Language of document : ECLI:EU:C:2021:530

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 1. Juli 2021(1)

Rechtssache C118/20

JY,

Beteiligte:

Wiener Landesregierung

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 20 und 21 AEUV – Anwendungsbereich – Verzicht auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats entsprechend dessen Zusicherung der Einbürgerung des Betroffenen zu erwerben – Widerruf dieser Zusicherung aus Gründen der öffentlichen Ordnung – Staatenlosigkeit – Kriterien für den Erwerb der Staatsangehörigkeit – Verhältnismäßigkeit“






Inhaltsverzeichnis



I.      Einleitung

1.        Das nationale Recht eines Mitgliedstaats sieht die Möglichkeit vor, dass er die Zusicherung, einen Staatsangehörigen einzubürgern, wegen Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit der Straßenverkehrssicherheit widerrufen kann, und zwar gegenüber Personen, die lediglich die Staatsangehörigkeit eines einzigen Mitgliedstaats besitzen und die, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der eine entsprechende Zusicherung enthaltenden Entscheidung der Behörden des genannten Staates zu erlangen, auf diese Staatsangehörigkeit – und damit auf ihren Unionsbürgerstatus – verzichtet haben. Damit wird verhindert, dass der Betreffende wieder den Status eines Unionsbürgers erlangt.

2.        Im vorliegenden Fall wird der Gerichtshof ersucht, Art. 20 AEUV im Rahmen der aus den Urteilen Rottmann(2) sowie Tjebbes u. a.(3) hervorgegangenen Rechtsprechung auszulegen und den dritten Teil eines recht sensiblen Kapitels aufzuschlagen, in dem es um die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Bereich des Erwerbs und Verlusts der Staatsangehörigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht geht.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Völkerrecht

1.      Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit

3.        Die Republik Österreich ist dem am 30. August 1961 in New York geschlossenen und am 13. Dezember 1975 in Kraft getretenen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (im Folgenden: Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit) am 22. September 1972 beigetreten. Dieses Übereinkommen sieht in seinem Art. 7 Abs. 2, 3 und 6 vor:

„(2)      Ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaates, der in einem fremden Land die Einbürgerung anstrebt, verliert seine Staatsangehörigkeit nur dann, wenn er die Staatsangehörigkeit dieses fremden Landes erwirbt oder die Zusicherung des Erwerbes erhalten hat.

(3)      Vorbehaltlich der Bestimmungen der Absätze 4 und 5 verliert ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaates weder auf Grund der Tatsache, dass er das Land verlässt, seinen Aufenthalt im Ausland hat oder der Registrierungspflicht nicht nachkommt, noch aus irgendeinem ähnlichen Grund seine Staatsangehörigkeit, wenn er dadurch staatenlos wird.

(6)      Mit Ausnahme der in diesem Artikel vorgesehenen Fälle verliert niemand die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates, wenn er dadurch staatenlos würde, selbst wenn dieser Verlust durch keine andere Bestimmung dieses Übereinkommens ausdrücklich verboten ist.“

4.        Art. 8 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit bestimmt in seinen Abs. 1 und 3:

„(1)      Kein Vertragsstaat entzieht einer Person seine Staatsangehörigkeit, wenn diese Entziehung sie staatenlos macht.

(3)      Ungeachtet der Bestimmung des Absatzes 1 kann sich jeder Vertragsstaat das Recht vorbehalten, einer Person seine Staatsangehörigkeit zu entziehen, sofern er zum Zeitpunkt der Unterzeichnung, der Ratifikation oder des Beitrittes den Vorbehalt dieses Rechtes aus einem oder mehreren der folgenden Gründe, die das innerstaatliche Recht zu diesem Zeitpunkt vorsieht, anmeldet:

a)      dass die Person im Widerspruch zu ihrer Treuepflicht gegenüber dem Vertragsstaat

ii)      ein den lebenswichtigen Interessen des Vertragsstaates in schwerwiegender Weise abträgliches Verhalten an den Tag gelegt hat;

…“

2.      Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit

5.        Das am 6. Mai 1963 in Straßburg unterzeichnete und am 28. März 1968 in Kraft getretene Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern gilt für die Republik Österreich seit dem 1. September 1975.

6.        Art. 1 („Verringerung von Fällen der Mehrstaatigkeit“) dieses Übereinkommens bestimmt in seinem Abs. 1: „Volljährige Staatsangehörige einer Vertragspartei, die infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung durch Einbürgerung, Abgabe einer Erklärung oder Wiedererlangung die Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, verlieren ihre frühere Staatsangehörigkeit; die Beibehaltung ihrer früheren Staatsangehörigkeit ist ihnen nicht zu bewilligen.“

3.      Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit

7.        Das am 6. November 1997 im Rahmen des Europarats geschlossene und am 1. März 2000 in Kraft getretene Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (im Folgenden: Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit) gilt für die Republik Österreich seit dem 1. März 2000.

8.        Art. 4 („Grundsätze“) des Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit sieht vor, dass die Staatsangehörigkeitsvorschriften jedes Vertragsstaats u. a. auf den Grundsätzen, wonach jeder das Recht auf eine Staatsangehörigkeit hat und Staatenlosigkeit zu vermeiden ist, beruhen müssen.

9.        Art. 6 („Erwerb der Staatsangehörigkeit“) dieses Übereinkommens bestimmt in seinem Abs. 3: „Jeder Vertragsstaat sieht in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit der Einbürgerung von Personen vor, die ihren rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben. Bei der Festlegung der Voraussetzungen für eine Einbürgerung darf ein Vertragsstaat keine Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahren für die Antragstellung vorsehen.“

10.      Art. 7 („Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf Veranlassung eines Vertragsstaates“) des genannten Übereinkommens sieht in seinen Abs. 1 und 3 vor:

„(1)      Ein Vertragsstaat darf mit Ausnahme der folgenden Fälle in seinem innerstaatlichen Recht nicht den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf Veranlassung des Vertragsstaates vorsehen:

a)      freiwilliger Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit;

b)      Erwerb der Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates durch arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder die Verschleierung einer erheblichen Tatsache, wenn diese dem Antragsteller zuzurechnen sind;

d)      Verhalten, das den lebenswichtigen Interessen des Vertragsstaates schwerwiegend abträglich ist;

(3)      Ein Vertragsstaat darf mit Ausnahme der in Absatz 1 [Buchst.] b genannten Fälle in seinem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorsehen, wenn der Betreffende dadurch staatenlos würde.“

11.      Art. 8 („Verlust der Staatsangehörigkeit auf Veranlassung der Person“) des genannten Übereinkommens bestimmt u. a.: „Jeder Vertragsstaat gestattet die Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit, wenn die Betreffenden dadurch nicht staatenlos werden.“

12.      Art. 10 („Antragsbearbeitung“) des Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit lautet: „Jeder Vertragsstaat stellt sicher, dass Anträge auf Erwerb, Beibehaltung, Verlust, Wiedererwerb oder Bestätigung der Staatsangehörigkeit in angemessener Zeit bearbeitet werden.“

13.      Art. 15 („Andere mögliche Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit“) dieses Übereinkommens sieht vor:

„Die Bestimmungen dieses Übereinkommens beschränken nicht das Recht eines Vertragsstaates, in seinem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, ob:

a)      seine Staatsangehörigen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erwerben oder besitzen, seine Staatsangehörigkeit behalten oder verlieren;

b)      der Erwerb oder die Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängt.“

14.      Art. 16 („Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit“) des genannten Übereinkommens lautet: „Ein Vertragsstaat darf den Erwerb oder die Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit nicht von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig machen, wenn die Aufgabe oder der Verlust unmöglich oder unzumutbar ist.“

B.      Unionsrecht

15.      Art. 20 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV) begründet die Unionsbürgerschaft und sieht vor, dass Unionsbürger ist, „wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt“. Nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a AEUV haben die Unionsbürger „das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten“.

C.      Österreichisches Recht

16.      § 10 („Verleihung“) des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 vom 30. Juli 1985(4) (im Folgenden: StbG) bestimmt:

(1)      Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

6.      er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 [der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten] genannte öffentliche Interessen gefährdet;

(2)      Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden nicht verliehen werden, wenn

2.      er mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung mit besonderem Unrechtsgehalt … rechtskräftig bestraft worden ist; …

(3)      Einem Fremden, der eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, darf die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn er

1.      die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen unterlässt, obwohl ihm diese möglich und zumutbar sind …

…“

17.      § 20 StbG sieht in seinen Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

1.      er nicht staatenlos ist;

2.      weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und

3.      ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.

(2)      Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde mit Ausnahme von § 10 Abs. 1 Z 7 auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

(3)      Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde

1.      aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder

2.      nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefragen

18.      Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 beantragte JY, die damals estnische Staatsangehörige war, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

19.      Mit Bescheid vom 11. März 2014 sicherte die – in Anbetracht des Wohnsitzes von JY seinerzeit zuständige – Niederösterreichische Landesregierung (Österreich) ihr gemäß § 11a Abs. 4 Z 2 in Verbindung mit den §§ 20 und 39 StbG die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zu, dass sie binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband der Republik Estland nachweise.

20.      JY verlegte ihren Hauptwohnsitz nach Wien (Österreich) und legte innerhalb der vorgesehenen Zweijahresfrist die Bestätigung der Republik Estland vor, wonach sie mit Bescheid der Regierung dieses Mitgliedstaats vom 27. August 2015 aus dessen Staatsbürgerschaftsverband entlassen worden sei. Seit der Entlassung aus dem estnischen Staatsverband ist JY staatenlos.

21.      Mit Bescheid vom 6. Juli 2017 widerrief die – für die Prüfung des Antrags von JY zuständig gewordene – Wiener Landesregierung (Österreich) den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung gemäß § 20 Abs. 2 StbG und wies das Ansuchen von JY um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z 6 dieses Gesetzes ab (im Folgenden: streitige Entscheidung).

22.      Zur Begründung führte die Wiener Landesregierung aus, dass JY zum einen nach der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zwei schwerwiegende Verwaltungsübertretungen (Unterlassen der Anbringung einer Begutachtungsplakette an ihrem Fahrzeug und Lenken eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand) begangen und zum anderen acht vor dieser Zusicherung – in der Zeit zwischen 2007 und 2013 – begangene Verwaltungsübertretungen zu vertreten habe. Daher erfülle JY nicht mehr die in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorgesehenen Voraussetzungen. JY erhob Beschwerde gegen diese Entscheidung.

