Language of document : ECLI:EU:T:2007:380

Verbundene Rechtssachen T-101/05 und T-111/05

BASF AG und UCB SA

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Kartelle auf dem Gebiet der Vitaminprodukte – Cholinchlorid (Vitamin B 4) – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt wird – Geldbußen – Abschreckende Wirkung – Wiederholungsfall – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Einzige und fortgesetzte Zuwiderhandlung“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckende Wirkung – Berücksichtigung der Größe des mit der Geldbuße belegten Unternehmens – Erheblichkeit – Keine Verpflichtung, die Wahrscheinlichkeit einer Tatwiederholung durch das mit der Geldbuße belegte Unternehmen und die bereits für andere wettbewerbswidrige Handlungen oder in einem Drittstaat verhängten Geldbußen zu berücksichtigen

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15, und Nr. 1/2003, Art. 23; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

2.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Begriff – Keine Verjährungsfrist – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit – Gerichtliche Überprüfung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

3.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – In den Leitlinien der Kommission festgelegte Berechnungsmethode

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

4.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung der Geldbußen als Gegenleistung für die Kooperation der beschuldigten Unternehmen – Zwingender Charakter für die Kommission

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Kooperation des beschuldigten Unternehmens – Voraussetzungen

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 11 und 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Anhörungen – Kein Protokoll und keine Tonaufzeichnung eines Treffens mit einem Unternehmen im Rahmen der Mitteilung über Zusammenarbeit – Vom Unternehmen nicht beantragte Formalitäten – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 65 Buchst. c; Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 11 und 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Beendigung der Zuwiderhandlung vor dem Eingreifen der Kommission

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 11 und 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

8.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die als eine einzige Zuwiderhandlung eingestuft werden können – Begriff

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Überprüfung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

(Art. 229 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln – Keine Verpflichtung zur Anwendung des milderen Gesetzes

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

1.      Die Kommission verstößt nicht gegen die Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, wenn sie, um den Ausgangsbetrag der Geldbuße zu erhöhen, damit diese eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet, keine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Tatwiederholung durch das mit der Geldbuße belegte Unternehmen vornimmt, sondern lediglich dessen Größe berücksichtigt, da dieser Gesichtspunkt als Indiz für den Einfluss herangezogen werden kann, den es auf den Markt auszuüben vermochte.

Die Maßnahmen, die von dem betreffenden Unternehmen getroffen wurden, um die Tatwiederholung zu verhindern, ändern somit nichts daran, dass die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, und die Einführung eines Befolgungsprogramms verpflichtet die Kommission nicht, die Geldbuße zu ermäßigen. Die Behauptung, dass das betreffende Unternehmen nach den ihm in einem anderen Markt durch eine andere Entscheidung der Kommission auferlegten Geldbußen keiner Abschreckung mehr bedürfe, ist daher zurückzuweisen. Auch die Verhängung einer Geldbuße wegen anderer wettbewerbswidriger Tätigkeiten ändert nämlich nichts daran, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde, und verpflichtet die Kommission daher nicht, aufgrund dessen eine Ermäßigung zu gewähren.

Dies gilt auch für die in Drittländern auferlegten Sanktionen. Das Abschreckungsziel, das die Kommission bei der Festsetzung der Höhe einer Geldbuße verfolgen darf, besteht nämlich darin, zu gewährleisten, dass die Unternehmen die im Vertrag für ihre Tätigkeiten in der Gemeinschaft oder im Europäischen Wirtschaftsraum festgelegten Wettbewerbsregeln beachten. Folglich darf die abschreckende Wirkung einer wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festgesetzten Geldbuße weder allein nach Maßgabe der besonderen Situation des mit ihr belegten Unternehmens noch danach ermittelt werden, ob es die in Drittstaaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums festgelegten Wettbewerbsregeln beachtet.

(vgl. Randnrn. 46-47, 50, 52-53)

2.      Die Rechtsgrundlagen für die Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch die Kommission wegen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 81 EG und 82 EG sind Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. Nach diesen Bestimmungen sind bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Dauer und die Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen. Die Schwere der Zuwiderhandlung ist unter Heranziehung zahlreicher Faktoren zu ermitteln, in Bezug auf die die Kommission über ein Ermessen verfügt. Die Berücksichtigung erschwerender Umstände bei der Festsetzung der Geldbuße steht im Einklang mit der Aufgabe der Kommission, die Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. Außerdem ist bei der Prüfung der Schwere der begangenen Zuwiderhandlung ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen; dieser kann eine erhebliche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigen.

