Language of document : ECLI:EU:T:2012:673

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

12. Dezember 2012(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrie im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und des Vereinigten Königreichs – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Festsetzung der Preise und Aufteilung des Marktes – Geldbußen – Begründungspflicht – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Leitlinien von 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Leistungsfähigkeit“

In der Rechtssache T‑352/09

Novácke chemické závody a.s. mit Sitz in Nováky (Slowakische Republik), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwältin A. Černejová, dann Rechtsanwälte M. Boľoš und L. Bányaiová,

Klägerin,

unterstützt durch

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre, N. von Lingen und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 5791 endg. der Kommission vom in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und Gasindustrie), soweit sie die Klägerin betrifft, und, hilfsweise, Nichtigerklärung oder Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerin verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz, der Richterin I. Labucka und des Richters D. Gratsias (Berichterstatter),

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit ihrer Entscheidung K(2009) 5791 endg. vom in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und Gasindustrie) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Hauptlieferanten von Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrie gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen hätten, indem sie sich vom bis an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung beteiligt hätten. Diese habe in Marktaufteilung, Quotenabsprachen, Aufteilung von Kunden, Preisfestsetzung und dem Austausch vertraulicher Geschäftsinformationen über Preise, Kunden und Verkaufsvolumen im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und des Vereinigten Königreichs bestanden.

2        Das Verfahren wurde im Anschluss an einen Antrag der Akzo Nobel NV auf Geldbußenerlass gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3) eingeleitet.

3        Die Klägerin, die Novácke chemické závody a.s., stellt u. a. Calciumcarbid her. In Art. 1 Buchst. e der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die Klägerin während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung an ihr beteiligt gewesen sei, und verhängte in Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Entscheidung gegen sie als Gesamtschuldnerin mit der 1. Garantovaná a.s., ihrer damaligen Muttergesellschaft, eine Geldbuße von 19,6 Mio. Euro.

 Verfahren und Anträge der Parteien

4        Mit Klageschrift, die am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

5        Mit einem weiteren, am selben Tag bei der Kanzlei eingegangenen und unter dem Aktenzeichen T‑352/09 R eingetragenen besonderen Schriftsatz hat die Klägerin ferner einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Sinne der Art. 242 EG und 243 EG und der Art. 104 ff. der Verfahrensordnung des Gerichts gestellt. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom , Novácke chemické závody/Kommission (T‑352/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), ist dieser Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen worden.

6        Mit Schreiben, das am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin dem Gericht mitgeteilt, dass sie für insolvent erklärt worden sei. Mit einem weiteren Schreiben, das am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat sie das Gericht von der Bestellung eines neuen Vertreters durch den Insolvenzverwalter unterrichtet. Sie hat hinzugefügt, das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache müsse nach den bei Insolvenz einer Partei eines anhängigen Verfahrens anwendbaren Vorschriften des slowakischen Rechts ausgesetzt werden. Da das Gericht in diesem Schreiben sinngemäß einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache gesehen hat, hat es die Kommission um Stellungnahme zu diesem Antrag gebeten. Die Kommission ist in ihrer Stellungnahme, die am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, der in Betracht gezogenen Aussetzung des Verfahrens entgegengetreten.

7        Mit Beschluss vom hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache nach Art. 77 Buchst. d der Verfahrensordnung bis zum ausgesetzt, um dem Insolvenzverwalter der Klägerin die Entscheidung zu ermöglichen, ob er das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache im Namen der Klägerin weiterführen oder die Klage zurücknehmen wolle.

8        Mit Schreiben, das am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission die Wiederaufnahme des Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache beantragt. Da die Klägerin zu diesem Antrag nicht fristgemäß Stellung genommen hat, hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts mit Beschluss vom das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache wiederaufgenommen.

9        Mit Schriftsatz, der am bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Slowakische Republik beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom , berichtigt durch Beschluss vom , hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts diesem Antrag stattgegeben. Die Slowakische Republik hat am einen Streithilfeschriftsatz eingereicht.

10      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der ursprüngliche Berichterstatter der Dritten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist. Wegen der teilweisen Neubesetzung des Gerichts ist die vorliegende Rechtssache einem neuen Berichterstatter derselben Kammer zugewiesen worden.

11      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung erstens die Klägerin und die Kommission aufgefordert, bestimmte Schriftstücke vorzulegen, zweitens die Klägerin aufgefordert, eine Frage zu beantworten, und drittens alle Beteiligten aufgefordert, eine weitere Frage zu beantworten. Die Beteiligten sind diesen Aufforderungen, außer in Bezug auf ein Schriftstück, um dessen Vorlage die Kommission gebeten worden ist, nachgekommen.

12      Mit Beschluss vom hat das Gericht im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme nach Art. 65 der Verfahrensordnung angeordnet, dass die Kommission das Schriftstück vorlegt, das sie im Rahmen der in der vorstehenden Randnummer genannten prozessleitenden Maßnahmen nicht unterbreitet hatte. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

13      Die Parteien haben in der Sitzung vom mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

14      Die Slowakische Republik hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, ein weiteres Schriftstück vorlegen zu dürfen. Da die anderen Beteiligten keine Einwände dagegen erhoben haben, hat das Gericht die Vorlage des fraglichen Schriftstücks genehmigt und den anderen Beteiligten eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme zu diesem Schriftstück gesetzt. Das mündliche Verfahren ist nach Eingang der Stellungnahmen der anderen Beteiligten zu dem von der Slowakischen Republik vorgelegten Schriftstück am geschlossen worden.

15      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung, soweit sie betroffen ist, für nichtig zu erklären und folglich die gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben;

–        hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben oder erheblich herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16      Die Slowakische Republik unterstützt den Antrag der Klägerin, die gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben oder erheblich herabzusetzen.

17      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

18      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe; mit ihnen rügt sie erstens einen Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Bemessung der Geldbuße, zweitens einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften, einen Tatsachenirrtum und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, da die Kommission es abgelehnt habe, die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Sinne von Ziff. 35 ihrer Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien) zu berücksichtigen, und drittens einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Bemessung der Geldbuße

 Leitlinien

19      Wie aus dem 285. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, sind die gegen die Klägerin und die übrigen Mitglieder des fraglichen Kartells verhängten Geldbußen nach den von der Kommission veröffentlichten Leitlinien festgesetzt worden.

20      Nach den Ziff. 9 bis 11 der Leitlinien erfolgt die Berechnung der Geldbuße nach einer zweistufigen Methode.

21      Zuerst setzt die Kommission für jedes einzelne Unternehmen oder jede einzelne Unternehmensvereinigung einen Grundbetrag fest. Sie verwendet hierbei den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen (Ziff. 13). Zur Bestimmung des Grundbetrags wird ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet, mit der Anzahl der Jahre der Zuwiderhandlung multipliziert (Ziff. 19). Zeiträume von mehr als sechs Monaten bis zu einem Jahr werden mit einem ganzen Jahr angerechnet (Ziff. 24). Grundsätzlich können bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden (Ziff. 21).

22      Ziff. 22 der Leitlinien sieht vor, dass „[b]ei der Bestimmung der genauen Höhe innerhalb dieser Bandbreite … die Kommission mehrere Umstände [berücksichtigt], u. a. die Art der Zuwiderhandlung, den kumulierten Marktanteil sämtlicher beteiligten Unternehmen, den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die etwaige Umsetzung der Zuwiderhandlung in der Praxis“.

23      Zusätzlich bestimmt Ziff. 25 der Leitlinien, dass, „unabhängig von der Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung, … die Kommission einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des Umsatzes im Sinne von Abschnitt A hinzu[fügt], um die Unternehmen von vornherein an der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken“.

24      Zweitens kann die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße, der in der ersten Stufe festgesetzt wird, nach oben oder nach unten berichtigen. So sieht Ziff. 28 der Leitlinien die Erhöhung dieses Betrags vor, wenn die Kommission erschwerende Umstände wie die in dieser Ziffer genannten feststellt. Die Wiederholung, d. h. eine „Fortsetzung einer Zuwiderhandlung oder [ein] erneutes Begehen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung, nachdem die Kommission oder eine einzelstaatliche Wettbewerbsbehörde festgestellt hat, dass das Unternehmen gegen Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] verstoßen hatte“, gehört zu den in dieser Ziffer genannten erschwerenden Umständen und rechtfertigt eine Erhöhung um bis zu 100 % des Grundbetrags der Geldbuße (siehe Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien). Die Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes gespielt zu haben, stellt nach Ziff. 28 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ebenfalls einen erschwerenden Umstand dar.

25      Zudem ist ein Aufschlag auf die Geldbuße zur Gewährleistung einer abschreckenden Wirkung vor allem nach Ziff. 30 der Leitlinien vorgesehen, wonach „[d]ie Kommission … besonders darauf achten [wird], dass die Geldbußen eine ausreichend abschreckende Wirkung entfalten; zu diesem Zweck kann sie die Geldbuße gegen Unternehmen erhöhen, die besonders hohe Umsätze mit Waren oder Dienstleistungen, die nicht mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen, erzielt haben“.

26      Ferner sieht Ziff. 29 der Leitlinien vor, dass der Grundbetrag der Geldbuße verringert werden kann, wenn die Kommission mildernde Umstände wie beispielsweise die in dieser Ziffer aufgeführten feststellt. Nach Ziff. 29 zweiter Gedankenstrich stellt die Kommission mildernde Umstände fest, wenn das Unternehmen Beweise beibringt, dass die Zuwiderhandlung aus Fahrlässigkeit begangen wurde. Des Weiteren stellt die Kommission nach Ziff. 29 vierter Gedankenstrich mildernde Umstände bei einer „aktive[n] Zusammenarbeit des Unternehmens mit [ihr] außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen und über seine rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinaus“ fest.

27      Hierbei unterliegt, wie aus dem 339. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung folgt, die Zusammenarbeit der Unternehmen mit der Kommission seit dem der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3; im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2002), die ab dem durch eine neue Mitteilung der Kommission (ABl. 2006, C 298, S. 17; im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2006) ersetzt worden ist. Da sich Akzo Nobel mit der Kommission mit einem Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung ab dem , d. h. vor dem Inkrafttreten der Kronzeugenregelung von 2006, in Verbindung gesetzt hat, finden vorliegend die Kronzeugenregelung von 2002 sowie ausnahmsweise nach Ziff. 37 der Kronzeugenregelung von 2006 die Ziff. 31 bis 35 der Kronzeugenregelung von 2006 Anwendung.

28      Ziff. 35 der Leitlinien sieht schließlich im Hinblick auf eine mögliche Herabsetzung der Geldbuße die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld vor.

 Angefochtene Entscheidung

29      Der Umsatz jedes Kartellmitglieds im letzten vollständigen Geschäftsjahr seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung, den die Kommission der Festsetzung der Geldbuße zugrunde gelegt hat, ist in einer Tabelle im 288. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung angegeben. Es ergibt sich daraus ein Umsatz der Klägerin mit Calciumcarbidpulver im Jahr 2006 zwischen 5 und 10 Mio. Euro. Der Umsatz mit Calciumcarbidgranulat lag zwischen 20 und 25 Mio. Euro.

30      Dem 294. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ist zu entnehmen, dass die Kommission die streitige Zuwiderhandlung ihrer Art nach als eine der schwerwiegendsten Wettbewerbsbeschränkungen ansah.

31      Ferner stellte die Kommission im 299. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung fest, dass sich das fragliche Kartell auf Kunden im EWR mit Ausnahme von Spanien, Portugal, dem Vereinigten Königreich und Irland bezogen habe.

32      Im 301. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung setzte die Kommission für alle Kartellmitglieder den Anteil des zu berücksichtigenden Umsatzes „in Anbetracht der besonderen Umstände dieses Falles“ und „unter Berücksichtigung der in Randnrn. (294) bis (299) erörterten Kriterien“ auf 17 % fest.

33      Unter Berücksichtigung der Überlegungen zur Dauer der Zuwiderhandlung in den Erwägungsgründen 302 und 303 der angefochtenen Entscheidung gab die Kommission in einer Tabelle im 304. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung für jedes von dieser Entscheidung betroffene Unternehmen den Multiplikator an, der nach Maßgabe der Dauer der Teilnahme des Unternehmens an der festgestellten Zuwiderhandlung bestimmt worden ist. Für die Klägerin setzte die Kommission einen Multiplikator von 2,5 für Calciumcarbidpulver und von 3 für Calciumcarbidgranulat fest.

34      Darüber hinaus setzte die Kommission im 306. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung den Prozentsatz des Umsatzes fest, der dem Zusatzbetrag entspreche, der nach Ziff. 25 der Leitlinien der Geldbuße hinzuzufügen sei, „[i]n Anbetracht der besonderen Umstände dieses Falles … unter Berücksichtigung der oben erörterten Kriterien in Bezug auf die Art der Zuwiderhandlung und [ihre] räumliche Ausdehnung“ vorliegend 17 %.

35      Der 308. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung enthält eine Tabelle, die den Grundbetrag der Geldbuße für jedes Mitglied angibt. Für die Klägerin beläuft sich dieser Betrag auf 19,6 Mio. Euro.

36      In den Erwägungsgründen 309 bis 312 der angefochtenen Entscheidung prüfte die Kommission, ob der Grundbetrag der Geldbuße aufgrund erschwerender Umstände der Höhe nach anzupassen sei. Bei zwei Kartellmitgliedern, Akzo Nobel und der Degussa AG, die zum Zeitpunkt der Annahme der angefochtenen Entscheidung die Evonik Degussa GmbH geworden sei, hätten solche Umstände vorgelegen, da sie Wiederholungstäter gewesen seien. In Bezug auf die Klägerin wurden keine erschwerenden Umstände genannt.

37      In den Erwägungsgründen 313 bis 333 der angefochtenen Entscheidung prüfte die Kommission, ob bei einem oder mehreren Kartellmitgliedern mildernde Umstände vorgelegen hätten. Insbesondere untersuchte sie nacheinander die von allen Mitgliedern vorgetragenen Argumente einer begrenzten Teilnahme an dem Kartell (Erwägungsgründe 313 bis 316), die von bestimmten Mitgliedern vorgetragenen Argumente einer mangelnden Umsetzung der Kartellvereinbarungen und eines Ausbleibens von Gewinnen aufgrund ihrer Beteiligung an dem Kartell (Erwägungsgründe 317 bis 320), die von bestimmten Mitgliedern, u. a. der Klägerin, vorgetragenen Argumente einer wirksamen Zusammenarbeit mit der Kommission außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2006 (Erwägungsgründe 321 bis 327 der angefochtenen Entscheidung) und die von mehreren Mitgliedern vorgetragenen Argumente der wirtschaftlich schwierigen Lage der Anbieter von Calciumcarbid und Magnesium vor und während der Zeit der Zuwiderhandlung (Erwägungsgründe 328 bis 331). Die Kommission gelangte in allen Fällen zu dem Ergebnis, dass keine mildernden Umstände vorlägen (Erwägungsgründe 314, 320, 327 und 331 der angefochtenen Entscheidung).

38      In den Erwägungsgründen 335 bis 360 der angefochtenen Entscheidung prüfte die Kommission, ob bei einem oder mehreren Kartellmitgliedern die Kronzeugenregelung von 2002 Anwendung finde. Aus dem 358. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Klägerin am einen entsprechenden Antrag gestellt hatte (im Folgenden: Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung). Im selben Erwägungsgrund stellte die Kommission fest, dass der Antrag mehr als ein Jahr nach den Nachprüfungen – und obwohl die Klägerin Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 erhalten habe – gestellt worden sei. Der Antrag habe keinen erheblichen Mehrwert gebracht, da die Klägerin nur Ereignisse im Zusammenhang mit Calciumcarbidpulver gemeldet habe, hinsichtlich dessen die Kommission damals bereits über ausreichende Beweismittel verfügt habe. Daher hätten die von der Klägerin übermittelten Informationen nach ihrer Art oder ihrer Genauigkeit der Kommission nicht mehr zu einem besseren Nachweis des Sachverhalts verhelfen können. Aus diesen Gründen habe der Klägerin keine Herabsetzung der Geldbuße gewährt werden können.

39      Hingegen gewährte die Kommission Akzo Nobel einen Geldbußenerlass (Erwägungsgründe 335 und 336 der angefochtenen Entscheidung), der Donau Chemie AG eine Herabsetzung der Geldbuße um 35 % (346. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung) und Evonik Degussa eine Herabsetzung der Geldbuße um 20 % (356. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Sie wies den Antrag der Almamet GmbH auf Geldbußenerlass oder ‑herabsetzung zurück (349. Erwägungsgrund) und befand, dass der SKW Stahl-Metallurgie GmbH, der SKW Stahl-Metallurgie AG und der Arques Industries AG die Herabsetzung der Geldbuße, die Evonik Degussa gewährt worden sei, nicht zugutekommen könne, da die Letztgenannte ihren Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung nur im eigenen Namen gestellt habe (357. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

40      Im 361. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung werden die zu verhängenden Geldbußen angegeben. Für die Klägerin beläuft sich die Höhe auf 19,6 Mio. Euro.

41      In den Erwägungsgründen 362 bis 378 der angefochtenen Entscheidung prüfte die Kommission schließlich die Anträge mehrerer Kartellmitglieder auf Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien. Die Kommission wies den entsprechenden Antrag der Klägerin (377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung) sowie die Anträge anderer Kartellmitglieder zurück, gewährte jedoch Almamet eine Herabsetzung der Geldbuße um 20 % (372. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

 Zu den Rügen der Klägerin

42      Die Klägerin macht geltend, die Festsetzung der von der Kommission gegen sie verhängten Geldbuße verstoße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung. Sie trägt hierzu fünf Rügen vor, die erstens auf die abschreckende Wirkung der Geldbuße, zweitens auf die erschwerenden Umstände, drittens auf die mildernden Umstände, viertens auf die Ermäßigung der gegen Almamet festgesetzten Geldbuße und fünftens auf die Bemessung der Geldbuße im Verhältnis zu den Gesamtumsätzen der Adressaten der angefochtenen Entscheidung Bezug nehmen. Diese Rügen werden im Anschluss an einige Vorbemerkungen nacheinander geprüft. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin eine Rüge zu dem für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße zu berücksichtigenden Umsatz vorgetragen. Diese Rüge sei bereits in der Klageschrift enthalten. Die Kommission hat ihrerseits geltend gemacht, es handele sich um eine neue Rüge, die nicht auf während des Verfahrens zutage getretenen Gründen beruhe und daher unzulässig sei. Diese Rüge wird als letzte geprüft.

–       Vorbemerkungen

43      Die Kommission verfügt bei der Festsetzung der Geldbußen über ein Ermessen, um die Unternehmen dazu anhalten zu können, die Wettbewerbsregeln einzuhalten (vgl. Urteil des Gerichts vom , Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 216 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Wie die Klägerin geltend macht, muss die Kommission jedoch, wenn sie beschließt, Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht zu verhängen, stets die allgemeinen Rechtsgrundsätze berücksichtigen, zu denen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung durch die Unionsgerichte gehören (Urteil des Gerichts vom , Schindler Holding u. a./Kommission, T‑138/07, Slg. 2011, II‑4819, Randnr. 105).

45      Bei der Festsetzung einer Geldbuße berücksichtigt die Kommission nach Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowohl die Schwere einer Zuwiderhandlung als auch deren Dauer. Die Kommission muss nach der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang insbesondere sicherstellen, dass ihr Vorgehen abschreckende Wirkung hat (Urteil des Gerichtshofs vom , Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 106, und Urteil des Gerichts vom , Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnr. 272).

46      Wird mit dem Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten, nicht die Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen im Rahmen der Umsetzung einer Wettbewerbspolitik begründet, so verlangt es, dass die Geldbuße angepasst wird, um der gewünschten Auswirkung auf das Unternehmen, gegen das sie verhängt wird, Rechnung zu tragen, damit sie im Einklang mit den Anforderungen, die sich aus der Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten, und der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Finanzkraft des betreffenden Unternehmens weder zu niedrig noch zu hoch ausfällt (Urteile des Gerichts Degussa/Kommission, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 283, und vom , Hoechst/Kommission, T‑410/03, Slg. 2008, II‑881, Randnr. 379).

