Language of document : ECLI:EU:T:2018:279

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

17. Mai 2018(*)

„Pflanzenschutzmittel – Wirkstoff Fipronil – Überprüfung der Genehmigung – Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Verbot der Verwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln mit dem betreffenden Wirkstoff behandelt wurde, – Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 – Vorsorgeprinzip – Folgenabschätzung“

In der Rechtssache T‑584/13

BASF Agro BV mit Sitz in Arnhem (Niederlande) und die weiteren Klägerinnen, deren Namen im Anhang aufgeführt sind(1), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt J.‑P. Montfort und Rechtsanwältin M. Peristeraki,

Klägerinnen,

unterstützt durch

Association européenne pour la protection des cultures (ECPA) mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen I. de Seze und É. Mullier sowie D. Abrahams, Barrister,

und

European Seed Association (ESA) mit Sitz in Brüssel, Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte P. de Jong, P. Vlaemminck und B. Van Vooren, dann Rechtsanwälte P. de Jong, K. Claeyé und Rechtsanwältin E. Bertolotto,

Streithelferinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. mit Sitz in Soltau (Deutschland),

Österreichischer Erwerbsimkerbund mit Sitz in Großebersdorf (Österreich)

und

Österreichischer Imkerbund (ÖIB) mit Sitz in Wien (Österreich),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Willand und B. Tschida,

Streithelferinnen,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 781/2013 der Kommission vom 14. August 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung des Wirkstoffs Fipronil und zum Verbot der Verwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die diesen Wirkstoff enthalten (ABl. 2013, L 219, S. 22),

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen, der Richterin I. Pelikánová (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Buttigieg, S. Gervasoni und L. Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2017

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Der Wirkstoff Fipronil, der zur Familie der Phenylpyrazole gehört, wurde mit der Richtlinie 2007/52/EG der Kommission vom 16. August 2007 zur Änderung der Richtlinie 91/414 zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Ethoprophos, Pirimiphos-Methyl und Fipronil (ABl. 2007, L 214, S. 3) in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 1991, L 230, S. 1) aufgenommen.

2        In der Europäischen Union wird Fipronil durch den BASF‑Konzern erzeugt und vermarktet.

3        Da die Richtlinie 91/414 durch die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414 (ABl. 2009, L 309, S. 1) ersetzt wurde, gelten in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommene Wirkstoffe als gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 genehmigt und sind nunmehr in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission vom 25. Mai 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 1107/2009 hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe (ABl. 2011, L 153, S. 1) aufgeführt.

4        In den Jahren 2008 und 2009 verursachten mehrere Vorfälle, die mit einer unsachgemäßen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Wirkstoffen aus der Familie der Neonicotinoide verbunden waren, Verluste von Honigbienenvölkern. Die betroffenen Mitgliedstaaten reagierten darauf mit verschiedenen Beschränkungsmaßnahmen.

5        Im Jahr 2010 erließ die Europäische Kommission aufgrund dieser Vorfälle die Richtlinie 2010/21/EU vom 12. März 2010 zur Änderung von Anhang I der Richtlinie 91/414 hinsichtlich Sonderbestimmungen zu Clothianidin, Thiamethoxam, Fipronil und Imidacloprid (ABl. 2010, L 65, S. 27). Diese Maßnahme verschärfte die Bedingungen für die Genehmigung dieser Wirkstoffe hinsichtlich des Schutzes von Nichtzielorganismen, insbesondere Honigbienen.

6        Am 18. März 2011 ersuchte die Kommission die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) um Überprüfung des bestehenden Systems der Bewertung des Risikos von Pflanzenschutzmitteln für Honigbienen, das von der Pflanzenschutzorganisation für Europa und den Mittelmeerraum (European and Mediterranean Plant Protection Organisation, EPPO) geschaffen worden war, im Hinblick auf die Bewertung der langfristigen Risiken für Honigbienen, die Exposition gegenüber schwachen Dosen, die Exposition durch Guttation und die kumulative Risikobewertung. Dieses System war in dem Dokument („Environmental risk assessment scheme for plant protection products“ [System zur Umweltrisikobewertung von Pflanzenschutzmitteln]) mit der Referenznummer PP 3/10 (im Folgenden: Leitlinien der EPPO) beschrieben.

7        Auf der Grundlage des Abschlussberichts des Überwachungs- und Forschungsprogramms Apenet in Italien von Oktober 2011, der Besorgnisse hinsichtlich der Verwendung von Saatgut aufwarf, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt worden war, die u. a. Fipronil enthielten, und nach Gesprächen mit den Fachleuten der Mitgliedstaaten im Rahmen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit (im Folgenden: Ausschuss) entschied die Kommission am 22. März 2012, die EFSA gemäß Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 um ein Gutachten zu ersuchen.