Für die Annahme eines Wiederholungsfalls genügt es, dass die Kommission es mit Zuwiderhandlungen zu tun hat, die unter dieselbe Vorschrift des EG-Vertrags fallen; sie müssen nicht denselben Warenmarkt betreffen.

Das Fehlen einer Höchstfrist für die Feststellung des Wiederholungsfalls in den Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 oder den Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, verletzt nicht den Grundsatz der Rechtssicherheit. Das Ermessen, über das die Kommission in Bezug auf die Wahl der bei der Bemessung der Geldbußen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte verfügt, erstreckt sich nämlich auch auf die Feststellung und die Beurteilung der besonderen Merkmale eines Wiederholungsfalls. Die Kommission ist damit für eine solche Feststellung nicht an eine Verjährungsfrist gebunden. Insoweit ist die Wiederholung von Zuwiderhandlungen ein wichtiger Gesichtspunkt, den die Kommission zu prüfen hat, da mit dessen Berücksichtigung der Zweck verfolgt wird, Unternehmen, die bereits eine Neigung zur Verletzung der Wettbewerbsregeln gezeigt haben, zur Änderung ihres Verhaltens zu veranlassen. Die Kommission kann daher in jedem Einzelfall die Anhaltspunkte berücksichtigen, die eine solche Neigung bestätigen, einschließlich z. B. des zwischen den betreffenden Verstößen verstrichenen Zeitraums.

Wenn der Gemeinschaftsrichter über die von der Kommission vorgenommene Beurteilung des Wiederholungsfalls zu entscheiden hat, kann seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Vorlage und Heranziehung zusätzlicher Informationen erfordern, die an sich nicht in der Entscheidung erwähnt zu werden brauchen, damit diese dem Begründungserfordernis gemäß Art. 253 EG genügt. Er kann daher berücksichtigen, dass das betreffende Unternehmen an einer Zuwiderhandlung beteiligt war, auch wenn dieser Umstand in der Entscheidung der Kommission nicht erwähnt wird.

(vgl. Randnrn. 64-67, 70-71)

3.      Im Rahmen der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, sind die wegen erschwerender oder mildernder Umstände festgesetzten prozentualen Erhöhungen oder Herabsetzungen an dem nach Maßgabe von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung ermittelten Grundbetrag der Geldbuße vorzunehmen.

(vgl. Randnr. 73)

4.      Angesichts des berechtigten Vertrauens, das die zur Zusammenarbeit mit der Kommission bereiten Unternehmen aus deren Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen ableiten konnten, ist die Kommission verpflichtet, sich bei der Beurteilung der Kooperation des betreffenden Unternehmens im Rahmen der Bemessung seiner Geldbuße an die Mitteilung zu halten.

(vgl. Randnr. 89)

5.      Damit ein Unternehmen in den Genuss einer Herabsetzung der Geldbuße aufgrund seiner Kooperation im Verwaltungsverfahren kommen kann, muss sein Verhalten die Aufgabe der Kommission erleichtern, die in der Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft besteht. Der Umstand, dass ein Unternehmen der Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungen in Bezug auf ein Kartell Informationen über ein in einem Drittstaat außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums eingeleitetes Verfahren wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln übermittelt, die von der Kommission weder direkt noch indirekt verwendet wurden, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung im Europäischen Wirtschaftsraum festzustellen, ist somit keine Zusammenarbeit, die in den Anwendungsbereich des Abschnitts D der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen fällt, der insbesondere die Übermittlung von Informationen, Unterlagen oder anderen Beweismitteln betrifft, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitragen.

Überdies kann eine niedrigere Festsetzung auf der Grundlage dieser Mitteilung nur gerechtfertigt sein, wenn die gelieferten Informationen und allgemeiner das Verhalten des betreffenden Unternehmens als Zeichen seiner echten Zusammenarbeit angesehen werden können. Wie sich bereits aus dem Begriff „Zusammenarbeit“, wie er in der Mitteilung und insbesondere in deren Einleitung und in Abschnitt D Abs. 1 verwendet wird, ergibt, kann eine niedrigere Festsetzung auf der Grundlage der Mitteilung nur vorgenommen werden, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens von einem solchen Geist der Zusammenarbeit zeugt. Als Ausdruck eines solchen Geistes der Zusammenarbeit kann somit weder das Verhalten eines Unternehmens angesehen werden, das auf eine Frage der Kommission, auch wenn es zu deren Beantwortung nicht verpflichtet war, in unvollständiger und irreführender Weise geantwortet hat, noch das Verhalten eines Unternehmens, das der Kommission in Beantwortung eines Auskunftsverlangens gemäß Art. 11 der Verordnung Nr. 17 Unterlagen übermittelt hat, da das Unternehmen in diesem Fall aufgrund einer Rechtspflicht handelt, selbst wenn diese Informationen dazu verwendet werden konnten, den Beweis für ein wettbewerbswidriges Verhalten des Unternehmens, das die Auskünfte geliefert hat, oder eines anderen Unternehmens zu erbringen.

