Language of document : ECLI:EU:C:2022:325

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 28. April 2022(1)

Rechtssache C677/20

Industriegewerkschaft Metall (IG Metall),

ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft

gegen

SAP SE,

SEBetriebsrat der SAP SE,

weitere Verfahrensbeteiligte:

Konzernbetriebsrat der SAP SE,

Deutscher Bankangestellten-Verband eV,

Christliche Gewerkschaft Metall (CGM),

Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie eV

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Durch Umwandlung gegründete Europäische Gesellschaft – Europäische Gesellschaft in dualistischer Form – Beteiligung der Arbeitnehmer – Wahl von Arbeitnehmervertretern zu Aufsichtsratsmitgliedern – Getrennter Wahlgang für die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter“






I.      Einleitung

1.        Die Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer(2) (im Folgenden: SE‑Richtlinie) ist das Ergebnis von mehr als 30 Jahren Verhandlungen, da der erste Entwurf für die Gründung einer Europäischen Gesellschaft (im Folgenden: SE) mittels einer Verordnung von der Europäischen Kommission im Jahr 1970 vorgeschlagen worden ist. Die Verhandlungen sind lange in zwei Punkten ins Stocken geraten: der dualistischen oder monistischen Struktur der Gesellschaft und der Beteiligung der Arbeitnehmer. Nachdem der Entwurf 1989 in zwei Vorschläge – der erste für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft(3) und der zweite für eine Richtlinie zur Ergänzung des SE‑Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer(4) – unterteilt worden war, ist schließlich ein Kompromiss gefunden worden. Daraus hat sich die Möglichkeit ergeben, eine Aktiengesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden ist, in eine SE umzuwandeln, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hat(5). Aufgrund dieser neu geschaffenen vierten Möglichkeit zur Gründung einer SE – neben der Verschmelzung, der Gründung einer Holding‑SE und der Gründung einer Tochter‑SE – sind Bestimmungen in die SE‑Richtlinie aufgenommen worden, um zu gewährleisten, dass die Gesellschaftsumwandlung nicht zur Umgehung eines in der umzuwandelnden Gesellschaft bestehenden nationalen Verfahrens zur Beteiligung der Arbeitnehmer verwendet wird. Unter diesen Bestimmungen befindet sich Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie, dessen Auslegung mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen erbeten wird. Hierbei handelt es sich zweifellos um einen der neuralgischen Punkte des Kompromisses, der infolge einer Änderung der Rechtsgrundlage für diese Richtlinie einstimmig angenommen worden ist, zumal Art. 4 Abs. 4 gewährleisten soll, dass „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet [wird], das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“.

2.        Da das deutsche Recht einen besonderen Wahlgang für die Wahl eines Teils der Gewerkschaftsvertreter zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat einer „Aktiengesellschaft“ vorsieht: Gehört diese Besonderheit zu den Komponenten, die bei einer Umwandlung der „Aktiengesellschaft“ in eine SE beibehalten werden müssen, oder kann sie Gegenstand von Verhandlungen zwischen den zuständigen Organen der umzuwandelnden Gesellschaft und dem besonderen Verhandlungsgremium sein, bei dem es sich um das Instrument handelt, das mit der SE‑Richtlinie geschaffen worden ist, um unter Berücksichtigung der nationalen Rechtsvorschriften und Praktiken die Einzelheiten der Arbeitnehmerbeteiligung in der zukünftigen SE auszuarbeiten, zumal sich der Gesetzgeber der Europäischen Union nicht für eine Vereinheitlichung der Regelungen entschieden hat?

3.        Ich werde vorschlagen, zu antworten, dass die Verhandlungsautonomie des besonderen Verhandlungsgremiums der Durchführung eines getrennten Wahlgangs für die Wahl eines bestimmten Teils der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat keinen Abbruch tun kann, wenn diese Besonderheit existiert und in dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht zwingend ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        Die Erwägungsgründe 3, 5, 7, 8, 10, 18 und 19 der SE‑Richtlinie haben folgenden Wortlaut:

„(3)      Um die Ziele der [Union] im sozialen Bereich zu fördern, müssen besondere Bestimmungen – insbesondere auf dem Gebiet der Beteiligung der Arbeitnehmer – festgelegt werden, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen. Dieses Ziel sollte durch die Einführung von Regeln in diesen Bereich verfolgt werden, mit denen die Bestimmungen der Verordnung [Nr. 2157/2001] ergänzt werden.

(5)      Angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesellschaften ist es nicht ratsam, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen.

(7)      Sofern und soweit es in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt, sollten sie durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen.

(8)      Die konkreten Verfahren der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie gegebenenfalls der Mitbestimmung, die für die einzelnen SE gelten, sollten vorrangig durch eine Vereinbarung zwischen den betroffenen Parteien oder – in Ermangelung einer derartigen Vereinbarung – durch die Anwendung einer Reihe von subsidiären Regeln festgelegt werden.

(10)      Die Abstimmungsregeln in dem besonderen Gremium, das die Arbeitnehmer zu Verhandlungszwecken vertritt, sollten – insbesondere wenn Vereinbarungen getroffen werden, die ein geringeres Maß an Mitbestimmung vorsehen, als es in einer oder mehreren der sich beteiligenden Gesellschaften gegeben ist – in einem angemessenen Verhältnis zur Gefahr der Beseitigung oder der Einschränkung der bestehenden Mitbestimmungssysteme und ‑praktiken stehen. Wenn eine SE im Wege der Umwandlung oder Verschmelzung gegründet wird, ist diese Gefahr größer, als wenn die Gründung im Wege der Errichtung einer Holdinggesellschaft oder einer gemeinsamen Tochtergesellschaft erfolgt.

(18)      Die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen ist fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel dieser Richtlinie. Die vor der Gründung von SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer sollten deshalb Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE (Vorher-Nachher-Prinzip) sein. Dieser Ansatz sollte folgerichtig nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gelten.