8        Am 23. Mai 2012 veröffentlichte die EFSA auf das Ersuchen der Kommission vom 18. März 2011 (vgl. oben, Rn. 6) die wissenschaftliche Stellungnahme über die wissenschaftliche Vorgehensweise, die der Bewertung der Risiken von Pflanzenschutzmitteln für Bienen zugrunde liegt (im Folgenden: Stellungnahme der EFSA). Dieses Dokument nannte mehrere Bereiche, in denen die zukünftigen Bewertungen der Risiken für Bienen verbessert werden müssten. Es wies u. a. auf mehrere Schwächen der Leitlinien der EPPO hin, die zu Unsicherheiten über den tatsächlichen Grad der Exposition von Honigbienen führten, und warf für die Gesundheit von Bienen relevante Fragen auf, die von den Leitlinien der EPPO zuvor nicht behandelt worden waren.

9        Im Juni 2012 legte die EFSA auf das Ersuchen der Kommission vom 22. März 2012 (vgl. oben, Rn. 7) die Erklärung über die Bewertung der wissenschaftlichen Informationen des italienischen Forschungsprogramms Apenet über die Auswirkungen von mit bestimmten Neonicotinoiden und mit Fipronil gebeiztem Maissaatgut auf Bienen vor. In dieser Erklärung wies die EFSA darauf hin, dass es ihr aufgrund bestimmter Mängel und bestimmter Schwächen des Projekts Apenet nicht möglich gewesen sei, endgültige Schlüsse zu ziehen, jedoch potenzielle Probleme im Rahmen dieses Projekts festgestellt worden seien, die die Annahme zuließen, dass eine Änderung der Bewertung bestimmter Neonicotinoide und von Fipronil hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Bienen erforderlich sein könnte.

10      Am 6. August 2012 ersuchte die Kommission gemäß Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 die EFSA, bis zum 31. März 2013 eine eingehende Bewertung der Risiken von Fipronil im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Bienengesundheit vorzunehmen.

11      Am 27. Mai 2013 veröffentlichte die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Peer-Review der Bewertung der Risiken, die der Wirkstoff Fipronil als Pestizid für Bienen darstellte (im Folgenden: Schlussfolgerungen der EFSA). Sie stellte u. a. ein hohes akutes Risiko für Honigbienen bei der Exposition durch Staubabdrift bei der Saat von Mais fest. Für andere wichtige Ackerkulturen konnte sie das Vorliegen eines solchen hohen Risikos nicht ausschließen.

12      Außerdem machten die Schlussfolgerungen der EFSA auf mehrere Punkte aufmerksam, die auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abgeschlossen werden konnten und die sich u. a. auf die Exposition von Honigbienen durch Staub, bei Aufnahme kontaminierten Nektars und Pollens und bei Exposition durch Guttation bezogen.

13      In Anbetracht der von der EFSA aufgeworfenen Fragen legte die Kommission dem Ausschuss in seiner Sitzung vom 15. und 16. Juli 2013 den Entwurf einer Durchführungsverordnung sowie eine Stellungnahme vor. Nachdem der Entwurf die Unterstützung einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten erhalten hatte, erließ die Kommission am 14. August 2013 die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 781/2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung des Wirkstoffs Fipronil und zum Verbot der Verwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die diesen Wirkstoff enthalten (ABl. 2013, L 219, S. 22, im Folgenden: angefochtener Rechtsakt).

14      Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts beschränkt die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Fipronil auf Kulturen im Gewächshaus sowie auf Saatgut von Lauch‑, Zwiebel‑, Schalotten- und Kohlpflanzen, die im Freien kultiviert und vor der Blüte geerntet werden.

15      Außerdem verbietet Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts die Verwendung und das Inverkehrbringen von Saatgut, das mit Fipronil enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, ausgenommen Kulturen, die zur Aussaat im Gewächshaus bestimmt sind, sowie Saatgut von Lauch‑, Zwiebel‑, Schalotten- und Kohlpflanzen, die im Freien kultiviert und vor der Blüte geerntet werden.

16      Nach Art. 3 des angefochtenen Rechtsakts mussten die Mitgliedstaaten gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 bis zum 31. Dezember 2013 die geltenden Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit Fipronil ändern oder widerrufen. Art. 4 des angefochtenen Rechtsakts bestimmte, dass jede von den Mitgliedstaaten eingeräumte Aufbrauchfrist so kurz wie möglich sein und spätestens am 28. Februar 2014 enden musste.

