Language of document : ECLI:EU:T:2012:138

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

21. März 2012(*)

„Gemeinschaftsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Gemeinschaftsbildmarke FS – Bösgläubigkeit des Anmelders – Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (jetzt Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EG] Nr. 207/2009)“

In der Rechtssache T‑227/09

Feng Shen Technology Co. Ltd mit Sitz in Guieshan Township (Taiwan), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Rath und W. Festl‑Wietek,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigten,

Beklagter,

anderer Verfahrensbeteiligter im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelfer vor dem Gericht:

Jarosław Majtczak, wohnhaft in Łódź (Polen), Prozessbevollmächtigter: zunächst Rechtsanwalt J. Wyrwas, dann Rechtsanwalt J. Radłowski,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 1. April 2009 (Sache R 529/2008‑4) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Feng Shen Technology Co. Ltd und Herrn Jarosław Majtczak

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová, der Richterin K. Jürimäe und des Richters M. van der Woude (Berichterstatter),

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 10. Juni 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 24. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 28. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des Streithelfers,

aufgrund der am 1. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Erwiderung,

aufgrund der am 29. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Gegenerwiderung,

auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2011

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Bei der Klägerin, der Feng Shen Technology Co. Ltd, handelt es sich um eine taiwanesische Gesellschaft, die verschiedene Artikel herstellt und vertreibt, darunter auch Reißverschlüsse. Sie ist u. a. Inhaberin mehrerer taiwanesischer Marken, die insbesondere für folgende Waren der Klasse 26 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen worden sind: „Reißverschlüsse“. Die Marken bestehen aus dem folgenden Bildzeichen:

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2        Im Jahr 2000 nahm die Klägerin Geschäftsbeziehungen mit dem Streithelfer, Herrn Jarosław Majtczak, auf, der in Polen unter der Firma „P H U Berotex“ geschäftlich tätig war.

3        Der Streithelfer nahm in einer E-Mail-Korrespondenz mit der Klägerin auf einen Katalog der Klägerin Bezug, der Reißverschlüsse zeigte. Die von der Klägerin im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung mit dem Streithelfer ausgestellten Rechnungen enthielten die älteren taiwanesischen Marken, versehen mit dem ®-Symbol.

4        Die Geschäftsbeziehung zwischen der Klägerin und dem Streithelfer endete im Januar 2005.

5        Die Klägerin wählte eine andere Vertriebsgesellschaft für Polen, nämlich die im Jahr 2004 gegründete Pik Foison sp. z o.o.

6        Am 7. Juni 2005 meldete der Streithelfer gemäß der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

7        Bei der am 15. Mai 2006 unter der Nr. 4431391 für die Waren „Reißverschlüsse“ der Klasse 26 des Abkommens von Nizza eingetragenen Marke handelt es sich um das folgende Bildzeichen:

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8        Am 29. September 2006 und 2. Oktober 2006 beschlagnahmten die polnischen Zollbehörden auf Antrag des Streithelfers Chargen von Reißverschlüssen, die mit den älteren taiwanesischen Marken versehen waren, bei Pik Foison.

9        Am 17. Oktober 2006 beantragte die Klägerin gemäß Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009) die Nichtigerklärung der unter der Nr. 4431391 eingetragenen Marke mit der Begründung, der Streithelfer sei bei der Markenanmeldung bösgläubig gewesen. Die Klägerin machte insbesondere geltend, dass der Streithelfer gewusst habe, dass sie ein aus den Großbuchstaben „F“ und „S“ zusammengesetztes Zeichen in der Europäischen Union als Marke für Reißverschlüsse benutze, und dass die angegriffene Marke mit dem Ziel angemeldet worden sei, diese Benutzung zu verhindern.

10      Am 24. Januar 2008 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung zurück.

11      Am 25. März 2008 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung beim HABM Beschwerde ein.

12      Mit Entscheidung vom 1. April 2009 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Vierte Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Sie stellte zunächst fest, dass der Begriff der Bösgläubigkeit nicht gesetzlich definiert sei und dass es sich dabei allgemein um ein den lauteren Handelsbräuchen zuwiderlaufendes Verhalten handele.

13      Die Beschwerdekammer führte weiter aus, dass ein Anmelder bösgläubig handeln könnte, wenn er eine Markenanmeldung einreiche, obwohl ihm aufgrund von direkten Beziehungen, die er mit einem Dritten unterhalte, bekannt sei, dass dieser in gutem Glauben und rechtmäßig eine identische Marke für ähnliche Waren oder Dienstleistungen außerhalb des Unionsgebiets benutze. Die Beweislast für das Vorliegen einer solchen Bösgläubigkeit liege bei demjenigen, der die Nichtigerklärung der Gemeinschaftsmarke beantrage.