47      Was die Leitlinien betrifft, hat die Kommission nach ständiger Rechtsprechung dadurch, dass sie derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung kundgetan hat, dass sie sie von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, selbst die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und darf nicht von ihnen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung oder den Vertrauensschutz geahndet würde (Urteil des Gerichtshofs vom , Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 211; Urteile des Gerichts vom , Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, Slg. 2008, II‑2567, Randnr. 44, und vom , Amann & Söhne und Cousin Filterie/Kommission, T‑446/05, Slg. 2010, II‑1255, Randnr. 146).

48      Wie die Klägerin im Übrigen einräumt, folgt daraus, dass bei der Festsetzung der gegen ein Unternehmen nach Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 zu verhängenden Geldbuße die Berücksichtigung der Leitlinien als solche keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung darstellt, sondern im Gegenteil vor allem zur Beachtung des zweiten Grundsatzes erforderlich sein kann. Umgekehrt entbindet jedoch allein die Beachtung der in den Leitlinien verankerten Methode zur Festsetzung der Geldbußen die Kommission nicht von der Verpflichtung, sicherzustellen, dass die in einem bestimmten Fall verhängte Geldbuße den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung entspricht. Zudem hat sich die Kommission in Ziff. 37 der Leitlinien selbst das Recht vorbehalten, von der Methode oder den Grenzen, die in diesen Leitlinien festgelegt sind, abzuweichen, wenn die Besonderheiten eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung der Geldbuße dies rechtfertigen.

49      Darüber hinaus verfügt das Gericht bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, mit denen gegen Unternehmen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln Geldbußen festgesetzt werden, über zweierlei Befugnisse (Urteil des Gerichtshofs vom , SCA Holding/Kommission, C‑297/98 P, Slg. 2000, I‑10101, Randnr. 53).

50      Zum einen hat es ihre Rechtmäßigkeit und in diesem Rahmen die Beachtung der Begründungspflicht zu überprüfen (Urteil SCA Holding/Kommission, oben in Randnr. 49 angeführt, Randnr. 54) und muss darüber hinaus eine gründliche rechtliche wie tatsächliche Kontrolle auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgelegten Beweise vornehmen (Urteil des Gerichtshofs vom , KME Germany u. a./Kommission, C‑389/10 P, Slg. 2011, I‑13125, Randnr. 129).

51      Zum anderen wird diese Rechtmäßigkeitskontrolle durch die dem Unionsrichter durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt (Urteil KME Germany u. a./Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 130). Über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus, die nur die Zurückweisung der Nichtigkeitsklage oder die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts ermöglicht, ermächtigt seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung den Unionsrichter, den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände abzuändern (Urteile des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 692, und vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 86). Er kann somit die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen (Urteil KME Germany u. a./Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 130).

52      Die von der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes geltend gemachten Rügen sind im Licht dieser allgemeinen Erwägungen zu prüfen.

–       Zur ersten, die abschreckende Wirkung der Geldbuße betreffenden Rüge

53      Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass die gegen ein an einem Kartell beteiligtes Unternehmen festgesetzte Geldbuße eine spezifische abschreckende Wirkung für das betreffende Unternehmen aufweisen müsse. Es bedürfe insofern eines einzelfallbezogenen Ansatzes, da eine Geldbuße von bestimmter Höhe gegenüber einem Unternehmen eine abschreckende Wirkung entfalten könne, gegenüber einem anderen aber nicht. Daraus folge, dass der Betrag nach Ziff. 25 der Leitlinien nicht für alle Kartellmitglieder in derselben Höhe festgesetzt werden müsse. Das Gericht habe im Urteil Degussa/Kommission (oben in Randnr. 45 angeführt) bestätigt, dass für jedes Mitglied unterschiedliche Abschreckungsmultiplikatoren zu verwenden seien.

54      Zudem habe die Kommission in der vorliegenden Rechtssache keinen Gebrauch von ihrer Befugnis gemäß Ziff. 30 der Leitlinien gemacht, die Geldbuße zu erhöhen, um eine ausreichend abschreckende Wirkung sicherzustellen. Eine solche Erhöhung hätte hinsichtlich der Kartellmitglieder vorgesehen werden können, die die höchsten Gesamtumsätze erzielt hätten, nämlich Akzo Nobel, die Ecka Granulate GmbH & Co. KG (im Folgenden: Ecka) und Evonik Degussa. Schließlich hätten die Wiederholungstäter Akzo Nobel und Evonik Degussa mit höheren Geldbußen belegt werden müssen als die Klägerin, die bei der Zuwiderhandlung nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Die Berücksichtigung allein der Tatwiederholung als erschwerender Umstand nach Ziff. 28 der Leitlinien sei nicht ausreichend.

55      Was vorab die Schlüssigkeit des in der vorstehenden Randnummer zusammengefassten Vorbringens betrifft, schließt die dem Unionsrichter verliehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausdrücklich die Befugnis ein, die verhängte Geldbuße gegebenenfalls zu erhöhen. Im Fall einer ungleichen Behandlung mehrerer an einer Zuwiderhandlung Beteiligter, die daraus resultiert, dass die Schwere des rechtswidrigen Verhaltens der einen im Vergleich zu der Schwere des rechtswidrigen Verhaltens der anderen unterbewertet worden ist, besteht, um ein gerechtes Gleichgewicht wiederherzustellen, die angemessenste Lösung darin, die Geldbuße, die gegen Erstere verhängt worden ist, zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom , JFE Engineering u. a./Kommission, T‑67/00, T‑68/00, T‑71/00 und T‑78/00, Slg. 2004, II‑2501, Randnr. 576).

56      Eine solche Erhöhung kann jedoch nur dann erfolgen, wenn die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen, deren Geldbuße zu erhöhen ist, diese vor dem Gericht angefochten haben und Gelegenheit bekamen, sich zu einer solchen Erhöhung zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnrn. 577 und 578). Anderenfalls wird die festgestellte Ungleichbehandlung am besten durch eine Herabsetzung der Geldbußen behoben, die den anderen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen auferlegt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 55 angeführt, Randnr. 579). Daher kann das oben in Randnr. 54 zusammengefasste Vorbringen nicht von vornherein als ins Leere gehend zurückgewiesen werden.

57      Sodann ist zu beachten, dass die Kommission es für notwendig hält, nicht nur im Allgemeinen die abschreckende Wirkung ihrer Maßnahmen im Bereich von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht zu gewährleisten, sondern insbesondere auch die spezifische abschreckende Wirkung der Geldbuße, die sie einem Unternehmen auferlegt, das eine solche Zuwiderhandlung begangen hat. Dies wird durch Ziff. 4 der Leitlinien bestätigt, wonach eine Geldbuße „so hoch festgesetzt werden [sollte], dass … die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen sanktioniert werden (Spezialprävention)“.

58      Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass der in Ziff. 25 der Leitlinien genannte Betrag Teil des Grundbetrags der Geldbuße ist, der, wie aus Ziff. 19 der Leitlinien hervorgeht (siehe oben, Randnr. 21), der Schwere der Zuwiderhandlung und nicht der relativen Schwere der Beteiligung jedes der betreffenden Unternehmen an ihr Rechnung tragen muss. Dies muss nach der Rechtsprechung im Rahmen einer möglichen Anwendung erschwerender oder mildernder Umstände geprüft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom , Carbone‑Lorraine/Kommission, T‑73/04, Slg. 2008, II‑2661, Randnr. 100). Wie die Kommission zu Recht feststellt, steht es ihr daher frei, den Prozentsatz vom Umsatz nach Ziff. 25 der Leitlinien, wie auch den Satz nach Ziff. 21 der Leitlinien, für alle Kartellmitglieder in derselben Höhe festzusetzen. Die Festsetzung desselben Prozentsatzes für alle Kartellmitglieder bedeutet, anders als die Klägerin offenbar meint, nicht, dass für alle Kartellmitglieder derselbe Betrag nach Ziff. 25 der Leitlinien festgesetzt wird. Da dieser Betrag in einem Prozentsatz des Umsatzes besteht, der von den einzelnen Kartellmitgliedern im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erzielt worden ist, wird er bei jedem von ihnen aufgrund der unterschiedlichen Umsätze, die sie erzielt haben, unterschiedlich ausfallen.

59      Das von der Klägerin herangezogene Urteil Degussa/Kommission (siehe oben, Randnr. 45) kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Das Gericht hat zwar in Randnr. 335 dieses Urteils befunden, dass die Kommission die anhand der Schwere der Zuwiderhandlung ermittelte Geldbuße nicht bei zwei Kartellmitgliedern, deren Umsätze sich erheblich voneinander unterschieden, in gleichem Umfang erhöhen konnte, ohne gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu verstoßen.

60      Wie aus den Randnrn. 20, 21, 326 und 327 des Urteils hervorgeht, war jedoch die Höhe der den verschiedenen Kartellmitgliedern in dieser Rechtssache auferlegten Geldbuße nach einer anderen Methode als derjenigen bestimmt worden, die in den Leitlinien festgelegt und von der Kommission im vorliegenden Fall angewandt wurde. In der Rechtssache Degussa/Kommission (siehe oben, Randnr. 45) hatte die Kommission die Kartellmitglieder nach ihrem Umsatz in verschiedene Gruppen eingeteilt und für alle Mitglieder derselben Gruppe denselben Grundbetrag der Geldbuße festgesetzt. Die Klägerin in dieser Rechtssache war in dieselbe Gruppe wie ein anderes Unternehmen, das einen höheren Umsatz erzielt hatte, eingestuft worden, und für beide Unternehmen wurde daher derselbe Grundbetrag festgesetzt. Um eine ausreichend abschreckende Wirkung sicherzustellen, hatte die Kommission diesen Betrag sodann bei jedem der beiden Unternehmen in gleichem Umfang erhöht, und zwar um 100 %. Dies wurde vom Gericht beanstandet (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnrn. 328 bis 335).

61      Im vorliegenden Fall fällt jedoch zum einen, wie bereits festgestellt, der Grundbetrag der Geldbuße bei den verschiedenen Kartellmitgliedern je nach dem Umsatz, den sie erzielt haben, unterschiedlich aus. Zum anderen hat die Kommission, wie sie zu Recht geltend macht, den Grundbetrag nicht speziell erhöht, um eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten. Die Umstände der vorliegenden Rechtssache sind daher in keiner Weise mit denen der Rechtssache Degussa/Kommission (oben in Randnr. 45 angeführt) vergleichbar.

62      Die Klägerin beanstandet auch, dass die Kommission die Geldbuße für die Kartellmitglieder mit den höchsten Gesamtumsätzen nicht nach Ziff. 30 der Leitlinien erhöht habe. Hierzu ist festzustellen, dass sich dieser Ziffer der Leitlinien zwar tatsächlich entnehmen lässt, dass sich die Erhöhung der Geldbuße gegen ein Unternehmen, das besonders hohe Umsätze mit Waren oder Dienstleistungen, die nicht mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehen, erzielt hat, als erforderlich erweisen kann, um eine ausreichend abschreckende Wirkung dieser Geldbuße zu gewährleisten, nicht aber, dass umgekehrt eine Geldbuße, die keinen signifikanten Prozentsatz des Gesamtumsatzes des betroffenen Unternehmens ausmacht, keine hinreichend abschreckende Wirkung für dieses Unternehmen entfalten wird.

63      Eine Geldbuße, die nach der in den Leitlinien bestimmten Methode festgesetzt wird, stellt nämlich grundsätzlich einen beträchtlichen Prozentsatz des Umsatzes dar, den das mit der Geldbuße belegte Unternehmen in dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Sektor erzielt hat. So wird das fragliche Unternehmen feststellen, dass sich seine Gewinne in diesem Sektor aufgrund der Geldbuße erheblich vermindern, oder sogar Verluste verzeichnen. Auch wenn der von ihm in diesem Sektor erzielte Umsatz nur einen kleinen Teil seines Gesamtumsatzes darstellt, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Gewinneinbuße in diesem Sektor bzw. die Verwandlung der Gewinne in Verluste eine abschreckende Wirkung hat, da sich ein Handelsunternehmen in einem bestimmten Sektor grundsätzlich betätigt, um Gewinne zu erzielen.

64      Daher sieht Ziff. 30 der Leitlinien die Möglichkeit, aber keine Verpflichtung der Kommission vor, die Geldbuße zu erhöhen, die gegen ein Unternehmen festgesetzt wird, das besonders hohe Umsätze mit Waren oder Dienstleistungen erzielt, die nicht mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehen. Die Klägerin hat jedoch, abgesehen von einem vagen Hinweis auf einen beträchtlichen Gesamtumsatz bestimmter Kartellmitglieder – einem Hinweis, der lediglich die Argumentation widerspiegelt, die im Rahmen der später untersuchten fünften Rüge vorgetragen wird –, nichts dafür vorgetragen, dass die Kommission vorliegend von dieser Möglichkeit hätte Gebrauch machen müssen. Folglich kann ihr aus diesem Grund kein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit vorgeworfen werden.

65      Schließlich wird die Tatwiederholung, wie die Klägerin selbst einräumt, gemäß Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien bei der Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße als erschwerender Umstand berücksichtigt und kann zu einer beträchtlichen Erhöhung bis hin zu einer Verdoppelung dieses Betrags führen. Dagegen erfolgt die Bestimmung des Grundbetrags, in deren Rahmen der Prozentsatz nach Ziff. 25 der Leitlinien festgelegt wird, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 58), unter Berücksichtigung der Schwere der Zuwiderhandlung. Wird in diesem Stadium ein erschwerender Umstand, der in einem späteren Stadium Berücksichtigung findet, nicht berücksichtigt, hat dies keinen Rechtsirrtum zur Folge (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom , Coats Holdings und Coats/Kommission, C‑468/07 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).

66      Nach alledem ist die erste Rüge als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zur zweiten, die erschwerenden Umstände betreffenden Rüge

67      Die Klägerin rügt, die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung nicht geprüft, welche Kartellmitglieder die führende Rolle bei dem Verstoß gespielt hätten, und weist darauf hin, dass sie selbst ein passives Mitglied gewesen sei. Zwar ließen sich nicht bei allen Kartellen ein oder mehrere Anführer ermitteln. In einem komplexen Kartell wie dem vorliegenden sei es jedoch kaum vorstellbar, dass das Kartell hätte funktionieren können, ohne dass eines oder mehrere Unternehmen die Idee dazu entwickelt und die notwendige Vorbereitung getroffen hätten. Die Kommission habe sich nicht hinreichend darum bemüht, diese Unternehmen zu ermitteln. Hierzu hätte sie beispielsweise prüfen müssen, wer die ersten Zusammenkünfte ausgerichtet und die passiven Kartellmitglieder dazu eingeladen habe oder in wessen Geschäftsräumen diese Treffen stattgefunden hätten. Die Kommission habe folglich die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verletzt, da sie die passiven Kartellmitglieder genauso behandelt habe wie die Anführer und Anstifter.

68      Diese Rüge geht nach Auffassung der Kommission ins Leere. Selbst wenn festzustellen gewesen wäre, dass ein anderes oder mehrere andere Unternehmen Anführer des Kartells gewesen seien, hätte eine solche Feststellung keine Auswirkungen auf die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße und könnte höchstens zur Erhöhung der gegen diese anderen Unternehmen verhängten Geldbußen führen.  

69      Aus den oben in den Randnrn. 55 und 56 dargelegten Gründen kann die vorliegende Rüge nicht von vornherein als ins Leere gehend zurückgewiesen werden. Ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die oben in Randnr. 56 aufgeführten Voraussetzungen für eine Erhöhung der Geldbuße vorliegend erfüllt sind, ist sie jedoch jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

70      Zunächst ist das Vorbringen der Klägerin, sie habe sich in dem Kartell passiv verhalten, nicht im Rahmen der vorliegenden Rüge, sondern im Zusammenhang mit der Prüfung der dritten Rüge bezüglich der mildernden Umstände einschlägig, zumal die Klägerin dieses Vorbringen mit ihrer Argumentation zu dieser Rüge wiederholt und ausweitet.

71      Ferner wurden die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen geprüft. Wie aus ihrem 177. Erwägungsgrund hervorgeht, betraf der streitige Verstoß drei Produkte, und zwar Calciumcarbidpulver, Magnesiumgranulat und Calciumcarbidgranulat, sowie zwei Märkte, und zwar den Markt für die untereinander austauschbaren und für die Stahlindustrie bestimmten ersten beiden Produkte und den Markt für das für die Gasindustrie bestimmte dritte Produkt. Die Kommission bezieht sich auf unterschiedliche Vereinbarungen über jedes dieser Produkte (siehe Erwägungsgründe 54 bis 91, 113 bis 135 und 92 bis 112 der angefochtenen Entscheidung), kommt aber im 177. Erwägungsgrund ihrer Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die drei Vereinbarungen eine einheitliche und fortdauernde Zuwiderhandlung darstellten.

72      Was insbesondere Calciumcarbidpulver betrifft, stellte die Kommission im 56. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung fest, dass „die ersten beiden Zusammenkünfte … in den Geschäftsräumen von Almamet statt[fanden]“. Zur Stützung dieser Feststellung verwies sie im Übrigen in Fn. 106 u. a. auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung. Der Ablauf der ersten Zusammenkunft wird in den Erwägungsgründen 64 bis 66 der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen beschrieben. Nach dieser Beschreibung hatte Almamet die anderen Teilnehmer zu dem Treffen eingeladen, da es nicht nur in den Geschäftsräumen von Almamet stattfand, sondern deren Vertreter auch die Diskussion eröffnete (siehe 65. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

73      Auch die zweite Zusammenkunft in Bezug auf dieses Erzeugnis fand der angefochtenen Entscheidung zufolge (siehe 67. Erwägungsgrund) in den Geschäftsräumen von Almamet statt. Bei diesem Treffen beschlossen, wie aus dem 69. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, die Teilnehmer, darunter die Klägerin, jedoch, derartige Zusammenkünfte regelmäßig auszurichten und die Verantwortlichkeit für deren Organisation turnusmäßig zu übernehmen. In den Erwägungsgründen 70 bis 89 der angefochtenen Entscheidung wird sodann auf neun weitere, von unterschiedlichen Kartellmitgliedern ausgerichtete Zusammenkünfte verwiesen, von denen zwei, die Treffen am und am , in der Slowakei stattgefunden haben und von der Klägerin organisiert worden sein sollen (siehe Erwägungsgründe 74 bzw. 83 der angefochtenen Entscheidung).

74      In Bezug auf Calciumcarbidgranulat stellte die Kommission im 98. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung fest, dass die erste Zusammenkunft am in einem Hotel in Slowenien stattgefunden habe und von der TDR-Metalurgija d.d. ausgerichtet worden sei. An diesem Treffen hätten zudem nur die Klägerin und Donau Chemie teilgenommen. Im 99. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung bezieht sich die Kommission auf zwei weitere Zusammenkünfte der drei Anbieter von Calciumcarbidgranulat in Bratislava (Slowakei). Fragen zu Calciumcarbidgranulat seien jedoch auch im Rahmen der Calciumcarbidpulvertreffen oder bei den sich daran anschließenden außerordentlichen Zusammenkünften behandelt worden (siehe Erwägungsgründe 101 und 108 der angefochtenen Entscheidung).

75      Schließlich waren von der Vereinbarung über Magnesium nur Almamet, Donau Chemie und Ecka betroffen. Die anderen Adressaten der angefochtenen Entscheidung, einschließlich der Klägerin, stellten kein Magnesium her. Aus dem 125. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die erste Zusammenkunft der drei mit Magnesium befassten Unternehmen Ende 2004 oder Anfang 2005 stattfand, das genaue Datum jedoch nicht festgestellt werden konnte. In der angefochtenen Entscheidung wird auf fünf weitere Zusammenkünfte zu diesem Erzeugnis Bezug genommen. Mit Ausnahme des Treffens vom , das von Ecka ausgerichtet wurde, die auch die Kosten übernahm (siehe 129. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung), wird nicht weiter angegeben, welches Unternehmen die Zusammenkünfte ausrichtete. Im 115. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung heißt es jedoch, dass die drei an diesen Zusammenkünften beteiligten Unternehmen die Verantwortlichkeit für deren Ausrichtung sowie die entsprechenden Kosten turnusmäßig übernommen hätten.

