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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 14. November 2023(1)

Rechtssache C695/22

Fondee a.s.

gegen

Česká národní banka

(Vorabentscheidungsersuchen des Městský soud v Praze [Stadtgericht Prag, Tschechische Republik])

„Vorabentscheidungsersuchen – Märkte für Finanzinstrumente – Richtlinie 2014/65/EU – Art. 3 und 34 – Anlagevermittler – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr“






1.        Mit dem Vorabentscheidungsersuchen, das diesen Schlussanträgen zugrunde liegt, stellt der Městský soud v Praze (Stadtgericht, Tschechische Republik) dem Gerichtshof zwei Fragen nach der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und 3 und Art. 34 der Richtlinie 2014/65(2), der sogenannten MiFID‑II-Richtlinie(3), sowie deren Verhältnis zu Art. 56 AEUV.

2.        Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Klage, die die Gesellschaft Fondee a.s. (im Folgenden: Fondee bzw. Klägerin des Ausgangsverfahrens) beim vorlegenden Gericht eingereicht hat, um die Nichtigerklärung der Entscheidung zu erwirken, mit der der Vorstand der Tschechischen Nationalbank das von ihm gegen die Klägerin des Ausgangsverfahrens verhängte Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen Rechtsvorschriften für den Kapitalmarkt in der Tschechischen Republik aufrechterhalten hat.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

3.        Die Richtlinie 2014/65 – eine Neufassung der Richtlinie 2004/39, die teilweise in der Verordnung 600/2014 aufgegangen ist(4) – bildet zusammen mit dieser Verordnung „den Rechtsrahmen für die Anforderungen …, die an Wertpapierfirmen, geregelte Märkte, Datenbereitstellungsdienste und Drittlandfirmen, die Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten in der Union erbringen bzw. ausüben, gestellt werden“ (siebter Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/65). Hauptziel der Richtlinie ist die Entwicklung eines Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen, in dem die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs gewährleistet ist sowie die Transparenz und der Anlegerschutz durch die Harmonisierung der nationalen Vorschriften insbesondere über die Zulassung und die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen sowie über die Befugnisse der Aufsichtsbehörden und die Auferlegung von Sanktionen sichergestellt sind.

4.        Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 gilt diese u. a. für „Wertpapierfirmen“. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie definiert eine „Wertpapierfirma“ als jede juristische Person und, unter bestimmten Voraussetzungen, auch ein Unternehmen ohne Rechtspersönlichkeit oder eine natürliche Person, „die [bzw. das] im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt“. Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie umfassen „Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“ jede in Anhang I Abschnitt A dieser Richtlinie genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Abschnitt C dieses Anhangs bezieht. Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 bezeichnet „Anlageberatung“ die Abgabe persönlicher Empfehlungen an einen Kunden entweder auf dessen Aufforderung oder auf Initiative der Wertpapierfirma, die sich auf ein oder mehrere Geschäfte mit Finanzinstrumenten beziehen, während die Tätigkeit der „Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden“ nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 5 „die Tätigkeit zum Abschluss von Vereinbarungen [bezeichnet], ein oder mehrere Finanzinstrumente im Namen von Kunden zu kaufen oder zu verkaufen, und … den Abschluss von Vereinbarungen über den Verkauf von Finanzinstrumenten [umfasst], die von einer Wertpapierfirma oder einem Kreditinstitut zum Zeitpunkt ihrer Emission ausgegeben werden“.

5.        Art. 3 („Fakultative Ausnahmen“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 sieht Folgendes vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass diese Richtlinie nicht für Personen gilt, für die sie Herkunftsmitgliedstaat sind, sofern die Tätigkeiten dieser Personen auf nationaler Ebene zugelassen und geregelt sind und diese Personen

a)      nicht berechtigt sind, Gelder oder Wertpapiere von Kunden zu halten und die sich aus diesem Grund zu keinem Zeitpunkt gegenüber ihren Kunden in einer Debet-Position befinden dürfen, und

b)      nicht zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen berechtigt sind, außer zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen in Bezug auf übertragbare Wertpapiere und Anteile von Organismen für gemeinsame Anlagen und/oder zur Anlageberatung in Bezug auf solche Finanzinstrumente und

c)      bei der Erbringung dieser Dienstleistung Aufträge nur übermitteln dürfen an

i)      gemäß dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirmen,

iv)      Organismen für gemeinsame Anlagen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ihre Anteile öffentlich vertreiben dürfen, sowie die Leiter solcher Organismen …“

6.        Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2014/65 sieht vor, dass die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie genannten Personen gemäß den Bestimmungen der Mitgliedstaaten Anforderungen unterliegen müssen, die zumindest den Anforderungen dieser Richtlinie in Bezug auf die Bedingungen und Verfahren für die Zulassung und die laufende Überwachung, die Wohlverhaltensregeln und die organisatorischen Anforderungen gemäß den ausdrücklich in Bezug genommenen Bestimmungen der Richtlinie 2014/65 entsprechen. Schließlich sieht Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie vor, dass Personen, die gemäß Abs. 1 von dieser Richtlinie ausgenommen sind, „die Freiheit der Erbringung von Wertpapierdienstleistung oder der Ausübung von Anlagetätigkeit oder die Freiheit der Errichtung von Zweigniederlassungen gemäß Artikel 34 bzw. 35 nicht in Anspruch nehmen [dürfen]“.

7.        Titel II der Richtlinie 2014/65 regelt die Zulassung von Wertpapierfirmen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit. Die Art. 5 und 6 dieser Richtlinie stehen in Kapitel I dieses Titels, das die Zulassungsbedingungen und ‑verfahren betrifft (der sogenannte „einheitliche Europäische Pass“). Insbesondere bedarf nach Art. 5 („Zulassungsanforderung“) die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und/oder die Ausübung von Anlagetätigkeiten als übliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit der Erteilung einer vorherigen Zulassung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats(5). Gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sind in der Zulassung die Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten zu spezifizieren, die die Wertpapierfirma erbringen bzw. ausüben darf, während es in Art. 6 Abs. 3 heißt, dass „[d]ie Zulassung … in der gesamten Union gültig [ist] und … einer Wertpapierfirma [gestattet], Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten, für die ihr eine Zulassung erteilt wurde, in der gesamten Union zu erbringen bzw. auszuüben; dies kann entweder durch die Niederlassungsfreiheit, auch über die Errichtung einer Zweigniederlassung, oder im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs geschehen“.

