Language of document : ECLI:EU:T:2011:493

Rechtssachen T‑394/08, T‑408/08, T‑453/08 und T‑454/08

Regione autonoma della Sardegna (Italien) u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Staatliche Beihilfen – Beihilfen zugunsten des Hotelgewerbes in der Region Sardinien – Entscheidung, mit der die Beihilfen zum Teil für vereinbar, zum Teil für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt werden und ihre Rückforderung angeordnet wird – Neue Beihilfen – Begründungspflicht – Vertrauensschutz – Anreizwirkung – De‑minimis‑Regel“

Leitsätze des Urteils

1.      Verfahren – Streithilfe – Andere Angriffs‑ und Verteidigungsmittel als die der unterstützten Partei – Zulässigkeit – Voraussetzung – Anknüpfung an den Streitgegenstand

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 4; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 116 § 4)

2.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Entscheidung, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG zu eröffnen – Entscheidung, die auf einem unvollständigen Sachverhalt oder auf einer rechtlich fehlerhaften Beurteilung dieses Sachverhalts beruht

(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7)

3.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Entscheidung der Kommission, mit der das beihilferechtliche förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG abgeschlossen wird

(Art. 88 Abs. 2 EG und 230 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Prüfung einer Beihilferegelung in ihrer Gesamtheit – Zulässigkeit – Folge

(Art. 87 EG und 88 Abs. 3 EG)

5.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens – Frist von höchstens zwei Monaten – Unanwendbarkeit im Fall einer nicht angemeldeten Beihilfe – Kommission im Besitz von Informationen über eine angeblich rechtswidrige Beihilfe – Unverzügliche Prüfung – Umfang

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 10 Abs. 1)

6.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Verpflichtung, die infolge einer Beschwerde eingeleitete Vorprüfung innerhalb einer angemessenen Frist abzuschließen

(Art. 87 EG und 88 EG)

7.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen

(Art. 87 EG, 88 EG und 253 EG)

8.      Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Dem Geber und dem potenziellen Empfänger der Beihilfe obliegende Beweislast

(Art. 88 Abs. 2 EG)

9.      Staatliche Beihilfen – Beihilfevorhaben – Durchführung ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission – Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung der Beihilfe angeordnet wird – Begründungspflicht – Umfang

(Art. 88 Abs. 3 EG und 253 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 14 Abs. 1)

10.    Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Maßnahme zur Änderung einer bestehenden Beihilferegelung – Qualifizierung als neue Beihilfen – Kriterien – Beurteilung

(Art. 87 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b und c)

11.    Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Ermessen

(Art. 87 EG und 88 EG)

12.    Einrede der Rechtswidrigkeit – Umfang – Handlungen, deren Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden kann – Leitlinien der Kommission für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung – Einbeziehung – Voraussetzungen

(Art. 87 Abs. 3 Buchst. a und c EG, 230 EG und 241 EG; Mitteilung 98/C 74/06 der Kommission)

13.    Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung – Kriterien

(Art. 87 EG und 88 EG; Mitteilung 98/C 74/06 der Kommission, Ziff. 4.2)

14.    Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Dem Geber und dem potenziellen Empfänger der Beihilfe obliegende Beweislast

(Art. 88 Abs. 2 EG)

15.    Staatliche Beihilfen – Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Betroffenen – Schutz – Voraussetzungen und Grenzen

(Art. 88 EG)

16.    Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Beihilfen von geringer Bedeutung – Aufteilung einer Beihilfe, die den geltenden Schwellenwert übersteigt, um einen Teil von ihr der De‑minimis‑Regel unterstellen zu können – Unzulässigkeit

(Art. 88 Abs. 3 EG; Verordnungen der Kommission Nr. 69/2001, Art. 2 Abs. 1 und 2, und Nr. 1998/2006, Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2)

1.      Art. 40 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 116 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts verleihen dem Streithelfer das Recht, nicht nur Argumente, sondern auch Angriffs- und Verteidigungsmittel selbständig vorzubringen, soweit sie die Anträge einer der Parteien unterstützen und nicht völlig anderer Natur sind als die Erwägungen, die dem Rechtsstreit, wie er zwischen dem Kläger und dem Beklagten begründet worden ist, zugrunde liegen, was den Gegenstand des Rechtsstreits verändern würde.

