Language of document : ECLI:EU:T:2021:638

URTEIL DES GERICHTS (Neunte erweiterte Kammer)

29. September 2021(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt wird – Abstimmung der Preise im gesamten EWR – Abgestimmte Verhaltensweise – Austausch sensibler Geschäftsinformationen – Räumliche Zuständigkeit der Kommission – Verteidigungsrechte und Anspruch auf rechtliches Gehör – Unantastbarkeit des Rechtsakts – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Umsatz – Begründungspflicht – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Ziff. 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑363/18,

Nippon Chemi-Con Corporation mit Sitz in Tokio (Japan), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H.‑J. Niemeyer und M. Röhrig, Rechtsanwältin I.‑L. Stoicescu und Rechtsanwalt P. Neideck,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Cleenewerck de Crayencour, B. Ernst, T. Franchoo, C. Sjödin und L. Wildpanner als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 1768 final der Kommission vom 21. März 2018 in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40136 – Kondensatoren), soweit er die Klägerin betrifft, und hilfsweise auf Aufhebung oder Herabsetzung der mit diesem Beschluss gegen sie verhängten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira (Berichterstatterin), des Richters D. Gratsias, der Richterin M. Kancheva, des Richters B. Berke und der Richterin T. Perišin,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2020

folgendes

Urteil(1)

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Klägerin und betroffener Markt

1        Die Klägerin, die Nippon Chemi-Con Corporation, ist ein Unternehmen mit Sitz in Japan, das Aluminium-Elektrolytkondensatoren fertigt und vertreibt. Bis März 2005 fertigte sie auch Tantal-Elektrolytkondensatoren, die sie bis Januar 2011 mittels Direktverkäufen vertrieb, die im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bis Februar 2005 in Rechnung gestellt wurden. Die Klägerin hält 100 % der Anteile der Europe Chemi‑Con (Deutschland) GmbH, einer Gesellschaft deutschen Rechts, sowie 100 % der Anteile der United Chemi‑Con, einer Gesellschaft nach dem Recht der Vereinigten Staaten (im Folgenden: Europe Chemi‑Con und United Chemi‑Con; zusammen mit der Klägerin: Nippon Chemi‑Con‑Gruppe).

2        Die in Rede stehende Zuwiderhandlung betrifft Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren. Kondensatoren sind elektrische Bauelemente, die in einem elektrischen Feld statisch Energie speichern. Elektrolytkondensatoren werden in fast allen elektronischen Produkten wie PCs, Tablet-PCs, Telefonen, Klimaanlagen, Kühlschränken, Waschmaschinen, Kfz-Produkten und Industriegeräten verwendet. Der Kundenkreis ist daher sehr diversifiziert. Elektrolytkondensatoren, genauer gesagt Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren, sind Erzeugnisse, bei denen der Preis einen wichtigen Wettbewerbsfaktor darstellt.

B.      Verwaltungsverfahren

3        Am 4. Oktober 2013 beantragten Panasonic und ihre Tochtergesellschaften bei der Europäischen Kommission einen sogenannten Marker nach den Rn. 14 und 15 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006) und übermittelten Informationen über eine mutmaßliche Zuwiderhandlung im Bereich der Elektrolytkondensatoren.

4        Am 28. März 2014 verlangte die Kommission gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Auskünfte von mehreren auf dem Markt für Elektrolytkondensatoren tätigen Unternehmen, so auch von der Klägerin.

5        Vom 3. bis zum 6. März 2015 nahm die Kommission gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Europe Chemi‑Con vor.

6        Am 4. November 2015 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie u. a. an die Klägerin adressierte.

7        Zwischen dem 12. November und dem 17. Dezember 2015 erhielten die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Wege einer „DVD zur Akteneinsicht“ Zugang zum Großteil der Akten.

8        Nachdem mehrere Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte Anträge auf Offenlegung der Namen von Kunden gestellt hatten, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 4. November 2015 unkenntlich gemacht worden waren, stellte die Kommission zwei neue DVDs mit den Namen der Kunden zur Verfügung, die geschwärzt worden waren. Die Klägerin griff am 7. März und am 27. April 2016 darauf zu.

9        Am 4. Mai 2016 übersandte die Kommission den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte ein Sachverhaltsschreiben zu bestimmten Aspekten dieser Mitteilung (im Folgenden: Sachverhaltsschreiben), dem eine neue, ungeschwärzte Fassung der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 4. November 2015 und ihrer Anlage 1 beigefügt war. Sie setzte den Adressaten eine Frist von zwei Wochen zur Beantwortung, die bis zum 20. Mai 2016 verlängert wurde.

10      Am 20. Mai 2016 übermittelte die Klägerin eine Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und das Sachverhaltsschreiben.

11      Die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, darunter die Klägerin, wurden von der Kommission in einer mündlichen Anhörung vom 12. bis zum 14. September 2016 angehört.

C.      Angefochtener Beschluss

12      Am 21. März 2018 erließ die Kommission den Beschluss C(2018) 1768 final in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40136 – Kondensatoren) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

1.      Zuwiderhandlung

13      Mit dem angefochtenen Beschluss stellte die Kommission das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens auf dem Markt für Elektrolytkondensatoren fest, an der neun Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen beteiligt gewesen seien, nämlich Elna, Hitachi AIC, Holy Stone, Matsuo, NEC Tokin, Nichicon, Rubycon, Sanyo (Bezeichnung für Sanyo und Panasonic gemeinsam) und die Klägerin (alle zusammen im Folgenden: Kartellteilnehmer) (erster Erwägungsgrund und Art. 1 des angefochtenen Beschlusses).

14      Die Kommission stellte im Wesentlichen fest, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 im gesamten EWR stattgefunden habe und in Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bestanden habe, die die Koordinierung der Preispolitik in Bezug auf die Lieferung von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren zum Gegenstand gehabt hätten (erster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

15      Das Kartell sei hauptsächlich im Wege multilateraler Treffen organisiert worden, die normalerweise in Japan stattgefunden hätten, und zwar monatlich oder jeden zweiten Monat auf Ebene der leitenden Vertriebsangestellten und alle sechs Monate auf Führungsebene unter Beteiligung der Geschäftsführer (Erwägungsgründe 63, 68 und 738 des angefochtenen Beschlusses).

