Language of document : ECLI:EU:C:2022:847

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 27. Oktober 2022(1)

Rechtssache C522/21

MS

gegen

Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Sortenschutz – Verordnung (EG) Nr. 2100/94 – Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 – Art. 94 Abs. 2 – Verletzung – Schadensersatzanspruch – Verordnung (EG) Nr. 1768/95 – Art. 18 Abs. 2 – Ersatz des Schadens – Auf der Grundlage der vierfachen Lizenzgebühr berechneter Pauschalbetrag – Befugnis der Kommission – Beurteilung der Gültigkeit“






I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer Vereinigung von Sortenschutzberechtigten und einem Landwirt über die Berechnung der Höhe des Schadens, der infolge des unberechtigten Nachbaus einer geschützten Sorte durch den Landwirt entstanden ist.

2.        Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95(2) (im Folgenden: streitige Bestimmung), der einen pauschalen Mindestschadensersatzbetrag festlegt, im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94(3) gültig ist.

3.        Da die Zweifel des Gerichts auf die Auslegung dieser Vorschrift der Verordnung Nr. 2100/94 durch den Gerichtshof zurückzuführen sind, gibt der vorliegende Fall dem Gerichtshof die Gelegenheit, diese Auslegung noch einmal zu überprüfen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Verordnung Nr. 2100/94

4.        In Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen)“ Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 2100/94 heißt es:

(1)      Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im folgenden ‚Inhaber‘ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.

(2)      Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte – beides im Folgenden ‚Material‘ genannt – der Zustimmung des Inhabers:

a)      Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung),

Der Inhaber kann seine Zustimmung von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.

(3)      Auf Erntegut findet Absatz 2 nur Anwendung, wenn es dadurch gewonnen wurde, dass Sortenbestandteile der geschützten Sorte ohne Zustimmung verwendet wurden, und wenn der Inhaber nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den genannten Sortenbestandteilen geltend zu machen.“

5.        Art. 14 („Abweichung vom gemeinschaftlichen Sortenschutz“) dieser Verordnung lautet:

(1)      Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 2 können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf.

(2)      Absatz 1 gilt nur für folgende landwirtschaftliche Pflanzenarten:

b)      Getreide:

Hordeum vulgare L. – Gerste

(3)      Die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts werden vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einer Durchführungsordnung gemäß Artikel 114 nach Maßgabe folgender Kriterien festgelegt:

–        Es gibt keine quantitativen Beschränkungen auf der Ebene des Betriebs des Landwirts, soweit es für die Bedürfnisse des Betriebs erforderlich ist;

–        das Ernteerzeugnis kann von dem Landwirt selbst oder mittels für ihn erbrachter Dienstleistungen für die Aussaat vorbereitet werden, und zwar unbeschadet einschränkender Bestimmungen, die die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Art und Weise, in der dieses Ernteerzeugnis für die Aussaat vorbereitet wird, festlegen können, insbesondere um sicherzustellen, dass das zur Vorbereitung übergebene Erzeugnis mit dem aus der Vorbereitung hervorgegangenen Erzeugnis identisch ist;

–        Kleinlandwirte sind nicht zu Entschädigungszahlungen an den Inhaber des Sortenschutzes verpflichtet. Als Kleinlandwirte gelten

–        andere Landwirte sind verpflichtet, dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird [(im Folgenden: Lizenzerzeugung)]; die tatsächliche Höhe dieser angemessenen Entschädigung kann im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen, wobei berücksichtigt wird, inwieweit von der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 in Bezug auf die betreffende Sorte Gebrauch gemacht wird;

–        verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Artikels oder der aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen sind ausschließlich die Inhaber des Sortenschutzes; bei dieser Überwachung dürfen sie sich nicht von amtlichen Stellen unterstützen lassen;

–        die Landwirte sowie die Erbringer vorbereitender Dienstleistungen übermitteln den Inhabern des Sortenschutzes auf Antrag relevante Informationen; auch die an der Überwachung der landwirtschaftlichen Erzeugung beteiligten amtlichen Stellen können relevante Informationen übermitteln, sofern diese Informationen im Rahmen der normalen Tätigkeit dieser Stellen gesammelt wurden und dies nicht mit Mehrarbeit oder zusätzlichen Kosten verbunden ist. Die gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Bestimmungen über den Schutz von Personen bei der Verarbeitung und beim freien Verkehr personenbezogener Daten werden hinsichtlich der personenbezogenen Daten von diesen Bestimmungen nicht berührt.“

6.        Art. 94 („Verletzung“) der Verordnung sieht vor:

„(1)      Wer

a)      hinsichtlich einer Sorte, für die ein gemeinschaftlicher Sortenschutz erteilt wurde, eine der in Artikel 13 Absatz 2 genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein,

kann vom Inhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Vergütung oder auf beides in Anspruch genommen werden.

(2)      Wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt, ist dem Inhaber darüber hinaus zum Ersatz des weiteren aus der Verletzung entstandenen Schadens verpflichtet. Bei leichter Fahrlässigkeit kann sich dieser Anspruch entsprechend dem Grad der leichten Fahrlässigkeit, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist, vermindern.“

2.      Verordnung Nr. 1768/95

7.        Die Verordnung Nr. 1768/95 wurde aufgrund von Art. 114 der Verordnung Nr. 2100/94 erlassen.

8.        Art. 18 („Besondere privatrechtliche Klage“) Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmt:

„Hat der Betreffende im Hinblick auf eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers wiederholt vorsätzlich die Pflicht gemäß Artikel 14 Absatz 3 vierter Gedankenstrich der [Verordnung Nr. 2100/94] verletzt, so ist er gegenüber dem Sortenschutzinhaber zum Ersatz des weiteren Schadens gemäß Artikel 94 Absatz 2 der [Verordnung Nr. 2100/94] verpflichtet; diese Ersatzpflicht umfasst mindestens einen Pauschalbetrag, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrages der Gebühr berechnet wird, die … für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz … verlangt wird, unbeschadet des Ausgleichs eines höheren Schadens.“

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

9.        Die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV) ist eine Vereinigung von Sortenschutzberechtigten, die von Letzteren mit der Wahrnehmung ihrer Schutzrechte, insbesondere mit der Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen in eigenem Namen, betraut wurde.

10.      MS, Berufungskläger und Beklagter des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagter), ist Landwirt. Er wurde von der STV in erster Instanz u. a. auf Auskunft über den unberechtigten Nachbau bezüglich der unionsrechtlich geschützten Wintergerstensorte „KWS Meridian“, den er in den vier Wirtschaftsjahren 2012/2013 bis 2015/2016 betrieben hatte, in Anspruch genommen.

11.      Der Beklagte legte erstmals in dem von der STV gegen ihn eingeleiteten gerichtlichen Verfahren Zahlen zur Aufbereitung dieses Saatguts für die betreffenden vier Wirtschaftsjahre vor. Danach betrug der Umfang jeweils 24,5, 26, 34 und 45,4 Dezitonnen (dt).

12.      Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils zahlte der Beklagte nachträglich gemäß Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 den für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 für die Lizenzerzeugung geschuldeten Durchschnittsbetrag als  angemessene Vergütung(4).

13.      Die STV verlangte als Entschädigung gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit der streitigen Bestimmung für die Wirtschaftsjahre 2013/2014, 2014/2015 und 2015/2016 die Zahlung eines weiter gehenden Schadensersatzes in Höhe der vierfachen pauschalen Gebühr für die Lizenzerzeugung(5), abzüglich der vom Beklagten nachträglich entrichteten „einfachen“ Lizenzgebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte.

14.      Der Beklagte stellte in Abrede, dass der STV ein Anspruch auf eine solche Zahlung zustehe. Der durch sein unerlaubtes Verhalten bei der STV eingetretene Schaden sei durch die Zahlung der „einfachen“ Lizenzgebühr gemäß Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1768/95 an Stelle der Nachbaugebühr kompensiert worden. Ein zusätzlicher pauschalierter Strafschadensersatz sei mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vereinbar.