(19)      Die Mitgliedstaaten sollten vorsehen können, dass Vertreter von Gewerkschaften Mitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums sein können, unabhängig davon, ob sie Arbeitnehmer einer an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaft sind oder nicht. In diesem Zusammenhang sollten die Mitgliedstaaten dieses Recht insbesondere in den Fällen vorsehen können, in denen Gewerkschaftsvertreter nach ihrem einzelstaatlichen Recht stimmberechtigte Mitglieder des Aufsichts- oder des Leitungsorgans sein dürfen.“

5.        Art. 1 („Gegenstand“) der SE‑Richtlinie sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie regelt die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, nachfolgend ‚SE‘ genannt), die Gegenstand der [Verordnung Nr. 2157/2001] ist.

(2)      Zu diesem Zweck wird in jeder SE gemäß dem Verhandlungsverfahren nach den Artikeln 3 bis 6 oder unter den in Artikel 7 genannten Umständen gemäß dem Anhang eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer getroffen.“

6.        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der SE‑Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

e)      ‚Arbeitnehmervertreter‘ die nach den Rechtsvorschriften und/oder den Gepflogenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehenen Vertreter der Arbeitnehmer,

f)      ‚Vertretungsorgan‘ das Organ zur Vertretung der Arbeitnehmer, das durch die Vereinbarung nach Artikel 4 oder entsprechend dem Anhang eingesetzt wird, um die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe in der [Union] vorzunehmen und gegebenenfalls Mitbestimmungsrechte in Bezug auf die SE wahrzunehmen,

g)      ‚besonderes Verhandlungsgremium‘ das gemäß Artikel 3 eingesetzte Gremium, das die Aufgabe hat, mit dem jeweils zuständigen Organ der beteiligten Gesellschaften die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE auszuhandeln,

h)      ‚Beteiligung der Arbeitnehmer‘ jedes Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, der Anhörung und der Mitbestimmung –, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können,

k)      ‚Mitbestimmung‘ die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch

–        die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen …

–        …“

7.        Art. 3 der SE‑Richtlinie, der in Teil II („Verhandlungsverfahren“) enthalten ist, bestimmt:

„(1)      Wenn die Leitungs- oder die Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften die Gründung einer SE planen, leiten sie nach der Offenlegung des … Plans … zur Umwandlung in eine SE so rasch wie möglich die erforderlichen Schritte … für die Aufnahme von Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern der Gesellschaften über die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE ein.

(2)      Zu diesem Zweck wird ein besonderes Verhandlungsgremium als Vertretung der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften sowie der betroffenen Tochtergesellschaften oder betroffenen Betriebe gemäß folgenden Vorschriften eingesetzt:

b)      Die Mitgliedstaaten legen das Verfahren für die Wahl oder die Bestellung der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums fest, die in ihrem Hoheitsgebiet zu wählen oder zu bestellen sind. Sie ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass nach Möglichkeit jede beteiligte Gesellschaft, die in dem jeweiligen Mitgliedstaat Arbeitnehmer beschäftigt, durch mindestens ein Mitglied in dem Gremium vertreten ist. Die Gesamtzahl der Mitglieder darf durch diese Maßnahmen nicht erhöht werden.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diesem Gremium Gewerkschaftsvertreter auch dann angehören können, wenn sie nicht Arbeitnehmer einer beteiligten Gesellschaft oder einer betroffenen Tochtergesellschaft oder eines betroffenen Betriebs sind.

(3)      Das besondere Verhandlungsgremium und das jeweils zuständige Organ der beteiligten Gesellschaften legen in einer schriftlichen Vereinbarung die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE fest.

(4)      Das besondere Verhandlungsgremium beschließt vorbehaltlich des Absatzes 6 mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder, sofern diese Mehrheit auch die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer vertritt. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Hätten jedoch die Verhandlungen eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge, so ist für einen Beschluss zur Billigung einer solchen Vereinbarung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten, erforderlich, mit der Maßgabe, dass diese Mitglieder Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten vertreten müssen, und zwar

–        im Falle einer SE, die durch Verschmelzung gegründet werden soll, sofern sich die Mitbestimmung auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt, oder

–        im Falle einer SE, die als Holdinggesellschaft oder als Tochtergesellschaft gegründet werden soll, sofern sich die Mitbestimmung auf mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt.

Minderung der Mitbestimmungsrechte bedeutet, dass der Anteil der Mitglieder der Organe der SE im Sinne des Artikels 2 Buchstabe k geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften geltende Anteil.

…“

8.        Art. 4 der SE‑Richtlinie, der sich auf den Inhalt der Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE bezieht, hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Das jeweils zuständige Organ der beteiligten Gesellschaften und das besondere Verhandlungsgremium verhandeln mit dem Willen zur Verständigung, um zu einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer innerhalb der SE zu gelangen.

(2)      Unbeschadet der Autonomie der Parteien und vorbehaltlich des Absatzes 4 wird in der schriftlichen Vereinbarung nach Absatz 1 zwischen dem jeweils zuständigen Organ der beteiligten Gesellschaften und dem besonderen Verhandlungsgremium Folgendes festgelegt:

g)      der Inhalt einer Vereinbarung über die Mitbestimmung für den Fall, dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eine solche Vereinbarung einzuführen, einschließlich (gegebenenfalls) der Zahl der Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans der SE, welche die Arbeitnehmer wählen oder bestellen können oder deren Bestellung sie empfehlen oder ablehnen können, der Verfahren, nach denen die Arbeitnehmer diese Mitglieder wählen oder bestellen oder deren Bestellung empfehlen oder ablehnen können, und der Rechte dieser Mitglieder,

(3)      Sofern in der Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist, gilt die Auffangregelung des Anhangs nicht für diese Vereinbarung.

(4)      Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 3 Buchstabe a muss in der Vereinbarung im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll.“

9.        Art. 7 („Auffangregelung“) der SE‑Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Zur Verwirklichung des in Artikel 1 festgelegten Ziels führen die Mitgliedstaaten unbeschadet des nachstehenden Absatzes 3 eine Auffangregelung zur Beteiligung der Arbeitnehmer ein, die den im Anhang niedergelegten Bestimmungen genügen muss.