76      Alle diese Erwägungen sprechen gegen die These der Klägerin, die streitige Zuwiderhandlung bedürfe ihrem Wesen nach eines oder mehrerer Anführer. Aus den oben in den Randnrn. 71 bis 73 genannten Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung folgt nämlich, dass alle Kartellmitglieder gleichgestellt waren. Der Umstand, dass Almamet das erste Calciumcarbidpulver- und TDR-Metalurgija das erste Calciumcarbidgranulattreffen ausrichteten, scheint keine besondere Bedeutung zu besitzen. Die angefochtene Entscheidung enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese beiden Unternehmen eine wichtigere Rolle in dem Kartell eingenommen hätten als die übrigen.

77      Vielmehr ergibt sich aus dem 54. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, dass die Vereinbarung über Calciumcarbidpulver nach Auffassung der Kommission auf die rückläufige Tendenz des Produktpreises seit Anfang des 21. Jahrhunderts bei gleichzeitigem Anstieg der Herstellungskosten und Rückgang der Nachfrage zurückzuführen war.

78      Nach dem 104. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ging man von einer ähnlichen Entwicklung auf dem Calciumcarbidgranulatmarkt aus. In diesem Erwägungsgrund wird ein „Mitarbeiter von Akzo Nobel“ zitiert, der für alle Anbieter von Calciumcarbidgranulat „Preiserhöhungen [als] dringend nötig“ bezeichnet habe. Zu Magnesium, das ebenfalls für die Stahlindustrie bestimmt ist und Calciumcarbidpulver ersetzen kann, stellt die Kommission im 113. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung fest, dass die Nachfrage danach steige, fügt aber – von der Klägerin unwidersprochen – hinzu, dass „die Anbieter doch die … steigende Marktmacht ihrer Abnehmer zu spüren“ bekommen hätten und zudem zunehmendem Druck durch neue chinesische Wettbewerber auf dem Markt ausgesetzt seien.

79      Unter diesen Umständen ist unerheblich, wer die Initiative für die Ausrichtung einer ersten Zusammenkunft ergriff, da darin nur die gemeinsame Absicht mehrerer Hersteller des betreffenden Produkts zum Ausdruck kam. Im Übrigen hat die Klägerin ihre Feststellung, dass ein Verstoß wie der vorliegende ohne einen oder mehrere Anführer schwer vorstellbar sei, weder erläutert noch durch konkrete Beweise belegt. Die einzigen konkreten Fragen, die die Klägerin in ihrer Argumentation aufgeworfen hat, wurden zudem unabhängig davon, ob sie für die Feststellung möglicher erschwerender Umstände einschlägig sind, jedenfalls im Wesentlichen, wie bereits oben in Randnr. 71 festgestellt, in der angefochtenen Entscheidung behandelt.

80      Daher kann der Feststellung der Klägerin, die Kommission habe nicht geprüft, ob mögliche erschwerende Umstände in Bezug auf bestimmte andere Kartellmitglieder vorlägen, und dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, nicht gefolgt werden. Die zweite Rüge ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zur dritten, mildernde Umstände betreffenden Rüge

81      Die Klägerin rügt, dass die Kommission das Vorliegen mildernder Umstände, die nach Ziff. 29 der Leitlinien eine Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße rechtfertigten, verneint habe. Insofern verweist sie erstens auf den fahrlässigen Charakter ihrer Teilnahme an dem Kartell, zweitens auf den passiven und begrenzten Charakter dieser Teilnahme und drittens auf ihre außerhalb des Anwendungsbereichs der „Kronzeugenregelung von 2002/2006“ und über ihre rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinaus erfolgte Zusammenarbeit mit der Kommission, die diese nicht berücksichtigt habe.

82      Als erstes Argument trägt die Klägerin vor, bei ihren Vorstandsmitgliedern habe es sich zur Zeit des streitigen Sachverhalts um Personen gehandelt, die unter den Bedingungen der streng regulierten Wirtschaft des kommunistischen Regimes vor 1989 ausgebildet worden seien und Karriere gemacht hätten. Zumindest zu Beginn des Kartells seien sich ihre Vorstandsmitglieder der Rechtswidrigkeit ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens daher gar nicht bewusst gewesen. Sie hätten die Zusammenkünfte des Kartells als gewöhnliche Geschäftstermine betrachtet und seien von den übrigen Teilnehmern wegen ihrer mangelnden Diskretion gerügt worden. Zuvor sei zudem niemals von einer Wettbewerbsbehörde gegen die Klägerin ermittelt oder eine Sanktion verhängt worden; der fahrlässige Charakter ihrer Beteiligung am Kartell hätte als mildernder Umstand berücksichtigt werden müssen.

83      Die Kommission hält dem entgegen, dass der geltend gemachte Verstoß mehr als 14 Jahre nach dem Ende des kommunistischen Regimes der Tschechoslowakei begangen worden sei und dass die Slowakische Republik schon vor ihrem Beitritt zur Europäischen Union Gesetze erlassen habe, die entsprechende Vereinbarungen verboten hätten. Die Klägerin entgegnet in ihrer Erwiderung, dass diese Argumente die Folgen, die sich für ihre Vorstandsmitglieder daraus ergeben hätten, dass sie einen erheblichen und entscheidenden Teil ihrer Karriere in einem nicht marktwirtschaftlichen System durchlaufen hätten, nicht hinreichend berücksichtigten.

84      Ohne dass auf diese Auseinandersetzung zwischen den Parteien im Einzelnen einzugehen wäre, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 die Kommission ermächtigt, gegen Unternehmen, die gegen Art. 81 EG verstoßen haben, sowohl bei Vorsatz als auch bei Fahrlässigkeit Geldbußen zu verhängen.

85      Nach ständiger Rechtsprechung ist es, damit eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln als vorsätzlich und nicht als fahrlässig begangen angesehen werden kann, nicht erforderlich, dass sich das betreffende Unternehmen des Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln bewusst war; es genügt, dass das Unternehmen sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, dass sein Verhalten einen Verstoß gegen den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt bezweckte (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom , Belasco u. a./Kommission, 246/86, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Urteil des Gerichts vom , Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnr. 205 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Im vorliegenden Fall stellt die Klägerin ihre Teilnahme an der Zuwiderhandlung nicht in Abrede, sondern räumt im Zusammenhang mit der vorliegenden Rüge ihre Verantwortlichkeit für das wettbewerbswidrige Verhalten ihres ehemaligen Vorstands ein und bestreitet es nicht. Aufgrund der Umstände der streitigen Zuwiderhandlung, wie sie oben in Randnr. 1 zusammengefasst sind, ist jedoch offensichtlich, dass es den Vorstandsmitgliedern der Klägerin, die diese bei den verschiedenen Zusammenkünften im Rahmen des Kartells vertraten und sodann die dort getroffenen Entscheidungen umsetzten, nicht entgangen sein konnte, dass ihr Verhalten einen Verstoß gegen den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt bezweckte. Ein solcher ist nämlich die unmittelbare und sofortige Folge einer Aufteilung von Märkten, von Quotenabsprachen, von Kundenzuteilungen und von Preisfestsetzungen zwischen verschiedenen Teilnehmern auf denselben Märkten, die sämtlich Gegenstand der durch die angefochtene Entscheidung mit einer Geldbuße belegten Zuwiderhandlung sind.

87      Wie hingegen aus der oben in Randnr. 85 angeführten Rechtsprechung hervorgeht, ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass die Vorstandsmitglieder aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen unter dem ehemaligen kommunistischen Regime der Tschechoslowakei oder aus anderen Gründen darüber hinweggesehen haben, dass ein solches Verhalten gegen die nationalen oder unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln verstieß.

88      Wie die Kommission zu Recht feststellt, wird der Schluss, dass sich die Vorstandsmitglieder der Klägerin der Wettbewerbswidrigkeit ihres Verhaltens bewusst gewesen seien, durch die Ausführungen der Klägerin in ihrem Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung belegt. Die Klägerin erklärte darin, dass die Vorstandsmitglieder, die an den Kartelltreffen teilgenommen hätten, in ihren „Auslandsreiseberichten“, von denen einige der Kommission bei einer Nachprüfung in den Räumlichkeiten der Klägerin zur Verfügung gestellt worden seien, die damit zusammenhängenden Informationen nicht erwähnt hätten. Sie hätten diese Informationen dem Generaldirektor und dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin mündlich vorgetragen, um schriftliche Spuren zu vermeiden. Dieses Verhalten der Vorstandsmitglieder der Klägerin kann nur bedeuten, dass sie sich des wettbewerbswidrigen, d. h. rechtswidrigen Charakters ihrer Teilnahme an den fraglichen Zusammenkünften bewusst waren, da andernfalls schwer nachzuvollziehen wäre, warum sie schriftliche Spuren vermeiden wollten.

89      Der Kommission kann folglich nicht vorgeworfen werden, der Klägerin zu Unrecht keine Herabsetzung der Geldbuße gewährt zu haben, weil diese die Zuwiderhandlung fahrlässig begangen habe.

90      Als zweites Argument rügt die Klägerin, dass die Kommission den passiven Charakter ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung nicht als mildernden Umstand berücksichtigt habe. Sie macht hierzu geltend, ihre Vorstandsmitglieder, die sie bei den verschiedenen Zusammenkünften des Kartells vertreten hätten, beherrschten keine Fremdsprache fließend und hätten auf die Dienste eines Dolmetschers zurückgreifen müssen. Im Übrigen hätten die anderen Kartellmitglieder darauf hingewiesen, dass sich der Vertreter der Klägerin bei verschiedenen Treffen passiv verhalten und mit den anderen Teilnehmern keinen Kontakt gepflegt habe. Die Kommission selbst habe in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt, dass die Klägerin das am wenigsten aktive Kartellmitglied gewesen sei, da sie zu keinem Zeitpunkt Tabellen erstellt oder Daten von Kartellmitgliedern, die bei einem bestimmten Treffen gefehlt hätten, gesammelt oder den anderen Mitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Zudem habe das Kartell für Almamet, die ihre Produkte vertreibe, eine viel größere Bedeutung gehabt, und aus diesem Grund hätte sie daraus Vorteile ziehen können, ohne selbst daran teilzunehmen. Von Almamet sei im Übrigen die Aufforderung an die Klägerin ausgegangen, sich am Kartell zu beteiligen. Zuvor habe sie keinen regelmäßigen Kontakt zu den anderen Kartellmitgliedern unterhalten.

91      Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung, wenn eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen wurde, im Rahmen der Bemessung der Geldbußen die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen ist, wobei insbesondere festzustellen ist, welche Rolle das Unternehmen bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an ihr gespielt hat. Dies ist die logische Folge des Grundsatzes der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen, wonach ein Unternehmen nur für die ihm individuell zur Last gelegten Handlungen mit einer Sanktion belegt werden darf; dieser Grundsatz gilt für alle Verwaltungsverfahren, die zu Sanktionen nach den Wettbewerbsregeln des Unionsrechts führen können (vgl. Urteil des Gerichts vom , Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnrn. 277 und 278 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92      Gemäß diesen Grundsätzen sieht Ziff. 29 der Leitlinien eine Abstufung des Grundbetrags der Geldbuße anhand bestimmter mildernder Umstände vor, die den jeweiligen betroffenen Unternehmen zuzuordnen sind. Insbesondere enthält diese Ziffer eine nicht abschließende Liste mildernder Umstände, die berücksichtigt werden können. Die „ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum“ eines Unternehmens bei der Zuwiderhandlung ist jedoch in dieser nicht abschließenden Liste nicht enthalten, während dies in Ziff. 3 erster Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3), die durch die Leitlinien ersetzt worden sind, ausdrücklich als mildernder Umstand vorgesehen war.

93      Die Kommission darf zwar, wie oben in Randnr. 47 ausgeführt, nicht von Vorschriften abweichen, die sie sich selbst auferlegt hat; es steht ihr aber frei, diese Vorschriften abzuändern oder zu ersetzen. In einem Fall, auf den – wie es bei der streitigen Zuwiderhandlung der Fall ist, die nach Ziff. 38 der Leitlinien ratione temporis unter diese fällt – die neuen Vorschriften anwendbar sind, kann der Kommission die Nichtberücksichtigung eines in diesen neuen Vorschriften nicht vorgesehenen mildernden Umstands nicht allein deshalb vorgeworfen werden, weil er in den früheren Vorschriften enthalten war. Die Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände angesehen hat, bedeutet nicht, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun (Urteile des Gerichts vom , Mayr‑Melnhof/Kommission, T‑347/94, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 368, und vom , LR AF 1998/Kommission, T‑23/99, Slg. 2002, II‑1705, Randnr. 337).

94      Wie bereits oben in Randnr. 92 festgestellt, ist die Aufstellung der mildernden Umstände, die von der Kommission berücksichtigt werden können, in Ziff. 29 der Leitlinien nicht abschließend. Dass die passive Rolle eines an einer Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens in den Leitlinien nicht als mildernder Umstand aufgeführt ist, steht folglich ihrer Berücksichtigung als solcher Umstand nicht entgegen, wenn er als Beleg dafür geeignet ist, dass die Beteiligung dieses Unternehmens an der Zuwiderhandlung von geringerer Schwere ist.

95      Eine Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, ist jedoch entbehrlich, da den von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkten und Argumenten jedenfalls nicht entnommen werden kann, dass ihre Rolle bei der fraglichen Zuwiderhandlung passiv war oder sich als reines Mitläufertum darstellte.

96      Nach den Ausführungen des Gerichts in seinem Urteil vom , Cheil Jedang/Kommission (T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Randnrn. 167 und 168), auf das sich die Klägerin selbst zur Stützung ihrer Argumentation berufen hat, impliziert eine solche passive Rolle, dass sich das betreffende Unternehmen „nicht hervorgetan“, d. h. nicht aktiv an der Ausarbeitung der wettbewerbswidrigen Vereinbarung oder Vereinbarungen teilgenommen hat. Ein Anhaltspunkt für die passive Rolle eines Unternehmens innerhalb eines Kartells kann darin bestehen, dass es deutlich seltener als die gewöhnlichen Kartellmitglieder an den Besprechungen teilgenommen hat, dass es – unabhängig von der Dauer seiner Mitwirkung an der Zuwiderhandlung – spät in den fraglichen Markt eingetreten ist oder dass sich Vertreter dritter Unternehmen, die an der Zuwiderhandlung beteiligt waren, ausdrücklich in diesem Sinne geäußert haben.

97      Erstens hat die Klägerin im vorliegenden Fall jedoch, worauf die Kommission zutreffend hinweist, an zehn der elf Calciumcarbidpulvertreffen teilgenommen (siehe die Erwägungsgründe 64 bis 88 der angefochtenen Entscheidung) und zwei davon sogar ausgerichtet. Sie hat auch an allen in der angefochtenen Entscheidung genannten Calciumcarbidgranulattreffen teilgenommen (siehe die Erwägungsgründe 98 und 99 der angefochtenen Entscheidung).

98      Zweitens entsprach, wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, der Beitrag der Klägerin zu den Zusammenkünften, bei denen sie anwesend war, dem der anderen Teilnehmer. Aus den vorstehend genannten Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung ergibt sich nämlich, dass die Teilnehmer der verschiedenen Treffen Informationen über ihr Absatzvolumen austauschten und die Tabelle der Marktaufteilung daraufhin aktualisiert wurde. Ferner wurde über die anzuwendenden Preise gesprochen, und gelegentlich wurden Preiserhöhungen beschlossen (siehe z. B. die Erwägungsgründe 67 und 68 der angefochtenen Entscheidung). Nichts in diesen Angaben lässt den Schluss zu, dass sich die Klägerin passiv oder – allgemeiner – anders als die übrigen Teilnehmer verhalten hätte. Im Gegenteil ergibt sich aus dem 73. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, dass die Klägerin in ihrem internen Bericht über die Zusammenkunft am 24. Januar 2005 darauf hingewiesen hatte, dass sie eine Preiserhöhung für Koks erfolgreich mit einer Preiserhöhung für Calciumcarbid aufgefangen habe. Zudem hatte die Klägerin nach den Angaben im 110. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung ihre Zustimmung dazu signalisiert, dass Volumenverluste von Donau Chemie in Österreich durch zusätzliche Volumina in Deutschland ausgeglichen würden. Dies sind stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin mindestens ebenso aktiv an den Zusammenkünften beteiligte wie die anderen Kartellmitglieder.

99      Drittens entspricht das Vorbringen der Klägerin, sie habe bei einer Zusammenkunft niemals die Daten eines anderen abwesenden Kartellmitglieds weitergegeben, zwar den Angaben in der angefochtenen Entscheidung, doch lässt dies nicht den Schluss auf eine passive Beteiligung der Klägerin am Kartell zu. Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich nämlich, dass die meisten Kartellmitglieder bei den Zusammenkünften anwesend waren. Dem Umstand, dass ein Mitglied gelegentlich an einem bestimmten Treffen nicht teilnehmen konnte und seine Daten einem anderen Mitglied übermittelte, das sie sodann bei der fraglichen Sitzung vorlegte (siehe z. B. den 83. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, wonach Akzo Nobel an dem Treffen vom nicht teilnehmen konnte, aber ihre Daten zuvor Donau Chemie übermittelt hatte), kam offenbar keine besondere Bedeutung zu; er ist daher für sich genommen kein Indiz für eine aktivere Beteiligung des Kartellmitglieds, das für ein abwesendes Mitglied in dieser Weise tätig wurde.

100    Viertens ist die Feststellung der Klägerin, die übrigen Kartellmitglieder hätten auf das passive Verhalten ihres Vertreters bei den Zusammenkünften angespielt, nicht belegt.

101    Was das Vorbringen der Klägerin angeht, gemäß der Mitteilung der Beschwerdepunkte sei sie das am wenigsten aktive Kartellmitglied gewesen, so hat das Gericht sie im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme aufgefordert, den entsprechenden Auszug aus dieser Mitteilung vorzulegen. Darauf entgegnete die Klägerin im Wesentlichen, die Feststellung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, dass Almamet den Anstoß zu den Zusammenkünften gegeben habe, der Vertreter von SKW Stahl-Metallurgie die späteren Zusammenkünfte geleitet habe und der Vertreter von Donau Chemie häufig mit der Aktualisierung und Verteilung der zwischen den Teilnehmern ausgetauschten Tabellen beauftragt gewesen sei, während die Klägerin selbst in den verschiedenen Sitzungsprotokollen oft nicht besonders genannt worden sei, deute auf ihre passive Rolle im Kartell hin.

102    Die Klägerin macht somit nicht geltend, dass in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die von ihr als passiv eingestufte Rolle im Kartell ausdrücklich anerkannt werde. Sie räumt nämlich implizit ein, dass sich die in der vorstehenden Randnummer wiedergegebene Angabe als solche nirgendwo in der Mitteilung der Beschwerdepunkte findet, sondern ihre eigene Auslegung dieser Mitteilung darstellt. Dieser Auslegung kann jedoch nicht gefolgt werden. Wie oben in Randnr. 99 gezeigt, lässt der bloße Umstand, dass einige Kartellmitglieder bei den verschiedenen Zusammenkünften des Kartells bestimmte Verwaltungsaufgaben übernahmen, nicht schon den Schluss auf die passive Rolle der anderen Mitglieder zu. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin nicht bestritten hat, selbst zwei Zusammenkünfte des Calciumcarbidpulver betreffenden Teils des Kartells ausgerichtet zu haben (siehe oben, Randnr. 73).