15.      Mit Urteil vom 4. Dezember 2020 gab das Landgericht Kaiserslautern (Deutschland) der Klage der STV unter Bezugnahme auf den „eindeutigen Wortlaut“ der streitigen Bestimmung im Wesentlichen(6) statt.

16.      Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken (Deutschland) ein. Nach seiner Ansicht ist die streitige Bestimmung nicht mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 vereinbar und deshalb für ungültig zu erklären. Dieser Art. 94 Abs. 2 sei nämlich nicht so zu verstehen, dass er zugunsten des Sortenschutzinhabers die Festlegung eines pauschalierten Strafschadensersatzes, hier in Form einer vierfachen Lizenzgebühr, erlaube, sondern in dem Sinne, dass der Umfang des Schadensersatzes möglichst genau den Schäden entsprechen müsse, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung seines Rechts entstanden seien.

17.      Nach Meinung der STV verstößt die streitige Bestimmung nicht gegen Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die Festlegung eines pauschalierten Mindestschadens in Höhe der vierfachen „einfachen“ Lizenzgebühr stelle in Anbetracht der wiederholten und vorsätzlichen Verletzung ihrer Rechte als Sortenschutzinhaberin einen gebotenen und vernünftigen Interessenausgleich dar.

18.      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, seine Entscheidung hänge ausschließlich davon ab, ob die streitige Bestimmung gültig sei. Diese Bestimmung, mit der die Europäische Kommission eine pauschalierte Mindestentschädigung in Höhe einer vierfachen Lizenzgebühr festgelegt habe, könnte gegen Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 verstoßen und deshalb nichtig sein.

19.      Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 diene dem Ausgleich des Vorteils, der dem Verletzer – d. h. dem Landwirt, der nicht unter die Ausnahme vom Sortenschutz der Union gemäß Art. 14 dieser Verordnung falle – erwachsen sei, indem er eine angemessene Vergütung vorsehe, die einem Betrag in Höhe der „einfachen“ Lizenzgebühr entspreche. In diesem Kontext sei Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 möglicherweise dahin zu verstehen, dass der Sortenschutzinhaber bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung einen Anspruch auf Ersatz eines weiter gehenden Schadens nur haben solle, wenn er Letzteren konkret darlegen könne.

20.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs deute darauf hin, dass eine grundsätzliche Pauschalierung einer Mindestentschädigung mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht zu vereinbaren sei(7). Eine Durchführungsverordnung, die aufgrund einer Ermächtigung in einer Grundverordnung erlassen worden sei, dürfe von deren Bestimmungen, aus denen sie sich ableite, nicht abweichen und sei bei entsprechendem Widerspruch für ungültig zu erklären(8).

21.      Unter diesen Umständen hat das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken mit Beschluss vom 18. August 2021, der am 24. August 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die streitige Bestimmung, soweit unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mindestschadensersatz in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr verlangt werden kann, mit der Verordnung Nr. 2100/94, insbesondere mit deren Art. 94 Abs. 2 Satz 1, vereinbar?

22.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Parteien und die Kommission haben in der Sitzung vom 14. Juli 2022 auch mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Rechtliche Würdigung

23.      Vor einer Beurteilung der Gültigkeit der streitigen Bestimmung ist die Zulässigkeit der Vorlagefrage zu prüfen.

A.      Zulässigkeit

24.      Vor Eintritt in die Sachprüfung weist die Kommission, ohne allerdings die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens offen zu rügen, in ihren Erklärungen darauf hin, dass die Umstände des Ausgangsverfahrens, wie sie sich aus dem Vorlagebeschluss ergäben, nicht ganz klar seien. Es sei zweifelhaft, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 – insbesondere die Verwendung des Ernteerzeugnisses einer geschützten Sorte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau und im eigenen Betrieb – in den Wirtschaftsjahren 2013/2014 bis 2015/2016, in denen der Beklagte die fragliche geschützte Sorte angebaut habe, erfüllt gewesen seien. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre die Vorlagefrage nach der Gültigkeit der streitigen Bestimmung nicht entscheidungserheblich. Dies könne jedoch nur das vorlegende Gericht beurteilen, dem es obliege, alle erheblichen Tatsachen festzustellen.

25.      Ich möchte daran erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung allein das vorlegende Gericht für die Feststellung und die Würdigung des Sachverhalts des ihm vorliegenden Rechtsstreits zuständig ist, weshalb der Gerichtshof seine Prüfung grundsätzlich auf die ihm vom nationalen Gericht vorgelegten Beurteilungsfaktoren zu beschränken und sich somit an die Lage zu halten hat, die dieses Gericht als feststehend ansieht, und nicht an Annahmen gebunden sein kann, die von einer der Parteien des Ausgangsverfahrens vertreten werden(9).

26.      Es steht auch fest, dass für Vorabentscheidungsersuchen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt(10). Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(11).

27.      So verhält es sich im vorliegenden Fall aber nicht.

28.      Zwar hat das vorlegende Gericht nicht dargelegt, aus welchen Gründen Art. 14 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 2100/94 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist. Weder der Beklagte noch die STV stellen jedoch in Abrede, dass diese Vorschrift und grundsätzlich auch die streitige Bestimmung im vorliegenden Fall Anwendung finden.

29.      Außerdem lässt die Formulierung der Vorlagefrage darauf schließen, dass das vorlegende Gericht nicht die Anwendbarkeit der streitigen Bestimmung, sondern nur deren Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 2100/94 und insbesondere mit deren Art. 94 Abs. 2 Satz 1 bezweifelt.

30.      Im Übrigen stellt die STV klar, es sei unstreitig, dass der Beklagte insbesondere in den Wirtschaftsjahren 2013/2014 bis 2015/2016 im eigenen Betrieb Vermehrungsmaterial der von ihm selbst erzeugten Wintergerstensorte „KWS Meridian“ wiederverwendet habe, ohne die Nachbaubedingungen erfüllt zu haben.

31.      Daher steht meines Erachtens die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens außer Zweifel.

B.      Beantwortung der Vorlagefrage

32.      Zur Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage des vorlegenden Gerichts werde ich zunächst klären, welches Verhältnis zwischen dem Grundsatz, wonach u. a. für die Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung) von Sortenbestandteilen oder Erntegut einer geschützten Sorte die Zustimmung des Inhabers des Sortenschutzes der Union eingeholt werden muss, und der Befreiung von diesem Zustimmungserfordernis besteht, und mich dann unter Berücksichtigung dieses Verhältnisses der eigentlichen Gültigkeitsprüfung der streitigen Bestimmung zuwenden.

1.      Allgemeine Erwägungen zum Verhältnis zwischen der erforderlichen Zustimmung des Inhabers des Sortenschutzes der Union und der Befreiung von diesem Zustimmungserfordernis

33.      Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 2100/94 bedarf es u. a. für die Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung) von Sortenbestandteilen oder Erntegut einer geschützten Sorte der Zustimmung des Inhabers des Sortenschutzes der Union(12).

34.      Fehlt es an einer solchen Zustimmung, kann der Sortenschutzinhaber nach Art. 94 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2100/94 die Person, die eine solche Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung) vorgenommen hat, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, u. a. auf Zahlung einer angemessenen Vergütung in Anspruch nehmen. Hat diese Person die erforderliche Zustimmung vorsätzlich oder fahrlässig nicht eingeholt, steht dem Sortenschutzinhaber außerdem nach Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung ein Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens zu(13).

35.      Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 sieht zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung jedoch eine Ausnahme vom Sortenschutz der Union vor, die allgemein als „Landwirteprivileg“ bezeichnet wird(14). Nach dieser Vorschrift dürfen Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer geschützten Sorte gewonnen haben, die in der Liste der in Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung aufgeführten landwirtschaftlichen Pflanzenarten enthalten ist, wozu das im vorliegenden Fall relevante Getreide „Hordeum vulgare L. – Gerste“ gehört.

