Language of document : ECLI:EU:C:2023:687

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

21. September 2023(*)

Inhaltsverzeichnis


I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

B. Deutsches Recht

II. Vorverfahren

III. Zur Klage

A. Zur ersten Rüge: unterbliebene Ausweisung der besonderen Schutzgebiete

1. Vorbringen der Parteien

2. Würdigung durch den Gerichtshof

B. Zur zweiten Rüge: unterbliebene Festlegung von Erhaltungszielen

1. Vorbringen der Parteien

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Zum Vorbringen in Bezug auf das Fehlen detaillierter Erhaltungsziele für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung

b) Zum Vorbringen in Bezug auf eine allgemeine und strukturelle Praxis, Erhaltungsziele in einer den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zuwiderlaufenden Weise festzulegen

C. Zur dritten Rüge: unterbliebene Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen

1. Vorbringen der Parteien

2. Würdigung durch den Gerichtshof

Kosten

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 – Unterbliebene Ausweisung der besonderen Schutzgebiete – Unterbliebene Festlegung der Erhaltungsziele – Unterbliebene oder nicht ausreichende Erhaltungsmaßnahmen – Verwaltungspraxis“

In der Rechtssache C‑116/22

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingelegt am 18. Februar 2022,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin : T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. April 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland

–        dadurch gegen Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie) verstoßen hat, dass sie 88 der 4 606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen, der kontinentalen und der atlantischen biogeografischen Region, die in der Entscheidung 2004/69/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung für die alpine biogeografische Region gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates (ABl. 2004, L 14, S. 21), der Entscheidung 2004/798/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (ABl. 2004, L 382, S. 1) und der Entscheidung 2004/813/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2004, L 387, S. 1) in den durch die Entscheidung 2008/218/EG der Kommission vom 25. Januar 2008 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 77, S. 106), die Entscheidung 2008/25/EG der Kommission vom 13. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 383) und die Entscheidung 2008/23/EG der Kommission vom 12. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 1) aktualisierten Fassungen aufgeführt sind (im Folgenden: in Rede stehende Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung), nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat,

–        dadurch gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, dass sie für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keinerlei Erhaltungsziele festgelegt hat und im Übrigen bei der Festlegung von Erhaltungszielen allgemein und strukturell eine Praxis verfolgt, die nicht den rechtlichen Anforderungen dieser Vorschrift genügt, und

–        dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, dass sie für 737 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keinerlei Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat und im Übrigen bei der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen allgemein und strukturell eine Praxis verfolgt, die nicht den rechtlichen Anforderungen dieser Vorschrift genügt.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

2        In den Erwägungsgründen 3, 8 und 10 der Habitatrichtlinie heißt es:

„Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Diese Richtlinie leistet somit einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt kann in bestimmten Fällen die Fortführung oder auch die Förderung bestimmter Tätigkeiten des Menschen erfordern.

In jedem ausgewiesenen Gebiet sind entsprechend den einschlägigen Erhaltungszielen die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.

Pläne und Projekte, die sich auf die mit der Ausweisung eines Gebiets verfolgten Erhaltungsziele wesentlich auswirken könnten, sind einer angemessenen Prüfung zu unterziehen.“

3        Art. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

l)      ‚Besonderes Schutzgebiet‘: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein [Gebiet] von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden.

…“

4        Art. 3 Abs. 1 und 2 der Habitatrichtlinie sieht vor:

„(1)      Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG [des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1)] ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

(2)      Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von Natura 2000 bei. Zu diesem Zweck weist er nach den Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.“

5        Art. 4 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)      Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen diese Gebiete den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen. Für im Wasser lebende Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, werden solche Gebiete nur vorgeschlagen, wenn sich ein Raum klar abgrenzen lässt, der die für das Leben und die Fortpflanzung dieser Arten ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung dieser Liste im Lichte der Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung vor.

Binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie wird der Kommission diese Liste gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet. Diese Informationen umfassen eine kartographische Darstellung des Gebietes, seine Bezeichnung, seine geographische Lage, seine Größe sowie die Daten, die sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten Kriterien ergeben, und werden anhand eines von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 ausgearbeiteten Formulars übermittelt.

(2)      Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der neun in Artikel 1 Buchstabe c) Ziffer iii) erwähnten biogeographischen Regionen sowie des in Artikel 2 Absatz 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind.

Die Mitgliedstaaten, bei denen Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) und einer oder mehreren prioritären Art(en) flächenmäßig mehr als 5 v. H. des Hoheitsgebiets ausmachen, können im Einvernehmen mit der Kommission beantragen, dass die in Anhang III (Phase 2) angeführten Kriterien bei der Auswahl aller in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung flexibler angewandt werden.

Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 festgelegt.

(3)      Die in Absatz 2 erwähnte Liste wird binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie erstellt.

(4)      Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

(5)      Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

6        Art. 6 Abs. 1 bis 3 der Habitatrichtlinie lautet:

„(1)      Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)      Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)      Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“

B.      Deutsches Recht

7        § 22 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I S. 2542) sieht vor:

„(1)      Die Unterschutzstellung von Teilen von Natur und Landschaft erfolgt durch Erklärung. Die Erklärung bestimmt den Schutzgegenstand, den Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote, und, soweit erforderlich, die Pflege‑, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen oder enthält die erforderlichen Ermächtigungen hierzu. Schutzgebiete können in Zonen mit einem entsprechend dem jeweiligen Schutzzweck abgestuften Schutz gegliedert werden; hierbei kann auch die für den Schutz notwendige Umgebung einbezogen werden.

(2)      Soweit in den Absätzen 2a und 2b nichts Näheres bestimmt ist, richten sich Form und Verfahren der Unterschutzstellung, die Beachtlichkeit von Form- und Verfahrensfehlern und die Möglichkeit ihrer Behebung sowie die Fortgeltung bestehender Erklärungen zum geschützten Teil von Natur und Landschaft nach Landesrecht. Die Unterschutzstellung kann auch länderübergreifend erfolgen.

…“

8        § 33 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)      Alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, sind unzulässig. Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde kann unter den Voraussetzungen des § 34 Absatz 3 bis 5 Ausnahmen von dem Verbot des Satzes 1 sowie von Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 zulassen.

(1a)      In Natura 2000-Gebieten ist die Errichtung von Anlagen zu folgenden Zwecken verboten:

1.      zum Aufbrechen von Schiefer‑, Ton- oder Mergelgestein oder von Kohleflözgestein unter hydraulischem Druck zur Aufsuchung oder Gewinnung von Erdgas,

2.      zur untertägigen Ablagerung von Lagerstättenwasser, das bei Maßnahmen nach Nummer 1 anfällt.

§ 34 findet insoweit keine Anwendung.

…“

9        § 34 des Gesetzes sieht vor:

„(1)      Projekte sind vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. …

(2)      Ergibt die Prüfung der Verträglichkeit, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig.

(3)      Abweichend von Absatz 2 darf ein Projekt nur zugelassen oder durchgeführt werden, soweit es

1.      aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist und

2.      zumutbare Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind.

…“

10      § 65 Abs. 1 des Gesetzes lautet:

„Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte von Grundstücken haben Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes, Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, oder Naturschutzrecht der Länder zu dulden, soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Weiter gehende Regelungen der Länder bleiben unberührt.“

II.    Vorverfahren

11      Mit den Entscheidungen 2004/69, 2004/798 und 2004/813 erstellte die Kommission Listen der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen, der kontinentalen und der atlantischen biogeografischen Region. Diese Listen wurden durch die Entscheidungen 2008/218, 2008/25 und 2008/23 aktualisiert.

12      Die Frist von sechs Jahren für die Ausweisung dieser Gebiete als besondere Schutzgebiete nach Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie lief spätestens am 25. Januar 2014 ab.

13      Mit Schreiben vom 13. Juni 2012 und vom 17. Februar 2014 bat die Kommission die Bundesrepublik Deutschland um Informationen über den Stand der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie und über den Erlass der nötigen Erhaltungsmaßnahmen gemäß Art. 6 dieser Richtlinie.