103    Fünftens ist unerheblich, inwieweit die beiden Vorstandsmitglieder der Klägerin, die sie bei den Kartelltreffen vertraten, über Fremdsprachenkenntnisse verfügten. Unabhängig von diesen Kenntnissen ist nämlich, wie bereits oben in Randnr. 98 festgestellt, entscheidend, dass die Klägerin an diesen Zusammenkünften ebenso aktiv teilnahm wie die anderen Kartellmitglieder, d. h., dass sie Angaben über ihren Umsatz machte, Kenntnis von den entsprechenden Daten der anderen Kartellmitglieder besaß und Verpflichtungen bezüglich der Aufteilung der relevanten Märkte, Quotenabsprachen, Aufteilung von Kunden sowie Preisfestsetzungen einging. Der Umstand – unterstellt, er träfe zu –, dass aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die soziale Interaktion zwischen den Vertretern der Klägerin und denen der anderen Kartellmitglieder eingeschränkt war, ist hierbei unerheblich.

104    Sechstens stellt die Tatsache – ihr Vorliegen unterstellt –, dass die Klägerin aufgrund der Beteiligung von Almamet aus dem Kartell Nutzen gezogen habe, ohne sich daran zu beteiligen, weder eine Rechtfertigung für ihre Kartellbeteiligung noch einen mildernden Umstand dar.

105    Das dahin gehende Vorbringen der Klägerin widerspricht jedenfalls, wie die Kommission zu Recht feststellt, ihren eigenen Ausführungen im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung. Danach hatte sich die Klägerin nämlich das Ziel gesetzt, den Preis für den Verkauf ihrer Produkte an Almamet zu erhöhen. Almamet habe im Wesentlichen entgegnet, eine solche Erhöhung würde sie zur Erhöhung ihrer Endverkaufspreise verpflichten, und die Endkunden würden sich gegen eine solche Erhöhung zur Wehr setzen. Almamet habe sodann festgestellt, dass die einzige Lösung darin bestehe, eine Zusammenkunft der betreffenden Erzeuger und Lieferanten im Hinblick auf eine Preiserhöhung auszurichten. Die Klägerin habe geantwortet, dass Almamet unabhängig davon, wie sie das Problem angehen wolle, eine Erhöhung der Einkaufspreise bei ihr akzeptieren müsse. Dieses Vorbringen der Klägerin zeigt, dass Almamet die Organisation des ersten Calciumcarbidpulvertreffens auf den von der Klägerin auf sie ausgeübten Druck hin übernommen hat und dass die Klägerin, der dies bekannt war, sie nicht nur nicht davon abhielt und sich davon distanzierte, sondern dadurch, dass sie auf einer Preiserhöhung bestand, im Gegenteil den Druck aufrechterhielt. Die These, die Beteiligung der Klägerin sei passiv gewesen, wird durch dieses Vorbringen nicht bestätigt, sondern im Gegenteil in beträchtlichem Maß entkräftet.

106    Aus alledem ist zu schließen, dass die Kommission zu Recht nicht als mildernden Umstand berücksichtigt hat, dass die Beteiligung der Klägerin an der Zuwiderhandlung passiven Charakter gehabt haben soll.

107    Als drittes Argument macht die Klägerin geltend, ihre tatsächliche Zusammenarbeit mit der Kommission hätte von dieser als mildernder Umstand berücksichtigt werden müssen. Sie habe ihren Teil der Verantwortung für die Zuwiderhandlung übernommen, zugleich aber ihre Missbilligung der übertrieben hohen Bewertung der relativen Schwere ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung und der gegen sie verhängten Geldbuße zum Ausdruck gebracht. Dass sie die Teilnahme ihrer Vorstandsmitglieder an den Kartelltreffen und das Bestehen eines horizontalen Zusammenschlusses zur Preisfestsetzung bestätigt habe, stelle kein bloßes Nichtbestreiten des von der Kommission festgestellten Sachverhalts dar, wie der 327. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung nahelege. Sie habe auch nicht versucht, jeder Schlussfolgerung der Kommission in Bezug auf die streitige Zuwiderhandlung zu widersprechen, sondern habe die Kommission bei ihrer Untersuchung unterstützen wollen. Daher werde in mehreren Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung auf ihre Ausführungen als Beweismittel verwiesen. Als Beispiele seien insbesondere die Fn. 100, 104, 106, 111, 118, 146 bis 150, 158, 161, 174, 180, 182 bis 185, 188, 190, 194 und 617 der angefochtenen Entscheidung zu nennen.

108    In ihrer Erwiderung führt die Klägerin aus, ihr Vorbringen werde auch durch die Klagebeantwortung der Kommission bestätigt, die zahlreiche Querverweise auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung enthalte. Dadurch, dass sie ein Unternehmen für seine Zusammenarbeit bestrafe, statt es zu belohnen, verkehre die Kommission im Übrigen das Ziel der Kooperationsregelungen, wie sie aus der „Kronzeugenregelung von 2002/2006“ folgten, in sein Gegenteil und verstoße gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Justizverwaltung und des Verbots der Selbstbelastung. Daher seien die Argumente der Kommission, die mit Hinweisen auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung und den entsprechenden Beweisen belegt würden, als unerheblich zurückzuweisen.

109    Was das in der vorstehenden Randnummer zusammengefasst wiedergegebene Vorbringen der Klägerin betrifft, kann zwar, wie die Kommission zu Recht feststellt, der Umstand, dass sie in ihren Schriftsätzen vor dem Gericht den Antrag der Klägerin auf Anwendung der Kronzeugenregelung heranzieht, weder die Gültigkeit der angefochtenen Entscheidung berühren, da der Antrag zeitlich nach der angefochtenen Entscheidung liegt, noch einen nützlichen Anhaltspunkt für den Mehrwert dieser Erklärung gegenüber den sonstigen Beweismitteln bilden, die der Kommission zur Verfügung standen. Jedoch wirft das Vorbringen der Klägerin die Frage nach der Zulässigkeit der Berufung auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung im Verfahren vor dem Gericht auf. Wegen der zahlreichen Verweise auf den genannten Antrag in der Argumentation der Kommission ist daher zunächst diese Frage zu prüfen.

110    Die Zusammenarbeit im Sinne der Kronzeugenregelung von 2002 erfolgt seitens des betreffenden Unternehmens völlig freiwillig. Denn es wird in keiner Weise dazu gezwungen, Beweise für das mutmaßliche Kartell vorzulegen. Das Ausmaß der Zusammenarbeit, die das Unternehmen im Lauf des Verwaltungsverfahrens anzubieten wünscht, ist somit ausschließlich Gegenstand seiner freien Entscheidung und wird keinesfalls durch die genannte Regelung vorgegeben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom , ThyssenKrupp/Kommission, C‑65/02 P und C‑73/02 P, Slg. 2005, I‑6773, Randnr. 52, und Schlussanträge von Generalanwalt Léger in dieser Rechtssache, Slg. 2005, I‑6777, Nr. 140).

111    Zudem heißt es in Ziff. 31 der im vorliegenden Fall anzuwendenden (siehe oben, Randnr. 27) Kronzeugenregelung von 2006 u. a.: „Jede im Zusammenhang mit dieser Mitteilung an die Kommission gerichtete Erklärung ist Bestandteil der bei der Kommission geführten Akte und kann somit als Beweismittel verwendet werden.“ Ein Unternehmen, das sich, wie vorliegend die Klägerin, entschließt, zur Erlangung einer Herabsetzung der Geldbuße eine Erklärung abzugeben, ist sich folglich seit der Veröffentlichung der Kronzeugenregelung von 2006 dessen bewusst, dass – obwohl ihm eine Herabsetzung nur gewährt wird, wenn nach Ansicht der Kommission die in der Regelung vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind – die Erklärung in jedem Fall Bestandteil der Akte wird und auch gegen ihren Urheber als Beweismittel herangezogen werden kann.

112    Daher kann sich das betreffende Unternehmen, das sich freiwillig und in voller Kenntnis der Umstände zur Abgabe einer solchen Erklärung entschlossen hat, nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung zum Verbot der Selbstbeschuldigung berufen. Aus dieser Rechtsprechung geht u. a. hervor, dass die Kommission einem Unternehmen nicht die Verpflichtung auferlegen darf, Antworten zu geben, durch die es die Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission den Beweis zu erbringen hat (Urteile des Gerichtshofs vom 18. Oktober 1989, Orkem/Kommission, 374/87, Slg. 1989, 3283, Randnrn. 34 und 35, vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 61 und 65, und ThyssenKrupp/Kommission, oben in Randnr. 110 angeführt, Randnr. 49). Da die Klägerin im vorliegenden Fall jedoch aus freien Stücken und ohne dahin gehende Verpflichtung einen Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung gestellt hat, kann sie sich nicht mit Erfolg auf ihr Recht berufen, von der Kommission nicht gezwungen zu werden, ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung zuzugeben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, Slg. 2007, I‑829, Randnr. 35).

113    Folglich kann die Klägerin der Kommission nicht zum Vorwurf machen, dass sie sich in ihren Schriftsätzen vor dem Gericht auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung gestützt hat.

114    Was sodann die Frage betrifft, ob ein solcher Antrag eine tatsächliche Zusammenarbeit darstellt, die als mildernder Umstand gemäß Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien berücksichtigt werden kann, so kann die Anwendung dieser Bestimmung der Leitlinien nicht zur Folge haben, die Kronzeugenregelung von 2002 ihrer praktischen Wirkung zu berauben. Diese legt nämlich einen Rahmen fest, der es erlaubt, Unternehmen, die Mitglieder geheimer, die Union beeinträchtigender Kartelle waren oder sind, für ihre Zusammenarbeit bei der Untersuchung der Kommission zu belohnen. Somit ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik dieser Regelung, dass die Unternehmen eine Herabsetzung der Geldbuße wegen ihrer Zusammenarbeit grundsätzlich nur erhalten können, wenn sie die darin vorgesehenen strengen Voraussetzungen erfüllen (Urteile des Gerichts vom , Arkema France/Kommission, T‑343/08, Slg. 2011, II‑2287, Randnr. 169, vom , Transcatab/Kommission, T‑39/06, Slg. 2011, II‑6831, Randnr. 329, und vom , Quinn Barlo u. a./Kommission, T‑208/06, Slg. 2011, II‑7953, Randnr. 271).

115    Um die praktische Wirksamkeit der Kronzeugenregelung von 2002 zu erhalten, ist daher einem Unternehmen nur in Ausnahmesituationen eine Herabsetzung der Geldbuße auf der Grundlage von Randnr. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien zuzubilligen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Zusammenarbeit eines Unternehmens, die über dessen gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit hinausgeht, ohne ihm jedoch Anrecht auf eine Herabsetzung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung von 2002 zu geben, der Kommission objektiv nutzt. Ein solcher Nutzen ist festzustellen, wenn sich die Kommission in ihrer Endentscheidung auf Beweise stützt, die ein Unternehmen ihr im Rahmen seiner Zusammenarbeit geliefert hat und ohne die die Kommission nicht in der Lage gewesen wäre, die betreffende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise zu ahnden (oben in Randnr. 114 angeführte Urteile Arkema France/Kommission, Randnr. 170, Transcatab/Kommission, Randnr. 330, und Quinn Barlo u. a./Kommission, Randnr. 270).

116    Vorliegend vertrat die Kommission, wie aus dem 358. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, die Auffassung, dass die im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung enthaltenen Angaben gegenüber den bereits in ihrem Besitz befindlichen Beweisen keinen erheblichen Mehrwert darstellten, und beschloss daher, die Geldbuße der Klägerin nicht herabzusetzen (siehe auch oben, Randnr. 38).

117    Es ist Sache der Klägerin, die beanstandeten Punkte der angefochtenen Entscheidung zu bezeichnen und Beweise oder zumindest ernsthafte Indizien für die Begründetheit ihrer Rügen beizubringen (vgl. in diesem Sinne Urteil KME Germany u. a./Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 132). Wie sich jedoch aus der Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin in Randnr. 107 ergibt, besteht das einzige konkrete Argument, das sie zur Entkräftung der in Randnr. 116 zusammengefassten Bewertung in der angefochtenen Entscheidung anführt, darin, dass an mehreren Stellen dieser Entscheidung auf ihre vor allem im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung enthaltenen Erklärungen Bezug genommen werde.

118    Im Verwaltungsverfahren hatten sich die Klägerin und ihre Muttergesellschaft auf das vergleichbare Argument gestützt, dass die Kommission von der Klägerin übermittelte Informationen genutzt habe. Dieses Argument wurde von der Kommission im 359. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen. Sie führte aus, ausschlaggebend sei nicht, dass sie von einem Kartellmitglied übermittelte Informationen genutzt habe, sondern, ob diese Informationen einen erheblichen Mehrwert darstellten. Die Übermittlung zusätzlicher Informationen zu bereits Bekanntem stelle keinen erheblichen Mehrwert dar. Im selben Erwägungsgrund wies die Kommission ferner darauf hin, dass die Klägerin in den von ihr übermittelten Informationen nicht erwähnt habe, dass sich das wettbewerbswidrige Verhalten auf Calciumcarbidgranulat erstreckt habe, obwohl ihre Beteiligung auch für diesen Teil der Zuwiderhandlung eindeutig belegt sei.

119    Die Erwägung, dass Informationen, die ein an der Zuwiderhandlung Beteiligter übermittelt hat, keinen objektiven Nutzen bringen, wenn sie sich auf Tatsachen beziehen, die der Kommission bekannt sind und für die sie bereits über genügend Beweise verfügt, entspricht der oben in Randnr. 115 genannten Rechtsprechung; ihr ist beizupflichten.

120    Daher stellt sich die Frage, ob dies für die von der Klägerin insbesondere im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung übermittelten Informationen tatsächlich zutraf. Die Klägerin macht insofern jedoch lediglich geltend, dass in der angefochtenen Entscheidung auf ihre Erklärungen Bezug genommen werde, ohne zu erläutern, über welche Informationen oder konkreten Beweise, die sie der Kommission übermittelt habe, diese zuvor nicht verfügt habe.

121    Zudem verweisen nur drei der zahlreichen von der Klägerin in ihrem Vorbringen angeführten Fußnoten der angefochtenen Entscheidung ausschließlich auf die Erklärungen der Klägerin. Die übrigen angeführten Fußnoten beziehen sich entweder auch auf Unterlagen, die die Kommission bei den Nachprüfungen erlangt hat, oder auf Erklärungen von Akzo Nobel und Evonik Degussa, deren Geldbuße, wie bereits oben in Randnr. 39 festgestellt, gerade wegen ihrer Zusammenarbeit erlassen bzw. herabgesetzt wurde. Diese übrigen Fußnoten bestätigen daher die These der Kommission, dass sich die von der Klägerin übermittelten Informationen auf Tatsachen bezogen hätten, die bereits bekannt und ausreichend durch Beweise belegt gewesen seien.

122    Bei den drei Fußnoten, in denen lediglich die Erklärungen der Klägerin erwähnt werden, handelt es sich um die Nrn. 111, 118 und 617. Fn. 111 nimmt Bezug auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung, um die Angabe im 56. Erwägungsgrund letzter Satz der angefochtenen Entscheidung zu stützen, dass die Mitglieder bei jedem Kartelltreffen in der Regel Datum und Ort des nächsten Treffens vereinbart hätten. Selbst wenn die Kommission davon erst von der Klägerin erfahren hätte, handelt es sich offensichtlich nicht um einen bedeutenden Gesichtspunkt von objektivem Nutzen, sondern um einen ganz und gar zweitrangigen.

123    Fn. 118 nimmt Bezug auf eine Erklärung der Klägerin vom , um die im 57. Erwägungsgrund fünfter Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Informationen im Zusammenhang mit den Funktionen zu belegen, die von den Personen, die die Klägerin bei den Calciumcarbidpulvertreffen vertraten, ausgeübt wurden. Da diese Angaben speziell die Klägerin betreffen, wird verständlicherweise nur auf ein von ihr übermitteltes Schriftstück verwiesen. Jedenfalls war es für die Kommission nur von marginaler Bedeutung, welche Funktionen die Personen, die die Klägerin bei den fraglichen Zusammenkünften vertraten, ausübten, zumal die Klägerin ihre Teilnahme an diesen Zusammenkünften oder – allgemeiner – an diesem Teil der Zuwiderhandlung nicht bestritten hatte und nicht bestreitet.

124    Fn. 617 schließlich ergänzt die im 294. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung enthaltene Feststellung, dass die streitige Zuwiderhandlung zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsbeschränkungen gehöre, durch eine Bezugnahme auf eine entsprechende Feststellung in der Antwort der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte. Somit betrifft in diesem Fall die Bezugnahme auf Schriftsätze der Klägerin während des Verwaltungsverfahrens nicht einmal eine Tatsache oder einen Beweis, sondern eine bloße Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung. Auch in diesem Fall kann von einem objektiv nützlichen Gesichtspunkt offensichtlich keine Rede sein.

125    Das Vorbringen der Klägerin, die verschiedenen Bezugnahmen in der angefochtenen Entscheidung auf ihre Erklärungen zeugten von deren Nutzen für die Untersuchung der Kommission, greift daher nicht durch.

126    Ferner hat die Klägerin die Angabe im 359. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, sie habe im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung nicht darauf hingewiesen, dass sich das streitige wettbewerbswidrige Verhalten auch auf Calciumcarbidgranulat erstreckt habe, nicht bestritten. Die Erwägungsgründe 92 bis 112 der angefochtenen Entscheidung, in denen es um die Calciumcarbidgranulattreffen geht, enthalten nur drei Hinweise auf den Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung (Fn. 241, 249 und 276), von denen offenbar keiner für die diesen Aspekt der Zuwiderhandlung betreffende Untersuchung der Kommission objektiv nützlich war. Insbesondere betrifft die Bezugnahme in Fn. 249 eine unerhebliche Information, nämlich dass der Zusammenkunft vom am Vorabend ein Abendessen vorausgegangen sei, wohingegen sich die Hinweise in den Fn. 241 und 276 darauf beziehen, dass bestimmte Kartellmitglieder, darunter die Klägerin, den Vorschlag von Donau Chemie, den Preis von Calciumcarbidgranulat zu erörtern, bei zwei Gelegenheiten abgelehnt hätten (siehe Erwägungsgründe 95 bzw. 108 der angefochtenen Entscheidung).

127    Folglich hat die Klägerin zwar ihre Beteiligung an dem Calciumcarbidgranulat betreffenden Teil der Zuwiderhandlung nicht bestritten, es aber vermieden, im Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung Tatsachen und Beweise offenzulegen, die für die Untersuchung dieses Aspekts der Zuwiderhandlung durch die Kommission von Nutzen hätten sein können. Es handelt sich um eine Zusatzinformation, die ebenfalls dagegen spricht, der von der Klägerin anführten Zusammenarbeit einen objektiven Nutzen zuzuerkennen.

128    Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass dem Argument der Klägerin, ihre wirksame Zusammenarbeit mit der Kommission hätte als mildernder Umstand berücksichtigt werden müssen, nicht gefolgt werden kann.

129    Da keines der Argumente durchgreift, die die Klägerin zum Beleg dafür vorgetragen hat, dass zu ihren Gunsten mildernde Umstände hätten berücksichtigt werden müssen, ist die dritte Rüge der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zur vierten, die Herabsetzung der Geldbuße von Almamet betreffenden Rüge

130    Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift vorgetragen, die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung die Geldbuße von Almamet wegen ihrer angeblich fehlenden Leistungsfähigkeit ohne jeden vernünftigen Grund herabgesetzt (siehe oben, Randnr. 41), während ein entsprechender Antrag der Klägerin zurückgewiesen worden sei, wogegen sie sich im Übrigen mit ihrem zweiten Klagegrund wende. Die Almamet gewährte Herabsetzung stelle eine schwere Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung dar, zumal Almamet zu den Anstiftern der Zuwiderhandlung gehört habe.