(vgl. Randnrn. 90-92, 108, 111)

6.      Der Kommission kann nicht infolge des Umstands, dass sie von einem Treffen mit einem Unternehmen im Hinblick auf eine Zusammenarbeit, die möglicherweise nach der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen hätte belohnt werden können, kein Protokoll erstellt oder eine Tonaufzeichnung angefertigt hat, ein Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zur Last gelegt werden, wenn dieses Unternehmen kein entsprechendes Ersuchen an das Organ gerichtet hat.

Was die Beurteilung einer schriftlichen Erklärung einer Person, die an dem Treffen teilgenommen hat, als Beweis für den Inhalt dieses Treffens angeht, so verbietet die Verfahrensordnung des Gerichts es den Parteien nicht, solche Erklärungen vorzulegen. Ihre Beurteilung ist jedoch Sache des Gerichts, das, wenn die darin beschriebenen Tatsachen für die Entscheidung des Rechtsstreits wichtig sind, zur Beweiserhebung die Vernehmung des Verfassers eines solchen Dokuments als Zeugen anordnen kann.

(vgl. Randnrn. 96-97)

7.      Die in Nr. 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, erwähnte Beendigung der Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln nach dem ersten Eingreifen der Kommission kann logischerweise nur dann einen mildernden Umstand bilden, wenn es Gründe für die Annahme gibt, dass die fraglichen Unternehmen durch dieses Eingreifen zur Beendigung ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens veranlasst wurden; der Fall, dass die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet wurde, wird von dieser Vorschrift nicht erfasst. Dieser Fall wird bei der Berechnung der Dauer des zur Last gelegten Zeitraums der Zuwiderhandlung hinreichend berücksichtigt

Auch die Entlassung der leitenden Mitarbeiter, die bei der Zuwiderhandlung eine entscheidende Rolle gespielt haben, stellt keine Handlung dar, die die Herabsetzung der verhängten Geldbuße rechtfertigt. Es handelt sich nämlich um eine Maßnahme, mit der die Beachtung der Wettbewerbsregeln durch die Mitarbeiter des Unternehmens durchgesetzt werden soll, was ohnehin eine Pflicht des Unternehmens darstellt und daher nicht als mildernder Umstand angesehen werden kann.

(vgl. Randnrn. 128-129)

8.      Die Einstufung bestimmter rechtswidriger Handlungen als eine einzige Zuwiderhandlung oder als Vielzahl von Zuwiderhandlungen wirkt sich grundsätzlich auf die mögliche Sanktion aus, da die Feststellung einer Vielzahl von Zuwiderhandlungen die Verhängung mehrerer getrennter Geldbußen nach sich ziehen kann, jeweils innerhalb der durch Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln festgesetzten Grenzen. Die Feststellung einer Vielzahl von Zuwiderhandlungen kann deren Urhebern jedoch zugutekommen, wenn einige der Zuwiderhandlungen verjährt sind.

Insoweit kann sich der Begriff der einzigen Zuwiderhandlung auf die rechtliche Einstufung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens beziehen, das aus Vereinbarungen, aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen und Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen besteht. Er kann sich auch auf den persönlichen Charakter der Verantwortung für Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln beziehen. Ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG erfüllten und zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit bestimmt waren, an einer Zuwiderhandlung beteiligt hat, kann nämlich für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten anderer Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung verantwortlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. Diese Schlussfolgerung beruht auf einer in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten weit verbreiteten Vorstellung von der Zurechenbarkeit der Verantwortung für die von mehreren Personen begangenen Zuwiderhandlungen gemäß ihrem Beitrag zu der Zuwiderhandlung im Ganzen. Sie läuft daher nicht dem Grundsatz zuwider, dass die Verantwortlichkeit für solche Zuwiderhandlungen persönlicher Art ist; auch wird mit ihr nicht die Einzeluntersuchung der belastenden Beweise vernachlässigt oder gegen die Verteidigungsrechte der beteiligten Unternehmen verstoßen. Demgemäß kann sich ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG aus einer Reihe von Handlungen sowie aus einem fortgesetzten Verhalten ergeben, die sich wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts in einen „Gesamtplan“ einfügen. In einem solchen Fall ist die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen nach Maßgabe der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes zuzuweisen, auch wenn das betroffene Unternehmen nachweislich nur an einem oder mehreren Bestandteilen der Zuwiderhandlung unmittelbar mitgewirkt hat. Dass einzelne Unternehmen bei der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels unterschiedliche Rollen spielten, ändert nichts an der Identität des wettbewerbswidrigen Zwecks und damit an der Zuwiderhandlung, sofern jedes Unternehmen auf seiner Ebene zur Verfolgung des gemeinsamen Ziels beitrug.

