URTEIL DES GERICHTSHOFES
11. November 1997(1)
[234s„Richtlinie 89/104/EWG Angleichung der Rechtsvorschriften über die Marken
Verwechslungsgefahr, die die Gefahr einer gedanklichen Verbindung
einschließt“[s
In der Rechtssache C-251/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom
Bundesgerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Sabèl BV
gegen
Puma AG, Rudolf Dassler Sport
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 4
Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter), H. Ragnemalm und
M. Wathelet sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida,
P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray, D. A. O. Edward, J. -P. Puissochet, G. Hirsch,
P. Jann und L. Sevón,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Puma AG, Rudolf Dassler Sport, vertreten durch Patentanwalt
W. Hufnagel,
- der französischen Regierung, vertreten durch C. de Salins, Abteilungsleiterin
in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und P. Martinet, Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten
in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch A. Bos, Rechtsberater im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Nicoll,
Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, Beistand: Barrister
M. Silverleaf,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater J. Grunwald und B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Sabèl BV, vertreten durch
Rechtsanwalt R. E. P. de Ranitz, Den Haag, der belgischen Regierung, vertreten
durch Rechtsanwalt A. Braun, Brüssel, der französischen Regierung, vertreten
durch P. Martinet, der luxemburgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt
N. Decker, Luxemburg, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch
L. Nicoll, Beistand: M. Silverleaf, und der Kommission, vertreten durch
J. Grunwald, in der Sitzung vom 28. Januar 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. April
1997,
folgendes
Urteil
- Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 29. Juni 1995, beim Gerichtshof
eingegangen am 20. Juli 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der
Auslegung des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG
des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie)
zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der niederländischen Firma
Sabèl BV (im folgenden: Markeninhaberin) und der deutschen Firma Puma AG,
Rudolf Dassler Sport (Widersprechende), über einen Antrag, in Deutschland die
nachfolgend abgebildete IR-Marke 540 894
Figure
Image file SABEL.WPG with height " and width "
für Waren insbesondere der folgenden Warenklassen einzutragen:
18 Cuir et imitations du cuir, produits en ces matières non compris dans
d'autres classes; sacs et sacs à main
25 Vêtements, y compris collants, chaussettes et bas, ceintures, écharpes,
cravates et bretelles; chaussures; chapellerie.
- Die Inhaberin des folgenden prioritätsälteren Bildzeichens,
Figure
Image file PUMA_2.WPG with height " and width "
das in Deutschland (unter der Nr. 1 106 066) u. a. für Leder und Lederimitationen,
Waren daraus (Taschen) und für Bekleidungsstücke eingetragen ist, hat dem
widersprochen.
- Das Deutsche Patentamt verneinte die zeichenrechtliche Übereinstimmung
zwischen den beiden Marken und wies den Widerspruch dementsprechend zurück.
Die Widersprechende legte daraufhin Beschwerde beim Bundespatentgericht ein,
das ihrem Widerspruch teilweise stattgab, da es die Übereinstimmung der Marke
der Markeninhaberin mit dem Zeichen der Widersprechenden hinsichtlich der zu
den Klassen 18 und 25 gehörenden Waren der Markeninhaberin für gegeben
erachtete, die es als gleich oder gleichartig mit Waren aus dem Warenverzeichnis
des genannten Zeichens ansah. Hiergegen legte die Markeninhaberin
Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein.
- Der Bundesgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß bei Anwendung der
Grundsätze, nach denen die zeichenrechtliche Verwechslungsgefahr bislang im
deutschen Recht beurteilt worden sei, keine Verwechslungsgefahr der beiden
Marken gegeben sei.
- Dieser vorläufigen Stellungnahme liegen folgende Erwägungen zugrunde:
- Zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr sei auf den Gesamteindruck der
betreffenden Zeichen abzustellen. Es sei nicht zulässig, ein Element aus
einer Gesamtbezeichnung herauszugreifen und die Prüfung der
Verwechslungsgefahr nur auf dieses Element zu beschränken. Dennoch
könne einem einzelnen Bestandteil eines Zeichens eine besondere, das
Gesamtzeichen prägende Kennzeichnungskraft zugemessen und deshalb bei
einer Übereinstimmung des Drittzeichens mit dem so geprägten
Gesamtzeichen eine Verwechslungsgefahr im kennzeichenrechtlichen Sinne
angenommen werden. Es gehe aber auch in einem solchen Fall immer nur
um die Betrachtung der beiden Zeichen in ihrer Gesamtheit und nicht etwa
nur der einzelnen (prägenden) Elemente.