131    Die Kommission hat vor dem Gericht erläutert, dass die Almamet gewährte Herabsetzung der Geldbuße auf Ziff. 37 und nicht auf Ziff. 35 der Leitlinien beruhe. Die Klägerin hat entgegnet, dass diese Erläuterung ihre Rüge einer Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung umso überzeugender mache. Aus den Erläuterungen in den Erwägungsgründen 369 bis 371 der angefochtenen Entscheidung gehe hervor, dass das Insolvenzrisiko von Almamet gering gewesen sei und selbst die Insolvenz nicht zum Gesamtverlust der Vermögenswerte dieses Unternehmens geführt hätte. Sie habe nachgewiesen, dass ihre finanzielle Lage schlechter als die von Almamet gewesen sei. Im Übrigen seien die im 372. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Merkmale von Almamet, mit denen die ihr gewährte Herabsetzung der Geldbuße begründet worden sei, mit den Merkmalen der Klägerin vergleichbar, so dass die Kommission ihre Geldbuße entsprechend hätte herabsetzen müssen, um keinen offensichtlichen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu begehen.

132    Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission nach den Erwägungsgründen 369 bis 371 der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss gelangt ist, dass dem auf Ziff. 35 der Leitlinien gestützten Antrag von Almamet nicht stattgegeben werden könne.

133    Im 372. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission jedoch ausgeführt, dass „[u]nbeschadet der vorangegangenen Beurteilung“ die Tatsache zu berücksichtigen sei, dass Almamet ein sehr kleiner unabhängiger Verkäufer sei, der nicht zu einer größeren Unternehmensgruppe gehöre. Almamet handele mit hochwertigen Materialien mit einer eher geringen Gewinnspanne und verfüge über ein „sehr konzentriertes Produktportfolio“. Darüber hinaus sei auch berücksichtigt worden, dass „die verhängte Geldbuße eine relativ große Auswirkung auf die finanzielle Situation in Bezug auf ein Unternehmen dieser Art haben würde“. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass es aufgrund dieser „besonderen Merkmale“ von Almamet angebracht sei, die Geldbuße um 20 % zu mindern, da eine Geldbuße in dieser Höhe für Almamet jedenfalls eine genügende Abschreckung darstelle. Sie verwies in Fn. 685 auf Ziff. 37 der Leitlinien. Im letzten Satz des 372. Erwägungsgrundes der angefochtenen Entscheidung wies sie auch darauf hin, dass im Licht der Anpassung der gegen Almamet zu verhängenden Geldbuße „der in Randnr. (371) gezogene Schluss, wonach es unwahrscheinlich ist, dass die auferlegte Geldbuße unwiederbringlich die Überlebensfähigkeit von Almamet gefährden würde, weiterhin gültig [bleibt]“.

134    Folglich kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie gegenüber Almamet bei der Prüfung ihrer Anträge auf Herabsetzung der Geldbuße nach Ziff. 35 der Leitlinien ungleich behandelt worden sei, denn beide Anträge sind zurückgewiesen worden. Wie die Kommission in ihrer Klagebeantwortung erläutert hat, hat sie dadurch, dass sie bei Almamet eine Herabsetzung um 20 % vorgenommen hat, von der Möglichkeit, die sie sich nach Ziff. 37 der Leitlinien vorbehalten hat, Gebrauch gemacht, ganz oder teilweise von der in diesen Leitlinien festgelegten Methode für die Berechnung der Geldbußen abzuweichen, um den besonderen Umständen eines Falles Rechnung zu tragen. Dieser Schluss wird durch den Hinweis in Fn. 685 auf Ziff. 37 der Leitlinien und durch den 361. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung bestätigt, in dem die gegen Almamet festzusetzende Geldbuße mit 3,8 Mio. Euro „vor der Reduzierung gemäß Ziffer 37“ der Leitlinien angegeben wird.

135    Aus der oben in Randnr. 47 genannten Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass die Kommission von ihren eigenen Leitlinien nur dann abweichen darf, wenn die damit verbundene unterschiedliche Behandlung mehrerer Teilnehmer an einer Zuwiderhandlung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt dieser Grundsatz, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Unterscheidung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom , Novartis Pharmaceuticals, C‑106/01, Slg. 2004, I‑4403, Randnr. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

136    Daher kann die vorliegende Rüge der Klägerin nur dahin verstanden werden, dass die Kommission auch in ihrem Fall von den Leitlinien hätte abweichen und ihr dieselbe Ermäßigung der Geldbuße hätte gewähren müssen wie Almamet. Eine solche Rüge kann nur dann Erfolg haben, wenn die erkennbare Ungleichbehandlung von Almamet, deren Geldbuße um 20 % herabgesetzt wurde, und der Klägerin, der keine solche Herabsetzung zugutekam, nicht mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar wäre. Nach der in der vorstehenden Randnummer genannten Rechtsprechung setzt dies voraus, dass sich die beiden Gesellschaften in einer vergleichbaren Lage befanden.

137    Wie oben (Randnr. 133) festgestellt, wurden in der angefochtenen Entscheidung bestimmte „besondere Merkmale“ von Almamet aufgezählt, um die ihr gewährte Herabsetzung der Geldbuße zu rechtfertigen. Ein Unternehmen, das diese Merkmale aufweist, befindet sich im Hinblick auf eine mögliche Herabsetzung der Geldbuße über die speziellen in den Leitlinien vorgesehenen Fälle hinaus in einer anderen Lage als ein Unternehmen, das diese Merkmale nicht aufweist.

138    Erstens sieht Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 u. a. vor, dass die Geldbuße für jedes an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG beteiligte Unternehmen 10 % seines jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen darf. Die auf den Umsatz bezogene Obergrenze soll nach der Rechtsprechung vermeiden, dass die von der Kommission verhängten Geldbußen außer Verhältnis zur Bedeutung des betroffenen Unternehmens stehen (Urteile des Gerichtshofs Musique Diffusion française u. a./Kommission, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 119, und vom , Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg. 2007, I‑4405, Randnr. 24).

139    Diese Obergrenze reicht jedoch nicht aus, um die Unverhältnismäßigkeit einer Geldbuße zu vermeiden, die im Fall eines Händlers verhängt wird, der, wie Almamet, bei geringer Gewinnspanne mit hochwertigen Materialien handelt. Wegen des hohen Wertes dieser Materialien kann der Umsatz eines solchen Unternehmens im Verhältnis zu seinem Gewinn und seinen Vermögenswerten, die allein für die Zahlung der Geldbuße verwendet werden, unverhältnismäßig hoch sein.

140    Da zweitens nach der Methode der Leitlinien die Geldbuße festgesetzt wird, indem als Ausgangspunkt ein Anteil am Wert des Umsatzes des betreffenden Unternehmens in dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt festgesetzt wird (siehe oben, Randnr. 21), ist die Gefahr einer unverhältnismäßigen Geldbuße, die einen wesentlichen Teil des Gesamtumsatzes dieses Unternehmens ausmacht, umso größer, wenn ein Unternehmen, wie Almamet, über ein „relativ fokussiertes Produktportfolio“ verfügt.

141    Drittens ist auch die Tatsache relevant, dass Almamet ein sehr kleines Unternehmen war, das zu keinem großen Konzern gehörte, so dass sie die Geldbuße allein aufbringen müsste, weil kein anderes Unternehmen gesamtschuldnerisch mit ihr für die Zahlung der Geldbuße haftet oder – allgemeiner – sie dabei unterstützen kann.

142    Die Klägerin hat nicht bestritten, dass Almamet die im 372. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung zur Rechtfertigung der ihr gewährten Herabsetzung der Geldbuße aufgeführten besonderen Merkmale tatsächlich aufwies. Zur Beantwortung der vorliegenden Rüge der Klägerin ist daher nur zu prüfen, ob auch sie diese Merkmale aufwies.

143    Die Klägerin bejaht dies, trägt dazu jedoch eine ungenaue und allgemeine Argumentation vor, ohne ihre Lage im Hinblick auf die im 372. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung aufgezählten Merkmale von Almamet detailliert mit deren Lage zu vergleichen. Zudem räumt die Klägerin, wie die Kommission zu Recht ausführt, selbst ein, dass ihr Produktportfolio nicht so begrenzt ist wie das von Almamet. Darüber hinaus macht sie zwar geltend, dass sie ihre Produkte mit einer sehr geringen Spanne verkaufe, hat dies jedoch nicht näher ausgeführt oder durch Beweise belegt. Zudem ist festzustellen, dass die Klägerin Herstellerin und nicht, wie Almamet, Händlerin ist und dass sie zur Zeit der Zuwiderhandlung im Unterschied zu Almamet zu einem Konzern gehörte und ihr die Geldbuße gesamtschuldnerisch mit ihrer Muttergesellschaft auferlegt wurde.

144    Ferner hat die Kommission zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Gesamtumsatz der Klägerin im letzten vollständigen Geschäftsjahr vor der angefochtenen Entscheidung auf 205 Mio. Euro belief (24. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung), während der Gesamtumsatz von Almamet zwischen 45 und 50 Mio. Euro lag (15. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Zwischen beiden Unternehmen bestand mit anderen Worten ein erheblicher Größenunterschied. Aus diesen Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung ergibt sich auch, dass Almamet etwa 50 % ihres Gesamtumsatzes mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten erzielte, während dieser Anteil bei der Klägerin 10 % betrug, also deutlich geringer war.

145    Entgegen dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts war der erheblich geringere Gesamtumsatz von Almamet für die Kommission nicht das maßgebende Kriterium, um Almamet eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren. Wie oben in Randnr. 133 festgestellt, wird diese Entscheidung unter Bezugnahme auf bestimmte besondere Merkmale von Almamet gerechtfertigt, die auf die Klägerin nicht zutreffen. Der Unterschied im Gesamtumsatz und damit in der Größe der beiden Unternehmen stellt ein zusätzliches Kriterium dar, das die Kommission vor dem Gericht herangezogen hat, um darzutun, dass die beiden Unternehmen sich nicht in der gleichen Lage befunden hätten. Im Übrigen geht aus der angefochtenen Entscheidung – anders als die Klägerin offenbar meint – nicht hervor, dass die finanziellen Schwierigkeiten, denen sich Almamet ausgesetzt sah, eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung der Kommission gespielt hätten, ihr eine Herabsetzung der Geldbuße nach Ziff. 37 der Leitlinien zu gewähren.

146    Die Kommission hat sich in ihren Schriftsätzen auch auf die Jahresberichte der Klägerin für die Geschäftsjahre 2007 und 2008 berufen und diese auf Aufforderung des Gerichts im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme vorgelegt. Aus den Berichten geht hervor, dass Calciumcarbid und technische Gase 2007 30,63 % der Verkäufe der Klägerin ausmachten und dass diese Produkte mit 28,95 % zu ihren Exporten beitrugen. Dies bestätigt die Schlussfolgerung, dass das Produktportfolio der Klägerin erheblich weniger begrenzt war als das von Almamet.

147    Schließlich genügt zum Vorbringen der Klägerin, Almamet sei einer der Anstifter der streitigen Zuwiderhandlung gewesen, der Hinweis, dass, wie aus den vorstehenden Randnrn. 76 bis 79 hervorgeht, die Kommission weder Almamet noch einem anderen an der Zuwiderhandlung Beteiligten einen solchen erschwerenden Umstand zur Last gelegt hat und nichts in der Argumentation der Klägerin dafür spricht, dass dieser Schluss falsch ist.

148    Nach alledem ist die vierte Rüge der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zur fünften, die Bemessung der Geldbuße im Verhältnis zu den Gesamtumsätzen der Adressaten der angefochtenen Entscheidung betreffenden Rüge

149    Zur Stützung der fünften Rüge im Rahmen des ersten Klagegrundes verweist die Klägerin in ihrer Klageschrift erstens auf die Rechtsprechung, nach der die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz des fraglichen Unternehmens gestützten Rechenvorgangs sein dürfe, wobei sie auf das Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission (oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 121) Bezug nimmt, und zweitens auf die Rechtsprechung, nach der die Kommission bei der Bemessung der Geldbußen nach Maßgabe von Schwere und Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung nicht verpflichtet sei, für den Fall, dass gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen Geldbußen verhängt würden, dafür zu sorgen, dass in den Endbeträgen der Geldbußen, zu denen ihre Berechnung für die betreffenden Unternehmen führe, alle Unterschiede in Bezug auf den Gesamtumsatz oder den einschlägigen Umsatz dieser Unternehmen zum Ausdruck kämen, wobei sie auf das Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission (oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 312) Bezug nimmt. Sie verweist auch auf die Ziff. 6 und 27 der Leitlinien, nach denen die Festsetzung der Geldbuße nicht auf einer automatischen arithmetischen Berechnungsmethode beruhen dürfe, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdigung sämtlicher einschlägiger Umstände und damit letztlich unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen habe.

150    Im vorliegenden Fall trügen die Geldbußen, die den Beteiligten an der streitigen Zuwiderhandlung auferlegt worden seien, dem relevanten Umsatz, nicht aber anderen bedeutenderen Faktoren Rechnung, was zu dem „unbilligen und abwegigen“ Ergebnis führe, dass die Klägerin sowohl absolut als auch gemessen am Gesamtumsatz mit der bei Weitem höchsten Geldbuße belegt worden sei. Dies ergebe sich aus einer Tabelle, in der die Geldbußen der verschiedenen an der Zuwiderhandlung Beteiligten verglichen würden. Auch wenn sich die Kommission bei der arithmetischen Berechnung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße scheinbar an die Leitlinien gehalten habe und die hohe Geldbuße im Vergleich zu den Geldbußen der anderen an der Zuwiderhandlung Beteiligten dem Umstand Rechnung trage, dass die betreffenden Produkte den Kernbereich ihres Verkaufsgeschäfts darstellten, stehe eine offensichtliche Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit außer Frage.

151    Wie aus der von ihr vorgelegten Tabelle folge, wäre selbst ein „Riesenunternehmen wie Akzo Nobel“, wenn seinem Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung nicht stattgegeben worden wäre, mit einer Geldbuße belegt worden, die nominal niedriger gewesen wäre als die der Klägerin und nur 0,113 % seines weltweiten Umsatzes ausgemacht hätte, obwohl es eines der aktivsten Kartellmitglieder und Wiederholungstäter gewesen sei. Darüber hinaus seien Kartellmitglieder mit einem sehr viel höheren Gesamtumsatz als dem der Klägerin mit Geldbußen belegt worden, die sich nur symbolisch auf ihre Budgets ausgewirkt hätten, während die Zahlung der gegen sie festgesetzten Geldbuße sie zur Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit zwingen würde.

152    In diesem Zusammenhang könne die Festsetzung des Wertes der im Rahmen der Anwendung der Ziff. 21 und 25 der Leitlinien zu berücksichtigenden Umsätze auf 17 % als wohlwollender Ansatz der Kommission erscheinen, doch treffe dies in ihrem Fall nicht zu, da ein höherer Prozentsatz zur Überschreitung der Schwelle von 10 % ihres Gesamtumsatzes geführt hätte. Dieses vermeintliche Wohlwollen unterstreiche im Gegenteil nur, dass die gegen sie verhängte Geldbuße außer Verhältnis zur Geldbuße anderer Beteiligter stehe.

153    Zudem erwecke „die Struktur und die Höhe der Geldbußen“, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung verhängt habe, den irrigen Eindruck, dass die Klägerin am stärksten an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, dass sie den größten Umsatz gehabt habe und dass sie sogar die treibende Kraft des Kartells und sein aktivstes Mitglied gewesen sei. Da die gegen sie verhängte Geldbuße bereits knapp unter der Schwelle von 10 % ihres Gesamtumsatzes liege, frage sie sich, welche Geldbuße gegen sie verhängt worden wäre, wenn alle diese Annahmen zugetroffen hätten.

154    Zu diesem Vorbringen der Klägerin ist darauf hinzuweisen, dass sie zwei der drei von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkte lieferte, Calciumcarbidpulver und Calciumcarbidgranulat. Wie der Tabelle im 288. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung entnommen werden kann, beliefen sich die Umsätze der Klägerin mit diesen Produkten im letzten vollständigen Jahr ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung beim ersten dieser beiden Produkte auf einen Betrag zwischen 5 und 10 Mio. Euro und beim zweiten auf einen Betrag zwischen 20 und 25 Mio. Euro. Beim ersten Produkt entsprach der Umsatz der Klägerin den Umsätzen von drei anderen Kartellmitgliedern, und zwar Donau Chemie, Evonik Degussa und der Holding Slovenske elektrarne d.o.o., und nur die Umsätze von zwei anderen Mitgliedern lagen darüber. Beim zweiten Produkt war der Umsatz der Klägerin weit höher als die Umsätze der übrigen an der Zuwiderhandlung Beteiligten. Dieses Produkt wurde nur von drei anderen an der Zuwiderhandlung Beteiligten angeboten, und die Umsätze betrugen bei Akzo Nobel zwischen 3 und 5 Mio. Euro und bei Donau Chemie und Holding Slovenske elektrarne zwischen 5 und 10 Mio. Euro. Im Übrigen waren, wie aus der Tabelle im 304. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, die bei der Klägerin in Bezug auf diese beiden Produkte nach Maßgabe der Jahre ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung angewandten Multiplikatoren die höchsten, die auf die an der Zuwiderhandlung Beteiligten angewandt wurden, nämlich 2,5 für Calciumcarbidpulver und 3 für Calciumcarbidgranulat (siehe oben, Randnr. 33).

155    Angesichts dieser Faktoren, die von der Klägerin in keiner Weise in Abrede gestellt werden, überrascht es nicht, dass gegen sie nominal die höchste der in der angefochtenen Entscheidung festgesetzten Geldbußen verhängt wurde. Die zweithöchste Geldbuße, 13,3 Mio. Euro, wurde gesamtschuldnerisch gegen die SKW Stahl-Metallurgie GmbH, die SKW Stahl-Metallurgie AG und Arques Industries verhängt, d. h. gegen den Konzern, der den höchsten Umsatz mit Calciumcarbid aller an der Zuwiderhandlung Beteiligten hatte. Diese Gruppe bot jedoch kein Calciumcarbidgranulat, sondern Magnesiumgranulat an, dessen Umsatz zwischen 5 und 10 Mio. Euro lag. Der in ihrem Fall angewandte Multiplikator für das letztgenannte Produkt wurde auf 1,5 festgesetzt, d. h. erheblich niedriger als der im Fall der Klägerin für ihren Umsatz bei Calciumcarbidgranulat angewandte Multiplikator. Diese Abweichungen erklären den Unterschied zwischen der gegen dieses Unternehmen und der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße.

156    Wäre Akzo Nobel die Geldbuße nicht aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission erlassen worden, wäre gegen sie, wie aus dem 308. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, eine Geldbuße von 8,7 Mio. Euro verhängt worden. Der niedrigere Betrag dieser Geldbuße im Vergleich zu der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße erklärt sich dadurch, dass zwar der Umsatz von Akzo Nobel mit Calciumcarbidpulver, nämlich 10 bis 15 Mio. Euro, über dem Umsatz der Klägerin mit diesem Produkt lag, doch war der Umsatz von Akzo Nobel mit Calciumcarbidgranulat erheblich geringer als der Umsatz der Klägerin mit diesem Produkt (siehe oben, Randnr. 154). Zudem war die Beteiligung von Akzo Nobel an der Zuwiderhandlung von kürzerer Dauer als die der Klägerin, und für Akzo Nobel wurde bei den beiden von ihr angebotenen Produkten nur ein Multiplikator von 2 angewandt.