Der Begriff des einzigen Ziels kann nicht durch einen allgemeinen Verweis auf die Verzerrung des Wettbewerbs auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt bestimmt werden, da die Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Ziel oder Wirkung jedem von Art. 81 Abs. 1 EG erfassten Verhalten eigen ist. Eine solche Definition des Begriffs des einzigen Ziels könnte dem Begriff der einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung teilweise seinen Sinn nehmen, da sie zur Folge hätte, dass mehrere einen Wirtschaftssektor betreffende Verhaltensweisen, die nach Art. 81 Abs. 1 EG verboten sind, systematisch als Bestandteile einer einzigen Zuwiderhandlung eingestuft werden müssten. Sollen verschiedene Handlungen als eine einzige und fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestuft werden, ist somit zu prüfen, ob zwischen ihnen insoweit eine Komplementaritätsverbindung bestand, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen sollte und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beitrug, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einziges Ziel gerichteten Gesamtplans anstrebten, so dass die verschiedenen wettbewerbswidrigen Handlungen „eng miteinander verbunden“ waren. Insoweit sind alle Umstände zu berücksichtigen, die diese Verbindung nachweisen oder in Frage stellen können, wie der Anwendungszeitraum, der Inhalt (einschließlich der verwendeten Methoden) und im Zusammenhang damit das Ziel der verschiedenen in Rede stehenden Handlungen.

Ein weltweites Kartell zur Aufteilung des Weltmarkts durch den Rückzug der nordamerikanischen Hersteller vom europäischen Markt und im Gegenzug den Rückzug der europäischen Hersteller vom nordamerikanischen Markt einerseits und ein nach der endgültigen Beendigung des weltweiten Kartells von den europäischen Herstellern geschaffenes Kartell zur Aufteilung des Markts und der Kunden und zur Festsetzung der Preise im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum andererseits sind als zwei gesonderte Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und nicht als eine einzige und fortgesetzte Zuwiderhandlung anzusehen, da zwischen der Umsetzung dieser Kartelle keine Verbindung bestand, weil sie verschiedene Ziele verfolgten und mit unterschiedlichen Methoden verwirklicht wurden und weil keine Beweise dafür vorliegen, dass die europäischen Hersteller vorhatten, sich an den weltweiten Absprachen zu beteiligen, um später den Markt des Europäischen Wirtschaftsraums aufzuteilen.

(vgl. Randnrn. 157-161, 179-181, 199-201, 209)

9.      Bei der Bemessung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbußen kann der Gemeinschaftsrichter aufgrund seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, die ihm durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln verliehen wird, über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen, wenn ihm die Frage nach deren Höhe zur Beurteilung vorgelegt wird. In diesem Rahmen greifen die Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 Abs. 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden, der Beurteilung der Geldbuße durch den Gemeinschaftsrichter nicht vor, wenn er aufgrund der genannten Befugnis entscheidet.

(vgl. Randnr. 213)

10.    Es läuft dem Rückwirkungsverbot nicht zuwider, wenn Leitlinien angewandt werden, die sich möglicherweise verschärfend auf die Höhe von Geldbußen für vor ihrem Erlass begangene Zuwiderhandlungen auswirken, sofern die damit umgesetzte Politik zum Zeitpunkt der Begehung der betreffenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war. Dieses – sei es auch bedingte – Recht der Kommission, rückwirkend zu Lasten der Betroffenen Verhaltensnormen anzuwenden, die Außenwirkungen entfalten sollen, wie es bei den Leitlinien der Fall ist, schließt daher eine Verpflichtung der Kommission zur Anwendung des milderen Gesetzes aus.

(vgl. Randnrn. 233-234)