14      In Anbetracht der Antwort, die sie am 26. Juni 2014 von der Bundesrepublik Deutschland erhielt, gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus den in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen verstoßen habe, und forderte ihn daher mit Schreiben vom 27. Februar 2015 auf, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

15      Am 26. Januar 2019 übersandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland ein ergänzendes Mahnschreiben.

16      Nach Prüfung der Antwortschreiben dieses Mitgliedstaats vom 26. April und 11. Juni 2019 gab die Kommission am 13. Februar 2020 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV ab, in der sie ihm vorwarf, u. a. dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 der Habitatrichtlinie verstoßen zu haben, dass er

–        es versäumt habe, 129 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen, und

–        allgemein und strukturell gegen seine Verpflichtungen verstoßen habe, hinreichend detaillierte und für die in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung spezifische Erhaltungsziele sowie die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen.

17      Auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland verlängerte die Kommission mit Schreiben vom 12. März 2020 die Frist für die Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme bis zum 13. Juni 2020.

18      Mit Schreiben vom 12. Juni 2020 informierte die Bundesrepublik Deutschland die Kommission, dass außer in Niedersachsen alle besonderen Schutzgebiete ausgewiesen worden seien, dass der Prozess für die 88 fehlenden Gebiete in diesem Land bis Ende 2022 abgeschlossen sein werde und dass die fehlenden Erhaltungsmaßnahmen für 737 Gebiete bis 2023 vervollständigt würden. Hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen bezüglich der Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen bestätigte sie ihren Dissens mit der Auffassung der Kommission.

19      Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen habe, um ihren Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nachzukommen. Sie hat deshalb am 18. Februar 2022 die vorliegende Klage erhoben.

III. Zur Klage

20      Zur Begründung ihrer Klage bringt die Kommission drei Rügen vor. Mit den ersten beiden rügt sie einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie und mit der dritten einen Verstoß gegen deren Art. 6 Abs. 1. Sie macht erstens geltend, 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung seien nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden. Zweitens seien für diese 88 Gebiete keine Erhaltungsziele festgelegt worden, und die Bundesrepublik Deutschland verfolge bei der Festlegung der Erhaltungsziele eine allgemeine und strukturelle Praxis, die nicht den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie genüge. Drittens seien für 737 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden, und die Bundesrepublik Deutschland verfolge bei der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen allgemein und strukturell eine Praxis, die nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genüge.

21      Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die vorliegende Klage abzuweisen.

A.      Zur ersten Rüge: unterbliebene Ausweisung der besonderen Schutzgebiete

1.      Vorbringen der Parteien

22      Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer ersten Rüge vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen zu haben, dass sie es unterlassen habe, im Land Niedersachsen 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

23      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Schutzgebieten im Sinne der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie), insbesondere in den Urteilen vom 27. Februar 2003, Kommission/Belgien (C‑415/01, EU:C:2003:118, Rn. 22 und 23), und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (C‑535/07, EU:C:2010:602, Rn. 64), sei auf den vorliegenden Fall übertragbar, da sowohl in der Habitatrichtlinie als auch in der Vogelschutzrichtlinie Erhaltungsziele vorgesehen seien. Nach dieser Rechtsprechung habe die Ausweisung besonderer Schutzgebiete mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit zu erfolgen, die notwendig seien, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu genügen.

24      In ihrer Klagebeantwortung macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, sie habe zwischen der Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission und dem 31. März 2022 auch die letzten in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete ausgewiesen. Nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden seien nur fünf dieser Gebiete, die im Rahmen der nächsten Aktualisierungen der Listen gemäß Art. 4 Abs. 2 der Habitatrichtlinie aus der Gebietskulisse wieder herausgenommen werden sollten.

25      Ergänzend weist die Bundesrepublik Deutschland darauf hin, dass § 33 des Bundesnaturschutzgesetzes in allen Fassungen seit dem 4. April 2002 einen gesetzlichen Gebietsschutz vorsehe, der für alle an die Kommission gemeldeten und in eine Liste gemäß Art. 4 Abs. 2 der Habitatrichtlinie aufgenommenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gelte, bevor sie konkret als besondere Schutzgebiete ausgewiesen würden. Folglich seien in den 88 nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen Gebieten, auf die die Kommission abstelle, gemäß § 33 des Bundesnaturschutzgesetzes alle Veränderungen und Störungen verboten gewesen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung dieser Gebiete hätten führen können, und nach dessen § 34 habe die Pflicht bestanden, Umweltauswirkungen von Plänen oder Projekten im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie zu prüfen.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

26      Nach Art. 3 Abs. 2 der Habitatrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, im Verhältnis der in ihrem Hoheitsgebiet vorhandenen natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I der Richtlinie und Habitate der Arten ihres Anhangs II zur Errichtung von „Natura 2000“ beizutragen und zu diesem Zweck nach den Bestimmungen von Art. 4 der Richtlinie im Anschluss an das in der Richtlinie vorgesehene Verfahren Gebiete als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

27      Das Verfahren der Ausweisung von Gebieten als besondere Schutzgebiete gemäß Art. 4 der Habitatrichtlinie läuft in vier Stufen ab. Nach Art. 4 Abs. 1 legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die dort vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen und einheimischen Arten aufgeführt sind, und leitet sie der Kommission zu (erste Stufe). Nach Art. 4 Abs. 2 erstellt die Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus deren Listen den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (zweite Stufe). Auf der Grundlage dieses Entwurfs legt die Kommission die Liste der ausgewählten Gebiete fest (dritte Stufe). Ist ein Gebiet als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, weist der betreffende Mitgliedstaat es nach Art. 4 Abs. 4 so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren, als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps oder einer Art und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 fest (vierte Stufe) (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Zum einen bestreitet die Bundesrepublik Deutschland nicht, dass bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist (13. Juni 2020) 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht formal als besondere Schutzgebiete ausgewiesen waren. Sie macht allerdings geltend, zwischen der Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission und dem 31. März 2022 habe sie auch die letzten in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete ausgewiesen, so dass nur noch fünf Gebiete nach wie vor nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen seien.

29      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (Urteil vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Zum anderen macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, die §§ 33 und 34 des Bundesnaturschutzgesetzes sähen seit dem Jahr 2002 einen gesetzlichen Gebietsschutz für alle an die Kommission gemeldeten und in eine Liste gemäß Art. 4 Abs. 2 der Habitatrichtlinie aufgenommenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vor, bevor sie konkret als besondere Schutzgebiete ausgewiesen würden.

31      Mit diesem Hinweis, dass die deutsche Regelung allen an die Kommission gemeldeten und in eine Liste gemäß Art. 4 Abs. 2 der Habitatrichtlinie aufgenommenen Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung Schutz gewähre, bevor sie konkret als besondere Schutzgebiete ausgewiesen würden, räumt die Bundesrepublik Deutschland aber ein, dass sie diese Gebiete bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hatte.

32      Außerdem müssen nach ständiger Rechtsprechung die Bestimmungen einer Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden, die notwendig sind, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu genügen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Im vorliegenden Fall ist die von der Bundesrepublik Deutschland angeführte nationale Regelung nicht geeignet, der speziellen Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zu genügen, Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung formal als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

34      Eine solche Ausweisung stellt einen unerlässlichen Schritt im Rahmen der in der Richtlinie vorgesehenen Regelung zum Schutz der Lebensräume und Arten dar.

35      Zu dieser Verpflichtung kommen die Pflicht zur Festlegung der Erhaltungsziele (Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie) und die Pflicht zur Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie) hinzu (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Die in Art. 6 der Habitatrichtlinie vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die für den Schutz der besonderen Schutzgebiete nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, unterscheidet sich von ihrer in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen formalen Verpflichtung, die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 54).