Die Auffangregelung, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats festgelegt ist, in dem die SE ihren Sitz haben soll, findet ab dem Zeitpunkt der Eintragung der SE Anwendung, wenn

a)      die Parteien dies vereinbaren oder

b)      bis zum Ende des in Artikel 5 genannten Zeitraums keine Vereinbarung zustande gekommen ist und

–        das zuständige Organ jeder der beteiligten Gesellschaften der Anwendung der Auffangregelung auf die SE und damit der Fortsetzung des Verfahrens zur Eintragung der SE zugestimmt hat und

–        das besondere Verhandlungsgremium keinen Beschluss gemäß Artikel 3 Absatz 6 gefasst hat.

(2)      Ferner findet die Auffangregelung, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats festgelegt ist, in dem die SE eingetragen wird, gemäß Teil 3 des Anhangs nur Anwendung, wenn

a)      im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE die Bestimmungen eines Mitgliedstaats über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan für eine in eine SE umgewandelte Aktiengesellschaft galten;

Bestanden mehr als eine Mitbestimmungsform in den verschiedenen beteiligten Gesellschaften, so entscheidet das besondere Verhandlungsgremium, welche von ihnen in der SE eingeführt wird. Die Mitgliedstaaten können Regeln festlegen, die anzuwenden sind, wenn kein einschlägiger Beschluss für eine in ihrem Hoheitsgebiet eingetragene SE gefasst worden ist. Das besondere Verhandlungsgremium unterrichtet das jeweils zuständige Organ der beteiligten Gesellschaften über die Beschlüsse, die es gemäß diesem Absatz gefasst hat.“

10.      Art. 11 der SE‑Richtlinie, der sich auf Verfahrensmissbrauch bezieht, lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den [Rechtsvorschriften der Union] geeignete Maßnahmen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.“

11.      Art. 13 Abs. 3 und 4 der SE‑Richtlinie sieht vor:

„(3)      Diese Richtlinie berührt nicht

a)      die den Arbeitnehmern nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zustehenden Beteiligungsrechte, die für die Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe gelten, mit Ausnahme der Mitbestimmung in den Organen der SE,

b)      die nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten geltenden Bestimmungen über die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen, die auf die Tochtergesellschaften der SE Anwendung finden.

(4)      Zur Wahrung der in Absatz 3 genannten Rechte können die Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Strukturen der Arbeitnehmervertretung in den beteiligten Gesellschaften, die als eigenständige juristische Personen erlöschen, nach der Eintragung der SE fortbestehen.“

12.      Der Anhang der SE‑Richtlinie enthält die in deren Art. 7 genannte Auffangregelung. Teil 3 („Auffangregelung für die Mitbestimmung“) dieses Anhangs hat folgenden Wortlaut:

„Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE gelten folgende Bestimmungen:

a)      Fanden im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE Vorschriften eines Mitgliedstaats über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Verwaltungs- oder im Aufsichtsorgan vor der Eintragung Anwendung, so finden alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer weiterhin Anwendung. Buchstabe b gilt diesbezüglich sinngemäß.

b)      In den Fällen der Gründung einer SE haben die Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe und/oder ihr Vertretungsorgan das Recht, einen Teil der Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans der SE zu wählen oder zu bestellen oder deren Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen, wobei die Zahl dieser Mitglieder sich nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bemisst.

Bestanden in keiner der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE Vorschriften über die Mitbestimmung, so ist die SE nicht verpflichtet, eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen.

Das Vertretungsorgan entscheidet über die Verteilung der Sitze im Verwaltungs- oder im Aufsichtsorgan auf die Mitglieder, die Arbeitnehmer aus verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten, oder über die Art und Weise, in der die Arbeitnehmer der SE Mitglieder dieser Organe empfehlen oder ablehnen können, entsprechend den jeweiligen Anteilen der in den einzelnen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der SE. Bleiben Arbeitnehmer aus einem oder mehreren Mitgliedstaaten bei der anteilmäßigen Verteilung unberücksichtigt, so bestellt das Vertretungsorgan eines der Mitglieder aus einem dieser Mitgliedstaaten, und zwar vorzugsweise – sofern angemessen – aus dem Mitgliedstaat, in dem die SE ihren Sitz haben wird. Jeder Mitgliedstaat hat das Recht, die Verteilung der ihm im Verwaltungs- oder im Aufsichtsorgan zugewiesenen Sitze festzulegen.

…“

B.      Deutsches Recht

1.      MitbestG

13.      § 7 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer(6) vom 4. Mai 1976 in der durch das Gesetz vom 24. April 2015 geänderten Fassung(7) bestimmt:

„(1)      Der Aufsichtsrat eines Unternehmens

1.      mit in der Regel nicht mehr als 10 000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je sechs Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer;

2.      mit in der Regel mehr als 10 000, jedoch nicht mehr als 20 000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je acht Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer;

3.      mit in der Regel mehr als 20 000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer.

(2)      Unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer müssen sich befinden

1.      in einem Aufsichtsrat, dem sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angehören, vier Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Vertreter von Gewerkschaften;

2.      in einem Aufsichtsrat, dem acht Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angehören, sechs Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Vertreter von Gewerkschaften;

3.      in einem Aufsichtsrat, dem zehn Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angehören, sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Vertreter von Gewerkschaften.

(5)      Die in Absatz 2 bezeichneten Gewerkschaften müssen in dem Unternehmen selbst oder in einem anderen Unternehmen vertreten sein, dessen Arbeitnehmer nach diesem Gesetz an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern des Unternehmens teilnehmen.“

14.      § 16 MitbestG sieht in Bezug auf die Wahl der Vertreter von Gewerkschaften in den Aufsichtsrat vor:

„(1)      Die Delegierten wählen die Aufsichtsratsmitglieder, die nach § 7 Abs. 2 Vertreter von Gewerkschaften sind, in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl …

(2)      Die Wahl erfolgt auf Grund von Wahlvorschlägen der Gewerkschaften, die in dem Unternehmen selbst oder in einem anderen Unternehmen vertreten sind, dessen Arbeitnehmer nach diesem Gesetz an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern des Unternehmens teilnehmen. …“

2.      SEBG

15.      Das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft(8) vom 22. Dezember 2004, geändert durch Gesetz vom 20. Mai 2020(9), enthält in seinem § 2 Abs. 8 und 12 in der seit dem 1. März 2020 geltenden Fassung folgende Begriffsbestimmungen:

„(8)      Beteiligung der Arbeitnehmer bezeichnet jedes Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung –, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung in der Gesellschaft Einfluss nehmen können.

