Language of document : ECLI:EU:T:2011:507

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte erweiterte Kammer)

21. September 2011(*)

„Nichtigkeitsklage – REACH – Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑1/10

Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG) mit Sitz in Brüssel (Belgien),

SNF SAS mit Sitz in Andrézieux-Bouthéon (Frankreich),

vertreten zunächst durch Rechtsanwalt K. Van Maldegem und P. Sellar, Solicitor, sowie Rechtsanwalt R. Cana, dann durch Rechtsanwälte Van Maldegem und Cana,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Agentur für chemische Stoffe (ECHA), vertreten durch M. Heikkila und W. Broere als Bevollmächtigte, im Beistand von Rechtsanwalt J. Stuyck,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels, J. Langer, Y. de Vries und M. de Ree als Bevollmächtigte,

und durch

Europäische Kommission, vertreten zunächst durch P. Oliver und G. Wilms, dann durch P. Oliver und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid (EG Nr. 201‑173‑7) gemäß Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1) als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien des Art. 57 dieser Verordnung erfüllt,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich (Berichterstatter) sowie der Richter F. Dehousse, I. Wiszniewska-Białecka, M. Prek und J. Schwarcz,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die erste Klägerin, die Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG), ist eine Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung mit Sitz in Belgien. Sie vertritt die Interessen von Unternehmen, die Polyelektrolyte, Polyacrylamid und/oder andere acrylamidhaltige Polymere erzeugen und/oder einführen. Die Mitgliedsunternehmen der ersten Klägerin verwenden auch Acrylamid und erzeugen und/oder führen Acrylamid oder Polyacrylamid ein. Alle Acrylamiderzeuger der Europäischen Union sind Mitglieder der ersten Klägerin.

2        Die zweite Klägerin, die SNF SAS, ist ein Mitgliedsunternehmen der ersten Klägerin. Sie ist hauptsächlich in der Erzeugung von Acrylamid und Polyacrylamid tätig, das sie direkt an ihre Kunden verkauft. Sie verfügt über Produktionsstätten in Frankreich, den Vereinigten Staaten, China und Südkorea.

3        Polyelektrolyte sind wasserlösliche, synthetische, organische Polymere, die ausgehend von verschiedenen Monomeren, zu denen auch Acrylamid zählt, hergestellt werden. Sie werden z. B. bei der Trinkwasserreinigung, der Abwasseraufbereitung, der Papiererzeugung und der Edelmetallgewinnung verwendet.

4        Polyacrylamid ist ein Polymer, das durch Polymerisation aus dem Monomer Acrylamid gebildet wird und hauptsächlich bei der Abwasseraufbereitung, in der Papier-, Bergbau- und Erdölindustrie sowie in der Landwirtschaft, als Textilbeimischung und in den Bereichen der Kosmetikprodukte und Körperhygiene verwendet wird.

5        Am 25. August 2009 übermittelte das Königreich der Niederlande der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA) ein Dossier, das es zur Ermittlung von Acrylamid als Stoff, der die Kriterien des Art. 57 Buchst. a und b der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1), in der Folge geändert u. a. durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG (ABl. L 353, S. 1) erfüllt, ausgearbeitet hatte und in dem es auf die Einstufung von Acrylamid als karzinogener Stoff der Kategorie 2 und als keimzellmutagener Stoff der Kategorie 2 in Anhang VI Teil 3 der Verordnung Nr. 1272/2008 hinwies. Am 31. August 2009 veröffentlichte die ECHA auf ihrer Website einen Hinweis, mit dem sie die interessierten Kreise aufforderte, ihre Bemerkungen zu dem Dossier abzugeben, das zu Acrylamid zusammengestellt worden war. Am selben Tag forderte die ECHA auch die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten auf, ihre Bemerkungen zu diesem Thema abzugeben.

6        Nach Eingang der Bemerkungen zu dem betreffenden Dossier, insbesondere der ersten Klägerin und der Antworten des Königreichs der Niederlande auf diese Bemerkungen überwies die ECHA das Dossier an ihren Ausschuss der Mitgliedstaaten, der am 27. November 2009 zur einstimmigen Einigung über die Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff gelangte, da Acrylamid die Kriterien des Art. 57 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllte.