37      Unter diesen Umständen hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen.

38      Folglich ist der ersten Rüge stattzugeben.

B.      Zur zweiten Rüge: unterbliebene Festlegung von Erhaltungszielen

1.      Vorbringen der Parteien

39      Mit ihrer zweiten Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum einen vor, dass sie unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine detaillierten Erhaltungsziele veröffentlicht habe. Zum anderen macht sie geltend, die deutschen Behörden verfolgten bei der Festlegung von Erhaltungszielen allgemein und strukturell eine Praxis, die den Anforderungen dieser Vorschrift zuwiderlaufe, denn erstens enthielten diese Ziele keine quantitativen und messbaren Elemente, zweitens unterscheide die Bundesrepublik Deutschland nicht zwischen dem Ziel der „Wiederherstellung“ und dem der „Erhaltung“ der Schutzgüter, und drittens seien die von diesem Mitgliedstaat festgelegten Erhaltungsziele gegenüber Dritten rechtlich nicht verbindlich.

40      Zunächst leitet die Kommission das Bestehen einer Verpflichtung, für jedes Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung spätestens binnen sechs Jahren detaillierte Erhaltungsziele festzulegen, aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 46 bis 52), ab.

41      Da die Bundesrepublik Deutschland diese Erhaltungsziele nicht vor der Ausweisung eines Gebiets als besonderes Schutzgebiet festlege, habe sie für alle in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden seien, keine solchen Ziele festgelegt. Wie sie für die Gebiete im Land Niedersachsen bestätigt habe, würden die allgemeinen Erhaltungsziele nämlich im Zuge des Schutzes von Gebieten durch ihre Ausweisung als besondere Schutzgebiete und anschließend gegebenenfalls im Rahmen der Managementplanung für sie festgelegt.

42      Sodann macht die Kommission zu dem allgemeinen und strukturellen Verstoß gegen die Verpflichtungen bezüglich der Festlegung von Erhaltungszielen erstens geltend, dass die von der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Erhaltungsziele keine quantitativen und messbaren Elemente enthielten, die bezifferten, welchen spezifischen Beitrag das Schutzgebiet leisten solle, um für den fraglichen Lebensraum oder die fragliche Art einen günstigen Erhaltungszustand auf nationaler Ebene zu erreichen. Das Gleiche gelte für die von der Bundesrepublik Deutschland im Vorverfahren angeführten Erhaltungsziele in den Bewirtschaftungsplänen.

43      Insoweit führt die Kommission als Beispiel an, dass bei zahlreichen Gebieten im Freistaat Bayern, in denen der Lebensraumtyp 6510 „Magere Flachland-Mähwiesen (Alopecurus pratensis, Sanguisorba officinalis)“ vorkomme, bei dem Gebiet DE 5630-371 mit dem Lebensraumtyp „Rodachaue mit Bischofsaue westlich Bad Rodach“ sowie bei dem Gebiet DE 8020-341, „Ablach, Baggerseen und Waltere Moor“, das die Art 1032 „Kleine Flussmuschel (Unio crassus)“ beherberge, die Erhaltungsziele für die betreffenden Lebensräume und Arten in der innerstaatlichen Regelung sehr allgemein und ohne Angabe quantitativer oder messbarer Elemente bestimmt würden.

44      Die Habitatrichtlinie sehe aber die Definition des günstigen Erhaltungszustands von Arten und Lebensraumtypen aufgrund quantitativ zu bestimmender Merkmale wie der „Fläche“, die ein natürlicher Lebensraum einnehme (Art. 1 Buchst. e erster Gedankenstrich der Habitatrichtlinie), oder der „Populationsdynamik der Art“ (Art. 1 Buchst. i erster Gedankenstrich der Richtlinie) vor.

45      Die Mitgliedstaaten hätten sich im Rahmen des in Art. 20 der Habitatrichtlinie vorgesehenen Ausschusses mit der Kommission auf die Festlegung von Referenzwerten geeinigt, die aussagten, bei welchem Schwellenwert ein günstiger Erhaltungszustand für einen Lebensraumtyp oder eine Art auf nationaler Ebene erreicht sei.

46      Anhand dieser Referenzwerte sei dann mittels der Erhaltungsziele festzulegen, welchen spezifischen Beitrag ein bestimmtes Gebiet zur Erreichung des nationalen Referenzwerts leisten solle.

47      Die Bundesrepublik Deutschland habe beispielsweise in ihrem gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie erstellten nationalen Bericht für das Jahr 2012 für die Pflanzenart „Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)“ den günstigen Erhaltungszustand in Bezug auf die Populationsgröße auf nationaler Ebene mit einem Referenzwert von mindestens 5 025 Individuen angesetzt. Sie habe aber nicht für jedes der neun Gebiete, in denen diese Art vorkomme, quantifizierte Erhaltungsziele vorgesehen. Folglich sei entgegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ein günstiger Erhaltungszustand dieser Art nicht gewährleistet.

48      Diese Schlussfolgerung werde dadurch gestützt, dass die von der Bundesrepublik Deutschland im Einklang mit Art. 17 der Habitatrichtlinie an die Kommission übermittelten Daten für die Jahre 2013 bis 2018 zeigten, dass ungefähr 80 % der in Deutschland geschützten Lebensraumtypen und Arten immer noch in einem ungünstigen Erhaltungszustand seien, obwohl sie sich weitgehend in Schutzgebieten befänden. Was die geschützten Arten betreffe, sei der Anteil der Arten in ungünstigem Erhaltungszustand sogar seit dem Jahr 2001 kontinuierlich gestiegen.

49      Außerdem müssten die gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie erlassenen Erhaltungsmaßnahmen quantifizierten und messbaren Erhaltungszielen entsprechen.

50      Auch die in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vorgesehene Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts müsse mit Bezug auf quantifizierte Erhaltungsziele durchgeführt werden. Nachteilige Auswirkungen auf die Erhaltungsziele könnten nämlich nur dann mit Gewissheit ausgeschlossen werden, wenn sie hinreichend durch quantitative Elemente spezifiziert seien.

51      Überdies erlaubten die von der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Erhaltungsziele, die sich darauf beschränkten, die Verbesserung der Qualität des Erhaltungszustands eines Schutzguts im fraglichen Gebiet vorzusehen, es nicht, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Gebiet konkrete Beiträge zur Erreichung des nationalen Referenzwerts, etwa bestimmte quantifizierte Flächengewinne, liefern müsse.

52      Insoweit nennt die Kommission neben dem Beispiel, das sich auf die Pflanzenart „Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)“ bezieht, auch den Lebensraum 6510 „Magere Flachland-Mähwiesen (Alopecurus pratensis, Sanguisorba officinalis)“, der sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand befinde. Der deutsche Referenzwert für diesen Lebensraum sehe vor, dass eine um mindestens 10 % größere Schutzfläche erforderlich sei. Im deutschen Bewertungsrahmen werde jedoch die Fläche als Bewertungskriterium gar nicht aufgeführt, sondern nur auf qualitative Kriterien abgestellt, was nicht ausreiche, um die besagte Vergrößerung der Schutzfläche zu gewährleisten.

53      Zur Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie führt die Kommission zwei Beispiele an, und zwar das der Art „Frauenschuh (Cypripedium calceolus)“ im Gebiet DE 5232-301 „Edelmannsberg“ und das des Lebensraumtyps 6110 „Basenreiche oder Kalk-Pionierrasen“ im Gebiet DE 5231-301.

54      Insoweit würde eine Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts, die auf einen möglicherweise ungünstigen Erhaltungszustand der betreffenden Art oder des betreffenden Lebensraums in dem fraglichen Gebiet abstelle, zu dem Schluss führen, dass dieses Projekt, das den ungünstigen Zustand nicht verschlechtere, akzeptiert werden könne. Dies liefe aber dem Ziel der Habitatrichtlinie zuwider, falls der Erhaltungszustand auf nationaler Ebene insgesamt ungünstig sei und das fragliche Gebiet zur Herstellung eines günstigen Zustands auf nationaler Ebene einen spezifischen positiven Beitrag liefern müsse, der durch das Projekt in Frage gestellt würde. In einem solchen Fall könne nur ein quantifiziertes Erhaltungsziel die Herstellung eines insgesamt günstigen Erhaltungszustands auf nationaler Ebene sicherstellen.