14      Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass die Klägerin im vorliegenden Fall den Nachweis einer solchen Bösgläubigkeit nicht erbracht habe. Hierzu stützte sie sich auf die sechs nachstehenden Erwägungen.

15      Erstens seien die älteren taiwanesischen Marken und die angegriffene Marke in bildlicher Hinsicht nicht ähnlich, und die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie die älteren taiwanesischen Marken vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke benutzt habe (Randnr. 16 der angefochtenen Entscheidung).

16      Zweitens habe die Klägerin Reißverschlüsse für den Streithelfer nur gemäß den von diesem gelieferten Vorgaben hergestellt (Randnr. 18 der angefochtenen Entscheidung).

17      Drittens habe der Streithelfer im Jahr 2000 damit begonnen, selbst Reißverschlüsse unter dem der angegriffenen Marke entsprechenden Zeichen in Polen zu vertreiben, indem er das nunmehr als Gemeinschaftsmarke geschützte Zeichen in Polen darauf angebracht habe (Randnrn. 19 und 22 der angefochtenen Entscheidung).

18      Viertens habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie versucht habe, im Zeitraum von 2000–2005 ihre Reißverschlüsse selbst in der Union zu vermarkten (Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung).

19      Fünftens habe die Klägerin vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke kein Interesse daran gezeigt, ein aus den Großbuchstaben „FS“ zusammengesetztes Zeichen in der Union zu schützen (Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung).

20      Sechstens sei der Streithelfer rechtlich nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin vorab von seiner Absicht zu informieren, die angegriffene Marke anzumelden (Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung).

21      Auf der Grundlage dieser Erwägungen kam die Beschwerdekammer in Randnr. 24 der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis, dass der Streithelfer bei der Einreichung der Anmeldung nicht bösgläubig gewesen sei.

 Verfahren und Anträge

22      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        die angegriffene Marke für nichtig zu erklären;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

23      Das HABM und der Streithelfer beantragen im Wesentlichen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zu den erstmals vor dem Gericht vorgelegten Unterlagen

24      In der mündlichen Verhandlung machte das HABM die Unzulässigkeit von erstmals vor dem Gericht vorgelegten Beweisstücken geltend, nämlich von nicht in der Akte des HABM enthaltenen von der Klägerin und dem Streithelfer der Erwiderung und der Gegenerwiderung beigefügten Unterlagen, mit Ausnahme der Unterlagen, die in Beantwortung der Fragen des Gerichts vorgelegt worden sind.

25      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine beim Gericht erhobene Klage auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Beschwerdekammern im Sinne des Art. 63 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 65 der Verordnung Nr. 207/2009) gerichtet ist und dass bei einer Aufhebungsklage die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Rechtsakts an dem Sachverhalt und der Rechtslage zu messen ist, die zur Zeit des Erlasses des Rechtsakts bestanden. Nach ständiger Rechtsprechung ist es daher nicht Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt im Licht erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen zu überprüfen. Die Zulassung solcher Beweismittel verstieße nämlich gegen Art. 135 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach die Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern können (vgl. Urteil des Gerichts vom 11. November 2009, Frag Comercio Internacional/HABM – Tinkerbell Modas [GREEN by missako], T‑162/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Hieraus ergibt sich, dass die von der Klägerin und vom Streithelfer erstmals vor dem Gericht vorgelegten Dokumente im Anhang der Erwiderung und der Gegenerwiderung nicht berücksichtigt werden können und somit auszuschließen sind.

 Zum Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung

27      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 geltend.

28      Nach Ansicht der Klägerin liegt Bösgläubigkeit im Sinne dieser Bestimmung vor, wenn der Markenanmelder sich über die Eintragung der Marke die Marke eines Dritten, mit dem er vertragliche oder vorvertragliche Beziehungen unterhalten hat, „aneignen“ will. Das gesamte Verhalten des Streithelfers begründe in diesem Sinne Bösgläubigkeit. Die Klägerin weist insbesondere darauf hin, dass sie die älteren taiwanesischen Marken seit dem Jahr 2000 in der Europäischen Union benutze und dass der Streithelfer über diese Benutzung informiert gewesen sei.

29      Das HABM ist der Auffassung, es sei nicht nachgewiesen, dass die Eintragung der angegriffenen Marke alleine den Zweck gehabt habe, die Klägerin daran zu hindern, Waren mit den älteren taiwanesischen Marken in die Union einzuführen. Der Streithelfer habe die angegriffene Marke nämlich tatsächlich benutzt, um die betriebliche Herkunft seiner eigenen Waren kenntlich zu machen.

