Language of document : ECLI:EU:T:2021:639

Rechtssache T279/19

Front populaire pour la libération de la Saguia el-Hamra et du Rio de oro (Front Polisario)

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Neunte erweiterte Kammer) vom 29. September 2021

„Außenbeziehungen – Internationale Übereinkünfte – Europa‑Mittelmeer-Assoziierungsabkommen EG‑Marokko – Abkommen in Form eines Briefwechsels zur Änderung der Protokolle Nr. 1 und Nr. 4 des Europa‑Mittelmeer-Abkommens – Beschluss zur Genehmigung des Abkommens – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Parteifähigkeit – Unmittelbare Betroffenheit – Individuelle Betroffenheit – Räumlicher Geltungsbereich – Zuständigkeit – Auslegung internationalen Rechts durch den Gerichtshof – Grundsatz der Selbstbestimmung – Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen – Möglichkeit der Geltendmachung – Begriff der Zustimmung – Durchführung – Wertungsspielraum – Grenzen – Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Beschlusses“

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Juristische Person – Autonomer unionsrechtlicher Begriff – Erfordernis der Rechtspersönlichkeit und der Parteifähigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 83-85)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Parteifähigkeit – Juristische Personen – Begriff – Entität, die auf internationaler Ebene als Vertreter des Volkes eines Hoheitsgebiets ohne Selbstregierung anerkannt ist – Einbeziehung

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 91, 92, 96-101)

3.      Gerichtliches Verfahren – Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen – Gerichtliche Prüfung von Amts wegen – Umfang – Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen, das erstmals von einem Streithelfer geltend gemacht wird – Einbeziehung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 129)

(vgl. Rn. 117)

4.      Gerichtliches Verfahren – Vertretung der Parteien – Klage einer juristischen Person des Privatrechts – Dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht – Gültigkeit – Ermächtigung der Organe der juristischen Person des Privatrechts zur Klageerhebung – Berücksichtigung der Natur der juristischen Person – Juristische Person, die nicht nach den gewöhnlich geltenden Rechtsvorschriften gebildet ist

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 51 Abs. 3)

(vgl. Rn. 121, 124, 129)

5.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Umfang – Handlung, mit der eine von der Union geschlossene internationale Übereinkunft genehmigt wird – Einbeziehung

(Art. 263 AEUV)

(vgl. Rn. 135, 136)

6.      Internationale Übereinkünfte – Übereinkünfte der Union – Abschluss – Rechtswirkungen gegenüber Dritten – Allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen – Übereinkunft, die einen Dritten betreffen kann

(Art. 218 Abs. 6 AEUV)

(vgl. Rn. 149-153)

7.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Internationale Übereinkünfte – Anfechtbare Handlungen – Handlung der Union, mit der eine internationale Übereinkunft geschlossen wird – Kontrolle der Gültigkeit eines Beschlusses, mit dem eine internationale Übereinkunft geschlossen wird – Berücksichtigung des Inhalts der internationalen Übereinkunft – Beachtung des Grundsatzes des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes

(Art. 263 AEUV)

(vgl. Rn. 154, 155)

8.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Individuelle Betroffenheit – Kriterien – Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko zur Änderung der Protokolle des EuropaMittelmeer-Abkommens – Beschluss 2019/217 – Berücksichtigung des Inhalts der internationalen Übereinkunft und ihrer Rechtswirkungen auf einem anderen Gebiet – Beachtung des Grundsatzes des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 157, 158, 160, 229, 230, 237)

9.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Handlungen der Organe – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Verpflichtung der Organe, den Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch die Unionsgerichte ergeben – Überprüfung der Frage, ob ein angefochtener Beschluss mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Einklang steht

(vgl. Rn. 267-269, 273)

10.    Internationale Übereinkünfte – Übereinkünfte der Union – Auslegung – Zuständigkeit der Unionsgerichte – Voraussetzungen – Übereinkünfte, die dem Völkerrecht unterliegen – Anwendung des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge – Beziehungen zwischen Staaten – Berechtigung eines Drittstaats durch eine Vertragsbestimmung – Grundsätze – Geltungsbereich – Andere Völkerrechtssubjekte – Einbeziehung