8.        Titel II Kapitel III der Richtlinie 2014/65 regelt die Rechte von Wertpapierfirmen. Art. 34, der in diesem Kapitel steht, sieht in seinem Abs. 1 Unterabs. 1 vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten sicher[stellen], dass jede Wertpapierfirma, die von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats im Einklang mit dieser Richtlinie … zugelassen und beaufsichtigt wird, in ihrem Hoheitsgebiet ungehindert Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben sowie Nebendienstleistungen erbringen kann, sofern diese Dienstleistungen und Tätigkeiten durch ihre Zulassung gedeckt sind …“. Art. 34 Abs. 1 Unterabs. 2 bestimmt, dass diesen Firmen keine „zusätzlichen Anforderungen“ auferlegt werden. Gemäß Art. 34 Abs. 2 und 3 muss jede Wertpapierfirma, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erstmals Dienstleistungen erbringen oder Anlagetätigkeiten ausüben möchte oder die Palette ihrer dort angebotenen Dienstleistungen oder Tätigkeiten ändern möchte, dies ihrem Herkunftsmitgliedstaat übermitteln, der diese Angaben an die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats weiterleitet(6). Nach dieser Mitteilung kann die Wertpapierfirma im Aufnahmemitgliedstaat die betreffenden Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten erbringen. Art. 35 der Richtlinie 2014/65, der ebenfalls in Titel II Kapitel III dieser Richtlinie steht, sieht in seinem Abs. 1 Unterabs. 1 vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … sicher[stellen], dass in ihrem Hoheitsgebiet Wertpapierdienstleistungen und/oder Anlagetätigkeiten sowie Nebendienstleistungen im Einklang mit dieser Richtlinie … im Wege der Niederlassungsfreiheit – sei es durch die Errichtung einer Zweigniederlassung oder durch Heranziehung eines vertraglich gebundenen Vermittlers, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat niedergelassen ist – erbracht bzw. ausgeübt werden können, sofern diese Dienstleistungen und Tätigkeiten von der der Wertpapierfirma … erteilten Zulassung abgedeckt sind“.

B.      Tschechisches Recht

9.        Die Ausübung der Tätigkeit eines Anlagevermittlers in der Tschechischen Republik unterliegt der Zulassung durch die Tschechische Nationalbank. Gemäß § 29 Abs. 1 des Zákon č. 256/2004 Sb., o podnikání na kapitálovém trhu (Gesetz Nr. 256/2004 Slg., über Kapitalmarktgeschäfte, im Folgenden: Kapitalmarktgesetz) in geänderter Fassung ist ein Anlagevermittler nur zur Erbringung einiger der grundlegenden Wertpapierdienstleistungen befugt, nämlich zur Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die Anlageinstrumente betreffen (zu denen auch gemeinsame Anlagen in Wertpapieren gehören), und zur Anlageberatung in Bezug auf diese Instrumente. § 29 Abs. 4 sieht vor, dass Anlagevermittler, wenn sie solche Dienstleistungen erbringen, Aufträge nur an „einen Wertpapierhändler, eine Bank oder eine Investmentgesellschaft …“ übermitteln dürfen. Ein „Wertpapierhändler“ ist gemäß § 5 Abs. 1 des Kapitalmarktgesetzes eine juristische Person, die auf der Grundlage einer von der Tschechischen Nationalbank erteilten Zulassung berechtigt ist, die grundlegenden Wertpapierdienstleistungen zu erbringen, und die gemäß § 6 Abs. 1 Buchst. b dieses Gesetzes ihren Sitz in der Tschechischen Republik hat.

10.      § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes verbietet es somit den Anlagevermittlern, Aufträge an Wertpapierfirmen zu übermitteln, deren Sitz sich außerhalb des betreffenden Mitgliedstaats befindet. Dieser Paragraf wurde durch die Novelle Nr. 204/2017 Slg. eingefügt, die mit Wirkung ab dem 3. Januar 2018 den bisherigen § 29 Abs. 1 Buchst. b des Kapitalmarktgesetzes ersetzte, der die Übermittlung von Aufträgen auch an ein ausländisches Subjekt ermöglichte. Laut der Gesetzesbegründung der Novelle wurde dieser Personenkreis durch den Gesetzgeber im Hinblick auf eine Vereinfachung der Aufsicht durch die Tschechische Nationalbank eingeschränkt. Gemäß § 162 Abs. 1 Buchst. a des Kapitalmarktgesetzes begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer unerlaubt eine Tätigkeit nach diesem Gesetz ausübt.

II.    Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

11.      Fondee ist ein Anlagevermittler im Sinne von § 29 Abs. 1 des Kapitalmarktgesetzes, der auf der Grundlage einer von der Tschechischen Nationalbank erteilten Zulassung tätig ist. Die Tschechische Nationalbank stellte fest, dass Fondee im Zeitraum vom 7. Oktober 2019 bis 27. Dezember 2019 407 Aufträge an einen ausländischen Wertpapierhändler übermittelt hatte. Fondee hatte es ihren Kunden insbesondere ermöglicht, in sogenannte ETFs („exchange traded funds“, „börsengehandelte Fonds“) zu investieren, d. h. gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, die zum Handel an ausländischen Börsen und anderen regulierten Märkten zugelassen sind(7). Die Kunden erteilten über ihr Kundenkonto auf der Internetseite www.fondee.cz Aufträge, die Fondee anschließend an die Gesellschaft DeGiro B.V. (im Folgenden: DeGiro) mit Sitz in den Niederlanden übermittelte; all dies geschah auf der Grundlage eines dreiseitigen Vertrags zwischen dieser Gesellschaft, Fondee und den Kunden. Im Anschluss an diese Feststellung verhängte die Tschechische Nationalbank gemäß § 162 Abs. 1 Buchst. a des Kapitalmarktgesetzes gegen Fondee ein Bußgeld von 150 000 CZK wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes in geänderter Fassung. Diese Entscheidung wurde vom Vorstand der Tschechischen Nationalbank bestätigt, der die Beschwerde von Fondee zurückwies. Gegen diese Entscheidung des Vorstands erhob Fondee daher Klage beim vorlegenden Gericht.

12.      Vor dem vorlegenden Gericht machte Fondee erstens geltend, dass das streitgegenständliche Verbot, das einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wertpapierhändler daran hindere, Dienstleistungen für einen Anlagevermittler in der Tschechischen Republik zu erbringen, eine nach Art. 56 AEUV verbotene Diskriminierung oder jedenfalls eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstelle, die zur Folge habe, dass der Zugang zum tschechischen Markt für Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten beschränkt werde. Zweitens machte Fondee geltend, dass das streitgegenständliche Verbot auch insoweit gegen Art. 56 AEUV verstoße, als es das Recht eines tschechischen Anlagevermittlers einschränke, eine Dienstleistung von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringer zu empfangen oder anderweitig zu nutzen. Die Tschechische Nationalbank wandte ein, das Vorbringen von Fondee, wonach das Recht ausländischer Wertpapierhändler, Dienstleistungen zu erbringen, verletzt worden sei, unzulässig sei. Sodann machte sie in Bezug auf die angebliche Verletzung des Rechts tschechischer Anlagevermittler, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wertpapierhändlern erbracht würden, geltend, dass die Frage des Verhältnisses zwischen der Richtlinie 2014/65 und Art. 56 AEUV keinen Anlass zu Zweifeln gebe. Denn ein Anlagevermittler, der nach Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie vom freien Wertpapierdienstleistungsverkehr ausgeschlossen sei, könne diese Freiheit nach Art. 56 AEUV nur für Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die keine Wertpapierdienstleistungen seien.