36.      Um das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der erforderlichen Zustimmung des Sortenschutzinhabers und den Bedingungen für die Ausnahme von diesem Grundsatz zu klären, werde ich mich zunächst mit den Bedingungen befassen, die der Landwirt erfüllen muss, um die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 in Anspruch nehmen zu können, insbesondere mit der Bedingung der Zahlung einer „angemessenen Entschädigung“, sowie damit, wie Letztere sich von der „angemessenen Vergütung“ gemäß Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung unterscheidet. Sodann werde ich die in der Verordnung Nr. 1768/95 vorgesehenen Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 im Einzelnen erörtern.

a)      Bedingungen gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94

37.      Die Ausnahme vom Sortenschutz der Union unterliegt den in Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 aufgestellten Bedingungen(15). Das Landwirteprivileg gilt also nicht, wenn der Landwirt diese Bedingungen nicht erfüllt. Diese „werden … in [der Verordnung Nr. 1768/95] gemäß Artikel 114“ der Verordnung Nr. 2100/94 nach Maßgabe mehrerer in Art. 14 Abs. 3 dieser Verordnung aufgeführter Kriterien für die Wirksamkeit der genannten Ausnahmeregelung sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts festgelegt(16).

38.      Zu diesen Kriterien gehört gemäß Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 die Verpflichtung der Landwirte, dem Sortenschutzinhaber eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die nach dem Wortlaut dieser Vorschrift „deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der … für die Erzeugung … in Lizenz verlangt wird“.

39.      Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich ein Landwirt, der dem Sortenschutzinhaber keine angemessene Entschädigung zahlt, wenn er das durch Nachbau gewonnene Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte nutzt(17), nicht auf Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 berufen kann, weshalb davon auszugehen ist, dass er eine der in Art. 13 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein(18). Dies bedeutet, dass ihm das Landwirteprivileg nicht zusteht und er, einfach gesagt, „wieder bei null beginnen muss“. Mit anderen Worten: Werden beim Nachbau die Kriterien des Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht eingehalten, findet die Ausnahmeregelung keine Anwendung, mit der Folge, dass der Nachbau die Rechte des Sortenschutzinhabers aus Art. 13 Abs. 2 dieser Verordnung verletzt.

40.      Gegebenenfalls unterliegt der Landwirt Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94(19). Er muss also damit rechnen, vom Sortenschutzinhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Vergütung oder auf beides in Anspruch genommen zu werden. Handelt der Landwirt vorsätzlich oder fahrlässig, hat er darüber hinaus dem Sortenschutzinhaber den entstandenen Schaden zu ersetzen(20).

41.      Ich halte es für angebracht, an dieser Stelle auf den Unterschied zwischen dem Begriff der angemessenen Entschädigung in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 und dem Begriff der angemessenen Vergütung in Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung hinzuweisen. In der Tat hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass diesen beiden Vorschriften trotz der Ähnlichkeit der darin verwendeten Begriffe nicht der gleiche Gedanke zugrunde liegt(21). Während mit der „angemessenen Entschädigung“ im Sinne von Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1768/95 ein Ausgleich zwischen den gegenseitigen legitimen Interessen der Landwirte und der Sortenschutzinhaber geschaffen werden soll, zielt Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94, dessen Wortlaut nicht danach unterscheidet, wer die Verletzung begeht, speziell auf die Zahlung einer angemessenen Vergütung im Kontext einer Verletzungsklage ab(22).

42.      Infolgedessen kann – so der Gerichtshof – das Entgelt für berechtigten Nachbau im Sinne von Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht als Berechnungsgrundlage für die in Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene angemessene Vergütung herangezogen werden(23). Jede andere Auslegung könnte nämlich weder das Ziel dieser Verordnung noch deren praktische Wirksamkeit gewährleisten(24). Ich werde später auf diesen Aspekt zurückkommen, dem bei der Prüfung der Vorlagefrage besondere Bedeutung zukommt(25).

b)      Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Bedingungen für die Wirksamkeit des Landwirteprivilegs: Verordnung Nr. 1768/95

43.      Bei der in Art. 114 der Verordnung Nr. 2100/94 genannten Verordnung handelt es sich um die Verordnung Nr. 1768/95(26). Die Verordnung Nr. 1768/95 enthält nach ihrem Art. 1 die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94(27).

44.      Die Verordnung Nr. 1768/95 enthält insbesondere zum einen Vorschriften, anhand deren die Höhe der angemessenen Entschädigung bestimmt werden kann (Art. 5 dieser Verordnung)(28), und legt zum anderen den Zeitpunkt fest, zu dem die individuelle Pflicht zur Zahlung dieser Entschädigung an den Sortenschutzinhaber nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 entsteht, nämlich dann, wenn der Landwirt das Erntegut zu Vermehrungszwecken im Feldanbau tatsächlich nutzt (Art. 6 der Verordnung Nr. 1768/95).

45.      Die Verordnung Nr. 1768/95 sieht in ihrem Art. 18 auch eine besondere privatrechtliche Klage für den Fall vor, dass die Bedingungen für das Landwirteprivileg nicht eingehalten werden.

46.      So enthält die streitige Bestimmung die Regelung, wonach bei einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Zahlung der in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen angemessenen Entschädigung im Hinblick auf eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers die Pflicht zum Ersatz des dem Inhaber entstandenen weiteren Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung mindestens einen Pauschalbetrag umfasst, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrags der für die Lizenzerzeugung verlangten Gebühr berechnet wird, unbeschadet des Ausgleichs eines höheren Schadens.

47.      Das vorlegende Gericht fragt also nach der Gültigkeit dieser Bestimmung, die ich im Licht der vorstehenden allgemeinen Erwägungen prüfen werde.

2.      Kontrolle der Gültigkeit

48.      Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die streitige Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 ungültig ist, soweit sie für den Fall einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Zahlung einer „angemessenen Entschädigung“ nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung für den dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schaden eine Mindestentschädigung in Höhe des vierfachen für die Lizenzerzeugung verlangten Durchschnittsbetrags vorsieht.

49.      Im Rahmen dieser Prüfung werde ich zunächst darlegen, weshalb das Vorbringen des Beklagten, die Kommission sei nicht befugt gewesen, die streitige Bestimmung zu erlassen, zurückzuweisen ist. Sodann werde ich im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs den Regelungsgehalt von Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 erörtern, hinsichtlich dessen das vorlegende Gericht die Frage nach der Gültigkeit der streitigen Bestimmung gestellt hat. Daraus werde ich zuletzt die für die Beantwortung der Frage relevanten Schlüsse ziehen.

a)      Befugnis der Kommission zum Erlass der streitigen Bestimmung

50.      Nach Ansicht des Beklagten fehlte es der Kommission an der Befugnis zum Erlass der streitigen Bestimmung und somit zur Festlegung der gemäß Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 zu zahlenden angemessenen Vergütung.

51.      Diese Ansicht teile ich nicht.

52.      Die Beurteilung der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof hat im Rahmen der ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage zu erfolgen(29).

53.      Im vorliegenden Fall geht diese Frage dahin, ob die streitige Bestimmung insbesondere mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 zu vereinbaren ist. Indem der Beklagte die Befugnis der Kommission zum Erlass der streitigen Bestimmung in Abrede stellt, versucht er folglich, die Frage des vorlegenden Gerichts zu erweitern(30).

54.      Im Übrigen ist die Prüfung der Gültigkeit der streitigen Bestimmung, um die das vorlegende Gericht den Gerichtshof ersucht, offensichtlich unter Berücksichtigung der Art und des Gegenstands dieses Rechtsakts vorzunehmen, dessen Rechtsgrundlage, wie in Nr. 7 der vorliegenden Schlussanträge erwähnt, Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 ist(31). In diesem Zusammenhang ermächtigt Art. 114 der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit deren Art. 14 Abs. 3 die Kommission zum Erlass von Vorschriften zur Durchführung der in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Ausnahmeregelung(32).