7        Am 7. Dezember 2009 veröffentlichte die ECHA eine Pressemitteilung, in der sie zum einen verkündete, dass der Ausschuss der Mitgliedstaaten zu einer einstimmigen Einigung über die Ermittlung von Acrylamid und 14 anderen Stoffen als besonders besorgniserregende Stoffe gelangt sei, da diese Stoffe die Kriterien des Art. 57 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllten, und zum anderen, dass die Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung Nr. 1907/2006 in Frage kommenden Stoffe (im Folgenden: Kandidatenliste) formal im Januar 2010 aktualisiert würde. Am 22. Dezember 2009 erließ der Direktor der ECHA die Entscheidung ED/68/2009, diese 15 Stoffe am 13. Januar 2010 in die Kandidatenliste aufzunehmen, wobei vorgesehen war, dass diese Entscheidung am 13. Januar 2010 rechtskräftig würde.

 Verfahren und Anträge der Beteiligten

8        Die Klägerinnen haben mit am 4. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA erhoben, mit der Acrylamid gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllt (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

9        Mit am 5. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem besonderen Schriftsatz hat die zweite Klägerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht, mit dem sie im Wesentlichen den Präsidenten des Gerichts ersucht hat, den Vollzug der angefochtenen Entscheidung auszusetzen.

10      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 11. Januar 2010 ist der Vollzug der angefochtenen Entscheidung bis zum Erlass des Beschlusses ausgesetzt worden, der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet. Infolge dieses Beschlusses hat der Direktor der ECHA die Aufnahme von Acrylamid in die Kandidatenliste ausgesetzt.

11      Die ECHA hat mit besonderem Schriftsatz, der am 17. März 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

12      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 26. März 2010, PPG und SNF/ECHA (T‑1/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz der zweiten Klägerin zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten worden.

13      Auf diesen Beschluss hin hat die ECHA am 30. März 2010 die Kandidatenliste unter Aufnahme von Acrylamid veröffentlicht.

14      Mit Schriftsätzen, die am 19. und 20. April 2010 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, haben die Europäische Kommission und das Königreich der Niederlande beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der ECHA zugelassen zu werden. Mit Beschluss des Präsidenten der Achten Kammer des Gerichts vom 8. Juni 2010 ist diesen Anträgen nach Anhörung der Parteien stattgegeben worden.

15      Die Klägerinnen haben ihre Stellungnahme zu der Einrede der Unzulässigkeit am 4. Mai 2010 eingereicht.

16      Die Klägerinnen haben mit am 17. bzw. am 25. Mai 2010 eingegangenen Schriftsätzen einen Antrag auf vertrauliche Behandlung ihrer Schriftsätze gegenüber den Streithelfern gestellt. Diesem Antrag auf vertrauliche Behandlung ist nicht widersprochen worden.

17      Die Kommission und das Königreich der Niederlande haben ihre auf die Zulässigkeit eingeschränkten Streithilfeschriftsätze am 3. bzw. 5. August 2010 eingereicht. Mit am 1. und 4. Oktober 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen haben die Parteien zu diesen Schriftsätzen Stellung genommen.

18      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Siebten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 30. März 2011 hat das Gericht die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 51 § 1 der Verfahrensordnung an die Siebte erweiterte Kammer verwiesen.

19      Die Klägerinnen beantragen in der Klageschrift,

–        die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        der ECHA die Kosten aufzuerlegen;

–        jede weitere als notwendig erachtete Maßnahme zu treffen.

20      Die ECHA beantragt in ihrer Einrede der Unzulässigkeit,

–        die Klage für unzulässig zu erklären;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

21      In ihren Stellungnahmen zur Einrede der Unzulässigkeit beantragen die Klägerinnen, diese Einrede zurückzuweisen.

22      Die Kommission beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen.

23      Das Königreich der Niederlande beantragt, die Klage für unzulässig zu erklären und den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

24      Nach Art. 114 §§ 1 und 4 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Einrede der Unzulässigkeit entscheiden. Nach Art. 114 § 3 wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht den Akteninhalt für ausreichend und sieht keinen Anlass, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

25      Die ECHA stützt ihre Anträge auf drei Unzulässigkeitsgründe, und zwar die Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung, die mangelnde unmittelbare Betroffenheit der Klägerinnen und den Umstand, dass die angefochtene Entscheidung, die kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV sei, die Klägerinnen nicht individuell betreffe.