17      Der angefochtene Rechtsakt wurde am 15. August 2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat gemäß Art. 5 am darauffolgenden Tag in Kraft, ausgenommen sein Art. 2, der ab dem 1. März 2014 galt.

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

18      Mit Klageschrift, die am 4. November 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die BASF Agro BV und die weiteren Klägerinnen, deren Namen im Anhang aufgeführt sind (im Folgenden zusammen: BASF), die vorliegende Klage erhoben.

19      Mit Beschluss des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts vom 9. Oktober 2014, BASF Agro u. a./Kommission (T‑584/13, nicht veröffentlicht), und mit Beschluss vom 9. Oktober 2014, BASF Agro u. a./Kommission (T‑584/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:907), sind die European Seed Association (ESA) und die Association européenne pour la protection des cultures (ECPA) als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen und der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. (im Folgenden: DBEB), der Österreichische Erwerbsimkerbund (im Folgenden: ÖEB) und der Österreichische Imkerbund (ÖIB) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

20      Mit Beschlüssen vom 27. März 2015, BASF Agro u. a./Kommission (T‑584/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:203), und vom 27. Juli 2015, BASF Agro u. a./Kommission (T‑584/13, EU:T:2015:580), hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts über die Rügen einiger Streithelfer zu den Anträgen der Klägerinnen auf vertrauliche Behandlung entschieden.

21      Auf Vorschlag der Ersten Kammer hat das Gericht beschlossen, die Rechtssache nach Art. 28 seiner Verfahrensordnung an die Erste erweiterte Kammer zu verweisen.

22      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Erste erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und den Beteiligten im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt, die von ihnen fristgerecht beantwortet worden sind.

23      Die Parteien haben in der Sitzung vom 17. Februar 2017 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

24      BASF beantragt, unterstützt durch die ECPA,

–        den angefochtenen Rechtsakt insgesamt oder, hilfsweise, soweit er die Zulassung für die Verwendung und den Verkauf von mit Fipronil behandelter Sonnenblumensaat aufhebt, für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

25      Die ESA beantragt,

–        den angefochtenen Rechtsakt für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

26      Die Kommission beantragt, unterstützt durch den DBEB, den ÖEB und den ÖIB,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        BASF die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit

27      Die Kommission macht geltend, dass, anders als die erste Klägerin, BASF Agro BV, die anderen Klägerinnen nicht den Status des Genehmigungsantragstellers für den Wirkstoff Fipronil hätten und daher von dem angefochtenen Rechtsakt nicht individuell betroffen schienen. Sie könnten sich daher nicht auf den letzten Teil von Art. 263 Abs. 4 AEUV berufen, um diesen Rechtsakt, der außerdem Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, anzufechten.

28      BASF weist darauf hin, dass die Klagebefugnis der ersten Klägerin nicht bestritten werde, und macht geltend, dass jede der anderen Klägerinnen Inhaberin einer nationalen Zulassung für Fipronil enthaltende Erzeugnisse zur Saatgutbehandlung sei, so dass sie von dem angefochtenen Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen seien. Außerdem stelle dieser einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter dar, der sie unmittelbar betreffe und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe.

29      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach Art. 263 Abs. 1 und 2 AEUV gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.

30      Zunächst ist festzustellen, dass der angefochtene Rechtsakt eine Handlung mit allgemeiner Geltung darstellt, da er für objektiv bestimmte Situationen gilt und gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen Rechtswirkungen entfaltet. Die Art. 1 bis 4 des angefochtenen Rechtsakts betreffen nämlich den Wirkstoff Fipronil und abstrakt und allgemein jede Person, die beabsichtigt, diesen Stoff oder Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die diesen Wirkstoff enthalten, zu erzeugen, zu vermarkten oder zu verwenden, sowie jede Person, die über Zulassungen für diese Pflanzenschutzmittel verfügt. Daher sind im Hinblick auf diese Bestimmungen und vorbehaltlich des Vorliegens bestimmter zusätzlicher persönlicher Merkmale alle diese Personen vom angefochtenen Rechtsakt in gleicher Weise betroffen und befinden sich in einer identischen Situation.

31      Da die Klägerinnen nicht Adressaten des angefochtenen Rechtsakts sind, ist daher zu prüfen, ob dieser, wie sie vortragen, sie unmittelbar und individuell betrifft oder ob es sich um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter handelt, der sie unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

32      Da diese beiden Fälle eine unmittelbare Betroffenheit der Klägerinnen voraussetzen, ist zunächst diese Voraussetzung zu prüfen.