(12)      Mitbestimmung bedeutet die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch

1.      die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen …“

16.      § 21 („Inhalt der Vereinbarung“) SEBG sieht vor:

„(1)      In der schriftlichen Vereinbarung zwischen den Leitungen und dem besonderen Verhandlungsgremium wird, unbeschadet der Autonomie der Parteien im Übrigen und vorbehaltlich des Absatzes 6, festgelegt:

(3)      Für den Fall, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Mitbestimmung treffen, ist deren Inhalt festzulegen. Insbesondere soll Folgendes vereinbart werden:

1.      die Zahl der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE, welche die Arbeitnehmer wählen oder bestellen können oder deren Bestellung sie empfehlen oder ablehnen können;

2.      das Verfahren, nach dem die Arbeitnehmer diese Mitglieder wählen oder bestellen oder deren Bestellung empfehlen oder ablehnen können[,] und

3.      die Rechte dieser Mitglieder.

(6)      Unbeschadet des Verhältnisses dieses Gesetzes zu anderen Regelungen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen muss in der Vereinbarung im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll. …“

III. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

17.      Im Jahr 2014 wurde eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts in eine SE mit dualistischem System, die SAP SE, umgewandelt, nachdem mit dem besonderen Verhandlungsgremium eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in dieser Gesellschaft (im Folgenden: Beteiligungsvereinbarung) geschlossen worden war.

18.      Vor der Umwandlung bestand der Aufsichtsrat der Gesellschaft gemäß § 7 Abs. 1 und 2 MitbestG aus je acht Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Von den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer waren zwei Vertreter von Gewerkschaften, die in einem von den Wahlen der übrigen sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer getrennten Wahlgang gewählt worden waren.

19.      Nach der Umwandlung verfügt die Gesellschaft SAP SE gemäß der Beteiligungsvereinbarung über einen aus 18 Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat, von dem neun Mitglieder Arbeitnehmervertreter sind. Teil II Nr. 3.1 der Beteiligungsvereinbarung sieht vor, dass zum Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nur SAP-Arbeitnehmer oder Vertreter der im SAP-Konzern repräsentierten Gewerkschaften vorgeschlagen oder bestellt werden können. Nr. 3.3 dieses Teils der Vereinbarung verleiht den Gewerkschaften für einen Teil der auf Deutschland entfallenden Arbeitnehmervertreter ein ausschließliches Vorschlagsrecht, wobei die Gewerkschaftsvertreter in einem getrennten Wahlgang gewählt werden.

20.      Als die SAP SE beabsichtigte, ihren Aufsichtsrat auf zwölf Mitglieder zu verkleinern, fochten die Gewerkschaften Teil II Nr. 3.4 der Vereinbarung an, wonach in einem zwölfköpfigen Aufsichtsrat die Arbeitnehmervertreter, die den ersten vier auf Deutschland entfallenden Sitzen entsprechen, von den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern gewählt werden und die im Konzern vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge für einen Teil der auf Deutschland entfallenden Sitze machen können, ohne jedoch für die Wahl ihrer Kandidaten in den Genuss eines getrennten Wahlgangs zu kommen. Die Gewerkschaften sind der Ansicht, diese Regelungen verstießen gegen § 21 Abs. 6 SEBG, da zu ihren Gunsten kein ausschließliches – also durch einen getrennten Wahlgang abgesichertes – Vorschlagsrecht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vorgesehen sei. Die SAP SE ist demgegenüber der Auffassung, das in § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 MitbestG vorgesehene ausschließliche Vorschlagsrecht der Gewerkschaften werde durch § 21 Abs. 6 SEBG nicht geschützt.

21.      Das vorlegende Gericht, das mit einem Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung befasst ist, mit der die Klage der Gewerkschaften, darunter u. a. die Industriegewerkschaft Metall (im Folgenden: IG Metall) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (im Folgenden: ver.di), abgewiesen worden war, zweifelt an der Gültigkeit der in der Beteiligungsvereinbarung vorgesehenen Regelungen zur Bestellung der Arbeitnehmervertreter in einem auf zwölf Mitglieder verkleinerten Aufsichtsrat im Hinblick auf § 21 Abs. 6 SEBG und Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie.

22.      Es legt erstens dar, dass die angefochtenen Bestimmungen der Beteiligungsvereinbarung nicht mit der Auslegung von § 21 Abs. 6 SEBG, mit dem Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie umgesetzt worden sei, nach den für das nationale Recht maßgeblichen Auslegungsmethoden vereinbar seien.

23.      Das vorlegende Gericht vertritt nämlich die Ansicht, dass die Autonomie, die den Parteien eingeräumt worden sei, um zu einer Beteiligungsvereinbarung zu gelangen, bei der Gründung einer SE durch Umwandlung einer Aktiengesellschaft in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleisten müsse, das in der Gesellschaft bestehe, die umgewandelt werden solle. Diese Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung seien – bezogen auf die Mitbestimmungsverfahren in der umzuwandelnden Gesellschaft – auf der Grundlage des hierfür maßgebenden nationalen Rechts festzustellen. Die Verfahrenselemente, die die Einflussnahme der Arbeitnehmer in der umzuwandelnden Gesellschaft maßgebend kennzeichneten, müssten in der für die SE geltenden Beteiligungsvereinbarung in qualitativ gleichwertigem Maß gewährleistet sein. Der getrennte Wahlgang für die – gegebenenfalls gesellschaftsfremden – Arbeitnehmervertreter der Gewerkschaften, die in der umzuwandelnden Gesellschaft oder in einem anderen Unternehmen repräsentiert seien, dessen Arbeitnehmer an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern teilnähmen, gehöre zu den Verfahrenselementen, die die Einflussnahme der Arbeitnehmer kennzeichneten, und müsse deshalb in der Beteiligungsvereinbarung in qualitativ gleichwertigem Umfang gewährleistet sein. Die Gewährleistung der Wahrung einer gleichwertigen Beteiligung beziehe sich auch auf die Anzahl der Gewerkschaftsvertreter, die in einem getrennten Wahlgang gewählt werden müssten, wobei das ausschließliche Vorschlagsrecht allen und nicht nur den deutschen Gewerkschaften offenstehen müsse. Zudem ermögliche der getrennte Wahlgang die Wahl von Personen, die ein hohes Maß an Vertrautheit mit den Gegebenheiten und Bedürfnissen des Unternehmens hätten, gleichzeitig aber über externen Sachverstand verfügten und unabhängig seien. Da das in der Beteiligungsvereinbarung für einen zwölfköpfigen Aufsichtsrat geltende Verfahren keinen gesonderten Wahlgang für die Wahl der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten vorsehe, stelle es im Ergebnis nicht ausreichend sicher, dass sich im Aufsichtsrat ein Kandidat der Gewerkschaften befinde, und verstoße somit gegen § 21 Abs. 6 SEBG.