(Art. 216 und Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, erste Alternative AEUV)

(vgl. Rn. 313-316)

11.    Internationale Übereinkünfte – Übereinkünfte der Union – Auslegung – Zuständigkeit der Unionsgerichte – Voraussetzungen – Übereinkünfte, die dem Völkerrecht unterliegen – Anwendung des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge – Verträge und Drittstaaten – Grundsatz der freien Zustimmung – Erfordernisse und Rechtswirkungen

(vgl. Rn. 323-325)

Zusammenfassung

Das Gericht erklärt die Beschlüsse des Rates betreffend das Abkommen zur Änderung der Zollpräferenzen, die die EU Waren mit Ursprung aus Marokko gewährt, und das Partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei, die die EU mit Marokko geschlossen hat, für nichtig. Die Wirkungen der Beschlüsse werden jedoch für eine bestimmte Zeit aufrechterhalten, um das auswärtige Handeln der Union und die Rechtssicherheit der von ihr eingegangenen internationalen Verpflichtungen nicht zu gefährden.

Die vorliegenden Rechtssachen betreffen Klagen des Front populaire pour la libération de la Saguia el-Hamra et du Rio de oro (Front Polisario) (im Folgenden: Kläger) auf Nichtigerklärung von zwei Beschlüssen des Rates, mit denen der Abschluss von Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko(1) genehmigt wurden.

Die mit den angefochtenen Beschlüssen genehmigten Abkommen (im Folgenden: streitige Abkommen) sind das Ergebnis von Verhandlungen, die nach den beiden vom Gerichtshof verkündeten Urteilen(2) im Namen der Union mit Marokko geführt worden waren, um die früheren Abkommen abzuändern. Zum einen ging es darum, ein Abkommen zur Änderung der Protokolle des Europa‑Mittelmeer-Assoziationsabkommens(3) über die Regelung der Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit Ursprung in Marokko in die Europäische Union und über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in“ oder „Ursprungserzeugnisse“ zu schließen, um die Handelspräferenzen, die den in die Union ausgeführten Erzeugnissen mit Ursprung in Marokko gewährt werden, auf Erzeugnisse mit Ursprung in der Westsahara, die der Kontrolle der marokkanischen Zollbehörden unterliegen, auszudehnen. Zum anderen ging es darum, das Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko(4) abzuändern, insbesondere darum, die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer in den Anwendungsbereich dieses Abkommens einzubeziehen.

Der Kläger hat 2019 Klagen auf Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse erhoben. Er behauptet, „im Namen des saharauischen Volkes“ zu handeln, und macht insbesondere geltend, dass der Rat dadurch, dass er die streitigen Abkommen ohne die Zustimmung dieses Volkes genehmigt habe, gegen die Verpflichtungen verstoßen habe, die für die Union im Rahmen ihrer Beziehungen zu Marokko aus dem Unions- und dem Völkerrecht resultierten. Die streitigen Abkommen fänden nämlich auf die Westsahara Anwendung, sähen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen dieses Gebiets vor und begünstigten die Politik der Annexion dieses Gebiets durch Marokko. Das zweite der beiden streitigen Abkommen finde auch auf die an die Westsahara angrenzenden Gewässer Anwendung. Der Kläger macht insbesondere geltend, dass die streitigen Abkommen nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nämlich den Urteilen Rat/Front Polisario (C‑104/16 P) und Western Sahara Campaign UK (C‑266/16), zu vereinbaren seien, nach der eine solche räumliche Anwendung ausgeschlossen sei.