55.      Die Kommission ist daher befugt, auf der Grundlage dieser Bestimmungen eine Durchführungsverordnung wie die Verordnung Nr. 1768/95 zu erlassen, um die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 und für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts festzulegen. Was insoweit den Zweck und die Begründung der Verordnung Nr. 1768/95 angeht, so ergibt sich aus deren Erwägungsgründen 2, 3, 10 und 11, dass diese Verordnung solche Bedingungen festlegen sowie den Zusammenhang zwischen dem Recht des Sortenschutzinhabers und den aus Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 abgeleiteten Rechten einerseits und der dem Landwirt und seinem Betrieb erteilten Ermächtigung andererseits regeln soll.

56.      Da durch die Verordnung Nr. 1768/95 auch die in Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 genannten Kriterien für die Wirksamkeit der in Rede stehenden Ausnahmeregelung sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts präzisiert werden sollen, ist noch zu klären, ob die Kommission – so die Frage des vorlegenden Gerichts – dadurch, dass sie in der streitigen Bestimmung für den dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schaden eine Mindestentschädigung in Höhe des vierfachen für die Lizenzerzeugung verlangten Durchschnittsbetrags vorgesehen hat, den Regelungsgehalt von Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof verkannt hat.

57.      Hierfür scheint es mir erforderlich, kurz auf die einschlägige Rechtsprechung zu Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 einzugehen.

b)      Rechtsprechung zu Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94: Urteil Hansson

58.      Ich halte das Urteil Hansson(33) für einen Präzedenzfall, auf den sich der Gerichtshof zur Beantwortung der Vorlagefrage zielführend stützen kann. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, nach welchen Grundsätzen die gemäß Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 zu zahlenden Vergütungen und Entschädigungen festzusetzen und zu berechnen waren.

1)      Natur der Ersatzleistungen

59.      Zur Natur der nach Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 geschuldeten Ersatzleistungen hat der Gerichtshof erstens entschieden, dass Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung, wie aus dessen Wortlaut hervorgeht, ausschließlich den Ersatz des Schadens regelt, der dem Inhaber eines Sortenschutzrechts der Union durch eine die Sorte verletzende Handlung entstanden ist(34).

60.      Der Gerichtshof hat zum einen ausgeführt, dass Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 zum Ausgleich des Vorteils dient, den der Verletzer aus der Verletzung gezogen hat und der dem Betrag der von ihm nicht entrichteten Gebühr entspricht(35). Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass diese Bestimmung nicht den Ersatz anderer als der mit der unterbliebenen Zahlung der angemessenen Vergütung im Sinne dieser Bestimmung zusammenhängenden Schäden vorsieht(36). Zum anderen hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung den „weiteren“ Schaden betrifft, den der Verletzer dem Inhaber darüber hinaus zu ersetzen hat, wenn die Verletzung „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen wurde(37).

61.      Nach Ansicht des Gerichtshofs begründet Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 folglich zugunsten des Inhabers des Sortenschutzrechts der Union einen Entschädigungsanspruch, „der nicht nur vollständig ist, sondern zudem auf einer objektiven Grundlage beruht, denn er erfasst allein den Schaden, der dem Inhaber aus der Verletzungshandlung entstanden ist“(38). Der Gerichtshof hat daher in Anlehnung an die Schlussanträge von Generalanwalt Saugmandsgaard Øe(39) ausgeführt, dass diese Vorschrift nicht so auszulegen ist, dass der Sortenschutzinhaber auf dieser Rechtsgrundlage die Verurteilung des Verletzers zu einem pauschal festgesetzten Strafschadensersatz erwirken könnte. Vielmehr muss laut Gerichtshof der Umfang des nach dieser Vorschrift zu zahlenden Schadensersatzes möglichst genau den Schäden entsprechen, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung entstanden sind(40).

62.      Der Gerichtshof hat zweitens unter Berufung auf die Erwägungsgründe 17 und 26 der Richtlinie 2004/48/EG(41) sowie auf deren Art. 13 Abs. 1(42) entschieden, dass diese Auslegung im Einklang mit den Zielen dieser Richtlinie steht, mit der ein Mindeststandard für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen festgeschrieben wird(43).

2)      Modalitäten der Festsetzung der Entschädigungen: Umfang des Schadensersatzes

63.      Zum Umfang des Schadensersatzes gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 hat der Gerichtshof entschieden, dass der Inhaber der verletzten Sorte Nachweise dafür beibringen muss, dass sein Schaden über das hinausgeht, was von der angemessenen Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung gedeckt ist(44). Der Gerichtshof hat insoweit den Umfang der Entschädigung unter Hinweis darauf definiert, dass der Betrag der für die Lizenzerzeugung zu zahlenden üblichen Gebühr für sich allein nicht als Grundlage für die Bemessung dieses Schadens dienen kann. Diese Gebühr ermöglicht nämlich die Berechnung der angemessenen Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 der Verordnung und steht nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit dem noch offenen Schaden, dessen Ersatz in Art. 94 Abs. 2 der Verordnung vorgesehen ist(45).

64.      Insoweit hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass zum einen die Umstände, mit denen bei der Berechnung der angemessenen Vergütung eine Erhöhung der für die Lizenzerzeugung zu zahlenden üblichen Gebühr gerechtfertigt wurde, im Rahmen des Schadensersatzes nach Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht ein zweites Mal in Ansatz gebracht werden dürfen(46). Zum anderen hat er entschieden, dass es Sache des angerufenen Gerichts ist, zu beurteilen, inwieweit die vom Inhaber der verletzten Sorte geltend gemachten Schäden genau nachgewiesen werden können oder ob ein Pauschalbetrag festzusetzen ist, der den tatsächlichen Verhältnissen in Bezug auf diese Schäden möglichst nahekommt(47).

c)      Zweifel an der Gültigkeit der streitigen Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof

65.      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob unter Schadensaspekten eine in der streitigen Bestimmung vorgesehene grundsätzliche Verallgemeinerung des Mindestpauschalbetrags in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof vereinbar ist.

1)      Vorbringen des Beklagten, der STV und der Kommission

66.      Der Beklagte macht geltend, die streitige Bestimmung, zumindest aber deren zweiter Halbsatz, sei nichtig und könne ohne Weiteres – unter Aufrechterhaltung der übrigen Verordnung Nr. 1768/95 – aufgehoben oder für ungültig erklärt werden. Der erste Halbsatz dieser Bestimmung beschränke die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens nach Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 auf Fälle, in denen „eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers“ nachgebaut würden. Eine solche Beschränkung der Reichweite und des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift finde in deren Wortlaut und Regelungsgehalt keine Stütze, so dass auch der erste Halbsatz rechtswidrig und aufzuheben sei.

67.      Die STV ist der Ansicht, die streitige Bestimmung sei von der Kommission in Übereinstimmung mit den Zielen und Leitlinien der Verordnung Nr. 2100/94 wirksam erlassen worden und daher nicht für ungültig zu erklären. Es sei auch unstreitig, dass der Beklagte vorsätzlich und ohne Zustimmung des Inhabers eines Sortenschutzrechts der Union gehandelt habe. Die Voraussetzungen des Art. 94 Abs. 2 und des Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit der streitigen Bestimmung seien somit unstreitig erfüllt.

68.      Nach Ansicht der Kommission ist die streitige Bestimmung mit den Vorgaben der Verordnung Nr. 2100/94 vereinbar, soweit unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mindestschadensersatz in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr verlangt werden könne.

69.      Im Einzelnen rechtfertigt die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen die Anwendung des in der streitigen Bestimmung vorgesehenen Mindestpauschalbetrags damit, dass in den Fällen, in denen der Nachbau einer geschützten Sorte nicht vom Landwirteprivileg gedeckt sei, d. h. bei einer unberechtigten Wiederaussaat, die verweigerte Zahlung der unter der üblichen Lizenzgebühr liegenden angemessenen Entschädigung einen „Missbrauch“ dieses Privilegs darstelle, der nicht nur einen Anspruch auf Zahlung dieser Lizenzgebühr gemäß Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94, sondern auch einen solchen auf Ersatz des entstandenen Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung begründe. Dieser Schadensersatz müsse dann bei wiederholtem und vorsätzlichem Missbrauch in der Mindesthöhe geleistet werden, wie sie in der streitigen Bestimmung vorgeschrieben sei(48).