24.      Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die vorstehende Auslegung seines nationalen Rechts mit den Vorgaben von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie vereinbar ist.

25.      Das vorlegende Gericht ist nämlich der Ansicht, dass es, sollte diesem Artikel der SE‑Richtlinie ein anderes Verständnis mit einem unionsweit einheitlichen, geringeren Schutzniveau zugrunde liegen, gehalten wäre, § 21 Abs. 6 SEBG unionsrechtskonform auszulegen.

26.      Daher hat das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist § 21 Abs. 6 [SEBG], aus dem sich für den Fall der Gründung einer in Deutschland ansässigen SE durch Umwandlung ergibt, dass für einen bestimmten Teil der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften Vorgeschlagene zu gewährleisten ist, mit Art. 4 Abs. 4 der [SE‑Richtlinie] vereinbar?

27.      Die IG Metall, ver.di, die SAP SE, der Konzernbetriebsrat der SAP SE, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sowohl diese Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme des Konzernbetriebsrats der SAP SE als auch die luxemburgische Regierung haben in der Sitzung vom 7. Februar 2022 mündlich Stellung genommen.

IV.    Würdigung

28.      Bevor ich auf die Frage des vorlegenden Gerichts eingehe, ist zur Gültigkeit von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie im Hinblick auf das Primärrecht, genauer gesagt im Hinblick auf Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit sowie die Art. 16, 17 und 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Stellung zu nehmen. Die SAP SE trägt nämlich vor, Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie beschränke diese Freiheiten und Rechte auf eine Art und Weise, die für die Erreichung der Ziele der Verordnung Nr. 2157/2001 und der SE‑Richtlinie nicht erforderlich sei, wobei die Ziele darin bestünden, den Binnenmarkt zu verwirklichen und die Gemeinschaftsziele im Sozialbereich zu fördern, die genauso gut durch die übrigen Vorschriften betreffend das Verfahren zur Aushandlung der Beteiligungsvereinbarung und durch die Existenz einer Auffangregelung, die im Fall des Scheiterns der Verhandlungen gelte, erfüllt werden könnten.

29.      Zu diesen Punkten hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass es allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen will, und zum anderen, dass Art. 267 AEUV den Parteien eines bei einem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreits keinen Rechtsbehelf eröffnet, so dass der Gerichtshof nicht gehalten ist, die Frage der Gültigkeit von Unionsrecht zu prüfen, nur weil eine Partei diese Frage in ihren schriftlichen Erklärungen aufgeworfen hat(10).

30.      Im vorliegenden Fall bezieht sich die Vorlagefrage auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie, ohne dass das vorlegende Gericht angibt, dass es Zweifel an der Gültigkeit dieser Vorschrift hat oder die Frage nach der Gültigkeit vor ihm gestellt worden ist. Somit braucht sich der Gerichtshof nicht zur Gültigkeit zu äußern.

31.      In der Sache fragt sich das vorlegende Gericht, ob der gesonderte Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat einer aus der Umwandlung einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts hervorgegangenen SE gemäß Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie beibehalten werden muss oder durch die Aushandlung der in Art. 4 Abs. 1 der SE‑Richtlinie genannten Beteiligungsvereinbarung entbehrlich geworden ist.

A.      Kurzer Überblick über die Vorschriften für die Gründung einer SE durch Umwandlung

32.      Zur Erinnerung: Die für den Erlass der SE‑Richtlinie erforderliche Einstimmigkeit hat nicht zu einer Harmonisierung, geschweige denn zu einer Vereinheitlichung der Regelungen für die Beteiligung der Arbeitnehmer in Gesellschaften geführt, die nach dem Recht der Mitgliedstaaten gegründet worden sind. In der SE‑Richtlinie ist die Beteiligung der Arbeitnehmer gleichwohl definiert worden, wobei diese Definition drei Hauptteile umfasst: „jedes Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, der Anhörung und der Mitbestimmung –, durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können“(11). Desgleichen ist die Mitbestimmung in der SE‑Richtlinie als „Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des [Aufsichtsorgans] der Gesellschaft zu wählen“(12), bezeichnet worden.

33.      In Ermangelung einer Harmonisierung der Beteiligungsarten werden Verhandlungen zwischen den zuständigen Organen der Gesellschaft und dem besonderen Verhandlungsgremium, das die Arbeitnehmer der von der Gründung der SE betroffenen Unternehmen vertritt, gefördert, um zu einer Beteiligungsvereinbarung zu gelangen, die eine Reihe von Elementen enthalten muss, darunter u. a. einen Hinweis, ob die Beteiligung der Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall die Form einer Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat annimmt, die Anzahl dieser Vertreter im Aufsichtsrat und die bei ihrer Wahl zu befolgenden Verfahren(13). Für die Verhandlungen gilt gleichwohl ein Vorher-Nachher-Prinzip, das im 18. Erwägungsgrund der SE‑Richtlinie wie folgt umschrieben wird: „Die vor der Gründung von SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer sollten … Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE … sein.“ Dieser Erwägungsgrund sieht außerdem einen Grundsatz der Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung vor.