23.      Mit Urteil vom 23. Januar 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien (Österreich) die Beschwerde ab und vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 20 Abs. 2 StbG zu widerrufen sei, wenn nach Erbringung des Nachweises über das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband ein Versagungsgrund eintrete, und dass im vorliegenden Fall die Verleihungsvoraussetzung von § 10 Abs. 1 Z 6 dieses Gesetzes nicht erfüllt sei. Von den beiden fraglichen schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen sei nämlich die erste geeignet, den Schutz der öffentlichen Verkehrssicherheit zu gefährden, und die zweite könne die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringen. Aus diesen beiden schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen ergäben sich in Zusammenschau mit den in der Zeit zwischen 2007 und 2013 begangenen acht Verwaltungsübertretungen Zweifel am künftigen Wohlverhalten von JY im Sinne der letztgenannten Vorschrift, wobei der lange Aufenthalt von JY in Österreich sowie ihre berufliche und persönliche Integration diese Schlussfolgerung nicht in Frage stellen könnten.

24.      Das Urteil Rottmann sei im Übrigen nicht einschlägig, weil JY zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung bereits staatenlos und damit keine Unionsbürgerin mehr gewesen sei. Außerdem lasse das Vorliegen schwerwiegender Verstöße die Annahme zu, dass die mit der streitigen Entscheidung ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit verhältnismäßig seien.

25.      Gegen diese Entscheidung legte JY Revision zum Verwaltungsgerichtshof (Österreich) ein.

26.      Im vorliegenden Fall hebt das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der von JY vor und nach der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft begangenen Verwaltungsübertretungen hervor, dass sich nach österreichischem Recht nicht in Abrede stellen lasse, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinne von § 20 Abs. 2 StbG erfüllt seien, und ebenso wenig die Ablehnung des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 6 dieses Gesetzes beanstandet werden könne.

27.      Des ungeachtet stellt das vorlegende Gericht klar, das Verwaltungsgericht Wien habe im Hinblick auf die Staatenlosigkeit von JY zwar im Licht des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit geprüft, ob dieser Widerruf verhältnismäßig sei, und habe dies unter Berücksichtigung der von JY begangenen Verstöße im Ergebnis bejaht. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Folgen des Widerrufs der Zusicherung für die Situation der betroffenen Person und gegebenenfalls für die ihrer Familienangehörigen aus unionsrechtlicher Sicht habe das Verwaltungsgericht jedoch nicht vorgenommen, weil es im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit der Urteile Rottmann und Tjebbes u. a. verneint habe.

28.      So weist das vorlegende Gericht in Bezug auf die erste Frage vorab darauf hin, dass JY – unter Zugrundelegung der sie betreffenden Sach- und Rechtslage zu demjenigen Zeitpunkt, als die streitige Entscheidung erlassen wurde, der für die Beurteilung der Begründetheit des Urteils des Verwaltungsgerichts Wien maßgeblich sei – keine Unionsbürgerin gewesen sei. Im Gegensatz zur Situation der Betroffenen in den Rechtssachen, in denen die Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. ergangen seien, sei mit der streitigen Entscheidung im vorliegenden Fall nicht der Verlust des Unionsbürgerstatus verbunden. Vielmehr habe JY den bedingt erworbenen Rechtsanspruch auf Wiedererlangung der Unionsbürgerschaft, die sie selbst bereits aufgegeben habe, infolge des Widerrufs der Zusicherung in Verbindung mit der Ablehnung ihres Antrags auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft verloren.

29.      Daher sei fraglich, ob eine solche Situation ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht falle und ob die zuständige Behörde bei der streitigen Entscheidung das Unionsrecht habe beachten müssen. Das vorlegende Gericht teilt insoweit die Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien, wonach eine solche Situation nicht unter das Unionsrecht falle.

30.      Für den Fall der Bejahung der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht darüber hinaus wissen, ob die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen haben, ob der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, der verhindert, dass die betreffende Person ihren Unionsbürgerstatus wiedererlangt, aus unionsrechtlicher Sicht im Hinblick auf die Folgen für deren Situation mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, dass eine solche Verhältnismäßigkeitskontrolle verlangt werden müsse, und fragt sich in diesem Zusammenhang, ob es allein ausschlaggebend ist, dass JY auf ihre Unionsbürgerschaft verzichtet und das zwischen ihrem Herkunftsmitgliedstaat und dessen Staatsangehörigen bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis sowie die wechselseitigen Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen(5), aufgelöst hat.

31.      Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. Februar 2020, der beim Gerichtshof am 3. März 2020 eingegangen ist, entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Fällt die Situation einer natürlichen Person, die, wie die Revisionswerberin des Ausgangsverfahrens, auf ihre Staatsangehörigkeit zu einem einzigen Mitgliedstaat der Europäischen Union und somit auf ihre Unionsbürgerschaft verzichtet hat, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats entsprechend der Zusicherung der von ihr beantragten Verleihung der Staatsangehörigkeit des anderen Mitgliedstaats zu erlangen, und deren Möglichkeit, die Unionsbürgerschaft wiederzuerlangen, nachfolgend durch den Widerruf dieser Zusicherung beseitigt wird, ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht, so dass beim Widerruf der Zusicherung der Verleihung das Unionsrecht zu beachten ist?

Falls die erste Frage bejaht wird:

2.      Haben die zuständigen nationalen Behörden einschließlich gegebenenfalls der nationalen Gerichte im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats festzustellen, ob der Widerruf der Zusicherung, der die Wiedererlangung der Unionsbürgerschaft beseitigt, im Hinblick auf seine Folgen für die Situation der betroffenen Person aus unionsrechtlicher Sicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist?

32.      JY, die österreichische und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die genannten Beteiligten sowie die estnische und die niederländische Regierung waren in der Sitzung vom 1. März 2021 vertreten.

IV.    Rechtliche Würdigung

A.      Einleitende Bemerkungen

33.      Art. 20 Abs. 1 AEUV sieht vor: „Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.“ Art. 20 AEUV verleiht somit jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers(6), der dazu bestimmt ist, der grundlegende Status sämtlicher Angehöriger der Mitgliedstaaten zu sein(7). Dies bedeutet, dass die Inanspruchnahme des Unionsbürgerstatus, mit dem alle im AEU-Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten verknüpft sind(8), von der Vorbedingung abhängt, dass die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gegeben ist. Die Unionsbürgerschaft hat daher einen nicht nur abgeleiteten, sondern auch ergänzenden Charakter, da sie den Unionsbürgern zusätzliche Rechte wie beispielsweise das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, oder das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen verleiht(9). In diesem Sinne vermittelt der Unionsbürgerstatus den Angehörigen der Mitgliedstaaten eine „über den Staat hinausgehende“ Bürgerschaft(10).

34.      Die vorliegende Rechtssache, die sich in diesen rechtlichen Kontext einfügt, berührt unmittelbar den grundlegenden Status als Unionsbürger, und die Fragen des vorlegenden Gerichts schließen an die im vorliegenden Fall besonders relevanten Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. an.

35.      In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich als Erstes prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter das Unionsrecht fällt. In diesem Zusammenhang werde ich die Rechtsprechung zum Verlust des Unionsbürgerstatus auslegen, bevor ich in deren Licht analysieren werde, welche Folgen die streitige Entscheidung hat (erste Frage). Als Zweites werde ich, nachdem ich auf die Entscheidung der estnischen Regierung über die Auflösung des Staatsverbands mit JY Bezug genommen habe, die Verhältnismäßigkeit der erstgenannten Entscheidung prüfen (zweite Frage).

B.      Erste Vorlagefrage: Fällt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter das Unionsrecht?

36.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ihrem Wesen und ihren Folgen nach die Situation einer natürlichen Person unter das Unionsrecht fällt, in der die fragliche Person nur die Staatsangehörigkeit eines einzigen Mitgliedstaats besitzt und, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu erlangen, entsprechend der die Zusicherung von deren Verleihung enthaltenden Entscheidung der Behörden des anderen Mitgliedstaats auf ihre Staatsangehörigkeit und somit auf ihren Unionsbürgerstatus verzichtet, die genannte Entscheidung anschließend jedoch widerrufen und der Antrag der betreffenden Person auf Verleihung der besagten Staatsangehörigkeit abgelehnt wird, wodurch diese Person an der Wiedererlangung des Unionsbürgerstatus gehindert wird.

37.      Was erstens die Besonderheiten der vorliegenden Rechtssache angeht, so weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation dadurch gekennzeichnet sei, dass JY zum Zeitpunkt der streitigen Entscheidung bereits auf ihre estnische Staatsangehörigkeit und damit auf ihren Status als Unionsbürgerin verzichtet habe. Daher sei mit der streitigen Entscheidung – anders als in den Situationen, in denen die Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. ergangen seien – nicht der Verlust des Unionsbürgerstatus verbunden, so dass die Situation von JY nicht unter das Unionsrecht falle.

38.      Was zweitens die schriftlichen Erklärungen der Beteiligten betrifft, so teilt die österreichische Regierung die Ansicht des vorlegenden Gerichts und macht geltend, JY habe von sich aus auf die estnische Staatsangehörigkeit und damit auf die Unionsbürgerschaft verzichtet. JY hebt jedoch hervor, dass sie nie die Absicht gehabt habe, auf ihre Unionsbürgereigenschaft als grundlegenden Status zu verzichten. Sie habe lediglich – mit berechtigten Erwartungen – die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats erwerben wollen und letztlich unfreiwillig die Unionsbürgerschaft verloren. Da der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ihre Rechte als Unionsbürgerin betreffe, seien die österreichischen Behörden insoweit zur Beachtung des Unionsrechts verpflichtet gewesen.

39.      Nach Auffassung der französischen Regierung und der Kommission fällt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht.

40.      Die französische Regierung vertritt ferner die Auffassung, dass JY, die in Anbetracht der von einem Mitgliedstaat erteilten Zusicherung, dass ihr dessen Staatsangehörigkeit verliehen werde, auf ihre ursprüngliche estnische Staatsangehörigkeit verzichtet habe, mit einer Entscheidung über den Widerruf dieser Zusicherung konfrontiert werde, in deren Folge sie in der Lage einer Staatenlosen verbleibe, die durch den Verlust des über Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte gekennzeichnet sei. In einem solchen Fall seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeit im Bereich der Staatsangehörigkeit das Unionsrecht zu beachten.

41.      Die Kommission erkennt ihrerseits an, dass sich die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegende Situation von denjenigen unterscheide, in denen die Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. ergangen seien. Sie macht jedoch geltend, es dürfe ein Unionsbürger, der seine Integration in den Aufnahmemitgliedstaat, indem er um dessen Staatsangehörigkeit nachsuche, vervollkommnen wolle, der ein mit dem Recht dieses Mitgliedstaats im Einklang stehendes Verhalten an den Tag lege und der den vorübergehenden Eintritt von Staatenlosigkeit in Kauf zu nehmen bereit sei, nicht deshalb Nachteile erleiden, weil aufgrund der durch das System zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft eingetretenen Staatenlosigkeit der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit einer gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf das Unionsrecht entzogen werde.