16      Die multilateralen Treffen seien anfänglich, nämlich von 1998 bis 2003, unter der Bezeichnung „Elektrolytkondensatorenkreis“ oder „Elektrolytkondensatorenkonferenz“ (im Folgenden: EKK-Treffen) abgehalten worden. Von 2003 bis 2005 hätten sie sodann unter der Bezeichnung „Aluminium-Tantalkonferenz“ oder „Gruppe der Aluminium- oder Tantalkondensatoren“ stattgefunden (im Folgenden: ATC‑Treffen). Von 2005 bis 2012 seien die Treffen schließlich unter dem Namen „Marktforschungsgruppe“ oder „Marketinggruppe“ (im Folgenden: MK-Treffen) erfolgt. Parallel und ergänzend zu den MK‑Treffen hätten zwischen 2006 und 2008 Treffen zur „Kostensteigerung“ oder zur „Stärkung der Kondensatoren“ (im Folgenden: CUP-Treffen) stattgefunden (69. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

17      Über diese multilateralen Treffen hinaus habe es zwischen den Kartellteilnehmern bei Bedarf auch bi-/trilaterale Ad-hoc-Kontakte gegeben (Erwägungsgründe 63, 75 und 739 des angefochtenen Beschlusses) (im Folgenden zusammenfassend: wettbewerbswidrige Kontakte).

18      Im Rahmen der wettbewerbswidrigen Kontakte hätten die Kartellteilnehmer vor allem Informationen über Preise und die künftige Preisgestaltung, über künftige Preisnachlässe und die Bandbreite dieser Nachlässe sowie über Angebot und Nachfrage, auch in der Zukunft, ausgetauscht. In bestimmten Fällen hätten die Kartellteilnehmer Preisabsprachen getroffen, die angewandt und eingehalten worden seien (Erwägungsgründe 62, 715, 732 und 741 des angefochtenen Beschlusses).

19      Die Kommission war der Ansicht, dass das Verhalten der Kartellteilnehmer eine Form der Vereinbarung und/oder der abgestimmten Verhaltensweise dargestellt habe, die einem gemeinsamen Ziel gedient habe, nämlich sich einem Preiswettbewerb zu entziehen und das künftige Verhalten beim Verkauf von Elektrolytkondensatoren abzustimmen, um so die Unsicherheit auf dem Markt zu verringern (Erwägungsgründe 726 und 731 des angefochtenen Beschlusses).

20      Die Kommission kam zu dem Schluss, dass dieses Verhalten einem einzigen wettbewerbswidrigen Ziel gedient habe (743. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

2.      Verantwortlichkeit der Klägerin

21      Die Kommission nahm die Verantwortlichkeit der Klägerin wegen ihrer unmittelbaren Teilnahme am Kartell vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 an (959. Erwägungsgrund und Art. 1 Buchst. g des angefochtenen Beschlusses).

3.      Gegen die Klägerin verhängte Geldbuße

22      Mit Art. 2 Buchst. j des angefochtenen Beschlusses wird eine Geldbuße in Höhe von 97 921 000 Euro gegen die Klägerin verhängt.

4.      Festsetzung der Höhe der Geldbußen

23      Für die Festsetzung der Höhe der Geldbußen bediente sich die Kommission der in ihren Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) dargelegten Methode (980. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

24      Erstens verwendete die Kommission zur Festsetzung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängte Geldbuße gemäß Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 den Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr, in dem das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war (989. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

25      Die Kommission berechnete die Höhe der Umsätze anhand der Beträge, die Kunden im EWR für den Kauf von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren in Rechnung gestellt worden waren (990. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

26      Außerdem berechnete sie die Höhe des relevanten Umsatzes für die beiden Produktkategorien (Aluminium-Elektrolytkondensatoren und Tantal-Elektrolytkondensatoren) getrennt und wandte dafür je nach Dauer unterschiedliche Multiplikatoren an (991. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

27      In Bezug auf die Klägerin vertrat die Kommission die Auffassung, dass als Referenzzeitraum einerseits für den Umsatz mit Aluminium-Elektrolytkondensatoren das letzte vollständige Jahr der Beteiligung an der Zuwiderhandlung (2011 bis 2012) zu berücksichtigen sei, und andererseits hinsichtlich der Tantal-Elektrolytkondensatoren das letzte vollständige Jahr, in dem die Klägerin diese verkauft habe (also 2003 bis 2004), da sie den Vertrieb von Tantal-Elektrolytkondensatoren vor dem Ende der Teilnahme an der Zuwiderhandlung eingestellt habe (Erwägungsgründe 34, 989 bis 991 und 1007, Tabelle 1 sowie Fn. 1657 des angefochtenen Beschlusses).

28      Zudem stellte sie fest, dass die Klägerin über Europe Chemi‑Con und United Chemi‑Con während der gesamten Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung Direktverkäufe von Aluminium-Elektrolytkondensatoren im EWR in Rechnung gestellt habe (Erwägungsgründe 990 und 998 des angefochtenen Beschlusses). Direktverkäufe von Tantal-Elektrolytkondensatoren habe sie auf diesem Weg im EWR bis zum 1. Februar 2005 in Rechnung gestellt (Erwägungsgründe 34 und 1006 des angefochtenen Beschlusses).

29      Schließlich bestimmte die Kommission für die Klägerin hinsichtlich der Aluminium-Elektrolytkondensatoren einen Multiplikator von 13,82 für den Zeitraum vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 sowie hinsichtlich der Tantal-Elektrolytkondensatoren einen Multiplikator von 5,26 für den Zeitraum vom 29. Oktober 1999 bis zum 1. Februar 2005 (1007. Erwägungsgrund, Tabelle 1 des angefochtenen Beschlusses).

30      Die Kommission setzte den nach Maßgabe der Schwere der Zuwiderhandlung zu bestimmenden Anteil am Umsatz auf 16 % fest. Insoweit führte sie aus, horizontale „Absprachen“ zur Abstimmung der Preise gehörten schon ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens, und das Kartell habe sich auf den gesamten EWR erstreckt (Erwägungsgründe 1001 bis 1003 des angefochtenen Beschlusses).