Das Gericht hat daher bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der von einem Streithelfer angeführten Angriffs- und Verteidigungsmittel zu prüfen, ob diese mit dem Streitgegenstand in Zusammenhang stehen, wie er von den Parteien festgelegt worden ist.

(vgl. Randnrn. 42-43)

2.      Im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung der Vereinbarkeit von Beihilfen der Mitgliedstaaten mit dem Gemeinsamen Markt kann die abschließende Entscheidung der Kommission in gewissem Maße vom Einleitungsbeschluss abweichen, ohne dass dies zur Rechtswidrigkeit der abschließenden Entscheidung führt. Demgemäß muss die Kommission keine Berichtigung der Entscheidung zur Einleitung eines förmlichen Prüfungsverfahrens vornehmen. Gleichwohl ist es logisch und liegt darüber hinaus im Interesse der potenziellen Begünstigten einer Beihilferegelung, dass die Kommission, wenn sie nach Erlass einer Entscheidung zur Eröffnung eines förmlichen Verfahrens zur Prüfung einer von einem Mitgliedstaat gewährten Beihilfe bemerkt, dass diese entweder auf einem unvollständigen Sachverhalt oder auf einer rechtlich fehlerhaften Beurteilung dieses Sachverhalts beruht, die Möglichkeit haben muss, ihren Standpunkt mit Hilfe einer Berichtigungsentscheidung anzupassen. Eine solche Berichtigungsentscheidung nebst einer Aufforderung an die Beteiligten, Stellung zu nehmen, erlaubt diesen nämlich, auf die eingetretene Veränderung in der vorläufigen Beurteilung der betreffenden Maßnahme durch die Kommission zu reagieren und ihren Standpunkt hierzu zur Geltung zu bringen.

Hierbei könnte sich die Kommission auch dafür entscheiden, zunächst eine Entscheidung der Beendigung des Verfahrens ohne Folgen und dann aufgrund ihrer geänderten rechtlichen Beurteilung eine neue Entscheidung zur Eröffnung eines förmlichen Prüfungsverfahrens zu erlassen, die im Wesentlichen den gleichen Inhalt wie die Berichtigungsentscheidung hätte. Unter diesen Umständen sollte aufgrund von Erwägungen der Verfahrensökonomie und des Grundsatzes der ordnungsgemäßer Verwaltung der Erlass einer Berichtigungsentscheidung im Vergleich zur Beendigung des Verfahrens und der Eröffnung eines neuen Verfahrens den Vorzug verdienen.

Bei der rechtlichen Einstufung einer solchen Berichtigungsentscheidung, die zu der Eröffnungsentscheidung hinzutritt, um mit dieser zusammen eine geänderte Eröffnungsentscheidung zu bilden, ist festzustellen, dass sie deren rechtliche Qualität teilt. Denn die Mitteilung über die Eröffnung eines förmlichen Prüfungsverfahrens dient lediglich dem Zweck, von den Beteiligten alle Auskünfte zu erhalten, die dazu beitragen können, der Kommission Klarheit über ihr weiteres Vorgehen zu verschaffen.

(vgl. Randnrn. 70-73)

3.      Die abschließende Entscheidung, die die Kommission zur Beendigung des förmlichen Verfahrens zur Prüfung einer staatlichen Beihilfe nach Art. 88 Abs. 2 EG erlassen hat, stellt eine nach Art. 230 EG anfechtbare Handlung dar. Eine solche Entscheidung erzeugt nämlich bindende Rechtswirkungen, die die Interessen der Betroffenen beeinträchtigen können, da sie das in Rede stehende Verfahren beendet und eine abschließende Äußerung zur Vereinbarkeit der geprüften Maßnahme mit den für staatliche Beihilfen geltenden Regeln enthält. Folglich haben die Betroffenen immer die Möglichkeit, die abschließende Entscheidung, die das förmliche Prüfungsverfahren beendet, anzufechten, und sie müssen in diesem Rahmen die verschiedenen Gesichtspunkte, die dem endgültigen Standpunkt der Kommission zugrunde liegen, angreifen können.