1.      Zur unmittelbaren Betroffenheit der Klägerinnen

33      Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit der Klägerinnen erfordert, dass sich die beanstandete Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung dieser Personen auswirkt, und dass sie den Adressaten dieser Maßnahme, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der beanstandeten Regelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteile vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission, C‑386/96 P, EU:C:1998:193, Rn. 43, vom 10. September 2009, Kommission/Ente per le Ville vesuviane und Ente per le Ville vesuviane/Kommission, C‑445/07 P und C‑455/07 P, EU:C:2009:529, Rn. 45, und Beschluss vom 9. Juli 2013, Regione Puglia/Kommission, C‑586/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:459, Rn. 31).

34      Im vorliegenden Fall sind die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts zum einen von Art. 2 dieses Rechtsakts zum anderen zu unterscheiden.

a)      Zu den Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts

35      Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts ändert die im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 enthaltene Liste der Wirkstoffe, die für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln zugelassen sind. Diese Änderung verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Fipronil erteilt haben, diese nach Art. 4 des angefochtenen Rechtsakts ohne Ermessensspielraum bis spätestens 28. Februar 2014 zu ändern oder zu widerrufen.

36      Folglich wirkt sich Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts unmittelbar auf die Rechtsstellung von BASF aus, die Fipronil sowie Pflanzenschutzmittel, die dieses enthalten, erzeugt und vermarktet. Gleiches gilt für die Art. 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts, die rein akzessorisch zu Art. 1 sind, da sie Erläuterungen zu den Modalitäten seiner Durchführung durch die Mitgliedstaaten enthalten.

b)      Zu Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts

37      Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts verbietet, Saatgut von Kulturpflanzen, das mit Fipronil enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, zu verkaufen oder zu verwenden (ausgenommen Saatgut, das im Gewächshaus verwendet wird, sowie Saatgut von Lauch‑, Zwiebel‑, Schalotten- und Kohlpflanzen, die im Freien kultiviert und vor der Blüte geerntet werden). Dieses Verbot gilt nach Art. 5 des angefochtenen Rechtsakts ab dem 1. März 2014. Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts erfordert keine Durchführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten und ist daher unmittelbar anwendbar.

38      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die von dem Verbot in Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts betroffenen Personen die Erzeuger und Händler von mit Fipronil behandeltem Saatgut sind, sowie die Landwirte, die dieses Saatgut verwenden möchten.

39      BASF hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2017 angegeben, dass sie selbst kein Saatgut vermarkte, das mit Fipronil enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt worden sei. Zwar hat das Verbot der Verwendung und Vermarktung des mit diesem Wirkstoff behandelten Saatguts spürbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation von BASF, da es ihr de facto nicht mehr möglich sein wird, Produkte zu verkaufen, deren Anwendung auf das Saatgut dazu führt, dass der Handel mit diesem Saatgut und seine Verwendung verboten sind. Diese Auswirkungen sind jedoch lediglich die wirtschaftliche Folge eines Verbots, das rechtlich nur die Saatguthersteller und die Landwirte und nicht BASF selbst trifft. Daher sind diese Auswirkungen als mittelbar – da sie durch die eigenständigen Entscheidungen der Kunden von BASF vermittelt werden – und als wirtschaftlicher Natur einzustufen, und nicht als unmittelbar und rechtlicher Natur. Denn dieses Verbot lässt, isoliert betrachtet, das Recht von BASF unberührt, Pflanzenschutzmittel zu vermarkten, die Fipronil enthalten.

40      Insoweit ist daran zu erinnern, dass allein der Umstand, dass ein Rechtsakt wirtschaftliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der klagenden Partei haben kann, nicht hinreicht, um davon auszugehen, dass er sie unmittelbar betrifft (Beschlüsse vom 18. Februar 1998, Comité d’entreprise de la Société française de production u. a./Kommission, T‑189/97, EU:T:1998:38, Rn. 48, und vom 1. Juni 2015, Polyelectrolyte Producers Group und SNF/Kommission, T‑573/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:365, Rn. 32; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 27. Juni 2000, Salamander u. a./Parlament und Rat, T‑172/98 und T‑175/98 bis T‑177/98, EU:T:2000:168, Rn. 62).

41      Folglich wirkt sich Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung von BASF aus.

42      Im Ergebnis betreffen nur die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts BASF unmittelbar. Der Antrag von BASF auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts ist daher unzulässig.

2.      Zur individuellen Betroffenheit der Klägerinnen

43      Soweit BASF teilweise von dem angefochtenen Rechtsakt unmittelbar betroffen ist, ist sodann zu prüfen, ob sie individuell betroffen ist.

44      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Person, die nicht der Adressat einer Maßnahme ist, nur dann geltend machen kann, individuell im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV betroffen zu sein, wenn sie von dieser Maßnahme wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wird wie ein Adressat (Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und Beschluss vom 26. November 2009, Região autónoma dos Açores/Rat, C‑444/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:733, Rn. 36).