31      Sie bestimmte gemäß Ziff. 25 der Leitlinien von 2006 einen Zusatzbetrag in Höhe von 16 %, um eine ausreichende abschreckende Wirkung der verhängten Geldbuße sicherzustellen (1009. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

32      Dementsprechend setzte sie den Grundbetrag der Geldbuße für die Klägerin auf 205 649 000 Euro fest (1010. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

33      Was zweitens die Anpassungen des Grundbetrags der Geldbußen betrifft, stellte die Kommission hinsichtlich der Klägerin keine erschwerenden oder mildernden Umstände fest (1054. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

34      Drittens wandte die Kommission gemäß Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 die Obergrenze von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes an (Erwägungsgründe 1057 und 1058 des angefochtenen Beschlusses).

35      Die Kommission setzte daher den Gesamtbetrag der Geldbuße für die Klägerin auf 97 921 000 Euro fest (1139. Erwägungsgrund, Tabelle 3 des angefochtenen Beschlusses).

[nicht wiedergegeben]

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

37      Mit Klageschrift, die am 5. Juni 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

38      Die Klagebeantwortung der Kommission ist am 19. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

39      Die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind am 27. Februar bzw. am 5. Juni 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

40      Auf Vorschlag der Zweiten Kammer hat das Gericht beschlossen, die Rechtssache nach Art. 28 seiner Verfahrensordnung an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.

41      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist die Berichterstatterin der Neunten erweiterten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache daher gemäß Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung zugewiesen worden ist.

42      Auf Vorschlag der Berichterstatterin hat das Gericht (Neunte erweiterte Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und hat den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt und sie aufgefordert, diese in der mündlichen Verhandlung zu beantworten.

43      Die Parteien haben in der Sitzung vom 23. Oktober 2020 mündlich verhandelt und die schriftlichen und mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

44      Nach dem Tod von Richter Berke am 1. August 2021 haben die drei Richter, die das vorliegende Urteil unterzeichnet haben, gemäß den Art. 22 und 24 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Beratungen fortgesetzt.

45      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit darin festgestellt wird, dass sie eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV begangen habe;

–        hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße aufzuheben oder, äußerst hilfsweise, sie herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

46      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

[nicht wiedergegeben]

B.      Zur Begründetheit

56      Die Klägerin stützt ihre Klage auf sechs Klagegründe, die sowohl ihren Hauptantrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses als auch den Hilfsantrag auf Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße untermauern.

57      Die ersten fünf Klagegründe richten sich gegen die Schlussfolgerung der Kommission, dass im Bereich der Elektrolytkondensatoren über einen Zeitraum von fast 14 Jahren im gesamten EWR-Raum eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV vorgelegen habe. Mit dem ersten Klagegrund werden eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, ein Verstoß gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), eine Verletzung der Verteidigungsrechte und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des Rechtsakts geltend gemacht. Mit dem zweiten Klagegrund rügt die Klägerin das Fehlen von Beweisen für die Zuwiderhandlung sowie fehlerhafte Sachverhaltsfeststellungen; zudem macht sie den Eintritt der Verjährung geltend. Der dritte Klagegrund betrifft das Fehlen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung. Mit dem vierten Klagegrund wird geltend gemacht, dass keine bezweckte Zuwiderhandlung vorliege. Der fünfte Klagegrund richtet sich gegen die räumliche Unzuständigkeit der Kommission für die Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens.

58      Mit dem sechsten Klagegrund wendet sich die Klägerin gegen die Geldbuße, die gegen sie verhängt wurde, und beantragt deren Aufhebung oder Herabsetzung. Dieser Klagegrund wird auf Fehler bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße, auf einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 sowie auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gestützt.

[nicht wiedergegeben]

1.      Zum Antrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses

[nicht wiedergegeben]

a)      Zum fünften Klagegrund: fehlende räumliche Zuständigkeit der Kommission

71      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission sei im 660. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im vorliegenden Fall für die Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens räumlich zuständig sei, weil das wettbewerbswidrige Verhalten weltweit, also auch im EWR, verwirklicht worden sei. Tatsächlich sei dieses Verhalten auf Asien ausgerichtet gewesen, und es sei weder im EWR verwirklicht worden, noch habe es nennenswerte Auswirkungen auf den EWR gehabt.

72      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

73      Zur territorialen Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 101 AEUV enthaltene unionsrechtliche Wettbewerbsregel Vereinbarungen und Verhaltensweisen verbietet, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs „innerhalb des Binnenmarkts“ bezwecken oder bewirken.

74      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen der territorialen Geltung von Art. 101 AEUV in zwei Konstellationen erfüllt sind.

75      Erstens ist die Anwendung von Art. 101 AEUV berechtigt, wenn die Verhaltensweisen, um die es in dieser Bestimmung geht, im Gebiet des Binnenmarkts verwirklicht werden, und zwar unabhängig davon, von wo sie ihren Ausgang nehmen. Würde man die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Verbote von dem Ort der Bildung des Kartells abhängig machen, liefe dies nämlich offensichtlich darauf hinaus, dass den Unternehmen ein einfaches Mittel an die Hand gegeben würde, sich diesen Verboten zu entziehen (Urteil vom 27. September 1988, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, 89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85 und 125/85 bis 129/85, EU:C:1988:447, Rn. 16).

76      Um zu bestimmen, ob sich der Ort der Durchführung des Kartells im EWR befindet, ist es zum einen unerheblich, ob die Kartellteilnehmer im EWR ansässige Tochterunternehmen eingeschaltet haben, um Kontakte zwischen sich und den dort ansässigen Abnehmern zu knüpfen, oder ob sie das nicht getan haben (Urteil vom 27. September 1988, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, 89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85 und 125/85 bis 129/85, EU:C:1988:447, Rn. 17). Zum anderen ist dieses Kriterium der Durchführung des Kartells als Kriterium für dessen Verknüpfung mit dem Gebiet der Union durch den bloßen Verkauf des kartellbefangenen Produkts in der Union unabhängig von der Lage der Versorgungsquellen oder der Produktionsanlagen erfüllt (vgl. Urteil vom 9. September 2015, LG Electronics/Kommission, T‑91/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:609, Rn. 149 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Zweitens ist die Anwendung von Art. 101 AEUV völkerrechtlich auch dann berechtigt, wenn vorhersehbar ist, dass die Verhaltensweisen, um die es in dieser Bestimmung geht, eine unmittelbare und wesentliche Auswirkung im Binnenmarkt hervorrufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 1971, Béguelin Import, 22/71, EU:C:1971:113, Rn. 11).