30      Der Streithelfer bestreitet, Kenntnis von den älteren taiwanesischen Marken im Zusammenhang mit Reißverschlüssen gehabt zu haben. Er macht geltend, die Klägerin stelle Reißverschlüsse gemäß seinen Vorgaben her. Er habe die angegriffene Marke im Dezember 1999 kreieren lassen und seit dem Jahr 2000 auf dem polnischen Markt entwickelt.

31      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Gemeinschaftsmarkensystem auf dem in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009) niedergelegten Grundsatz beruht, dass dem ersten Anmelder ein ausschließliches Recht gewährt wird. Gemäß diesem Grundsatz kann eine Marke nur dann als Gemeinschaftsmarke eingetragen werden, wenn dem keine ältere Marke entgegensteht, und zwar eine Gemeinschaftsmarke, eine in einem Mitgliedstaat oder bei dem Amt für geistiges Eigentum der Benelux-Staaten eingetragene Marke, eine Marke, die Gegenstand einer internationalen Registrierung mit Wirkung in einem Mitgliedstaat oder auch eine Marke, die Gegenstand einer internationalen Registrierung mit Wirkung in der Union ist. Dagegen stellt die bloße Benutzung einer nicht eingetragenen Marke durch einen Dritten kein Hindernis für die Eintragung einer identischen oder ähnlichen Marke als Gemeinschaftsmarke für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen dar. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Benutzung einer außerhalb der Union eingetragenen Marke durch einen Dritten.

32      Dieser Grundsatz wird u. a. durch Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 nuanciert, wonach eine Gemeinschaftsmarke auf Antrag beim HABM oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt wird, wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war. Der Nachweis der Umstände, die darauf schließen lassen, dass der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke bei deren Anmeldung bösgläubig war, obliegt demjenigen, der den Antrag auf Nichtigerklärung stellt und sich auf diesen Grund stützen will.

33      In seinem Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, Slg. 2009, I‑4893, im Folgenden: Urteil Lindt Goldhase) gibt der Gerichtshof mehrere konkrete Hinweise dazu, wie der Begriff der Bösgläubigkeit in Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 auszulegen ist. So stellt er in Randnr. 53 dieses Urteils fest, dass die Bösgläubigkeit des Anmelders im Sinne dieser Bestimmung umfassend zu beurteilen ist, wobei alle Faktoren des zu entscheidenden Falles zu berücksichtigen sind, nämlich insbesondere

–        die Tatsache, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware verwendet,

–        die Absicht des Anmelders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hindern, sowie

–        den Grad des rechtlichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen.

34      Der Gerichtshof hat im Urteil Lindt Goldhase (oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 44) ferner darauf hingewiesen, dass die Absicht, einen Dritten an der Vermarktung einer Ware zu hindern, unter bestimmten Umständen für die Bösgläubigkeit des Antragstellers kennzeichnend sein kann. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn sich später herausstellt, dass der Anmelder ein Zeichen als Gemeinschaftsmarke hat eintragen lassen, ohne dessen Benutzung zu beabsichtigen, allein um den Marktzutritt eines Dritten zu verhindern.

35      Dagegen ergibt sich aus dem Urteil Lindt Goldhase (oben in Randnr. 33 angeführt, Randnrn. 48 und 49) dass der Anmelder auch ein berechtigtes Ziel verfolgen kann, indem er sich gegen den Versuch eines Dritten schützen will, der erst seit kurzer Zeit auf dem Markt tätig geworden ist und versucht, den Ruf des Zeichens des Anmelders auszunutzen.

36      Bei alledem geht aus dem Wortlaut des Urteils Lindt Goldhase (oben in Randnr. 33 angeführt) hervor, dass es sich bei den vorstehend aufgezählten Faktoren nur um Beispiele aus einer Gesamtheit von Gesichtspunkten handelt, die für die Entscheidung über eine mögliche Bösgläubigkeit eines Anmelders bei der Anmeldung berücksichtigt werden können.

37      Im vorliegenden Fall stützte sich die Beschwerdekammer für die Feststellung des Fehlens der Bösgläubigkeit des Streithelfers auf die sechs in Randnr. 14 des vorliegenden Urteils angesprochenen Erwägungen. Diese Erwägungen sind somit im Licht der von der Klägerin vorgebrachten Argumente zu prüfen.

38      So ergibt sich erstens die in Randnr. 16 der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung, die angegriffene Marke unterscheide sich deutlich von den älteren taiwanesischen Marken, aus einem nur summarischen bildlichen Vergleich der grafischen Bestandteile der beiden Marken.