70.      Da die Vorschrift über das Landwirteprivileg in Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 den komplexen Interessenausgleich zwischen Sortenschutzinhabern und Landwirten regle, sei es angemessen, die Rechtsverletzung durch einen Landwirt, dem dieses Privileg zugutekomme, der aber wiederholt und vorsätzlich die Pflicht zur Zahlung einer unter der üblichen Lizenzgebühr liegenden angemessenen Entschädigung missachte (Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung), strenger zu ahnden als den „einfachen“ Fall, in dem eine zustimmungsbedürftige Handlung vorsätzlich oder fahrlässig ohne Zustimmung vorgenommen werde (Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung)(49). Tatsächlich entspreche der streitige pauschalierte Mindestbetrag einer Standardbehandlung der den Sortenschutzinhabern üblicherweise entstandenen Mindestschäden.

71.      In diesem Zusammenhang hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa(50) verwiesen, in dem der Gerichtshof entschieden habe, Art. 13 der Richtlinie 2004/48 sei dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, wonach der Inhaber eines verletzten Rechts des geistigen Eigentums von der Person, die dieses Recht verletzt habe, entweder die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens – bei der sämtliche für den Anlassfall maßgebenden Aspekte zu berücksichtigen seien – oder, ohne den tatsächlichen Schaden nachweisen zu müssen, die Zahlung einer Geldsumme verlangen könne, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspreche, die für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre.

72.      Die Kommission hat außerdem in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, das Ziel, eine Balance zwischen den Interessen der Inhaber von Sortenschutzrechten und den Interessen der Landwirte herzustellen, sei vor allem deshalb schwer zu erreichen, weil die unberechtigte Wiederaussaat im Betrieb des Landwirts stattfinde, weshalb die Sortenschutzinhaber nur schwer die Nutzung der geschützten Sorten kontrollieren könnten. Unter diesen Umständen müssten hinreichend starke Anreize geboten werden, um insbesondere zu vermeiden, dass Landwirte, welche die ihnen gegenüber dem Sortenschutzinhaber obliegende Pflicht zur Zahlung der angemessenen Entschädigung gemäß Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 missachteten, besser behandelt würden als Landwirte, die diese Pflicht erfüllten. Dies gelte umso mehr, als nach Art. 14 Abs. 3 fünfter Gedankenstrich dieser Verordnung allein die Sortenschutzinhaber dafür verantwortlich seien, die Verwendung der geschützten Sorten im Rahmen des genehmigten Nachbaus zu kontrollieren, so dass sie auf den guten Willen und die Mitarbeit der betroffenen Landwirte angewiesen seien.

2)      Würdigung

73.      Als Erstes ist das Vorbringen zur Angemessenheit des fraglichen Mindestpauschalbetrags zurückzuweisen, und zwar aus den folgenden Gründen.

74.      Nach der streitigen Bestimmung umfasst der Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen weiteren Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 mindestens einen Pauschalbetrag, der auf der Grundlage des vierfachen Durchschnittsbetrags der für die Lizenzerzeugung verlangten Gebühr berechnet wird, unbeschadet des Ausgleichs eines höheren Schadens.

75.      Erfüllt der Landwirt die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 und entrichtet insbesondere die angemessene Entschädigung für ein Wirtschaftsjahr, zahlt er im Wesentlichen 50 % der für die Lizenzerzeugung verlangten Gebühr(51), während er, wenn er diese Voraussetzungen nicht erfüllt(52) und falls die streitige Bestimmung eingreift(53), im Wesentlichen einen Mindestpauschalbetrag in Höhe von 400 % der für diese Lizenzerzeugung verlangten Gebühr, d. h. viermal 100 % des berechneten Durchschnittsbetrags zahlt, was im Wesentlichen dem Achtfachen der nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 zu zahlenden angemessenen Entschädigung entspricht, und zwar für jedes in Rede stehende Wirtschaftsjahr(54).

76.      Zwar lässt sich dieser Mindestpauschalbetrag in der Logik der Kommission „technisch“(55) damit begründen, dass das Entgelt für berechtigten Nachbau, wenn der Landwirt unter die Ausnahmeregelung des Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 fällt, nicht als Berechnungsgrundlage für die in Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene „angemessene Vergütung“ herangezogen werden kann(56) und der Landwirt daher bei einer unberechtigten Wiederaussaat 100 % der für die Lizenzerzeugung geschuldeten Gebühr als angemessene Vergütung gemäß dieser Vorschrift zu zahlen hat.

77.      Angesichts des Regelungsgehalts von Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 sowie aufgrund der Erkenntnisse aus dem Urteil Hansson bin ich jedoch der Auffassung, dass ein solcher Mindestpauschalbetrag mit dieser Vorschrift unvereinbar ist.

78.      Erstens hat der Gerichtshof im Urteil Hansson ausgeführt, dass diese Bestimmung auf den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber aus einer Verletzung entstandenen Schadens abzielt(57), und diese Entschädigung als einen „objektiven und vollständigen Ersatz dieses Schadens“ charakterisiert. Er hat darauf hingewiesen, dass der Sortenschutzinhaber, um diesen Schadensersatz zu erhalten, nachweisen muss, dass „sein Schaden über das hinausgeht, was von der angemessenen Vergütung nach [Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung] gedeckt ist“(58).

79.      Zweitens ergibt sich aus dem Urteil Hansson(59), dass es Sache des angerufenen Gerichts ist, zu beurteilen, ob die vom Inhaber der verletzten Sortenschutzrechte geltend gemachten Schäden „genau“ nachgewiesen werden können oder ob „ein Pauschalbetrag festzusetzen“ ist. Wenn der Gerichtshof in diesem Urteil also zulässt, dass das angerufene Gericht den Schadensersatz gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in pauschalierter Form festsetzen kann, ist es meines Erachtens doch offensichtlich, dass die entsprechende Entscheidung diesem Gericht zusteht und dass dieser Schadensersatz auf jeden Fall „möglichst genau den Schäden entsprechen [muss], die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung entstanden sind“(60). Daher ist Art. 94 dieser Verordnung dem Gerichtshof zufolge dahin auszulegen, dass „der Schadensersatzanspruch, der dem Inhaber einer geschützten Pflanzensorte aus deren Verletzung nach dieser Vorschrift zusteht, den gesamten ihm entstandenen Schaden umfasst, ohne dass auf der Grundlage dieses Artikels ein pauschaler Verletzerzuschlag angesetzt … werden kann“(61).

80.      Hingegen braucht der Inhaber der verletzten Sortenschutzrechte, wie die Kommission auf eine Frage des Gerichtshofs selbst erklärt hat, wenn die streitige Bestimmung Anwendung findet, nicht den genauen Umfang des erlittenen Schadens, sondern nur die wiederholte vorsätzliche Verletzung seiner Rechte nachzuweisen. Dieser Inhaber muss allerdings, wie ich bereits dargelegt habe, beweisen, dass sein Schaden über das hinausgeht, was von der angemessenen Vergütung gedeckt ist, während es Sache des angerufenen Gerichts ist, den genauen Umfang des erlittenen Schadens zu beurteilen bzw. gegebenenfalls einen Pauschalbetrag festzusetzen(62).

81.      Es wäre daher nicht mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof zu vereinbaren, wenn der Betrag der für die Lizenzerzeugung zu zahlenden üblichen Gebühr, d. h. 100 % dieser Gebühr, als Grundlage für die Bemessung des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens herangezogen und gemäß der streitigen Bestimmung mit vier multipliziert würde, denn diese Gebühr dient der Berechnung der angemessenen Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung und steht nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit dem vom Sortenschutzinhaber erlittenen Schaden, dessen Ersatz in Art. 94 Abs. 2 der Verordnung geregelt ist(63).