78      Im vorliegenden Fall ist die Kommission im 660. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu dem Ergebnis gelangt, dass sie sowohl für die Anwendung von Art. 101 AEUV, als auch, basierend auf Art. 56 des EWR‑Abkommens, für die Anwendung von Art. 53 des EWR‑Abkommens zuständig sei, da das Verhalten des Kartells weltweit, und damit auch im EWR, verwirklicht worden sei.

79      Hierzu vertrat sie die Auffassung, dass die Kartellteilnehmer zwar Unternehmen mit Sitz in Japan gewesen seien und die wettbewerbswidrigen Kontakte in Japan stattgefunden hätten, dass diese Kontakte aber entweder eine weltweite Reichweite gehabt hätten, die auch den EWR umfasst habe, oder unmittelbare Auswirkungen auf den EWR gehabt hätten. Der Zusammenhang mit dem EWR sei insbesondere dadurch gegeben gewesen, dass die Kartellteilnehmer, darunter auch die Klägerin, während des Zeitraums der Zuwiderhandlung im EWR Verkäufe von Elektrolytkondensatoren getätigt hätten. Zudem hätten die Kartellteilnehmer zum einen Informationen über Kunden mit Sitz im EWR oder über Kunden mit Produktionsstätten im EWR ausgetauscht und zum anderen ihre Geschäftspolitik koordiniert, insbesondere in Abhängigkeit von Wechselkursschwankungen, einschließlich solcher des Euro, und steigenden Rohstoffpreisen, und zwar ohne geografische Beschränkung. Schließlich hätten die ausgetauschten Informationen alle Verkäufe umfasst, unabhängig davon, ob sie nach Japan oder ins Ausland erfolgt seien, und unabhängig davon, ob es sich um japanische oder um ausländische Kunden gehandelt habe (Erwägungsgründe 665 bis 672 des angefochtenen Beschlusses).

80      Die Klägerin streitet zwar einen Zusammenhang zwischen bestimmten wettbewerbswidrigen Kontakten und dem EWR ab, was das Gericht im Rahmen der Klagegründe 2 und 3 prüfen wird, und macht geltend, der Zusammenhang zwischen dem Kartell und dem EWR sei begrenzt gewesen, was im Rahmen der Klagegründe 2, 3 und 6 zu prüfen sein wird.

81      Sie stellt jedoch nicht in Abrede, dass die Kartellteilnehmer, sie selbst eingeschlossen, auf direktem oder indirektem Wege weltweit Elektrolytkondensatoren verkauft haben, also auch in Europa, auch wenn sie behauptet, dass in diesem geografischen Gebiet nur sehr wenige Verkäufe erfolgt seien, die von ihren Tochtergesellschaften getätigt worden seien.

82      Daraus folgt, dass das Kriterium der Durchführung des Kartells als Kriterium für dessen Verknüpfung mit dem Gebiet der Union im vorliegenden Fall erfüllt ist, so dass die Zuwiderhandlung, auf die sich der angefochtene Beschluss bezieht, in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt. Folglich hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass sie für die Anwendung von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens zuständig ist.

83      Der fünfte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

d)      Zum dritten Klagegrund: Fehlen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung

308    Mit ihrem dritten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kommission habe das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, die sämtliche Elektrolytkondensatoren während der gesamten Dauer der behaupteten Zuwiderhandlung umfasst habe, nicht nachgewiesen.

309    Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. Mit dem ersten Teil wird gerügt, dass kein Gesamtplan nachgewiesen worden sei. Der zweite Teil bezieht sich auf das Fehlen von Beweisen für ein Verhältnis der Komplementarität zwischen den wettbewerbswidrigen Kontakten. Mit dem dritten Teil wird geltend gemacht, die Kommission habe nicht berücksichtigt, dass die Kondensatorindustrie heterogen sei, was das Vorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung unmöglich mache.

[nicht wiedergegeben]

314    Im vorliegenden Fall ist die Kommission davon ausgegangen, dass die verschiedenen wettbewerbswidrigen Kontakte, die in Abschnitt 4.3.6 des angefochtenen Beschlusses beschrieben sind, Teil eines Gesamtplans gewesen seien, der einem einzigen wettbewerbswidrigen Ziel gedient habe. Das von den Parteien verfolgte und sich aus diesen Kontakten ergebende Ziel habe darin bestanden, den Preiswettbewerb zu verhindern, ihr künftiges Verhalten im Zusammenhang mit dem Verkauf von Elektrolytkondensatoren abzustimmen und so die Ungewissheit auf dem Markt zu verringern (Erwägungsgründe 730 und 731 des angefochtenen Beschlusses).

315    Dieses einzige wettbewerbswidrige Ziel sei durch Gespräche über die Preise, einschließlich der künftigen Preisgestaltung, durch Gespräche über Angebot und Nachfrage, auch in der Zukunft (insbesondere über das Produktionsvolumen, die Steigerung oder die Verringerung von Lieferungen), verfolgt worden, und in bestimmten Fällen auch durch den Abschluss, die Anwendung und die Einhaltung von Preisabsprachen (Erwägungsgründe 62 und 715 des angefochtenen Beschlusses).

316    Die Kommission war der Ansicht, das Ziel des Kartells habe sich nicht geändert, auch wenn sich das Kartell mit der Zeit entwickelt habe. Die im angefochtenen Beschluss beschriebenen 113 wettbewerbswidrigen Kontakte hätten gemeinsame Merkmale in Bezug auf die Teilnehmer, die Art und den sachlichen Umfang der Gespräche gehabt, und es habe in all diesen Bereichen Überschneidungen gegeben. So hätten an den multilateralen Treffen, die unter verschiedenen Bezeichnungen stattgefunden hätten (EKK-Treffen von 1998 bis 2003, ATC‑Treffen von 2003 bis 2005, MK-Treffen von 2005 bis 2012 und CUP-Treffen von 2006 bis 2008), zu verschiedenen Zeitpunkten alle neun Kartellmitglieder teilgenommen, und es seien sowohl Aluminium- als auch Tantal-Elektrolytkondensatoren thematisiert worden. Parallel dazu habe es nach Bedarf bi- und trilaterale Kontakte gegeben, in deren Rahmen spezifische Fragen behandelt worden seien. Außerdem seien dieselben Personen, oder gegebenenfalls ihre Nachfolger, an den wettbewerbswidrigen Kontakten beteiligt gewesen (Erwägungsgründe 70 bis 75, 726, 732, 741 und 743 des angefochtenen Beschlusses).