- Einem Zeichen könne entweder von Hause aus oder kraft Verkehrsgeltung
besondere Kennzeichnungskraft zukommen. Je größer sich die
Kennzeichnungskraft eines Zeichens darstelle, um so größer sei die
Verwechslungsgefahr. Jedoch könne im vorliegenden Fall mangels eines
entsprechenden Vorbringens bei der Ähnlichkeitsprüfung der beiden
gegenüberstehenden Zeichen allenfalls von einer normalen
Kennzeichnungskraft ausgegangen werden.
- Die Beurteilung, ob einem Element eine das Gesamtzeichen prägende
Bedeutung zukomme, liege im wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet,
wobei allerdings die Denk- und Erfahrungssätze zu beachten seien. Es sei
daher rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Bundespatentgericht die
Rolle des Bildbestandteils in der Marke der Markeninhaberin
hervorgehoben und dem Wortbestandteil der Marke untergeordnete
Bedeutung beigemessen habe.
- An die Verwechslungsgefahr seien strenge Anforderungen zu stellen, wenn
sich die Zeichenbestandteile an einen beschreibenden Inhalt anlehnten und
wenig verfremdende Phantasie aufwiesen. Bei der Darstellung der
springenden Raubkatze handele es sich um einen Zeichenbestandteil, der
der Natur entnommen sei und die für Raubkatzen typische Sprungbewegung
wiedergebe. Die Besonderheiten der Darstellung der springenden
Raubkatze in der Marke der Widersprechenden, beispielsweise deren
Darstellung in einem scherenschnittartigen Schattenbild, seien bei der
Marke der Markeninhaberin nicht anzutreffen. Die sinngemäße
Übereinstimmung des Zeichenbestandteils beider Zeichen könne deshalb
nicht zur Begründung einer Verwechslungsgefahr herangezogen werden.
- Der Bundesgerichtshof fragt sich allerdings, welche Bedeutung dem Sinngehalt der
Marken (im vorliegenden Fall eine „springende Raubkatze“) im Rahmen der
Beurteilung der Verwechslungsgefahr zukommt; diese Schwierigkeit ergebe sich
insbesondere aus der nicht eindeutigen Wortwahl des Artikels 4 Absatz 1
Buchstabe b der Richtlinie, wonach diese Gefahr „die Gefahr einschließt, daß die
Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird“. Fraglich
sei, ob die rein assoziative gedankliche Verbindung, die der Verkehr über den
Begriff der „springenden Raubkatze“ mit den beiden Marken herstellen könne, es
rechtfertige, der Marke der Markeninhaberin für Deutschland den Schutz für die
den Waren aus dem Warenverzeichnis der prioritätsälteren Marke der
Widersprechenden ähnlichen Waren zu versagen.
- Die Richtlinie, die in Deutschland durch das Gesetz über den Schutz von Marken
und sonstigen Kennzeichen vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082) umgesetzt
wurde, bestimmt in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b:
„(1) Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Falle der
Eintragung der Ungültigkeitserklärung,
- ...
- wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der
Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfaßten Waren
oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen
besteht, die die Gefahr einschließt, daß die Marke mit der älteren Marke
gedanklich in Verbindung gebracht wird.“
- In der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es:
„Zweck des durch die eingetragene Marke gewährten Schutzes ist es, insbesondere
die Herkunftsfunktion der Marke zu gewährleisten; dieser Schutz ist absolut im
Falle der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den Waren
oder Dienstleistungen. Der Schutz erstreckt sich ebenfalls auf Fälle der Ähnlichkeit
von Zeichen und Marke und der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen. Es ist
unbedingt erforderlich, den Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die
Verwechslungsgefahr auszulegen. Die Verwechslungsgefahr stellt die spezifische
Voraussetzung für den Schutz dar; ob sie vorliegt, hängt von einer Vielzahl von
Umständen ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke im Markt, der
gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr
hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem
Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen.
Bestimmungen über die Art und Weise der Feststellung der Verwechslungsgefahr,
insbesondere über die Beweislast, sind Sache nationaler Verfahrensregeln, die von
der Richtlinie nicht berührt werden.“
- Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof im Wege
der Vorabentscheidung über folgende Frage nach der Auslegung von Artikel 4
Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken
entschieden hat:
Genügt es zur Bejahung der Gefahr der Verwechslung eines aus Wort und Bild
zusammengesetzten Zeichens mit einem für gleiche und ähnliche Waren lediglich
als Bild eingetragenen Zeichen, das keine besondere Verkehrsbekanntheit genießt,
daß die beiden Bilder in ihrem Sinngehalt (hier: springende Raubkatze)
übereinstimmen?
Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Wortlaut der Richtlinie
zu, wonach die Verwechslungsgefahr die Gefahr einschließt, daß die Marke mit der
älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird?