82.      Der Gerichtshof hat im Urteil Hansson auch die Möglichkeit einer Auslegung von Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 mit dem Ziel, „auf dieser Rechtsgrundlage die Verurteilung des Verletzers zu einem pauschal festgesetzten Strafschadensersatz [zu] erwirken“, abgelehnt(64). Vielmehr muss der Umfang des nach dieser Vorschrift zu zahlenden Schadensersatzes – so der Gerichtshof – „möglichst genau den Schäden entsprechen, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung entstanden sind“(65).

83.      Mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof wäre daher auch die Annahme eines für die streitige Bestimmung maßgeblichen Postulats unvereinbar, wonach die Höhe des Schadensersatzes des Sortenschutzinhabers mindestens das Vierfache des Durchschnittsbetrags der für die Lizenzerzeugung verlangten Gebühr betragen müsse. Entgegen dem Vorbringen der Kommission würde ein solches Postulat die Gewährung von Strafschadensersatz bewirken, denn mit der erstgenannten Vorschrift soll der Ersatz des „dem Inhaber … entstandenen Schadens“, und zwar ausschließlich des entstandenen Schadens, ermöglicht werden. Hierbei kann der Kommission meines Erachtens nicht gefolgt werden, soweit sie, wie in der mündlichen Verhandlung geschehen, geltend macht, diese Vorschrift entspreche einer typischen Standardbehandlung des den Sortenschutzinhabern üblicherweise entstandenen Mindestschadens(66).

84.      Als Zweites schließe ich aus der Verwendung des Adverbs „mindestens“ in der streitigen Bestimmung, dass das Gericht bei der Beurteilung des vom Inhaber der verletzten Sorte geltend gemachten Schadens für den Fall, dass es einen Pauschalbetrag festsetzen sollte, den Ersatz des erlittenen Schadens auf der Grundlage des von der Kommission in der Verordnung Nr. 1768/95 aufgestellten Postulats zu berechnen hat, wonach der Schadensersatz mindestens das Vierfache der Lizenzgebühr betragen muss(67). Im Übrigen hat die Kommission auf eine entsprechende Frage des Gerichtshofs anerkannt, dass das angerufene Gericht, selbst wenn der tatsächliche Schaden ohne Weiteres feststellbar und geringer als der in der streitigen Bestimmung festgelegte Mindestpauschalbetrag sei, bei einer wiederholten und vorsätzlichen Verletzung der Verpflichtungen aus der streitigen Bestimmung wegen deren Wortlaut diesen Betrag zwar erhöhen, aber keinesfalls herabsetzen dürfe.

85.      Das angerufene Gericht hätte somit, selbst wenn der vom Inhaber der verletzten Sortenschutzrechte geltend gemachte Schaden „genau“ nachgewiesen werden könnte, „ein[en] Pauschalbetrag festzusetzen“, obwohl eine solche Pauschalierung nicht erforderlich wäre. Für den Fall, dass dieser Schaden nicht genau nachweisbar wäre und das Gericht einen Pauschalbetrag festsetzen sollte, dürfte dieser zudem nicht geringer sein als der in der streitigen Bestimmung vorgesehene Mindestpauschalbetrag(68). Es ist offensichtlich, dass eine solche Einschränkung des Ermessensspielraums des angerufenen Gerichts nicht nur gegen Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof verstoßen(69), sondern auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen würde. Obwohl die Kommission de lege ferenda einen Mindestpauschalbetrag für die Lizenzgebühr vorsehen kann, sollte die diesbezügliche Bestimmung es dem Beklagten ermöglichen, sich gegen diesen Mindestpauschalbetrag zu wehren, der für das angerufene Gericht nicht verbindlich vorgeschrieben werden sollte.

86.      Als Drittes bin ich schließlich der Ansicht, dass die auf das Urteil Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa(70) gestützten Argumente für die Prüfung der hier in Rede stehenden Gültigkeitsfrage irrelevant sind. Denn die Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens unterscheiden sich meines Erachtens deutlich von denjenigen der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist.

87.      Zum einen räumt die Richtlinie 2004/48 den Mitgliedstaaten bei ihrer Umsetzung einen gewissen Ermessensspielraum ein und betrifft nicht nur die Rechte des geistigen Eigentums an Pflanzensorten, sondern sämtliche Rechte des geistigen Eigentums, einschließlich der gewerblichen Schutzrechte(71), so dass vielfältige und zahlreiche Verletzungen und Beeinträchtigungen dieser Rechte in Betracht kommen. Daher kann diese Richtlinie zwar, wie Generalanwalt Saugmandsgaard Øe dargelegt hat(72), gegebenenfalls einen relevanten Aspekt des Kontexts darstellen, der bei der Auslegung der Verordnung Nr. 2100/94 zu berücksichtigen ist; dabei dürfen jedoch nicht unter dem Deckmantel einer kontextabhängigen Auslegung der Verordnung unmittelbar anwendbare Rechte begründet werden, die in Letzterer gar nicht vorgesehen sind, sondern aus der Richtlinie übernommen werden.

88.      Zum anderen ging es, was noch gewichtiger ist, in der dem Urteil Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa(73) zugrunde liegenden Rechtssache um die Auslegung der Richtlinie 2004/48, während der Gerichtshof im vorliegenden Fall eine Frage nach der Gültigkeit einer Bestimmung der Verordnung Nr. 1768/95, nämlich der streitigen Bestimmung, zu prüfen hat, bei der es sich um eine Durchführungsmaßnahme handelt, die als solche mit der Verordnung Nr. 2100/94 und insbesondere mit deren Art. 94 Abs. 2 in Einklang stehen muss.

89.      Deshalb lässt Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 die Festlegung des in der streitigen Bestimmung vorgesehenen Mindestpauschalbetrags nicht zu. Der Regelungsgehalt der streitigen Bestimmung geht nämlich über den Regelungsgehalt dieses Art. 94 Abs. 2 hinaus. Ferner ist das Vorbringen der STV und der Kommission, wie die vorstehenden Nummern zeigen, nicht geeignet, die Auslegung der letztgenannten Vorschrift durch den Gerichtshof im Urteil Hansson zu entkräften.

90.      Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass die in der streitigen Bestimmung vorgesehene grundsätzliche Verallgemeinerung des Mindestpauschalbetrags des Schadensersatzes in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr nicht mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in der Auslegung durch den Gerichtshof vereinbar ist, auch wenn die streitige Bestimmung, wie die STV und die Kommission geltend machen, nur bei einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung vorgesehenen Pflicht zur Zahlung der angemessenen Entschädigung eingreift.

91.      Folglich hat die Kommission beim Erlass der streitigen Bestimmung die Grenzen ihrer Befugnis insbesondere im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 überschritten.

V.      Ergebnis

92.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz ist im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz ungültig, soweit diese Bestimmung für den Fall einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Zahlung der angemessenen Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 für den dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schaden eine Mindestentschädigung in Höhe des vierfachen Durchschnittsbetrags vorsieht, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Verordnung der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1995, L 173, S. 14).


3      Verordnung des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1994, L 227, S. 1).


4      Laut Vorlagebeschluss hat der Beklagte, da die einfache übliche Lizenzgebühr 11,95 Euro pro dt beträgt, an die STV 537,75 Euro (11,95 Euro x 45 dt) entrichtet.


5      Nämlich für diese ersten beiden Wirtschaftsjahre 932,10 Euro bzw. 1 218,90 Euro, was der vierfachen „pauschalen“ Lizenzgebühr abzüglich der nachträglich entrichteten „einfachen“ Lizenzgebühr in Höhe von 310,70 Euro (11,95 Euro x 26 dt) und 406,30 Euro (11,95 Euro x 34 dt) entspricht, also einen Gesamtbetrag von 2 151 Euro, und für das dritte Wirtschaftsjahr 1 613,25 Euro, was der vierfachen „pauschalen“ Lizenzgebühr abzüglich der „einfachen“ Lizenzgebühr entspricht.