42.      Auch die estnische und die niederländische Regierung haben in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Situation von JY falle unter das Unionsrecht.

43.      Ich werde daher prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation in Anbetracht der gegebenen besonderen Umstände in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

1.      Einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verlust des Unionsbürgerstatus

44.      Das vorlegende Gericht verweist auf die Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. Ich halte es jedoch für angebracht, meine Analyse der einschlägigen Rechtsprechung mit der Prüfung des Urteils Micheletti u. a.(11) zu beginnen.

a)      Das Urteil Micheletti u. a.: Von der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Erwerbs und Verlusts der Staatsangehörigkeit ist unter Beachtung des Unionsrechts Gebrauch zu machen

45.      Im Urteil Micheletti u. a.(12) hat der Gerichtshof festgestellt, dass „[d]ie Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit … nach dem internationalen Recht der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten [unterliegt]; von dieser Zuständigkeit ist unter Beachtung des Unionsrechts Gebrauch zu machen“. Er hat klargestellt, dass, sofern ein Mitgliedstaat einer Person seine Staatsangehörigkeit unter Beachtung des Unionsrechts verliehen hat, ein anderer Mitgliedstaat „die Wirkungen … [nicht] dadurch … beschränken [kann], dass eine zusätzliche Voraussetzung für die Anerkennung dieser Staatsangehörigkeit im Hinblick auf die Ausübung [einer] im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit … verlangt wird“(13).

46.      An dieser Stelle sollte meines Erachtens hervorgehoben werden, dass der vom Gerichtshof in jenem Urteil formulierte Vorbehalt, wonach das Unionsrecht zu beachten ist, sowohl die Voraussetzungen für den Erwerb als auch die Voraussetzungen für den Verlust der Staatsangehörigkeit umfasst. Ich werde später darauf zurückkommen(14).

b)      Die Urteile Rottmann und Tjebbes u. a.: Bestätigung und Klarstellung des im Urteil Micheletti u. a. aufgestellten Grundsatzes

47.      Der Grundsatz, den der Gerichtshof im Urteil Micheletti u. a.(15) aufgestellt hat, ist im Urteil Rottmann(16) bestätigt worden. Im Rahmen der Prüfung einer von den deutschen Behörden erlassenen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung hat der Gerichtshof auch die Tragweite dieses Grundsatzes geklärt(17). So hat der Gerichtshof, nachdem er an die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Erwerbs und Verlusts der Staatsangehörigkeit erinnert hatte(18), klargestellt: „Dass für ein Rechtsgebiet die Mitgliedstaaten zuständig sind, schließt … nicht aus, dass die betreffenden nationalen Vorschriften in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, dieses Recht beachten müssen“(19). In diesem Zusammenhang hat er sich auf eine ständige Rechtsprechung in Bezug auf Situationen gestützt, in denen Rechtsvorschriften, die auf einem in die nationale Zuständigkeit fallenden Rechtsgebiet erlassen worden sind, im Licht des Unionsrechts beurteilt werden(20). Sofern derartige Situationen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, müssen sie somit dieses Recht beachten und unterliegen der Kontrolle durch den Gerichtshof(21). Der Unionsbürgerstatus darf nämlich nicht seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werden, und die Rechte, die er verleiht, dürfen folglich nicht durch den Erlass staatlicher Maßnahmen verletzt werden(22).

48.      Im Urteil Rottmann(23) hat der Gerichtshof mithin festgestellt, dass ihrem Wesen und ihren Folgen nach die Situation eines Unionsbürgers, gegen den eine Entscheidung der Behörden eines Mitgliedstaats über die Rücknahme seiner Einbürgerung ergangen ist, die ihn – nachdem er die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats, die er ursprünglich besessen hatte, verloren hat – in eine Lage versetzt, die zum Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte führen kann, im Hinblick auf den grundlegenden Charakter dieses Status unter das Unionsrecht fällt.

49.      Dieses Urteil hat daher die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Aspekte der Staatsangehörigkeitsvorschriften der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem Verlust des Unionsbürgerstatus einer eingehenden Prüfung anhand des Unionsrechts zu unterwerfen(24). Eine solche Gelegenheit hat sich neun Jahre später mit der Rechtssache geboten, in der das Urteil Tjebbes u. a.(25) ergangen ist.

50.      In diesem Urteil ist eine allgemeine Voraussetzung für den kraft Gesetzes eintretenden Verlust der niederländischen Staatsangehörigkeit und damit des Unionsbürgerstatus der Betroffenen Gegenstand einer Prüfung anhand des Unionsrechts gewesen(26). Der Gerichtshof hat den Grundsatz bestätigt(27), der in der früheren Rechtsprechung(28) aufgestellt worden war. Unter Bezugnahme auf die Rn. 42 und 45 des Urteils Rottmann hat er festgestellt, dass die Situation von Unionsbürgern, die die Staatsangehörigkeit nur eines einzigen Mitgliedstaats besitzen und die durch den Verlust dieser Staatsangehörigkeit auch mit dem Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte konfrontiert werden, ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht fällt und die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit im Bereich der Staatsangehörigkeit somit das Unionsrecht zu beachten haben(29).

51.      In Anbetracht des vorstehend beschriebenen Rechtsprechungsrahmens(30) stellt sich im vorliegenden Fall folgende Frage: Fällt die Situation von JY in den Anwendungsbereich des Unionsrechts?

52.      Nach meiner Überzeugung ist diese Frage aus den nachstehend dargelegten Gründen zu bejahen.

2.      Folgen der streitigen Entscheidung im Hinblick auf das Unionsrecht

a)      Anwendung der sich aus den Urteilen Rottmann sowie Tjebbes u. a. ergebenden Grundsätze auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation

53.      Im vorliegenden Fall war JY zu dem für die Prüfung der Begründetheit der Klage im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Zeitpunkt, zu dem die streitige Entscheidung erlassen wurde(31), zwar bereits staatenlos und hatte damit ihren Status als Unionsbürgerin verloren. Indessen folgte der Verlust dieses Status aber nicht unmittelbar aus der streitigen Entscheidung. JY ist nämlich aus dem Staatsverband der Republik Estland durch eine Entscheidung der Regierung dieses Mitgliedstaats entlassen worden.

54.      Außerdem ergibt sich der Verlust des Unionsbürgerstatus offensichtlich nicht aus einer Voraussetzung für den Verlust der Staatsangehörigkeit(32), sondern aus einer in den österreichischen Rechtsvorschriften angelegten Voraussetzung für ihren Erwerb(33). Die österreichischen Behörden haben die mit der streitigen Entscheidung ergriffenen Maßnahmen nämlich damit begründet, dass JY die in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorgesehenen Voraussetzungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mehr erfülle(34).

55.      Wie ich bereits ausgeführt habe(35), unterscheidet sich die Situation von JY unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten von den Situationen, in denen die Urteile Rottmann sowie Tjebbes u. a. ergangen sind. Meiner Meinung nach vermögen diese Umstände jedoch nicht die Situation von JY aus dem Anwendungsbereich des Unionsrechts auszuschließen, und zwar aus folgenden Gründen.

56.      Erstens beruhen die Entscheidungen der estnischen Regierung und der Wiener Landesregierung zwar auf Regelungen zweier unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit(36); ich teile jedoch die Ansicht der Kommission, wonach der Widerruf der Zusicherung der Einbürgerung einer zum Zeitpunkt eines solchen Widerrufs staatenlosen Person nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern unter Berücksichtigung der Tatsache gesehen werden muss, dass diese Person Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats war und somit den Unionsbürgerstatus besaß(37). Daher sollte der Umstand, dass JY ihren Status als Unionsbürgerin verloren hat, an dieser Stelle meines Erachtens nicht nur unter Berücksichtigung der Entscheidung der estnischen Behörden, sondern auch des österreichischen Einbürgerungsverfahrens insgesamt beurteilt werden(38).

57.      Zweitens möchte ich auf den zuvor angesprochenen Punkt, nämlich darauf, dass der vom Gerichtshof im Urteil Micheletti u. a.(39) formulierte Vorbehalt sowohl die Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit als auch die Voraussetzungen für deren Verlust umfasst, zurückkommen. Der in jenem Urteil aufgestellte Grundsatz ist in den Urteilen Rottmann(40) und Tjebbes u. a.(41) bestätigt worden. Daher gilt dieser Grundsatz in Fällen wie dem vorliegenden, die sich auf die Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit beziehen, soweit diese Voraussetzungen den Verlust des Unionsbürgerstatus des Betroffenen zur Folge haben. Wenn es um Unionsbürger geht, unterliegt die Ausübung der Zuständigkeit im Bereich des Verlusts und Erwerbs der Staatsangehörigkeit folglich einer gerichtlichen Kontrolle anhand des Unionsrechts, sofern sie die Gesamtheit der durch die Rechtsordnung der Union verliehenen und geschützten Rechte berührt.

58.      Im konkreten Fall geht aus dem vom vorlegenden Gericht dargelegten rechtlichen Rahmen hervor, dass die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 20 Abs. 1 StbG von der unabdingbaren Voraussetzung abhängt, dass die betreffende Person binnen zweier Jahre aus dem Verband ihres Heimatmitgliedstaats ausscheidet. Mit anderen Worten muss diese Person nicht nur ihre Staatenlosigkeit, sondern auch den Verlust ihres Unionsbürgerstatus in Kauf nehmen(42).

59.      In diesem Zusammenhang scheint mir zum einen geprüft werden zu müssen, ob der Verzicht auf die Staatsangehörigkeit des Heimatmitgliedstaats freiwillig erfolgt ist oder nicht, und zum anderen, ob durch eine solche Zusicherung berechtigte Erwartungen geweckt worden sind.

60.      Was zunächst den Charakter der Verzichtsvoraussetzung angeht, so hat JY den Angaben der österreichischen Regierung zufolge freiwillig auf die estnische Staatsangehörigkeit und damit auf den Status als Unionsbürgerin verzichtet. Aber kann ein solcher Verzicht als „freiwillig“ eingestuft werden?

61.      Entgegen dem, was die österreichische Regierung im Wesentlichen vorträgt, kann die Situation eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, der wie JY auf seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit mit dem alleinigen Ziel verzichtet hat, die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgegebene Voraussetzung für den Erhalt der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erfüllen, und folglich nur im Hinblick darauf, die Unionsbürgerschaft wiederzuerlangen, nicht als „freiwilliger Verzicht“ eingestuft werden. Wie die Kommission hervorhebt, ist dieser Verzicht nämlich erfolgt, nachdem die österreichischen Behörden JY die Zusicherung gegeben hatten, dass – mit Ausnahme des Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband – alle anderen Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllt seien. Daher wollte JY, wie aus ihren Erklärungen hervorgeht, ihren Unionsbürgerstatus offenkundig behalten.

