Language of document : ECLI:EU:C:2009:410

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

VERICA TRSTENJAK

vom 30. Juni 2009(1)

Rechtssache C‑101/08

Audiolux u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Luxemburg])

„Gesellschaftsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts – Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht betreffend die Gleichbehandlung von Aktionären – Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich – Rechte von Minderheitsaktionären – Institutionelles Gleichgewicht – Rechtssicherheit – Rückwirkungsverbot“





Inhaltsverzeichnis


I – Einleitung

II – Normativer Rahmen

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

V – Wesentliche Argumente der Parteien

VI – Rechtliche Würdigung

A – Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

B – Untersuchung der Vorlagefragen

1. Zur ersten Frage

a) Einleitende Anmerkungen

b) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze

i) Begriff

ii) Zum Gleichbehandlungsgrundsatz der Aktionäre im Gemeinschaftsrecht

– Betrachtung der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsbestimmungen

Primärrecht

Internationale Leitlinien

– Argumente gegen eine Zuordnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz

c) Ergebnis

2. Zur zweiten Frage

3. Zur dritten Frage

C – Schlussfolgerungen

VII – Ergebnis


I –    Einleitung

1.        Die luxemburgische Cour de cassation hat dem Gerichtshof drei Fragen vorgelegt, die im Wesentlichen darauf abzielen, feststellen zu lassen, ob sich aus einer Reihe von Bestimmungen in Organakten der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts auf das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes betreffend die Gleichbehandlung von Aktionären im Gemeinschaftsrecht schließen lässt, der die Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft im Fall der Übernahme der Kontrolle durch eine andere Gesellschaft schützt, und zwar derart, dass sie zur Veräußerung ihrer Wertpapiere zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Aktionäre berechtigt sind.

2.        Dieses Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, der von den Minderheitsaktionären der Aktiengesellschaft RTL Group (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) gegen die Gesellschaft belgischen Rechts Groupe Bruxelles Lambert (GBL), die Gesellschaft deutschen Rechts Bertelsmann AG (Bertelsmann), die Aktiengesellschaft RTL Group und gegen die Vorstandsmitglieder der RTL Group geführt wird (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens). Mit ihrer Klage begehren die Kläger des Ausgangsverfahrens die Aufhebung der Vereinbarung zwischen GBL und Bertelsmann, wonach GBL ihre Beteiligung von 30 % am Kapital der RTL Group als Gegenleistung für 25 % des Kapitals von Bertelsmann an diese veräußert hat, oder aber die Feststellung, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens als Gesamtschuldner für den ihnen entstandenen Schaden haften, und ihre Verurteilung zum Ersatz dieses Schadens.

II – Normativer Rahmen

 Richtlinie 77/91/EWG

3.        Gemäß dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 77/91(2) „[ist es] im Hinblick auf die in Art. 54 Abs. 3 Buchst. g) verfolgten Ziele erforderlich, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen die Beachtung der Grundsätze über die Gleichbehandlung der Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden, und den Schutz der Gläubiger von Forderungen, die bereits vor der Entscheidung über die Herabsetzung bestanden, sicherstellen und für die harmonisierte Durchführung dieser Grundsätze Sorge tragen“.

4.        Die Art. 20 und 42 der Richtlinie 77/91 lauten jeweils wie folgt:

„Artikel 20

(1)       Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 19 nicht anzuwenden

d)       auf Aktien, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung zum Schutz der Minderheitsaktionäre, insbesondere im Falle der Verschmelzung, der Änderung des Gegenstands oder der Rechtsform der Gesellschaft, der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland oder der Einführung von Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien erworben werden;

f)       auf Aktien, die erworben werden, um Minderheitsaktionäre verbundener Gesellschaften zu entschädigen;

Artikel 42

Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden.“

 Empfehlung 77/534/EWG

5.        Gemäß dem sechsten Erwägungsgrund der Empfehlung 77/534/EWG(3) „[konnte die Kommission] durch Konsultation der betroffenen Kreise … feststellen, dass hier ein weitgehender Konsens über diese Grundsätze besteht“.

6.        Der elfte Erwägungsgrund dieser Empfehlung bestimmt Folgendes:

Die allgemeinen Grundsätze bilden die wesentlichen Vorschriften innerhalb der Wohlverhaltensregeln und sind von erstrangiger Bedeutung.

Sie gehen den Einzelregelungen, die ihnen nachfolgen und nur zur Veranschaulichung dienen, rangmäßig vor und reichen weit über diese hinaus.

C.       Der dritte allgemeine Grundsatz betrifft die Gleichbehandlung und Chancengleichheit der Aktionäre. Die Kommission hat es trotz gewisser Kritiken für notwendig gehalten, den Grundsatz der Gleichbehandlung beizubehalten, und hat seine Anwendung durch zwei ergänzende Grundsätze veranschaulicht, wobei das Schwergewicht auf einer konkreten Publizitätspflicht liegt.

Im ergänzenden Grundsatz Nr. 17 wird die Gleichbehandlung der sonstigen Aktionäre beim Transfer einer Kontrollbeteiligung erwähnt, andererseits aber zugegeben, dass diese Aktionäre auf andere Weise geschützt werden könnten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Befugnisse des Hauptaktionärs gesetzlich begrenzt sind.

…“

7.        Der dritte allgemeine Grundsatz der Europäischen Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen, die dieser Empfehlung beigefügt ist, besagt Folgendes:

„Allen Besitzern von Wertpapieren gleicher Art, die von ein und derselben Gesellschaft begeben wurden, ist Gleichbehandlung zu gewährleisten; insbesondere ist bei jeder Handlung, die mittelbar oder unmittelbar die Übertragung einer Beteiligung zur Folge hat, die de jure oder de facto eine Kontrolle über eine Gesellschaft ermöglicht, deren Wertpapiere am Markt gehandelt werden, das Recht aller Aktionäre auf Gleichbehandlung zu berücksichtigen.“

8.        Der siebzehnte ergänzende Grundsatz der Europäischen Wohlverhaltensregeln sieht Folgendes vor:

„Jede Transaktion, die die Übertragung einer Kontrollbeteiligung im Sinne des allgemeinen Grundsatzes Nr. 3 zur Folge hat, darf nicht stillschweigend ohne Unterrichtung der anderen Aktionäre und der Aufsichtsbehörden vollzogen werden.

Es ist wünschenswert, dass die Möglichkeit, ihre Wertpapiere zu den gleichen Bedingungen zu veräußern, allen Aktionären der Gesellschaft, deren Kontrolle übertragen wurde, geboten wird, außer wenn sie anderweitig einen Schutz genießen, der als gleichwertig betrachtet werden kann.“

 Richtlinie 79/279/EWG

9.        Laut Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 79/279(4) „[müssen d]ie Emittenten von zur amtlichen Notierung zugelassenen Wertpapieren …, je nachdem, ob es sich um Aktien oder Schuldverschreibungen handelt, die in Schema C oder D im Anhang dieser Richtlinie aufgeführten Pflichten einhalten“.

10.      Im Anhang zu dieser Richtlinie, unter Schema C betreffend die „Pflichten der Gesellschaft, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind“, heißt es unter Punkt 2 Buchst. a: „Die Gesellschaft muss den Aktionären, die sich in denselben Verhältnissen befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.“

 Richtlinie 2001/34/EG

11.      Die oben genannte Bestimmung ist in Art. 65 Abs. 1 der Richtlinie 2001/34(5) aufgenommen worden, durch die gemäß ihrem Art. 111 Abs. 1 die Richtlinie 79/279 aufgehoben wurde.

12.      Gleichwohl ist Art. 65 der Richtlinie 2001/34 gemäß Art. 32 Nr. 5 der Richtlinie 2004/109(6) mit Wirkung ab dem 20. Januar 2007 aufgehoben worden. Art. 17 der Richtlinie 2004/109, der die Überschrift „Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien“ trägt, bestimmt in seinem Abs. 1 Folgendes:

„Ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, muss allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.“

 Richtlinie 2004/25/EG

13.      Der achte, der neunte und der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/25(7) lauten wie folgt:

„(8)  Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Anspruch auf rechtliches Gehör sollten die Entscheidungen einer Aufsichtsstelle gegebenenfalls von einem unabhängigen Gericht überprüft werden können. …

(9)       Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Schritte unternehmen, um Wertpapierinhaber, insbesondere Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen, nach einem Kontrollwechsel in ihren Gesellschaften zu schützen. Diesen Schutz sollten die Mitgliedstaaten dadurch gewährleisten, dass die Person, die die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt hat, verpflichtet wird, allen Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft zu einem angemessenen Preis, der einheitlich definiert ist, ein Angebot zur Übernahme aller ihrer Wertpapiere zu machen. …

(10)  Die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu unterbreiten, sollte nicht für diejenigen Kontrollbeteiligungen gelten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie bereits bestehen.“

14.      Art. 3 der Richtlinie 2004/25, der die Überschrift „Allgemeine Grundsätze“ trägt, sieht in Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 Buchst. a Folgendes vor:

„(1)  Die Mitgliedstaaten stellen zur Umsetzung dieser Richtlinie sicher, dass die folgenden Grundsätze beachtet werden:

a)       Alle Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören, sind gleich zu behandeln; darüber hinaus müssen die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt.

(2)       Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen,

a)       sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden,

…“

15.      Art. 5 der Richtlinie 2004/25, der die Überschrift „Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis“ trägt, bestimmt in den Abs. 1, 3 und 4 Folgendes:

„(1)  Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet.

(3)       Der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils bestimmen sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat.

(4)       Als angemessener Preis gilt der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Absatz 1 für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. …

Sofern die allgemeinen Grundsätze nach Artikel 3 Absatz 1 eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten ihre Aufsichtsstellen ermächtigen, den in Unterabsatz 1 genannten Preis unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien abzuändern. …“

16.      Als Umsetzungsfrist ist gemäß Art. 21 der Richtlinie 2004/25 der 20. Mai 2006 festgelegt.

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17.      Audiolux SA und die anderen Kläger des Ausgangsverfahrens sind Minderheitsaktionäre der Aktiengesellschaft RTL Group mit Sitz in Luxemburg, deren Aktien an den Börsen von Luxemburg, Brüssel und London gehandelt werden. Wie aus der Akte hervorgeht, unterhielt GBL vor den Ereignissen, die Anlass zu dem Ausgangsrechtsstreit gegeben haben, 30 % Aktienanteil an RTL. Bertelsmann hielt einen Anteil von 80 % an Bertelsmann Westdeutsche TV GmbH (im Folgenden: BWTV), die restlichen 20 % standen im Besitz der Westdeutschen Allgemeinen Zeitungsverlagsgesellschaft E. Brost & J. Funke GmbH & Co. (im Folgenden: WAZ). BWTV hielt einen Anteil von 37 % der Aktien an RTL, die britische Gruppe Pearson Television einen Anteil von 22 % und die übrigen Aktionäre 11 %, darunter auch Audiolux.

18.      Im Zuge mehrerer Transaktionen während der ersten Jahreshälfte von 2001 übertrug GBL ihren Anteil von 30 % am Vermögen von RTL im Austausch gegen 25 % am Vermögen von Bertelsmann.

19.      Im weiteren Verlauf erwarb Bertelsmann im Dezember 2001 den Anteil von Pearson Television. Daraufhin beantragte RTL die Rücknahme ihrer Zulassung zum amtlichen Handel an der Londoner Börse. Die Übertragung des Anteils von GBL an Bertelsmann ist Gegenstand einer Klage von Audiolux S.A., BGL Investment Partners und den anderen Minderheitsaktionären (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) gegen GBL, Bertelsmann und die RTL Group sowie gegen andere Vorstandsmitglieder der RTL Group vor der Handelskammer des Tribunal d’arrondissement de Luxembourg mit dem Begehren, die Vereinbarungen zwischen GBL und Bertelsmann für nichtig zu erklären, mit der GBL ihre 30 %ige Beteiligung am Kapital von RTL an die Bertelsmann-Gruppe abgetreten hat und im Gegenzug 25 % am Kapital von Bertelsmann erhielt. Hilfsweise haben die Kläger des Ausgangsverfahrens beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz zu verklagen sowie auf Erlaubnis, ihre Anteile zu den gleichen Konditionen verkaufen zu dürfen. Die Kläger haben später ihren Klageantrag um weitere Anträge erweitert.