26      Die Kommission unterstützt das Vorbringen der ECHA hinsichtlich der Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung und der mangelnden unmittelbaren Betroffenheit der Klägerinnen. Sie bringt zudem vor, die Klageschrift entspreche wegen mangelnder Klarheit nicht den Anforderungen des Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung.

27      Das Königreich der Niederlande unterstützt alle von der ECHA vorgebrachten Unzulässigkeitsgründe.

 Zur Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung

28      Die Kommission trägt vor, der Klageschrift fehle es an Klarheit, und sie erfülle nicht die Voraussetzungen des Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung. Die Klägerinnen, die in der Klageschrift die Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA vom 7. Dezember 2009 beantragten, mit der Acrylamid als Stoff ermittelt worden sei, der die Kriterien nach Art. 57 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfülle, bezeichneten den angefochtenen Rechtsakt nämlich nicht hinreichend. Bei dem Rechtsakt, der in der Pressemitteilung der ECHA vom 7. Dezember 2009 genannt worden sei, handele es sich nicht um die Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid ermittelt worden sei, sondern um den vom Ausschuss der Mitgliedstaaten unternommenen Schritt in dem Verfahren, das mit der Ermittlung durch die ECHA geendet habe.

29      Die ECHA hat sich zwar nicht auf diesen Unzulässigkeitsgrund berufen. Die Kommission kann als Streithelferin keinen Unzulässigkeitsgrund vorbringen, den die von ihr unterstützte Partei nicht geltend gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 17. Juni 1998, Svenska Journalistförbundet/Rat, T‑174/95, Slg. 1998, II‑2289, Randnrn. 77 und 78).

30      Da jedoch die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage und der mit ihr erhobenen Rügen zwingendes Recht sind, kann sie das Gericht gemäß Art. 113 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 9. September 2009, Brink’s Security Luxembourg/Kommission, T‑437/05, Slg. 2009, II‑3233, Randnr. 54, und vom 9. September 2010, Evropaïki Dynamiki/EBDD, T‑63/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Gemäß Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anzuwenden ist, und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand enthalten. Diese Angaben müssen so klar und genau sein, dass dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird (Urteil des Gerichts vom 18. September 1996, Asia Motor France u. a./Kommission, T‑387/94, Slg. 1996, II‑961, Randnr. 106, Beschlüsse des Gerichts vom 14. Dezember 2005, Arizona Chemical u. a./Kommission, T‑369/03, Slg. 2005, II‑5839, Randnr. 120, und vom 8. Februar 2010, Alisei/Kommission, T‑481/08, Slg. 2010, II‑117, Randnr. 89).

32      Im vorliegenden Fall erfüllt die Klageschrift die Voraussetzungen hinsichtlich des Streitgegenstands. Die Klägerinnen beantragen darin nämlich die Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien nach Art. 57 dieser Verordnung erfüllt. In der Folge erläutern sie, dass dieser Stoff aufgrund dieser Entscheidung, die am 7. Dezember 2009 vom Ausschuss der Mitgliedstaaten, d. h. einem Organ der ECHA, erlassen und ihnen durch die Pressemitteilung der ECHA vom selben Tag zur Kenntnis gebracht worden sei, in die im Januar 2010 auf der Website der ECHA veröffentlichte Kandidatenliste aufgenommen werden solle.

33      Der Ausschuss der Mitgliedstaaten ist zwar bereits am 27. November 2009 und nicht erst am 7. Dezember 2009 zur einstimmigen Einigung über die Ermittlung von Acrylamid als Stoff, der die Kriterien nach Art. 57 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllt, gelangt. Da jedoch die Pressemitteilung der ECHA vom 7. Dezember 2009 angab, dass der Ausschuss der Mitgliedstaaten die betreffenden Stoffe am 7. Dezember 2009 ermittelt habe, und da die Einigung dieses Ausschusses von der ECHA nicht veröffentlicht wurde, sind die Klägerinnen nicht in der Lage gewesen, in der Klageschrift das richtige Datum der Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten anzuführen. Nachdem die Klägerinnen über die Unzulässigkeitseinrede der ECHA das richtige Datum erfahren hatten, haben sie es in ihren Stellungnahmen zu dieser Einrede genannt.