157    Diese Erwägungen entkräften die These der Klägerin, die gegen sie verhängte Geldbuße sei unverhältnismäßig. Sie belegen, dass der hohe Betrag der gegen sie verhängten Geldbuße kein Zufall, sondern dadurch zu erklären ist, dass sie der bei Weitem wichtigste Lieferant eines der drei von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkte sowie ein wichtiger Lieferant eines weiteren dieser Produkte und zudem von allen Beteiligten am längsten an der Zuwiderhandlung beteiligt war. Die hohe Geldbuße, die gegen die Klägerin verhängt wurde, ist mit anderen Worten mit der relativen Schwere ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung, auch im Hinblick auf deren Dauer, im Vergleich zu den übrigen Beteiligten zu erklären. Hierzu ist festzustellen, dass außer bei der Muttergesellschaft der Klägerin, 1. garantovaná, nur bei einer anderen Gesellschaft, Donau Chemie, dieselben Multiplikatoren wie bei der Klägerin angewandt wurden. Während der Umsatz dieser Gesellschaft mit Calciumcarbidpulver dem der Klägerin entsprach, war jedoch ihr Umsatz mit Calciumcarbidgranulat – zwischen 5 und 10 Mio. Euro – deutlich geringer. Zudem wurde die Geldbuße von Donau Chemie wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission um 35 % herabgesetzt (siehe 346. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung), so dass sie mit einer Geldbuße von 5 Mio. Euro statt 7,7 Mio. Euro belegt wurde (siehe 308. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

158    Nach alledem beruht das Vorbringen der Klägerin, die gegen sie verhängte Geldbuße sei unverhältnismäßig, letztlich nur auf einem Vergleich zwischen den gegen die verschiedenen Beteiligten an der Zuwiderhandlung verhängten Geldbußen, ausgedrückt als Prozentsatz ihres jeweiligen Gesamtumsatzes. In der Rechtsprechung findet sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass bei der Ermittlung, ob die verhängte Geldbuße verhältnismäßig ist, ein Vergleich, wie ihn die Klägerin vorgenommen hat, angestellt werden darf.

159    Zum einen steht die von der Klägerin selbst herangezogene, oben in Randnr. 149 angeführte Rechtsprechung einem solchen Vergleich klar entgegen.

160    Zum anderen folgt aus einer ständigen Rechtsprechung auch, dass Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 in Fällen, in denen Geldbußen gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen festgesetzt werden, nicht verlangt, dass die gegen ein kleines oder mittleres Unternehmen festgesetzte Geldbuße, als Prozentsatz vom Umsatz ausgedrückt, nicht höher ist als die gegen die größeren Unternehmen festgesetzten Geldbußen. Aus dieser Bestimmung folgt nämlich, dass sowohl bei kleinen oder mittleren Unternehmen als auch bei größeren Unternehmen Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden müssen. Wenn die Kommission gegen die an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt, die angesichts von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung im Fall des jeweiligen Unternehmens gerechtfertigt sind, ist nicht zu beanstanden, dass bei einigen Unternehmen die Geldbuße im Verhältnis zum Umsatz höher ist als bei anderen Unternehmen (Urteile des Gerichts vom , Westfalen Gassen Nederland/Kommission, T‑303/02, Slg. 2006, II‑4567, Randnr. 174, und vom , Gütermann und Zwicky/Kommission, T‑456/05 und T‑457/05, Slg. 2010, II‑1443, Randnr. 280).

161    Das Vorbringen der Klägerin, die gegen sie verhängte Geldbuße liege knapp unter der Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes (siehe oben, Randnrn. 152 und 153), verkennt das Wesen dieser Grenze. Der Betrag von 10 % des Gesamtumsatzes eines an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln Beteiligten stellt nämlich – anders als die Klägerin offensichtlich meint – keinen Höchstbetrag der Geldbuße dar, der nur im Fall der schwerwiegendsten Zuwiderhandlungen festzusetzen ist. Es handelt sich nach der Rechtsprechung vielmehr um eine Kappungsgrenze, deren einzige mögliche Folge ist, dass die anhand von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung berechnete Geldbuße auf die zulässige Obergrenze gesenkt wird. Ihre Anwendung führt dazu, dass das betreffende Unternehmen nicht die gesamte Geldbuße zahlt, die an sich bei einer auf diese Kriterien gestützten Beurteilung verhängt werden müsste (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 283).

162    Der Gerichtshof hat deshalb entschieden, dass diese Grenze es der Kommission nicht verbietet, bei der Berechnung der Geldbuße einen Zwischenbetrag heranzuziehen, der sie übersteigt. Ebenso wenig verbietet sie es, Zwischenberechnungen, mit denen Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung Rechnung getragen wird, an einem darüber liegenden Betrag vorzunehmen. Stellt sich heraus, dass am Ende der Berechnung der Endbetrag der Geldbuße in dem Umfang zu senken ist, in dem er die genannte Obergrenze übersteigt, so ist die Tatsache, dass sich einige Faktoren wie Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung auf den Betrag der verhängten Geldbuße nicht effektiv auswirken, eine bloße Folge der Anwendung dieser Obergrenze auf den Endbetrag (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnrn. 278 und 279).

163    Die bloße Tatsache, dass sich die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße auf fast 10 % ihrer Gesamtumsätze beläuft, während dieser Prozentsatz bei anderen Kartellmitgliedern niedriger ausfällt, kann folglich keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit darstellen. Diese Folge ergibt sich nämlich notwendigerweise aus der Auslegung der Obergrenze von 10 % als bloße Kappungsgrenze, die nach einer etwaigen Herabsetzung der Geldbuße wegen mildernder Umstände oder aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zur Anwendung kommt (Urteil des Gerichts vom , Putters International/Kommission, T‑211/08, Slg. 2011, II‑3729, Randnr. 74).

164    Aus demselben Grund belegt die bloße Tatsache, dass wegen der Heranziehung dieser Grenze selbst in Fällen einer noch schwereren Zuwiderhandlung keine wesentlich höhere Geldbuße gegen die Klägerin verhängt werden könnte, nicht die Unverhältnismäßigkeit der durch die angefochtene Entscheidung gegen sie verhängten Geldbuße. Jedenfalls ist allgemeiner festzustellen, dass auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen der tatsächlich verhängten Geldbuße und derjenigen, die für eine hypothetische noch schwerere Zuwiderhandlung hätte verhängt werden müssen, nicht beurteilt werden kann, ob die gegen ein Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängte Geldbuße unverhältnismäßig ist, da die Unternehmen die Wettbewerbsregeln zu beachten haben und nicht gegen sie verstoßen dürfen. Um zu belegen, dass die von ihr begangene Zuwiderhandlung weniger schwer war, als sie hätte sein können, wiederholt die Klägerin zudem Argumente, die, wie aus den vorstehenden Randnrn. 86 bis 89 und 97 bis 106 hervorgeht, als unbegründet zurückzuweisen sind.

165    Folglich kann die fünfte Rüge keinen Erfolg haben.

–       Zu der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen sechsten Rüge, die den der Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße zugrunde zu legenden Umsatz betrifft

166    In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin u. a. vorgetragen, sie sei dadurch diskriminiert worden, dass die Kommission bei der Berechnung des Umsatzes von Almamet, der bei der Bemessung des Grundbetrags ihrer Geldbuße heranzuziehen sei, den Wert des von ihr bei der Klägerin gekauften und anschließend an ihre eigenen Kunden weiterverkauften Calciumcarbids abgezogen habe. Ein entsprechender Abzug hätte bei ihrem eigenen Umsatz vorgenommen werden müssen, was zu einer erheblichen Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße geführt hätte.

167    Die Kommission hält diese Rüge, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 42), für unzulässig, da sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei und nicht auf während des Verfahrens zutage getretenen Gründen beruhe. Die zur Stellungnahme zu diesem Punkt aufgeforderte Klägerin hat darauf hingewiesen, dass die in der vorstehenden Randnummer zusammengefasste Rüge bereits in Randnr. 17 ihrer Klageschrift angeführt worden sei. Alle diese Erklärungen sind im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

168    Aus Art. 44 § 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung geht hervor, dass die Klageschrift den Streitgegenstand benennen und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und dass neue Angriffs‑ und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Jedoch muss ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines zuvor unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und in engem Zusammenhang mit diesem steht, für zulässig erklärt werden (Urteile des Gerichts vom , Hanning/Parlament, T‑37/89, Slg. 1990, II‑463, Randnr. 38, und vom , Mote/Parlament, T‑345/05, Slg. 2008, II‑2849, Randnr. 85). Das Gleiche gilt für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge (Urteile des Gerichts vom , Joynson/Kommission, T‑231/99, Slg. 2002, II‑2085, Randnr. 156, und Mote/Parlament, Randnr. 85).

169    Im vorliegenden Fall ist die sechste Rüge offenbar nicht auf rechtliche und tatsächliche Gründe gestützt, die während des Verfahrens zutage getreten sind, und dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Die Rüge bezieht sich auf die Art und Weise, in der die Kommission den Grundbetrag der gegen Almamet verhängten Geldbuße berechnet hat. Die Elemente dieser Berechnung werden aber im zweiten Gedankenstrich des 288. Erwägungsgrundes der angefochtenen Entscheidung klar beschrieben und waren der Klägerin daher bei der Einreichung ihrer Klageschrift bekannt.

170    Unter diesen Umständen ist zur Entscheidung über die Zulässigkeit der sechsten Rüge zu prüfen, ob sie bereits, wie von der Klägerin geltend gemacht, in der Klageschrift vorgetragen worden ist.

171    Dies ist nicht der Fall. Randnr. 17 der Klageschrift, die die Klägerin in diesem Zusammenhang anführt, ist nicht einschlägig. Darin heißt es zunächst: „Die Berechnung des Umsatzes, die Ermittlung des Grundbetrags der Geldbuße anhand eines Anteils des Umsatzes und die Multiplikation mit der Zahl der Jahre durch die Kommission werden hierin grundsätzlich nicht in Frage gestellt …“ Sodann wird in dieser Randnummer das oben in Randnr. 152 zusammengefasste Vorbringen der Klägerin dargelegt. Dieses Vorbringen weist keinen Bezug zu der in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten sechsten Rüge auf.

172    Im Übrigen wird lediglich in der vierten Rüge, die oben in den Randnrn. 130 bis 148 geprüft und zurückgewiesen worden ist, eine Diskriminierung der Klägerin gegenüber der Behandlung von Almamet geltend gemacht. Diese Rüge betrifft jedoch eine ganz andere Frage als die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße. Es geht bei der vierten Rüge nämlich um die Almamet nach Nr. 37 der Leitlinien gewährte Herabsetzung der Geldbuße, zu der die sechste Rüge nicht als bloße Erweiterung betrachtet werden kann. Zudem kann die in der Klageschrift enthaltene und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebene Feststellung der Klägerin wohl nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin nicht beabsichtigt hat, in ihrer Klageschrift eine den Grundbetrag der Geldbuße und dessen Festsetzung nach Maßgabe ihres im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erzielten Umsatzes betreffende Rüge zu erheben.

173    Daher ist die sechste Rüge für unzulässig zu erklären. Da alle im Rahmen des ersten Klagegrundes angeführten Rügen zurückgewiesen worden sind, ist folglich dieser Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften, Tatsachenirrtum und offensichtlicher Beurteilungsfehler, weil die Kommission es abgelehnt habe, die Leistungsfähigkeit der Klägerin zu berücksichtigen

 Leitlinien

174    Ziff. 35 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen lautet:

„Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kommission auf Antrag die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen. Die Kommission wird jedoch keine Ermäßigung wegen der bloßen Tatsache einer nachteiligen oder defizitären Finanzlage gewähren. Eine Ermäßigung ist nur möglich, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass die Verhängung einer Geldbuße gemäß diesen Leitlinien die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [seine] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.“

 Angefochtene Entscheidung

175    Die Klägerin reichte bei der Kommission einen Antrag auf Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit bei der Festsetzung der Geldbuße ein, der aus den im 377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen zurückgewiesen wurde. Dieser Erwägungsgrund lautet:

„Nach Prüfung der von NCHZ [Novácke chemické závody] vorgelegten Informationen wird der Schluss gezogen, dass diese Angaben nicht darlegen, dass die mit dieser Entscheidung verhängte Geldbuße die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit von NCHZ unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde. Der Antrag betreffend die Zahlungsunfähigkeit von NCHZ wird daher zurückgewiesen.“

 Würdigung durch das Gericht

176    Gegen diese Zurückweisung führt die Klägerin zunächst bestimmte allgemeine Erwägungen zum Zweck und zur Auslegung von Ziff. 35 der Leitlinien an. Es folgen Ausführungen zu ihrer wirtschaftlichen Lage vor der Festsetzung der Geldbuße und die Feststellung, dass sie sich seit geraumer Zeit „am Rande der Insolvenz“ befunden habe. Das Jahr 2004 sei dabei besonders schwierig gewesen, da mehrere Gläubiger davon ausgegangen seien, dass sie ihre Zahlungen einstelle. Trotz der Fortdauer dieser schwierigen Lage hätten ein neuer Aktionär, der im Jahr 2008 Anteile an der Gesellschaft erworben habe, und ein neuer Vorstand Maßnahmen zur Stabilisierung der Produktion und zur Steigerung der Effizienz des Vorstands ergriffen. Der Vorstand der Klägerin habe mit ihren Geschäftspartnern bestimmte Vereinbarungen getroffen, damit sie die kritische Phase, die sie durchlaufe, überlebe, sich erhole und auf dem Markt vorankomme. Ihre finanziellen Schwierigkeiten stünden nicht in Verbindung mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Calciumcarbidmarkt, auf dem sie ein angesehener Wettbewerber sei, sondern seien auf die Lasten in Form von Umweltverschmutzung und schlechten strategischen Investitionsentscheidungen zurückzuführen, die der frühere Vorstand hinterlassen habe.

177    Ferner habe sie ihre schwierige finanzielle Lage in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom beschrieben, der sie ein Sachverständigengutachten beigefügt habe. Dieses Gutachten sei auf der Grundlage einer Prüfung insbesondere ihrer Bücher zu dem Ergebnis gekommen, dass sie sich in einer wirtschaftlich und finanziell schlechten Lage befinde und als aktives Unternehmen nur unter drei Bedingungen überleben könne, nämlich der Erhöhung ihres Stammkapitals um mindestens 400 Mio. slowakische Kronen (SKK), des erfolgreichen Abschlusses eines Rechtsstreits mit einer slowakischen staatlichen Stelle und des Verzichts der Kommission auf die Verhängung einer Geldbuße für die streitige Zuwiderhandlung. Sollten diese Bedingungen nicht erfüllt werden, würde sich nach Auffassung des Sachverständigen die schlechte Lage der Klägerin erheblich verschärfen, und es könnte relativ schnell eine Insolvenz folgen.

178    Anschließend prüft die Klägerin die einschlägigen Bestimmungen des slowakischen Insolvenzrechts. Sie schildert zudem die Verschlechterung ihrer Finanzlage nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung, aufgrund der „Nervosität“ ihrer Gläubiger und des Entzugs von Kreditfazilitäten durch Banken und andere Finanzinstitute. Diese Prüfung habe ergeben, dass sie verpflichtet wäre, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, sobald die Geldbuße in ihren Büchern zu verbuchen wäre und fällig würde.

179    Ein solcher Antrag wurde nach Klageerhebung tatsächlich gestellt (siehe oben, Randnr. 6), und es ist zwischen den Parteien streitig, ob die Festsetzung der Geldbuße der Grund für die Insolvenz der Klägerin war. Die Kommission bestreitet dies insbesondere unter Hinweis darauf, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits vor Fälligkeit der Geldbuße gestellt worden sei. Sie wirft der Klägerin auch vor, keine Ratenzahlung der Geldbuße beantragt oder sich um eine Bankbürgschaft bemüht zu haben. Dem hält die Klägerin in ihrer Erwiderung entgegen, ihre Vorstandsmitglieder seien infolge der „Nervosität“ und des Vertrauensverlusts ihrer Gläubiger und Lieferanten nach der Auferlegung der Geldbuße gemäß den einschlägigen slowakischen Rechtsvorschriften verpflichtet gewesen, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Ferner wäre ein Antrag auf Ratenzahlung wahrscheinlich gescheitert, und auch im gegenteiligen Fall hätte eine solche Möglichkeit ihre Insolvenz nicht zu verhindern vermocht. Zudem sei es ihr nicht möglich gewesen, eine Bankbürgschaft zu erhalten.

180    Die Klägerin macht ferner geltend, dass die Auswirkungen ihrer Insolvenz im sozialen und regionalen Umfeld, das nach Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen sei, schädlich wären. Sie sei einer der Hauptarbeitgeber in der Slowakei und von strategischer Bedeutung für das Wirtschaftsleben der slowakischen Region Ober-Nitra, in der sich ihre Produktionsanlagen befänden. Deren etwaige Schließung hätte nicht nur die Entlassung ihrer 2 000 Arbeitnehmer zur Folge, sondern auch die Schließung oder erhebliche Einschränkung der Tätigkeit mehrerer anderer Unternehmen dieser Region, insbesondere ihrer Lieferanten.

181    Dieses Vorbringen der Klägerin wird von der Slowakischen Republik gestützt, deren gesamter Streithilfeschriftsatz der Darlegung der negativen Auswirkungen einer etwaigen Einstellung der Tätigkeit der Klägerin auf die soziale Lage in dem zur Region Ober-Nitra gehörenden Bezirk von Prievidza, in dem sich die Anlagen der Klägerin befinden, gewidmet ist. Dies brächte eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit sowohl unmittelbar aufgrund der Entlassung der Beschäftigten der Klägerin als auch mittelbar aufgrund einer „Kettenreaktion“ mit sich, die die Arbeitsplätze bei den Lieferanten der Klägerin gefährden würde. Viele dieser Arbeitslosen hätten keine realen Aussichten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. In der mündlichen Verhandlung hat die Slowakische Republik neue Unterlagen zur Aktualisierung der in ihrem Streithilfeschriftsatz enthaltenen Informationen eingereicht.

182    Die Klägerin zeigt sich überzeugt, mit den vorstehend zusammengefassten Argumenten belegt zu haben, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien in ihrem Fall erfüllt seien. Sie wirft der Kommission deshalb vor, gegen „wesentliche Formvorschriften“ verstoßen zu haben, weil sie weder während des Verfahrens noch in der angefochtenen Entscheidung erläutert habe, weshalb die zur Stützung ihres Antrags auf Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien gemachten Angaben nicht belegten, dass die Geldbuße ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde. Die kurze Erklärung im 377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung könne insoweit nicht als ausreichend betrachtet werden.

183    Ferner habe die Kommission die Beweise, die die Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien vorgelegt habe, nicht hinreichend geprüft; jedenfalls sei die Würdigung dieser Beweise durch die Kommission mit einem offensichtlichen Fehler behaftet, da sie nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Insolvenz der Klägerin ausgegangen sei und diese Ziffer der Leitlinien nicht angewandt habe. Darüber hinaus fordert die Klägerin das Gericht auf, im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die fraglichen Beweise selbst zu prüfen und gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten anzuordnen, um zu beurteilen, inwieweit die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbuße einen Insolvenzantrag und die Schließung des Unternehmens auslösen werde, wobei diese Maßnahme, wenn nötig, durch Anhörung eines Sachverständigen für slowakisches Recht und insbesondere das Insolvenzrecht ergänzt werden könnte.

184    Nach den Ausführungen der Slowakischen Republik und der Klägerin ist sie auch in den Genuss des Zákon o niektorých opatreniach týkajúcich sa strategických spoločností a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Gesetz über bestimmte Maßnahmen in Bezug auf strategische Unternehmen) Nr. 493/2009 Z.z. vom gekommen. Nach diesem Gesetz sei der Insolvenzverwalter eines als „strategisch“ eingestuften Unternehmens rechtlich verpflichtet, dessen Betrieb aufrechtzuerhalten, und der slowakische Staat könne ein Vorkaufsrecht hinsichtlich der Vermögenswerte eines solchen Unternehmens ausüben. Die Klägerin sei durch Entscheidung der zuständigen slowakischen Behörde vom als strategisches Unternehmen im Sinne dieses Gesetzes benannt worden. Daher konnte die Klägerin nach den Angaben der Slowakischen Republik ihre Geschäftstätigkeit nach der Insolvenzerklärung fortführen, und eine Massenentlassung ihrer Beschäftigten konnte verhindert werden. Diese Entwicklungen sind jedoch offenbar im Anschluss an die angefochtene Entscheidung eingetreten und waren zum Zeitpunkt ihres Erlasses keineswegs vorhersehbar; sie machen das von der Klägerin beantragte Sachverständigengutachten gegenstandslos, da der Insolvenzantrag bereits gestellt wurde. Sie können daher bei der Prüfung des vorliegenden Klagegrundes nicht berücksichtigt werden.