13.      Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Hat eine Person, die gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 von deren Anwendungsbereich ausgenommen ist und gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie die Dienstleistungsfreiheit im Sinne von deren Art. 34 nicht in Anspruch nehmen darf, ein Recht auf die in Art. 56 AEUV verankerte Dienstleistungsfreiheit, wenn sie selbst keine Wertpapierdienstleistungen auf der Grundlage eines einheitlichen Europäischen Passes an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kunden erbringt, aber eine Wertpapierdienstleistung von einem ausländischen Subjekt, das einen einheitlichen Europäischen Pass nutzt, empfängt, bzw. sich an deren Erbringung an den Endkunden in anderer Weise beteiligt (sie vermittelt)?

2.      Für den Fall, dass die vorstehende Frage bejaht wird, steht das Unionsrecht, insbesondere Art. 56 AEUV, einer Regelung entgegen, die einem Anlagevermittler verbietet, Kundenaufträge an einen ausländischen Wertpapierhändler zu übermitteln?

14.      Außer den Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben die Tschechische Republik, die Republik Finnland und die Kommission im vorliegenden Verfahren schriftliche Erklärungen nach Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs abgegeben.

III. Würdigung

1.      Zu den Vorlagefragen

15.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich eine Person, für die eine fakultative Ausnahme im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 gilt, auf Art. 56 AEUV berufen kann, und zwar als Empfänger einer Wertpapierdienstleistung, die von einem „ausländischen Subjekt“ unter Verwendung eines Europäischen Passes erbracht wird, oder als Vermittler bei der Erbringung dieser Dienstleistung an den Endkunden. Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Vorlagefrage im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht, und dabei insbesondere Art. 56 AEUV, einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die einem Anlagevermittler verbietet, Aufträge seiner Kunden an einen „ausländischen Wertpapierhändler“ zu übermitteln.

16.      Vor der Prüfung dieser Fragen, die meines Erachtens zusammen zu prüfen sind, sind noch einige Klarstellungen vorzunehmen.

17.      Erstens geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die niederländische Gesellschaft DeGiro, der Fondee die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufträge übermittelt hat (das „ausländische Subjekt“ bzw. der „ausländische Wertpapierhändler“, auf das bzw. den sich die Vorlagefragen beziehen), eine Wertpapierfirma im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 ist, die aufgrund einer nach dieser Richtlinie erteilten Zulassung im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 34 Abs. 1 dieser Richtlinie tätig ist. Im Übrigen scheint unstreitig zu sein, dass sie über eine Zulassung zur Ausübung einer Tätigkeit in der Tschechischen Republik nach Art. 34 Abs. 2 dieser Richtlinie verfügt.

18.      Zweitens stellen sowohl die Annahme und Übermittlung von Aufträgen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als auch deren Ausführung „Wertpapierdienstleistungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2014/65 dar(8).

19.      Drittens ist zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens unstreitig, dass Fondee keine grenzüberschreitende Wertpapierdienstleistung erbracht hat. Durch die Annahme und Übermittlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufträge an die Gesellschaft DeGiro hat diese nämlich Wertpapierdienstleistungen nur für ihre in der Tschechischen Republik ansässigen Kunden erbracht. Fondee war jedoch in die Erbringung einer grenzüberschreitenden Wertpapierdienstleistung zwischen zwei Mitgliedstaaten „verwickelt“. Das tatsächliche Ausmaß dieser Verwicklung hängt von den Bedingungen des dreiseitigen Vertrags zwischen Fondee selbst, den tschechischen Anlegern und der Gesellschaft DeGiro ab. Auf der Grundlage der Vereinbarungen zwischen diesen Subjekten ist zu prüfen, ob Fondee, wie sie behauptet, (mittelbare) Empfängerin der von der Gesellschaft DeGiro erbrachten Dienstleistungen im Rahmen der Ausführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufträge war oder ob die tschechischen Anleger, die nicht nur mit Fondee, sondern auch mit der Gesellschaft DeGiro vertraglich verbunden waren, als alleinige Empfänger dieser Dienstleistungen anzusehen sind, während Fondee nur als Vermittlerin auftrat. Die erste Vorlagefrage ist dergestalt formuliert, dass sie beide Annahmen umfasst, nämlich die Beteiligung von Fondee an der Erbringung von grenzüberschreitenden Wertpapierdienstleistungen entweder als Empfängerin der von der Gesellschaft DeGiro erbrachten Dienstleistung oder als bloße Vermittlerin, die Aufträge annimmt und übermittelt, die dann unmittelbar im Namen der tschechischen Anleger ausgeführt werden.

20.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend oder vollständig harmonisiert wurde, niemals anhand der Bestimmungen des Primärrechts, sondern anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme zu beurteilen ist(9).

21.      Die Frage, die im Mittelpunkt des Ausgangsverfahrens steht, betrifft im Wesentlichen die Vereinbarkeit – mit dem Unionsrecht zum freien Dienstleistungsverkehr – des Anlagevermittlern, die aufgrund einer nationalen Zulassung tätig sind, von einem Mitgliedstaat auferlegten Verbots, Aufträge im Hinblick auf ihre Ausführung an nach der Richtlinie 2014/65 zugelassene Wertpapierfirmen, die nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, zu übermitteln. Obwohl sich die Vorlagefragen in der vorliegenden Rechtssache im Wesentlichen auf Art. 56 AEUV stützen, ist daher zu prüfen, ob das vorgenannte Verbot in den Anwendungsbereich der Bestimmungen der Richtlinie 2014/65 fällt, die vollständig harmonisiert worden sind. Dabei sind nicht nur der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden(10).

22.      Die Richtlinie 2014/65 bezweckt die Harmonisierung u. a. der nationalen Vorschriften über die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs mit dem Ziel der Schaffung eines „integrierten Finanzmarktes“(11). Titel II dieser Richtlinie, in dem die „Zulassung von Wertpapierfirmen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit“ festgelegt sind, enthält in Kapitel III („Rechte von Wertpapierfirmen“) Art. 34, der der „Freiheit der Wertpapierdienstleistung und der Anlagetätigkeit“ gewidmet ist und der, wie bereits erwähnt, in seinem Abs. 1 Unterabs. 1 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Wertpapierfirmen, die von den zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Richtlinie zugelassen und beaufsichtigt werden, in ihrem Hoheitsgebiet ungehindert Wertpapierdienstleistungen erbringen und/oder Anlagetätigkeiten ausüben sowie Nebendienstleistungen erbringen können, und der in seinem Abs. 1 Unterabs. 2 regelt, dass sie davon absehen, diesen Firmen „zusätzliche Anforderungen“ aufzuerlegen.