62.      Da nach den österreichischen Rechtsvorschriften im Rahmen der Einbürgerungszusicherung als unabdingbare Voraussetzung der Verzicht auf die Staatsangehörigkeit des Heimatstaats verlangt wird, gleichzeitig jedoch die Möglichkeit zum Widerruf dieser Zusicherung vorbehalten bleibt, ist der betreffende Unionsbürger durch die Ausübung eines solchen Widerrufs systematisch mit dem Verlust seines Unionsbürgerstatus konfrontiert, so dass diese Situation unter das Unionsrecht fällt.

63.      Was sodann die berechtigten Erwartungen betrifft, so liegt auf der Hand, dass insofern, als die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft den Verzicht und Verlust der ursprünglichen Staatsangehörigkeit voraussetzt, diese Zusicherung berechtigte Erwartungen beim Betroffenen weckt(43). Insbesondere fällt die berechtigte Erwartung von JY, ihren Status als Unionsbürgerin wiederzuerlangen, im vorliegenden Fall meines Erachtens offensichtlich unter den Schutz des Unionsrechts(44). Bei einer Entscheidung über die Zusicherung der Einbürgerung müssen die österreichischen Behörden daher sicherstellen, dass ein Staatsangehöriger wie JY – auch im Fall von Verstößen, die vor oder nach dieser Entscheidung begangen worden sind – nicht den Unionsbürgerstatus verliert, indem sie ihm den Erwerb der beantragten Staatsangehörigkeit erleichtern. Wie aus meinem Vorschlag für eine Antwort auf die zweite Vorlagefrage hervorgeht, vertrete ich die Auffassung, dass die österreichischen Behörden bei der Wahrnehmung dieser Zuständigkeit darüber hinaus verpflichtet sind, den besonderen Umständen des Einzelfalls durch Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen(45).

64.      Die in der österreichischen Regelung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft angelegte Staatenlosigkeit konfrontiert Angehörige eines Mitgliedstaats, die wie JY die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen möchten, mit dem vorübergehenden Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus. Sie könnte in der Folge aber auch zum dauerhaften Verlust dieses Status führen, da die Einbürgerungszusicherung – wie im vorliegenden Fall – von den österreichischen Behörden aufgrund der Begehung eines Verstoßes widerrufen werden kann, wodurch sämtliche mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte verloren gehen.

65.      Wie die Kommission vorgetragen hat, ist der nach dem Ausscheiden aus dem Staatsverband des Herkunftsmitgliedstaats erfolgte Widerruf der Zusicherung der Einbürgerung, verbunden mit der Ablehnung des Antrags auf Einbürgerung, angesichts seiner Folgen daher mit einer Entscheidung über die Rücknahme einer Einbürgerung vergleichbar. Im vorliegenden Fall hat dieser Widerruf den Verlust des Unionsbürgerstatus zur Folge.

66.      Demnach bin ich der Ansicht, dass die Situation einer Person, die, nachdem sie auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit verzichtet hat, um eine im Recht des Aufnahmemitgliedstaats vorgegebene Voraussetzung für die Verleihung von dessen Staatsangehörigkeit zu erfüllen, mit einer von den Behörden dieses Staates erlassenen Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit konfrontiert wird, wodurch sie in eine Lage versetzt wird, in der sie den Unionsbürgerstatus und die damit verbundenen Rechte dauerhaft verliert, ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht fällt.

67.      Diese Schlussfolgerung wird nach meinem Dafürhalten nicht nur durch das Urteil Tjebbes u. a.(46), sondern auch durch die sich aus den Urteilen Ruiz Zambrano(47) und Lounes(48) ergebende Rechtsprechung untermauert.

b)      Die sich aus dem Urteil Ruiz Zambrano ergebende Rechtsprechung: Verwehrung des tatsächlichen Genusses des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte

68.      Die Anwendbarkeit von Art. 20 AEUV auf die Situation von Angehörigen eines Mitgliedstaats, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben und denen aufgrund einer Entscheidung dieses Mitgliedstaats möglicherweise der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte verwehrt wird, hat der Gerichtshof seit dem Urteil Ruiz Zambrano(49) anerkannt.

69.      Wenn der Gerichtshof in jenem Urteil entschieden hat, dass die in Rede stehende Situation unter das Unionsrecht fällt, vermag ich nicht zu erkennen, wie man die Auffassung vertreten könnte, dass eine Situation wie die von JY, in der die streitige Entscheidung eine Angehörige eines Mitgliedstaats damit konfrontiert hat, dass sie dauerhaft ihren Status als Unionsbürgerin und folglich nicht nur den Kernbestand der durch Art. 20 AEUV verliehenen Rechte, sondern die Gesamtheit dieser Rechte einbüßt, nicht unter das Unionsrecht falle, obwohl JY im Gegensatz zu den Kindern von Herrn Ruiz Zambrano von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben und sich rechtmäßig dort aufgehalten hat.

70.      Unter Berücksichtigung des letztgenannten Umstands werde ich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation kurz anhand des im Urteil Lounes(50) entwickelten Gedankens der schrittweisen Integration prüfen.

c)      Das Urteil Lounes: der Gedanke der schrittweisen Integration

71.      Ich stelle zunächst fest, dass JY in Beantwortung einer vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage bestätigt hat, dass sie sich seit 1993 in Österreich aufhält(51). Demnach steht fest, dass sie sich als estnische Staatsangehörige seit dem Beitritt der Republik Estland zur Union im Jahr 2004 in ihrer Eigenschaft als Unionsbürgerin in Österreich aufgehalten und dort gearbeitet hat.

72.      Abgesehen davon, dass feststeht, dass JY die einem Unionsbürger durch Art. 20 AEUV verliehenen Rechte genießt, stünden ihr demnach auch die Rechte aus Art. 21 Abs. 1 AEUV zu, wonach jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

73.      In diesem Zusammenhang haben „die Rechte eines Unionsbürgers aus Art. 21 Abs. 1 AEUV einschließlich der abgeleiteten Rechte, die seine Familienangehörigen genießen, [nach Auffassung des Gerichtshofs] auch den Zweck …, die schrittweise Integration des betreffenden Unionsbürgers in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats zu fördern“(52). Ein Unionsbürger wie JY, der die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats erwerben möchte, nachdem er sich in Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats, hier Österreich, begeben und sich nach Maßgabe und unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 bzw. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG(53) mehrere Jahre lang dort aufgehalten hat, ist bestrebt, sich dauerhaft in dessen Gesellschaft zu integrieren.

74.      Daher liefe es, wie der Gerichtshof entschieden hat, „dem durch Art. 21 Abs. 1 AEUV geförderten Gedanken der schrittweisen Integration zuwider, wenn ein Unionsbürger, der durch Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit Rechte aus dieser Bestimmung erlangt hat, auf diese Rechte … deshalb verzichten müsste, weil er im Wege der Einbürgerung in diesen Mitgliedstaat eine vertiefte Integration in dessen Gesellschaft angestrebt hat“(54).

75.      Nach alledem bin ich, wie ich bereits ausgeführt habe, der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht fällt.

3.      Die Entscheidung der Republik Estland, in deren Folge JY aus dem Staatsverband ausgeschieden ist

76.      Auch wenn aus meiner Analyse der ersten Vorlagefrage hervorgeht, dass sich der Verlust des Status von JY als Unionsbürgerin aus dem österreichischen Einbürgerungsverfahren insgesamt ergibt(55), erscheint es mir sinnvoll, an dieser Stelle kurz zu erläutern, weshalb ich entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung der Ansicht bin, dass im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens in der vorliegenden Rechtssache nicht die Entscheidung der estnischen Behörden, sondern die streitige Entscheidung anhand des Unionsrechts geprüft werden muss.

77.      Die französische Regierung trägt in ihren schriftlichen Erklärungen vor, der Verlust des Unionsbürgerstatus von JY ergebe sich allein aus der Entscheidung der estnischen Behörden, die, ohne abzuwarten, bis JY die österreichische Staatsbürgerschaft tatsächlich erworben habe, ihren Antrag auf Aufgabe der estnischen Staatsangehörigkeit angenommen hätten. Die Annahme des Antrags eines Unionsbürgers auf Aufgabe der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats müsse vom tatsächlichen Erwerb der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittlands abhängig gemacht werden, um zu vermeiden, dass der Unionsbürger, und sei es auch nur vorübergehend, staatenlos werde(56).

78.      Die estnische Regierung, die in diesem Punkt von der niederländischen Regierung und der Kommission unterstützt wird, hat in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass die Republik Estland das Ausscheiden von JY aus dem Staatsverband nicht verweigern dürfe. Sofern ein estnischer Staatsangehöriger den Verzicht auf seine Staatsangehörigkeit beantrage und die in den estnischen Rechtsvorschriften festgelegten Voraussetzungen erfülle, indem er die geforderten Nachweise, insbesondere die vom betreffenden Mitgliedstaat gegebene Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit, aus der hervorgehe, dass dieser Staatsangehörige die Staatsangehörigkeit des genannten Staates erhalten werde, vorlege, könne sie einen solchen Antrag nämlich nicht ablehnen.

79.      Ich bin diesem Argument gegenüber aufgeschlossen.

80.      Der Gerichtshof hat im Urteil Rottmann(57) darauf hingewiesen, dass „die Grundsätze, die sich aus dem vorliegenden Urteil zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Staatsangehörigkeit und zu ihrer Verpflichtung, diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts auszuüben, ergeben, sowohl für den Mitgliedstaat der Einbürgerung als auch für den Mitgliedstaat der ursprünglichen Staatsangehörigkeit gelten“, wobei er klargestellt hat, dass dies den „Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens“ betraf.

81.      Mit einer Maßnahme wie der im französischen Zivilgesetzbuch vorgesehenen lässt sich zwar sicherstellen, dass der Unionsbürgerstatus aufrechterhalten wird, so dass sie eines der Mittel darstellt, mit denen die Behörden eines Mitgliedstaats gewährleisten können, dass die betreffende Person diesen Status in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht verliert.