39      Nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Identität oder Ähnlichkeit zwischen zwei Zeichen, auf die sich das Urteil Lindt Goldhase (oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 53) bezieht, anhand ihrer bildlichen, klanglichen und begrifflichen Ähnlichkeit zu beurteilen. Bei dieser Beurteilung ist ferner auf den Gesamteindruck abzustellen, den die fraglichen Marken hervorrufen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juni 2007, HABM/Shaker, C‑334/05 P, Slg. 2007, I‑4529, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Demnach hat die Beschwerdekammer einen Fehler begangen, indem sie das Fehlen einer Identität oder Ähnlichkeit zwischen der angegriffenen Marke und den älteren taiwanesischen Marken festgestellt hat, ohne eine Gesamtbeurteilung aller relevanten Elemente vorzunehmen, und insbesondere ohne die klangliche und begriffliche Ähnlichkeit dieser beiden Marken zu prüfen. Eine solche Prüfung war im vorliegenden Fall umso mehr geboten, als es, wie die Klägerin geltend macht, die von den polnischen Zollbehörden auf Antrag des Inhabers der angegriffenen Marke durchgeführte Beschlagnahme der mit den älteren taiwanesischen Marken versehenen Waren nahe legt, dass diese beiden Marken tatsächlich so ähnlich sind, dass eine Verwechslungsgefahr besteht.

41      Zweitens rügt die Klägerin die von der Beschwerdekammer in Randnr. 18 der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung, dass sie sich darauf beschränke, Reißverschlüsse gemäß den Anweisungen des Streithelfers herzustellen. Sie macht geltend, sie liefere ihm Reißverschlüsse mit den älteren taiwanesischen Marken, wie sie in ihrem Handelskatalog vorgestellt würden.

42      Hierzu ist festzustellen, dass der von der Klägerin im Anhang zu ihrer Klageschrift vorgelegte Handelskatalog tatsächlich Reißverschlüsse enthält, die mit den älteren taiwanesischen Marken versehen sind, und dass der Streithelfer in einer E-Mail vom 19. Dezember 2000 auf einen Katalog der Klägerin Bezug genommen hat, um Reißverschlüsse zu bestellen.

43      Das Gericht hat den Streithelfer daher aufgefordert, alle Unterlagen vorzulegen, die die Behauptung stützen könnten, er übermittle der Klägerin die Vorgaben, nach denen die Reißverschlüsse herzustellen seien. Der Streithelfer hat auf diese Frage hin einige Rechnungen vorgelegt und auf den Akteninhalt Bezug genommen. Diese Unterlagen enthalten aber keine technischen oder geschäftlichen Spezifikationen. Sie enthalten insbesondere keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Streithelfer von der Klägerin verlangt hätte, die angegriffene Marke auf den Reißverschlüssen anzubringen.

44      Somit ist zu folgern, dass die Feststellung der Beschwerdekammer, wonach die Klägerin Reißverschlüsse gemäß den Anweisungen des Streithelfers herstelle, nicht durch den Akteninhalt gestützt wird.

45      Drittens soll der Streithelfer nach den Randnrn. 19 und 22 der angefochtenen Entscheidung im Jahr 2000 begonnen haben, die mit dem der angegriffenen Marke entsprechenden Zeichen versehenen Reißverschlüsse in Polen zu vermarkten. Folglich sei es der Streithelfer gewesen, der diese Marke in der Union bekannt gemacht habe.

46      Allerdings lässt, wie die Klägerin geltend macht, nichts in der Akte die Annahme zu, dass der Streithelfer die angegriffene Marke tatsächlich benutzt hätte, um sie auf Waren anzubringen, sei es vor oder nach dem Anmeldetag. In der mündlichen Verhandlung hat das HABM ausgeführt, dass die in Randnr. 19 der angefochtenen Entscheidung aufgestellte Behauptung in Bezug auf die Benutzung der angegriffenen Marke nur auf Vorbringen des Streithelfers und nicht auf objektive Sachverhaltsfeststellungen gestützt gewesen sei.

47      Demnach wird die Feststellung der Beschwerdekammer in Bezug auf die tatsächliche Benutzung der angegriffene Marke, deren Begründetheit von der Klägerin bestritten worden ist und die für die Beurteilung der Absichten des Streithelfers relevant ist (vgl. Randnrn. 34 und 35 des vorliegenden Urteils), nicht durch den Akteninhalt gestützt.