34.      Kommt keine Vereinbarung zustande, gilt für die SE eine Auffangregelung, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats ihrer Eintragung festgelegt ist(14) und im Einklang mit den im Anhang der SE‑Richtlinie verankerten Grundsätzen steht. Zu diesen Grundsätzen gehört im Fall einer Umwandlung folgende Regel: „Fanden … Vorschriften eines Mitgliedstaats über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer … im Aufsichtsorgan vor der Eintragung Anwendung, so finden alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer weiterhin Anwendung. Buchstabe b gilt diesbezüglich sinngemäß.“(15) In Teil 3 Buchst. b des Anhangs der SE‑Richtlinie heißt es: „In den Fällen der Gründung einer SE haben die Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe … das Recht, einen Teil der Mitglieder … des Aufsichtsorgans der SE zu wählen …, wobei die Zahl dieser Mitglieder sich nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bemisst.“

35.      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Gründung einer SE durch Umwandlung im Vergleich zu den anderen drei Gründungsmodalitäten mit zusätzlichen Sicherungsmechanismen versehen ist. So ist es erstens im Fall einer Umwandlung weder möglich, auf die Aufnahme von Verhandlungen im besonderen Verhandlungsgremium zu verzichten, noch sie abzubrechen, ohne dass die Auffangregelung gilt(16). Wird eine der Beteiligung unterliegende Gesellschaft umgewandelt, führen dementsprechend entweder die Verhandlungen zu einer Beteiligungsvereinbarung, die die Vorgaben von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie erfüllt, oder die speziell für die Umwandlung geltende Auffangregelung findet Anwendung. Zweitens ist es dem besonderen Verhandlungsgremium im Fall einer Umwandlung nicht möglich, für eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zu stimmen, wobei Minderung bedeutet, „dass der Anteil der Mitglieder der Organe der SE im Sinne des Artikels 2 Buchstabe k geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften geltende Anteil“(17). Drittens sieht auch die Verordnung Nr. 2157/2001 zwei Schutzmechanismen im Fall einer Gründung durch Umwandlung vor: zum einen das Verbot einer Verlegung des Gesellschaftssitzes anlässlich der Umwandlung (Art. 37 Abs. 3 dieser Verordnung) und zum anderen die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Umwandlung davon abhängig zu machen, dass das Organ der umzuwandelnden Gesellschaft, in dem die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorgesehen ist, der Umwandlung mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig zustimmt (Art. 37 Abs. 8 der Verordnung).

36.      In diesem Umfeld ist Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie auszulegen. Die Auslegung bezieht sich dabei auf zwei verschiedene Elemente: zum einen auf „alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ und zum anderen auf „zumindest das gleiche Ausmaß …, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“. Ich werde meine Analyse mit dem zweiten Element beginnen.

B.      Auslegung der Wendung „zumindest das gleiche Ausmaß, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“

37.      Erstens verweist dieses zweite Element unbestreitbar auf das nationale Recht, das für die Beteiligung der Arbeitnehmer in der umzuwandelnden Gesellschaft gilt.

38.      Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sämtliche für diese Gesellschaft geltenden Vorschriften weiterhin für die SE gelten. Denn nur bei Anwendung der Auffangregelung im Fall des Scheiterns der Verhandlungen können die bis dahin auf die umzuwandelnde Gesellschaft anwendbaren Vorschriften unverändert beibehalten werden, da nach der zuvor dargestellten Auffangregelung von Teil 3 des Anhangs der SE‑Richtlinie gemäß dessen Buchst. a im Fall einer Umwandlung alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer weiterhin Anwendung finden, gemäß Buchst. b dieses Teils, der sinngemäß gilt, insbesondere der höchste Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dementsprechend sind Verhandlungen entgegen dem Vorbringen der SAP SE durchaus ein Bonus, da das besondere Verhandlungsgremium vom nationalen Recht abweichen darf, soweit das nach der Auslegung des anderen Elements von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie zulässig ist.

39.      Zweitens müssen ähnliche Überlegungen für die Gewährleistung der Nichtbeseitigung oder Nichteinschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung und die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung sowie für die Anwendung des Vorher-Nachher-Prinzips gelten, die in den Erwägungsgründen 3 und 18 der SE‑Richtlinie verankert sind.

C.      Auslegung der Wendung „alle Komponenten der Beteiligung“

40.      Es könnte verlockend sein, der Argumentation der SAP SE zu folgen. Diese Gesellschaft schlägt eine unionsweit einheitliche Auslegung der „Komponenten“ dahin gehend vor, dass sie sich in Bezug auf die Mitbestimmung nur auf den Anteil und die Einflussnahme der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beziehen, ohne einen gesonderten Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter zu verlangen. Eine solche Auslegung kann sich nämlich auf verschiedene Elemente stützen.

41.      Zum einen schützt die SE‑Richtlinie streng genommen nicht die Rechte der Gewerkschaften, sondern die der Arbeitnehmer, da Gewerkschaften in der SE‑Richtlinie ausdrücklich nur bei der Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums erwähnt werden(18). Diese einzige Nennung lässt sich jedoch durch die Tatsache erklären, dass es für die Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums naturgemäß keine nationalen Vorschriften gibt und die Beteiligung der Gewerkschaften, deren Rolle in einigen nationalen Rechtsordnungen geregelt ist, ausdrücklich vorgesehen werden musste.

42.      Zum anderen wird eine Minderung der Mitbestimmungsrechte, wenn sie in der SE‑Richtlinie angesprochen wird, als ein Rückgang des Anteils der Arbeitnehmervertreter in den beteiligten Gesellschaften betrachtet(19). Entsprechend sieht die Richtlinie (EU) 2017/1132(20) vor, dass im Fall einer grenzüberschreitenden Umwandlung die Regelung des Zuzugsmitgliedstaats für die Arbeitnehmermitbestimmung keine Anwendung findet, wenn das Recht des Zuzugsmitgliedstaats nicht „mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsieht, wie er in der Gesellschaft vor der grenzüberschreitenden Umwandlung bestand, wobei dieser Umfang als der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans … ausgedrückt wird“(21). Der gleiche Wortlaut wird für grenzüberschreitende Spaltungen(22) und grenzüberschreitende Verschmelzungen(23) gewählt.