82.      Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der vorliegenden Rechtssache kann der estnischen Regierung jedoch nicht vorgeworfen werden, dass sie den Antrag von JY auf Aufgabe der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats angenommen hat, da diese Aufgabe eine unabdingbare Voraussetzung ist, die durch das Verfahren zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft im Rahmen der von den österreichischen Behörden gegebenen Zusicherung vorgegeben wird. Wie ich ausgeführt habe(58), hat diese Zusicherung nicht nur berechtigte Erwartungen bei JY, sondern auch ein Vertrauen bei den estnischen Behörden geweckt, das den durch den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens vermittelten Schutz verdient. In diesem Zusammenhang soll Art. 26 des estnischen Gesetzes über die Staatsangehörigkeit den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen der estnischen Regierung zufolge vorsehen, dass die genannte Regierung die Möglichkeit hat, die Staatsangehörigkeit eines Betroffenen nicht zu entziehen, wenn dieser Entzug Staatenlosigkeit zur Folge hat(59). Da die österreichischen Behörden eine Einbürgerungszusicherung gegeben hätten, so die estnische Regierung, habe sie unmöglich deren Widerruf vorhersehen können(60). Daher hat sich die Republik Estland auf die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gestützt und ist davon ausgegangen, dass sie darauf vertrauen durfte, dass sich die österreichischen Behörden an diese Zusicherung halten würden. Hätte er die Auflösung des Staatsangehörigkeitsverhältnisses nicht bewilligt, so dieser Mitgliedstaat, wäre JY jedenfalls nicht in der Lage gewesen, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu beantragen.

83.      Daher bin ich der Meinung, dass das estnische Recht, so wie es im vorliegenden Fall angewandt worden ist, im Rahmen der vorliegenden Rechtssache mit dem Unionsrecht im Einklang steht.

84.      Außerdem liegt dem dauerhaften Verlust des Unionsbürgerstatus von JY unzweifelhaft die streitige Entscheidung zugrunde, so dass die österreichischen Behörden sicherzustellen haben, dass ein Staatsangehöriger wie JY nicht den durch Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus einbüßt und die Gesamtheit der damit verbundenen Rechte verliert, was dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderliefe.

85.      Bei der Prüfung der zweiten Vorlagefrage werde ich somit davon ausgehen, dass die streitige Entscheidung das Unionsrecht und damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten hat.

C.      Zweite Vorlagefrage: Übereinstimmung der streitigen Entscheidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

86.      Da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das Herzstück des Unionsrechts ist, müsste, sollte der Gerichtshof die erste Frage entsprechend meinem Vorschlag bejahen, die Antwort auf die zweite Frage offensichtlich ebenfalls positiv ausfallen. Angesichts dieser Offensichtlichkeit fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof meiner Meinung nach nicht nur, ob es die Vereinbarkeit der streitigen Entscheidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen hat, sondern auch danach, ob es zu prüfen hat, ob diese Entscheidung verhältnismäßig ist oder nicht.

87.      Daher ist die zweite Frage dahin gehend umzuformulieren, dass mit ihr im Wesentlichen in Erfahrung gebracht werden soll, ob die zuständigen nationalen Behörden, einschließlich gegebenenfalls der nationalen Gerichte, zu prüfen haben, ob die Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats – und über die Ablehnung des Antrags auf Erhalt dieser Staatsangehörigkeit – in Anbetracht ihrer Folgen für die Situation der betroffenen Person im Hinblick auf das Unionsrecht, nämlich des dauerhaften Verlusts des Unionsbürgerstatus, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist und diesem Grundsatz somit entspricht.

88.      In Beantwortung der vorstehenden Frage werde ich erstens prüfen, ob das Ziel von § 20 Abs. 1 und 2 sowie von § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, auf denen die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Entscheidung über den Widerruf dieser Zusicherung beruhen, im Allgemeininteresse liegt, bevor ich mich zweitens der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Folgen der streitigen Entscheidung für die Situation von JY und der Unverhältnismäßigkeit einer Entscheidung wie der streitigen zuwende.

1.      Das Ziel des Allgemeininteresses, das mit der Regelung verfolgt wird, auf der die streitige Entscheidung beruht

89.      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass nach österreichischem Staatsangehörigkeitsrecht mehrfache Staatsangehörigkeiten vermieden werden sollen, wie sich u. a. aus § 10 Abs. 3 Z 1 StbG ergibt. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die in § 20 Abs. 1 StbG genannte Zusicherung einen nur durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem fremden Staatsverband bedingten Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft begründe. § 20 Abs. 2 StbG sehe jedoch den Widerruf der Zusicherung vor, wenn die betreffende Person eine für die Verleihung erforderliche Voraussetzung wie beispielsweise die in § 10 Abs. 1 Z 6 dieses Gesetzes vorgesehene nicht mehr erfülle.

90.      Die österreichische Regierung erläutert in ihren Erklärungen, dass der die Staatsbürgerschaft beantragenden Person die österreichische Staatsbürgerschaft nach den nationalen Rechtsvorschriften nur verliehen werde, wenn sie fristgerecht ihr Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband nachweise und auch weiterhin die übrigen Verleihungsvoraussetzungen vorlägen.

91.      Zunächst weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass es legitim ist, wenn ein Mitgliedstaat das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis sowie die wechselseitigen Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen, schützen will(61). § 20 Abs. 1 und 2 sowie § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, auf denen die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Entscheidung über den Widerruf dieser Zusicherung beruhen, fügen sich insoweit in die Ausübung der Zuständigkeit der Republik Österreich für die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft ein.

92.      Es ist legitim, wenn ein Mitgliedstaat einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsangehörigkeit gewährleistet, der nach nationalen Vorschriften wie beispielsweise § 20 Abs. 1 StbG nur durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem Staatsverband eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats bedingt ist(62). Dies wird u. a. durch Art. 1 des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit(63) und durch den Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit(64) untermauert.

93.      Der auf § 20 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gestützte Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft verfolgt meiner Meinung nach grundsätzlich ein legitimes Ziel.

94.      Ich möchte jedoch hervorheben, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung der Zuständigkeit für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen beachten müssen, wie aus der im Rahmen meiner Würdigung der ersten Vorlagefrage untersuchten Rechtsprechung hervorgeht. Zudem muss diese Zuständigkeit nicht nur unter Beachtung des Unionsrechts, sondern auch des Völkerrechts ausgeübt werden.

95.      Aus den vom Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (im Folgenden: UNHCR) veröffentlichten Schlussfolgerungen der Sitzung der Sachverständigen für die Auslegung des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit zu Art. 7 Abs. 2 dieses Übereinkommens(65) geht insoweit hervor, dass „der Verlust der Staatsangehörigkeit nur erlaubt werden [kann], wenn die Zusicherung unbedingt ist“(66). Nach Maßgabe der Schlussfolgerungen „besteht [nämlich] eine stillschweigende Verpflichtung aus dem Übereinkommen von 1961, wonach Zusicherungen, wenn sie erst einmal gegeben worden sind, nicht mit der Begründung zurückgenommen werden können, dass die Voraussetzungen für die Einbürgerung nicht erfüllt seien, wodurch die Person staatenlos würde“(67). Außerdem ist es den Vertragsstaaten nach Art. 8 dieses Übereinkommens verboten, einer Person ihre Staatsangehörigkeit zu entziehen, „wenn sie dadurch staatenlos wird“. Ich hege daher Zweifel, dass eine Regelung wie § 20 Abs. 2 StbG, der den Widerruf einer solchen Zusicherung gestattet, wenn der Betroffene auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen, wie etwa die in § 10 Abs. 1 Z 6 dieses Gesetzes vorgesehene, nicht mehr erfüllt, wodurch er staatenlos wird, dem Völkerrecht entspricht(68).

96.      Abgesehen davon gehören die vom UNHCR veröffentlichten Schlussfolgerungen und Leitprinzipien betreffend das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit zum weichen Recht („soft law“), so dass sie eine gewisse Relevanz haben, aber nicht zwingend sind. Jedenfalls steht fest, dass die Schlussfolgerungen nützliche Hinweise für die Mitgliedstaaten enthalten. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, diese Gesichtspunkte im vorliegenden Fall zu prüfen.

97.      Ich werde mich nunmehr der Frage zuwenden, ob die Folgen der streitigen Entscheidung für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation verhältnismäßig sind.

2.      Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Folgen der streitigen Entscheidung für die Situation von JY

98.      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der streitigen Entscheidung im Hinblick auf das Unionsrecht nicht vorgenommen worden ist.

99.      In diesem Zusammenhang ist es Sache der zuständigen nationalen Behörden und der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob mit der Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und über die Ablehnung des Antrags auf Erhalt dieser Staatsbürgerschaft, wenn sie den Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte besiegelt, hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird(69). Damit eine solche Entscheidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, müssen die einschlägigen nationalen Vorschriften daher eine individuelle Prüfung der Folgen ermöglichen, die der Widerruf der Zusicherung nach dem Unionsrecht hat(70).

100. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob der Umstand, dass JY auf ihren Unionsbürgerstatus verzichtet hat und auf eigene Initiative aus dem Staatsverband der Republik Estland ausgeschieden ist, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle allein entscheidend sein kann.

101. Wie ich dargelegt habe(71), ergeben sich sowohl die Staatenlosigkeit als auch der Verlust des Unionsbürgerstatus von JY aus dem österreichischen Einbürgerungsverfahren insgesamt. Daher bin ich der Ansicht, dass der Umstand, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats wie JY auf seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit mit dem alleinigen Ziel verzichtet hat, die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgegebene Voraussetzung der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erfüllen(72), und folglich nur in Aussicht dessen, die Unionsbürgerschaft wiederzuerlangen, diesen Verzicht erklärt hat, ohne Belang dafür ist, ob der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Daher kann ein solcher Verzicht im Rahmen der Prüfung der Umstände im Zusammenhang mit der individuellen Situation der betreffenden Person nicht als relevantes Kriterium angesehen werden.

a)      Umstände im Zusammenhang mit der individuellen Situation der betreffenden Person

102. Ich weise darauf hin, dass es sich bei den Umständen im Zusammenhang mit der individuellen Situation der betreffenden Person und gegebenenfalls ihrer Familienangehörigen, die für die von den zuständigen Behörden und den nationalen Gerichten vorzunehmende Prüfung relevant sein könnten, nach der sich aus dem Urteil Rottmann(73) ergebenden Rechtsprechung u. a. um die Schwere des von der betreffenden Person begangenen Verstoßes, die Zeit, die zwischen dem Tag der Entscheidung über die Zusicherung und dem Tag ihres Widerrufs vergangen ist, und die Möglichkeit für diese Person handelt, ihre Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen(74).

1)      Art der Verstöße

103. Ich bezweifle, dass sich die streitige Entscheidung im Hinblick auf die Art der von JY begangenen Verstöße rechtfertigen lässt.

104. JY ist zum einen zur Last gelegt worden, nach der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zwei schwerwiegende Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, wobei sich die erste auf das Unterlassen der Anbringung einer Begutachtungsplakette an ihrem Fahrzeug und die zweite auf das Lenken eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand bezieht; zum anderen ist ihr vorgeworfen worden, vor dieser Zusicherung – in der Zeit zwischen 2007 und 2013 – acht Verwaltungsübertretungen zu vertreten zu haben.