55      Dieses Erfordernis, quantifizierte und messbare Erhaltungsziele festzulegen, sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Mitgliedstaaten gingen nämlich in dieser Weise vor. Insbesondere habe die Region Flandern (Belgien) für den Lebensraumtyp 1130 „Ästuar“ einen Referenzwert von zusätzlichen 2 150 ha festgelegt, um einen günstigen Erhaltungszustand für diesen Lebensraumtyp zu erreichen. Für die fraglichen Gebiete würden diese quantifizierten Referenzwerte in quantifizierte Erhaltungsziele umgesetzt.

56      Zweitens macht die Kommission geltend, die in Deutschland festgelegten Erhaltungsziele unterschieden nicht zwischen dem Ziel der „Wiederherstellung“ und dem der „Erhaltung“ der Schutzgüter, und veranschaulicht diese fehlende Unterscheidung anhand bestimmter Gebiete, und zwar des Gebiets DE 7537-301 „Isarauen von Unterföhring bis Landshut“, des Gebiets DE 2751-302 „Große Hölle“ und des Gebiets DE 2710-331 „Wolfmeer“ für den Lebensraumtyp 91D0 „Moorwälder“.

57      Angesichts des Urteils vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 57), sei diese Unterscheidung aber erforderlich, um sicherzustellen, dass die Erhaltungsziele hinreichend spezifisch seien.

58      Erhaltungsmaßnahmen, die den Zustand des Schutzguts im Gebiet bewahren sollten, unterschieden sich fundamental von jenen, die auf dessen Wiederherstellung angelegt seien. Erstere sicherten den Status quo in Bezug auf das Schutzgut, während Letztere erheblich intensivere Anstrengungen zur Wiederherstellung des Schutzguts erforderten, wie beispielsweise die Schaffung neuer Flächen des fraglichen Lebensraumtyps. Daher müssten bereits die Erhaltungsziele, auf deren Grundlage die Erhaltungsmaßnahmen zu entwickeln seien, eindeutig festlegen, ob die Wiederherstellung oder die Erhaltung des Schutzguts das angestrebte Ziel sei.

59      Die Unterscheidung zwischen dem Ziel der „Wiederherstellung“ und dem der „Erhaltung“ des Schutzguts sei auch entscheidend für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Projekten im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie. Ob ein Projekt ein Gebiet erheblich beeinträchtigen könne, hänge u. a. davon ab, ob die Erhaltungsziele des Gebiets auf seine Wiederherstellung oder seine Erhaltung abzielten.

60      Das Erfordernis einer solchen Unterscheidung sei auch nicht unverhältnismäßig, da andere Mitgliedstaaten, u. a. das Königreich Belgien, sie in ihrer nationalen Regelung getroffen hätten.

61      Drittens trägt die Kommission vor, dass Erhaltungsziele, die nur auf der Ebene von Bewirtschaftungsplänen festgelegt worden seien, Dritten gegenüber rechtlich nicht verbindlich seien. Beispielsweise sehe § 4 Abs. 2 der Bayerischen Natura- 2000-Verordnung vom 12. Juli 2006 (GVBl. S. 524) vor, dass Managementpläne für private Grundeigentümer und Nutzungsberechtigte keine Verpflichtungen begründeten. Aus dem Integrierten Bewirtschaftungsplan für das Elbästuar (Deutschland) gehe hervor, dass er keine rechtliche Bindungswirkung für Grundeigentümer habe und Privatpersonen keine unmittelbaren Verpflichtungen auferlege. Desgleichen hätten die Behörden von Sachsen und Brandenburg bestätigt, dass die in ihren Hoheitsgebieten aufgestellten Managementpläne für Privatpersonen nicht verbindlich seien.

62      Die Kommission weist auf das allgemeine Erfordernis hin, Bestimmungen einer Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umzusetzen, die notwendig seien, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu genügen (Urteil vom 27. Februar 2003, Kommission/Belgien, C‑415/01, EU:C:2003:118, Rn. 21).

63      Da die Mitgliedstaaten insoweit über einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum verfügten, spreche nichts dagegen, diese Ziele zunächst allgemein in einem nationalen Rechtsakt zur Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets festzulegen und in einem zweiten Schritt im Rahmen eines Bewirtschaftungsplans weiterzuentwickeln. Allerdings müssten die rechtlichen Instrumente zur Festlegung der Erhaltungsziele auf jeder dieser Stufen Dritten gegenüber verbindlich sein, um den Anforderungen an die Rechtssicherheit zu genügen.

64      Die Verbindlichkeit der Rechtsinstrumente zur Festlegung der Erhaltungsziele sei auch erforderlich, um die effektive Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie sicherzustellen. Wenn solche Instrumente nicht verbindlich seien, könnten die nationalen Behörden die Ablehnung eines Antrags auf Genehmigung eines Projekts nicht mit einer drohenden Beeinträchtigung der Erhaltungsziele begründen.

65      In ihrer Klagebeantwortung entgegnet die Bundesrepublik Deutschland als Erstes, sie habe zwischen der Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission und dem 31. März 2022 die in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete ausgewiesen und deren spezielle Erhaltungsziele festgelegt, mit Ausnahme einiger Gebiete, für die eine Herausnahme aus der Gebietskulisse vorgesehen sei. Insoweit sei die Umsetzung der Habitatrichtlinie nun abgeschlossen.

66      Als Zweites macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, ihr Vorgehen bei der innerstaatlichen Umsetzung dieser Richtlinie stelle keinen allgemeinen und strukturellen Verstoß dar.

67      Erstens würden in dem von der Kommission angeführten Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie Erhaltungsziele nicht genannt. Nur in ihrem achten und ihrem zehnten Erwägungsgrund würden die Erhaltungsziele erwähnt. Der genannte Artikel beschränke sich darauf, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, Prioritäten nach Maßgabe zum einen der Wichtigkeit der Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands des betreffenden natürlichen Lebensraumtyps oder der betreffenden Art und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 und zum anderen der Bedrohung dieser Gebiete durch Schädigung oder Zerstörung festzulegen.

68      Da sich die Habitatrichtlinie an alle Mitgliedstaaten richte, sei ihrer am wenigsten belastenden Auslegung der Vorzug zu geben, wenn sie genüge, um die Ziele der Richtlinie zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, EU:C:1969:57, Rn. 3 und 4).

69      In Bezug auf die Erhaltungsziele gehe aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass der rechtliche Schutzstatus, mit dem die von der Richtlinie 79/409 erfassten besonderen Schutzgebiete ausgestattet sein müssten, nicht bedeute, dass diese Ziele für jede Art gesondert angegeben werden müssten (Urteil vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich, C‑535/07, EU:C:2010:602, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70      Die Bundesrepublik Deutschland bestreite nicht, dass gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ein Bezug zwischen den Erhaltungszielen und den in dem besonderen Schutzgebiet vorkommenden und wertgebenden Arten und Lebensraumtypen hergestellt werden müsse. Die deutsche Regelung stelle jedoch einen solchen Bezug her.

71      Hingegen folge, auch wenn der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 55), im Hinblick auf das Erfordernis der Rechtssicherheit verlangt habe, dass die Erhaltungsziele hinreichend spezifisch sein müssten, aus dieser Rechtsprechung nicht, dass sie quantifiziert und messbar sein müssten.

72      Zwar könne eine quantitative und messbare Bestimmung von Erhaltungszielen bei manchen Arten und Lebensraumtypen möglich sein; als genereller Maßstab sei sie aber untauglich.