185    Vor der Prüfung der Rügen, die die Klägerin zur Stützung ihres zweiten Klagegrundes vorgetragen hat, sind der Zweck und die Auslegung von Ziff. 35 der Leitlinien zu untersuchen.

186    Es ist wiederholt entschieden worden, dass die Kommission grundsätzlich nicht verpflichtet ist, bei der Bemessung der Geldbuße die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 47 angeführt, Randnr. 327; Urteile des Gerichts vom , CMA CGM u. a./Kommission, T‑213/00, Slg. 2003, II‑913, Randnr. 351, und Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnr. 370).

187    Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, dass eine von einer Unionsbehörde getroffene Maßnahme zur Insolvenz oder zur Auflösung eines bestimmten Unternehmens führt, als solche unionsrechtlich nicht verboten. Die Auflösung eines Unternehmens in seiner bestehenden Rechtsform kann zwar die finanziellen Interessen der Eigentümer, Aktionäre oder Anteilseigner beeinträchtigen, bedeutet aber nicht, dass auch die durch das Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel ihren Wert verlören (Urteile des Gerichts Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 43 angeführt, Randnr. 372, vom , Heubach/Kommission, T‑64/02, Slg. 2005, II‑5137, Randnr. 163, und vom , BST/Kommission, T‑452/05, Slg. 2010, II‑1373, Randnr. 96).

188    Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Kommission durch Ziff. 35 der Leitlinien zu etwas verpflichtet hat, was dieser Rechtsprechung zuwiderlaufen würde. Dies wird dadurch belegt, dass diese Ziffer nicht auf die Insolvenz eines Unternehmens Bezug nimmt, sondern eine Situation „in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld“ betrifft, in der die Verhängung einer Geldbuße „die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“.

189    Für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien reicht folglich die bloße Tatsache, dass die Verhängung einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln die Insolvenz des betreffenden Unternehmens herbeiführen könnte, nicht aus. Aus der oben in Randnr. 187 genannten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass die Insolvenz zwar die finanziellen Interessen der betroffenen Eigentümer oder Aktionäre beeinträchtigt, aber nicht notwendigerweise zum Verschwinden des fraglichen Unternehmens führt. Dieses kann als solches fortbestehen, sei es im Fall der Rekapitalisierung des für insolvent erklärten Unternehmens als juristische Person, die den Betrieb des Unternehmens sicherstellt, sei es im Fall der Übernahme sämtlicher Vermögenswerte und damit des Unternehmens als Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, durch eine andere Einheit. Eine solche Gesamtübernahme kann entweder durch einen freiwilligen Erwerb oder durch einen zwangsweisen Verkauf der Vermögenswerte des insolventen Unternehmens unter Fortführung des Betriebs erfolgen.

190    Folglich ist Ziff. 35 der Leitlinien insbesondere in Bezug auf die Voraussetzung, dass die Aktiva des betreffenden Unternehmens jeglichen Wertes beraubt würden, dahin zu verstehen, dass sie sich auf den Fall bezieht, dass die in der vorstehenden Randnummer angesprochene Übernahme des Unternehmens oder zumindest seiner Vermögenswerte unwahrscheinlich oder gar unmöglich erscheint. In einem solchen Fall würden die verschiedenen Vermögenswerte des insolventen Unternehmens einzeln zum Kauf angeboten, und wahrscheinlich würden viele von ihnen keinen Käufer finden oder allenfalls mit einem starken Preisabschlag verkauft werden, so dass es legitim erscheint, wie in Ziff. 35 der Leitlinien von einem vollständigen Verlust ihres Wertes zu sprechen.

191    Dieser Schluss wird durch die Erläuterungen gestützt, die die Kommission selbst in der mündlichen Verhandlung gegeben hat. Sie hat nämlich darauf hingewiesen, dass sie die Bedingung in Ziff. 35 der Leitlinien, dass die Aktiva jeglichen Wertes beraubt werden könnten, nicht buchstabengetreu angewandt, sondern festzustellen versucht habe, ob die Aktiva weiterhin zur Herstellung von Produkten verwendet worden seien. Diese Erläuterungen sind im Sitzungsprotokoll vermerkt worden. Aus ihnen ergibt sich, dass die Kommission Ziff. 35 der Leitlinien im Wesentlichen so auslegt, wie in der vorstehenden Randnummer dargelegt.

192    Im Übrigen verlangt die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien nach ihrem Wortlaut auch „ein gegebenes soziales und ökonomisches Umfeld“. Nach der Rechtsprechung besteht ein solches Umfeld aus den Folgen, die die Zahlung der Geldbuße u. a. in Form einer Zunahme der Arbeitslosigkeit oder einer Beeinträchtigung der dem betreffenden Unternehmen vor- und nachgelagerten Wirtschaftssektoren haben könnte (Urteil des Gerichtshofs vom , SGL Carbon/Kommission, C‑308/04 P, Slg. 2006, I‑5977, Randnr. 106).

193    Sind die in den drei vorstehenden Randnummern angesprochenen Bedingungen erfüllt, lässt sich in der Tat die Ansicht vertreten, dass die Verhängung einer Geldbuße, die zum Verschwinden des betreffenden Unternehmens führen könnte, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht, den die Kommission stets beachten muss, wenn sie beschließt, Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht aufzuerlegen (siehe oben, Randnr. 44).

194    Das Vorbringen der Klägerin im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes ist unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Erwägungen zu prüfen.

195    Hierbei ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin mit diesem Vorbringen sowohl eine formale Rüge erhebt, die einen Verstoß gegen die Begründungspflicht betrifft (siehe oben, Randnr. 182), als auch materielle Rügen, nämlich einen Tatsachenirrtum und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission (siehe oben, Randnr. 183). Die Klägerin ersucht das Gericht ferner, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf dem Gebiet der Geldbußen die gegen sie festgesetzte Geldbuße aufzuheben oder herabzusetzen.

196    Das Begehren der Klägerin, in ihrem Fall Ziff. 35 der Leitlinien anzuwenden, sowie ihr Vorbringen vor dem Gericht, mit dem sie der Zurückweisung ihres Begehrens entgegentritt, beruhen auf einem fehlerhaften Verständnis der Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift.

197    Als sie ihren Antrag auf Berücksichtigung ihrer mangelnden Leistungsfähigkeit stellte, war sich die Klägerin zwar des Erfordernisses bewusst, das Vorliegen eines „gegebenen sozialen und ökonomischen Umfelds“ im Sinne der oben genannten Rechtsprechung (siehe Randnr. 192) nachzuweisen, und hat dieser Frage einen Teil ihres Schreibens vom , das diesen Antrag enthielt, gewidmet. Die Klägerin führt darin im Wesentlichen dieselben wie die von ihr und der Slowakischen Republik vor dem Gericht vorgetragenen Argumente an (siehe oben, Randnrn. 180 und 181). Dieses Vorbringen, das im Übrigen von der Kommission nicht bestritten wird, belegt in rechtlich hinreichender Weise das Vorliegen eines gegebenen Umfelds, wie es Ziff. 35 der Leitlinien verlangt, so dass diese Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift als erfüllt anzusehen ist.

198    Die Klägerin scheint jedoch bei ihrem Antrag auf Berücksichtigung ihrer mangelnden Leistungsfähigkeit von der fehlerhaften Prämisse ausgegangen zu sein, dass hierfür der Nachweis genüge, dass die Verhängung einer Geldbuße ihre Insolvenz herbeiführen würde. So widmet sich das oben in Randnr. 177 genannte Sachverständigengutachten, das die Klägerin als Anlage zu ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegt hat, der „Fortdauer der wirtschaftlichen Existenz der Gesellschaft NCHZ“.

199    Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin den Inhalt dieses Gutachtens in gewissem Umfang verfälscht, wenn sie ausführt, es komme zu dem Ergebnis, dass drei Bedingungen erfüllt sein müssten, damit sie „als aktives Unternehmen überleben“ könne. Aus dem Gutachten geht eindeutig hervor, dass diese Bedingungen den Fortbestand der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin als Handelsunternehmen betreffen. Würden diese Bedingungen nicht erfüllt – so heißt es darin weiter –, sei „eine erhebliche Verstärkung der rückläufigen Entwicklung für die Gesellschaft mit einer Tendenz zur Erreichung des Stadiums einer verhältnismäßig frühen Insolvenz [zu] erwarten“. Das Gutachten geht jedoch nicht auf die Folgen einer etwaigen Insolvenz für den Fortbestand des Unternehmens der Klägerin ein und äußert sich insbesondere nicht zur Wahrscheinlichkeit einer – freiwilligen oder unfreiwilligen – Übertragung sämtlicher Vermögenswerte auf eine andere Gesellschaft unter Weiterführung des Betriebs.

200    Die Klägerin ist auf diese Frage auch nicht in ihrem oben in Randnr. 197 angesprochenen Schreiben vom 27. März 2009 eingegangen, in dem sie über den Hinweis auf das gegebene soziale und wirtschaftliche Umfeld der Rechtssache hinaus nur neue Daten vorgelegt hat, um ihre „kritische Finanzlage“ darzutun. Diese Frage wird auch in der Klageschrift nicht behandelt. Erst im Stadium der Erwiderung hat die Klägerin spezifische Argumente zur Beantwortung des Vorbringens der Kommission vorgetragen, wonach die vorgelegten Beweismittel insbesondere nicht belegten, dass ihre Aktiva jeglichen Wert verlieren würden.

201    Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnrn. 189 und 190), genügt für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien aber nicht der Nachweis, dass das betreffende Unternehmen im Fall der Verhängung einer Geldbuße für insolvent erklärt würde. Bereits nach ihrem Wortlaut muss „eindeutig nachgewiesen [werden], dass die Verhängung einer Geldbuße … die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“, was im Fall einer Insolvenz der Gesellschaft, die das fragliche Unternehmen betreibt, nicht automatisch zutrifft. Daher kann die Klägerin die Anwendung dieser Vorschrift der Leitlinien nur verlangen, wenn sie die entsprechenden eindeutigen Nachweise beibringt; dies stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift dar.

202    Dieses Fehlverständnis der Klägerin von den Voraussetzungen für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien ist bei der Würdigung der Rügen, die sie im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes vorträgt, zu berücksichtigen.

203    Hierzu ist in Bezug auf die gerügte Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die durch Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil des Gerichts vom , Brouwerij Haacht/Kommission, T‑48/02, Slg. 2005, II‑5259, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

204    Was insbesondere den Umfang der Begründungspflicht in Bezug auf die Berechnung einer wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße anbelangt, sind nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung die Anforderungen des wesentlichen Formerfordernisses, um das es sich bei dieser Begründungspflicht handelt, erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die es ihr ermöglicht haben, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln, sowie die Beurteilungskriterien, die sie in Anwendung der in ihren eigenen Leitlinien enthaltenen Richtschnur zu diesem Zweck herangezogen hat (vgl. Urteil Brouwerij Haacht/Kommission, oben in Randnr. 203 angeführt, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

205    In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass die Begründung, mit der die Kommission in der angefochtenen Entscheidung den auf Ziff. 35 der Leitlinien gestützten Antrag der Klägerin zurückgewiesen hat, recht kurz ist, da sie sich auf die bloße Feststellung beschränkt, dass die von der Klägerin vorgelegten Informationen nicht belegten, dass die verhängte Geldbuße ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.

206    Würde, wie die Klägerin fälschlich annimmt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie infolge der Verhängung einer Geldbuße für insolvent erklärt wird, zum Nachweis dafür ausreichen, dass die Voraussetzung für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien, die darin besteht, dass ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit gefährdet wird und ihre Aktiva jeglichen Wertes beraubt werden, erfüllt ist, könnte man zwar zu dem Schluss kommen, dass der 377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, in dem der Antrag der Klägerin auf Anwendung dieser Vorschrift der Leitlinien zurückgewiesen wird, unzureichend begründet ist.

207    Nach der Rechtsprechung kann nämlich der Kontext, in dem die Entscheidung erlassen wird und der u. a. durch den Meinungsaustausch zwischen der die Entscheidung erlassenden Stelle und dem Betroffenen gekennzeichnet wird, unter gewissen Umständen die an die Begründung zu stellenden Anforderungen erhöhen (Urteile des Gerichts vom , Kuijer/Rat, T‑188/98, Slg. 2000, II‑1959, Randnrn. 44 und 45, und vom , Audi/HABM [TDI], T‑16/02, Slg. 2003, II‑5167, Randnr. 89). Da die Klägerin genaue Informationen einschließlich eines Sachverständigengutachtens vorgelegt hatte, die ihrer Auffassung nach zeigten, dass es im Fall der Festsetzung einer Geldbuße sehr wahrscheinlich, wenn nicht unvermeidlich, wäre, dass sie für insolvent erklärt würde, musste die Kommission, wenn sie zu einem anderen Ergebnis kommen wollte, zumindest eine kurze Zusammenfassung der Kriterien und Bewertungen geben, die ihr Ergebnis stützten.

208    Dies gilt umso mehr, als die Kommission in ihrer Klagebeantwortung darauf hinweist, dass sie die Finanzlage der Klägerin sorgfältig geprüft habe, insbesondere mittels einer Analyse nach dem „Altman-Z-score-Modell“, und dass sie anhand der von der Klägerin beigebrachten Daten den aus diesem Modell herleitbaren Indikator für die Insolvenzwahrscheinlichkeit berechnet habe. Dieser Indikator habe für die Klägerin über dem Grenzwert für eine erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit gelegen. Dadurch sei es zwischen den Parteien zu einem Streit über die Genauigkeit der Berechnung dieses Indikators, der auch in dem von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten – nach Auffassung der Kommission allerdings falsch – errechnet worden sei, und allgemeiner über die Bewertung des von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Sachverständigengutachtens durch die Kommission gekommen. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin auch ein neues Sachverständigengutachten zu ihrer Finanzlage vorgelegt.

209    Die oben in Randnr. 206 wiedergegebene Annahme der Klägerin trifft jedoch nicht zu. Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 201), kann sich die Klägerin für die Zwecke der Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien nicht auf die Angabe beschränken, dass die Festsetzung einer Geldbuße zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen würde; sie muss vielmehr auch erläutern und beweisen, inwiefern dies ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit als Unternehmen gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.

210    Die letztgenannte Frage wurde jedoch im Antrag der Klägerin auf Anwendung dieser Vorschrift der Leitlinien nicht ausdrücklich behandelt (siehe oben, Randnrn. 198 bis 200). Daher gab es zu dieser Frage zwischen der Klägerin und der Kommission keinen Meinungsaustausch, so dass die oben in Randnr. 207 angeführte Rechtsprechung keine Anwendung findet. Unter diesen Umständen konnte sich die Kommission, ohne gegen die Begründungspflicht zu verstoßen, auf die Feststellung im 377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung beschränken, dass die wesentliche Voraussetzung für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien – die Gefährdung der Überlebensfähigkeit des betreffenden Unternehmens und die Tatsache, dass seine Aktiva jeglichen Wertes beraubt würden – nicht erfüllt sei. Daher ist die von der Klägerin erhobene Rüge einer Verletzung der Begründungspflicht zurückzuweisen.

211    Jedenfalls geht aus der oben in den Randnrn. 49 bis 51 angeführten Rechtsprechung hervor, dass das Gericht vorliegend nicht nur die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung sowohl formell als auch in der Sache nachprüfen, sondern auch seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausüben muss, was bedeutet, dass es seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen der Kommission setzt.

212    Die Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung kann die Vorlage und Heranziehung zusätzlicher Informationen erfordern, die an sich nicht in der Entscheidung erwähnt zu werden brauchen, damit diese dem Begründungserfordernis genügt (Urteil des Gerichtshofs vom , KNP BT/Kommission, C‑248/98 P, Slg. 2000, I‑9641, Randnr. 40; Urteile SCA Holding/Kommission, oben in Randnr. 49 angeführt, Randnr. 55, und Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 96 angeführt, Randnr. 215). Unter Berücksichtigung solcher Zusatzinformationen, die in der Entscheidung der Kommission nicht erwähnt sind, kann der Unionsrichter in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung u. a. zu dem Ergebnis kommen, dass die festgesetzte Geldbuße angemessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom , BASF und UCB/Kommission, T‑101/05 und T‑111/05, Slg. 2007, II‑4949, Randnrn. 71 und 72), und zwar auch dann, wenn die Entscheidung der Kommission unzureichend begründet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom , Prym und Prym Consumer/Kommission, T‑30/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 190).

213    Im vorliegenden Fall tritt die Klägerin in der Sache der Beurteilung der Kommission entgegen, mit der diese den Antrag auf Berücksichtigung ihrer fehlenden Leistungsfähigkeit abgelehnt hat. Sie beschränkt sich nicht darauf, insofern einen Tatsachenirrtum oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler geltend zu machen, sondern ersucht das Gericht auch um Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Die Kommission ihrerseits beantragt in ihrer Klagebeantwortung, dass das Gericht, falls es die Begründung der angefochtenen Entscheidung für unzureichend erachten sollte, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Höhe der Geldbuße beibehält.

214    Selbst wenn die Begründung der angefochtenen Entscheidung, soweit mit ihr der oben genannte Antrag der Klägerin zurückgewiesen wurde, unzureichend sein sollte, ist unter diesen Umständen, bevor sie gegebenenfalls aus diesem Grund aufgehoben wird, das materielle Vorbringen der Klägerin gegen die Zurückweisung ihres Antrags zu prüfen, nicht nur um festzustellen, ob die Zurückweisung die von der Klägerin geltend gemachten materiellen Fehler aufweist, sondern auch um zu entscheiden, ob im Rahmen der Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, über die das Gericht auf diesem Gebiet verfügt, die Geldbuße, wie von der Klägerin beantragt, aufzuheben oder herabzusetzen ist oder ob sie, wie von der Kommission beantragt, aufrechtzuerhalten ist.

215    Hierzu ist erstens festzustellen, dass sowohl das Sachverständigengutachten, das die Klägerin ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt hatte, als auch das Schreiben vom nicht nur nicht ausdrücklich auf die Frage der Überlebensfähigkeit des Unternehmens der Klägerin und eines möglichen Verlusts jeglichen Wertes ihrer Aktiva aufgrund der Verhängung der Geldbuße eingehen (siehe oben, Randnrn. 199 und 200), sondern auch keine Anhaltspunkte enthalten, die für eine solche Möglichkeit sprächen.

216    Zweitens sprechen die von der Klägerin in ihrer Klageschrift vorgetragenen Argumente ebenso wenig für eine solche Möglichkeit, sondern deuten im Gegenteil darauf hin, dass selbst im Insolvenzfall der Fortbestand des Unternehmens nach einer Rekapitalisierung der Klägerin oder der Übernahme ihrer sämtlichen Aktiva durch eine andere Einheit unter Fortführung des Betriebs wahrscheinlich wäre. Obwohl die Klägerin sich nach ihren eigenen Angaben „seit geraumer Zeit am Rande der Insolvenz“ befand, trat nämlich 2008 ein neuer Aktionär in die Gesellschaft ein, was zeigt, dass es Anleger gab, die an einer Beteiligung an der Klägerin interessiert waren. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Klägerin, wie sie selbst ausführt, ein angesehener Wettbewerber auf dem Calciumcarbidmarkt war und die Finanzprobleme, mit denen sie zu kämpfen hatte, von ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Markt unabhängig waren.

217    Drittens wird dieser Eindruck durch eine an ihre „Geschäftspartner“ gerichtete Erklärung des Verwaltungsrats der Klägerin vom bestätigt, die die Kommission als Anlage zu ihrer Klagebeantwortung vorgelegt hat. Darin heißt es, dass der Antrag, durch den die Klägerin für insolvent erklärt werden sollte, das Ziel gehabt habe, ihre Vermögenswerte im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Betriebs zu schützen. Der Verwaltungsrat erklärt, die Klägerin könne ihre Stellung auf dem Markt aufrechterhalten, was ein „Zeichen von Dynamik und innerer Stärke“ sei, und spricht von einem „Verfahren zur Wiederbelebung des Unternehmens“, das dessen „Handlungs- und Leistungsfähigkeit“ keineswegs in Frage stelle.