20.      Mit einer weiteren Klage gegen Bertelsmann sowie weitere Gesellschaften beantragten die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Beklagten zu verurteilen, ihren Verpflichtungen aus dem Prospekt über die Einführung der RTL Group an der Londoner Börse, der am 30. Juni 2000 herausgegeben worden war, nachzukommen und u. a. die Ausgabe von Aktienanteilen an der RTL Group für die Öffentlichkeit auf 15 % zu erhöhen und sie nicht von der Notierung an der Londoner Börse zurückzuziehen. Sie stellten in dieser Hinsicht verschiedene Anträge mit Klage vom 6. September sowie 3., 14. und 18. Oktober 2002.

21.      Mit Urteil vom 8. Juli 2003 entschied das Tribunal d’arrondissement de Luxembourg über den ersten Rechtsstreit hinsichtlich der Übertragung des Anteils von GBL an Bertelsmann und wies die Klagen mit der Begründung als unzulässig ab, dass die Forderungen von Audiolux auf keine Norm bzw. keinen im luxemburgischen Recht anerkannten Rechtsgrundsatz gestützt seien. Gegen dieses Urteil legten die Kläger des Ausgangsverfahrens mit Schreiben vom 8. Oktober 2003 Berufung bei der Cour d’appel ein.

22.      Mit Urteil vom 30. März 2004 über den zweiten Rechtsstreit wies das Tribunal d’arrondissement de Luxembourg die Klagen ab. Gegen dieses Urteil legten die Kläger des Ausgangsverfahrens ebenfalls Berufung mit Schriftsatz vom 21. Juni 2004 bei der Cour d’appel ein.

23.      Die Cour d’appel hat beide Rechtssachen miteinander verbunden und die Berufungen mit Urteil vom 12. Juli 2006 zurückgewiesen. Sie hat bestätigt, dass es weder im Gesellschaftsrecht noch im Finanzrecht Luxemburgs einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz für Aktionäre gebe und dass zu dieser Frage kein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu richten sei.

24.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben gegen das Berufungsurteil mit Schriftsatz vom 22. November 2006 Revision vor der Cour de cassation eingelegt und sieben Kassationsgründe geltend gemacht. Mit ihrem ersten Kassationsgrund hat Audiolux die Verletzung bzw. die fehlerhafte Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre, insbesondere im Fall einer Gesellschaft, deren Aktien an einer Wertpapierbörse notiert sind, gerügt.

25.      Da die Cour de cassation der Auffassung ist, dass der erste Kassationsgrund eine Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft, deren Beantwortung für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich ist, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Gehen die Verweise auf die Gleichbehandlung von Aktionären und insbesondere auf den Schutz der Minderheitsaktionäre

a)      in den Art. 20 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG vom 13. Dezember 1976 über „Gesellschaften“,

b)      im „dritten allgemeinen Grundsatz“ und im „ergänzenden Grundsatz Nr. 17“ der Empfehlung der Kommission vom 25. Juli 1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen,

c)      im Schema C Nr. 2 Buchst. a des Anhangs der Richtlinie 79/279 EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse und in der konsolidierten Richtlinie vom 28. Mai 2001,

d)      in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote im Licht ihres achten Erwägungsgrundes

auf einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts zurück?

2.         Falls die erste Frage bejaht wird: Gilt dieser allgemeine Grundsatz nur im Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Aktionären, oder ist er vielmehr, insbesondere bei einer Gesellschaft, deren Aktien an einer Wertpapierbörse notiert sind, auch im Verhältnis zwischen den Mehrheitsaktionären, die die Kontrolle über eine Gesellschaft ausüben oder erwerben, und den Minderheitsaktionären dieser Gesellschaft anzuwenden?

3.         Falls die beiden vorausgehenden Fragen bejaht werden: War dieser Grundsatz im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung der in Frage 1 genannten Verweise im Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionären im Sinne der Frage 2 schon vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/25 und im vorliegenden Fall bereits vor dem streitgegenständlichen Sachverhalt aus dem ersten Halbjahr 2001 anzuwenden?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

26.      Der Vorlagebeschluss mit Datum vom 4. März 2008 ist am 5. März 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

27.      Schriftliche Erklärungen haben Audiolux, GBL, Bertelsmann, die Regierungen der Französischen Republik, der Republik Irland, der Republik Polen sowie die Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.

28.      In der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2009 sind die Prozessbevollmächtigten von Audiolux, GBL, Bertelsmann, der Regierung der Republik Irland sowie der Kommission erschienen, um Ausführungen zu machen.

V –    Wesentliche Argumente der Parteien

29.      Audiolux hält das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig. Sie schlägt vor, die Vorlagefragen zu bejahen. Die in der ersten Vorlagefrage erwähnten Gemeinschaftsrechtsakte sowie ihre Bestimmungen wiesen auf das Bestehen eines Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre hin. In Bezug auf die Richtlinie 77/91 macht Audiolux insbesondere geltend, dass bereits aus ihrem fünften Erwägungsgrund hervorgehe, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Gleichbehandlung der Aktionäre für einen bereits existierenden Grundsatz erachtet habe. Audiolux beruft sich ferner auf den sechsten und den elften Erwägungsgrund der Wohlverhaltensregeln. Der Umstand, dass die Wohlverhaltensregeln lediglich eine Empfehlung seien, stehe der Tatsache nicht entgegen, dass diese Ausdruck der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts seien. Audiolux stützt ihr Vorbringen ferner auf den Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom Januar 2002 (im Folgenden: Winter I).

30.      Nach Ansicht von Audiolux zeigt die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2004/25, dass es einen Konsens bezüglich des in Art. 5 vorgesehenen Schutzes der Minderheitsaktionäre gegeben habe. Der zehnte Erwägungsgrund dieser Richtlinie beziehe sich lediglich auf die zeitliche Anwendung der Richtlinie und betreffe nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, wie aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a hervorgehe. Wie in der Rechtssache Mangold(8) müsse zwischen der Anwendung der Bestimmungen einer Richtlinie einerseits und der Anwendung des zugrunde liegenden allgemeinen Grundsatzes unterschieden werden.

31.      Im Hinblick auf die zweite Vorlagefrage macht Audiolux geltend, dass Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG nicht zwischen dem Schutz der Aktionäre durch die Gesellschaft und dem Schutz der Aktionäre voreinander unterscheide. Eine solche Unterscheidung sei auch nicht in der Richtlinie 77/91 zu finden, wie ihr Art. 20 bestätige. Zu den Wohlverhaltensregeln werde im dritten allgemeinen Grundsatz sowie in dem ergänzenden Grundsatz Nr. 17 anerkannt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre ebenfalls im Verhältnis zwischen den Aktionären Anwendung finde.

32.      Audiolux vertritt die Auffassung, dass der Einfluss, den ein Mehrheitsaktionär auf die Verwaltung der Gesellschaft ausübe, den Unterschied zwischen den Gesellschaftsorganen und dem Mehrheitsaktionär verwische. Eine Gleichbehandlung aller Aktionäre setze daher voraus, dass der Mehrheitsaktionär an diesen Grundsatz gebunden sei. Schließlich verweist Audiolux auf das Urteil Mangold, das ihrer Ansicht nach für die Anwendung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall spreche.

33.      Bezüglich der dritten Vorlagefrage ist Audiolux der Ansicht, dass die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre auf den vorliegenden Fall nicht auf eine rückwirkende Anwendung dieser Richtlinie hinauslaufe, da dieser Grundsatz bereits vor dreißig Jahren in den Wohlverhaltensregeln Ausdruck gefunden habe und seit einem Jahrzehnt Gegenstand eines Konsenses sei, was der Erlass der Richtlinie 2004/25 beweise.

34.      Die Beklagten 1 bis 10 des Ausgangsverfahrens (im Folgenden zusammen: GBL) weisen im Zusammenhang mit der ersten und der zweiten Vorlagefrage zunächst darauf hin, dass die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts zunächst voraussetze, dass die fragliche Norm aus einem der Vertragsziele hervorgehe und einen hinreichenden Inhalt aufweise. Sie verweisen dabei auf die Urteile Jippes(9) und Portugal/Rat(10).

35.      In Bezug auf die in der ersten Vorlagefrage genannten Gemeinschafsrechtsakte macht GBL im Wesentlichen geltend, dass die Wohlverhaltensregeln nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Rechtswirkungen entfalten könnten. Zum einen seien sie nicht in das luxemburgische Recht inkorporiert worden, zum anderen verwiesen sie nur auf jene Gemeinschaftsvorschriften, die sie zu vervollständigen beabsichtigten. Im Übrigen zeige die Existenz der Richtlinie 2004/25 sowie ihre Entstehungsgeschichte das Fehlen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre. Um ihre These zu stützen, beruft sich GBL auf den Bericht Winter I sowie auf den Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom November 2002 (im Folgenden: Winter II). Des Weiteren zeigten sowohl die zahlreichen Wahlmöglichkeiten, die den Mitgliedstaaten belassen würden, als auch die Festlegung von Mindestanforderungen, dass es einen solchen Rechtsgrundsatz nicht gebe.

36.      Zur dritten Vorlagefrage erinnert GBL an die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Rechtssicherheit und insbesondere zur Rückwirkung, um die Inexistenz eines Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre zu belegen. Jedenfalls dürfe dieser Grundsatz nicht auf Sachverhalte vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/25 angewandt werden.

37.      Nach Ansicht der Beklagten 11 bis 18 des Ausgangsverfahrens (im Folgenden zusammen: Bertelsmann) ist das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig. Es führe nicht die relevanten Tatsachen auf, die notwendig seien, damit der Gerichtshof die Vorlagefragen in Kenntnis des faktischen und des normativen Rahmens beantworten könne.

38.      Die in der ersten Vorlagefrage genannten Bestimmungen der Richtlinien 77/91 und 79/279 bezögen sich ausschließlich auf das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären und beträfen ganz bestimmte Konstellationen, die keinen Zusammenhang mit der Problematik des Ausgangsverfahrens aufwiesen. Auch wenn die in der Empfehlung enthaltenen Wohlverhaltensregeln ein Pflichtangebot vorsähen, sei dieses laut dem ergänzenden Grundsatz Nr. 17 lediglich „wünschenswert“ und nur mangels eines „gleichwertigen“ anderweitigen Schutzes.

39.      Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2004/25 macht Bertelsmann insbesondere geltend, dass es im Verlauf der Entstehungsgeschichte dieser Richtlinie Uneinigkeit darüber gegeben habe, ob die Abgabe eines Pflichtangebots als einziges Mittel zum Schutz der Minderheitsaktionäre in Frage kommen solle. Zudem seien das Bestehen zahlreicher Wahlmöglichkeiten zugunsten der Mitgliedstaaten, die präzisen Bestimmungen betreffend die Abgabe eines Pflichtangebots sowie die zeitliche Anwendbarkeit mit dem vermeintlichen allgemeinen Rechtsgrundsatz unvereinbar. Würde die Existenz eines solchen Grundsatzes bestätigt, müsste man auf die Nichtigkeit dieser Richtlinie schließen.

40.      Nach Ansicht von Bertelsmann gibt es weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine Rechtsüberzeugung (opinio iuris), die die Existenz eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes stützen würde, was auch der Bericht Winter I belege. Die verschiedenen Verweise in den Sekundärrechtsakten, die die Gleichbehandlung der Aktionäre beträfen, reichten nicht aus, um auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz schließen zu können. Der vermeintliche Rechtsgrundsatz unterscheide sich aufgrund seines grundlegend verschiedenen Inhalts von den bereits von der Rechtsprechung anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Jedenfalls sei er viel zu unbestimmt, um eine Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots begründen zu können.

41.      Darüber hinaus verletze die Anerkennung eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes die Kompetenz des Gemeinschaftsgesetzgebers, indem Regeln aufgestellt würden, deren Annahme allein diesem obliege. Insbesondere seien die Grundsätze der Rechtssicherheit sowie des Vertrauensschutzes, speziell unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots, verletzt. Darauf wiesen die Bestimmungen der Richtlinie 2004/25 hin, aus denen sich ergebe, dass die Regeln betreffend das Pflichtangebot nicht auf vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Umsetzungsbestimmungen liegende Vorgänge Anwendung fänden. Zudem fänden die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts generell keine Anwendung auf das Verhältnis zwischen Privaten. Die einzigen Ausnahmen, darunter die nach dem Urteil Mangold, unterschieden sich von der vorliegenden Rechtssache aufgrund des völlig verschiedenen Rechtsrahmens, in denen diese Entscheidungen ergangen seien.

42.      Die französische Regierung nimmt ausschließlich zur ersten Vorlagefrage Stellung und vertritt die Auffassung, dass die in dieser Vorlagefrage aufgelisteten Gemeinschaftsrechtsakte das Bestehen eines Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre bewiesen. Gleichwohl setze dessen Anwendung voraus, dass die Betroffenen sich in einer vergleichbaren Lage befänden. Zudem könne von diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn die Ungleichbehandlung objektiv gerechtfertigt sei.