23.      Mit diesem Artikel wurde meines Erachtens eine vollständige Harmonisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen und der grenzüberschreitenden Ausübung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Anlagetätigkeiten durch Wertpapierfirmen vorgenommen, die über einen gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie ausgestellten „Europäischen Pass“ verfügen. Nach Art. 34 der Richtlinie 2014/65 dürfen die Mitgliedstaaten keine Hindernisse, Einschränkungen, Bedingungen oder Auflagen für die Ausübung dieser Freiheiten schaffen, die in dieser Richtlinie nicht vorgesehen sind oder die nicht in der darin vorgeschriebenen Weise geschaffen werden, auch wenn sie den Anlegerschutz gewährleisten sollen.

24.      Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 24 der Richtlinie 2014/65, der in Kapitel II („Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen“) Abschnitt 2 („Bestimmungen zum Anlegerschutz“) eingefügt worden ist. Nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass eine Wertpapierfirma ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden handelt und insbesondere den Grundsätzen dieses Artikels – die im Einzelnen in seinen Abs. 2 bis 11 festgelegt sind – und von Art. 25 genügt. Art. 24 Abs. 12 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den Wertpapierfirmen „in Ausnahmefällen zusätzliche Anforderungen“ vorschreiben können, die „sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein und der Steuerung spezifischer Risiken für den Anlegerschutz oder die Marktintegrität, die angesichts der Umstände der Marktstruktur dieses Mitgliedstaats besonders bedeutsam sind, dienen“ müssen. Zum einen wird jedoch in Art. 24 Abs. 12 Unterabs. 2 klargestellt, dass durch solche zusätzlichen Anforderungen „die Rechte von Wertpapierfirmen“ insbesondere nach Art. 34 der Richtlinie 2014/65 „nicht eingeschränkt oder in sonstiger Weise berührt [werden]“. Zum anderen ist in Art. 24 Abs. 12 Unterabs. 2 und 3 das Verfahren festgelegt, das der betreffende Mitgliedstaat befolgen muss, um zur Einführung solcher zusätzlichen Anforderungen ermächtigt zu werden (Mitteilung an die Kommission und Stellungnahme der Kommission)(12).

25.      Nach alledem ist das in § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes vorgesehene Verbot in Anwendung der in Nr. 20 der vorliegenden Schlussanträge genannten Rechtsprechung meines Erachtens nur anhand der Bestimmungen dieser Richtlinie zu beurteilen, obwohl diese nicht für die unter dieses Verbot fallenden Anlagevermittler gilt, für die eine fakultative Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie gilt(13). Dieses Verbot könnte nämlich den freien Dienstleistungsverkehr behindern, den die gemäß der Richtlinie 2014/65 zugelassenen Wertpapierfirmen nach Art. 34 dieser Richtlinie in Anspruch nehmen.

26.      Auch wenn der Gerichtshof meine Auffassung, nach der Art. 34 der Richtlinie 2014/65 eine vollständige Harmonisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen durch solche Firmen bewirkt, nicht teilen sollte, bin ich dennoch der Ansicht, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot nicht nur anhand von Art. 56 AEUV, sondern auch anhand dieses Artikels zu prüfen ist(14).

27.      Im weiteren Verlauf meiner Würdigung werde ich daher beide Prüfungen vornehmen.

a)      Prüfung auf Grundlage der Bestimmungen der Richtlinie 2014/65

28.      Vorab stelle ich fest, dass die Richtlinie 2014/65 entgegen dem, was die finnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen anzuführen scheint, Personen, die unter eine fakultative Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 fallen, nicht verbietet, Wertpapierdienstleistungen von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wertpapierfirma anzunehmen oder sich als Vermittler an der Erbringung grenzüberschreitender Wertpapierdienstleistungen für Kunden zu beteiligen, die in dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem sie ihren Sitz haben.

29.      Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie beschränkt zwar den Personenkreis, an den diese Personen Aufträge übermitteln dürfen, doch gehören zu diesen Personen nach Ziff. i dieser Vorschrift auch die gemäß dieser Richtlinie zugelassenen Wertpapierfirmen.

30.      So sieht die Richtlinie 2014/65 ausdrücklich vor, dass Personen, die unter eine fakultative Ausnahme fallen, erlaubt werden kann, Aufträge ins Ausland zu übermitteln, die sie von Kunden annehmen, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat ansässig sind, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen, an das diese Aufträge übermittelt werden, alle in Art. 34 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen in diesem Herkunftsmitgliedstaat erfüllt.

31.      Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iv der Richtlinie 2014/65 ableiten, wonach es Personen, die unter eine fakultative Ausnahme fallen, gestattet ist, Aufträge an „Organismen für gemeinsame Anlagen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ihre Anteile öffentlich vertreiben dürfen …“, zu übermitteln. Die in der Vorlageentscheidung wiedergegebene Auslegung der Tschechischen Nationalbank, wonach es sich bei den von dieser Bestimmung erfassten Organismen nur um nach dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats der Person, für die die Ausnahme gilt, zugelassene Organismen handele, findet meines Erachtens nämlich weder im Wortlaut noch in der Systematik noch in der ratio legis dieser Bestimmung eine Stütze.

32.      Lässt es die Richtlinie 2014/65 demnach zu, dass Personen, die nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aus ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, Aufträge an nicht in deren Herkunftsmitgliedstaat ansässige Wertpapierfirmen übermitteln dürfen, ist zu prüfen, ob der Herkunftsmitgliedstaat, der für die Festlegung der für diese Personen geltenden Regelung zuständig ist, eine solche Übermittlung dennoch verbieten darf.

33.      Insoweit weise ich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten, die von einer fakultativen Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 Gebrauch machen, ein Ermessen in Anspruch nehmen, das ihnen von dieser Richtlinie ausdrücklich eingeräumt wird. Dieses Ermessen gilt jedoch nicht unbegrenzt. Seine Inanspruchnahme, die bereits von der Einhaltung spezifischer, unmittelbar durch die Richtlinie 2014/65 festgelegter Regeln abhängig ist, muss im Einklang mit dem Unionsrecht und insbesondere mit den mit dieser Richtlinie verfolgten Zielen erfolgen.

34.      Ein Verbot wie das des § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes, das als Kriterium auf den Ort der Ansässigkeit des Dienstleistungserbringers abstellt, ist meines Erachtens jedoch mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel unvereinbar, das u. a. in der Vollendung eines Binnenmarkts für Wertpapierdienstleistungen besteht, der auf den Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung der vom Herkunftsmitgliedstaat des Dienstleistungserbringers erteilten Zulassung und der Beaufsichtigung durch diesen Mitgliedstaat beruht.