Diese Möglichkeit besteht unabhängig von der Frage, ob der Beschluss zur Einleitung des förmlichen Prüfungsverfahrens Rechtswirkungen hervorbringt, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können. Es ist allerdings möglich, Klage gegen die Eröffnungsentscheidung zu erheben, wenn diese endgültige Rechtswirkungen zeitigt, die nicht durch die abschließende Entscheidung a posteriori beseitigt werden können. Dies ist dann der Fall, wenn die Kommission das förmliche Prüfungsverfahren für eine Maßnahme eröffnet, die sie vorläufig als neue Beihilfe einstuft, und diese Eröffnungsentscheidung im Vergleich zur abschließenden Entscheidung eigenständige Rechtswirkungen mit sich bringt. Die Aussetzung der Vollziehung der betreffenden Maßnahme, die sich gemäß Art. 88 Abs. 3 EG aus der vorläufigen Einstufung dieser Maßnahme als neue Beihilfe ergibt, weist gegenüber der abschließenden Entscheidung Eigenständigkeit auf, die zeitlich bis zum Abschluss des förmlichen Verfahrens begrenzt ist.

Die Möglichkeit, einen Einleitungsbeschluss anzufechten, kann jedoch nicht zu einer Schmälerung der Verfahrensrechte der Betroffenen führen und sie daran hindern, die abschließende Entscheidung anzufechten und zur Begründung der Klage Mängel geltend zu machen, die alle Abschnitte des Verfahrens betreffen, das zu dieser Entscheidung geführt hat.

Demnach hindert der Umstand, dass die Klägerinnen und die Streithelferinnen nicht binnen der vorgeschriebenen Frist Klage gegen eine Berichtigungsentscheidung der Kommission erheben, sie nicht daran, Klagegründe geltend zu machen, die sich auf die Rechtswidrigkeit der abschließenden Entscheidung der Kommission stützen, so dass der Unzulässigkeitseinwand der Kommission zurückzuweisen ist.

(vgl. Randnrn. 77-79)

4.      Im Rahmen einer staatlichen Beihilferegelung ist die Kommission grundsätzlich nicht verpflichtet, die in einzelnen Fällen gewährten Beihilfen zu prüfen, sondern kann sich darauf beschränken, die Merkmale der betreffenden Regelung zu untersuchen. Im Übrigen können besondere Umstände bei einzelnen Begünstigten einer Beihilferegelung erst im Stadium der Rückforderung der Beihilfe durch den betreffenden Mitgliedstaat gewürdigt werden. Andernfalls trüge die Kommission im Fall einer entgegen Art. 88 Abs. 3 EG rechtswidrig durchgeführten Regelung eine schwerere Beweislast als in dem Fall, dass der betreffende Mitgliedstaat die Pflicht zur Anzeige nach dieser Vorschrift eingehalten hätte, weil im letztgenannten Fall die besonderen Umstände bei den potenziell Begünstigten im Stadium der Prüfung definitionsgemäß unbekannt sind.

Die Kommission kann sich daher darauf beschränken, die Beihilferegelung als solche zu prüfen, und hat weder die Beziehungen zwischen den begünstigten Unternehmen und dem betroffenen Staat noch die Unterschiede zwischen den verschiedenen betroffenen Unternehmen, noch das etwaige berechtigte Vertrauen zu berücksichtigen, das von einigen dieser Unternehmen geltend gemacht werden könnte. Diese Umstände können erst im Stadium der Rückforderung der einzelnen Beihilfen Berücksichtigung finden.

(vgl. Randnrn. 91-92)

5.      Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 EG prüft die Kommission, wenn sie sich im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angeblich rechtswidrige Beihilfen befindet, diese Informationen unverzüglich. Diese Vorschrift ist nicht als Verweisung auf die Beendigung der Vorprüfungsphase zu verstehen, sondern als Bezugnahme auf den Beginn der Vorprüfung, was dadurch bestätigt wird, dass die Kommission nicht an die übliche Frist im Fall einer Vorprüfung gebunden ist, die durch eine Beschwerde ausgelöst wird.

Denn die Frist von zwei Monaten, in der die Kommission die Vorprüfungsphase abschließen muss, gilt ausschließlich für Beihilfen, die von den Mitgliedstaaten angemeldet wurden, nicht aber für die Fälle, in denen die Vorprüfungsphase zum Beispiel durch eine Beschwerde ausgelöst wurde.