105. Hinsichtlich der acht Verwaltungsübertretungen teile ich die Ansicht von JY und der Kommission, wonach diese Übertretungen zum Zeitpunkt der Zusicherung bekannt gewesen seien und deren Abgabe nicht entgegengestanden hätten. Daher sollten sie bei der Bestimmung der Schwere des von JY begangenen Verstoßes nicht berücksichtigt werden.

106. In Bezug auf die beiden schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen erläutert das vorlegende Gericht, dass nach der nationalen Rechtsprechung die erste Übertretung die öffentliche Verkehrssicherheit und die zweite die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße gefährde. Letztere könne allein schon für die Feststellung ausschlaggebend sein, dass die in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorgesehenen Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht erfüllt seien.

107. In ihren Erklärungen macht die österreichische Regierung geltend, § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gewährleiste, dass die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nur dann widerrufen werde, wenn ein triftiger, im Allgemeininteresse liegender Grund im Zusammenhang damit vorliege, dass die betreffende Person nach ihrem bisherigen Verhalten keine Gewähr (mehr) dafür biete, dass sie weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle noch andere in Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannte öffentliche Interessen gefährde.

108. Ich bin selbstverständlich damit einverstanden, dass solche Verhaltensweisen geahndet werden können. Aber ist es möglich, eine Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaft, die den Verlust des Unionsbürgerstatus der betreffenden Person besiegelt, auf Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit der Straßenverkehrssicherheit zu stützen?

109. Ich glaube nicht.

110. Erstens weist JY in ihren Erklärungen darauf hin, dass weder die erste(75) noch die zweite schwerwiegende Übertretung(76) zum Entzug ihrer Fahrerlaubnis hätte führen können. Aus der Antwort der österreichischen Regierung auf eine vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage geht insoweit hervor, dass das österreichische Recht beim Führen eines Fahrzeugs mit einem Blutalkoholspiegel wie dem von JY nicht die Aussetzung der Fahrerlaubnis vorsieht.

111. Zweitens ist, wie ich in Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, eine Situation, in der – wie hier – ein Angehöriger eines Mitgliedstaats mit dem dauerhaften Verlust seines Unionsbürgerstatus und damit dem Verlust der Gesamtheit der durch Art. 20 AEUV verliehenen Rechte konfrontiert wird, mit einer Situation, in der eine betroffene Person mit dem Verlust des Genusses des Kernbestands der durch diesen Artikel verliehenen Rechte konfrontiert wird, insofern vergleichbar, als der Unionsbürgerstatus in beiden Situationen seine praktische Wirksamkeit einbüßt(77).

112. Daher ist meiner Meinung nach im vorliegenden Fall die Rechtsprechung einschlägig(78), wonach – was die Möglichkeit der Beschränkung eines Aufenthaltsrechts nach Art. 20 AEUV angeht – diese Vorschrift die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt lässt, sich u. a. auf eine Ausnahme wegen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu berufen(79). In diesem Zusammenhang sind die Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ als Rechtfertigung für eine Abweichung vom Aufenthaltsrecht der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen, wie auch der Gerichtshof festgestellt hat, eng auszulegen, so dass ihre Tragweite nicht ohne Kontrolle durch die Organe der Union einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden darf(80). Dabei hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „öffentliche Ordnung“ jedenfalls voraussetzt, dass außer der Störung der sozialen Ordnung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zum Begriff „öffentliche Sicherheit“ geht aus dieser Rechtsprechung hervor, dass er sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst und dass mithin die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder auch eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können(81).

113. Daher beruht der Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft unter Berücksichtigung der von JY begangenen Verwaltungsübertretungen meines Erachtens nicht auf einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit.

2)      Die Zeit zwischen dem Tag der Erteilung der Zusicherung und dem Tag ihres Widerrufs

114. Was die Berücksichtigung der Zeitspanne, die zwischen dem Tag der Erteilung der Zusicherung und dem Tag ihres Widerrufs vergangen ist, durch die zuständigen Behörden und die nationalen Gerichte betrifft, so weise ich darauf hin, dass die Entscheidung über das Ausscheiden von JY aus dem Staatsverband der Republik Estland am 27. August 2015 ergangen ist und die Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 6. Juli 2017 datiert.

115. Der Zeitraum zwischen diesen beiden Entscheidungen erscheint mir unter Berücksichtigung u. a. der Folgen für die Betroffene, die fast zwei Jahre lang – seit dem Verzicht auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit – staatenlos gewesen ist und der folglich alle mit ihrem Status als Unionsbürgerin verbundenen Rechte, einschließlich ihres Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt, vorenthalten worden sind, übermäßig lang.

3)      Die Beschränkungen der Ausübung des Rechts, sich im gesamten Unionsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten

116. Was Beschränkungen der Ausübung des Rechts angeht, sich im gesamten Unionsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten, so sollten die zuständigen Behörden und die nationalen Gerichte auch berücksichtigen, dass die betreffende Person infolge des Widerrufs der sich auf die Staatsbürgerschaft beziehenden Zusicherung, wie im Fall von JY, nicht mehr in der Lage wäre, ihren Unionsbürgerstatus wiederzuerlangen, und dass der Verlust dieses Status somit dauerhaft wird.

117. Die betreffende Person würde – wie im vorliegenden Fall – u. a. mit dem Verlust ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und gegebenenfalls mit Schwierigkeiten bei der Einreise in andere Mitgliedstaaten, insbesondere Estland, konfrontiert, wenn es darum geht, dort tatsächliche und regelmäßige Bindungen zu ihren Familienangehörigen aufrechtzuerhalten, ihre berufliche Tätigkeit auszuüben oder die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um eine solche Tätigkeit in Österreich oder in anderen Mitgliedstaaten auszuüben.

4)      Die Möglichkeit für die betreffende Person, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen

118. Die Möglichkeit für die betreffende Person, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, ist, wie aus der Antwort der estnischen Regierung auf eine vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage hervorgeht, nach der Auflösung des Staatsverbands mit dieser Person im estnischen Recht nicht gegeben, da eine der zu erfüllenden Voraussetzungen für den Erhalt der genannten Staatsangehörigkeit ein achtjähriger Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat ist. Derartige Gegebenheiten dürfen von den österreichischen Behörden somit nicht außer Acht gelassen werden.

5)      Normale Entwicklung des Familien- und Berufslebens

119. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es Sache insbesondere der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der nationalen Gerichte, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit eines betroffenen Mitgliedstaats mit den Grundrechten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), deren Wahrung der Gerichtshof sichert, im Einklang steht, und insbesondere mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens, das in Art. 7 der Charta niedergelegt ist(82).

120. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Erklärungen, die JY in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass die Agentur für Flüchtlinge und Staatenlose ihre Situation geprüft hat und mit Entscheidung vom 7. Januar 2020 zu dem Schluss gelangt ist, dass sie sich rechtswidrig in Österreich befinde. Demnach erhalte JY lediglich eine auf § 55 Abs. 2 des Asylgesetzes gestützte Aufenthaltsberechtigung für humanitäre Zwecke und sei zur vorherigen Einholung einer Bewilligung der Beschäftigungsagentur verpflichtet, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben.

121. Unter diesen Umständen haben die zuständigen Behörden und die nationalen Gerichte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch den unverhältnismäßigen Folgen Rechnung zu tragen, denen die betreffende Person ausgesetzt sein wird und die die normale Entwicklung ihres Familien- und Berufslebens beeinträchtigen.

122. Die in den vorherigen Nummern beschriebenen Aspekte sind von den zuständigen nationalen Behörden und Gerichten bei ihrer Beurteilung der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

b)      Kohärenz und Eignung der nationalen Vorschriften zur Erreichung des Ziels des Schutzes der Straßenverkehrssicherheit

123. Was zunächst die Kohärenz der nationalen Rechtsvorschriften angeht, so werde ich lediglich folgende Frage stellen: Ist es für eine nationale Rechtsordnung kohärent, wenn Rechtsverstöße im Zusammenhang mit der Straßenverkehrssicherheit möglicherweise als nicht schwerwiegend genug angesehen werden, um den Entzug einer Fahrerlaubnis nach sich zu ziehen, aber zum Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person sowie zum Verlust der Unionsbürgerschaft und aller damit verbundenen Rechte führen können?

124. Ich vermag nicht zu erkennen, welche Argumentation den Schluss zulassen könnte, dass kein Kohärenzproblem besteht.

125. Was sodann die Eignung dieser Rechtsvorschriften zur Förderung der in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG genannten Ziele betrifft, so stelle ich ein offenkundiges Missverhältnis zwischen der Schwere der in der nationalen Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsverstöße und ihren Folgen für die Situation der betreffenden Person fest.

126. Die vorstehenden Erwägungen veranlassen mich zu der Schlussfolgerung, dass eine Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft wie die streitige Entscheidung, die in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden den Verlust des Unionsbürgerstatus einer betroffenen Person besiegelt und mit Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit der Straßenverkehrssicherheit, vor allem solchen, die nicht geeignet sind, den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich zu ziehen, begründet wird, nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Unionsrechts im Einklang steht.

127. Zum Abschluss meiner Analyse erscheint es mir von Interesse, Generalanwalt Mengozzi zu zitieren, der in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tjebbes u. a.(83) die Auffassung vertreten hat, dass „sich in einem extremen – und, wie ich hoffe, rein hypothetischen – Fall, in dem das Recht eines Mitgliedstaats die Rücknahme der Einbürgerung eines Einzelnen mit der Folge des Verlusts der Unionsbürgerschaft wegen einer Übertretung der Regeln der Straßenverkehrsordnung vorschriebe, die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme an dem Missverhältnis zwischen der geringen Schwere des Rechtsverstoßes und der dramatischen Folge des Verlusts des Unionsbürgerstatus zeigen [würde]“.

V.      Ergebnis

128. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:

1.      Die Situation einer natürlichen Person, die nur die Staatsangehörigkeit eines einzigen Mitgliedstaats besitzt und auf diese Staatsangehörigkeit und somit auf ihren Status als Bürger der Europäischen Union verzichtet, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats entsprechend der Entscheidung der Behörden des letztgenannten Staates zu erlangen, mit der ihr die Verleihung dieser Staatsangehörigkeit zugesichert wurde, wobei diese Entscheidung anschließend jedoch widerrufen und der Antrag der betreffenden Person auf Verleihung der genannten Staatsangehörigkeit abgelehnt worden ist, wodurch diese Person an der Wiedererlangung des Unionsbürgerstatus gehindert wird, fällt ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht.