73      Zunächst könne eine rein quantitative Flächenbetrachtung bei Lebensraumtypen nicht abbilden, in welchem Zustand sich die fraglichen Flächen befänden, und müsse daher mit der Anwendung qualitativer Kriterien einhergehen.

74      Sodann wäre ein quantitativer Ansatz beispielsweise bei komplexen Lebensraumtypen oder dynamisch geprägten Schutzgebieten insbesondere dann untauglich, wenn sich einzelne Bestandteile der Komplexlebensräume oder unterschiedliche Lebensraumtypen innerhalb eines Schutzgebiets ihrer Art nach beständig veränderten und aufeinander einwirkten.

75      Schließlich würden quantitativ jeweils auf einzelne besondere Schutzgebiete bezogene Erhaltungsziele dem Erfordernis der Kohärenz von Natura 2000 nicht gerecht und negierten die bestehenden ökologischen Zusammenhänge innerhalb dieses Netzes.

76      Dies werde gerade an den nationalen Referenzwerten für die Pflanzenart „Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)“ deutlich, einer im Elbästuar endemischen Art mit einem hochdynamischen Komplexlebensraum. Die Wuchsstandorte dieser Art könnten dauerhaft geeignet sein, und ihre Population unterliege in ihrer natürlichen Entwicklung erheblichen Schwankungen, ohne dass damit ihr Erhaltungszustand gefährdet wäre. Außerdem werde das Verbreitungsgebiet dieser Art durch mehrere besondere Schutzgebiete abgedeckt, die miteinander in Verbindung stünden und deren Populationen miteinander interagierten. Damit unterliege auch der quantitative Beitrag jedes einzelnen besonderen Schutzgebiets für die Erhaltung der gesamten Art erheblichen Schwankungen, ohne dass der Erhaltungszustand insgesamt schwanke.

77      Quantifizierte Referenzwerte für die Art „Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)“ ließen sich daher nur für die biogeografische Region insgesamt angeben, nicht aber für einzelne besondere Schutzgebiete.

78      Zu den Berichten nach Art. 17 der Habitatrichtlinie und den in ihrem Art. 20 vorgesehenen Ausschuss macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, die Festlegung von Referenzwerten durch die Mitgliedstaaten zur Bestimmung eines günstigen Erhaltungszustands sei für diese Staaten nicht verbindlich.

79      Die Richtlinie sehe nämlich keine Verpflichtung zur Festlegung solcher Referenzwerte vor.

80      Außerdem beziehe sich der Bericht eines Mitgliedstaats gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie nicht speziell auf die Situation in den einzelnen besonderen Schutzgebieten, sondern auf das gesamte Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats.

81      Auch der nach Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zu erreichende günstige Erhaltungszustand beziehe sich nicht auf einzelne mitgliedstaatliche besondere Schutzgebiete, sondern auf das gesamte europäische Gebiet, für das das Unionsrecht gelte.

82      Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie stelle im Unterschied zu Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 der Richtlinie nicht auf das übergeordnete Ziel der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der betreffenden Arten oder Lebensraumtypen ab, sondern konkret auf die ökologischen Erfordernisse der natürlichen Lebensraumtypen in Anhang I und der Arten in Anhang II der Richtlinie. Diese Erfordernisse seien aber überwiegend qualitativ zu bestimmen und könnten nur in Einzelfällen auch quantitativ bestimmt werden.

83      Das Argument der Kommission, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen von Projekten im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, die sich nur auf allgemeine Erhaltungsziele oder die Informationen des Standarddatenbogens bezögen, nicht dem Ziel der Habitatrichtlinie entsprächen, stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Urteilen vom 29. Januar 2004, Kommission/Österreich (C‑209/02, EU:C:2004:61, Rn. 24), und vom 10. November 2016, Kommission/Griechenland (C‑504/14, EU:C:2016:847, Rn. 9 und 10).

84      Daher habe der Gerichtshof im Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Wald von Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 116), den Maßstab für diese Prüfung abstrakt festgelegt und nicht in Bezug auf quantifizierte Einzelziele.

85      Zweitens hänge es vom jeweiligen tatsächlichen Zustand eines besonderen Schutzgebiets, der natürlichen Schwankungen und äußeren menschlichen Einflüssen ausgesetzt und nicht zuletzt durch vorangegangene Maßnahmen der Erhaltung oder Wiederherstellung geprägt sei, ab, ob die Erhaltungsziele durch Erhaltung oder Wiederherstellung erreicht würden.

86      Wenn, wie von der Kommission vertreten, bei den Erhaltungszielen selbst danach zu unterscheiden wäre, ob sie durch Erhaltung oder Wiederherstellung der Schutzgüter zu erreichen seien, müsste bei jeder tatsächlichen Änderung des Erhaltungsgrads der in einem besonderen Schutzgebiet vorkommenden Arten und Lebensräume das jeweilige Erhaltungsziel geändert werden, und zwar für jede einzelne Art und jeden einzelnen Lebensraumtyp.

87      Insbesondere in dynamischen Lebensräumen wie dem Elbästuar, in dem die Pflanzenart „Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides)“ vorkomme, müssten die Erhaltungsziele möglicherweise wiederholt an geänderte Umweltbedingungen angepasst werden.

88      Die deutsche Praxis zur Umsetzung der Habitatrichtlinie, die einen Zielzustand vorschreibe und die Behörden verpflichte, diesen Zustand jeweils von Fall zu Fall mit Erhaltungs- oder Wiederherstellungsmaßnahmen zu erreichen, werde damit dem „effet utile“ dieser Richtlinie und insbesondere dem in ihrem Art. 2 Abs. 2 vorgesehenen Ziel, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlicher Bedeutung zu bewahren oder wiederherzustellen, in vollem Umfang gerecht.

89      Ob ein Projekt ein Gebiet im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie erheblich beeinträchtigen könne, hänge nicht von einer in der Vergangenheit erfolgten, formalen Ausrichtung der Erhaltungsziele des Gebiets auf Wiederherstellung oder Erhaltung ab, sondern von den konkreten Gegebenheiten in dem Gebiet zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Frage der Umweltverträglichkeit dieses Projekts stelle.

90      Drittens macht die Bundesrepublik Deutschland zu dem Argument der Kommission, die Erhaltungsziele müssten in Dritten gegenüber verbindlichen Rechtsakten festgelegt werden, geltend, dass diese Ziele ihrer Natur nach an die zuständigen innerstaatlichen Stellen gerichtet seien.

91      Jedenfalls seien in Deutschland die Erhaltungsziele im engeren Sinne in den Schutzgebietsverordnungen enthalten und damit in materiellen Gesetzen, die gegenüber jedermann rechtlich verbindlich seien. Darüber hinaus würden diese Ziele in Management- und Bewirtschaftungsplänen festgelegt und ließen sich in hinreichender Weise gegenüber Dritten verbindlich durchsetzen. Nach § 34 des Bundesnaturschutzgesetzes, mit dem Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werde, dürften Dritte nämlich keine Pläne oder Projekte durchführen oder sonstige Handlungen vornehmen, die die Erhaltungsziele beeinträchtigen könnten, und Dritte, die Eigentümer von Flächen in einem besonderen Schutzgebiet seien, müssten Maßnahmen öffentlicher Stellen zur Erhaltung oder Wiederherstellung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Habitatrichtlinie dulden.

92      Soweit ein besonderes Schutzgebiet nicht nur Verbotsmaßnahmen zur Erreichung des mit seiner Ausweisung verfolgten Erhaltungszwecks benötige, sondern auch tatsächliche Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Erhaltungszustands des geschützten Elements, enthielten die Schutzgebietsverordnungen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes die entsprechende Ermächtigung der zuständigen Behörden, diese Maßnahmen durchzuführen, und § 65 des Bundesnaturschutzgesetzes verpflichte private Dritte, solche Maßnahmen zu dulden.