35.      Dieses Verbot hindert nämlich eine nach der Richtlinie 2014/65 zugelassene und in der Tschechischen Republik im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs tätige Wertpapierfirma daran, für in der Tschechischen Republik ansässige Kunden, die die Dienstleistungen eines Anlagevermittlers in Anspruch nehmen, Aufträge auszuführen, die von diesem Vermittler unmittelbar übermittelt werden, und macht es einer solchen Firma dadurch de facto unmöglich oder zumindest schwerer, einen bestimmten Zugang zum tschechischen Anlagemarkt zu nutzen, der hingegen Marktbetreibern offensteht, die über eine nationale Zulassung verfügen und in diesem Mitgliedstaat ansässig sind.

36.      Soweit ein solches Unternehmen verpflichtet ist, von einem dritten, national zugelassenen Subjekt Gebrauch zu machen(15), führt das vorgenannte Verbot auch eine „zusätzliche Anforderung“ ein, die nach Art. 34 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/65 untersagt ist. Ein solches verpflichtendes Gebrauchmachen dürfte die Kosten für die von einer nicht niedergelassenen Wertpapierfirma erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zu den von inländischen Wertpapierfirmen erbrachten Dienstleistungen erhöhen, so dass Erstere für Anleger weniger attraktiv werden(16).

37.      In diesem Zusammenhang schließt der bloße Umstand, dass eine in der Tschechischen Republik im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß der Richtlinie 2014/65 tätige Wertpapierfirma andere Möglichkeiten haben kann, ihre Dienstleistungen zu erbringen, z. B. durch die direkte Annahme von Aufträgen von in diesem Mitgliedstaat ansässigen Anlegern oder durch die Inanspruchnahme eines vertraglich gebundenen Vermittlers(17), nicht aus, dass das streitgegenständliche Verbot eine Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs darstellt(18), und erst recht nicht der Umstand, dass diese Firma die Möglichkeit hat, in diesem Mitgliedstaat eine Niederlassung oder ein Tochterunternehmen zu errichten(19). Ebenso wenig wird das Vorliegen einer Beschränkung dadurch berührt, dass die Tätigkeit der Anlagevermittler für das Funktionieren des Finanzmarkts nicht unerlässlich ist und dass ihre Implementierung oder Aufrechterhaltung im Ermessen jedes Mitgliedstaats liegt. Denn wenn eine solche Wahl erst einmal getroffen worden ist, darf die für sie geltende Regelung, auch wenn sie von dem betreffenden Mitgliedstaat autonom – auch unter Beachtung der oben genannten Kriterien – festgelegt wird, nicht gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2014/65 verstoßen und insbesondere keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen, die den nach dieser Richtlinie zugelassenen Wertpapierfirmen zugestanden wird, indem sie im Wesentlichen den nationalen Marktbetreibern den unmittelbaren Zugang zu den Anlegern vorbehält, die die Dienstleistungen dieser Vermittler in Anspruch nehmen.

38.      Zwar gehört zu den Hauptzielen der Richtlinie 2014/65 auch die Erreichung eines hohen Schutzniveaus für Anleger in der gesamten Europäischen Union(20), und das in § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes vorgesehene Verbot ist nach dem Vorlagebeschluss und den Stellungnahmen der Tschechischen Republik und der Tschechischen Nationalbank gerade durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Tätigkeit der Anlagevermittler zu kontrollieren, um die Anleger zu schützen, die die Dienstleistungen der Anlagevermittler in Anspruch nehmen.

39.      Es ist jedoch festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Begrenzung der Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten bestimmte Personen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/65 ausschließen können, und mit der Verpflichtung, an diese Personen Anforderungen zu stellen, die den in dieser Richtlinie vorgesehenen Anforderungen in Bezug auf die Bedingungen und Verfahren für die Zulassung, die Bewertung ihres Leumunds und ihrer Erfahrung, die Eignung der Gesellschafter, die laufende Überwachung und die Wohlverhaltensregeln zumindest ähnlich sind, gerade den Schutz der Anleger stärken wollte, die infolge der Inanspruchnahme der Dienstleistungen dieser Personen nicht durch die Richtlinie 2014/65 geschützt sind (vgl. 42. Erwägungsgrund der genannten Richtlinie). Insbesondere verweist Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie auf einen großen Teil der in den Art. 24 und 25 der Richtlinie enthaltenen Wohlverhaltensregeln, insbesondere auf die Verpflichtung, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse der Kunden zu handeln, auf die Pflicht, den Kunden redliche, eindeutige, nicht irreführende und rechtzeitige Informationen zu erteilen und eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit bei der Erteilung von Beratungsleistungen durchzuführen, sowie auf die Vorschriften über die Vergütung, die Anlegergarantie- und Anlegerschutzsysteme oder die Berufsversicherung. Die durch die Richtlinie 2014/65 auferlegte Angleichung der nationalen Regelungen an diese Vorschriften und Anforderungen soll die Gefahr von Verhaltensweisen zum Nachteil von Anlegern, die Personen beauftragen, die nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, verringern und eine wirksamere Bekämpfung solcher Verhaltensweisen ermöglichen.

40.      Außerdem weise ich darauf hin, dass es der Unionsgesetzgeber gleichwohl nicht für erforderlich gehalten hat, zu den Voraussetzungen, unter denen es den Mitgliedstaaten erlaubt ist, bestimmte Personen von der Anwendung der Richtlinie auszunehmen, das Verbot der Übermittlung von Aufträgen zur Ausführung an Unternehmen, die nach der Richtlinie 2014/65 zugelassen sind, aufzunehmen, sondern sogar eine solche Möglichkeit anerkannt hat, indem er implizit davon ausgegangen ist, dass solche Geschäfte, wenn sie denn im Rahmen dieser Richtlinie erfolgen, keine Gefahren mit sich bringen, denen mit der dem Herkunftsmitgliedstaat dieser Personen übertragenen Kontrolle – gegebenenfalls in Verbindung mit den Aufsichtsbehörden des Herkunftsmitgliedstaats der empfangenden Wertpapierfirma(21) – nicht wirksam begegnet werden könnte.

41.      In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass die Richtlinie 2014/65 einerseits Wertpapierfirmen, die aufgrund eines einheitlichen Europäischen Passes tätig werden wollen, die Verpflichtung auferlegt, von Kunden Angaben zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Typ der angebotenen oder angeforderten Produkte oder Dienstleistungen einzuholen, um deren Angemessenheit für diesen Kunden zu beurteilen (siehe Art. 25 Abs. 3 der Richtlinie 2014/65), und andererseits den Anwendungsbereich von „execution only“, insbesondere bei komplexen Produkten, eingeschränkt hat, indem er an die Einhaltung bestimmter Bedingungen geknüpft wurde (siehe Art. 25 Abs. 4). Daher kann auch in einer Konstellation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass Wertpapierfirmen, die verpflichtet sind, Aufträge auszuführen, die von einem von der Anwendung der Richtlinie 2014/65 ausgenommenen Vermittler übermittelt wurden, eine Kontrolle der Handlungen dieses Vermittlers vornehmen müssen, um ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

42.      Aus den oben dargelegten Gründen ist eine Maßnahme eines Mitgliedstaats, die Anlagevermittler, die aufgrund einer fakultativen Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 von der Anwendung dieser Richtlinie ausgenommen sind, verpflichtet, die von ihren Kunden erhaltenen Aufträge nur an in diesem Mitgliedstaat zugelassene und ansässige Personen zu übermitteln, und somit diesen Vermittlern verbietet, diese Aufträge an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Firma zu übermitteln, auch wenn diese nach dieser Richtlinie zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen im Herkunftsmitgliedstaat des Vermittlers zugelassen ist, meines Erachtens mit den mit dieser Richtlinie verfolgten Zielen nicht vereinbar.