43.      Daher wird der Umfang der Mitbestimmung in diesen Fällen im Verhältnis zu den Arbeitnehmervertretern im betreffenden Organ bewertet. Auch wenn sich daraus der Schluss ziehen lässt, dass der Anteil zu den geschützten Komponenten der Beteiligung gehört, genügt das jedoch nicht, um auszuschließen, dass andere Komponenten dieser Beteiligung auf die gleiche Art und Weise geschützt werden können, sofern sie sich auf den Einfluss der Arbeitnehmer auf den Gang der Gesellschaft auswirken.

44.      In den in der Richtlinie 2017/1132 genannten Fällen erfolgt diese Bezugnahme auf den Anteil nämlich zu einem Zeitpunkt des Prozesses, zu dem erstens das für den Vorgang in Bezug auf die Beteiligungsrechte geltende Recht bestimmt und zweitens festgestellt werden muss, ob die von einem besonderen Verhandlungsgremium geführten Verhandlungen zur Festlegung dieser Rechte aufgenommen werden müssen, was ein objektives Kriterium erfordert, über das nicht gestritten werden kann.

45.      Auch der Verweis auf den Anteil in Art. 3 Abs. 4 a. E. der SE‑Richtlinie genügt nicht, um auszuschließen, dass weitere Komponenten der Beteiligung geschützt werden können, zumal sich dieser Artikel auf die anderen Arten der Gründung einer SE bezieht. Das steht voll und ganz im Einklang mit der Tatsache, dass die Auffangregelung für diese Gründungsarten nur den Anteil schützt(24).

46.      Da der Wortlaut selbst ausgesprochen weit ist, nämlich „alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ umfasst, kann er außerdem nicht zu der Feststellung führen, dass nur ein Anteil im Aufsichtsrat geschützt sei, obwohl sich der Inhalt der Beteiligungsvereinbarung nicht nur auf die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sondern auch auf die Verfahren beziehen muss, nach denen diese gewählt werden(25).

47.      Auch wenn bestimmte Verfahrenselemente den gleichen Schutz wie der Anteil genießen müssen, bin ich jedoch nicht davon überzeugt, dass alle Verfahrenselemente den gleichen Wert haben, da zusätzlich erforderlich ist, dass sie einen Einfluss auf den Gang der Gesellschaft haben.

48.      Die im Ausgangsverfahren klagenden Gewerkschaften teilen diesen Standpunkt, da sie die Verkleinerung des Aufsichtsrats auf zwölf Mitglieder unstreitig nicht angefochten haben, obwohl die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder im deutschen Recht ausnahmslos von der Größe der Gesellschaft abhängt. Sie haben somit anerkannt, dass die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder Gegenstand von Verhandlungen sein kann, ebenso wie sie in der mündlichen Verhandlung anerkannt haben, dass es mehrere Vereinbarungen über die Verteilung der Sitze der Arbeitnehmervertreter geben kann, sofern die Voraussetzung eines getrennten Wahlgangs bei der Wahl der Kandidaten der Gewerkschaften (nur auf die auf Deutschland entfallenden Sitze anzuwendender Anteil(26) oder Gesamtanteil, indem es allen Gewerkschaften der betreffenden Unternehmen gestattet wird, die ihnen vorbehaltenen Sitze unter sich aufzuteilen(27)) erfüllt ist.

49.      Das Verfahrenselement sollte daher einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung im betreffenden Organ haben, da Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wie wir gesehen haben, als die Einflussnahme der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft definiert wird(28). So ließe sich mit diesem Kriterium der Einflussnahme verstehen, dass die Gesamtzahl der Aufsichtsratsmitglieder Gegenstand von Verhandlungen sein kann, wenn der Anteil gewahrt ist.

50.      Das besagte Kriterium ist jedoch schwieriger zu handhaben, wenn es um die Frage geht, ob der gesonderte Wahlgang für Gewerkschaften geschützt werden soll oder nicht, da dies auf eine Wertentscheidung über den Beitrag der Gewerkschaftsvertreter im Verhältnis zu den übrigen Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat hinausläuft. Sowohl das vorlegende Gericht als auch die IG Metall und ver.di führen ein in dieser Frage gespaltenes deutsches Schrifttum an, auch wenn alle drei feststellen, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern verbessert wird. Dementsprechend ist es nicht denkbar, daraus ein Element zu machen, das von Fall zu Fall beurteilt werden kann, so dass sich die angesprochene Wertentscheidung nur vermeiden lässt, wenn auf die Beurteilung nach nationalem Recht abgestellt wird.

51.      Darüber hinaus schlagen die Gewerkschaften und die deutsche Regierung das Kriterium des prägenden Elements des Verfahrens der Arbeitnehmerbeteiligung auf nationaler Ebene vor, um eine Unterscheidung der Elemente zu ermöglichen, die nicht Gegenstand von Verhandlungen sein können. Dieses Kriterium scheint mir geeignet zu sein, den Gedanken zu veranschaulichen, dass die Einflussnahme, wenn sie mit qualitativen Elementen in Zusammenhang steht, nicht Gegenstand einer Einzelfallbeurteilung sein oder von Fall zu Fall ausgehandelt werden kann, sondern anhand der im innerstaatlichen Recht getroffenen Entscheidungen bewertet werden muss, solange eine Harmonisierung auf Unionsebene nicht verwirklicht ist. Das besondere Verhandlungsgremium muss nämlich klare Richtlinien dafür haben, was unter seine Verhandlungsfreiheit fällt und welche einzelstaatlichen Vorschriften beizubehalten sind.

52.      Daher ist der gesonderte Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter unbestreitbar ein prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.

53.      Meines Erachtens dürfte die gewählte Auslegung von Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie infolge der Übernahme des gleichen Wortlauts ebenfalls für Europäische Genossenschaften(29) und – durch Verweis auf diese Vorschrift – für grenzüberschreitende Spaltungen(30) und Umwandlungen(31) gelten.