43.      Die irische Regierung warnt davor, dass eine Bejahung der Vorlagefragen schwerwiegende Folgen auf verfassungsrechtlicher Ebene im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen den Gemeinschaftsorganen und die Rechtssicherheit sowie auf der Ebene des Gesellschaftsrechts haben würde. Sie spricht sich ausdrücklich für eine Verneinung der Vorlagefragen aus.

44.      Im Zusammenhang mit der ersten Vorlagefrage macht die irische Regierung einerseits geltend, dass die darin aufgeführten Gemeinschaftsvorschriften keine Anhaltspunkte dafür gäben, dass sie einem gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichheit der Aktionäre entstammten. Es handele sich dabei vielmehr um spezifische Regeln, die spezifische Situationen beträfen. Zudem erklärt die irische Regierung, dass ein solcher Grundsatz aufgrund seiner Spezifität nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts angesehen werden könne. Solche Rechtsgrundsätze, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt würden, beträfen grundlegende Aspekte der Gemeinschaftsrechtsordnung, anders als der fragliche Grundsatz. Darüber hinaus weist die irische Regierung auf die beträchtliche Komplexität des Gesellschaftsrechts hin, die ein Gleichgewicht von Interessen anstrebe. Infolgedessen verbiete sich eine unmittelbare Anwendung dieses Grundsatzes.

45.      Im Zusammenhang mit der zweiten Vorlagefrage erklärt die irische Regierung, dass ein etwaiger allgemeiner Rechtsgrundsatz ausschließlich auf das Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Aktionären Anwendung finde. Dazu weist sie darauf hin, dass das in der Richtlinie 2004/25 vorgesehene Pflichtangebot eine Ausnahme im Gesellschaftsrecht darstelle und daher nicht als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes angesehen werden könne.

46.      Zur Beantwortung der dritten Vorlagefrage macht die irische Regierung geltend, dass eine Anwendung dieses Grundsatzes aufgrund der Notwendigkeit genauerer Bestimmungen im Endeffekt auf eine Anwendung der Richtlinie 2004/25 bereits vor dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens hinauslaufe. Dies hält die irische Regierung für unzulässig, zumal dies eine horizontale Anwendung dieser Richtlinie noch vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist bewirken würde.

47.      Die polnische Regierung nimmt Stellung zu der ersten und der dritten Vorlagefrage und vertritt die Auffassung, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts sei. Dieser sei ein Grundprinzip des europäischen und nationalen Gesellschaftsrechts, das bereits lange vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/24 anwendbar gewesen sei. Dieser Grundsatz sei ausdrücklich oder implizit in zahlreichen Gemeinschaftsrechtsakten anerkannt.

48.      Angesichts seiner Allgemeinheit könne dieser Grundsatz jedoch nicht unmittelbar angewandt werden, so dass er sich in erster Linie an den Gesetzgeber richte. Dieser Grundsatz verlange lediglich eine Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte, womit er die Möglichkeit einer differenzierten Behandlung eröffne, solange diese objektiv gerechtfertigt sei. Nach diesem Grundsatz verfügten die Aktionäre über dieselben Rechte nach Maßgabe ihrer jeweiligen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen, ohne die zum Schutz der Minderheitsaktionäre bestimmten speziellen Rechte Letzterer auszuschließen. Diese Regeln trügen allerdings der besonderen Situation der Minderheitsaktionäre gegenüber den Mehrheitsaktionären Rechnung und müssten daher vom Gesetzgeber festgelegt werden.

49.      Im Hinblick auf die zweite Vorlagefrage trägt die polnische Regierung vor, dass der Grundsatz der Gleichheit der Aktionäre lediglich auf das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären Anwendung finde, mit der Folge, dass die Aktionäre grundsätzlich nicht verpflichtet sind, die Interessen der anderen Aktionäre zu berücksichtigen.

50.      Die Kommission schlägt vor, die Vorlagefragen zu verneinen. Ihrer Ansicht nach dürfen die Gleichheit der Aktionäre und der Schutz der Minderheitsaktionäre nicht als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts angesehen werden. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgehe, dürften ausschließlich bestimmte grundlegende Prinzipien als höherrangig im Verhältnis zum Sekundärrecht und der Gruppe allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zugehörig betrachtet werden. Die Gleichheit der Aktionäre und der Schutz der Minderheitsaktionäre stellten viel zu präzise Rechtsgrundsätze dar, um als „allgemeine“ Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts betrachtet zu werden. Ferner merkt die Kommission an, dass es sich dabei weder um einen gemeinsamen Grundsatz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen noch um ein im EG-Vertrag niedergelegtes Grundrecht handele.

51.      Nach Auffassung der Kommission betreffen die in der ersten Vorlagefrage genannten Bestimmungen des Sekundärrechts sehr spezifische Situationen und dürfen daher nicht als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aufgefasst werden. Der Erlass der Richtlinie 2004/25 bestätige, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber es für erforderlich gehalten habe, Regeln zum Schutz der Minderheitsaktionäre nach einem Kontrollwechsel innerhalb einer Gesellschaft zu verabschieden.

52.      Im Hinblick auf die zweite Vorlagefrage macht die Kommission zum einen geltend, dass die in der Richtlinie 2004/25 niedergelegten Pflichten des Mehrheitsaktionärs gegenüber den Minderheitsaktionären nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts angesehen werden könnten. Zum anderen legten die in der ersten Vorlagefrage aufgeführten Sekundärrechtsakte keine Pflichten im Verhältnis zwischen den einzelnen Aktionären fest. Schließlich weist die Kommission darauf hin, dass ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts keine unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Privaten zu entfalten vermöge.

53.      Im Zusammenhang mit der dritten Vorlagefrage macht die Kommission geltend, dass die Richtlinie 2004/25 die Existenz eines etwaigen allgemeinen Rechtsgrundsatzes zur Gleichbehandlung der Aktionäre und speziell zum Schutz von Minderheitsaktionären, der gegebenenfalls ihrem Erlass vorausgegangen wäre, nicht erwähne.

VI – Rechtliche Würdigung

A –    Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

54.      Die erste Rechtsfrage, die sich stellt, betrifft die von Bertelsmann erhobene Einrede der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens.

55.      Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht nützlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen(11).

56.      Daher müssen die Angaben in der Vorlageentscheidung nicht nur dem Gerichtshof gestatten, sachdienliche Antworten zu geben, sondern müssen auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, Erklärungen nach Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden(12).

57.      Im vorliegenden Fall werden in der Vorlageentscheidung die einschlägigen nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Rechtsvorschriften sowie die Grundlage und die Art des Rechtsstreits knapp, aber mit angemessener Genauigkeit dargestellt. Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht sowohl den tatsächlichen als auch den rechtlichen Rahmen, in dem es sein Ersuchen um Auslegung des Gemeinschaftsrechts formuliert, hinreichend festgelegt und dem Gerichtshof alle Angaben geliefert hat, die er benötigt, um dieses Ersuchen in sachdienlicher Weise zu beantworten.

58.      Das Vorbringen von Bertelsmann, das Vorabentscheidungsersuchen sei insgesamt für unzulässig zu erklären, ist daher zurückzuweisen.

B –    Untersuchung der Vorlagefragen

59.      Im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache steht die erste Vorlagefrage, in der es im Wesentlichen um die Frage bezüglich der Zugehörigkeit des Prinzips der Gleichbehandlung von Aktionären zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts geht. Die zweite und die dritte Vorlagefrage werden ausdrücklich nur für den Fall gestellt, dass die erste Vorlagefrage vom Gerichtshof bejaht wird. Sie sind daher auch in der vorgegebenen Reihenfolge zu prüfen.

1.      Zur ersten Frage

a)      Einleitende Anmerkungen

60.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die erste Vorlagefrage einer Präzisierung bedarf.

61.      Nach ständiger Rechtsprechung steht es ungeachtet der Aufgabenverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG Letzterem frei, im Fall ungenau formulierter Fragen aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material – insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung – diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen(13).

62.      Die erste Vorlagefrage ist bei objektiver Würdigung des Vorabentscheidungsersuchens sowie unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien des Ausgangsrechtsstreits im Grunde dahin zu verstehen, ob es im Gemeinschaftsrecht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gibt, der die Gleichbehandlung von Aktionären vorschreibt, und ob dieser Grundsatz auch Schutzwirkung zugunsten der Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft entfaltet mit der Folge, dass diese im Fall der Übernahme der Kontrolle der Gesellschaft zur Veräußerung ihrer Anteile zu denselben Bedingungen wie die anderen Aktionäre berechtigt sind.

63.      Durch eine Untersuchung der weiter gehenden Frage, ob der fragliche allgemeine Rechtsgrundsatz eine hinreichend präzise Rechtsfolge anordnet, die die Kläger des Ausgangsverfahrens begünstigt, lässt sich vermeiden, dass die Antwort des Gerichtshofs abstrakt bleibt(14). Dementsprechend ist im Folgenden von der wie vorgeschlagen präzisierten Hauptfrage auszugehen.

64.      Das vorlegende Gericht verweist in seiner ersten Vorlagefrage auf eine Reihe von Organakten der Gemeinschaft im Sinne des Art. 249 EG, deren Rechtscharakter zwar nicht einheitlich ist, die aber allesamt mehr oder weniger ausdrücklich auf ein nicht näher definiertes Prinzip der Gleichbehandlung der Aktionäre Bezug nehmen. Diese Bestimmungen bilden aufgrund ihrer Stellung im positiven Recht einen wesentlichen Anknüpfungspunkt für die nachfolgende rechtliche Untersuchung.

65.      Aus systematischen Gründen empfiehlt es sich, die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zunächst begrifflich zu erfassen, um anschließend der Frage nachzugehen, ob die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Gleichbehandlung von Aktionären als allgemeiner Rechtsgrundsatz durch den Gerichtshof gegeben sind.

b)      Die allgemeinen Rechtsgrundsätze

i)      Begriff

66.      In der Rechtsprechung des Gerichtshofs nehmen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts einen besonderen Platz ein.

67.      Der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist allerdings bis heute umstritten(15). Die Terminologie ist sowohl im rechtswissenschaftlichen Schrifttum als auch in der Rechtsprechung uneinheitlich. Teilweise bestehen Unterschiede nur hinsichtlich der Wortwahl, so, wenn der Gerichtshof und die Generalanwälte sich auf einen allgemein anerkannten Rechtssatz(16), einen allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz(17), elementare Rechtsgrundsätze(18), einen fundamentalen Grundsatz(19), einen schlichten Grundsatz(20), einen Rechtssatz(21) oder den allgemeinen Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehöre(22), beziehen.

68.      Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in der Rechtsprechung zur Lückenfüllung und als Auslegungshilfe große Bedeutung zukommt(23). Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass es sich bei der Gemeinschaftsrechtsordnung um eine in der Entwicklung befindliche Rechtsordnung handelt, die wegen ihrer Offenheit für die Integrationsentwicklung notwendigerweise lückenhaft und auslegungsbedürftig sein muss. Aufgrund dieser Erkenntnis hat wohl auch der Gerichtshof auf eine genaue Klassifizierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze verzichtet, um sich die Flexibilität zu erhalten, die er benötigt, um die unabhängig von den terminologischen Unterschieden auftretenden Sachfragen entscheiden zu können(24).

69.      Nach einer im Schrifttum vertretenen Definition zählen zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen jene grundlegenden Bestimmungen des ungeschriebenen primären Gemeinschaftsrechts, die der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften selbst inhärent oder den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind(25). Grundsätzlich lässt sich zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts im engeren Sinne, nämlich jenen, die ausschließlich aus dem Geist und dem System des EG-Vertrags entwickelt werden und sich auf spezifische Probleme des Gemeinschaftsrechts beziehen, und jenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen unterscheiden, die den Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind(26). Während die erste Gruppe von allgemeinen Rechtsgrundsätzen sich direkt aus dem primären Gemeinschaftsrecht ableiten lässt, bedient sich der Gerichtshof bei der zweiten Gruppe im Wesentlichen zum Zweck ihrer Ermittlung einer kritisch-wertenden Rechtsvergleichung(27), bei der jedoch keinesfalls die Methode des kleinsten gemeinsamen Nenners gilt. Ebenso wenig wird dabei als erforderlich erachtet, dass die so entwickelten Rechtsgrundsätze in ihrer konkreten Ausformulierung auf Gemeinschaftsebene immer in allen verglichenen Rechtsordnungen gleichzeitig vorkommen.