(vgl. Randnrn. 97-98)

6.      Da die Kommission eine ausschließliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt besitzt, hat sie im Interesse einer ordnungsgemäßen Anwendung der grundlegenden Vorschriften des Vertrags auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen eine Beschwerde, mit der beanstandet wird, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe gewährt worden sei, sorgfältig und unvoreingenommen zu prüfen, und kann die Vorprüfung staatlicher Maßnahmen, gegen die eine Beschwerde wegen ihrer Beihilfenatur erhoben worden ist, nicht unbegrenzt hinausschieben.

Die Angemessenheit der Dauer eines solchen Verwaltungsverfahrens beurteilt sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere nach dessen Kontext, den verschiedenen Verfahrensabschnitten, die die Kommission zu durchlaufen hat, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie ihrer Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten.

(vgl. Randnr. 99)

7.      Die Begründungspflicht der Kommission gilt nicht für die Dauer des Prüfungsverfahrens einer staatlichen Beihilfe, sondern nur für den eigentlichen Inhalt der Entscheidung. Denn die nach Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können.

Die Dauer eines Verfahrens ergibt sich nicht aus Erwägungen des betreffenden Organs, mit denen diese Dauer gerechtfertigt werden könnte, sondern ist ein rein faktischer Umstand, der allein von der Zeit abhängig ist, die das Organ benötigt, um dieses Verfahren zu Ende zu führen. Sie gehört daher nicht zum Inhalt der Entscheidung, der der Begründung bedürfte. Sie erfordert allein die rein faktische Anführung der verschiedenen Verfahrensstufen bis zum Erlass der betreffenden Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 120-122)

8.      Sofern die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung gemäß Art. 88 Abs. 2 EG eine hinreichende vorläufige Beurteilung der Kommission enthält, in deren Rahmen die Gründe erläutert werden, aus denen sie Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt hat, ist es Sache des betroffenen Mitgliedstaats und des Beihilfeempfängers, die Gesichtspunkte vorzutragen, die die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt belegen.

Gleichwohl handelt es sich hier nur um eine Regel der Beweislast und nicht der Begründungspflicht, so dass gegebenenfalls die Kommission in ihrer Entscheidung die Gründe anzuführen hat, die sie zu der Annahme bewogen haben, dass trotz der vom Mitgliedstaat oder den Begünstigten beigebrachten Gesichtspunkte die betreffenden Beihilfen nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind.

(vgl. Randnr. 132)

9.      Die Kommission ist im Bereich staatlicher Beihilfen, wenn entgegen Art. 88 Abs. 3 EG eine Beihilfe bereits ausgezahlt wurde, nicht verpflichtet, besondere Gründe für die Ausübung ihrer Befugnis anzugeben, den nationalen Behörden die Rückforderung der Beihilfe aufzugeben. Diese vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 EG gefundene Lösung ist im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung weiterhin anzuwenden.

Die Entscheidung, die Beihilfe zurückfordern zu lassen, ist somit die nahezu automatische Konsequenz der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und ihrer Unvereinbarkeit – unter dem einzigen Vorbehalt, der sich aus Art. 14 Abs. 2 ergibt, dass die Rückforderung der Beihilfe nicht gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstößt. Die Kommission hat also insoweit keinen Ermessensspielraum. Unter solchen Umständen kann sie, wenn sie einmal die Gründe dargelegt hat, aus denen ihrer Meinung nach die betreffende Beihilfe rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, nicht verpflichtet sein, ihre Entscheidung, die die Rückforderung anordnet, zu begründen.

(vgl. Randnr. 152)

10.    Im Bereich staatlicher Beihilfen sind Maßnahmen zur Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen neue Beihilfen. Insbesondere wird die ursprüngliche Regelung in eine neue Beihilferegelung umgewandelt, wenn die Änderung sie in ihrem Kern selbst betrifft. Ist die Umgestaltung aber nicht wesentlich, so kann nur sie als neue Beihilfe eingestuft werden.