93      Daher seien, auch wenn ein Management- oder Bewirtschaftungsplan für sich genommen nicht für Dritte verbindlich sei, die darin enthaltenen konkretisierten Erhaltungsziele aufgrund dieser Gesetzeslage mittelbar auch für Dritte verbindlich und gegenüber Dritten durchsetzbar.

94      Die Kommission macht in ihrer Erwiderung geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe ihre Erhaltungsmaßnahmen fälschlich weitgehend auf den Erhalt des Status quo beschränkt und das Potenzial der Schutzgebiete für die Schaffung eines günstigen Erhaltungszustands nicht voll ausgeschöpft. 67 der 82 Lebensraumtypen des Anhangs I der Habitatrichtlinie, die in Deutschland in der kontinentalen biogeografischen Region vorkämen, wiesen nämlich einen „ungünstigen-unzureichenden“ bzw. „ungünstigen-schlechten“ Erhaltungszustand auf. Ein Grund für diese dem Ziel der Richtlinie zuwiderlaufende Entwicklung liege darin, dass die Bundesrepublik Deutschland systematisch keine quantifizierten Erhaltungsziele festlege. Soweit Flächengewinne oder Populationszunahmen erforderlich seien, böten nur Erhaltungsziele, die die Beiträge eines Gebiets hierzu klar bezifferten, die Gewähr, dass die in jedem Gebiet getroffenen Maßnahmen einen verlässlichen Beitrag zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands lieferten.

95      Sie behaupte keineswegs, dass zu quantifizierende Merkmale wie Fläche bzw. Populationsstruktur die einzigen Kriterien für Erhaltungsziele seien. Qualitative Ziele, wie etwa bestimmte Parameter der Wertigkeit neu zu schaffender Flächen, müssten ergänzend herangezogen werden. Was die Kohärenz des Netzwerks angehe, seien es gerade quantifizierte Erhaltungsziele, die den Beitrag jedes Gebiets zum gesamten Netz verlässlich sicherten.

96      Praktische Beispielsfälle aus Mitgliedstaaten, die quantifizierte Erhaltungsziele vorgesehen hätten, gebe es in Bulgarien, Litauen und Rumänien.

97      Derart unbestimmte Erhaltungsziele wie die in Deutschland aufgestellten, die nicht einmal festlegten, ob die Wiederherstellung oder die Erhaltung des günstigen Erhaltungszustands von Schutzgütern angestrebt werde, garantierten den „effet utile“ der Richtlinie nicht. Mindestens sei jedenfalls zu verlangen, dass die Erhaltungsziele die Zielrichtung, d. h. die Wiederherstellung oder den Fortbestand des Erhaltungszustands der Schutzgüter, bestimmten sowie insoweit genaue Parameter angäben.

98      Die Duldungspflicht Dritter gegenüber Bewirtschaftungsmaßnahmen gemäß § 65 des Bundesnaturschutzgesetzes beziehe sich nur auf die Durchsetzung von Erhaltungsmaßnahmen, die in Rechtsvorschriften festgelegt seien. Bewirtschaftungspläne stellten aber, wie die Bundesrepublik Deutschland einräume, gerade keine Rechtsvorschriften im Sinne dieser Vorschrift dar. Zudem stehe die Durchsetzung solcher Maßnahmen nach dem Bundesnaturschutzgesetz unter dem Vorbehalt, dass die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt werde. Diese Einschränkung stelle nicht sicher, dass die in Bewirtschaftungsplänen festgelegten Erhaltungsziele umgesetzt würden.

99      Was den vertraglichen Naturschutz angehe, könne der Abschluss von Verträgen Dritten nicht aufgezwungen werden, so dass die Erreichung der Erhaltungsziele allein von der Bereitschaft der Grundeigentümer abhänge, solche Verträge zu schließen.

100    Die Bundesrepublik Deutschland trägt in ihrer Gegenerwiderung vor, für die Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraums oder einer Art und die Umsetzung der hierfür notwendigen Erhaltungsmaßnahmen bedürfe es langfristiger Prozesse, so dass es einige Zeit dauern könne, bis deutlich sichtbare Verbesserungen festzustellen seien. Selbst wenn sich der Zustand der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der besonderen Schutzgebiete in Deutschland, wie die Kommission ausführe, verschlechtert habe, könne daraus kein Rückschluss auf die rechtlichen Anforderungen an Erhaltungsziele gezogen werden.

101    Außerdem beruhe der vermeintliche Anstieg des Anteils von Arten mit ungünstigem Erhaltungszustand auf einer Änderung der Zahl bewerteter Schutzgüter im Rahmen der Berichterstattung dieses Mitgliedstaats.

102    Erhaltungsziele in Bewirtschaftungs- und Managementplänen und in Instrumenten des vertraglichen Naturschutzes dienten der weiteren Detaillierung und Konkretisierung der bereits verbindlichen Erhaltungsziele aus Schutzgebietsverordnungen. Sie seien verwaltungsintern verbindlich und konkretisierten den durch die Erhaltungsziele in den Schutzgebietsverordnungen vorgegebenen Maßstab für gesetzliche Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Projekten Dritter. Im Übrigen würden sie im Rahmen des vertraglichen Naturschutzes auch für die Vertragspartner verbindlich.

103    Entgegen dem Vorbringen der Kommission beziehe sich § 65 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht nur auf die Durchsetzung von Maßnahmen, die in Rechtsvorschriften festgelegt seien, sondern auch auf Maßnahmen „auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes, Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, oder Naturschutzrecht der Länder“. Diese Vorschrift statuiere eine umfassende Duldungspflicht für Maßnahmen, die sich auf Rechtsvorschriften zurückführen ließen, aber nicht selbst in Rechtsvorschriften festgelegt sein müssten.

104    Die nationalen Schutzgebietsverordnungen sähen nicht nur Verbotsmaßnahmen zur Erreichung des mit der Ausweisung dieser Gebiete als Schutzgebiete verfolgten Schutzzwecks vor, sondern ermächtigten die zuständigen Behörden auch zu den erforderlichen tatsächlichen Maßnahmen der Erhaltung oder Wiederherstellung. Bei den Schutzgebietsverordnungen handele es sich um „Naturschutzrecht der Länder“ im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes oder, bei Schutzgebietsverordnungen für die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone, um Rechtsvorschriften, die aufgrund dieses Gesetzes erlassen worden seien. Folglich seien die Erhaltungsziele und die Erhaltungsmaßnahmen der zuständigen Behörden unbestreitbar verbindlich.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

a)      Zum Vorbringen in Bezug auf das Fehlen detaillierter Erhaltungsziele für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung

105    Zwar ist in Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nicht ausdrücklich von einer Verpflichtung zur Festlegung von Erhaltungszielen die Rede. Die Bestimmung verlangt aber, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats bei der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit der Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines Lebensraumtyps festlegen. Die Festlegung dieser Prioritäten setzt aber voraus, dass die Erhaltungsziele zuvor festgelegt wurden (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

106    Demgemäß hat der Gerichtshof, auch unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs und des Zwecks von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie, festgestellt, dass die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete und die Festlegung der Erhaltungsprioritäten nach dieser Bestimmung so schnell wie möglich zu erfolgen haben, spätestens aber binnen sechs Jahren, nachdem ein Gebiet im Rahmen des Verfahrens gemäß Art. 4 Abs. 2 als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet wurde, so dass auch die Festlegung der Erhaltungsziele diese Frist nicht überschreiten darf, da sie für die Festlegung der Erhaltungsprioritäten erforderlich sind und damit vor ihnen festgelegt werden müssen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

107    Außerdem müssen die festgelegten Ziele spezifisch und konkret sein, um als „Erhaltungsziele“ im Sinne der Habitatrichtlinie angesehen zu werden (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

108    Im vorliegenden Fall räumt die Bundesrepublik Deutschland ein, dass sie bei Ablauf der Frist zur Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme am 13. Juni 2020 für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, auf die sich die zweite Rüge der Kommission bezieht, im innerstaatlichen Recht noch keine detaillierten Erhaltungsziele festgelegt hatte.