70.      Die allgemeinen Rechtsgrundsätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundlegende Prinzipien der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten verkörpern, was ihren Rang als Primärrecht innerhalb der Normhierarchie der Gemeinschaftsrechtsordnung erklärt(28). Von herausragender Bedeutung ist insbesondere der durch die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit unter dieser übergreifenden Bezeichnung entwickelte und gewährleistete Grundrechtsschutz im engeren Sinne sowie die Herausarbeitung jener grundrechtsgleichen Verfahrensrechte, die als allgemeine Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Rang des Verfassungsrechts der Gemeinschaft erhoben worden sind(29). Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören daher auch jene Grundsätze, die mit den Strukturprinzipien der Europäischen Union wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EU eng verbunden sind und sich aus ihnen ableiten lassen. Ihre Verletzung durch einen Mitgliedstaat kann den besonderen Sanktionsmechanismus des Art. 7 EU auslösen.

71.      Als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts wurden beispielsweise wichtige rechtsstaatliche Prinzipien anerkannt wie der Gedanke der Verhältnismäßigkeit(30), die Rechtsklarheit(31) oder das Recht des Einzelnen auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz(32). In diesen Zusammenhang gehören auch verschiedene allgemeine Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung wie das Prinzip des Vertrauensschutzes(33), das Prinzip ne bis in idem(34), des rechtlichen Gehörs(35), auch in Gestalt der Gelegenheit zur Stellungnahme bei beeinträchtigenden Maßnahmen(36), der Begründungszwang bei Rechtsakten(37) oder der Amtsermittlungsgrundsatz(38). Auch die Berufung auf „höhere Gewalt“(39) zählt dazu. Man kann aber auch Grundsätze finden, die dem Vertragsrecht nicht fremd sind, wie z.B. der allgemeine Rechtsgrundsatz pacta sunt servanda(40) oder auch der Grundsatz clausula rebus sic stantibus(41).

72.      In sozialstaatliche Richtung weisen etwa die Anerkennung des Prinzips der Solidarität(42) oder die Fürsorgepflicht der Behörde gegenüber ihren Bediensteten(43). Zur Anerkennung föderaler Bindungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zählen die oftmalige Betonung des Grundsatzes der Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten und ihrer Mitwirkungspflichten im Verhältnis zur Gemeinschaft. Unter Heranziehung von Art. 10 EG hat der Gerichtshof somit das Prinzip der gegenseitigen Gemeinschaftstreue(44) entwickelt. Ferner hat sich der Gerichtshof zum Demokratieprinzip bekannt, etwa indem er auf die Notwendigkeit der wirksamen Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren hingewiesen hat(45).

73.      Zu den Gemeinschaftsgrundrechten, die der Gerichtshof mittels der bereits erwähnten wertenden Rechtsvergleichung sowie unter Berücksichtigung internationaler und europäischer Menschenrechtsabkommen anerkannt hat, zählen solche Grund- und Menschenrechte, die liberale und demokratische Gesellschaften auszeichnen, wie etwa die Meinungsfreiheit(46) und die Vereinigungsfreiheit(47). Ebenso zählen dazu solche Grundprinzipien, die unmittelbar aus dem EG-Vertrag hervorgehen, wie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit(48) und das Verbot auf dem Geschlecht beruhender Diskriminierungen(49).

ii)    Zum Gleichbehandlungsgrundsatz der Aktionäre im Gemeinschaftsrecht

74.      Fraglich ist, ob aus der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären abgeleitet werden kann. Dazu müsste ein solcher Rechtsgrundsatz auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts der Gemeinschaft ähnlich den oben genannten Beispielen von so grundlegender Bedeutung sein, dass er Ausdruck im Primärrecht bzw. in zahlreichen Normen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts gefunden hat.

–       Betrachtung der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsbestimmungen


 Primärrecht

75.      Aus dem geschriebenen Primärrecht selbst kann ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz mangels eindeutiger Bestimmungen in den Grundlagenverträgen nicht abgeleitet werden. Weder die in Art. 3 EG aufgelisteten Gemeinschaftsziele noch die Bestimmungen betreffend den Kapital- und Zahlungsverkehr in den Art. 56 f. EG erlauben genaue Rückschlüsse darauf.

76.      Als Grundlage für einen Anspruch der Kläger des Ausgangsverfahrens auf Gleichbehandlung der Aktionäre könnte der allgemeine Gleichheitssatz in Betracht kommen. Der allgemeine Gleichheitssatz, wonach gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist objektiv gerechtfertigt, gehört zu den Grundlagen der Gemeinschaft(50). Bestimmungen über die Gleichheit vor dem Gesetz sind auch Teil der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten.

77.      Grundsätzlich sind Grundrechte, zu denen auch der Gleichheitssatz gehört, Abwehrrechte des Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt. Daher erscheint mir zweifelhaft, den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten allgemeinen Gleichheitssatz, wie von Audiolux offenbar vorgeschlagen, unmittelbar auf einen Bereich zu übertragen, der auf mitgliedstaatlicher Ebene dem Privatrecht zugeordnet ist. Der Gleichheitsgrundsatz oder das Verbot der Diskriminierung gehören nicht zu den traditionellen Leitprinzipien des Privatrechts(51). Davon abgesehen ist eine entsprechende Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Allgemeinheit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits kaum praktikabel, da aus ihm weder die Tatbestandsvoraussetzungen für seine Anwendung noch irgendeine hinreichend bestimmte Rechtsfolge im Fall seiner Verletzung abgeleitet werden können.

78.      Der allgemeine Gleichheitssatz könnte jedoch als Fundament für ein spezifisches Gleichbehandlungsgebot im Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft gedient haben. Deshalb muss untersucht werden, ob es ein Gebot der Gleichbehandlung von Aktionären als besonderen Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes gibt.

 Internationale Leitlinien

79.      Die OECD-Grundsätze der Corporate Governance, die 1999 verabschiedet und im Jahr 2004 neu gefasst wurden, liefern ein präzises Bild der weltweit geltenden Wertegrundsätze von börsennotierten Gesellschaften. Sie sind daher in erster Linie für die Frage heranzuziehen, ob völkerrechtlich ein Gleichbehandlungsgebot zwischen Aktionären untereinander mit der Ausprägung eines Andienungsrechts im Falle des Erwerbs einer Mehrheitsbeteiligung angenommen werden kann. In den Empfehlungen der OECD sind die wesentlichen nationalen und internationalen Standards für Finanzmarktstabilität eingeflossen. Es wurden im Vorfeld wichtige internationale Organisationen und ein breites Spektrum von Unternehmensverbänden angehört.

80.      Das Papier aus dem Jahr 1999 sah keine Regelungen zur Gleichbehandlung von Aktionären vor. Erst die Neufassung der Grundsätze aus dem Jahr 2004 erwähnt den Gleichbehandlungsgrundsatz erstmals im Abschnitt „Teil 1 III. Vorschläge zur Gleichbehandlung der Aktionäre“(52). Unter Punkt 2 heißt es: „Minderheitsaktionäre sollten vor missbräuchlichen Aktionen geschützt werden, die von direkt oder indirekt agierenden Mehrheitsaktionären ausgehen bzw. die im Interesse dieser Mehrheitsaktionäre durchgeführt werden, und sie sollten über effektive Rechtsmittel verfügen.“(53) In den erläuternden Anmerkungen hierzu in Teil III wird ausgeführt, dass die Gefahr bestehe, dass Mehrheitsaktionäre sich an Aktivitäten beteiligen, die in ihrem eigenen Interesse liegen, jedoch zulasten der Minderheitsaktionäre gingen(54). Als Lösungsmöglichkeiten werden zahlreiche Methoden aufgeführt, wie beispielsweise die Verbesserung der Durchsetzung der Rechte von Minderheitsaktionären, Verbesserung des Informationsflusses, qualifizierte Mehrheiten für bestimmte Aktionärsentscheidungen usw. Ein Andienungsrecht wird nicht explizit genannt. Es wird lediglich beschrieben, dass es unter bestimmten Umständen Mehrheitsaktionären „in einigen Ländern“ zur Auflage gemacht bzw. gestattet werde, die Anteile der übrigen Aktionäre zu einem von unabhängigen Gutachtern festgelegten Kurs aufzukaufen. Damit wird deutlich, dass völkerrechtlich kein Gleichbehandlungsgebot im Gesellschaftsrecht existiert.

Akte der Gemeinschaftsorgane

81.      Rückschlüsse auf einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz könnten sich gegebenenfalls aus dem Sekundärrecht bzw. aus sonstigen Akten der Gemeinschaftsorgane ergeben. Tatsächlich enthalten mehrere Gemeinschaftsbestimmungen Verweise auf ein Gebot der Gleichbehandlung von Aktionären, sofern sich diese in denselben Verhältnissen befinden(55).

82.      So weist das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss auf folgende Bestimmungen hin: Art. 42 der Richtlinie 77/91, Schema C Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 79/279, der in Art. 65 der Richtlinie 2001/34 übernommen worden ist, und Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/25. Man findet ebenfalls Verweise auf dieses Gebot in anderen Richtlinien mit Bezug zum Gesellschaftsrecht, etwa in der Richtlinie 2004/109, deren Art. 17 Abs. 1 bestimmt, dass „[e]in Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen [muss]“. Ihr Art. 18 Abs. 1 schreibt ferner vor, dass „[e]in Emittent von Schuldtiteln, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, allen Inhabern gleichrangiger Schuldtitel in Bezug auf alle mit diesen Schuldtiteln verbundenen Rechte die gleiche Behandlung sicherstellen [muss]“. Gleiches gilt für die Richtlinie 2007/36/EG(56) über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, deren Art. 4 besagt, dass „[d]ie Gesellschaft … für alle Aktionäre, die sich bei der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen [muss]“.

83.      Auch Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 legt eine spezifische Pflicht zum Schutz von Wertpapierinhabern mit Minderheitsbeteiligungen vor, um die Gleichbehandlung aller Aktionäre nach einem Kontrollwechsel effektiv sicherzustellen. Diese Regelung, die im neunten Erwägungsgrund zu dieser Richtlinie erläutert wird, sieht im Einzelnen vor, dass der Person, die die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt hat, die Verpflichtung auferlegt werden soll, allen Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft ein Angebot zur Übernahme aller ihrer Wertpapiere zu machen, und zwar zu einem angemessenen Preis, der einheitlich definiert wird.

–       Argumente gegen eine Zuordnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz

Fehlender Verfassungsrang

84.      Bei näherer Betrachtung der oben genannten Bestimmungen wird allerdings deutlich, dass diese sich im Wesentlichen darauf beschränken, sehr spezifische gesellschaftsrechtliche Fallkonstellationen zu regeln, indem sie der Gesellschaft bestimmte Verpflichtungen zum Schutz aller Aktionäre auferlegen. Ihnen fehlt somit der allgemeine übergreifende Charakter, der sonst allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt.

85.      Zudem sind nicht alle der angeführten Bestimmungen rechtlich verbindlich, wie die Empfehlung 77/534/EWG zeigt. Ähnlich wie Stellungnahmen stellen Empfehlungen gemäß Art. 249 Abs. 5 EG nicht verbindliche Akte der Gemeinschaftsorgane dar, denen zwar gegebenenfalls Bedeutung als Auslegungshilfe zukommen kann, aus denen sich jedoch keine Pflichten oder Rechte für Einzelne ableiten lassen(57). Der nicht verbindliche Charakter der Bestimmungen dieses Organaktes zeigt sich außerdem daran, dass die im 17. ergänzenden Grundsatz der Europäischen Wohlverhaltensregeln erwähnte Möglichkeit aller Aktionäre einer Gesellschaft, deren Kontrolle übertragen wurde, ihre Wertpapiere zu den gleichen Bedingungen zu veräußern, lediglich als „wünschenswert“ bezeichnet wird. Dies reicht keinesfalls aus, um ein Andienungsrecht von Minderheitsaktionären gegenüber Mehrheitsaktionären auf Gemeinschaftsebene zu begründen. Dementsprechend ist dem Vorbringen der Kommission und von Bertelsmann zuzustimmen, wonach eine unmittelbare Berufungsmöglichkeit auf den Inhalt dieser Empfehlung zur Geltendmachung individueller Rechtspositionen vom Gerichtshof zurückzuweisen ist.

86.      Die fraglichen Regelungen sind sichtlich von dem Bemühen des Gemeinschaftsgesetzgebers geprägt, willkürliche, d. h. sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen unter den Aktionären zu verhindern. Allerdings lassen sie nicht unmittelbar den Schluss auf das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre im gemeinschaftsrechtlichen Sinne zu.