34      Daher ergibt sich aus der Klageschrift rechtlich hinreichend, dass der Streitgegenstand der Rechtsakt der ECHA ist, der in dem Verfahren nach Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 erging, mit dem Acrylamid als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien nach Art. 57 dieser Verordnung erfüllt, dessen Inhalt am 27. November 2009 durch die einstimmige Einigung ihres Ausschusses der Mitgliedstaaten bestimmt worden war und der durch die Aufnahme von Acrylamid in die auf der Website der ECHA veröffentlichte Kandidatenliste, die für den 13. Januar 2010 vorgesehen gewesen war und schließlich am 30. März 2010 erfolgte, vollzogen wurde. Durch Bezugnahme auf die einstimmige Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten im Jahr 2009 und die Aufnahme von Acrylamid in die veröffentlichte Liste haben die Klägerinnen den Streitgegenstand eindeutig bezeichnet.

35      Dieser Unzulässigkeitsgrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum Unzulässigkeitsgrund hinsichtlich der Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung

36      Die ECHA und die Streithelfer machen im Wesentlichen geltend, dass die Klägerinnen mit ihrer Bezugnahme auf die am 27. November 2009 erfolgte einstimmige Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten der ECHA einen Vorbereitungsakt ohne Rechtswirkungen gegenüber Dritten im Sinne von Art. 263 Abs. 1 Satz 2 AEUV angegriffen hätten. Nach Ansicht der ECHA ist der Rechtsakt, der potenzielle Rechtswirkung hat, die nach Art. 59 Abs. 10 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfolgte Veröffentlichung der aktualisierten Kandidatenliste auf der Website der ECHA. Nach Auffassung der Kommission und des Königreichs der Niederlande ist der Rechtsakt, der ein Verfahren nach Art. 59 der Verordnung abschließt, die Entscheidung des Direktors der ECHA, einen Stoff gemäß Art. 59 Abs. 8 in die Kandidatenliste aufzunehmen.

37      Die Klägerinnen erwidern, die angefochtene Entscheidung sei eine Maßnahme, die den Standpunkt der ECHA zur Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff und zu seiner Aufnahme in die Kandidatenliste endgültig festlegt. Es gehe aus Art. 59 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1907/2006 hervor, dass die Einigung über die Ermittlung den Angelpunkt des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens darstelle. Die spätere Aufnahme in die Kandidatenliste sei eine automatische Folge der Entscheidung, einen Stoff als besonders besorgniserregend zu ermitteln. Ebenso müssten die Veröffentlichung und die Aktualisierung der Kandidatenliste nach Art. 59 Abs. 10 dieser Verordnung automatisch erfolgen, nachdem über die Aufnahme eines Stoffes entschieden worden sei.

38      Nach Art. 263 Abs. 1 Satz 2 AEUV kann auch gegen Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten geklagt werden.

39      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Nichtigkeitsklage gegen alle Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union gegeben, die Rechtswirkungen entfalten, ohne dass es auf ihre Rechtsnatur oder -form ankäme (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 31. März 1971, Kommission/Rat, 22/70, Slg. 1971, 263, Randnr. 42, und vom 24. November 2005, Italien/Kommission, C‑138/03, C‑324/03 und C‑431/03, Slg. 2005, I‑10043, Randnr. 32; Beschluss des Gerichts vom 14. Juli 2008, Espinosa Labella u. a./Kommission, T‑322/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Bei Handlungen oder Entscheidungen, die in einem mehrphasigen Verfahren ergehen, insbesondere zum Abschluss eines internen Verfahrens, liegt eine anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei den Maßnahmen vor, die den Standpunkt des Organs, der Einrichtung oder der sonstigen Stelle der Union zum Abschluss dieses Verfahrens endgültig festlegen. Demnach ist gegen vorläufige Maßnahmen oder solche rein vorbereitender Natur keine Nichtigkeitsklage gegeben (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, Slg. 1981, 2639, Randnr. 10, und Urteil des Gerichts vom 19. Januar 2010, Co-Frutta/Kommission, T‑355/04 und T‑446/04, Slg. 2010, II‑1, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Im vorliegenden Fall muss das Gericht nicht auf das Vorbringen zum behaupteten vorbereitenden Charakter der einstimmigen Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten eingehen, da die angefochtene Entscheidung zum Zeitpunkt, zu dem die Zulässigkeit der vorliegenden Klage zu beurteilen ist, d. h. zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift, keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten im Sinne der oben in Randnr. 39 genannten Rechtsprechung entfaltete (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. April 2002, Spanien/Rat, C‑61/96, C‑132/97, C‑45/98, C‑27/99, C‑81/00 und C‑22/01, Slg. 2002, I‑3439, Randnr. 23, und Beschluss des Gerichts vom 7. September 2010, Etimine und Etiproducts/Kommission, T‑539/08, Slg. 2010, II‑4017, Randnr. 76).