6      Mit Ausnahme eines Betrags in Höhe von 0,25 Euro.


7      Urteil vom 5. Juli 2012, Geistbeck (C‑509/10, im Folgenden: Urteil Geistbeck, EU:C:2012:416, Rn. 39), und Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson (C‑481/14, im Folgenden: Urteil Hansson, EU:C:2016:419, Rn. 32 bis 34).


8      Vgl. Urteil vom 2. März 1999, Spanien/Kommission (C‑179/97, EU:C:1999:109).


9      Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany (C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Vgl. in diesem Sinne zu einer Frage nach der Gültigkeit auch Urteil vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a. (C‑305/05, EU:C:2007:383, Rn. 18).


11      Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Vgl. u. a. Urteil vom 25. Juni 2015, Saatgut-Treuhandverwaltung (C‑242/14, EU:C:2015:422, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13      Der Gerichtshof hat schon auf den objektiven Charakter dieser Vorschrift hingewiesen und ausgeführt, ein Vergleich ihres Wortlauts mit dem Wortlaut des Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung ergebe, dass „in Abs. 1 jedes subjektive Element fehlt“ (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2011, Greenstar-Kanzi Europe (C‑140/10, EU:C:2011:677, Rn. 48).


14      Der 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2100/94 besagt, dass „die Ausübung des Sortenschutzes [der Union] Beschränkungen unterliegen [muss], die durch im öffentlichen Interesse erlassene Bestimmungen festgelegt sind“. Im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es: „Dazu gehört auch die Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung. Zu diesem Zweck müssen die Landwirte die Genehmigung erhalten, den Ernteertrag unter bestimmten Bedingungen für die Vermehrung zu verwenden.“


15      Vgl. u. a. Urteil vom 25. Juni 2015, Saatgut-Treuhandverwaltung (C‑242/14, EU:C:2015:422, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16      Diese Kriterien betreffen u. a. das Fehlen einer quantitativen Beschränkung des Landwirteprivilegs (Art. 14 Abs. 3 erster Gedankenstrich), die Möglichkeit für den Landwirt, das Ernteerzeugnis für die Aussaat selbst vorzubereiten (Art. 14 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich), die Ausnahme der „Kleinlandwirte“ von der für Landwirte bestehenden Verpflichtung, dem Sortenschutzinhaber eine angemessene Entschädigung zu zahlen (Art. 14 Abs. 3 dritter Gedankenstrich), die alleinige Verantwortung der Sortenschutzinhaber für die Überwachung der Einhaltung des Landwirteprivilegs (Art. 14 Abs. 3 fünfter Gedankenstrich) oder auch die Informationspflichten der Landwirte gegenüber dem Sortenschutzinhaber (Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich).


17      Es handelt sich also um einen unberechtigten Nachbau oder, mit anderen Worten, um eine unberechtigte Wiederaussaat.


18      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 2003, Schulin (C‑305/00, EU:C:2003:218, Rn. 71), Geistbeck (Rn. 23), und vom 25. Juni 2015, Saatgut-Treuhandverwaltung (C‑242/14, EU:C:2015:422, Rn. 22).


19      Siehe Nrn. 33 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


20      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 2003, Schulin (C‑305/00, EU:C:2003:218, Rn. 71), Geistbeck (Rn. 23 und 25), und vom 25. Juni 2015, Saatgut-Treuhandverwaltung (C‑242/14, EU:C:2015:422, Rn. 22).


21      Urteil Geistbeck (Rn. 28). Es ist insofern irreführend, dass insbesondere in der französischen Fassung jeweils ein und derselbe Begriff verwendet wird. Denn „in den übrigen Sprachfassungen, insbesondere in den Fassungen in deutscher und in englischer Sprache, [stimmen] die beiden verwendeten Begriffe nicht überein“.


22      Urteil Geistbeck (Rn. 30 und 31).


23      Vgl. in diesem Sinne Urteil Geistbeck (Rn. 32). Nehmen wir ein hypothetisches Beispiel: Bei einem Entgelt von 10 Euro für berechtigten Nachbau hätte der Landwirt nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 eine „angemessene Entschädigung“ in Höhe von 5 Euro zu zahlen. Würde dieser Landwirt im selben Fall aber die Bedingungen des Art. 14 Abs. 3 dieser Verordnung missachten, verlöre er sein „Privileg“ und müsste eine „angemessene Vergütung“ nach Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung zahlen, die sich dann auf 10 Euro beliefe.


24      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Geistbeck (C‑509/10, EU:C:2012:187, Nr. 58).


25      Siehe Nrn. 81 und 82 der vorliegenden Schlussanträge.


26      Siehe Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge.


27      Siehe Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge.


28      Mit der Verordnung(EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 zur Änderung der Verordnung Nr. 1768/95 (ABl. 1998, L 328, S. 6) wurde Art. 5 der Verordnung Nr. 1768/95 u. a. Abs. 5 angefügt, der folgenden Wortlaut hat: „Liegt im Falle von Absatz 2 keine Vereinbarung im Sinne von Absatz 4 vor, so beläuft sich die Entschädigung auf 50 % des Betrags, der für die Erzeugung des Vermehrungsmaterials in Lizenz gemäß Absatz 2 verlangt wird.“


29      Urteil vom 28. Oktober 1982, Dorca Marina u. a. (50/82 bis 58/82, EU:C:1982:378, Rn. 13).


30      Aus meinen allgemeinen Erwägungen zum Verhältnis zwischen dem Grundsatz der erforderlichen Zustimmung des Sortenschutzinhabers und dem Landwirteprivileg geht eindeutig hervor, dass das diesbezügliche Vorbringen des Beklagten nicht stichhaltig ist. Siehe Nrn. 33 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


31      Vgl. entsprechend Urteil vom 20. Mai 2021, Renesola UK (C‑209/20, EU:C:2021:400, Rn. 31 ff.)


32      Siehe hierzu Nrn. 37 bis 46 der vorliegenden Schlussanträge.


33      Zur Erinnerung: In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es um den Ersatz des Schadens, der Herrn Hansson, dem Inhaber eines EU-Sortenschutzrechts für eine bestimmte Margeritenart, dadurch entstanden war, dass die Firma Jungpflanzen diese Blumensorte sieben Jahre lang unter einer anderen Bezeichnung angebaut und unbefugt vertrieben hatte.


34      Urteil Hansson (Rn. 30).


35      Urteil Hansson (Rn. 31). Dieser Betrag beläuft sich im Wesentlichen auf 100 % der Gebühren, die in den Lizenzen für die Erzeugung zertifizierten Saatguts festgelegt sind. In dem Beispiel in Fn. 23 der vorliegenden Schlussanträge wäre ein Betrag von 10 Euro zu zahlen.


36      Wie in Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge bereits dargelegt, ist zwischen diesem Begriff der „angemessenen Vergütung“ und dem Begriff der „angemessenen Entschädigung“ im Sinne von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 zu unterscheiden. Siehe dazu auch Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge.


37      Urteil Hansson (Rn. 31 und 32).


38      Urteil Hansson (Rn. 33). Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Hansson (C‑481/14, EU:C:2016:73, Nr. 30) und des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Geistbeck (C‑509/10, EU:C:2012:187, Nr. 40).


39      Vgl. dessen Schlussanträge in der Rechtssache Hansson (C‑481/14, EU:C:2016:73, Nr. 34): „Durch den Rückgriff auf die Formulierung ‚Ersatz des … entstandenen Schadens‘ scheint mir nämlich jede Auslegung dahin ausgeschlossen, dass mit Art. 94 der Verordnung ein Strafzweck verfolgt wird, der darin besteht, dem Sortenschutzinhaber eine Entschädigung zu gewähren, die über die für den Ausgleich seines Schadens erforderliche Höhe hinausgeht.“


40      Urteil Hansson (Rn. 34 und 35). In seinen Schlussanträgen in jener Rechtssache (C‑481/14, EU:C:2016:73, Nr. 35) machte Generalanwalt Saugmandsgaard Øe deutlich: „Andere Bestimmungen der Verordnung lassen dagegen zu, dass dem Verletzer Pflichten auferlegt werden, die über den Ersatz des entstandenen Schadens hinausgehen. So kann das Ziel einer Bestrafung durch strafrechtliche Sanktionen erreicht werden, die in Ermangelung einer Harmonisierung auf der Ebene der Europäischen Union gemäß Art. 107 der Verordnung dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen.“ Hervorhebung nur hier.