Mit seinen Urteilen in der Rechtssache T‑279/19 einerseits und in den verbundenen Rechtssachen T‑344/19 und T‑356/19 andererseits erklärt das Gericht die angefochtenen Beschlüsse für nichtig, wobei deren Wirkungen jedoch für einen bestimmten Zeitraum(5) aufrechterhalten werden, da die Nichtigerklärung mit sofortiger Wirkung schwerwiegende Folgen für das auswärtige Handeln der Union haben und die Rechtssicherheit der von der Union eingegangenen internationalen Verpflichtungen gefährden könnte. Hingegen weist das Gericht die Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung über die Aufteilung der Fangmöglichkeiten im Rahmen des Fischereiabkommens(6) (T‑356/19) mangels unmittelbarer Betroffenheit als unzulässig ab.

Würdigung durch das Gericht

Zur Zulässigkeit der Klagen

Als Erstes prüft das Gericht, ob der Kläger in Verfahren vor den Unionsgerichten parteifähig ist. Der Rat und die Streithelfer machen nämlich geltend, dass der Kläger keine Rechtspersönlichkeit nach dem innerstaatlichen Recht eines Mitgliedstaats habe, kein Völkerrechtssubjekt sei und die Kriterien, die nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte bei einer Entität ohne Rechtspersönlichkeit für die Zuerkennung der Parteifähigkeit maßgeblich seien, nicht erfülle. Der Kläger sei mithin keine juristische Person im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV.

Das Gericht stellt fest, dass es nach der Rechtsprechung durchaus möglich ist, einer Entität in Verfahren vor den Unionsgerichten die Parteifähigkeit unabhängig davon zuzuerkennen, ob sie nach innerstaatlichem Recht über Rechtspersönlichkeit verfügt, insbesondere dann, wenn dies aus Gründen des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes geboten ist. Der Begriff der juristischen Person ist nämlich nicht restriktiv auszulegen. Das Gericht prüft, ob der Kläger völkerrechtlich über Rechtspersönlichkeit verfügt. Es stellt fest, dass der Kläger aufgrund seiner Rolle und seiner Repräsentativität in Verfahren vor den Unionsgerichten parteifähig ist.

Hierzu führt das Gericht aus, dass der Kläger auf internationaler Ebene als Vertreter des Volkes der Westsahara anerkannt ist, selbst wenn sich diese Anerkennung in dem begrenzten Rahmen des Prozesses der Selbstbestimmung dieses Gebiets bewegt. Ferner bedeutet seine Teilnahme an diesem Prozess, dass er über die erforderliche Autonomie und Verantwortlichkeit verfügt, um in diesem Rahmen zu handeln. Im Übrigen ist es aus Gründen des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes geboten, dem Kläger die Fähigkeit zuzuerkennen, beim Gericht eine Klage zu erheben, um das Recht auf Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara zu verteidigen. Das Gericht gelangt deshalb zu dem Schluss, dass der Kläger eine juristische Person im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV ist. Die vom Rat insoweit erhobene Einrede der Unzulässigkeit wird zurückgewiesen.

Als Zweites geht das Gericht auf die vom Rat erhobene Einrede der Unzulässigkeit ein, mit der geltend gemacht wird, dass der Kläger nicht klagebefugt sei. Zu der Frage, ob die angefochtenen Beschlüsse den Kläger unmittelbar betreffen, stellt das Gericht fest, dass ein Beschluss, mit dem im Namen der Union eine internationale Übereinkunft geschlossen wird, Bestandteil der Übereinkunft ist und dass die Auswirkungen der Durchführung der Übereinkunft auf die Rechtsstellung eines Dritten daher für die Beurteilung der Frage relevant sind, ob diesen der Beschluss unmittelbar betrifft. Im vorliegenden Fall muss sich der Kläger, um die Rechte zu verteidigen, die dem Volk der Westsahara nach den Regeln des Völkerrechts, an die die Union gebunden ist, zustehen, auf die Auswirkungen der streitigen Abkommen auf diese Rechte berufen können, um darzutun, dass die Abkommen ihn unmittelbar betreffen. Das Gericht ist aber der Auffassung, dass die streitigen Abkommen, da sie ausdrücklich auf die Westsahara und, was das zweite dieser beiden Abkommen angeht, auf die an die Westsahara angrenzenden Gewässer Anwendung finden, das Volk der Westsahara betreffen und dessen Zustimmung bedurften. Das Gericht folgert daraus, dass sich die angefochtenen Beschlüsse unmittelbar auf die Rechtsstellung des Klägers als Vertreter des Volkes der Westsahara und als Partei des Prozesses der Selbstbestimmung in diesem Gebiet auswirken. Schließlich stellt das Gericht fest, dass die Umsetzung der streitigen Abkommen, was ihre räumliche Anwendung angeht, rein automatisch erfolgt und den Adressaten der Abkommen insoweit kein Wertungsspielraum zusteht.