54.      Auch wenn das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht direkt zur Ausweitung des Rechts auf einen getrennten Wahlgang auf sämtliche von der Umwandlung betroffene Arbeitnehmer, zur Öffnung dieses Wahlgangs für andere als deutsche Gewerkschaften und zur Möglichkeit für Gewerkschaften befragt, unabhängig davon Wahlvorschläge zu machen, ob die Kandidaten in einem betroffenen Unternehmen beschäftigt sind oder nicht, liegen diese Fragen seinem Beschluss zugrunde, da sie in dessen Begründung aufscheinen. Daher halte ich es für interessant, kurz darauf zu antworten, zumal sich die Antworten aus der SE‑Richtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofs ableiten lassen.

55.      Zunächst hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass „aus der SE‑Richtlinie hervor[geht], dass die vom Unionsgesetzgeber gewollte Sicherung erworbener Rechte nicht nur die Aufrechterhaltung der erworbenen Rechte der Arbeitnehmer in den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften impliziert, sondern auch die Ausweitung dieser Rechte auf sämtliche betroffenen Arbeitnehmer“(32). Somit scheint mir klar zu sein, dass sämtliche Arbeitnehmer diesen gesonderten Wahlgang in Anspruch nehmen können sollten, auch wenn das nationale Recht ihn als solchen nicht erlaubt(33). Außerdem kann die Beteiligungsvereinbarung die genauen Modalitäten für die Wahl der Arbeitnehmervertreter festlegen. Dies könnte das besondere Verhandlungsgremium im Rahmen der Verhandlungen dazu veranlassen, zu akzeptieren, dass auch andere als deutsche Gewerkschaften Wahlvorschläge unterbreiten können, ohne dass sich das aus einer Verpflichtung der SE‑Richtlinie oder – naturgemäß – des nationalen Rechts ergäbe. Schließlich könnten die Kandidaten der Gewerkschaften in Anbetracht des in der SE‑Richtlinie eingenommenen Standpunkts, wonach Gewerkschaftsvertreter, die nicht in einem von der Umwandlung betroffenen Unternehmen beschäftigt sind, im besonderen Verhandlungsgremium mitwirken dürfen(34), soweit das im nationalen Recht der umzuwandelnden Gesellschaft der Fall ist, Kandidaten sein, die nicht in seinem solchen Unternehmen beschäftigt sind.

56.      Daher ist Art. 4 Abs. 4 der SE‑Richtlinie dahin auszulegen, dass die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer durch Umwandlung gegründeten SE einen getrennten Wahlgang für die Wahl eines bestimmten Teils der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorsehen muss, wenn diese Besonderheit existiert und in dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht zwingend ist.

V.      Ergebnis

57.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ist dahin auszulegen, dass die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer durch Umwandlung gegründeten Europäischen Gesellschaft für die Wahl eines bestimmten Teils der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einen getrennten Wahlgang vorsehen muss, wenn diese Besonderheit nach dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht besteht und zwingend ist.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2001, L 294, S. 22.


3      Vgl. Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (KOM[89] 268 endg. – SYN 218), von der Kommission dem Rat vorgelegt am 16. Oktober 1989.


4      Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des SE‑Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer (KOM[89] 268 endg. – SYN 219), von der Kommission dem Rat vorgelegt am 25. August 1989.


5      Vgl. Art. 2 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. 2001, L 294, S. 1).


6      BGBl. 1976 I S. 1153.


7      BGBl. 2015 I S. 642, im Folgenden: MitbestG.


8      BGBl. 2004 I S. 3686.


9      BGBl. 2020 I S. 1044, im Folgenden: SEBG.


10      Vgl. Urteil vom 5. Mai 2011, MSD Sharp & Dohme (C‑316/09, EU:C:2011:275, Rn. 21 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Art. 2 Buchst. h der SE‑Richtlinie.


12      Art. 2 Buchst. k der SE‑Richtlinie.


13      Vgl. Art. 4 Abs. 2 Buchst. g der SE‑Richtlinie.


14      Vgl. Art. 7 Abs. 1 der SE‑Richtlinie.


15      Teil 3 Buchst. a des Anhangs der SE‑Richtlinie.


16      Vgl. Art. 3 Abs. 6 der SE‑Richtlinie.


17      Art. 3 Abs. 4 der SE‑Richtlinie.


18      Vgl. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b und 19. Erwägungsgrund der SE‑Richtlinie.


19      Vgl. Art. 3 Abs. 4 a. E. der SE‑Richtlinie.


20      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. 2017, L 169, S. 46) in der durch die Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 (ABl. 2019, L 321, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2017/1132).


21      Art. 86l Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2017/1132.


22      Vgl. Art. 160l Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2017/1132.


23      Vgl. Art. 133 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2017/1132.


24      Vgl. Teil 3 Buchst. b des Anhangs der SE‑Richtlinie.


25      Vgl. Art. 4 Abs. 2 Buchst. g der SE‑Richtlinie.


26      Was der Logik von Teil 3 Buchst. b Abs. 3 a. E. des Anhangs der SE‑Richtlinie (Auffangregelung) entspräche, in dem es heißt: „Jeder Mitgliedstaat hat das Recht, die Verteilung der ihm im Verwaltungs- oder im Aufsichtsorgan zugewiesenen Sitze festzulegen.“


27      Was mehr in der Logik des Urteils vom 20. Juni 2013, Kommission/Niederlande (C‑635/11, EU:C:2013:408, Rn. 40 und 41), stünde, in dem das Vorher-Nachher-Prinzip so ausgelegt wird, dass es eine Ausweitung der Beteiligungsrechte auf sämtliche von der Gründung einer SE betroffenen Arbeitnehmer vorschreibt.


28      Vgl. Art. 2 Buchst. k der SE‑Richtlinie.


29      Vgl. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. 2003, L 207, S. 25).


30      Vgl. Art. 160l Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2017/1132.


31      Vgl. Art. 86l Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2017/1132.


32      Urteil vom 20. Juni 2013, Kommission/Niederlande (C‑635/11, EU:C:2013:408, Rn. 41).


33      Vgl. Sachverhalt der Rechtssache, in der das Urteil vom 18. Juli 2017, Erzberger (C‑566/15, EU:C:2017:562), ergangen ist, wonach das deutsche Mitbestimmungsrecht nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstreckt werden darf.


34      Vgl. 19. Erwägungsgrund und Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SE‑Richtlinie.