109    Unter diesen Umständen hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie für diese 88 Gebiete keine detaillierten Erhaltungsziele festgelegt hatte, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen.

b)      Zum Vorbringen in Bezug auf eine allgemeine und strukturelle Praxis, Erhaltungsziele in einer den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zuwiderlaufenden Weise festzulegen

110    Zum Argument der Kommission, die Bundesrepublik Deutschland habe eine allgemeine und strukturelle Praxis verfolgt, Erhaltungsziele in einer den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zuwiderlaufenden Weise festzulegen, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission – sofern sie ihrer Verpflichtung im Zusammenhang mit der ihr obliegenden Beweislast nachkommt – grundsätzlich nicht daran gehindert ist, sowohl Verstößen gegen Bestimmungen der Richtlinie, die auf dem Verhalten der Behörden eines Mitgliedstaats in konkreten, von ihr im Einzelnen angeführten Fällen beruhen, nachzugehen als auch Verstößen gegen diese Bestimmungen, die darauf beruhen, dass die Behörden eine ihnen entgegenstehende allgemeine Praxis verfolgen, die durch die genannten Einzelfälle gegebenenfalls illustriert wird (Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 27, und vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 165).

111    Hat die Kommission genügend Anhaltspunkte dafür beigebracht, dass sich bei den Behörden eines Mitgliedstaats eine wiederholt angewandte, fortbestehende Praxis herausgebildet hat, die gegen die Bestimmungen einer Richtlinie verstößt, obliegt es dem betreffenden Mitgliedstaat, die gemachten Angaben und deren Folgen substantiiert zu bestreiten (Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 47, und vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 166).

112    Zugleich kann sich die Kommission in Anbetracht ihrer Pflicht zum Nachweis der behaupteten Vertragsverletzung nicht mittels des Vorwurfs, der betreffende Mitgliedstaat habe generell und anhaltend seine unionsrechtlichen Pflichten verletzt, der Pflicht entledigen, die gerügte Vertragsverletzung anhand konkreter, den Verstoß gegen die von ihr angeführten spezifischen Bestimmungen kennzeichnender Anhaltspunkte nachzuweisen, und sich auf bloße Vermutungen oder schematische Kausalzusammenhänge stützen (Urteile vom 5. September 2019, Kommission/Italien [Bakterium Xylella fastidiosa], C‑443/18, EU:C:2019:676, Rn. 80, und vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 167).

113    Im vorliegenden Fall macht die Kommission erstens geltend, es gebe eine allgemeine Praxis der Bundesrepublik Deutschland, Erhaltungsziele festzulegen, ohne quantitative und messbare Elemente anzugeben, die es ermöglichten, den spezifischen Beitrag festzustellen, den das Schutzgebiet leisten müsse, um für den fraglichen Lebensraum oder die fragliche Art einen günstigen Erhaltungszustand auf nationaler Ebene zu erreichen.

114    Hierzu ist festzustellen, dass zwar, wie aus der oben in Rn. 107 angeführten Rechtsprechung hervorgeht, die Erhaltungsziele nicht allgemein formuliert werden dürfen, sondern spezifisch und konkret sein müssen.

115    Die Erhaltungsziele müssen folglich anhand von Informationen festgelegt werden, die auf einer wissenschaftlichen Prüfung der Situation der Arten und ihrer Lebensräume in einem bestimmten Gebiet beruhen. Da nämlich nach Art. 4 Abs. 1 der Habitatrichtlinie im Verfahren zur Ausweisung von Gebieten als besondere Schutzgebiete die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Gebiete anhand der in Anhang III der Richtlinie festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen bestimmt werden müssen, können solche Informationen auch gewährleisten, dass die Erhaltungsziele spezifisch und konkret sind.

116    Zugleich müssen, wie die Generalanwältin in Nr. 53 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die von einem Mitgliedstaat festgelegten Erhaltungsziele zwar die Überprüfung ermöglichen, ob mit den auf ihnen beruhenden Erhaltungsmaßnahmen der gewünschte Erhaltungszustand des betreffenden Gebiets erreicht werden kann, doch ist die Notwendigkeit, diese Ziele quantitativ und messbar zu formulieren, in jedem Einzelfall zu prüfen, und in ihr kann keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten gesehen werden.

117    Wie die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung im Wesentlichen vorgebracht hat, kann sich der quantitative und messbare Ansatz zur Festlegung von Erhaltungszielen nämlich für bestimmte komplexe Lebensräume und bestimmte Schutzgebiete mit dynamischem Charakter, deren Elemente sich in Abhängigkeit von externen Umweltfaktoren erheblich verändern oder eine starke Wechselwirkung mit anderen Lebensräumen und Schutzgebieten aufweisen, als ungeeignet erweisen.

118    Daher hat die Kommission grundsätzlich den Nachweis zu erbringen, dass der betreffende Mitgliedstaat in jedem konkreten Fall die Erhaltungsziele in quantitativer und messbarer Weise formulieren muss, um den gewünschten Erhaltungszustand des fraglichen Gebiets sicherzustellen.

119    Im vorliegenden Fall hat die Kommission zwar konkrete Beispiele für Gebiete präsentiert, in denen die Erhaltungsziele für die betreffenden Lebensräume und Arten nicht in quantitativer und messbarer Weise formuliert sind.

120    Zum einen hat die Kommission diese Beispiele jedoch angeführt, um die allgemeine und strukturelle Praxis der Bundesrepublik Deutschland zu illustrieren, die ihrer Auffassung nach gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstößt.

121    So hat die Kommission in ihrer Klageschrift nicht die Feststellung beantragt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der genannten Bestimmung verstoßen hat, dass für die Lebensräume und Arten, die in den von ihr in der Klageschrift als Beispiele genannten Gebieten vorkommen, keine quantitativen und messbaren Erhaltungsziele festgelegt wurden.

122    Zum anderen bezieht sich die vorliegende Klage auf die 4 606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen, der kontinentalen und der atlantischen biogeografischen Region.

123    In diesen Regionen liegen viele Gebiete, auf die die zweite Rüge der Kommission abzielt, und sie zeichnen sich, wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, durch eine außerordentliche Vielfalt von Arten und Lebensräumen aus.

124    Unter diesen Umständen musste die Kommission in Anbetracht der oben in Rn. 112 angeführten Rechtsprechung dartun, dass die Arten und Lebensräume, die sie als Beispiele angeführt hat, um die Rüge zu stützen, die auf die Feststellung einer allgemeinen und strukturellen Verletzung der Verpflichtungen aus der Habitatrichtlinie abzielt, für sämtliche in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung repräsentativ sind (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 170).

125    Selbst wenn die Kommission tatsächlich dargetan hätte, dass die Erhaltungsziele für die von ihr als Beispiele genannten Gebiete in quantitativer und messbarer Weise formuliert werden müssen, um den gewünschten Erhaltungszustand dieser Gebiete sicherzustellen, genügt jedoch die Feststellung, dass sie weder in der Klageschrift noch in ihrer Erwiderung mit hinreichend bestimmten, klaren und detaillierten Argumenten und Angaben in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass die von ihr genannten Beispiele dieser Gebiete für sämtliche in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in Bezug auf das ungerechtfertigte Fehlen quantitativer Maßnahmen repräsentativ sind.

126    Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie eine allgemeine Praxis verfolgt habe, die darin bestehe, Erhaltungsziele festzulegen, ohne quantitative und messbare Elemente vorzusehen.

127    Zweitens macht die Kommission geltend, die Praxis der Bundesrepublik Deutschland, Erhaltungsziele festzulegen, ohne zwischen der Wiederherstellung der Schutzgüter und ihrer Erhaltung zu unterscheiden, laufe Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie zuwider.