43.      Die Beklagte des Ausgangsverfahrens ist der Ansicht, dass Fondee nicht berechtigt sei, sich auf eine solche Unvereinbarkeit zu berufen, da sie selbst keine Wertpapierfirma im Sinne der Richtlinie 2014/65 sei und sogar vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie und vom freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der Wertpapierdienstleistungen nach Art. 34 dieser Richtlinie ausgenommen sei. Das vorlegende Gericht bezweifelt ebenfalls eine derartige Berechtigung, da Fondee weder einen eigenen Schaden noch die Verletzung eines ihr durch das Unionsrecht verliehenen Rechts geltend mache.

44.      Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, in einem Sachverhalt, der dem des Ausgangsverfahrens ähnlich ist, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, festzustellen, dass ein mit einer Sanktion verbundenes Verbot für Vermittler, die Erbringung von Dienstleistungen durch einen Leistungserbringer, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem diese Vermittler ihre Tätigkeit ausüben, zu erleichtern, ebenfalls eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt(22). Allgemeiner ausgedrückt: Wenn eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat Dienstleistungen durch Vermittlung seitens eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmers erbringt, fallen die diesem Wirtschaftsteilnehmer auferlegten Beschränkungen seiner Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, und zwar unabhängig von der Situation dieses Wirtschaftsteilnehmers, der sich daher auf die Bestimmungen des Unionsrechts berufen kann, um sich der Verhängung der Sanktionen zu widersetzen, mit denen die Verbote, die die Tätigkeit des Vermittlers behindern, verbunden sind(23). Diese Grundsätze hat der Gerichtshof zwar in Bezug auf die Anwendung der Bestimmungen des Primärrechts bestätigt, sie sind aber in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem es um harmonisiertes Sekundärrecht geht, entsprechend übertragbar.

45.      Der Umstand, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2014/65 die in Art. 34 dieser Richtlinie vorgesehene Freiheit nicht in Anspruch nehmen darf, stellt das eben Gesagte nicht in Frage.

46.      Der genannte Art. 3 Abs. 3 ist nämlich dahin auszulegen, dass er sich nur auf die Freiheit der unter die fakultative Ausnahme fallenden Marktbetreiber bezieht, unter den in Art. 34 der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen Wertpapierdienstleistungen für Empfänger zu erbringen, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat ansässig sind, nicht auch auf die Freiheit, als Dienstleistungsempfänger Wertpapierdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die von einem gemäß dieser Richtlinie zugelassenen, in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht werden, und auch nicht die Freiheit, als Vermittler im Rahmen der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen durch ein solches Unternehmen für in ihrem Herkunftsmitgliedstaat ansässige Kunden aufzutreten.

47.      Eine solche Auslegung ergibt sich nicht nur aus dem eindeutigen Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2014/65, sondern auch aus dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel, zu verhindern, dass ein Subjekt, das die Anforderungen der Richtlinie nicht erfüllt, zur Erbringung grenzüberschreitender Wertpapierdienstleistungen zugelassen wird. Eine Auslegung dieser Bestimmung, wonach die Personen, die unter eine fakultative Ausnahme fallen, nicht Empfänger einer grenzüberschreitenden Wertpapierdienstleistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden sein oder im Rahmen einer solchen Dienstleistung als Vermittler tätig werden dürfen, stünde im Übrigen im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie, der, wie festgestellt, ausdrücklich vorsieht, dass diese Personen Aufträge an eine nach dieser Richtlinie zugelassene Wertpapierfirma zum Zweck ihrer Ausführung übermitteln können.

48.      Wie in Nr. 19 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, erbrachte Fondee mit der Übermittlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufträge jedoch ausschließlich Wertpapierdienstleistungen für ihre in der Tschechischen Republik ansässigen Kunden und damit eine Dienstleistung ohne grenzüberschreitenden Bezug. Außerdem hat sie zwar die Erbringung einer grenzüberschreitenden Wertpapierdienstleistung zwischen den Niederlanden und der Tschechischen Republik erleichtert, doch hat sie, wie sie in ihren Erklärungen zu Recht geltend gemacht hat, nicht an der Erbringung einer Wertpapierdienstleistung im Ausland teilgenommen, da die in Rede stehenden Aufträge für Rechnung von Kunden ausgeführt wurden, die in der Tschechischen Republik ansässig sind.

49.      Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 30 des Urteils vom 14. Juni 2017 in der Rechtssache Khorassani(24), auf das sich das vorlegende Gericht ebenfalls bezieht, zur Auslegung der Richtlinie 2004/39 ausgeführt, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Wertpapierdienstleistung in Form der „Annahme und Übermittlung von Aufträgen“ und derjenigen in Form der „Ausführung von Aufträgen“ besteht „da die erstgenannte Dienstleistung im Vorfeld der zweiten erbracht wird und grundsätzlich zur Erbringung dieser zweiten führt“. Werden diese Dienstleistungen jedoch von verschiedenen Subjekten erbracht, so hindert das Bestehen eines solchen Zusammenhangs – allein aufgrund der Tatsache, dass die „Aufträge“, die Gegenstand dieser Dienstleistungen sind, dieselben sind(25) – nicht daran, die von jedem dieser Subjekte erbrachten Dienstleistungen – und die von ihm übernommenen Verantwortlichkeiten – entsprechend ihrer spezifischen Merkmale getrennt zu betrachten, und zwar auch dann, wenn diese Dienstleistungen, wie im Ausgangsverfahren, im Rahmen eines dreiseitigen Vertragsverhältnisses erbracht werden.

50.      Fondee kann sich daher auf einen Verstoß gegen Art. 34 der Richtlinie 2014/65 berufen, um das gegen sie verhängte Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen das Verbot von § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes anzufechten, da sie nicht als Erbringerin einer grenzüberschreitenden Wertpapierdienstleistung, sondern als Empfängerin dieser Dienstleistung oder als Vermittlerin bei der Erbringung dieser Dienstleistung handelt.

b)      Prüfung auf Grundlage von Art. 56 AEUV

51.      Für den Fall, dass der Gerichtshof sich dazu entschließt, die Vorlagefragen auf der Grundlage von Art. 56 AEUV zu beantworten, weise ich darauf hin, dass der in diesem Artikel verankerte freie Dienstleistungsverkehr nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit verlangt, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(26). Allgemein gilt Art. 56 AEUV für Dienstleistungen, die ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Dienstleistungserbringer den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungsempfängern anbietet, ohne zu reisen, so dass jede Beschränkung dieser Tätigkeiten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dieses Dienstleistungserbringers darstellt(27).