Insbesondere wenn eine Genehmigungsentscheidung der Kommission ausdrücklich die Voraussetzung erwähnt, dass der Beihilfeantrag zwingend dem Beginn der Durchführung der Investitionsvorhaben vorauszugehen hat, und der betroffene Mitgliedstaat aufgrund einer nach der Genehmigungsentscheidung erlassenen Regelung Beihilfen für regionale Projekte gewährt, deren Durchführung vor der Einreichung der Beihilfeanträge begonnen hat, handelt es sich um neue Beihilfen im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 EG. Denn eine solche Änderung kann nicht als geringfügig oder unbedeutend betrachtet werden. Da die Kommission regelmäßig ihre Genehmigung von Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung von der Voraussetzung abhängig macht, dass der Beihilfeantrag zwingend dem Beginn der Durchführung der Projekte vorauszugehen hat, liegt auf der Hand, dass der Wegfall dieser Voraussetzung nicht ohne Einfluss auf die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt bleiben kann.

(vgl. Randnrn. 176-179)

11.    Die Vereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt ist ausschließlich aufgrund der ihr eigenen Merkmale nach dem Maßstab der Politik zu beurteilen, die die Kommission zum Zeitpunkt dieser Beurteilung verfolgt. Demgegenüber kann die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt nicht dadurch beeinflusst werden, dass ihr möglicherweise andere Regelungen vorausgegangen sind, bei denen die Kommission bestimmte Modalitäten akzeptiert hat. Andernfalls könnte nämlich nicht so wäre, könnte die Kommission die Kriterien, nach denen sie die Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen beurteilt, nicht mehr ändern; diese Befugnis muss sie aber haben, um sowohl auf die Entwicklung der Beihilfenpraxis der Mitgliedstaaten als auch auf die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes reagieren zu können.

(vgl. Randnr. 190)

12.    Art. 241 EG ist der Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der jeder Partei das Recht gewährleistet, zum Zweck der Nichtigerklärung einer sie unmittelbar und individuell betreffenden Entscheidung die Gültigkeit derjenigen früheren Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane zu bestreiten, welche die Rechtsgrundlage für die angegriffene Entscheidung bilden, falls die Partei nicht das Recht hatte, gemäß Art. 230 EG unmittelbar gegen diese Rechtshandlungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Nichtigerklärung hätte beantragen können.

Bei den Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung ergibt sich aus ihrem einleitenden Teil, dass sie allgemein und abstrakt die Kriterien festlegen, die die Kommission bei der Würdigung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit regionaler Zielsetzung mit dem Gemeinsamen Markt auf der Grundlage des Art. 87 Abs. 3 Buchst. a und c EG heranzieht und die folglich für die Mitgliedstaaten, die solche Beihilfen gewähren, die Rechtssicherheit sicherstellen. Insbesondere gilt die in Ziff. 4.2 dieser Leitlinien festgelegte Voraussetzung für sämtliche in diesen Leitlinien behandelten Beihilfen ohne Rücksicht auf ihren Gegenstand, ihre Form oder ihren Betrag.

Da sich die Kommission in ihrer abschließenden Entscheidung im Rahmen ihrer Würdigung der Vereinbarkeit bestimmter Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt ausdrücklich auf Ziff. 4.2 der Leitlinien beruft, kann die dort niedergelegte Voraussetzung, auch wenn Ziff. 4.2 nicht die Rechtsgrundlage dieser Entscheidung bildet, als allgemein und abstrakt die Art und Weise bestimmend betrachtet werden, in der die Kommission die Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt gewürdigt hat. In diesem Fall besteht ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der abschließenden Entscheidung der Kommission und den Leitlinien; da eine Partei nicht die Nichtigerklärung dieser Leitlinien, die ein allgemeiner Rechtsakt sind, verlangen konnte, können diese mit dem Einwand der Rechtswidrigkeit angegriffen werden.

(vgl. Randnrn. 206, 208-210)

13.    Die Anwendung des Kriteriums der Ziff. 4.2 der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, nach dem die Beihilferegelungen vorsehen müssen, dass der Beihilfeantrag vor Beginn der Projektausführung gestellt wird, soll feststellen helfen, ob eine Beihilfemaßnahme eine Anreizwirkung hat, wenn es in einem Fall nicht möglich ist, eine vollständige Prüfung sämtlicher wirtschaftlicher Aspekte der Investitionsentscheidung der zukünftigen Beihilfeempfänger durchzuführen.