87.      Wie bereits dargelegt, zeichnen sich allgemeine Rechtsgrundsätze nämlich in erster Linie durch ihren verfassungsrechtlichen Rang innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung aus. Allgemeine Rechtsgrundsätze verkörpern in der Regel grundlegende Rechtsgedanken und Wertvorstellungen, die einer Rechtsordnung eigen sind. Des Weiteren unterscheiden sie sich von spezifischen Rechtsregeln darin, dass sie einen gewissen Grad an allgemeiner Geltung beanspruchen und sich nicht auf einen bestimmten Rechtsbereich beschränken(58).

88.      Der Gedanke der Gleichbehandlung von Aktionären zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten und stellt offenkundig ein wesentliches Ideal auf diesem Rechtsgebiet dar(59). Allerdings kann er bisher in keiner Rechtsordnung für sich beanspruchen, Verfassungsrang erlangt zu haben. Auf der Ebene des nationalen Rechts beschränkt sich seine Kodifizierung wie auch im Gemeinschaftsrecht vielmehr auf einzelne einfachgesetzliche Regelungen.

Fehlende Rechtsüberzeugung in der Rechtswissenschaft

89.      Eine Untersuchung des rechtswissenschaftlichen Schrifttums offenbart zudem ein hohes Maß an Diskrepanz bei der Beurteilung des genauen Rechtscharakters des Gedankens der Gleichbehandlung von Aktionären bzw. deren systematischer Stellung innerhalb der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Während einige Autoren von einem „fundamentalen Rechtsprinzip des Gesellschaftsrechts“(60) ausgehen, bezeichnen andere den Gedanken der Gleichbehandlung von Aktionären lediglich als „Grundidee“(61) oder „vereinfachtes Ideal zur Verhinderung von willkürlichen Ungleichbehandlungen seitens der Gesellschaftsorgane“(62). Manche Autoren sehen darin gar einen „Ausfluss aus dem allgemeinen Prinzip der Gerechtigkeit, dessen ursprüngliche Basis nicht im Gesetz hat, sondern außerrechtlich, überpositiv ist“(63).

90.      Unabhängig von der genauen Einordnung besteht aber offenbar Einigkeit darüber, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären keine präzise Definition besitzt, daher „begrifflich nicht erfassbar ist und lediglich ein flexibles Instrument darstellt, um bestimmte Ziele zu erreichen“(64). Angesichts der fehlenden Bestimmtheit dieses Grundsatzes, was Grundlagen, Anwendungsbereich, Inhalt und Rechtsfolgen eventueller Verletzungen betrifft, kommt das Schrifttum überwiegend zu der Schlussfolgerung, dass dieser Grundsatz notwendigerweise einer inhaltlichen Konkretisierung durch die Gesetzgeber bzw. die Rechtsprechung bedarf, um verwirklicht zu werden(65).

91.      Ebenso wenig lassen sich die Berichte Winter I und Winter II(66) als Beleg für eine Rechtsüberzeugung in der Rechtswissenschaft bzw. innerhalb der mitgliedstaatlichen Ordnungen im Hinblick auf die Existenz eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes anführen.

92.      So geht aus dem Bericht Winter I eindeutig hervor, dass vor Erlass der Richtlinie 2004/25 zahlreiche Unterschiede in der Regelung von Übernahmeangeboten zwischen den Mitgliedstaaten bestanden, was zur Folge hatte, dass Übernahmeangebote nicht mit den gleichen Erfolgschancen unterbreitet werden konnten und die Aktionäre in den Mitgliedstaaten nicht über die entsprechenden Möglichkeiten verfügten, ihre Aktien zum Verkauf anzubieten. Aufgrund dessen befürwortete die Gruppe eine Regelung zur Erleichterung von Übernahmeangeboten(67). Ebenfalls höchst unterschiedlich waren die mitgliedstaatlichen Bestimmungen über die zu zahlende Gegenleistung, wobei die Unterschiede sowohl die Höhe als auch die Art der anzubietenden Leistungen betrafen(68). Im Interesse einer ausreichenden Berechenbarkeit dieser Gegenleistung, was nach Ansicht der Gruppe für das effiziente Funktionieren der Kapitalmärkte in der Europäischen Union erforderlich ist, sprach sie sich ausdrücklich für die Einführung harmonisierter Kriterien auf Gemeinschaftsebene aus.

93.      Hätte es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären gegeben, der die Modalitäten eines Übernahmeangebots hinreichend genau geregelt hätte, wie etwa Audiolux andeutet(69), so wäre der Erlass harmonisierender Regelungen auf Gemeinschaftsebene zum Zweck der Überwindung der Rechtszersplitterung in den Mitgliedstaaten nicht notwendig gewesen. Diese Berichte lassen im Gegenteil einen dringenden Regelungsbedarf auf Gemeinschaftsebene erkennen.

Fehlende allgemeine Geltung

94.      Hinzu kommt, dass der Gedanke der Gleichbehandlung von Aktionären in seiner Geltung auf das Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten, also auf ein bestimmtes Rechtsgebiet beschränkt bleibt, mit der Folge, dass es ihm an allgemeiner Geltung fehlt. Damit ist ein weiteres Merkmal nicht erfüllt, das allgemeine Rechtsgrundsätze in der Regel auszeichnet(70).

95.      Dieser Befund stellt den Gedanken der Gleichbehandlung von Aktionären in klaren Gegensatz zu jenen vom Gerichtshof tatsächlich als solchen anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen mit Verfassungsrang wie etwa dem der Rechtsstaatlichkeit, der allen Mitgliedstaaten der Union gemeinsam ist und auf dem die Union gemäß Art. 6 Abs. 1 EU beruht, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt ist und der vielfache Ausprägungen auf der Ebene des Sekundärrechts in Form der Rechtssicherheit, des Rechts auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz erfahren hat.

96.      Insofern sprechen sowohl der fehlende Verfassungsrang als auch die fehlende allgemeine Geltung dieses Gedankens gegen eine Einordnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts.

Fehlende Bestimmtheit hinsichtlich der Rechtsfolge

97.      Damit erübrigt sich im Grunde die weiter gehende Frage, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gibt, der Schutzwirkung zugunsten der Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft derart entfaltet, dass die Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft im Fall der Übernahme der Kontrolle der Gesellschaft zur Veräußerung ihrer Wertpapiere zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Aktionäre berechtigt sind.

98.      Dennoch und auch wenn der Gerichtshof, anders als hier vertreten, vom Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre ausgehen sollte, bestünden meines Erachtens ernste Zweifel, ob ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz wiederum hinreichend bestimmt sein könnte, um die von den Klägern des Ausgangsverfahrens angestrebte Rechtsfolge auszulösen. Wie die Kommission zutreffend erklärt, wäre ein entsprechender allgemeiner Rechtsgrundsatz viel zu präzise, um noch als „allgemein“ betrachtet zu werden.

Verbot der Umgehung des gesetzgeberischen Willens

99.      Die Bestimmungen, die das vorlegende Gericht in seiner ersten Vorlagefrage anführt, enthalten keine einzige Regelung, die die von den Klägern des Ausgangsverfahrens angestrebte Rechtsfolge ausdrücklich anordnen würde.

100. Eine Ausnahme könnte Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 darstellen, der die Abgabe des Pflichtangebots einer die Kontrolle einer Gesellschaft übernehmenden natürlichen oder juristischen Person regelt. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass allen Wertpapierinhabern ein Angebot für alle ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis unterbreitet wird. Diese Bestimmung konkretisiert gewissermaßen Art. 3 Abs. 1 Buchst. a derselben Richtlinie, in dem der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung aller Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft verankert ist. Die letztgenannte Bestimmung schreibt ferner vor, dass die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden müssen, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt.

101. Allerdings kommt eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie im konkreten Fall nicht in Betracht. Erstens haben die Ereignisse, die Anlass zum Ausgangsrechtsstreit gegeben haben, vor Inkrafttreten der Richtlinie bzw. vor Ablauf der Umsetzungsfrist stattgefunden, so dass das Großherzogtum Luxemburg zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht zur Anwendung der Richtlinie verpflichtet war(71). Dies hat zweierlei zur Folge. Zum einen können sich die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar auf diese Vorschrift berufen. Zum anderen gilt es zu bedenken, dass die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre, der im Wesentlichen dieselbe Rechtsfolge wie Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 vorsieht, zwangsläufig eine Rückwirkung der Richtlinie 2004/25 zur Folge hätte, was jedoch offenkundig nicht im Sinne des Gemeinschaftsgesetzgebers sein kann, da sonst der Erlass einer speziellen Regelung überflüssig gewesen wäre.

102. Aus dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/25 geht nämlich hervor, dass ein Bedürfnis bestand, gewisse mitgliedstaatliche Schutzbestimmungen gemäß Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG zu koordinieren, um sie gemeinschaftsweit gleichwertig zu gestalten. Dass in diesem Bereich die Notwendigkeit für ein Handeln des Gemeinschaftsgesetzgebers bestand, genaue Pflichten aufzustellen, die von den Marktbeteiligten zu beachten sind, und Modalitäten festzulegen, nach denen die Gleichbehandlung der Aktionäre zu erfolgen hatte, zeugt davon, dass es weder vor noch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/25 einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz der Aktionäre gegeben hat, der sich rechtlich selbst genügt.

Wahrung des institutionellen Gleichgewichts

103. Des Weiteren bestünde durch die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre durch den Gerichtshof, der aufgrund seiner materiell-rechtlichen Bestimmtheit vielmehr einem Rechtssatz entspricht, die Gefahr, dass das vom Vertrag gewollte institutionelle Gleichgewicht missachtet würde, zumal die gesetzgeberische Kompetenz der Gemeinschaft vom Rat und dem Europäischen Parlament gemeinsam wahrgenommen wird.

104. Das institutionelle Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft beruht nicht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung im staatsrechtlichen Sinne(72), sondern vielmehr auf einem Prinzip der Funktionsteilung, nach dem die Funktionen der Gemeinschaft von denjenigen Organen wahrgenommen werden sollen, die dazu vertraglich am besten ausgestattet worden sind. Anders als das Prinzip der Gewaltenteilung, das u. a. der Sicherung des Schutzes des Individuums durch eine Mäßigung der Staatsgewalt dient, bezweckt das Prinzip der Funktionsteilung eine effektive Erreichung der Gemeinschaftsziele(73).

105. Im Bewusstsein dieser Tatsache hat der Gerichtshof bereits im Jahr 1958 ausgehend von seinen Urteilen in den Rechtssachen Meroni(74) und danach in ständiger Rechtsprechung den Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“ aus einer Gesamtschau der Organisationsprinzipien und Handlungsermächtigungen der die Europäischen Gemeinschaften begründenden Verträge, insbesondere des EG-Vertrags, geschaffen und ihm die Rolle eines normativen, justiziablen Gestaltungsprinzips zugewiesen(75).

106. Wie der Gerichtshof im Urteil Parlament/Rat(76) festgestellt hat, hat der Vertrag ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen der Gemeinschaft geschaffen, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist. Die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts gebietet es, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt. Sie verlangt auch, dass eventuelle Verstöße geahndet werden können. Der Gerichtshof hat in demselben Urteil außerdem festgestellt, dass es ihm nach den Verträgen obliegt, über die Wahrung des Rechts bei deren Auslegung und Anwendung zu wachen. Er muss daher in der Lage sein, die Aufrechterhaltung des institutionellen Gleichgewichts und folglich die richterliche Kontrolle der Beachtung der Befugnisse der Gemeinschaftsorgane sicherzustellen(77).

107. Der Gerichtshof ist als Organ der Gemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EG ebenfalls Teil dieses institutionellen Gleichgewichts. Dieser Umstand impliziert, dass er in seiner Eigenschaft als Rechtsprechungsorgan der Gemeinschaft, das gemäß Art. 220 Abs. 1 EG im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags berufen ist, die Kompetenzen des Rates und des Parlaments im Bereich der Rechtsetzung respektiert(78). Dies setzt notwendigerweise voraus, dass er zum einen dem Gemeinschaftsgesetzgeber die ihm vertraglich übertragene Aufgabe der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts überlässt und zum anderen wie bisher die erforderliche Zurückhaltung bei der Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, die unter Umständen den gesetzgeberischen Zielen zuwiderlaufen könnten, wahrt. Der Gerichtshof kann zwar auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgreifen, um in Anbetracht der Vertragsziele angemessene Lösungen für die ihm zur Entscheidung vorgelegten Auslegungsprobleme zu finden. Er darf sich jedoch nicht an die Stelle des Gemeinschaftsgesetzgebers setzen, wenn eine bestehende Regelungslücke durch Letzteren gefüllt werden kann(79).