317    Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass die Zuwiderhandlung trotz der Entwicklung der wirtschaftlichen Gegebenheiten, Umgestaltungen in der Organisationsstruktur einiger betroffener Unternehmen und Änderungen bei den an den Kontakten beteiligten Personen ununterbrochen begangen worden sei (Erwägungsgründe 76, 729, 742 und 745 des angefochtenen Beschlusses).

1)      Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: Fehlen eines Gesamtplans

318    Die Klägerin bringt vor, die Kommission habe das Vorliegen eines Gesamtplans nicht nachgewiesen, da sie erstens nicht bewiesen habe, dass jeder wettbewerbswidrige Kontakt dem gleichen einheitlichen Ziel gedient habe, obwohl der Umstand, dass es für die CUP-Treffen einen anderen „Mechanismus“ gegeben habe als für die übrigen Treffen, zeige, dass mit den verschiedenen wettbewerbswidrigen Kontakten unterschiedliche Ziele verfolgt worden seien. Zweitens sei die Beschreibung des Gesamtplans sowohl in der Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch im angefochtenen Beschluss zu vage und zu ungenau, denn der Begriff des Gesamtplans erfordere einen Verweis auf spezifische Produkte, geografische Gebiete und kollusive Mechanismen. Drittens belegten die von der Kommission angeführten Beweise nicht, dass während des gesamten Zeitraums der Zuwiderhandlung ein einziges wettbewerbswidriges Ziel verfolgt worden sei.

319    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

320    Die von der Kommission im angefochtenen Beschluss angeführten Gesichtspunkte, insbesondere die oben in den Rn. 314 bis 317 wiedergegebenen, bezüglich der gemeinsamen Merkmale der wettbewerbswidrigen Kontakte, die letztlich die Abstimmung des Verhaltens hinsichtlich der Preise bezweckten, sind im Hinblick auf die Anforderungen, die sich aus der oben in den Rn. 150 und 151, 310 und 311 angeführten Rechtsprechung ergeben, für den Nachweis ausreichend, dass die Kontakte den gleichen Zweck verfolgten und Teil eines einzigen Gesamtplans waren.

321    Die Argumente der Klägerin vermögen diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen.

322    Erstens war die Kommission nicht verpflichtet, zu prüfen, ob jeder der verschiedenen wettbewerbswidrigen Kontakte eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen sollte und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbsrechtlicher Wirkungen beitrug, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einziges Ziel gerichteten Gesamtplans anstrebten. Der Gesamtplan, auf den die oben in Rn. 313 genannte Rechtsprechung abstellt, besteht aus der Gesamtheit der von den Kartellteilnehmern angestrebten wettbewerbswidrigen Wirkungen.

323    Außerdem bringt die Klägerin keinen konkreten Anhaltspunkt dafür vor, dass bestimmte Verhaltensweisen Merkmale aufgewiesen hätten, die darauf schließen ließen, dass mit ihnen nicht dasselbe wettbewerbswidrige Ziel verfolgt worden sei und sie daher nicht Teil desselben Gesamtplans gewesen seien.

324    Insoweit macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass mit den CUP-Treffen ein anderes Ziel verfolgt worden sei, was sich daraus ergebe, dass es für diese Treffen einen anderen „Mechanismus“ gegeben habe als für die übrigen Treffen. Zwar hat die Kommission festgestellt, dass die Teilnehmer der CUP-Treffen Preisabsprachen getroffen und ein System der Berichterstattung über die Handlungen der Unternehmen zum Zweck der Kontrolle ihrer Strategie für Preiserhöhungen geschaffen hätten (siehe 72. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Wie sich jedoch aus Rn. 315 oben ergibt, war dieser „Mechanismus“ der Überwachung oder Kontrolle der Strategie für Preiserhöhungen nur eines der Mittel zur Erreichung des letztlichen Ziels der Abstimmung der Verhaltensweisen hinsichtlich der Preise. Außerdem stellte die Kommission fest, dass dieser Kontroll‑„Mechanismus“ Teil einer Gesamtstrategie sei, nach der die Unternehmen ihr wechselseitiges Verhalten generell und somit auch außerhalb der CUP-Treffen überwachten (siehe 716. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

325    Obwohl die CUP-Treffen den Teilnehmern zur Absprache von Preisen und zur Entwicklung eines Kontrollsystems für die Preisstrategie dienten, während im Rahmen anderer Treffen Informationen über Preise oder Angebot und Nachfrage ausgetauscht wurden, kann daraus nicht geschlossen werden, dass mit den CUP-Treffen ein anderes Ziel verfolgt wurde als mit den anderen wettbewerbswidrigen Kontakten.

326    Nach alledem ist das Argument der Klägerin, die Kommission habe vor dem Hintergrund des angeblich anderen Ziels der CUP-Treffen nicht nachgewiesen, dass die im angefochtenen Beschluss beschriebenen wettbewerbswidrigen Kontakte ein einziges Ziel verfolgten, zurückzuweisen.

327    Zweitens macht die Klägerin geltend, dass die Beschreibung des Gesamtplans im angefochtenen Beschluss „zu vage und zu ungenau“ sei und „nicht mehr als einen allgemeinen Verweis auf eine Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Markt“ darstelle.

328    Wie sich aus der oben in Rn. 312 angeführten Rechtsprechung ergibt, kann der Begriff des einzigen Ziels zwar nicht durch einen allgemeinen Verweis auf die Verzerrung des Wettbewerbs auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt bestimmt werden.