42      Der Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes, der im Verfahren nach Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 ergeht, kann zwar u. a. die in Art. 7 Abs. 2, in Art. 31 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 Buchst. b sowie in Art. 33 Abs. 1 und 2 der Verordnung vorgesehenen Informationspflichten auslösen. Diese Bestimmungen nehmen auf die gemäß Art. 59 Abs. 1 dieser Verordnung ermittelten Stoffe oder auf Stoffe Bezug, die in die nach Art. 59 Abs. 1 der Verordnung erstellte Liste aufgenommen werden oder darin enthalten sind. Sie legen somit die rechtlichen Pflichten fest, die sich aus dem Rechtsakt ableiten, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung ergeht.

43      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das in Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 vorgesehene Verfahren, das in der Ermittlung von Stoffen, die die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllen, und in der Erstellung einer Kandidatenliste besteht, in mehreren Stadien verläuft.

44      So können nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens und nachdem die ECHA das Dossier zu einem Stoff den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt und auf ihrer Website einen Hinweis veröffentlicht hat, mit dem alle interessierten Kreise aufgefordert werden, ihre Informationen zu übermitteln (Art. 59 Abs. 2 bis 4 der Verordnung Nr. 1907/2006), die Mitgliedstaaten, die ECHA und alle interessierten Kreise Bemerkungen zu der im Dossier vorgeschlagenen Ermittlung vorlegen (Art. 59 Abs. 4 und 5 der Verordnung). Gehen wie hier Bemerkungen ein, überweist die ECHA das Dossier an ihren Ausschuss der Mitgliedstaaten, und wenn dieser Ausschuss zur einstimmigen Einigung über die Ermittlung gelangt, nimmt sie diesen Stoff in die Kandidatenliste auf (Art. 59 Abs. 7 und 8 der Verordnung). Sobald schließlich eine Entscheidung über die Aufnahme des Stoffes ergangen ist, veröffentlicht und aktualisiert die ECHA die Kandidatenliste auf ihrer Website (Art. 59 Abs. 10 der Verordnung).

45      Im vorliegenden Fall ist die Klageschrift nach der einstimmigen Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten über die Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff und nach der Entscheidung des Direktors, diesen Stoff in die Kandidatenliste aufzunehmen, eingegangen. Da jedoch diese Entscheidung erst zum 13. Januar 2010 rechtskräftig werden sollte und die Aufnahme von Acrylamid in die Kandidatenliste ebenfalls erst für dieses Datum vorgesehen war, war dieser Stoff zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift noch nicht in diese Liste aufgenommen.

46      Zwar ergibt sich aus dem Begriff „nimmt … auf“ in Art. 59 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1907/2006, dass das Organ der ECHA, das mit der Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste betraut ist, über keinerlei Ermessensspielraum hinsichtlich dieser Aufnahme verfügt, da diese automatisch auf die Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten folgt, aber dennoch entfaltet der Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung ergeht, vor der Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste kraft dieser Bestimmung keinerlei Rechtswirkungen gegenüber Dritten im Sinne der oben in Randnr. 39 angeführten Rechtsprechung.