108. Rechtsetzung erfolgt in der Regel im Wege der Abwägung unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Interessen, die von den am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Organen und Gremien vertreten werden. Neben der entsprechenden demokratischen Legitimation besitzen sie den erforderlichen Sachverstand, um der ihnen übertragenen politischen Verantwortung gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Gemeinschaftsgerichte in ihrer Rechtsprechung die Abwägungs- und Entscheidungsprärogative des Gemeinschaftsgesetzgebers auf bestimmten Regelungsgebieten ausdrücklich anerkannt haben(80).

109. Des Weiteren verdienen die von der irischen Regierung geäußerten Bedenken(81) Beachtung. Ihr ist darin zuzustimmen, dass angesichts der Komplexität des Gesellschaftsrechts und der Vielfalt an mitgliedstaatlichen Regelungen, die nicht selten mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten jedes Mitgliedstaats zusammenhängen, Vorsicht geboten ist. Zu Recht weist sie darauf hin, dass eine Änderung des Gesellschaftsrechts, sei es auf legislativem Weg oder durch die Rechtsprechung, zunächst einmal reiflich durchdacht werden müsse. Hier sei der Gemeinschaftsgesetzgeber am besten in der Lage, die Positionen der einzelnen Mitgliedstaaten miteinander in Einklang zu bringen. Würde der Gerichtshof einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre im Sinne der Kläger des Ausgangsverfahrens anerkennen, wären die Folgen nicht vorauszusehen.

110. Schließlich ist im Hinblick auf die Lückenfüllungsfunktion(82) der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu bedenken, dass ein Rückgriff auf sie in Bereichen, die eine hohe Regelungsdichte aufweisen wie der des Gesellschaftsrechts, weniger erforderlich ist als in minder streng reglementierten Bereichen.

Belange der Rechtssicherheit

111. Richterliche Zurückhaltung wäre nicht zuletzt auch aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit angezeigt. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sind Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Sie müssen deshalb von den Gemeinschaftsorganen, aber auch von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien einräumen, beachtet werden(83).

112. Der Grundsatz der Rechtssicherheit soll die Vorhersehbarkeit von rechtlichen Lagen und Beziehungen garantieren, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen(84). Die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre würde allerdings viele Fragen bezüglich seines genauen sachlichen, persönlichen sowie zeitlichen Anwendungsbereichs aufwerfen. Der Gerichtshof müsste gegebenenfalls festlegen, welche Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sein müssten, damit dieser allgemeine Rechtsgrundsatz zur Anwendung kommt.

113. Problematisch wäre auch die Bestimmung des genauen Zeitpunkts, ab dem dieser allgemeine Rechtsgrundsatz Geltung im Gemeinschaftsrecht beanspruchen würde. Wie bereits dargelegt, hätte die Anerkennung eines solchen Grundsatzes letztlich eine rückwirkende Anwendung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 zur Folge, was angesichts der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers bezüglich des genauen Zeitpunkts des Inkrafttretens dieser Regelung gegen das Verbot der Rückwirkung verstoßen würde. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen. Dies kann aber ausnahmsweise dann anders sein, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist(85). Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht einzusehen, warum eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbots im Allgemeininteresse wäre.

c)      Ergebnis

114. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen komme ich zu der Schlussfolgerung, dass es im Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären gibt, der die Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft im Fall der Übernahme der Kontrolle durch eine andere Gesellschaft schützt, und zwar derart, dass sie zur Veräußerung ihrer Wertpapiere zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Aktionäre berechtigt sind.

115. Eine Auseinandersetzung mit dem Urteil Mangold erscheint mir in Anbetracht dieses Ergebnisses nicht erforderlich. Voraussetzung für eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den Ausgangsfall ist die zweifelsfreie Identifizierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht, welche eine Anwendung eben dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes noch vor Inkrafttreten einer spezifischen sekundärrechtlichen Regelung mit im Wesentlichen gleichem Regelungsinhalt ermöglicht. So hat der Gerichtshof im Urteil Mangold festgestellt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht in der Richtlinie 2000/78 selbst verankert ist, sondern ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist. Der Gerichtshof stützte diese Schlussfolgerung auf die Feststellung, dass das Verbot der Altersdiskriminierung seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hat(86). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch wie bereits festgestellt nicht gegeben.

2.      Zur zweiten Frage

116. Damit erübrigt sich im Grunde eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage. Die nachfolgenden Ausführungen sind nur für den Fall relevant, dass der Gerichtshof entgegen der hier vertretenen Rechtsauffassung die erste Vorlagefrage bejahen sollte.

117. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Bestimmungen, die das vorlegende Gericht in seiner ersten Vorlagefrage aufführt, lediglich dem Emittenten von Aktien und der Gesellschaft, nicht jedoch den Aktionären im Verhältnis untereinander Pflichten auferlegen.

118. Während die Art. 17 und 18 der Richtlinie 2004/109 Pflichten des Emittenten von Aktien festlegen, schreibt Art. 4 der Richtlinie 2007/36 eine Gleichbehandlungspflicht der Gesellschaft fest. Art. 42 der Richtlinie 77/91 legt dagegen nicht fest, an wen genau sich die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die in Umsetzung dieser Richtlinie erlassen werden und die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen müssen, zu richten haben(87). Gleichwohl betreffen die Bestimmungen dieser Richtlinie allesamt Handlungen der Gesellschaft selbst, darunter die Gründung einer Aktiengesellschaft sowie die Aufrechterhaltung, die Erhöhung und die Herabsetzung ihres Kapitals sowie die Zwangseinziehung von Aktien. Sofern hierfür die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung, etwa bei einer Kapitalerhöhung gemäß Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 77/91, vorgesehen ist, soll dies unter Wahrung des Gleichbehandlungsgebots erfolgen. Daraus lässt sich entnehmen, dass die Gesellschaftsorgane, nicht jedoch die Aktionäre selbst an das Gleichbehandlungsgebot gebunden sind.

119. Dieser Befund entspricht auch der mehrheitlichen Auffassung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum. Danach ist die Gesellschaft die einzige unmittelbare Adressatin des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes(88). Im Verhältnis der Gesellschafter untereinander besteht hingegen allenfalls eine Treuepflicht(89), die als solche den Gesellschafter verpflichtet, bei der Ausübung seiner Gesellschaftsrechte auf die Interessen seiner Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen. Weiter gehende Pflichten des Aktionärs gegenüber seinen Mitaktionären lassen sich hingegen nicht herleiten.

120. Gegen eine unmittelbare Berufungsmöglichkeit der Kläger des Ausgangsverfahrens auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre spricht ferner, dass allgemeine Rechtsgrundsätze grundsätzlich allein die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten sowie ihre Untergliederungen, nicht jedoch Einzelne im Verhältnis untereinander binden(90). Dies lässt sich sowohl mit dem Ursprung als auch dem Zweck der allgemeinen Rechtsgrundsätze begründen, der darin besteht, den Einzelnen vor rechtswidrigen Grundrechtseingriffen von Behörden zu schützen(91).

121. Andererseits kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gemeinschaftsrecht vereinzelt auch subjektive Rechte im Verhältnis zwischen Privatpersonen begründet. Dies gilt etwa für Bestimmungen des Sekundärrechts(92). Diese Normen legen allerdings dem Einzelnen in der Regel erst nach ihrer Umsetzung in nationales Recht oder im Wege der richtlinienkonformen Auslegung Verpflichtungen auf, da Richtlinien selbst keine horizontale Wirkung entfalten(93). Andererseits erkennt die Rechtsprechung an, dass bestimmte Primärrechtsbestimmungen wie die Diskriminierungsverbote in Art. 12, 39, 49 und 141 EG horizontale Wirkung entfalten können(94).

122. Zugunsten einer unmittelbaren Berufungsmöglichkeit auf allgemeine Rechtsgrundsätze im Verhältnis zwischen Privatpersonen lässt sich jedenfalls nicht das Urteil Mangold anführen, da der Gerichtshof es darin offengelassen hat, ob das Verbot der Altersdiskriminierung auch horizontal wirkt(95). Unabhängig davon, dass es sich in dem jener Rechtssache zugrunde liegenden Verfahren um eine zivilrechtliche Streitigkeit handelte, hatte der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen zu entscheiden, ob das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung entgegenstand, nach der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt befristete Arbeitsverträge schließen konnten. Es ging darin also in erster Linie um die Frage der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.

123. Nach alledem ist die zweite Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären, sofern es einen solchen im Gemeinschaftsrecht überhaupt geben sollte, nur im Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Aktionären Anwendung finden könnte.

3.      Zur dritten Frage

124. Die dritte Vorlagefrage ist nur für den Fall gestellt worden, dass die beiden vorausgehenden Fragen bejaht werden. Da vorliegend vom Nichtbestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung von Aktionären ausgegangen wird und bereits im Rahmen der ersten und der zweiten Frage zu den zugrunde liegenden Rechtsfragen Stellung genommen wurde, erübrigt sich meines Erachtens eine Beantwortung der dritten Vorlagefrage.

C –    Schlussfolgerungen

125. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass gegen die Annahme eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes zunächst der Umstand spricht, dass die Gleichbehandlung von Aktionären weder in der Gemeinschaftsrechtsordnung noch in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Verfassungsrang besitzt(96). Außerdem ist im Rahmen der Untersuchung das Fehlen einer festen Rechtsüberzeugung hinsichtlich des Bestehens eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes in der Rechtswissenschaft festgestellt worden(97). Angesichts der Tatsache, dass er auf den speziellen Bereich des Gesellschaftsrechts beschränkt ist, weist dieser Grundsatz auch nicht die für allgemeine Rechtsgrundsätze typische allgemeine Geltung innerhalb einer Rechtsordnung auf(98).

126. Andererseits und auch wenn es nach Auffassung des Gerichtshofs entgegen der hier vertretenen Ansicht einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz geben sollte, bestünden Zweifel darüber, ob dieser eine derart bestimmte Rechtsfolge anordnen könnte, dass er ein Andienungsrecht von Minderheitsaktionären begründen könnte(99). Diese Rechtsfolge anzuordnen, obliegt aufgrund der im institutionellen Recht der Gemeinschaft bestehenden Funktionsteilung unter den Gemeinschaftsorganen allein dem Gemeinschaftsgesetzgeber, der gegebenenfalls durch den Erlass einer entsprechenden Rechtsnorm die genauen rechtlichen Voraussetzungen festlegen müsste(100). Die Anerkennung eines Andienungsrechts von Minderheitsaktionären in Gestalt eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Wege der Rechtsprechung entspräche nicht dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers. Sie würde im Ergebnis auf eine rückwirkende Anwendung der Richtlinie 2004/25 hinauslaufen, womit die Belange der Rechtssicherheit ebenfalls beeinträchtigt würden(101).

127. Aufgrund der vorstehenden Untersuchung komme ich zu dem Ergebnis, dass es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären als spezifischen Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes gibt, der die Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft im Fall der Übernahme der Kontrolle durch eine andere Gesellschaft derart schützt, dass sie zur Veräußerung ihrer Wertpapiere zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Aktionäre berechtigt sind.

128. Ungeachtet der rechtlichen Einordnung der Gleichbehandlung von Aktionären ist festzustellen, dass diese allein im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Aktionären, nicht jedoch im Verhältnis der Aktionäre untereinander, Rechte und Pflichten zu begründen vermag(102).

VII – Ergebnis

129. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Fragen der Cour de cassation zu antworten:

1.         Es gibt im Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der die Gleichbehandlung von Aktionären vorschreibt und Schutzwirkung zugunsten der Minderheitsaktionäre einer Gesellschaft derart entfaltet, dass diese im Fall der Übernahme der Kontrolle der Gesellschaft zur Veräußerung ihrer Anteile zu denselben Bedingungen wie die anderen Aktionäre berechtigt sind.

2.         Ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären könnte allenfalls nur im Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Aktionären Anwendung finden.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 26, S. 1).


3 – Empfehlung 77/534/EWG der Kommission vom 25. Juli 1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen (ABl. L 212, S. 37).


4 – Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse (ABl. L 66, S. 21).


5 – Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (ABl. L 184, S. 1).


6 – Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 390, S. 38).


7 – Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. L 142, S. 12).


8 – Urteil vom 22. November 2005, Mangold (C‑144/04, Slg. 2005, I‑9981).


9 – Urteil vom 12. Juli 2001, Jippes u. a. (C‑189/01, Slg. 2001, I‑5689).


10 – Urteil vom 23. November 1999, Portugal/Rat (C‑149/96, Slg. 1999, I‑8395).