329    Das Argument der Klägerin, der Gesamtplan sei in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht hinreichend beschrieben, geht jedoch ins Leere. Gegenstand der vorliegenden Klage ist nämlich der angefochtene Beschluss und nicht die Mitteilung der Beschwerdepunkte, bei der es sich im Übrigen um eine rein vorläufige Maßnahme handelt. Obwohl in der Mitteilung der Beschwerdepunkte alle wesentlichen Tatsachen angegeben sein müssen, auf die sich die Kommission in diesem Stadium des Verfahrens stützt, kann dies in gedrängter Form erfolgen, und die Entscheidung braucht nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein, da es sich bei Letzterer um ein vorbereitendes Dokument handelt, dessen tatsächliche und rechtliche Wertungen lediglich vorläufiger Natur sind (vgl. Urteil vom 5. Dezember 2013, SNIA/Kommission, C‑448/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:801, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

330    Außerdem ist die Beschreibung des Gesamtplans entgegen der Argumentation der Klägerin in Bezug auf die Produkte, die kollusiven Mechanismen und die betroffenen Märkte nicht „vage“. Alle diese Gesichtspunkte ergeben sich nämlich eindeutig aus der Beschreibung im angefochtenen Beschluss (zusammengefasst in dessen Art. 1), wonach die in Rede stehende Zuwiderhandlung vom 26. Juni 1998 bis zum 23. April 2012 im gesamten EWR stattgefunden hat und in Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bestanden hat, die die Abstimmung der Preispolitik in Bezug auf die Lieferung von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren zum Gegenstand hatten (siehe oben, Rn. 14).

331    Schließlich ist festzustellen, dass sich das Argument der Klägerin, die Beschreibung des Gesamtplans sei „vage“, weitgehend auf die Erwägungsgründe 767, 769 und 770 des angefochtenen Beschlusses stützt, die die Antwort der Kommission auf das Vorbringen der Klägerin zur Mitteilung der Beschwerdepunkte und zum Sachverhaltsschreiben umfassen (siehe oben, Rn. 10). Wie die Kommission geltend macht, lässt die Klägerin die Erwägungsgründe 730 bis 743 des angefochtenen Beschlusses, in denen die Kommission die Gründe für die Feststellung eines Gesamtplans mit einem gemeinsamen Ziel darlegt, außer Acht.

332    Aus den genannten Erwägungsgründen 730 bis 743 des angefochtenen Beschlusses, wie auch aus weiteren, oben in den Rn. 314 bis 316 angeführten Erwägungsgründen, geht hervor, dass die Kommission zum einen den Gesamtplan dahin definiert hat, dass der Preiswettbewerb vermieden, das zukünftige Verhalten der Teilnehmer in Bezug auf den Verkauf von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren abgestimmt und so die Ungewissheit auf dem Markt verringert werden sollten. Zum anderen hat die Kommission erläutert, wie dieses gemeinsame Ziel verfolgt worden sei und warum die im angefochtenen Beschluss beschriebenen wettbewerbswidrigen Kontakte ein fortgesetztes Verhalten darstellten, mit dem ein einziges wirtschaftliches Ziel im Sinne der oben in Rn. 310 angeführten Rechtsprechung verfolgt worden sei.

333    Drittens macht die Klägerin geltend, die von der Kommission angeführten Beweise belegten nicht, dass während des gesamten Zeitraums der Zuwiderhandlung ein einziges wettbewerbswidriges Ziel verfolgt worden sei.

334    Insoweit steht das Argument der Klägerin, die Kommission berufe sich ausschließlich auf Beweise zu den EKK- und den ATC‑Treffen, ohne näher auf das den anderen Treffen zugrunde liegende Ziel einzugehen, unmittelbar im Widerspruch zum Inhalt des angefochtenen Beschlusses. Die Klägerin stützt sich nämlich im Wesentlichen auf den 733. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, der keine erschöpfende Liste der Gesichtspunkte enthält, die das Ziel der Teilnehmer aufzeigen, sondern sich darauf beschränkt, bestimmte der sich aus Abschnitt 4.3.6 des angefochtenen Beschlusses ergebenden Gesichtspunkte als „Beispiele“ anzuführen.

335    Abschnitt 4.3.6 des angefochtenen Beschlusses enthält aber eine vollständige Chronologie der wettbewerbswidrigen Kontakte, mit Einzelheiten zu jedem multilateralen Treffen und jedem bi- oder trilateralen Kontakt. In den Fußnoten wird auch auf die von der Kommission verwendeten Beweismittel verwiesen. Zudem enthalten die Erwägungsgründe 77 bis 105 des angefochtenen Beschlusses eine kurze Übersicht über die wettbewerbswidrigen Kontakte (Daten, Orte, Teilnehmer und die im Rahmen der verschiedenen Arten von Treffen und Kontakten behandelten Themen). Die von der Kommission verwendeten Beweismittel sind ebenfalls in den Fußnoten zu diesen Erwägungsgründen genannt.

336    Nach alledem ist auch das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, mit dem sie die Richtigkeit der von der Kommission im 733. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Äußerungen der Beteiligten bei bestimmten ATC‑Treffen bestreitet, nämlich dahin gehend, dass diese Äußerungen nicht in den Protokollen enthalten seien und kein weiter gehendes Ziel zum Ausdruck brächten. Die Argumentation der Klägerin beruht nämlich auf der falschen Annahme, dass die Kommission das gemeinsame Ziel des Kartells allein auf der Grundlage der genannten Äußerungen ermittelt habe, während diese in Wirklichkeit als Beispiele genannt werden und die Schlussfolgerung der Kommission zu diesem gemeinsamen Ziel auf mehrere andere Gesichtspunkte gestützt wurde. Selbst wenn also das Vorbringen der Klägerin zur Richtigkeit der Äußerungen der Beteiligten bei bestimmten ATC‑Treffen begründet wäre, könnte es die Schlussfolgerung der Kommission, dass alle wettbewerbswidrigen Kontakte ein gemeinsames Ziel verfolgten, nicht in Frage stellen.

337    Wie sich nämlich aus der oben in den Rn. 148 und 149 angeführten Rechtsprechung ergibt, muss nicht jeder der von der Kommission beigebrachten Beweise notwendigerweise diesen Kriterien in Bezug auf jedes Element der Zuwiderhandlung genügen. Es genügt, dass das Bündel der von der Kommission angeführten Indizien bei einer Gesamtbetrachtung dieses Erfordernis erfüllt. Somit sind die Indizien, die die Kommission im angefochtenen Beschluss zum Beweis eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV anführt, nicht einzeln zu würdigen, sondern in ihrer Gesamtheit.