2.      Der im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgelegte Art. 20 AEUV steht Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es diesem Mitgliedstaat ermöglichen, die Zusicherung der Verleihung seiner Staatsbürgerschaft aus Gründen des Allgemeininteresses zu widerrufen, selbst wenn die Widerrufsentscheidung den Verlust des Unionsbürgerstatus der betreffenden Person besiegelt und dazu führt, dass die genannte Person diesen Status und die damit verbundenen Rechte nicht wiedererlangen kann, grundsätzlich nicht entgegen, sofern die zuständigen nationalen Behörden, einschließlich gegebenenfalls der nationalen Gerichte, prüfen, ob die fragliche Entscheidung in Anbetracht ihrer Folgen für die Situation der betreffenden Person im Hinblick auf das Unionsrecht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist und diesem Grundsatz mithin entspricht.

Im Rahmen dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. zu prüfen, ob eine solche Entscheidung im Hinblick auf die Schwere der von der Person begangenen Rechtsverstöße, die Zeitspanne zwischen dem Tag der Erteilung der Zusicherung und dem Tag ihres Widerrufs, die Beschränkungen der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt sowie die Möglichkeit, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, gerechtfertigt ist und ob diese Person im Hinblick auf das Unionsrecht unverhältnismäßigen Folgen ausgesetzt sein wird, die die normale Entwicklung ihres Familien- und Berufslebens beeinträchtigen.

Demnach steht eine Entscheidung über den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft wie die Entscheidung der Wiener Landesregierung (Österreich) vom 6. Juli 2017, die in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden den Verlust des Status einer betroffenen Person als Bürger der Europäischen Union besiegelt und mit Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit der Straßenverkehrssicherheit, vor allem solchen, die nicht geeignet sind, den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich zu ziehen, begründet wird, nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Unionsrechts im Einklang.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Urteil vom 2. März 2010 (C‑135/08, EU:C:2010:104), im Folgenden: Urteil Rottmann.


3      Urteil vom 12. März 2019 (C‑221/17, EU:C:2019:189), im Folgenden: Urteil Tjebbes u. a.


4      BGBl. Nr. 311/1985 in der Fassung von BGBl. I, Nr. 136/2013.


5      Vgl. Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 33).


6      Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 27), und – unlängst – vom 27. Februar 2020, Subdelegación del Gobierno en Ciudad Real (Ehegatte eines Unionsbürgers) (C‑836/18, EU:C:2020:119, Rn. 35).


7      Vgl. u. a. Urteil vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31).


8      Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV sieht u. a. vor, dass „[d]ie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger … die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten [haben]“.


9      Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und b AEUV. Vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c und d AEUV. Insbesondere ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c AEUV, dass der Status als Unionsbürger nicht den Angehörigen der Mitgliedstaaten vorbehalten ist, die sich im Unionsgebiet aufhalten oder dort anwesend sind. Vgl. insoweit Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Tjebbes u. a. (C‑221/17, EU:C:2018:572, Nr. 38).


10      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Rottmann (C‑135/08, EU:C:2009:588, Nr. 16).


11      Urteil vom 7. Juli 1992 (C‑369/90, EU:C:1992:295).


12      Urteil vom 7. Juli 1992 (C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10). Zur Erinnerung: Die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, betraf die Situation eines Bürgers mit doppelter italienischer und argentinischer Staatsangehörigkeit. Als er sich im Aufnahmemitgliedstaat (Spanien) niederlassen wollte, hatten die Behörden dieses Mitgliedstaats unter Berufung auf ihr nationales Recht auf die Staatsangehörigkeit des gewöhnlichen Aufenthaltsorts, nämlich die des Drittstaats, abgestellt.


13      Urteil vom 7. Juli 1992, Micheletti u. a. (C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10). Der Gerichtshof hatte diesen Gedanken bereits in den Urteilen vom 12. November 1981, Airola/Kommission (72/80, EU:C:1981:267, Rn. 8 ff.), und vom 7. Februar 1979, Auer (136/78, EU:C:1979:34, Rn. 28), umrissen. Im erstgenannten Urteil hatte er sich geweigert, bei der Anwendung des Beamtenstatuts die italienische Einbürgerung einer Beamtin mit belgischer Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen, weil diese Einbürgerung ihr aufgrund ihrer Heirat mit einem italienischen Staatsangehörigen nach Maßgabe des italienischen Rechts aufgezwungen worden war, ohne dass sie darauf hätte verzichten können, und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Beamten vorlag. Im letztgenannten Urteil hatte er entschieden, dass „[k]eine Bestimmung des Vertrages [es] erlaubt …, die Angehörigen eines Mitgliedstaats im Anwendungsbereich des Vertrages je nach der Zeit oder der Form, in der sie die Staatsangehörigkeit dieses Staates erworben haben, unterschiedlich zu behandeln, wenn sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich auf die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts berufen, die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen“.


14      Vgl. Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge.


15      Urteil vom 7. Juli 1992 (C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10).


16      Rn. 39 und 45. Zur Erinnerung: Herr Rottmann hatte die durch Einbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit erschlichen.


17      Vgl. u. a. Lagarde, P., „Retrait de la nationalité acquise frauduleusement par naturalisation“, Revue critique de droit international privé, 2010, S. 540, Kostakopoulou, D., „European Union citizenship and Member State nationality: updating or upgrading the link?“, Has the European Court of Justice Challenged Member State Sovereignty in Nationality Law?, J. Shaw (Hrsg.), EUI Working Papers, RSCAS 2011/62, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, EUDO Citizenship Observatory, S. 21 bis 26, und – in demselben Werk – Kochenov, D., „Two Sovereign States vs. a Human Being: CJEU as a Guardian of Arbitrariness in Citizenship Matters“, S. 11 bis 16, sowie De Groot, G. R., und Seling, A., „The consequences of the Rottmann judgment on Member State autonomy – The Courts avant gardism in nationality matters“, S. 27 bis 31.


18      Urteil Rottmann (Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Urteil Rottmann (Rn. 41). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in jener Rechtssache (C‑135/08, EU:C:2009:588, Nr. 20): „Gleichwohl steht, wenn die Situation vom sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts erfasst wird, die Ausübung der Befugnisse der Mitgliedstaaten nicht in deren Ermessen. Sie ist durch die Pflicht zur Beachtung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts beschränkt.“


20      Urteil Rottmann (Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21      Vgl. u. a. – für eine Analyse der zu diesem Bereich ergangenen Rechtsprechung im Schrifttum – Konstadinides, T., „La fraternité européenne? The extent of national competence to condition the acquisition and loss of nationality from the perspective of EU citizenship“, European Law Review, 2010, 35(3), S. 401 bis 414, und Pudzianowska, D., „Warunki nabycia i utraty obywatelstwa Unii Europejskiej. Czy dochodzi do autonomizacji pojęcie obywatelstwa Unii?“, Ochrona praw obywatelek i obywateli Unii Europejskiej, hrsg. von Baranowska, G., Bodnar, A., Gliszczyńska-Grabias, A., Warschau, 2015, S. 141 bis 154.


22      Vgl. zu diesem Urteil Mengozzi, P., „Complémentarité et coopération entre la Cour de justice de l’Union européenne et les juges nationaux en matière de séjour dans l’Union des citoyens d’États tiers“, Il Diritto dell’Unione Europea, 2013, Nr. 1, S. 29 bis 48, insbesondere S. 34. Vgl. auch Barbou Des Places, S., „La nationalité des États membres et la citoyenneté de l’Union dans la jurisprudence communautaire: la nationalité sans frontières“, Revue des Affaires européennes, Bruylant/Larcier, 2011, S. 29 bis 50, insbesondere S. 26: „Das Unionsrecht interessiert nicht so sehr der Entzug der Staatsangehörigkeit als solcher, sondern die Tatsache, dass sich dieser Entzug auf den Besitz der Unionsbürgereigenschaft auswirkt.“


23      Rn. 42. Generalanwalt Mengozzi hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tjebbes u. a. (C‑221/17, EU:C:2018:572, Nr. 34) hervorgehoben: „Der Gerichtshof hat … im Urteil Rottmann … im Gegensatz zu seinem Generalanwalt ([vgl. Nr. 13 der Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Rottmann [C‑135/08, EU:C:2009:588])] keinen Bezug herzustellen versucht zwischen der Rücknahme der Einbürgerung von Herrn … Rottmann und der Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der Union durch diesen.“ Vgl. auch Urteil vom 8. März 2011, Ruiz Zambrano (C‑34/09, EU:C:2011:124), dessen Rn. 42 sich an Rn. 42 des Urteils Rottmann orientiert.


24      Vgl. insoweit Shaw, J., „Setting the scene: the Rottmann case introduced“, Has the European Court of Justice Challenged Member State Sovereignty in Nationality Law?, a. a. O., S. 4.


25      Zur Erinnerung: In diesem Urteil ging es um niederländische Staatsbürgerinnen mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats, die im Anschluss an die Weigerung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, ihre Anträge auf Erneuerung eines nationalen Reisepasses zu prüfen, die niederländischen Gerichte angerufen hatten. Die Weigerung des Ministeriums beruhte auf dem Gesetz über die niederländische Staatsangehörigkeit, das u. a. vorsah, dass eine volljährige Person diese Staatsangehörigkeit verliert, wenn sie zugleich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt und während ihrer Volljährigkeit während eines ununterbrochenen Zeitraums von zehn Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Niederlande und der Europäischen Union hat.


26      Und nicht eine individuelle, auf dem Verhalten des Betroffenen beruhende Entscheidung über den Entzug der Staatsangehörigkeit wie in der Rechtssache, in der das Urteil Rottmann ergangen ist.


27      Vgl. Nrn. 45 bis 50 der vorliegenden Schlussanträge.


28      Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tjebbes u. a. (C‑221/17, EU:C:2018:572, Nr. 28) hat Generalanwalt Mengozzi die Auffassung vertreten, dass die Klägerinnen der Ausgangsverfahren ihren durch Art. 20 AEUV verliehenen Unionsbürgerstatus nicht endgültig verloren, sondern sich in einer „Lage [befunden hätten], die zum Verlust dieses Status [habe] führen [können]“, und daraus den Schluss gezogen, dass die in jener Rechtssache in Rede stehenden Situationen unter das Unionsrecht fielen. Der Gerichtshof hat die Anwendbarkeit des Unionsrechts in seinem Urteil jedoch nicht geprüft.