45      Die Unionsgerichte haben mehrfach festgestellt, dass derjenige, der einen Antrag auf Genehmigung eines Wirkstoffs gestellt hat, der die Unterlagen eingereicht hat und am Bewertungsverfahren beteiligt gewesen ist, sowohl von dem den Wirkstoff bedingt genehmigenden Rechtsakt als auch von einem die Genehmigung ablehnenden Rechtsakt individuell betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07, EU:T:2009:299, Rn. 66, vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission, T‑420/05, EU:T:2009:391, Rn. 72, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 30). Dasselbe gilt grundsätzlich, wenn der in Rede stehende Rechtsakt die Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs widerruft oder einschränkt.

46      Im vorliegenden Fall steht fest, dass BASF Agro BV die Rechtsnachfolgerin des Genehmigungsantragstellers für Fipronil ist, der die Unterlagen einreichte und am Bewertungsverfahren dieses Wirkstoffs beteiligt war, und dass BASF Agro BV weiterhin Exklusivrechte an diesem Stoff besitzt. Daher ist sie vom angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen, was die Kommission im Übrigen ausdrücklich anerkannt hat. Sie ist daher zur Anfechtung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts befugt.

3.      Zur Zulässigkeit der Klage, soweit sie von den Klägerinnen außer der BASF Agro BV erhoben wurde

47      Die Kommission zweifelt an der individuellen Betroffenheit der Klägerinnen außer der BASF Agro BV, die nicht den Antrag auf Genehmigung des Wirkstoffs Fipronil gestellt hätten und die allenfalls Inhaber nationaler Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln seien. Da die in Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts definierten Verwendungsbeschränkungen Durchführungsmaßnahmen nach sich zögen, könnten sie sich jedenfalls nicht auf den letzten Teil von Art. 263 Abs. 4 AEUV berufen.

48      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie oben in Rn. 46 festgestellt, die BASF Agro BV hinsichtlich des Antrags auf Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts klagebefugt ist.

49      Unter diesen Umständen braucht bei einer gemeinsamen Klage die Klagebefugnis der anderen Klägerinnen nicht geprüft zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. März 1993, CIRFS u. a./Kommission, C‑313/90, EU:C:1993:111, Rn. 31, vom 6. Juli 1995, AITEC u. a./Kommission, T‑447/93 bis T‑449/93, EU:T:1995:130, Rn. 82, sowie vom 8. Juli 2003, Verband der freien Rohrwerke u. a./Kommission, T‑374/00, EU:T:2003:188, Rn. 57).

50      Außerdem geht aus den Akten nicht hervor, dass aus Sicht der anderen Klägerinnen als der BASF Agro BV die Zulässigkeit ihrer Klagen umfassender sei als die der Klage der Letzteren.

51      Daher ist die Klagebefugnis der anderen Klägerinnen als der BASF Agro BV nicht zu prüfen.

4.      Zusammenfassung zur Zulässigkeit

52      Im Ergebnis ist die Klage zulässig, soweit BASF die Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts beantragt. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.

B.      Zur Begründetheit

53      In der vorliegenden Rechtssache rügt die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 4, Art. 12 Abs. 2 und die Art. 21 und 49 sowie Anhang II Punkt 3.8.3 der Verordnung Nr. 1107/2009, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes, der Wahrung der Verteidigungsrechte, der Vorsorge, der Verhältnismäßigkeit und der guten Verwaltung sowie einen Verstoß gegen die Begründungspflicht.

1.      Allgemeine Erwägungen

54      Nach Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 ist Ziel dieser Verordnung die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt und das bessere Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion.

55      Die Vorgabe der Erhaltung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt durch die Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgt in Anwendung der Art. 11 AEUV und Art. 114 Abs. 3 AEUV. Gemäß Art. 11 AEUV müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und ‑maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden. Zur Konkretisierung dieser Verpflichtung bestimmt Art. 114 Abs. 3 AEUV, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, u. a. im Bereich Umweltschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt und dass im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union dieses Ziel ebenfalls anstreben. Dieser Schutz der Umwelt hat vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 143, vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 85, sowie vom 12. Dezember 2014, Xeda International/Kommission, T‑269/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1069, Rn. 138).

56      Außerdem sollte nach dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 das Vorsorgeprinzip angewandt werden und mit dieser Verordnung sichergestellt werden, dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.