Insoweit ergibt sich aus Ziff. 2 Abs. 2 bis 4 der Leitlinien, dass die Kommission grundsätzlich Beihilfen mit regionaler Zielsetzung nur in Form von Beihilferegelungen zulässt, weil sie der Meinung ist, dass einzelne Ad-hoc-Beihilfen nicht die Voraussetzung erfüllen, dass zwischen den hieraus resultierenden Wettbewerbsverfälschungen und den Vorteilen der Beihilfe für die Entwicklung eines benachteiligten Gebiets ein Gleichgewicht gewährleistet werden kann.

Bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer notifizierten Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt sind die besonderen Umstände, wie sie bei den verschiedenen potenziellen Begünstigten der Regelung und bei den konkreten Projekten, für die diese Subventionen beantragen können, vorliegen, der Kommission per definitionem unbekannt. Diese muss sich folglich bei der Bewertung der Vereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt auf Kriterien stützen, die entweder unabhängig von den besonderen Umständen sind, wie sie bei den zukünftigen Begünstigten vorliegen, oder die bei allen zukünftigen Begünstigten übereinstimmen.

Die Forderung, dass der Beihilfeantrag dem Beginn der Durchführung des subventionierten Projekts vorausgehen muss, erlaubt es, sicherzustellen, dass das betreffende Unternehmen klar seinen Willen manifestiert hat, die betreffende Beihilferegelung in Anspruch zu nehmen, bevor mit der Durchführung des Projekts begonnen wird. Damit kann vermieden werden, dass nachträglich Anträge für Projekte eingereicht werden, mit deren Durchführung unabhängig von der Geltung einer Beihilferegelung begonnen wurde. Angesichts dieser Erwägungen ist die einfache Feststellung, dass der Beihilfeantrag dem Beginn der Durchführung des Investitionsprojekts vorausgeht, ein einfaches, sachgerechtes und angemessenes Kriterium, das der Kommission erlaubt, das Vorliegen einer Anreizwirkung zu vermuten.

(vgl. Randnr. 215)

14.    Im Bereich staatlicher Beihilfen ist es, wenn die Kommission die Einleitung des förmlichen Prüfungsverfahrens beschließt, Sache des betreffenden Mitgliedstaats und der Begünstigten der entsprechenden Maßnahmen, die Gründe vorzutragen, die belegen sollen, dass die betreffende Maßnahme keine Beihilfe oder doch mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, da es das Ziel des förmlichen Prüfungsverfahrens ist, die Kommission über alle Gegebenheiten der Sache aufzuklären. Zwar muss die Kommission ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beihilfe klar zum Ausdruck bringen, wenn sie ein förmliches Verfahren eröffnet, um es dem Mitgliedstaat und den Beteiligten zu ermöglichen, sich umfassend dazu zu äußern, doch ändert dies nichts daran, dass es Sache desjenigen ist, der die Beihilfe beantragt hat, diese Zweifel auszuräumen und nachzuweisen, dass seine Investition die Voraussetzung für die Gewährung der Beihilfe erfüllt. Insbesondere ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass es bei dem Versuch, für neue oder geänderte Beihilfen abweichend von den Vorschriften des EG‑Vertrags eine Genehmigung zu erhalten, Sache des betreffenden Mitgliedstaats ist, aufgrund seiner Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission gemäß Art. 10 EG alle Angaben zu übermitteln, die geeignet sind, diesem Organ die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung erfüllt sind.

(vgl. Randnr. 246)

15.    Außer bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ist eine Berufung auf berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit einer Beihilfe grundsätzlich nur möglich, wenn diese Beihilfe unter Beachtung des in Art. 88 EG vorgeschriebenen Verfahrens gewährt wurde. Einem sorgfältigen Gewerbetreibenden muss es nämlich regelmäßig möglich sein, sich zu vergewissern, ob dieses Verfahren beachtet wurde.