11 – Vgl. u. a. Urteile vom 26. Januar 1993, Telemarsicabruzzo u. a. (C‑320/90 bis C‑322/90, Slg. 1993, I‑393, Randnrn. 6 und 7), vom 14. Juli 1998, Safety Hi-Tech (C‑284/95, Slg. 1998, I‑4301, Randnrn. 69 und 70) und Bettati (C‑341/95, Slg. 1998, I‑4355, Randnrn. 67 und 68), vom 21. September 1999, Brentjens' Handelsonderneming (C‑115/97 bis C‑117/97, Slg. 1999, I‑6025, Randnrn. 37), vom 11. September 2003, Altair Chimica (C‑207/01, Slg. 2003, I‑8875, Randnr. 24), vom 9. September 2004, Carbonati Apuani (C‑72/03, Slg. 2004, I‑8027, Randnr. 10), und vom 23. März 2006, Enirisorse (C‑237/04, Slg. 2006, I‑2843, Randnr. 17).


12 – Vgl. u. a. Beschlüsse vom 30. April 1998, Testa und Modesti (C‑128/97 und C‑137/97, Slg. 1998, I‑2181, Randnr. 6), und vom 11. Mai 1999, Anssens (C‑325/98, Slg. 1999, I‑2969, Randnr. 8), sowie Urteile Altair Chimica (oben in Fn. 11 angeführt,Randnr. 25 und Enirisorse, oben in Fn. 11 angeführt, Randnr. 18).


13 – Vgl. zur prozessualen Befugnis des Gerichtshofs, im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EG Vorlagefragen zu präzisieren bzw. neu zu formulieren, Urteil vom 29. November 1978, Redmond (83/78, Slg. 1978, 2347, Randnr. 26).


14 – Nach Auffassung von Middecke, A., in: Handbuch des Rechtsschutzes der Europäischen Union, 2. Aufl., München 2003, § 10, Randnr. 38, S. 225, darf die Beantwortung der vorgelegten Frage nicht in derart abstrakter Weise vorgenommen werden, dass sie dem nationalen Gericht bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht von Nutzen ist. Aus Gründen der Wahrung des Kompetenzbereichs des nationalen Gerichts darf die Frage aber auch nicht so konkret beantwortet werden, dass sie die Anwendung des Gemeinschaftsrechts vorwegnimmt.


15 – Vgl. Schwarze, J., European Administrative Law, Luxemburg 2006, S. 65, und Sariyiannidou, E., Institutional balance and democratic legitimacy in the decision-making process of the EU, Bristol 2006, S. 145.


16 – Urteil vom 16. Juli 1956, Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde (8/55, Slg. 1956, 199, 311).


17 – Urteil vom 21. Juni 1958, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/Hohe Behörde (13/57, Slg. 1958, 273, 304).


18 – Urteil vom 22. März 1961, SNUPAT/Hohe Behörde (42 und 49/59, Slg. 1961, 111, 169).


19 – Urteil vom 13. Februar 1979, Hofmann-La Roche/Kommission (85/76, Slg. 1979, 461, 511).


20 – Urteil vom 15. Juli 1960, Von Lachmüller u. a./Kommission (43/59, Slg. 1960, 967, 989).


21 – Urteil vom 12. Juli 1962, Hoogovens/Hohe Behörde (14/61, Slg. 1962, 513, 549).


22 – Urteil vom 19. Oktober 1977, Ruckdeschel u. a. (117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753, 1769).


23 – Tridimas, T., The General Principles of EU Law, 2. Aufl., London 2006, S. 17 f. und 29 f., weist zum einen auf die Lückenfüllungsfunktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht hin, was aus dem Umstand resultiere, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung eine neue und junge Rechtsordnung sei und der Weiterentwicklung bedürfe. Zudem stelle der EG-Vertrag einen Rahmenvertrag mit zahlreichen allgemein gefassten Bestimmungen und unbestimmten Rechtsbegriffen dar, die dem Gerichtshof weitgehende Befugnis zur Entwicklung des Rechts einräumen. Zum anderen weist der Autor auf die Funktion als Auslegungshilfe bei der Auslegung des Sekundärrechts hin. Lenaerts, K./Van Nuffel, P., Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl., London 2005, Randnr. 17-066, S. 711, weisen darauf hin, dass die Verwaltung sich im Rahmen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht in der Regel des Rückgriffs auf allgemeine Rechtsgrundsätze, vor allem bei Unklarheiten im auszulegenden Recht oder Regelungslücken, bedient.


24 – In diesem Sinne Schwarze, J., a. a. O. (Fn. 15), S. 65.


25 – Vgl. Schweitzer, M./Hummer, W./Obwexer, W., Europarecht, S. 65, Randnrn. 240 f.


26 – In diesem Sinne Lengauer, A.-M., Kommentar zu EU- und EG-Vertrag (hrsg. von Heinz Mayer), Wien 2004, Art. 220, Randnr. 27, S. 65.


27 – In diesem Sinne Schweitzer, M./Hummer, W./Obwexer, W., a. a. O. (Fn. 25), Randnr. 244, S. 66, Oppermann, T., Europarecht, 3. Aufl., München 2005, Randnr. 21, S. 144.


28 – Nach allgemeiner Ansicht stehen die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Rang vom Primärrecht (vgl. Schroeder, W., EUV/EGV – Kommentar [hrsg. von Rudolf Streinz], Art. 249, S. 2159, Randnr. 15). Der Gerichtshof hat wiederholt erklärt, dass Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu messen sind. Vgl. Urteile vom 12. November 1969, Stauder (29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 7), und vom 13. Dezember 1979, Hauer (44/79, Slg. 1979, 3727, Randnrn. 14 f.).


29 – So auch Wegener, B., in Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EUV/EGV, 3. Aufl., 2007, München 2007, Art. 220, Randnr. 37, S. 1956, und Tridimas, T., a. a. O. (Fn. 23), S. 2 f.


30 – Vgl. Urteil vom 9. August 1994, Deutschland/Rat (C‑359/92, Slg. 1994, I‑3681). Bereits vor der Positivierung dieses Gedankens in Art. 5 Abs. 3 EG war es sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum unstreitig, dass die Inanspruchnahme von Gemeinschaftskompetenzen unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht (vgl. Lienbacher, G., EU-Kommentar [hrsg. von Jürgen Schwarze], 1. Aufl., Baden-Baden 2000, Art. 5 EG, Randnr. 36, S. 270).


31 – Vgl. Urteil vom 10. Juni 1980, Kommission/Vereinigtes Königreich (32/79, Slg. 1980, 2403).


32 – Vgl. Urteil des Gerichts vom 6. März 2001, Dunnett u.a./EIB (T‑192/99, Slg. 2001, II‑813).


33 – Vgl. Urteil vom 6. Juli 2000, Agricola Tabacchi Bonavicina (C‑402/98, Slg. 2000, I‑5501).


34 – Vgl. Urteil vom 13. Februar 1969, Walt Wilhelm (14/68, Slg. 1969, 1).


35 – Vgl. Urteil vom 4. Juli 1963, Alves (32/62, Slg. 1963, 109).


36 – Vgl. Urteile vom 14. Juli 1972, Cassella Farbwerke Mainkur/Kommission (55/69, Slg. 1972, 887), vom 28. Mai 1980, Kuhner/Kommission (33 und 75/79, Slg. 1980, 1677), vom 29. Juni 1994, Fiskano/Kommission (C‑135/92, Slg. 1994, I‑2885), vom 24. Oktober 1996, Kommission/Lisrestal u. a. (C‑32/95 P, Slg. 1996, I‑5373, Randnr. 21), vom 21. September 2000, Mediocurso/Kommission (C‑462/98 P, Slg. 2000, I‑7183, Randnr. 36), vom 12. Dezember 2002, Cipriani (C‑395/00, Slg. 2002, I‑11877, Randnr. 51), vom 13. September 2007, Land Oberösterreich und Österreich/Kommission (C‑439/05 P und C‑454/05 P, Slg. 2007, I‑7141), und vom 18. Dezember 2008, Sopropré (C‑349/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnrn. 36 und 37).


37 – Vgl. Urteil vom 25. Oktober 1978, Koninklijke Scholten-Honig (125/77, Slg. 1978, 1991).


38 – Vgl. Urteil vom 21. November 1991, Technische Universität München (C‑269/90, Slg. 1991, I‑5469).


39 – Vgl. Urteil vom 14. Februar 1978, IFG/Kommission (68/77, Slg. 1978, 353).


40 – Vgl. Urteil des Gerichts vom 25. Mai 2004, Distilleria Palma/Kommission (T‑154/01, Slg. 2004, II‑1493, Randnr. 45).


41 – Vgl. Urteil des Gerichts vom 21. September 2005, Ali Yusuf und Al Barakaat International Foundation/Rat (T‑306/01, Slg. 2005, II‑3533, Randnr. 277).


42 – Vgl. Urteil vom 18. März 1980, Ferriera Valsabbia/Kommission (154, 205, 206, 226 bis 228, 263 und 264/78 sowie 39, 31, 83 und 85/79, Slg. 1980, 907).


43 – Vgl. Urteil Kuhner (oben in Fn. 36 angeführt).


44 – Vgl. Urteil vom 5. Mai 1981, Kommission/Vereinigtes Königreich (804/79, Slg. 1981, 1045).


45 – Vgl. Urteil vom 30. März 1995, Parlament/Rat (C‑65/93, Slg. 1995, I‑643, Randnr. 21).


46 – Vgl. Urteil vom 17. Januar 1984, VBVB und VBBB/Kommission (43/82 und 63/82, Slg. 1984, 19).


47 – Vgl. Urteil vom 15. Dezember 1995, Bosman (C‑415/93, Slg. 1995, I‑4930).


48 – Vgl. Urteil vom 12. Juli 1984, Prodest (237/83, Slg. 1984, 3153).


49 – Vgl. Urteil vom 15. Juni 1978, Defrenne (149/77, Slg. 1978, 1365).


50 – Vgl. Urteile vom 3. Oktober 2006, Cadman (C‑17/05, Slg. 2006, I‑9583, Randnr. 28), vom 26. Juni 2001, Brunnhofer (C‑381/99, Slg. 2001, I‑4961, Randnr. 28), vom 17. September 2002, Lawrence u. a. (C‑320/00, Slg. 2002, I‑7325, Randnr. 12). Dieser Satz zieht sich mit geringfügigen Abweichungen durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs und taucht offenbar erstmalig im Urteil Ruckdeschel u. a. (oben in Fn. 22 angeführt, Randnr. 7) auf.


51 – In diesem Sinne Basedow, J., „Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im europäischen Privatrecht“, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, 2008, S. 230, 244. Seiner Meinung nach kann dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (bzw. dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz) keine eigenständige operative Bedeutung im europäischen Privatrecht zukommen. Seine Rolle sei die eines hermeneutischen Prinzips, welches das Verständnis des positiven Rechts erleichtere, weil es uns gestatte, einzelne Rechtsakte im Kontext zu sehen und auf ihre systematische Stimmigkeit zu prüfen. Nach Auffassung des Autors kommt ihm ein eigener Regelungsgehalt nicht zu. Mazière, P., Le principe d’égalité en droit privé, Aix-en-Provence 2003, S. 429 f., bestreitet die Existenz eines allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes im Privatrecht. Der Autor äußert sich sehr kritisch gegenüber den Versuchen, den Gleichheitsgrundsatz in das Privatrecht einzuführen.


52 – OECD – Grundsätze der Corporate Governance – Neufassung 2004, Paris 2004, S. 23.


53 – Ebd.


54 – Ebd., S. 47.


55 – Nichts Entsprechendes lässt sich der am 8. Oktober 2004 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294, S. 1) entnehmen. Die Verordnung sieht die Gleichbehandlung der Aktionäre zwar nicht ausdrücklich vor, eröffnet den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, Vorschriften zum Schutz von Minderheitsaktionären zu erlassen.


56 – Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ABl. L 184, S. 17).


57 – Die Unverbindlichkeit von Empfehlungen und Stellungnahmen bedeutet allerdings nicht, dass diese rechtlich völlig bedeutungslos wären (in diesem Sinne Ruffert, M., in Calliess/Ruffert [Hrsg.], a. a. O. [Fn. 29], Randnr. 126, S. 2165). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die nationalen Gerichte ungeachtet des nicht verbindlichen Charakters von Empfehlungen und der Tatsache, dass sie keine Rechte für den Einzelnen begründen können, auf die dieser sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, dennoch verpflichtet, sie bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen. Dies gilt etwa bei der Auslegung innerstaatlicher, Gemeinschaftsrecht durchführender Rechtsvorschriften oder zur Ergänzung verbindlicher gemeinschaftlicher Vorschriften (vgl. Urteile vom 15. Juni 1976, Frecassetti, 113/75, Slg. 1976, 983, vom 9. Juni 1977, Van Ameyde, 90/76, Slg. 1977, 1091, vom 13. Dezember 1989, Grimaldi, C‑322/88, Slg. 1989, 4407, Randnr. 9, und vom 21. Januar 1993, Deutsche Shell AG, C‑188/91, Slg. 1993, I‑363, Randnr. 18).