[nicht wiedergegeben]

345    Der Umstand, dass im Rahmen bestimmter Treffen nicht ausdrücklich auf den EWR Bezug genommen wurde, bedeutet jedenfalls nicht, dass durch die Gesamtheit der von der Kommission im angefochtenen Beschluss angeführten wettbewerbswidrigen Kontakte kein Bezug zum EWR bewiesen wird. Im vorliegenden Fall ist zum einen, wie sich aus Rn. 271 oben ergibt, festzustellen, dass ein Bündel übereinstimmender Indizien vorliegt, das ausreicht, um eine Verbindung zwischen der Gesamtheit der beanstandeten Kontakte und dem EWR herzustellen. Zum anderen hat die Kommission zu Recht angenommen, dass die Kartellteilnehmer, einschließlich der Klägerin, im EWR Direktverkäufe von Elektrolytkondensatoren durchführten. In diesem Zusammenhang brauchte die Kommission zum Nachweis einer Verbindung mit dem EWR nicht darzutun, dass die Klägerin im EWR Verkäufe an alle Kunden tätigte, die im Rahmen der wettbewerbswidrigen Kontakte erreicht werden sollten.

346    Nach alledem hat die Kommission zu Recht auf das Vorliegen eines Gesamtplans geschlossen.

347    Der erste Teil des dritten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

3)      Zum dritten Teil des dritten Klagegrundes: Heterogenität der Kondensatorindustrie

388    Die Klägerin macht geltend, dass eine sämtliche Elektrolytkondensatoren umfassende Kollusion aufgrund der Heterogenität der Kondensatorindustrie unmöglich sei. Sie argumentiert im Wesentlichen, dass die Kommission rechtlich nicht hinreichend nachgewiesen habe, dass eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliege, die allgemein sämtliche Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren umfasse. Kondensatoren seien nämlich sehr diversifizierte Produkte, die sich durch eine Vielzahl an Merkmalen unterschieden und für die es in Anbetracht ihres vorherrschenden Beschaffungsmodells keinen einheitlichen Marktpreis gebe. Folglich habe die in Rede stehende Zuwiderhandlung nicht alle Verkäufe von Elektrolytkondensatoren in den EWR umfassen können. Die beiden unterschiedlichen Kategorien von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren deckten nämlich ein breites Sortiment von Produktarten ab, insbesondere in Bezug auf ihren Preis und das betroffene geografische Gebiet. Der Austausch allgemeiner Informationen im Rahmen wettbewerbswidriger Kontakte reiche nicht aus, um die Unsicherheit auf dem Markt zu verringern und eine Abstimmung der Preise unter den Wettbewerbern zu erleichtern, zumal nicht alle Arten von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren Gegenstand dieses Austauschs gewesen seien.

389    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

390    Vorab ist festzustellen, dass die Klägerin den angefochtenen Beschluss falsch versteht, wenn sie meint, die Kommission habe angenommen, dass eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliege, die in der Gesamtbetrachtung alle Arten von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren umfasse.

391    Aus dem angefochtenen Beschluss, insbesondere aus dem 736. Erwägungsgrund, ergibt sich nämlich, dass die Kommission nach Prüfung aller Treffen und der entsprechenden Beweismittel festgestellt hat, dass alle wettbewerbswidrigen Kontakte ganz allgemein Aluminium- oder Tantal-Elektrolytkondensatoren oder sogar beide Arten von Kondensatoren betroffen hätten.

392    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, den relevanten Markt anhand wirtschaftlicher Kriterien abzugrenzen. Die Kartellteilnehmer bestimmen selbst, welche Produkte Gegenstand ihrer Gespräche und abgestimmten Verhaltensweisen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2005, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑71/03, T‑74/03, T‑87/03 und T‑91/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2005:220, Rn. 90).

393    Die von einem Kartell umfassten Produkte werden zudem anhand urkundlicher Beweise für ein tatsächliches wettbewerbswidriges Verhalten im Hinblick auf spezielle Produkte bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2003, Adriatica di Navigazione/Kommission, T‑61/99, EU:T:2003:335, Rn. 27).

394    Außerdem ist hervorzuheben, dass sich die Kommission insoweit nicht auf eine Vermutung stützen kann, für die es keinerlei Beweise gibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2019, ABB/Kommission, C‑593/18 P, EU:C:2019:1027, Rn. 44 und 45).

395    Im vorliegenden Fall hat die Kommission im angefochtenen Beschluss jedoch erstens darauf hingewiesen, dass sich aus der Gesamtheit der wettbewerbswidrigen Kontakte, insbesondere aus den beispielhaft angeführten Treffen vom 29. August 2002, vom 22. Dezember 2006, vom 25. Juni 2008 und vom 20. Dezember 2010, ergebe, dass sich die ausgetauschten Informationen nicht auf bestimmte Untertypen von Aluminium- oder Tantal-Elektrolytkondensatoren beschränkt hätten, sondern Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren allgemein thematisiert worden seien (796. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

396    Zweitens hätten sich die ausgetauschten Informationen auch auf spezifische, aber für die Bestimmung des Verkaufspreises der Produkte bedeutsame Überlegungen bezogen, beispielsweise in Bezug auf steigende Rohstoffkosten und Wechselkursschwankungen, die sich nicht auf bestimmte Untertypen von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren beschränkt hätten (siehe insbesondere 796. Erwägungsgrund sowie Fn. 1417 und 1418 des angefochtenen Beschlusses).

397    Drittens sei die Definition der vom Kartell umfassten Produkte in den Unternehmenserklärungen der Kartellteilnehmer nicht eingeschränkt worden (797. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

398    Viertens sei die Mehrheit der Vertreter der Kartellteilnehmer allgemein für die Fertigung und/oder den Vertrieb von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren zuständig gewesen, und nicht nur für bestimmte Kondensator-Produktlinien (798. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

399    Unter diesen Umständen und im Licht der oben in den Rn. 151 und 392 bis 394 angeführten Rechtsprechung kann nicht beanstandet werden, dass die Kommission davon ausgegangen ist, dass die im Rahmen der wettbewerbswidrigen Kontakte ausgetauschten Informationen sämtliche Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren umfassten und sich die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung folglich auf alle diese Produkte erstreckte.