218    Viertens überzeugt auch das Vorbringen in der Erwiderung nicht, mit dem die Klägerin zeigen will, dass ihre Insolvenz unvermeidlich sei und ihre Aktiva jeglichen Wert verlören. In diesem Kontext geht die Klägerin zunächst auf ein Argument der Kommission in der Klagebeantwortung ein, wonach die Klägerin für diese Geldbuße bereits eine Rückstellung von etwa 11 Mio. Euro vorgenommen habe. Dieses Argument ist jedoch irrelevant, da es nicht die mögliche Fortführung des Unternehmens nach seinem Insolvenzantrag betrifft, sondern die Frage, ob die Verhängung der Geldbuße unausweichlich zur Insolvenz führte.

219    In diesem Teil ihres Vorbringens behandelt die Klägerin noch zwei weitere Fragen. Zum einen geht sie auf die Ausführungen der Kommission zum möglichen Erwerb ihrer Vermögenswerte durch ein anderes Unternehmen ein. Zum anderen geht sie auf das Argument der Kommission ein, sie habe nicht beantragt, ein Sanierungsverfahren einzuleiten.

220    Zur ersten der beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Fragen stellt die Klägerin fest, es sei „schwierig, den Beweis zu erbringen, dass ein Ereignis nicht eintreten wird“; sie wisse aber jedenfalls von keinem Unternehmen, das „am Ankauf ihrer Vermögenswerte (einschließlich der Verbindlichkeiten) interessiert ist“. Diese Antwort beruht jedoch auf einer irrigen Annahme. Der Verkauf sämtlicher Vermögenswerte eines zahlungsunfähigen Unternehmens zur Fortführung des Betriebs, von dem oben in Randnr. 189 die Rede ist, umfasst, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht auch die Übertragung der Verbindlichkeiten dieses Unternehmens auf den Erwerber. Die zu den Verbindlichkeiten gehörenden Schulden werden aus dem Erlös des Verkaufs beglichen. Wahrscheinlich wird dies nur partiell geschehen, da die Klägerin andernfalls nicht für insolvent erklärt worden wäre. Gleichwohl kann durch den Gesamtverkauf sämtlicher Vermögenswerte einer zahlungsunfähigen Gesellschaft im Hinblick auf die Fortführung des Betriebs grundsätzlich ein besseres Ergebnis erzielt werden als durch den gesonderten Verkauf jedes einzelnen Vermögensgegenstands, da ein Gesamtverkauf sämtlicher Vermögenswerte eines zahlungsunfähigen Unternehmens die Realisierung immaterieller Werte, wie z. B. seines Ansehens auf dem Markt, erlaubt und es dem Käufer, der im betreffenden Sektor tätig werden will, zudem ermöglicht, die Anstrengungen, Kosten und Schwierigkeiten zu vermeiden, die die Errichtung eines ganz neuen Unternehmens erfordert.

221    Unter diesen Umständen wäre vernünftigerweise zu erwarten, dass die Klägerin erläutert, warum der Erwerb ihres Unternehmens durch eine andere Einheit im vorliegenden Fall ausgeschlossen gewesen sein soll, zumal sie selbst festgestellt hat, dass sie ein angesehener Wettbewerber auf dem Markt sei. Die Klägerin beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, dass die Fortführung ihres Betriebs von der Meinung eines „Gläubigerausschusses“ abhänge; wenn diese Gläubiger der Ansicht seien, „dass es einträglicher wäre, die Vermögenswerte des Unternehmens zu verkaufen, als dessen Betrieb aufrechtzuerhalten, [würden] die Fertigungsanlagen geschlossen, und … die Wiederaufnahme des Betriebs wäre sowohl finanziell als auch technisch eine außergewöhnlich starke Belastung“, so dass „bei vernünftiger Betrachtung damit zu rechnen [wäre], dass zumindest einige Teile der Vermögenswerte und Fertigungsanlagen kein Interesse fänden und daher ihren gegenwärtigen Wert insgesamt verlören“.

222    Die Klägerin legt hierzu auch ein Sachverständigengutachten vor, das zu dem Schluss gelangt, dass sie ihre Produktionstätigkeiten innerhalb eines Zeitraums von 10 bis 18 Wochen ohne Gefahr für die Sicherheit ihrer Arbeitnehmer beenden könnte, aber die in den Anlagen verbleibenden Substanzen „erhebliche Auswirkungen“ auf die Umwelt hätten und die Demontage dieser Anlagen von Fachleuten vorgenommen werden müsste, wobei sich ihre Dauer und ihre Kosten nur schwer schätzen ließen.

223    Das in den beiden vorstehenden Randnummern zusammengefasste Vorbringen der Klägerin ist lückenhaft, wenn nicht widersprüchlich. Ihr Vorbringen sowie das von ihr vorgelegte Sachverständigengutachten lassen darauf schließen, dass der Verkauf ihrer sämtlichen Vermögenswerte im Hinblick auf die Fortführung des Betriebs auch für ihre Gläubiger die vorzugswürdige Lösung wäre. Die Klägerin erläutert jedoch nicht, aus welchen Gründen der Gläubigerausschuss gleichwohl zu dem Schluss gelangen könnte, dass es einträglicher wäre, ihre Vermögenswerte zu verkaufen und ihre Produktion einzustellen.

224    Was das Sanierungsverfahren betrifft, hat die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ein Argument wiederaufgenommen, das sie bereits im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorgetragen hat. Aus dem Beschluss Novácke chemické závody/Kommission (oben in Randnr. 5 angeführt, Randnrn. 25 und 49) ergibt sich jedoch, dass das Sanierungsverfahren vor der Insolvenzerklärung eingeleitet werden musste. Dieses Argument betrifft daher die Frage, wie eine Insolvenzerklärung vermieden werden könnte, und nicht deren Folgen. Daher ist auch dieses Argument nicht stichhaltig (siehe auch oben, Randnr. 218). Jedenfalls beschränkt sich die Klägerin darauf, zu diesem Argument geltend zu machen, dass einige ihrer Gläubiger einem Sanierungsplan nur hätten zustimmen können, wenn er den Vorschriften über staatliche Beihilfen entspräche, ohne zu erläutern, warum dies auszuschließen sei. Im Übrigen wiederholt sie die ungenauen und unbewiesenen Ausführungen, dass am Erwerb ihrer Aktien oder ihres Unternehmens durch einen Dritten „kein erhebliches Interesse bestand“.

225    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen hat die Klägerin nicht darzutun vermocht, dass die Weigerung der Kommission, in der angefochtenen Entscheidung ihre mangelnde Leistungsfähigkeit im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen, fehlerhaft war.

226    Dieser Schluss wird durch die Antwort der Klägerin auf die Frage bekräftigt, die das Gericht im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme an die Beteiligten gestellt hat und mit der es sie aufgefordert hat, ihr Vorbringen zum vorliegenden Klagegrund, insbesondere hinsichtlich der Aussichten für einen Verkauf der gesamten Vermögenswerte der Klägerin unter Fortführung des Betriebs, zu ergänzen.

227    Die Klägerin hat nämlich bestätigt, dass ihre sämtlichen Vermögenswerte ohne jede Verbindlichkeit mit Ausnahme derer, die sie nach ihrer Insolvenzerklärung eingegangen sei, am im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu dem von ihr als „unbedeutend“ angesehenen Preis von 2,2 Mio. Euro verkauft worden seien. Dass dieser Preis nur einen Bruchteil der gegen sie verhängten Geldbuße darstelle, bestätige, dass ihre Aktiva jeglichen Wert verloren hätten.

228    Unabhängig davon, ob die gesamten Vermögenswerte der Klägerin zu einem höheren als dem tatsächlich erzielten Preis hätten verkauft werden können, kann angesichts dieses Preises jedenfalls nicht davon die Rede sein, dass ihre Aktiva jeglichen Wert verloren hätten. Die Klägerin hat nämlich keineswegs dargetan, dass der Verkauf ihrer sämtlichen Vermögenswerte unter Fortführung des Betriebs des Unternehmens unwahrscheinlich oder gar unmöglich war, sondern im Gegenteil bestätigt, dass ein solcher Verkauf tatsächlich stattgefunden hat.

229    Daraus folgt, dass die Kommission zu Recht der Auffassung war, dass die Voraussetzungen für eine Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien im Fall der Klägerin nicht erfüllt gewesen seien, und dass im Rahmen der Ausübung der Befugnis des Gerichts zu uneingeschränkter Nachprüfung jedenfalls davon auszugehen ist, dass das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes nicht die Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße rechtfertigt, sondern im Gegenteil deren Aufrechterhaltung. Infolgedessen ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG

230    Mit ihrem dritten Klagegrund macht die Klägerin geltend, die angefochtene Entscheidung könnte, weil mit ihr eine übermäßige Geldbuße gegen sie verhängt werde, den Wettbewerb auf dem Calciumcarbidmarkt verzerren oder beseitigen und dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG verstoßen. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofs vom , Europemballage und Continental Can/Kommission (6/72, Slg. 1973, 215, Randnrn. 23 und 24), führt die Klägerin aus, nach dieser Bestimmung sei die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften untersagt, sofern sie zu einer Verzerrung oder zu einer Ausschaltung des Wettbewerbs führe, auch wenn das Unionsrecht dies nicht unmittelbar vorsehe. Die Bestimmung sei nicht nur für die Unternehmen verbindlich, sondern auch für die Unionsorgane, so dass ein solches Organ, wenn es eine Maßnahme erlasse, die den Wettbewerb verfälsche oder ausschalte, gegen diese Bestimmung verstoße, auch wenn es keine andere Vorschrift des Unionsrechts verletze.

231    Die Klägerin wiederholt im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes die bereits im Rahmen des zweiten Klagegrundes vorgetragene Auffassung, dass die gegen sie verhängte Geldbuße ihre Insolvenzerklärung und ihren Abschied von dem betreffenden Markt zur Folge haben werde. Ferner stellt sie unter Berufung auf konkrete Daten aus der angefochtenen Entscheidung und gestützt auf den Herfindahl-Hirschman-Index, anhand dessen die Wettbewerbsbehörden, einschließlich der Kommission, das Ausmaß der Konzentration auf einem bestimmten Markt beurteilen, fest, dass der Konzentrationsgrad auf den hier in Rede stehenden Märkten für Calciumcarbidpulver und ‑granulat bereits hoch sei. Da sie auf diesen Märkten einer der wichtigsten Wettbewerber sei, hätte ihre Ausschaltung zur Folge, dass die Koordinierung zwischen den anderen Wettbewerbern trotz der gegen diese festgesetzten Sanktionen wahrscheinlicher werde. Die Marktanteile der Klägerin würden wahrscheinlich zwischen den anderen Kartellmitgliedern aufgeteilt, was zu einer Erhöhung der Konzentration und letztlich zur Ausschaltung des Wettbewerbs auf diesen Märkten führen würde.

232    Insbesondere könnten ihre Anteile an den betreffenden Märkten von Akzo Nobel übernommen werden, und in diesem Fall wiese der Herfindahl-Hirschman-Index eine erhebliche Steigerung auf. Dies verdeutliche das „abwegige und unbillige Ergebnis“, zu dem die „mechanische und unsachgemäße Anwendung der Wettbewerbsregeln“ führen könnte. Akzo Nobel, ein „wirtschaftlicher Riese“ mit beträchtlichen Anteilen an den betreffenden Märkten, der bereits wegen seiner Beteiligung an anderen Kartellen mit Geldbußen belegt worden und ein aktives Mitglied des in Rede stehenden Kartells gewesen sei, zöge letztlich einen Vorteil aus der angefochtenen Entscheidung, da er nicht nur einen Geldbußenerlass erhalten habe, sondern ihm auch die Kunden der Klägerin zufielen. Ein solches Ergebnis widerspräche offensichtlich nicht nur den Zielen des Wettbewerbsrechts, sondern auch grundlegenden Billigkeitserwägungen.

233    Diese Argumentation greift nicht durch.

234    Erstens ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG zurückzuweisen.

235    Wie der Gerichtshof in seinem Urteil Europemballage und Continental Can/Kommission (oben in Randnr. 230 angeführt, Randnrn. 23 und 24), auf das sich die Klägerin beruft, befunden hat, ist diese Vorschrift zwar einem Ziel gewidmet, das in mehreren Bestimmungen des EG-Vertrags näher geregelt wird, für deren Auslegung diese Zielsetzung maßgebend ist. Wenn aber Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG die Errichtung eines Systems vorsieht, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt, so fordert er erst recht, dass der Wettbewerb nicht ausgeschaltet wird. Dieses Erfordernis ist so wesentlich, dass bei seinem Fehlen zahlreiche Bestimmungen des EG-Vertrags gegenstandslos wären. Somit finden die Wettbewerbsbeschränkungen, die dieser Vertrag unter bestimmten Bedingungen deshalb zulässt, weil die verschiedenen Vertragsziele miteinander in Einklang gebracht werden müssen, in diesem Erfordernis eine Grenze, bei deren Überschreitung die Gefahr besteht, dass eine Abschwächung des Wettbewerbs den Zielsetzungen des Gemeinsamen Marktes zuwiderlaufen würde.

236    Gleichwohl sind diese als solche zutreffenden Erwägungen nicht für die Festsetzung einer Sanktion gegen ein Unternehmen relevant, das durch seine Beteiligung an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen oder einer abgestimmten Verhaltensweise, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG bezwecken oder bewirken soll, gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat. Bei ihrem Vorbringen lässt die Klägerin nämlich völlig außer Acht, dass infolge des mit der angefochtenen Entscheidung geahndeten Kartells der Wettbewerb auf den im vorliegenden Fall betroffenen Märkten verfälscht oder gar ausgeschaltet wurde. Die angefochtene Entscheidung zielt gerade darauf ab, u. a. durch die Festsetzung angemessener Sanktionen Abhilfe zu schaffen.

237    Stellt die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln fest, ist die Festsetzung von Sanktionen durch sie ein Mittel, das gerade darauf abzielt, das in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG genannte Ziel zu erreichen, und kann offensichtlich nicht als Verstoß gegen diese Bestimmung angesehen werden. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der die Richtschnur für das Handeln der Kommission in diesem Bereich bilden muss (siehe oben, Randnrn. 44 und 46), sind allerdings unangemessene Sanktionen, die zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht erforderlich sind, zu vermeiden. Das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes ist daher nur unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen.

238    Zweitens ist im Hinblick auf die Prüfung dieses Vorbringens unter dem genannten Gesichtspunkt festzustellen, dass die oben in Randnr. 186 angeführte ständige Rechtsprechung, nach der die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße nicht verpflichtet ist, die defizitäre finanzielle Lage eines betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen, nicht bedeutet, dass sie daran gehindert wäre (Urteil Carbone-Lorraine/Kommission, oben in Randnr. 58 angeführt, Randnr. 314). Das Erfordernis der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann nämlich der Verhängung einer Geldbuße entgegenstehen, die über das hinausginge, was eine angemessene Sanktion für die festgestellte Zuwiderhandlung darstellte und den Bestand des betroffenen Unternehmens in Frage stellen könnte. Dies gilt erst recht, wenn das Verschwinden eines Unternehmens von dem betreffenden Markt notwendigerweise schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb hätte.

239    Gleichwohl enthält das Vorbringen der Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür, dass bei der gegen sie festgesetzten Geldbuße der in der vorstehenden Randnummer geschilderte Fall vorliegt und ihre Bemessung daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

240    Zum einen beruht das Vorbringen der Klägerin auf der Annahme, dass die Verhängung dieser Geldbuße zu ihrem Abschied von den betreffenden Märkten führen würde; dies trifft jedoch aus den im Rahmen des zweiten Klagegrundes dargestellten Gründen (siehe oben, Randnrn. 215 bis 228) nicht zu.

241    Zum anderen enthält das Vorbringen der Klägerin, selbst wenn man ihren Abschied von den betreffenden Märkten unterstellt, keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Wettbewerb auf diesen Märkten in einem solchen Fall ausgeschaltet oder erheblich eingeschränkt würde.

242    Insoweit lässt sich dem 44. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, den die Klägerin in keiner Weise beanstandet, entnehmen, dass Calciumcarbid explosiv und der Transport aus diesem Grund relativ schwierig ist. Folglich weist die Errichtung einer beherrschenden Stellung oder eines Monopols auf diesem Markt eine weitere Schwierigkeit auf, da ein Hersteller, um den Markt beherrschen zu können, über mehrere über das betreffende Gebiet verteilte Produktionsstätten verfügen müsste.

243    Zudem beruft sich die Klägerin zur Stützung ihrer These, dass ihr Abschied von den betreffenden Märkten zur Beschränkung oder gar Ausschaltung des Wettbewerbs auf diesen Märkten führen würde, darauf, dass ihre Kunden möglicherweise von Akzo Nobel übernommen würden. Sie erläutert jedoch in keiner Weise, warum die Übernahme ihrer Kunden durch Akzo Nobel und nicht durch einen anderen Marktteilnehmer wahrscheinlich wäre.

244    Im Übrigen lässt sich der Tabelle im 46. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung entnehmen, dass Akzo Nobel zwischen 20 % und 25 % des Marktes für Calciumcarbidpulver und zwischen 5 % und 10 % des Marktes für Calciumcarbidgranulat innehatte. Selbst wenn Akzo Nobel die Kunden der Klägerin übernähme, würde sie daher keineswegs ein Monopol auf diesen beiden Märkten erlangen. Zudem war, wie aus Fn. 80 folgt, auf die im 44. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird, Akzo Nobel nicht der Hauptanbieter „auf dem Kontinentalmarkt“, an dem die Klägerin beteiligt war. Ein großer Teil des Marktanteils von Akzo Nobel scheint nach dieser Fußnote darauf zurückzuführen zu sein, dass sie der einzige „in der nordischen Region“ ansässige Hersteller war. Diese Faktoren, die von der Klägerin nicht in Abrede gestellt werden, sprechen sowohl dagegen, von einer Übernahme der Kunden der Klägerin durch Akzo Nobel im Fall ihres Rückzugs von diesen Märkten auszugehen, als auch gegen den möglichen Erwerb einer beherrschenden Stellung durch Akzo Nobel auf diesen Märkten, falls es ihr gelänge, die Kunden der Klägerin zu übernehmen.

245    Nach alledem ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen. Zudem ist das Gericht in Ausübung seiner Befugnisse zu unbegrenzter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der gegen die Klägerin verhängte Geldbuße jedenfalls der Auffassung, dass ihr Betrag unter den Umständen des vorliegenden Falles in Anbetracht von Schwere und Dauer der von der Kommission festgestellten Zuwiderhandlung sowie der wirtschaftlichen Mittel der Klägerin angemessen ist. Daher ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

246    Nach Art. 87 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Zudem tragen nach Art. 87 § 4 Abs. 1 die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

247    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Die Slowakische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Novácke chemické závody a.s. trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Slowakische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

Czúcz

Labucka

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Dezember 2012.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



Vorgeschichte des Rechtsstreits

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Bemessung der Geldbuße

Leitlinien

Angefochtene Entscheidung

Zu den Rügen der Klägerin

– Vorbemerkungen

– Zur ersten, die abschreckende Wirkung der Geldbuße betreffenden Rüge

– Zur zweiten, die erschwerenden Umstände betreffenden Rüge

– Zur dritten, mildernde Umstände betreffenden Rüge

– Zur vierten, die Herabsetzung der Geldbuße von Almamet betreffenden Rüge

– Zur fünften, die Bemessung der Geldbuße im Verhältnis zu den Gesamtumsätzen der Adressaten der angefochtenen Entscheidung betreffenden Rüge

– Zu der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen sechsten Rüge, die den der Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße zugrunde zu legenden Umsatz betrifft

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften, Tatsachenirrtum und offensichtlicher Beurteilungsfehler, weil die Kommission es abgelehnt habe, die Leistungsfähigkeit der Klägerin zu berücksichtigen

Leitlinien

Angefochtene Entscheidung

Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG

Kosten



* Verfahrenssprache: Englisch.