58 – Tridimas, T., a. a. O. (Fn. 23), S. 1, wirft die Frage auf, wie ein allgemeiner Rechtsgrundsatz von einer spezifischen Regelung unterschieden werden kann. Seiner Ansicht nach kommt es zum einen auf die allgemeine Geltung dieses Grundsatzes an, wobei unter „allgemein“ zu verstehen sei, dass der Grundsatz einen gewissen Grad an Abstraktheit aufweisen müsse. Zum anderen komme es auf die Relevanz dieses Grundsatzes innerhalb einer Rechtsordnung an.


59 – So auch Verse, D., Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, Tübingen 2006, S. 2, der von einem zentralen Rechtssatz des Gesellschaftsrechts spricht.


60 – In diesem Sinne Verse, D., a. a. O. (Fn. 59), S. 557. Mehringer, C., Der allgemeine kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, Baden-Baden 2007, S. 239, geht ebenfalls von einem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im Kapitalmarktrecht zugunsten der Anleger aus.


61 – Grundmann, S., Europäisches Gesellschaftsrecht, Heidelberg 2004, S. 145.


62 – De Cordt, Y., L’égalité entre actionnaires, Brüssel 2004, S. 937.


63 – Vgl. Hütte, A., Der Gleichbehandlungsgrundsatz im deutschen und französischen Recht der Personengesellschaften, Aachen 2003, S. 180. Nach Ansicht von Mehringer, C., a. a. O. (Fn. 60), S. 241, hat das kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsprinzip seine rechtstheoretische Grundlage in der Idee der Gerechtigkeit.


64 – De Cordt, Y., a. a. O. (Fn. 62), S. 937.


65 – In diesem Sinne De Cordt, Y., a. a. O. (Fn. 62), S. 937; So weist Mehringer, C., a. a. O. (Fn. 60), S. 18, darauf hin, dass Prinzipien keine Normen und daher grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar sind. Es müsse stets eine gesetzliche, auslegungsfähige Norm oder ein Begriff als Anknüpfungspunkt herangezogen werden; Verse, D., a. a. O. (Fn. 59), S. 96, erwartet, dass der Gerichtshof in Zukunft allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Leitlinien für die Konkretisierung des Gleichbehandlungsgebots aufstellen wird.


66 – Erhältlich auf der Website der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission (http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/index_de.htm).


67 – Vgl. den Bericht Winter I, Kapitel I („Gleiche Ausgangsbedingungen für Übernahmeangebote“), S. 20, 21.


68 – Vgl. den Bericht Winter I, Kapitel II („Angemessener Preis im Rahmen eines obligatorischen Angebots“), S. 55.


69 – Vgl. S. 33 ff. des Schriftsatzes von Audiolux.


70 – Siehe Nr. 87 dieser Schlussanträge.


71 – Aus Art. 22 der Richtlinie 2004/25 geht nämlich hervor, dass diese Richtlinie am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, d.h. am 22. Mai 2004, in Kraft getreten ist. Ferner heißt es in Art. 21 Abs. 1, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen mussten, um dieser Richtlinie spätestens am 20. Mai 2006 nachzukommen.


72 – Gewaltenteilung ist ein auf die Lehren von Thomas Locke (1632-1704), Charles de Montesquieu (1689-1755) und Immanuel Kant (1724-1804) zurückgehendes tragendes Organisationsprinzip der meisten modernen demokratischen Verfassungen und konstitutives Merkmal eines Rechtsstaates. Die politische Macht im Staat wird durch die Gewaltenteilung in Funktionsbereiche aufgeteilt. Durch die gegenseitige Kontrolle der Gewalten soll eine Mäßigung der Staatsgewalt erreicht werden. Herkömmlicherweise sind dies die Legislative, die Exekutive und die Judikative. So stellte Montesquieu in seinem im Jahr 1748 erschienenen Buch „De l’esprit des lois“ („Vom Geist der Gesetze“) fest: „Sobald in ein und derselben Person oder derselben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit. Es wäre nämlich zu befürchten, dass derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze erließe und dann tyrannisch durchführte. Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre, denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unterdrückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre. Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann bzw. dieselbe Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adeligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“


73 – In diesem Sinne Schweitzer, M./Hummer, W./Obwexer, W., a. a. O. (Fn. 25), S. 178, Randnr. 653; Sariyiannidou, E., a. a. O. (Fn. 15), S. 122, spricht ebenfalls von einer „Funktionsteilung“. Laut Oppermann, T., a. a. O. (Fn. 27), § 5, Randnr. 5, S. 80, ist in der Europäischen Gemeinschaft die staatliche Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative zugunsten eines spezifischen institutionellen Gleichgewichts zwischen den Gemeinschaftsorganen abgewandelt. Insbesondere zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission seien die Aufgaben anders verteilt als auf staatlicher Ebene. Auch in der Europäischen Gemeinschaft ergebe sich gegenseitige Kontrolle und Machtgleichgewicht („checks and balances“). Das institutionelle Gleichgewicht der Organe sei Widerspiegelung eines grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzips. Es gebiete, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübe und dass Verstöße hiergegen durch die Kontrolle des Gerichtshofs geahndet werden können.


74 – Urteile vom 13. Juni 1958, Meroni (9/56, Slg. 1958, 11, und 10/56, Slg. 1958, 53).


75 – Vgl. Urteile vom 17. Dezember 1970, Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Köster (25/70, Slg. 1970, 1161, Randnr. 9) und Parlament/Rat (oben in Fn. 45 angeführt, Randnr. 21).


76 – Urteil vom 22. Mai 1990, Parlament/Rat (70/88, Slg. 1990, I‑2041, Randnrn. 21 und 22).


77 – Urteil Parlament/Rat (oben in Fn. 76 angeführt, Randnr. 23).


78 – Sariyiannidou, E., a. a. O. (Fn. 15), S. 137, ist der Auffassung, dass Art. 220 EG dem Gerichtshof letztlich die Kompetenz einräumt, zu bestimmen, was „Recht“ ist, allerdings ohne dass klare Kompetenzbeschränkungen hierfür vorhanden wären. Der Gerichtshof habe bei der Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen umfassend Gebrauch von seiner Rechtsfortbildungskompetenz gemacht. Die Autorin äußert die Befürchtung, dass dies die Grenzen zwischen gerichtlicher und politischer Tätigkeit verwischen könnte.


79 – In diesem Sinne Louis, J.-V., L’ordre juridique communautaire, 6. Aufl., Brüssel/Luxemburg 1993, S. 119, 120. Nach Ansicht des Autors darf sich der Gerichtshof bestehender Rechtslücken im Gemeinschaftsrecht nicht zu Nutze machen, um sich an die Stelle des Gemeinschaftsgesetzgebers zu setzen. Er muss vielmehr die erforderliche Zurückhaltung („judicial self-restraint“) wahren.


80 – Vgl. Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 2005, Sumitomo Chemical und Sumika Fine Chemicals/Kommission (T‑22/02 und T‑23/02, Slg. 2005, II‑4065, Randnrn. 82 f.). Darin hat das Gericht die Kompetenz des Gemeinschaftsgesetzgebers zur Festlegung von Verjährungsfristen anerkannt. Nach Ansicht des Gerichts ergibt sich die Antwort auf die Frage, in welchem Umfang Verjährung vorgesehen wird, aus einer Abwägung zwischen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und jenen der Rechtmäßigkeit nach Maßgabe der geschichtlichen und sozialen Umstände, die in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit überwiegen. Ihre Festlegung ist daher allein Sache des Gesetzgebers. Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 31. Mai 2001, D und Schweden (C‑122/99 und C‑125/99 P, Slg. 2001, I‑4319, Randnrn. 37 f.) Darin hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Gemeinschaftsrichter das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften nicht so auslegen kann, dass rechtliche Fallgestaltungen wie die der eingetragenen Lebenspartnerschaft, die sich von der Ehe unterscheiden, ihr gleichgestellt werden. Nur der Gesetzgeber kann gegebenenfalls Maßnahmen erlassen, die diese Lage beeinflussen können, etwa durch eine Änderung des Statuts. Siehe ferner Urteile des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, K.B. (C‑117/01, Slg. 2004, I‑541, Randnr. 28), vom 2. Oktober 2003, International Power (früher National Power) u. a./Kommission (C‑172/01 P, C‑175/01 P, C‑176/01 P und C‑180/01 P, Slg. 2003, I‑11421, Randnr. 106), und vom 24. September 2001, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission (C‑74/00 P und C‑75/00 P, Slg. 2001, I‑7869, Randnr. 139).


81 – Vgl. Randnrn. 39 bis 45 des Schriftsatzes der irischen Regierung.


82 – Siehe Nr. 68 dieser Schlussanträge.


83 – Urteil vom 26. April 2005, Stichting „Goed Wonen“ (C‑376/02, Slg. 2005, I‑3445, Randnr. 32).


84 – Urteil des Gerichtshofs vom 15. Februar 1996, Duff u. a. (C‑63/93, Slg. 1996, I‑569, Randnr. 20); Urteil des Gerichts vom 31. Januar 2002, Hult/Kommission (T‑206/00, Slg. ÖD 2002, I‑A‑19 und II‑81, Randnr. 38).


85 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 1991, Crispoltoni (C‑368/89, Slg. 1991, I‑3695, Randnr. 17), vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep (C‑487/01 und C‑7/02, Slg. 2004, I‑5337, Randnr. 59), und Stichting „Goed Wonen“ (oben in Fn. 83 angeführt, Randnr. 33); vgl. auch EGMR, Urteil National & Provincial Building Society/Vereinigtes Königreich vom 23. Oktober 1997, Recueil des arrêts et décisions 1997-VII, § 80.


86 – Urteil Mangold (oben in Fn. 8 angeführt, Randnrn. 74 und 75).


87 – Bereits in meinen Schlussanträgen vom 4. September 2008, Kommission/Spanien (C‑338/06, Urteil vom 18. Dezember 2008, Slg. 2008, I‑0000, Nr. 60) habe ich auf die recht unbestimmte normative Aussage des Art. 42 der Richtlinie 77/91 hingewiesen.


88 – Hütte, A., a. a. O. (Fn. 63), S. 71, 82; De Cordt, Y., a. a. O. (Fn. 62), S. 255, 259; Verse, D., a. a. O. (Fn. 59), S. 562; Hüffer, U., Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., München 2002, §53a, Randnr. 4, S. 250.


89 – Hütte, A., a. a. O. (Fn. 63), S. 72.


90 – In diesem Sinne Tridimas, T., a. a. O. (Fn. 23), S. 36, 44.


91 – Ebd., S. 47.


92 – Vgl. etwa die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. L 180, S. 22), die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) und die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31).


93 – Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erklärt, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit der Begründung von Verpflichtungen für den Einzelnen durch Richtlinien entgegensteht. Dementsprechend ist für Einzelne eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich (vgl. Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, Slg. 1986, 723, Randnr. 48, vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C‑91/92, Slg. 1994, I‑3325, Randnr. 20, und vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, Slg. 2004, I‑6325, Randnr. 56).


94 – So etwa Art. 141 EG bezüglich des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass das in den Art. 12 EG, 39 EG und 49 EG ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen gilt (vgl. Urteile vom 12. Dezember 1974, Walrave, 36/74, Slg. 1974, 1405, vom 8. April 1976, 43/75, Slg. 1976, 455, Bosman, oben in Fn. 47 angeführt, und vom 6. Juni 2000, Angonese, C‑281/98, Slg. 2000, I‑4139, Randnr. 36).


95 – In diesem Sinne Preis, U., „Verbot der Altersdiskriminierung als Gemeinschaftsgrundrecht“, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Nr. 8, 2006, S. 402.


96 – Siehe Nrn. 87 und 88 dieser Schlussanträge.


97 – Siehe Nrn. 89 bis 93 dieser Schlussanträge.


98 – Siehe Nr. 94 dieser Schlussanträge.


99 – Siehe Nr. 98 dieser Schlussanträge.


100 – Siehe Nrn. 103 bis 109 dieser Schlussanträge.


101 – Siehe Nrn. 111 bis 112 dieser Schlussanträge.


102 – Siehe Nrn. 117 bis 123 dieser Schlussanträge.