH-Satz gezahlten Steuern mit der Begründung beantragt habe, dass diese gegen das Unionsrecht verstießen, und dass sie ihren Antrag vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) und dem vorlegenden Gericht weiterverfolgt habe.


6      Die geltende nationale Regelung sah zwei Besteuerungstranchen vor, nämlich zum einen eine nationale Tranche, deren Steuersatz im gesamten Staatsgebiet einheitlich war, und zum anderen eine zusätzliche regionale Tranche, deren Satz von jeder Autonomen Gemeinschaft für die in ihrem Gebiet verbrauchten Mineralöle festgelegt wurde.


7      Die Kassationsbeschwerdeführerin und die Kommission tragen vor, dass das Königreich Spanien die Bestimmung des Art. 50ter des Verbrauchsteuergesetzes infolge des zwischen diesem Mitgliedstaat und der Kommission geführten Dialogs aufgehoben habe, in dessen Verlauf die Kommission ihm ihre Zweifel an der Vereinbarkeit dieses regional gestaffelten Steuersatzes mit der Richtlinie 2003/96 mitgeteilt habe.


8      Den Erklärungen der Kommission zufolge wird nach der neuen nationalen Regelung nur ein einziger Verbrauchsteuersatz auf Mineralöle angewandt und werden die Einnahmen zwischen dem Staat (42 %) und den Autonomen Gemeinschaften (58 %) aufgeteilt.


9      Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache RWE Power (C‑571/21, EU:C:2022:780, Nr. 25).


10      Vgl. in diesem Sinne den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/96 und die Schlussanträge des Generalanwalts Richard de la Tour in der Rechtssache Kommission/Italien (Zuschuss beim Erwerb von Kraftstoffen) (C‑63/19, EU:C:2020:596, Nr. 78).


11      Vgl. Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 26).


12      Vgl. Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13      Vgl. Urteile vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 26), und vom 14. Januar 2021, Kommission/Italien (Zuschuss beim Erwerb von Kraftstoffen) (C‑63/19, EU:C:2021:18, Rn. 75 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


14      Eine Sichtung der verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie 2003/96 scheint zu bestätigen, dass Art. 5 dieser Richtlinie eine erschöpfende Liste der Fallgruppen enthält, in denen die Mitgliedstaaten gestaffelte Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis vorsehen können. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es in den verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Verwendung der Wendung „dans les cas suivants“ zu geben scheint, die in der deutschen Sprachfassung mit „in den folgenden Fällen“, in der griechischen Sprachfassung mit „στις ακόλουθες περιπτώσεις“, in der englischen Sprachfassung mit „in the following cases“ oder in der italienischen Sprachfassung mit „nei seguenti casi“ übersetzt worden ist.


15      Hervorhebung nur hier.


16      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, ROZ-ŚWIT (C‑418/14, EU:C:2016:400, Rn. 29), und vom 16. November 2023, Tüke Busz (C‑391/22, EU:C:2023:892, Rn. 47). Während der Gerichtshof in Rn. 23 seines Urteils vom 22. Dezember 2022, Shell Deutschland Oil (C‑553/21, EU:C:2022:1030), die Wendung „in bestimmten in diesem Artikel aufgezählten Fällen“ verwendet hat, ohne den Ausdruck „abschließend“ zu gebrauchen, ist dieser Ausdruck in Rn. 47 seines kürzlich ergangenen Urteils vom 16. November 2023, Tüke Busz (C‑391/22, EU:C:2023:892), wieder aufgegriffen worden. Hervorhebung nur hier.


17      Vgl. in diesem Sinne die Rechtssachen, die den Urteilen vom 25. Oktober 2012, Kommission/Frankreich (C‑164/11, EU:C:2012:665), und vom 14. Januar 2021, Kommission/Italien (Zuschuss beim Erwerb von Kraftstoffen) (C‑63/19, EU:C:2021:18) zugrunde lagen.


18      Aus den Feststellungen von Generalanwalt Richard de la Tour in Nr. 80 seiner Schlussanträge in dieser Rechtssache geht jedoch hervor, dass „[z]wischen den Parteien [einschließlich des Königreichs Spanien, das dem Verfahren zur Unterstützung der Italienischen Republik als Streithelfer beigetreten war] … unstreitig [war], dass die Richtlinie 2003/96 die Einhaltung eines einheitlichen Mindeststeuerbetrags für ein bestimmtes Erzeugnis und eine bestimmte Verwendung im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vorschreibt“ (C‑63/19, EU:C:2020:596).


19      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2023, Tüke Busz (C‑391/22, EU:C:2023:892, Rn. 46 und 47).


20      Vgl. in diesem Sinne den Durchführungsbeschluss 2011/38/EU des Rates vom 18. Januar 2011 zur Ermächtigung der Französischen Republik zur Staffelung der Steuern auf Kraftstoffe gemäß Artikel 19 der Richtlinie 2003/96/EG (ABl. 2011, L. 19, S. 13), den Durchführungsbeschluss 2013/193/EU des Rates vom 22. April 2013 zur Ermächtigung der Französischen Republik zur Staffelung der Steuern auf Kraftstoffe gemäß Artikel 19 der Richtlinie 2003/96/EG (ABl. 2013, L 113, S. 15) und den Durchführungsbeschluss (EU) 2016/358 des Rates vom 8. März 2016 zur Ermächtigung der Französischen Republik zur Verringerung der Steuern auf Benzin und Dieselkraftstoff gemäß Artikel 19 der Richtlinie 2003/96/EG (ABl. 2016, L 67, S. 35).


21      Die spanische Regierung argumentiert, dass das eingeführte System, das auf den Grundsätzen der Steuerautonomie und ‑mitverantwortung beruhe, den Autonomen Gemeinschaften die Befugnis verleihe, über die Höhe bestimmter Besteuerungsformen zu entscheiden, und dass der regionale IEH-Satz die Zuständigkeiten der Autonomen Gemeinschaften finanziere, zu denen die Erbringung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen im Gesundheits‑, Bildungs- und Sozialwesen zähle.


22      Urteil vom 21. Dezember 2016, Remondis (C‑51/15, EU:C:2016:985, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23      Urteil vom 16. Juli 2009, Horvath (C‑428/07, EU:C:2009:458, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24      Vgl. in diesem Sinne Nrn. 43 bis 46 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Die spanische Regierung bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Erwägungsgründe 9 und 10 der Richtlinie 2003/96 sowie auf deren Art. 4.


26      Beschluss vom 7. Februar 2022, Vapo Atlantic (C‑460/21, EU:C:2022:83, Rn. 21 und 22).


27      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, Endesa Generación (C‑833/21, EU:C:2023:516, Rn. 46), und meine Schlussanträge in der Rechtssache f6 Cigarettenfabrik (C‑336/22, EU:C:2023:718, Nrn. 49 bis 51).


28      Vgl. Urteil vom 9. September 2021, Hauptzollamt B (Fakultative Steuerermäßigung) (C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 31 bis 34).


29      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2021, Hauptzollamt B (Fakultative Steuerermäßigung) (C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), und die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Hauptzollamt B (Fakultative Steuerermäßigung) (C‑100/20, EU:C:2021:387, Nrn. 73 und 74).


30      Urteile vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 9. September 2021, Hauptzollamt B (Fakultative Steuerermäßigung) (C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 32 bis 34).