128    Wie oben in Rn. 106 ausgeführt, verlangt Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie insoweit, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats bei der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets die Erhaltungsziele und die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit der Gebiete für die Erhaltung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines Lebensraumtyps festlegen.

129    Zwar müssen, wie oben in Rn. 107 dargelegt, die Erhaltungsziele spezifisch und konkret sein, doch lässt die Habitatrichtlinie nicht den Schluss zu, dass die Mitgliedstaaten stets verpflichtet wären, bereits bei der Formulierung dieser Ziele eine Unterscheidung zwischen der Wiederherstellung der Schutzgüter einerseits und ihrer Erhaltung andererseits vorzunehmen.

130    Wie nämlich die Generalanwältin in den Nrn. 94 und 95 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen festgestellt hat, kann es auf diese Unterscheidung im Stadium der Festlegung konkreter Erhaltungsmaßnahmen ankommen, aber im Rahmen der Festlegung der Erhaltungsziele ist sie nicht erforderlich.

131    Nach alledem ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie eine allgemeine Praxis verfolgt habe, die darin bestehe, Erhaltungsziele festzulegen, ohne zwischen der Wiederherstellung der Schutzgüter und ihrer Erhaltung zu unterscheiden.

132    Drittens wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie Erhaltungsziele festzulegen, die Dritten gegenüber rechtlich nicht verbindlich seien.

133    Wie die Generalanwältin hierzu in Nr. 105 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, sind die Erhaltungsziele ihrer Natur nach dazu bestimmt, durch konkrete Erhaltungsmaßnahmen umgesetzt zu werden.

134    Um den Naturschutz in wirksamer Weise sicherzustellen und, konkreter, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Europäische Union zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen (Art. 2 Abs. 2 der Habitatrichtlinie), müssen diese konkreten Erhaltungsmaßnahmen nämlich von den Mitgliedstaaten als – bei Bedarf u. a. gegenüber Dritten – verbindliche Rechtsinstrumente erlassen werden.

135    Dagegen enthält die Habitatrichtlinie keinen Anhaltspunkt dafür, dass zur Gewährleistung der Wirksamkeit von Erhaltungsmaßnahmen auch die Ziele, auf denen diese Maßnahmen beruhen, gegenüber Dritten rechtlich verbindlich sein müssen. Außerdem ist das Fehlen eines solchen verbindlichen Charakters kein Hindernis dafür, dass diese Ziele mittelbar verbindliche Wirkungen gegenüber Dritten entfalten können, insbesondere soweit sie als Kriterium bei der Prüfung der möglichen Auswirkungen eines Plans oder eines Projekts auf ein geschütztes Gebiet nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dienen, denn eine solche Prüfung kann zum Verbot der Durchführung des betreffenden Plans oder Projekts führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Grace und Sweetman, C‑164/17, EU:C:2018:593, Rn. 32).

136    Daher ist das oben in Rn. 132 wiedergegebene Vorbringen der Kommission zurückzuweisen.

137    Folglich ist die zweite Rüge nur insoweit begründet, als die Bundesrepublik Deutschland unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine detaillierten Ziele festgelegt hat.

C.      Zur dritten Rüge: unterbliebene Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen

1.      Vorbringen der Parteien

138    Die Kommission macht in ihrer Klageschrift geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie für 737 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keinerlei Erhaltungsmaßnahmen festgelegt habe und bei der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen allgemein eine Praxis verfolge, die den rechtlichen Anforderungen dieser Vorschrift nicht genüge.

139    Aufgrund der Praxis dieses Mitgliedstaats, die darin bestehe, die Erhaltungsmaßnahmen auf Erhaltungsziele zu stützen, die ihrerseits nicht den Anforderungen der Habitatrichtlinie genügten, sei ein allgemeiner und struktureller Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zu konstatieren.

140    Das Erfordernis, dass die Erhaltungsmaßnahmen auf hinreichend spezifischen Erhaltungszielen beruhen müssten, werde durch das Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 48 bis 52), bestätigt und sei sowohl aufgrund der Systematik als auch aufgrund des Ziels der Habitatrichtlinie gerechtfertigt.

141    Die Bundesrepublik Deutschland entgegnet in ihrer Klagebeantwortung, sie habe seit der Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhebliche Fortschritte erzielt und bis zum 31. März 2022 für 99 % der besonderen Schutzgebiete die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt. Für die übrigen 45 Gebiete in den Ländern Brandenburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz würden die Erhaltungsmaßnahmen bis auf wenige Ausnahmen im Lauf des Jahres 2022 festgelegt.

142    Außerdem beziehe sich der ihr zur Last gelegte allgemeine und strukturelle Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gar nicht auf konkrete Erhaltungsmaßnahmen in Deutschland, sondern sei lediglich eine Folgerüge zur zweiten Rüge. Da die zweite Rüge unbegründet sei, müsse dies auch für die dritte Rüge gelten.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

143    Nach Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für jedes besondere Schutzgebiet die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtypen und der in ihrem Anhang II aufgeführten Arten entsprechen, die in dem betreffenden Gebiet vorkommen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 137 und die dort angeführte Rechtsprechung).

144    Die Mitgliedstaaten haben ihren Verpflichtungen aus Art. 6 der Habitatrichtlinie, einschließlich der in ihrem Art. 6 Abs. 1 vorgesehenen Verpflichtung zur Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen, auf wirksame Weise und durch vollständige, klare und konkrete Maßnahmen nachzukommen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung).

145    Im vorliegenden Fall bestreitet die Bundesrepublik Deutschland nicht, dass sie bis zum 13. Juni 2020, an dem die Frist für die Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission ablief, für die 737 in Rede stehenden Gebiete keine förmlichen Erhaltungsmaßnahmen erlassen hatte.

146    Das Vorbringen der Kommission, die Bundesrepublik Deutschland habe dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie allgemein und strukturell Erhaltungsmaßnahmen erlassen habe, die auf Erhaltungszielen beruhten, die ihrerseits nicht den Anforderungen der Richtlinie genügten, knüpft an den Gegenstand der zweiten, die Erhaltungsziele betreffenden Rüge an und ist daher ebenso wie diese zu beurteilen.

147    Wie sich oben aus Rn. 137 ergibt, ist die zweite Rüge aber nur insoweit begründet, als die Bundesrepublik Deutschland unter Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine detaillierten Ziele festgelegt hat, während die übrigen von der Kommission im Rahmen der zweiten Rüge vorgebrachten Argumente, die sich auf die Merkmale der von diesem Mitgliedstaat festgelegten Erhaltungsziele beziehen, zurückgewiesen worden sind.

148    Folglich ist die dritte Rüge nur insoweit begründet, als die Bundesrepublik Deutschland unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie für 737 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat.

149    Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland

–        dadurch, dass sie 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat,

–        dadurch, dass sie für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine detaillierten Erhaltungsziele festgelegt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, und

–        dadurch, dass sie für 737 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

150    Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

151    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie 88 der 4 606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, die in der Entscheidung 2004/69/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung für die alpine biogeografische Region gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates, der Entscheidung 2004/798/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region und der Entscheidung 2004/813/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region in den durch die Entscheidung 2008/218/EG der Kommission vom 25. Januar 2008 zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen biogeografischen Region, die Entscheidung 2008/25/EG der Kommission vom 13. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region und die Entscheidung 2008/23/EG der Kommission vom 12. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region aktualisierten Fassungen aufgeführt sind, nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung verstoßen.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie für 88 der 4 606 in Nr. 1 des Tenors bezeichneten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine detaillierten Erhaltungsziele festgelegt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung verstoßen.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie für 737 der 4 606 in Nr. 1 des Tenors bezeichneten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung verstoßen.

4.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

Prechal

Arastey Sahún

Biltgen

Wahl

 

Passer

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. September 2023.

Der Kanzler

 

Die Kammerpräsidentin

A. Calot Escobar

 

A. Prechal


*      Verfahrenssprache: Deutsch.