52.      Außerdem verleiht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 56 AEUV stets nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch dem Empfänger dieser Dienstleistungen Rechte(28). Der freie Dienstleistungsverkehr umfasst mithin nicht nur die Freiheit des Leistungserbringers, Leistungsempfängern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig sind, in dessen Gebiet er seinen Sitz hat, Dienstleistungen zu erbringen, sondern auch die Freiheit, als Leistungsempfänger von einem Leistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat angebotene Dienstleistungen zu empfangen oder in Anspruch zu nehmen, ohne durch Beschränkungen beeinträchtigt zu werden(29). Der Vertrag behandelt nämlich die Beschränkungen für Dienstleistungserbringer und diejenigen für Dienstleistungsempfänger gleich. Daher können sich sowohl der Empfänger als auch der Erbringer einer Dienstleistung auf Art. 56 AEUV berufen, wenn der Sachverhalt in den Anwendungsbereich dieses Artikels fällt(30). Schließlich stellt, wie bereits erwähnt, ein an einen Vermittler gerichtetes Verbot, die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen zu erleichtern, auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, wenn dieser Vermittler in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie die Empfänger der Dienstleistungserbringung(31).

53.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich ein Anlagevermittler wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, für den eine fakultative Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 gilt, nach dem Wortlaut von Abs. 3 dieses Artikels als Empfänger einer grenzüberschreitenden Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder als Vermittler einer solchen Dienstleistung auf Art. 56 AEUV berufen kann.

54.      Zu diesem Punkt verweise ich hinsichtlich der Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2014/65 auf Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge. Meines Erachtens ist klar, dass diese Bestimmung eine Person, die vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist, nicht daran hindert, sich gemäß der in Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge genannten Rechtsprechung auf Art. 56 AEUV zu berufen. Daher bin ich der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2014/65 unabhängig von allen anderen Erwägungen, die das Verhältnis zwischen Primärrecht und Sekundärrecht betreffen, nicht so verstanden werden kann, dass er einen Anlagevermittler, der nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/65 von deren Anwendungsbereich ausgenommen ist, daran hindert, sich als Empfänger einer grenzüberschreitenden Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder als Vermittler im Rahmen einer solchen Erbringung auf Art. 56 AEUV zu berufen.

55.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 56 AEUV einem Verbot wie dem in § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes entgegensteht.

56.      Insoweit bin ich im Einklang mit den obigen Ausführungen zu Art. 34 der Richtlinie 2014/65 der Ansicht, dass ein solches Verbot geeignet ist, die Tätigkeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Wertpapierfirmen in der Tschechischen Republik anbieten, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, und somit eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV darstellt.

57.      Eine solche Beschränkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur zulässig, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem AEU-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, soweit sie in einem solchen Fall geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.(32).

58.      Der Vorlageentscheidung und den schriftlichen Erklärungen der Tschechischen Republik zufolge ist § 29 Abs. 4 des Kapitalmarktgesetzes durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Kontrolle über die Tätigkeiten von Anlagevermittlern zu erleichtern, insbesondere im Hinblick auf frühere, den Interessen der Kunden zuwiderlaufenden Praktiken dieser Vermittler. Die Tschechische Nationalbank weist darauf hin, dass inländische Wertpapierhändler, die von Anlagevermittlern übermittelte Aufträge erhalten, besonderen Kontrollpflichten in Bezug auf die Handlungen dieser Vermittler unterliegen und dass auch aus diesem Grund die Kontrolle über die Tätigkeiten von Anlagevermittlern erschwert wird, wenn Aufträge an Dienstleistungserbringer außerhalb der Tschechischen Republik übermittelt werden.

59.      Insoweit möchte ich lediglich darauf hinweisen, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, festzustellen, dass weder Erwägungen administrativer Natur noch insbesondere das Ziel, die Wahrnehmung der Aufgaben einer Aufsichtsbehörde zu vereinfachen, es rechtfertigen können, die Ausübung einer der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern(33). Unter den Umständen des Ausgangsverfahrens werden diese Rechtfertigungsgründe im Übrigen in einem Kontext geltend gemacht, in dem die Tätigkeit der von der Möglichkeit der Zusammenarbeit mit tschechischen Anlagevermittlern ausgeschlossenen Marktbetreiber durch besondere sekundärrechtliche Vorschriften geregelt ist, die Anforderungen, Verpflichtungen und Kontrollen vorsehen, die ein hohes Maß an Anlegerschutz gewährleisten sollen.

c)      Zwischenergebnisse

60.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die streitgegenständliche nationale Maßnahme anhand der Bestimmungen der Richtlinie 2014/65 zu prüfen ist und dass es für eine sachdienliche Antwort an das vorlegende Gericht nicht erforderlich ist, zu prüfen, ob Fondee unter den Umständen des Ausgangsverfahrens berechtigt ist, sich auf Art. 56 AEUV zu berufen.

61.      Dementsprechend schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom vorlegenden Gericht vorgelegten Fragen nach deren angemessener Umformulierung dahin gehend zu beantworten, dass Art. 34 der Richtlinie 2014/65 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Anlagevermittler, die aufgrund einer fakultativen Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind, verpflichtet, Aufträge von in diesem Mitgliedstaat ansässigen Kunden nur an von der Aufsichtsbehörde dieses Mitgliedstaats zugelassene und in diesem Staat ansässige Wertpapierhändler zu übermitteln, und damit die Übermittlung solcher Aufträge an nach dieser Richtlinie zugelassene und in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Wertpapierfirmen ausschließt.

IV.    Ergebnis

62.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik) vorgelegten Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

Art. 34 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Anlagevermittler, die aufgrund einer fakultativen Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind, verpflichtet, Aufträge von Kunden, die in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, nur an von der Aufsichtsbehörde dieses Mitgliedstaats zugelassene und in diesem Staat ansässige Wertpapierhändler zu übermitteln, und damit die Übermittlung solcher Aufträge an nach dieser Richtlinie zugelassene und in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Wertpapierfirmen ausschließt.


1      Originalsprache: Italienisch.


2      Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (Neufassung) (ABl. 2014, L 173, S. 349).


3      Das Akronym MiFID steht für „Market in Financial Instrument Directive“. Mit der Richtlinie 2014/65 wurde mit Wirkung vom 3. Januar 2017 die Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. 2004, L 145, S. 1, MiFID I) aufgehoben und ersetzt.


4      Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2014, L 173, S. 84).


5      Gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 55 der Richtlinie 2014/65 ist der Herkunftsmitgliedstaat, wenn die Wertpapierfirma eine juristische Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat.