- Mit seiner Vorabentscheidungsfrage möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob die
rein assoziative gedankliche Verbindung, die der Verkehr über die
Übereinstimmung des Sinngehalts zweier Marken zwischen diesen herstellen
könnte, unter Berücksichtigung des Umstands, daß sich eine der Marken aus Wort
und Bild zusammensetzt, während die andere Marke für identische oder ähnliche
Waren lediglich als Bild eingetragen ist und keine besondere Verkehrsbekanntheit
genießt, eine „Gefahr von Verwechslungen ..., die die Gefahr einschließt, daß die
Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird“, im Sinne
des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie begründet.
- Artikel 4 der Richtlinie, in dem weitere Eintragungshindernisse oder
Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten definiert sind, sieht in Absatz
1 Buchstabe b vor, daß eine Marke mit einer älteren Marke kollidiert, wenn wegen
der Identität oder Ähnlichkeit sowohl der Marken als auch der erfaßten Waren
oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht,
die die Gefahr einschließt, daß die Marke mit der älteren Marke gedanklich in
Verbindung gebracht wird.
- Im wesentlichen gleichlautende Bestimmungen finden sich im übrigen in Artikel 5
Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie, in dem die Fälle festgelegt sind, in
denen der Inhaber einer Marke Dritten die Benutzung von Zeichen verbieten kann,
die mit seinem Zeichen identisch oder ihm ähnlich sind, sowie in den Artikeln 8
Absatz 1 Buchstabe b und 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 40/94
des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11,
S. 1).
- Die belgische, die luxemburgische und die niederländische Regierung machen
geltend, daß der Begriff der „Gefahr der gedanklichen Verbindung“ auf ihr
Betreiben in die vorgenannten Bestimmungen der Richtlinie aufgenommen worden
sei, damit diese genauso ausgelegt werden könnten wie Artikel 13 A des
Einheitlichen Beneluxgesetzes über die Warenzeichen, in dem zur Abgrenzung des
Umfangs des ausschließlichen Rechts aus der Marke nicht der Begriff der
Verwechslungsgefahr, sondern der Begriff der Ähnlichkeit zwischen den Marken
verwendet werde.
- Sie verweisen auf ein Urteil des Benelux-Gerichtshofes, wonach eine Ähnlichkeit
zwischen einer Marke und einem Zeichen vorliege, wenn unter Berücksichtigung
der besonderen Umstände des Falles und insbesondere der Unterscheidungskraft
der Marke Marke und Zeichen, jeweils insgesamt und in ihrer wechselseitigen
Beziehung betrachtet, einander im Klang, im Bild oder in der Bedeutung so sehr
glichen, daß bereits hierdurch die Möglichkeit bestehe, daß in einer Person, die mit
dem Zeichen konfrontiert werde, gedankliche Verbindungen zwischen dem Zeichen
und der Marke hervorgerufen würden (Urteil vom 20. Mai 1983,
Jullien/Verschuere, A 82/5, Jur. 1983, Teil 4, S. 36). Diese Rechtsprechung beruhe
auf dem Gedanken, daß der Verkehr einen Zusammenhang zwischen Zeichen und
Marke herstelle, wenn ein Zeichen geeignet sei, gedankliche Verbindungen zu einer
Marke hervorzurufen. Ein solcher Zusammenhang könne der älteren Marke nicht
nur dann schaden, wenn dadurch die Annahme begründet werden könne, daß dieWaren gleicher oder ähnlicher Herkunft seien, sondern auch dann, wenn keine
Gefahr der Verwechslung von Zeichen und Marke bestehe. Gedankliche
Verbindungen zwischen einem Zeichen und einer Marke könnten nämlich, da die
Wahrnehmung des Zeichens häufig unbewußt an die Marke erinnere, den an die
ältere Marke geknüpften „Goodwill“ auf das Zeichen übertragen und das mit
dieser Marke verbundene Image verwässern.
- Nach Ansicht der genannten Regierungen umfaßt die Gefahr der gedanklichen
Verbindung daher drei Fallgestaltungen, und zwar erstens den Fall, daß das
Publikum das Zeichen und die betreffende Marke verwechsle (unmittelbare
Verwechslungsgefahr), zweitens den Fall, daß das Publikum einen Zusammenhang
zwischen dem Inhaber des Zeichens und dem Inhaber der Marke herstelle und sie
miteinander verwechsle (mittelbare Verwechslungsgefahr oder Gefahr der
gedanklichen Verbindung), und drittens den Fall, daß das Publikum einen
Zusammenhang zwischen dem Zeichen und der Marke sehe, da die Wahrnehmung
des Zeichens die Erinnerung an die Marke wecke, obwohl beide nicht verwechselt
würden (Gefahr der gedanklichen Verbindung im eigentlichen Sinne).