29      Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 32). Aus dieser Randnummer geht hervor, dass nicht nur „eine oder mehrere Situation(en), die zum Verlust des Unionsbürgerstatus führen können“, ihrer Natur und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht fallen (Urteil Rottmann, Rn. 42), sondern auch solche, in denen die Personen „mit dem Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Status und der damit verbundenen Rechte konfrontiert werden“ (Hervorhebung nur hier). Nach meinem Dafürhalten ist die Beschreibung dieses zweiten Situationstyps direkter, da sie Situationen bezeichnet, in denen die betroffenen Personen gezwungen sind, dem Verlust des Unionsbürgerstatus entgegenzutreten.


30      Vgl. Nrn. 45 bis 50 der vorliegenden Schlussanträge.


31      Vgl. Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge.


32      Unabhängig davon, ob es sich um eine Voraussetzung für den Entzug der durch Einbürgerung erworbenen Staatsangehörigkeit wie im Urteil Rottmann oder um eine Voraussetzung für den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes wie im Urteil Tjebbes u. a. handelt.


33      Vgl. Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Vgl. insoweit Nrn. 26 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


35      Vgl. Nrn. 28 und 37 der vorliegenden Schlussanträge.


36      Die erste Entscheidung betrifft das Verfahren zur Aufgabe der estnischen Staatsangehörigkeit, während sich die zweite Entscheidung auf das Verfahren zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft bezieht.


37      Durch den Umstand, dass JY die estnische Staatsangehörigkeit besaß, bevor sie darauf verzichtet hat, um den österreichischen Rechtsvorschriften zu entsprechen, unterscheidet sich ihre Situation von der Situation, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 20. Februar 2001, Kaur (C‑192/99, EU:C:2001:106), ergangen ist und in der Frau Kaur, die der Definition einer Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland nicht entsprach, die aus dem Unionsbürgerstatus folgenden Rechte nicht verlieren konnte, da sie nie im Besitz solcher Rechte gewesen war. Vgl. insoweit Urteil Rottmann (Rn. 49).


38      Zur Entscheidung der estnischen Behörden vgl. Nrn. 76 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


39      Urteil vom 7. Juli 1992, Micheletti u. a. (C 369/90, EU:C:1992:295, Rn. 10). Vgl. Nrn. 46 und 57 der vorliegenden Schlussanträge.


40      Rn. 39 und 45.


41      Rn. 30 und 32.


42      In Beantwortung einer vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage hat die österreichische Regierung erklärt, dass die nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf Unionsbürger zwar nicht geändert worden seien, die österreichischen Behörden ihre Praxis jedoch geändert hätten, um Staatenlosigkeit zu vermeiden.


43      Zu den Mechanismen im Zusammenhang mit dem Schutz berechtigter Erwartungen im Rahmen der nationalen Staatsangehörigkeitsvorschriften vgl. de Groot, G. R., und Wautelet, P., „Reflections on Quasi-Loss of Nationality from Comparative, International and European Perspectives“, European Citizenship at the Crossroads. The Role of the European Union on Loss and Acquisition of Nationality, Carrera Nuñez, S., und de Groot, G. R. (Hrsg.), Wolf Legal Publishers, Oisterwijk, S. 117 bis 156, insbesondere S. 138 ff.


44      Der streitigen Entscheidung könnte der Grundsatz des schutzwürdigen Vertrauens in die Aufrechterhaltung des Unionsbürgerstatus entgegengehalten werden, da meiner Meinung nach bei JY, die zum Verzicht auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit verpflichtet war, schutzwürdiges Vertrauen vorlag. Zu den Gründen für die Nichtanwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes auf Herrn Rottmann vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Rottmann (C‑135/08, EU:C:2009:588, Nr. 31).


45      Vgl. Nrn. 102 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


46      Rn. 32. Wie ich in Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, bezieht sich der Gerichtshof darin auf „den Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Status und der damit verbundenen Rechte“.


47      Urteil vom 8. März 2011 (C‑34/09, EU:C:2011:124). Vgl. u. a. Urteile vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 80), sowie vom 8. Mai 2018, K. A. u. a. (Familienzusammenführung in Belgien) (C‑82/16, EU:C:2018:308, Rn. 49).


48      Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).


49      Urteil vom 8. März 2011 (C‑34/09, EU:C:2011:124, Rn. 42). Die Situation der Kinder von Herrn Ruiz Zambrano, die diesen „den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der durch ihren Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehren kann“, und die Situation von Herrn Rottmann, die „zum Verlust des durch Art. 20 AEUV verliehenen Status und der damit verbundenen Rechte führen kann“ (Urteil Rottmann, Rn. 42), sind insofern vergleichbar, als der Unionsbürgerstatus in beiden Fällen seiner praktischen Wirksamkeit beraubt worden ist. Vgl. insoweit meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Rendón Marín und CS (C‑165/14 und C‑304/14, EU:C:2016:75, Nrn. 114 und 115).


50      Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862). Zur Erinnerung: Die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, betraf eine spanische Staatsangehörige, die, nachdem sie sich seit 1996 im Vereinigten Königreich aufgehalten hatte, im Laufe des Jahres 2009 die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs durch Einbürgerung erworben, gleichzeitig aber ihre spanische Staatsangehörigkeit behalten hatte. Im Jahr 2014 hatte sie einen Drittstaatsangehörigen geheiratet. Dessen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Ehegatte eines Unionsbürgers war von den Behörden des Vereinigten Königreichs mit der Begründung abgelehnt worden, dass er die in diesem Mitgliedstaat zulässige Aufenthaltsdauer unter Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz überschritten habe.


51      In der mündlichen Verhandlung hat die österreichische Regierung darauf hingewiesen, dass JY vor dem Beitritt der Republik Estland zur Europäischen Union im Besitz einer Niederlassungsbescheinigung für Drittstaatsangehörige gewesen sei.


52      Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 56).


53      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77). Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation angeht, so lässt sich nicht ausschließen, dass JY gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat erworben hat. Für die Anerkennung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts durch die Mitgliedstaaten genügt insoweit, dass der Betroffene die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Rechts im Einklang mit dem Unionsrecht erfüllt. Hervorzuheben ist, dass dem Betroffenen gemäß § 11a Abs. 4 Z 2 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden kann, wenn er im Besitz der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist und sich seit mindestens sechs Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält.


54      Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 58). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:407, Nr. 86).


55      Vgl. Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge.


56      Dieser Regierung zufolge sieht Art. 23-9 Nr. 1 des französischen Zivilgesetzbuchs vor, dass der Verlust der französischen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen Staatsangehörigkeit wirksam wird, was Staatenlosigkeit vermeidet. Die estnische Regierung wiederum hat in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs bestätigt, dass die estnischen Rechtsvorschriften den vorherigen Erhalt der neuen Staatsangehörigkeit nicht verlangten, um das Ausscheiden eines estnischen Staatsangehörigen aus dem Staatsverband zu gestatten, und dass nicht vorübergehend oder bedingt auf die estnische Staatsangehörigkeit verzichtet werden könne.


57      Rn. 62.


58      Vgl. Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge.


59      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Republik Estland keine Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit ist und somit nicht den in dessen Art. 8 festgelegten Verpflichtungen unterliegt.


60      Mithin könnte einem Mitgliedstaat, der sich in der gleichen Lage wie die Republik Estland befindet, vorgeworfen werden, dass er die Auflösung bewilligt hat, obwohl die Staatenlosigkeit vorhersehbar war, was hier – zumindest nach Ansicht der estnischen Regierung – nicht der Fall war. Der Verzicht von JY auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit ist nämlich erklärt worden, um die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten und den Unionsbürgerstatus wiedererlangen zu können. Die estnische Regierung hat ferner geltend gemacht, sie nehme bei jeder Entscheidung in Sachen Staatsangehörigkeit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor und untersuche insbesondere die individuellen Folgen für den Betroffenen.


61      Urteil Rottmann (Rn. 51) sowie Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 33).


62      Das Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit sieht in seinem Art. 4 vor, dass die Staatsangehörigkeitsvorschriften jedes Vertragsstaats auf den Grundsätzen beruhen müssen, wonach insbesondere ein jeder das Recht auf eine Staatsangehörigkeit hat und Staatenlosigkeit zu vermeiden ist.


63      Vgl. Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge.


64      Vgl. Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge. Vgl. auch Art. 8 Abs. 3 Buchst. a Ziff. ii dieses Übereinkommens.


65      Vgl. Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge. Vgl. auch Art. 8 Abs. 3 Buchst. a Ziff. ii des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit.


66      Expert Meeting. Interpreting the 1961 Statelessness Convention and Avoiding Statelessness resulting from Loss and Deprivation of Nationality. Summary Conclusions, UNHCR, Tunis, Tunesien, 31. Oktober bis 1. November 2013, S. 1 bis 15, insbesondere S. 10 § 44. Diese Schlussfolgerungen sind unter folgender Internetadresse verfügbar: https://www.refworld.org/pdfid/533a754b4.pdf. Hervorhebung nur hier.


67      Ebd., S. 10 § 45.


68      Vgl. Art. 4 des Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit. Vgl. auch Art. 15 Abs. 2 der am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der vorsieht, dass „[n]iemandem … seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden [darf], seine Staatsangehörigkeit zu wechseln“.


69      Vgl. in diesem Sinne Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).


70      Nach Auffassung des Gerichtshofs gilt das auch im Fall des Verlusts der Staatsangehörigkeit, selbst wenn diese durch Täuschung erschlichen worden ist. Vgl. in diesem Sinne Urteil Rottmann (Rn. 59).


71      Vgl. Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge.


72      Zu berücksichtigen ist, dass diese Voraussetzung für alle Antragsteller österreichischer Staatsbürgerschaft gilt.


73      Rn. 56.


74      Für diese Umstände enthält die erwähnte Rechtsprechung keine abschließende Aufzählung.


75      Das Bußgeld belief sich JY zufolge auf 112 Euro.


76      Das Bußgeld belief sich JY zufolge auf 300 Euro.


77      Vgl. auch Fn. 49 der vorliegenden Schlussanträge.


78      Ich weise darauf hin, dass sich der Gerichtshof in dieser Rechtsprechung nicht unmittelbar auf die Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38 bezieht.


79      Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 81).


80      Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 82). Vgl. auch Urteile vom 4. Dezember 1974, van Duyn (41/74, EU:C:1974:133, Rn. 18), vom 26. Februar 1975, Bonsignore (67/74, EU:C:1975:34, Rn. 6), vom 28. Oktober 1975, Rutili (36/75, EU:C:1975:137, Rn. 27), vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (30/77, EU:C:1977:172, Rn. 33), vom 19. Januar 1999, Calfa (C‑348/96, EU:C:1999:6, Rn. 23), sowie vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262, Rn. 64 und 65).


81      Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 83).


82      Urteil Tjebbes u. a. (Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ich weise darauf hin, dass es in Art. 1 („Würde des Menschen“) der Charta heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“


83      Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Tjebbes u. a. (C‑221/17, EU:C:2018:572, Nr. 88).