6      Art. 4 Abs. 1 Nr. 56 der Richtlinie 2014/65 definiert „Aufnahmestaat“ als „einen Mitgliedstaat, der nicht der Herkunftsmitgliedstaat ist und in dem eine Wertpapierfirma eine Zweigniederlassung hat oder Wertpapierdienstleistungen erbringt und/oder Anlagetätigkeiten ausübt …“.


7      Art. 4 Abs. 1 Nr. 46 der Richtlinie 2014/65 definiert einen „börsengehandelte[n] Fonds“ als „einen Fonds, bei dem mindestens eine Anteils- oder Aktiengattung ganztätig an mindestens einem Handelsplatz und mit mindestens einem Market‑Maker, der tätig wird, um sicherzustellen, dass der Preis seiner Anteile oder Aktien an diesem Handelsplatz nicht wesentlich von ihrem Nettovermögenswert und gegebenenfalls von ihrem indikativen Nettovermögenswert abweicht, gehandelt wird“.


8      Zu den Tätigkeiten der Annahme, Übermittlung und Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben, siehe Anhang I Abschnitt A Ziff. 1 und 2 der Richtlinie 2014/65. Die „börsengehandelten Fonds“, die Gegenstand der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufträge sind, fallen unter die Kategorie der „[ü]bertragbare[n] Wertpapiere“ in Anhang I Abschnitt C Ziff. 1 der Richtlinie 2014/65.


9      Vgl. Urteil vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Comune de Ginosa) (C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 36).


10      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, UNIC und Uni.co.pel (C‑95/14, EU:C:2015:492, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 7 und 164 der Richtlinie 2014/65.


12      In Art. 16 Abs. 11 der Richtlinie 2014/65 sind ähnliche Bestimmungen in Bezug auf die zusätzlichen organisatorischen Anforderungen festgelegt, die die Mitgliedstaaten den Wertpapierfirmen in Ausnahmefällen vorschreiben können.


13      Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2014/65 sieht zwar vor, dass von dieser Richtlinie Personen „ausgenommen sind“, für die eine fakultative Ausnahme gilt; Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie regelt jedoch, dass die Mitgliedstaaten für diese Personen Anforderungen vorsehen müssen, die den in dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen in Bezug auf die Bedingungen und Verfahren für die Zulassung und die laufende Überwachung, die Wohlverhaltensregeln und die organisatorischen Anforderungen gemäß den einzelnen Artikeln dieser Richtlinie und den Vorschriften zu ihrer Durchführung „zumindest … entsprechen“.


14      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens von dem des Urteils vom 8. Mai 2019, Mastromartino (C‑53/18, EU:C:2019:380), unterscheidet, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass das vorübergehende Verbot der Ausübung der Tätigkeit eines „Finanzberaters außerhalb der Geschäftsräume der Firma“, der unter den Begriff des „vertraglich gebundenen Vermittlers“ im Sinne der Richtlinie 2004/39 fällt, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, die somit keine Auswirkungen auf dieses Verbot hat. Wie bereits erwähnt, ist die Richtlinie 2014/65 jedoch geeignet, das im Ausgangsverfahren streitgegenständliche Verbot zu berühren.


15      Insbesondere wenn sich die vom Vermittler angenommenen Aufträge, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint, auf Finanzinstrumente beziehen, die nicht auf einem geregelten tschechischen Markt gehandelt werden, und wenn das auf nationaler Ebene zugelassene Unternehmen, auf das diese Aufträge übertragen werden, nicht befugt ist, auf ausländischen Märkten tätig zu sein, und daher verpflichtet ist, sie ihrerseits an eine Wertpapierfirma weiterzugeben, die über eine solche Befugnis verfügt.


16      Die Attraktivität von Marktbetreibern wie DeGiro besteht u. a. darin, dass ihre Gebühren sehr wettbewerbsfähig sind.


17      Hierzu weise ich darauf hin, dass Fondee in ihrer schriftlichen Stellungnahme argumentiert, die überwiegende Mehrheit der tschechischen vertraglich gebundenen Vermittler arbeite mit Anlagevermittlern zusammen und sei daher nur in sehr geringem Umfang tatsächlich für eine ausländische Wertpapierfirma verfügbar.


18      Vgl. entsprechend Urteil vom 10. Mai 1995, Alpine Investments (C‑384/93, EU:C:1995:126, Rn. 28).


19      Vgl. Urteil vom 21. Januar 2010, Kommission/Deutschland (C‑546/07, EU:C:2010:25, Rn. 39).


20      Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 3 und 70 der Richtlinie 2014/65.


21      Art. 79 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/65 regelt eine Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten, die für die Wahrnehmung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben benannt sind, „wann immer dies … erforderlich ist“. Vgl. hierzu auch die Richtlinie (EU) 2019/2034 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/87/EG, 2009/65/EG, 2011/61/EU, 2013/36/EU, 2014/59/EU und 2014/65/EU (ABl. 2019, L 314, S. 64).


22      Vgl. Urteil vom 6. November 2003, Gambelli u. a. (C‑243/01, EU:C:2003:597, Rn. 58, im Folgenden: Urteil Gambelli). In der Rechtssache, die dem Urteil Gambelli zugrunde lag, ging es um die Erbringung von Wettdienstleistungen bei Sportereignissen durch einen Leistungserbringer, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem die Wetten von Agenturen gesammelt wurden, die als Vermittler zwischen dem Leistungserbringer und den Spielern auftraten.


23      Vgl. entsprechend Urteil vom 4. Februar 2016, Ince (C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 41 bis 43). In der Rechtssache ging es um eine in einem Mitgliedstaat wohnhafte Drittstaatsangehörige, die für eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat Sportwetten annahm.


24      C‑678/15, EU:C:2017:451.


25      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez‑Bordona in der Rechtssache Khorassani (C‑678/15, EU:C:2017:100, Nr. 42).


26      Vgl. Urteil vom 26. Februar 2020, Stanleyparma e Stanleybet Malta (C‑788/18, EU:C:2020:110, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27      Vgl. Urteil vom 16. März 2023, OL (Verlängerung italienischer Konzessionen) (C‑517/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2023:219, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28      Vgl. Urteil vom 2. März 2023, PrivatBank u. a. (C‑78/21, EU:C:2023:137, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


29      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2021, Casa Naţională de Asigurări de Sănătate und Casa de Asigurări de Sănătate Constanţa (C‑538/19, EU:C:2021:809, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


30      Vgl. Urteil vom 3. Dezember 2020, BONVER WIN (C‑311/19, EU:C:2020:981, Rn. 21).


31      Vgl. Urteil Gambelli (Rn. 58).


32      Vgl. Urteil vom 27. Oktober 2022, Instituto do Cinema e do Audiovisual (C‑411/21, EU:C:2022:836, Rn. 24).


33      Vgl. Urteil vom 4. Dezember 1986, Kommission/Deutschland (205/84, EU:C:1986:463, Rn. 54). Vgl. auch Urteil vom 25. Juni 2009, Kommission/Österreich (C‑356/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:401, Rn. 46).