Zur individuellen Betroffenheit des Klägers stellt das Gericht fest, dass der Kläger in Anbetracht der Umstände, aufgrund derer seine unmittelbare Betroffenheit festgestellt worden ist, insbesondere in Anbetracht seiner Rechtsstellung als Vertreter des Volkes der Westsahara und Partei des Prozesses der Selbstbestimmung in diesem Gebiet, wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften, die ihn in ähnlicher Weise individualisieren wie den Adressaten der angefochtenen Beschlüsse, als von diesen betroffen anzusehen ist.

Zur Begründetheit der Klagen

Zur Begründetheit, insbesondere zu der Frage, ob der Rat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Regeln des Völkerrechts, die auf die streitigen Abkommen Anwendung finden, zu beachten, stellt das Gericht fest, dass der Gerichtshof im Urteil Rat/Front Polisario aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung und dem Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen klare, bestimmte und unbedingte Verpflichtungen abgeleitet hat, die in Bezug auf die Westsahara in den Beziehungen zwischen der Union und Marokko zu beachten sind: Zum einen hat die Union den gesonderten und unterschiedlichen Status der Westsahara zu achten, zum anderen ist sie verpflichtet, sich im Fall der Durchführung des Assoziationsabkommens in diesem Gebiet der Zustimmung von dessen Volk zu vergewissern. Daher muss sich der Kläger, wenn er sich gegen die angefochtenen Beschlüsse wendet, auf eine Verletzung dieser Verpflichtungen berufen können, die das Volk der Westsahara als an einem Abkommen zwischen der Union und Marokko nicht beteiligten Dritten betreffen kann. In diesem Zusammenhang weist das Gericht das Vorbringen des Klägers zurück, dass es für die Union und Marokko rechtlich nicht möglich sei, ein ausdrücklich auf die Westsahara anwendbares Abkommen zu schließen. Dies wird durch das Völkerrecht, wie es vom Gerichtshof ausgelegt wird, nämlich nicht ausgeschlossen.

Hingegen folgt das Gericht dem Kläger darin, dass die nach dem Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen erforderliche Voraussetzung der Zustimmung des Volkes der Westsahara als an den streitigen Abkommen nicht beteiligter Dritter nicht erfüllt ist.

Hierzu führt das Gericht zum einen aus, dass die Regel des Völkerrechts, wonach die Zustimmung eines Dritten zu einer internationalen Übereinkunft nur dann vermutet werden kann, wenn die Parteien dieses Abkommens beabsichtigt haben, ihm Rechte einzuräumen, im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, weil dem Volk der Westsahara mit den streitigen Abkommen nicht Rechte eingeräumt, sondern Verpflichtungen auferlegt werden sollen.

Zum anderen führt das Gericht aus, dass, wenn nach einem Völkerrechtssatz die Zustimmung einer Partei oder eines Dritten erforderlich ist, der Ausdruck dieser Zustimmung eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Handlung ist, zu der sie erforderlich ist, die Gültigkeit dieser Zustimmung selbst davon abhängt, dass sie frei und unverfälscht erteilt wurde, und diese Handlung gegenüber der Partei oder dem Dritten wirkt, die bzw. der ihr rechtsgültig zugestimmt hat. Mit den Schritten, die die Stellen der Union vor dem Abschluss der streitigen Abkommen unternommen haben, konnte jedoch nicht die Zustimmung des Volkes der Westsahara zu dem streitigen Abkommen gemäß dem Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen in seiner Auslegung durch den Gerichtshof eingeholt werden. Insoweit stellt das Gericht klar, dass die Organe im vorliegenden Fall nicht aufgrund des Wertungsspielraums, über den sie in den Außenbeziehungen verfügen, darüber entscheiden konnten, ob sie dieses Erfordernis beachten oder nicht.