- Daher ist zu entscheiden, ob wie die genannten Regierungen vortragen Artikel
4 Absatz 1 Buchstabe b Anwendung finden kann, wenn keine unmittelbare oder
mittelbare Verwechslungsgefahr, sondern lediglich eine Gefahr der gedanklichen
Verbindung im eigentlichen Sinne besteht. Sowohl die Regierung des Vereinigten
Königreichs als auch die Kommission wenden sich gegen eine solche Auslegung.
- Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ist nur dann anwendbar, wenn wegen
der Identität oder Ähnlichkeit sowohl der Marken als auch der erfaßten Waren
oder Dienstleistungen „für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht,
die die Gefahr einschließt, daß die Marke mit der älteren Marke gedanklich in
Verbindung gebracht wird“. Aus diesem Wortlaut ergibt sich, daß der Begriff der
Gefahr der gedanklichen Verbindung keine Alternative zum Begriff der
Verwechslungsgefahr darstellt, sondern dessen Umfang genauer bestimmen soll.
Bereits nach ihrem Wortlaut ist diese Bestimmung daher nicht anwendbar, wenn
für das Publikum keine Verwechslungsgefahr besteht.
- Für diese Auslegung spricht auch die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie,
aus der hervorgeht, daß „die Verwechslungsgefahr ... die spezifische Voraussetzung
für den Schutz dar[stellt]“.
- Gegen die in Randnummer 18 vertretene Auslegung sprechen auch nicht die
Artikel 4 Absätze 3 und 4 Buchstabe a sowie 5 Absatz 2 der Richtlinie, wonach der
Inhaber einer bekannten Marke es sogar dann, wenn die betreffenden Waren nicht
ähnlich sind, verbieten kann, mit seiner Marke identische oder ihr ähnliche Zeichen
ohne rechtfertigenden Grund zu benutzen, ohne daß eine Verwechslungsgefahr
nachgewiesen werden müßte.
- Diese Bestimmungen gelten nämlich anders als Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b
ausschließlich für bekannte Marken, und zwar unter der Voraussetzung, daß die
Benutzung der Drittmarke ohne rechtfertigenden Grund deren
Unterscheidungskraft oder Wertschätzung in unlauterer Weise ausnutzt oder
beeinträchtigt.
- Wie bereits in Randnummer 18 festgestellt, ist Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b nicht
anwendbar, wenn für den Verkehr keine Verwechslungsgefahr besteht. Insoweit
geht aus der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie hervor, daß das
Vorliegen einer Verwechslungsgefahr „von einer Vielzahl von Umständen
ab[hängt], insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke im Markt, der
gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr
hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem
Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen“.
Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr ist also unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen.
- Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der
betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den
Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die
sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Aus
dem Wortlaut des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie, wonach „für das
Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht“, geht nämlich hervor, daß es
für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr entscheidend darauf
ankommt, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Art von Waren
oder Dienstleistungen wirkt. Der Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke aber
normalerweise als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen
Einzelheiten.
- Die Verwechslungsgefahr ist um so größer, je größer sich die Kennzeichnungskraft
der älteren Marke darstellt. Daher kann bei einer Ähnlichkeit in der Bedeutung,
die sich daraus ergibt, daß bei zwei Marken Bilder benutzt werden, die in ihrem
Sinngehalt übereinstimmen, eine Verwechslungsgefahr dann bestehen, wenn der
älteren Marke entweder von Hause aus oder kraft Verkehrsgeltung eine besondere
Kennzeichnungskraft zukommt.
- Unter Umständen, wie sie im Ausgangsfall vorliegen, in dem die ältere Marke
keine besondere Verkehrsgeltung hat und aus einem Bild besteht, das wenig
verfremdende Phantasie aufweist, reicht die bloße Ähnlichkeit in der Bedeutung
nicht aus, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen.
- Daher ist auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zu antworten, daß die
rein assoziative gedankliche Verbindung, die der Verkehr über die
Übereinstimmung des Sinngehalts zweier Marken zwischen diesen herstellen
könnte, für sich genommen keine „Gefahr von Verwechslungen ..., die die Gefahr
einschließt, daß die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung
gebracht wird“, im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie
begründet.
Kosten
- Die Auslagen der belgischen, der französischen, der luxemburgischen und der
niederländischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 29. Juni 1995 vorgelegte
Frage für Recht erkannt:
Die rein assoziative gedankliche Verbindung, die der Verkehr über die
Übereinstimmung des Sinngehalts zweier Marken zwischen diesen herstellen
könnte, begründet für sich genommen keine „Gefahr von Verwechslungen ..., die
die Gefahr einschließt, daß die Marke mit der älteren Marke gedanklich in
Verbindung gebracht wird“, im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der
Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken.
Rodríguez IglesiasGulmann
Ragnemalm
Wathelet Mancini Moitinho de Almeida Kapteyn Murray Edward Puissochet Hirsch Jann Sevón
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. November 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
1: Verfahrenssprache: Deutsch.