57      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in der Verordnung Nr. 1107/2009 (und davor der Richtlinie 91/414) für Pflanzenschutzmittel und ihre Wirkstoffe vorgesehenen Verfahren der vorherigen Zulassung und Genehmigung Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts sind, nämlich des Vorsorgegrundsatzes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 133).

a)      Zum Vorsorgeprinzip

1)      Definition

58      Der Vorsorgegrundsatz stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der die betroffenen Behörden verpflichtet, im genauen Rahmen der Ausübung der ihnen durch die einschlägige Regelung zugewiesenen Befugnisse geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, indem sie den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen (vgl. Urteile vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 121 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 183 und 184).

59      Wenn wissenschaftliche Ungewissheiten in Bezug auf das Vorliegen und den Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt bestehen, können die Organe nach dem Vorsorgegrundsatz Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, bis das tatsächliche Vorliegen und die Schwere dieser Gefahren in vollem Umfang nachgewiesen sind oder bis die nachteiligen Wirkungen für die Gesundheit eintreten (vgl. Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Innerhalb des Verfahrens, das mit dem Erlass geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung bestimmter potenzieller Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt aufgrund des Vorsorgeprinzips durch ein Organ endet, lassen sich drei aufeinanderfolgende Schritte unterscheiden: erstens die Ermittlung der potenziell abträglichen Wirkungen, die sich aus einem Vorgang ergeben, zweitens die Bewertung der mit diesem Vorgang verbundenen Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und drittens, wenn die ermittelten potenziellen Gefahren die Schwelle der gesellschaftlichen Akzeptanz überschreiten, das Risikomanagement durch den Erlass geeigneter Schutzmaßnahmen. Während der erste dieser Schritte keiner näheren Erläuterung bedarf, verdienen die beiden weiteren eine nähere Betrachtung.

2)      Bewertung der Gefahren

61      Die Bewertung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt besteht für das Organ, das sich mit potenziell abträglichen Wirkungen eines Vorgangs konfrontiert sieht, in der wissenschaftlichen Einschätzung dieser Gefahren und der Feststellung, ob diese die gesellschaftliche Akzeptanz überschreiten. Damit die Organe eine solche Einschätzung der Gefahren vornehmen können, müssen sie daher zum einen über eine wissenschaftliche Bewertung der Gefahren verfügen und zum anderen das Gefahrenniveau festlegen, das für die Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erscheint (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 137 und die dort angeführte Rechtsprechung).

i)      Zur wissenschaftlichen Bewertung

62      Die wissenschaftliche Risikobewertung ist ein wissenschaftliches Verfahren, mit dem so weit wie möglich eine Gefahr ermittelt und beschrieben, die Exposition bewertet und das Risiko bestimmt wird (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      In ihrer Mitteilung KOM(2000) 1 endg. über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips vom 2. Februar 2000 (im Folgenden: Mitteilung über das Vorsorgeprinzip) hat die Kommission diese vier Grundbestandteile einer wissenschaftlichen Risikobewertung wie folgt beschrieben (vgl. Anhang III dieser Mitteilung):

„Gefahrenermittlung bedeutet, die biologischen und chemischen Agenzien oder physikalischen Einwirkungen, die negative Auswirkungen haben können, zu identifizieren. …

Bei der Gefahrenbeschreibung werden Eigenart und Schweregrad der mit den ursächlichen Agenzien oder Tätigkeiten verbundenen negativen Auswirkungen quantitativ und/oder qualitativ bestimmt. …

Die Abschätzung des Risikos besteht aus einer quantitativen oder qualitativen Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, mit dem untersuchten Agens in Berührung zu kommen. …

Die Risikobeschreibung entspricht der qualitativen und/oder quantitativen Schätzung (unter Berücksichtigung inhärenter Ungewissheiten) der Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit sowie des Schweregrads bekannter oder möglicher umwelt- oder gesundheitsschädigender Wirkungen. Sie wird auf der Grundlage der drei vorgenannten Stufen erstellt und hängt stark von den in jedem einzelnen Stadium des Verfahrens berücksichtigten Unsicherheiten, Schwankungen, Arbeitshypothesen und Annahmen ab. Wenn die verfügbaren Daten nicht ausreichen oder keine eindeutigen Schlüsse zulassen, könnte ein vorsichtiger Ansatz zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit und der Sicherheit darin bestehen, immer vom ungünstigsten Fall auszugehen. Häufen sich solche Annahmen, kann dies zu einer Überbewertung des tatsächlichen Risikos führen. Ein solches Vorgehen bietet aber auch eine gewisse Gewähr dafür, dass das Risiko nicht unterschätzt wird.“

64      Da es sich um ein wissenschaftliches Verfahren handelt, muss das Organ die wissenschaftliche Risikobewertung wissenschaftlichen Experten übertragen (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 157, vom 11. September 2002, Alpharma/Rat, T‑70/99, EU:T:2002:210, Rn. 170, und vom 9. September 2011, Frankreich/Kommission, T‑257/07, EU:T:2011:444, Rn. 73).