47      Denn erstens nehmen die aus dem Rechtsakt, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 ergeht, abgeleiteten Informationspflichten, die in Art. 7 Abs. 2, in Art. 31 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 Buchst. b sowie in Art. 33 Abs. 1 und 2 der Verordnung vorgesehen sind, zum einen auf die gemäß Art. 59 Abs. 1 der Verordnung ermittelten Stoffe Bezug und zum anderen auf die Stoffe, die in die Kandidatenliste aufgenommen werden oder darin enthalten sind. Es geht nicht aus der Verordnung Nr. 1907/2006 hervor, dass der Gesetzgeber das Ziel verfolgte, dass die von diesen Pflichten betroffenen Personen diese Pflichten in unterschiedlichen Stadien des Verfahrens gemäß Art. 59 der Verordnung erfüllen. Es ergibt sich jedoch aus Art. 59 („Ermittlung von in Art. 57 [der Verordnung] genannten Stoffen“) dieser Verordnung, dass der tatsächliche Zweck des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens in der endgültigen Ermittlung der Stoffe besteht, die die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllen. Aus Art. 59 Abs. 1 der Verordnung, der hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens auf Art. 59 Abs. 2 bis 10 verweist, folgt, dass die Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste gemäß Abs. 8 dieses Artikels wesentlicher Bestandteil dieses Verfahrens ist. Die Verweise zum einen auf die nach Art. 59 Abs. 1 der Verordnung ermittelten Stoffe und zum anderen auf die Stoffe, die in die Kandidatenliste aufgenommen werden oder darin enthalten sind, können sich also nicht auf verschiedene Stadien des Ermittlungsverfahrens beziehen, so dass diese Pflichten nicht vor der tatsächlichen Aufnahme des Stoffes in die Kandidatenliste bestehen können.

48      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die ECHA, wenn keine Bemerkungen zum Vorschlag, einen Stoff als besonders besorgniserregend zu ermitteln, bei ihr eingehen bzw. sie keine Bemerkungen dazu abgibt, diesen Stoff in die Kandidatenliste aufnimmt (Art. 59 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1907/2006). In einem solchen Fall gibt es kein Ermittlungsstadium innerhalb des Ermittlungsverfahrens nach Art. 59 der Verordnung, das gesondert von einem eigenen Organ der ECHA wie dem Ausschuss der Mitgliedstaaten oder von einem eigenen Organ wie der Kommission nach den Abs. 8 und 9 dieses Artikels betreut würde. Da der Zeitpunkt, ab dem der Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend, der in dem Verfahren nach Art. 59 der Verordnung ergeht, Rechtswirkungen entfaltet, nicht von der Vorlage von Bemerkungen eines Mitgliedstaats, der ECHA oder anderen interessierten Kreisen abhängen darf, kann dieser Rechtsakt erst ab der Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste Rechtswirkungen entfalten.

49      Zum Umstand, dass die ECHA nach Art. 59 Abs. 10 der Verordnung Nr. 1907/2006 die Kandidatenliste unverzüglich, nachdem über die Aufnahme eines Stoffes entschieden wurde, auf ihrer Website zu veröffentlichen und zu aktualisieren hat, ist zu erwähnen, dass die rechtlichen Pflichten, die sich aus dem Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung ergeht, ableiten, die betroffenen Personen erst ab der Veröffentlichung der diesen Stoff enthaltenden Kandidatenliste treffen können, da diese Personen erst ab diesem Zeitpunkt eindeutig ihre Rechte und Pflichten erkennen und sich darauf einstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 10. März 2009, Heinrich, C‑345/06, Slg. 2009, I‑1659, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso kann die Frist für die Erhebung einer Klage gegen den Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung ergeht, nach Art. 263 Abs. 6 AEUV erst ab der Veröffentlichung der diesen Stoff enthaltenden Kandidatenliste laufen.

50      Da die Kandidatenliste nur auf der Website der ECHA zu finden ist, erfolgt die Aufnahme eines Stoffes in diese Liste gleichzeitig mit der Veröffentlichung der aktualisierten Liste. Der Rechtsakt zur Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend, der in dem Verfahren gemäß Art. 59 der Verordnung ergeht, entfaltet also erst mit der Aufnahme in die auf der Website der ECHA veröffentlichte Liste Rechtswirkungen.

51      Nach alledem ist die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass über die anderen von der ECHA geltend gemachten Unzulässigkeitsgründe entschieden zu werden braucht.

 Kosten

52      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, tragen nach Art. 87 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.

53      Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der ECHA ihre eigenen Kosten und die Kosten der ECHA aufzuerlegen. Die Kosten im Zusammenhang mit dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes trägt entsprechend dem Antrag der ECHA die zweite Klägerin. Das Königreich der Niederlande und die Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG) und die SNF SAS tragen ihre eigenen Kosten sowie die der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA) entstandenen Kosten.

3.      SNF trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

4.      Das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 21. September 2011

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      A. Dittrich


* Verfahrenssprache: Englisch.