400    Demnach ist der dritte Teil des dritten Klagegrundes und damit der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

f)      Zum sechsten Klagegrund: Fehler bei der Berechnung der Geldbuße und Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit

[nicht wiedergegeben]

1)      Zum ersten Teil des sechsten Klagegrundes: Fehler bei der Berechnung des Umsatzes

[nicht wiedergegeben]

ii)    Zur zweiten Rüge des ersten Teils des sechsten Klagegrundes: Fehler, da der Umsatz auch Verkäufe umfasse, die von den Tochtergesellschaften der Klägerin getätigt worden seien

460    Die Klägerin beanstandet im Wesentlichen, dass die Kommission bei der Berechnung des Umsatzes die Verkäufe der Nippon Chemi-Con-Gruppe, und insbesondere der Europe-Chemi-Con, miteinbezogen habe, die den Kunden im EWR in Rechnung gestellt worden seien. Erstens habe die Kommission nicht berücksichtigt, dass die Klägerin selbst keine Verkäufe in den EWR getätigt habe und das im angefochtenen Beschluss beschriebene Verhalten die Kunden der Nippon Chemi-Con-Gruppe nur am Rande betreffe. Unter den sechzig Kunden, die im angefochtenen Beschluss genannt seien, befänden sich nur zwei globale Kunden der United Chemi-Con und nur vier globale Kunden der Europe Chemi-Con. Zweitens habe die Kommission nicht berücksichtigt, dass Europe Chemi-Con und United Chemi-Con die Preise für ihre lokalen Kunden sowie für ihre globalen Kunden mit Sitz in Europa eigenständig festsetzen könnten, was ausreiche, um die Vermutung zu widerlegen, dass diese Tochtergesellschaften, deren Anteile zu 100 % von der Klägerin gehalten würden, Teil desselben Unternehmens seien. Drittens habe die Kommission weder nachgewiesen, dass die Verkäufe der Nippon Chemi-Con-Gruppe an ihre lokalen und globalen Kunden in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung stünden, noch, dass die Zuwiderhandlung spezifische Auswirkungen auf den EWR gehabt habe.

461    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

462    Nach ständiger Rechtsprechung betrifft das Wettbewerbsrecht der Union, insbesondere Art. 101 AEUV, die Tätigkeit von Unternehmen, und der Begriff des Unternehmens bezeichnet jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung (vgl. Urteile vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

463    Der Gerichtshof hat dabei zum einen klargestellt, dass in diesem Zusammenhang unter dem Begriff Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird, und zum anderen, dass eine solche wirtschaftliche Einheit, wenn sie gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen hat (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2017, Global Steel Wire u. a./Kommission, C‑457/16 P und C‑459/16 P bis C‑461/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:819, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

464    Was ferner den Begriff des Unternehmens im Zusammenhang mit der Berechnung der Geldbuße betrifft, ist daran zu erinnern, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens herangezogen werden darf, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann (vgl. Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 145 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Teil des Gesamtumsatzes, der aus dem Verkauf der Produkte stammt, die den Gegenstand der Zuwiderhandlung bilden, ist nämlich am besten geeignet, die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung wiederzugeben (vgl. Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 149 und die dort angeführte Rechtsprechung).

465    Im Übrigen besteht in dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, eine widerlegliche Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt (vgl. Urteil vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑516/15 P, EU:C:2017:314, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 63). Eine solche Vermutung impliziert, sofern sie nicht widerlegt wird, dass die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft als erwiesen gilt, und berechtigt die Kommission, die Muttergesellschaft für das Verhalten der Tochtergesellschaft zur Verantwortung zu ziehen, ohne zusätzliche Beweise beibringen zu müssen (vgl. Urteil vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑516/15 P, EU:C:2017:314, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

466    Zwar wurde die Vermutung der fehlenden Eigenständigkeit der Tochtergesellschaften von der Rechtsprechung entwickelt, damit das Verhalten einer rechtlichen Einheit (der Tochtergesellschaft) einer anderen Einheit (Muttergesellschaft) zugerechnet werden kann. Diese Vermutung der fehlenden Eigenständigkeit der Tochtergesellschaften gilt jedoch auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Umsatz zu ermitteln ist, der für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße maßgeblich ist, die gegen eine Muttergesellschaft zu verhängen ist, die unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt war und die während des Zeitraums der Zuwiderhandlung im EWR über ihre Tochtergesellschaften Produkte verkaufte, die von dieser Zuwiderhandlung umfasst waren.

467    Es steht fest, dass die Klägerin während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung 100 % der Anteile an Europe Chemi-Con sowie 100 % der Anteile an United Chemi-Con hielt (siehe oben, Rn. 1). Daraus folgt, dass sie und ihre Tochtergesellschaften nach der oben in Rn. 463 angeführten Rechtsprechung eine wirtschaftliche Einheit bilden und somit ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV darstellen. Das bedeutet auch, dass eine widerlegbare Vermutung besteht, dass die betreffenden Tochtergesellschaften nicht eigenständig sind.

468    Die Klägerin bringt keine konkreten Anhaltspunkte vor, die geeignet wären, die Vermutung der fehlenden Eigenständigkeit zu widerlegen und darzutun, dass ihre Tochtergesellschaften eigenständig ihre Preise festsetzen könnten. Dagegen ergibt sich aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes, dass im Rahmen bestimmter wettbewerbswidriger Kontakte über einige Kunden von Europe Chemi-Con und United Chemi-Con mit Sitz oder Produktionsstätten in Europa gesprochen wurde (siehe oben, Rn. 249, 280 und 296), was die Klägerin in der Klageschrift im Übrigen selbst einräumt.

469    Somit ist festzustellen, dass die Vermutung, dass die Tochtergesellschaften der Klägerin nicht eigenständig sind, im vorliegenden Fall nicht widerlegt wurde.

470    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße relevante Umsatz dem Umsatz entsprechen muss, den das „Unternehmen“ in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung durch den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im EWR erzielt hat (siehe oben, Rn. 434). Dies bedeutet, dass der Umsatz im vorliegenden Fall die Verkäufe von Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren umfassen muss, die im EWR von der wirtschaftlichen Einheit erzielt wurden, die die Klägerin zusammen mit den zu 100 % von ihr gehaltenen Tochtergesellschaften bildet.

471    Folglich ist es nicht zu beanstanden, dass die Kommission, um gemäß Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 den vom Unternehmen in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erzielten Umsatz zu bestimmen, die Verkäufe von Elektrolytkondensatoren berücksichtigt hat, die die Tochtergesellschaften der Klägerin Kunden mit Sitz in Europa in Rechnung gestellt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 150).

[nicht wiedergegeben]

474    Die zweite Rüge des ersten Teils des sechsten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

[nicht wiedergegeben]

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Nippon Chemi-Con Corporation trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

Costeira

Gratsias

Kancheva

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. September 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.


1 Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.