Folglich kann es Empfängern von Beihilfen, die die in der Genehmigungsentscheidung der Kommission genannten Voraussetzungen nicht beachten, grundsätzlich nicht gestattet werden, sich auf ein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfen zu berufen. Es ist zwar keineswegs ausgeschlossen, dass die Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe im Verfahren zur Rückforderung dieser Beihilfe außergewöhnliche Umstände, die bei ihnen ein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfe begründen konnten, geltend machen und sie der Rückforderung entgegenhalten können. Jedoch können sich diese Begünstigten auf außergewöhnliche Umstände nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts nur im Rahmen des Verfahrens der Rückforderung vor den nationalen Gerichten berufen, die allein dafür zuständig sind, nachdem sie gegebenenfalls dem Gerichtshof Auslegungsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt haben, die Umstände des Falles zu beurteilen.

Da nach dem in Art. 87 Abs. 1 EG aufgestellten allgemeinen Grundsatz staatliche Beihilfen verboten und Ausnahmen von diesem Grundsatz eng auszulegen sind, betrifft eine Entscheidung, keine Einwände gegen eine Beihilferegelung zu erheben, nur die tatsächliche Gewährung der unter diese Regelung fallenden Beihilfen und kann somit ein berechtigtes Vertrauen der von ähnlichen zukünftigen Beihilfeprojekten potenziell Begünstigten in die Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt nicht entstehen lassen.

(vgl. Randnrn. 274-277, 283)

16.    Im Bereich staatlicher Beihilfen ist Ziel der De‑minimis‑Regel die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren sowohl im Interesse der Empfänger von verhältnismäßig unbedeutenden Beihilfen, die daher den Wettbewerb nicht verfälschen können, als auch der Kommission, die ihren Personaleinsatz auf die Fälle von wirklicher Bedeutung auf Gemeinschaftsebene konzentrieren können muss.

Insoweit würde die Zulassung der Aufteilung einer Beihilfe, um einen Teil von ihr der De‑minimis‑Regel unterstellen zu können, nicht der Verfolgung des genannten Ziels dienen. Der bloße Abzug des dem Schwellenbetrag entsprechenden Betrags vom Betrag einer geplanten Beihilfe für ein Unternehmen erspart es der Kommission weder, die Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt für den diesen Schwellenwert übersteigenden Betrag prüfen zu müssen, noch dem betreffenden Unternehmen, bis zum Erhalt der Beihilfe auf das Ende dieser Prüfung warten zu müssen oder aber, im Fall einer rechtswidrigen Beihilfe, diese gegebenenfalls zurückzahlen zu müssen.

Außerdem besagt der Begriff der De‑minimis‑Beihilfe, dass es sich um eine Beihilfe von geringer Höhe handelt. Ließe man aber nachträglich die Aufteilung von Beihilfen zu, die den insoweit geltenden Schwellenwert überstiegen, liefe dies darauf hinaus, Beihilfen, die anfangs keineswegs geringfügig waren, teilweise die De‑minimis‑Regel zugutekommen zu lassen.

Zwar kann der betreffende Mitgliedstaat im Anschluss an die Rückforderung des Gesamtbetrags der rechtswidrig gewährten Beihilfe dem Unternehmen grundsätzlich sofort eine neue De‑minimis‑Beihilfe bis zum Schwellenwert von 100 000 Euro gewähren. Dies erfordert jedoch eine neue Entscheidung über die Zuweisung öffentlicher Mittel seitens des Mitgliedstaats, so dass das Verbot der Aufteilung nicht als eine bloße Formvorschrift verstanden werden kann.

Somit ist Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 69/2001 über die Anwendung der Artikel 87 EG und 88 EG auf De‑minimis‑Beihilfen dahin auszulegen, dass die Entbindung von der Notifizierungspflicht gemäß Art. 88 Abs. 3 EG nicht auf Beträge Anwendung finden kann, die Teil einer Beihilfe sind, deren Gesamtbetrag den Schwellenwert von 100 000 Euro für einen Zeitraum von drei Jahren übersteigt. Auf jeden Fall ist die ausdrückliche Aufnahme dieser restriktiven Auslegung in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1998/2006 über die Anwendung der Artikel 87 EG und 88 EG auf De‑minimis‑Beihilfen im Sinne der Einführung einer Klarstellung und nicht als Aufstellung einer neuen Voraussetzung für die Anwendung der De‑minimis‑Regel zu verstehen.

(vgl. Randnrn. 304-305, 308-311)