41      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, Berichtigung im ABl. 2004, L 195, S. 16). Der 17. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet: „Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebenenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung[,] gebührend Rechnung getragen wird.“ Im 26. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es: „Um den Schaden auszugleichen, den ein Verletzer von Rechten des geistigen Eigentums verursacht hat, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, sollten bei der Festsetzung der Höhe des an den Rechtsinhaber zu zahlenden Schadensersatzes alle einschlägigen Aspekte berücksichtigt werden, wie z. B. Gewinneinbußen des Rechtsinhabers oder zu Unrecht erzielte Gewinne des Verletzers sowie gegebenenfalls der immaterielle Schaden, der dem Rechtsinhaber entstanden ist. Ersatzweise, etwa wenn die Höhe des tatsächlich verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, kann die Höhe des Schadens aus Kriterien wie z. B. der Vergütung oder den Gebühren, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des besagten Rechts eingeholt hätte, abgeleitet werden. Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten, z. B. im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsverletzung und ihrer Verursacher.“


42      Auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage nach der Auslegung von Art. 13 („Schadensersatz“) dieser Richtlinie hat der Gerichtshof entschieden, dass Letztere gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 Anwendung findet, unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften, insbesondere jenen der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind. Vgl. Urteil vom 25. Januar 2017, Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa (C‑367/15, EU:C:2017:36, Rn. 22). Ich werde auf dieses Urteil in den Nrn. 86 bis 88 der vorliegenden Schlussanträge zurückkommen. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt: a) Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber, oder b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.“


43      Urteil Hansson (Rn. 36 bis 40).


44      Urteil Hansson (Rn. 33 bis 43 und 56).


45      Urteil Hansson (Rn. 57).


46      Urteil Hansson (Rn. 58).


47      Vgl. Urteil Hansson (Rn. 59).


48      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission argumentiert, ein solcher pauschalierter Mindestschadensersatz erlaube auch dem Landwirt, die Höhe der von ihm bei wiederholter und vorsätzlicher Rechtsverletzung geschuldeten Entschädigung zu berechnen, was zur Rechtssicherheit sowohl beim Landwirt als auch beim Inhaber der geschützten Pflanzensorte beitrage.


49      Die STV macht geltend, die streitige Bestimmung diene der „Wiederherstellung des Gleichgewichts“ zwischen den Interessen der Sortenschutzinhaber und den Interessen der Landwirte, indem sie die Nachteile berücksichtige, die sich für diese Inhaber aus dem Nachbauprivileg der Landwirte ergäben. Es erscheint mir jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein solches Gleichgewicht durch die angemessene Entschädigung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 hergestellt werden soll. Die streitige Bestimmung regelt ihrerseits den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen weiteren Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94, wenn der betreffende Landwirt wiederholt vorsätzlich die Pflicht gemäß Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 verletzt.


50      Urteil vom 25. Januar 2017 (C‑367/15, EU:C:2017:36, Rn. 23, 25, 26 und 31). Vgl. wegen einer gegenteiligen Ansicht Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa (C‑367/15, EU:C:2016:900). Siehe auch Fn. 42 der vorliegenden Schlussanträge. Zur Erinnerung: Der Gerichtshof hat in diesem Urteil entschieden, zwar überschreite der Ersatz eines Schadens, der auf der Grundlage des Doppelten der hypothetischen Vergütung berechnet wurde, den tatsächlich erlittenen Schaden so eindeutig und beträchtlich, dass eine diesbezügliche Forderung einen Rechtsmissbrauch darstellen könnte; aus den von der betroffenen Regierung in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen werde gleichwohl deutlich, dass das nationale Gericht nach der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Regelung in einem solchen Fall nicht an den Antrag des Inhabers des verletzten Rechts gebunden wäre.


51      D. h. 50 % der in den Lizenzen für die Erzeugung zertifizierten Saatguts festgelegten Gebühren.


52      Urteil Hansson (Rn. 57).


53      D. h., wenn „der Betreffende … wiederholt vorsätzlich die Pflicht gemäß Artikel 14 Absatz 3 vierter Gedankenstrich der [Verordnung Nr. 2100/94] verletzt [hat]“.


54      Die Kommission hat auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung erklärt, aus den Materialien zu dieser Verordnung gehe nicht hervor, warum dieser Mindestpauschalbetrag in die streitige Bestimmung eingeführt worden sei.


55      Siehe Nrn. 39 bis 42 der vorliegenden Schlussanträge.


56      Vgl. in diesem Sinne Urteil Geistbeck (Rn. 32).


57      Urteile Hansson (Rn. 46) und Geistbeck (Rn. 36).


58      Urteil Hansson (Rn. 33 bis 43 und 56). Hervorhebung nur hier.


59      Rn. 59.


60      Urteil Hansson (Rn. 35). Hervorhebung nur hier.


61      Ebenso wenig kann speziell die Herausgabe der Gewinne und Vorteile angeordnet werden, in deren Genuss der Verletzer gelangt ist. Urteil Hansson (Rn. 43).


62      Siehe hierzu Nrn. 63 und 64 der vorliegenden Schlussanträge. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung bemerkt, wenn der Pflanzenzüchter den genauen Umfang des erlittenen Schadens nachweisen könne, dürfe das angerufene Gericht nach der streitigen Bestimmung nicht den darin vorgesehenen Pauschalbetrag herabsetzen.


63      Vgl. in diesem Sinne Urteil Hansson (Rn. 57).


64      Urteil Hansson (Rn. 34). Wie Generalanwalt Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hansson (C 481/14, EU:C:2016:73, Nr. 35, Fn. 9) dargelegt hat, hatte die Kommission 2013 einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung Nr. 2100/94 unterbreitet, nach dem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollten, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt vom 6. Mai 2013, COM[2013] 262 final, S. 98). Dieser Vorschlag wurde mit einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. März 2014 (T7‑0185/2014) zurückgewiesen und daraufhin von der Kommission zurückgezogen (ABl. 2015, C 80, S. 20).


65      Urteil Hansson (Rn. 35).


66      Siehe dazu Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge.


67      Art. 94 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2100/94 sieht vor, dass sich bei leichter Fahrlässigkeit der Schadensersatzanspruch des Sortenschutzinhabers entsprechend dem Grad der leichten Fahrlässigkeit vermindern kann, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist. Dieser Vorschrift könnte man im Umkehrschluss entnehmen, dass die Verordnung Nr. 2100/94 eine gesonderte Vorschrift enthalten müsste, damit eine Regelung wie die streitige Bestimmung erlassen werden kann, die eine Erhöhung dieses Schadensersatzanspruchs über den erlittenen Schaden hinaus vorsieht.


68      Siehe Fn. 67 der vorliegenden Schlussanträge. Ich erinnere insbesondere daran, dass sich nach Art. 94 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2100/94 der Anspruch auf Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens bei leichter Fahrlässigkeit vermindern kann, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist.


69      Urteil Hansson (Rn. 59).


70      Urteil vom 25. Januar 2017 (C‑367/15, EU:C:2017:36).


71      Vgl. hierzu Art. 1 der Richtlinie 2004/48.


72      Vgl. seine Schlussanträge in der Rechtssache Hansson (C‑481/14, EU:C:2016:73, Nr. 52).


73      Urteil vom 25. Januar 2017 (C‑367/15, EU:C:2017:36).