48      Viertens macht die Klägerin geltend, dass sie entgegen den in Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen zwischen 2000 und 2005 Reißverschlüsse in Polen verkauft habe. Hierzu stellt das Gericht fest, dass diese Behauptung der Klägerin zum einen durch von ihr zu der Akte gegebene Elemente untermauert und zum anderen durch den Streithelfer gestützt wird, der in seiner Antwort auf eine Frage des Gerichts erklärt hat, er habe sich entschlossen, seine Geschäftsbeziehungen mit der Klägerin zu beenden, weil diese damit begonnen habe, ihm auf dem polnischen Markt über Pik Foison Konkurrenz zu machen. In diesem Kontext hat sich während des Verfahrens vor dem Gericht gezeigt, dass die Klägerin Pik Foison im Jahr 2004 mehrere Lieferungen von mit den älteren taiwanesischen Marken versehenen Reißverschlüsse verkauft hatte.

49      Hieraus folgt, dass die Feststellung der Beschwerdekammer in Bezug auf das Fehlen von Verkäufen von Reißverschlüssen durch die Klägerin in der Union zwischen 2000 und 2005 durch den Akteninhalt widerlegt wird. Diese Feststellung ist jedoch relevant für die Beurteilung der geschäftlichen Anstrengungen der Klägerin und des Streithelfers in der Union und damit für die Absicht des Streithelfers.

50      Nach alledem ist festzustellen, dass vier der sechs Erwägungen der Beschwerdekammer nicht auf einer Gesamtbeurteilung der relevanten Faktoren beruhen, wie sie im Urteil Lindt Goldhase (oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 53) gefordert wird, und nicht durch den Akteninhalt untermauert werden oder auf unzutreffende Sachverhaltsfeststellungen gestützt sind.

51      Was die beiden übrigen Erwägungen betrifft, ist festzustellen, dass sie für sich allein genommen nicht ausreichen, um zu bestimmen, ob der Streithelfer bei der Anmeldung seiner Gemeinschaftsmarke bösgläubig war. Der Umstand, dass die Klägerin kein Interesse daran gezeigt hat, die älteren taiwanesischen Marken in der Union zu schützen, und die Tatsache, dass der Streithelfer rechtlich nicht verpflichtet war, die Klägerin vorab über seine Gemeinschaftsmarkenanmeldung zu informieren, erlauben es nämlich nicht, die Absicht des Streithelfers bei der Anmeldung dieser Marke festzustellen.

52      Somit durfte die Beschwerdekammer nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Streithelfer nicht bösgläubig war, und den von der Klägerin gestellten Antrag auf Nichtigerklärung auf der Grundlage dieser Erwägungen zurückweisen.

53      Daher ist dem einzigen Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

 Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke

54      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit ihrem Antrag an das Gericht, die angegriffene Marke für nichtig zu erklären, einen Abänderungsantrag gemäß Art. 65 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 gestellt hat, der darauf gerichtet ist, dass das Gericht die Entscheidung erlässt, die die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 4. Oktober 2006, Freixenet/HABM [Form einer mattierten weißen Flasche], T‑190/04, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 16 und 17). Folglich ist dieser Antrag entgegen dem Vorbringen des HABM zulässig.

55      Es ist jedoch zu beachten, dass die dem Gericht zustehende Abänderungsbefugnis nicht bewirkt, dass es dazu ermächtigt wäre, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung zu setzen, oder dazu, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat. Die Ausübung der Abänderungsbefugnis ist folglich grundsätzlich auf die Fälle zu beschränken, in denen das Gericht nach einer Überprüfung der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung auf der Grundlage der erwiesenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu bestimmen vermag, welche Entscheidung die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen (Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, Slg. 2011, I‑5853, Randnr. 72).

56      Im vorliegenden Fall erlauben es die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Umstände nicht, zu bestimmen, welche Entscheidung die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen. Diese Umstände erlauben nämlich weder die Feststellung, dass der Streithelfer nicht bösgläubig war, wie oben im Rahmen der Prüfung des Aufhebungsantrags ausgeführt, noch lassen sie für sich genommen die gegenteilige Feststellung zu.

57      Unter diesen Umständen ist der auf die Nichtigerklärung der angegriffenen Marke gerichtete Abänderungsantrag der Klägerin zurückzuweisen.

 Kosten

58      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM unterlegen ist, sind ihm, wie von der Klägerin beantragt, die Kosten aufzuerlegen.

59      Nach Art. 87 § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein Streithelfer seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall trägt der Streithelfer seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 1. April 2009 (Sache R 529/2008‑4) wird aufgehoben.

2.      Das HABM trägt außer seinen eigenen Kosten die Kosten der Feng Shen Technology Co. Ltd.

3.      Herr Jarosław Majtczak trägt seine eigenen Kosten.

Pelikánová

Jürimäe

Van der Woude

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. März 2012.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.