65      Von einer wissenschaftlichen Risikobewertung kann nicht verlangt werden, dass sie den Organen zwingende wissenschaftliche Beweise für das tatsächliche Vorliegen des Risikos und die Schwere der potenziellen nachteiligen Wirkungen im Fall seiner Verwirklichung liefert. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips erfolgt nämlich definitionsgemäß in einem Kontext wissenschaftlicher Unsicherheit. Außerdem darf eine vorbeugende Maßnahme oder umgekehrt ihre Rücknahme oder Abschwächung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass keinerlei Risiken bestehen, weil ein solcher Nachweis im Allgemeinen aus wissenschaftlicher Sicht nicht erbracht werden kann, da es in der Praxis ein Risikoniveau „null“ nicht gibt (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 140; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 130). Eine vorbeugende Maßnahme darf indessen nicht mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf wissenschaftlich noch nicht verifizierte bloße Vermutungen gestützt ist (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 142 und 143, sowie vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 140; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 161).

66      Die Risikobewertung muss nämlich auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten beruhen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 141 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass sich eine vollständige wissenschaftliche Risikobewertung wegen der Unzulänglichkeit der verfügbaren wissenschaftlichen Daten als unmöglich erweisen kann. Dies kann indessen die zuständige Behörde nicht daran hindern, aufgrund des Vorsorgeprinzips vorbeugende Maßnahmen zu treffen. In diesem Fall müssen die wissenschaftlichen Experten trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Ungewissheit eine wissenschaftliche Risikobewertung vornehmen, die der zuständigen öffentlichen Stelle eine so zuverlässige und fundierte Information vermittelt, dass diese Stelle die volle Tragweite der aufgeworfenen wissenschaftlichen Frage erfassen und ihre Politik in Kenntnis der Sachlage bestimmen kann (Urteil vom 9. September 2011, Frankreich/Kommission, T‑257/07, EU:T:2011:444, Rn. 77; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 160 bis 163, und vom 11. September 2002, Alpharma/Rat, T‑70/99, EU:T:2002:210, Rn. 173 bis 176).

68      Wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, wenn sie objektiv und nicht diskriminierend sind (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 5. April 2001, EFTA Surveillance Authority/Norway, E‑3/00, EFTA Court Report 2000-2001, S. 73, Rn. 31).

69      Mithin kann eine vorbeugende Maßnahme nur dann getroffen werden, wenn das Risiko, ohne dass seine Existenz und sein Umfang durch zwingende wissenschaftliche Daten in vollem Umfang nachgewiesen worden wären, auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Maßnahme verfügbaren wissenschaftlichen Daten gleichwohl hinreichend dokumentiert erscheint (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70      In einem solchen Zusammenhang entspricht somit der Begriff „Risiko“ dem Grad der Wahrscheinlichkeit nachteiliger Wirkungen für das von der Rechtsordnung geschützte Gut aufgrund der Zulassung bestimmter Maßnahmen oder bestimmter Verfahren. Dagegen wird der Begriff „Gefahr“ gemeinhin in einem weiteren Sinne verwendet und bezeichnet jedes Produkt oder Verfahren, das eine nachteilige Wirkung für die menschliche Gesundheit oder jedes andere von der Rechtsordnung geschützte Gut haben kann (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 144; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 147, sowie vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 147).

ii)    Zur Bestimmung des als nicht hinnehmbar angesehenen Risikoniveaus

71      Die Bestimmung des Risikoniveaus, das für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erscheint, steht, unter Wahrung der einschlägigen Rechtsvorschriften, den Organen zu, die für die in der Festlegung des für diese Gesellschaft angemessenen Schutzniveaus bestehende politische Entscheidung zuständig sind. Diese Organe haben die kritische Schwelle für die Wahrscheinlichkeit nachteiliger Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und für die Schwere dieser potenziellen Wirkungen festzulegen, die ihnen für diese Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erscheint und bei deren Überschreitung im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Ungewissheit der Rückgriff auf vorbeugende Maßnahmen erforderlich wird (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 145; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. Juli 2000, Toolex, C‑473/98, EU:C:2000:379, Rn. 45, und vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 150 und 151).