Das Gericht führt hierzu im Einzelnen aus, dass die „Konsultationen“ der „betroffene Bevölkerungsgruppen“, die die Organe durchgeführt haben, wegen der rechtlichen Bedeutung, die die Begriffe „Volk“ und „Zustimmung“ im Völkerrecht haben, nicht dazu führen konnten, dass das Volk der Westsahara damit seine Zustimmung ausgedrückt hätte. Damit konnte allenfalls die Meinung der betroffenen Bevölkerungsgruppen eingeholt werden. Eine solche Meinung ist aber nicht Voraussetzung für die Gültigkeit der streitigen Abkommen und bindet die betroffenen Bevölkerungsgruppen auch nicht in der Weise, dass die streitigen Abkommen ihnen gegenüber wirksam wären. Das Gericht führt weiter aus, dass mit den verschiedenen Gesichtspunkten betreffend die besondere Situation der Westsahara, auf die sich der Rat beruft, nicht dargetan wird, dass es in der Praxis unmöglich gewesen wäre, die Zustimmung des Volkes der Westsahara zu den streitigen Abkommen als an diesen unbeteiligter Dritter einzuholen. Schließlich stellt das Gericht fest, dass sich die Organe nicht auf das Schreiben des Rechtsberaters der UNO vom 29. Januar 2002 berufen können, um das Kriterium des Nutzens der streitigen Abkommen für die betroffenen Bevölkerungsgruppen an die Stelle des Erfordernisses des Ausdrucks der Zustimmung des Volkes der Westsahara zu setzen. Das Gericht gelangt zu dem Schluss, dass der Rat nicht alle relevanten Gesichtspunkte betreffend die Situation der Westsahara hinreichend berücksichtigt hat und zu Unrecht angenommen hat, dass er hinsichtlich der Erforderlichkeit der Beachtung des Erfordernisses der Zustimmung des Volkes der Westsahara über einen Wertungsspielraum verfüge.


1      Beschluss (EU) 2019/217 des Rates vom 28. Januar 2019 über den Abschluss eines Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Union einerseits und dem Königreich Marokko andererseits zur Änderung der Protokolle Nr. 1 und Nr. 4 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2019, L 34, S. 1) und Beschluss (EU) 2019/441 des Rates vom 4. März 2019 über den Abschluss des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko, des dazugehörigen Durchführungsprotokolls und des Briefwechsels zu dem Abkommen (ABl. 2019, L 77, S. 4) (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse).


2      Urteile vom 21. Dezember 2016, Rat/Front Polisario (C‑104/16 P, EU:C:2016:973, vgl. Pressemitteilung Nr. 146/16), und vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, vgl. Pressemitteilung Nr. 21/18). Der Gerichtshof hat in diesen Urteilen entschieden, dass das Assoziierungsabkommen nur auf das Hoheitsgebiet Marokkos, nicht aber auf die Westsahara Anwendung findet und dass auf die an die Westsahara angrenzenden Gewässer weder das Fischereiabkommen noch das dazugehörige Durchführungsprotokoll Anwendung findet.


3      Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2000, L 70, S. 2).


4      Partnerschaftliches Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. 2006, L 141, S. 4).


5      Bis zum Ablauf der Frist von zwei Monaten zur Einlegung des Rechtsmittels bzw. bis zur Verkündung des Urteils des Gerichtshofs, mit dem über ein etwaiges Rechtsmittel entschieden wird.


6      Verordnung (EU) 2019/440 über die Aufteilung der Fangmöglichkeiten im Rahmen des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko und des dazugehörigen Durchführungsprotokolls (ABl. 2019, L 77, S. 1).