72      Bei der Bestimmung des für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erscheinenden Risikoniveaus sind die Organe durch ihre Pflicht zur Sicherstellung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt gebunden. Dieses hohe Schutzniveau muss nicht unbedingt auf das in technischer Hinsicht Höchstmögliche abzielen, um mit Art. 114 Abs. 3 AEUV vereinbar zu sein (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 146; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 14. Juli 1998, Safety Hi‑Tech, C‑284/95, EU:C:1998:352, Rn. 49). Außerdem dürfen diese Organe keine rein hypothetische Betrachtung des Risikos vornehmen und ihre Entscheidungen nicht auf ein „Nullrisiko“ ausrichten (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Conseil, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 152, und vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 146).

73      Die Bestimmung des als für die Gesellschaft nicht hinnehmbar angesehenen Risikoniveaus hängt von der Beurteilung der besonderen Umstände jedes Einzelfalls durch die zuständige öffentliche Stelle ab. Insoweit kann die betreffende Stelle insbesondere die Schwere der Auswirkungen, die der Eintritt dieses Risikos auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt hat, einschließlich des Umfangs der möglichen nachteiligen Wirkungen, die Dauer, die Reversibilität oder die möglichen Spätfolgen dieser Schäden sowie die mehr oder weniger konkrete Wahrnehmung des Risikos nach dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 147; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 153).

3)      Risikomanagement

74      Das Risikomanagement umfasst die Gesamtheit der Maßnahmen eines mit einem Risiko konfrontierten Organs, die dieses auf ein für die Gesellschaft hinnehmbar erscheinendes Niveau zurückführen sollen, wie es seiner Pflicht aufgrund des Vorsorgeprinzips zur Gewährleistung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt entspricht (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 148).

75      Diese Maßnahmen umfassen den Erlass vorläufiger Maßnahmen, die verhältnismäßig, frei von Diskriminierung, transparent und im Vergleich zu entsprechenden bereits erlassenen Maßnahmen kohärent sein müssen (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 149; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 1. April 2004, Bellio F.lli, C‑286/02, EU:C:2004:212, Rn. 59).

b)      Zur Überprüfung eines in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 aufgenommenen Wirkstoffs

76      Wie oben in den Rn. 1 und 3 dargelegt, wurde Fipronil nach der von der Richtlinie 91/414 vorgesehenen Regelung gemäß den zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Voraussetzungen genehmigt und ist nunmehr in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 aufgeführt.

77      Da die Überprüfung seiner Genehmigung durch die Kommission nach der Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgte, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass sich die spezifischen Erfordernisse für die Genehmigung der Wirkstoffe mit dem Erlass dieser Verordnung weiterentwickelt haben.

1)      Zu den ursprünglichen Kriterien für die Aufnahme nach der Richtlinie 91/414

78      Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 musste für die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I dieser Richtlinie nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse angenommen werden können, dass die Anwendung der diesen Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmittel gemäß guter Pflanzenschutzpraxis und die dabei entstandenen Rückstände keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt hatten.

79      Das Gericht hat bereits entschieden, dass sich aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 in Verbindung mit dem Vorsorgegrundsatz ergibt, dass, wenn es um die menschliche Gesundheit geht, das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, der Aufnahme dieses Stoffes in Anhang I dieser Richtlinie grundsätzlich entgegensteht (Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 161). Diese Erwägungen sind auf die anderen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 geschützten Interessen (die mit den nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 geschützten übereinstimmen), insbesondere die Tiergesundheit und die Umwelt, entsprechend anwendbar.

80      Nach der Rechtsprechung hat jedoch Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 91/414, wonach die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I dieser Richtlinie von bestimmten Anwendungsbeschränkungen abhängig gemacht werden kann, auch zur Folge, dass Wirkstoffe, die nicht die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen, dann aufgenommen werden können, wenn bestimmte Beschränkungen angeordnet werden, die die problematischen Anwendungen des betreffenden Wirkstoffs ausschließen. Da sich Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 als eine Abschwächung von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt, ist er im Licht des Vorsorgegrundsatzes auszulegen. Demzufolge muss vor der Aufnahme eines Wirkstoffs in diesen Anhang ohne jeden vernünftigen Zweifel feststehen, dass die Anwendungsbeschränkungen für den betreffenden Wirkstoff eine Verwendung dieses Wirkstoffs ermöglichen, die den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie entspricht (Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 169 und 170).

81      Schließlich muss nach der Rechtsprechung im Rahmen der Regelung nach der Richtlinie 91/414 der Antragsteller nachweisen, dass auf der Grundlage der für eine oder mehrere Zubereitungen und für einen begrenzten Bereich repräsentativer Anwendungen vorgelegten Angaben die Bedingungen für die Genehmigung erfüllt sind (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 154).

2)      Zur Änderung der Genehmigungskriterien durch die Verordnung Nr. 1107/2009

82      Aus einem Vergleich von Art. 5 der Richtlinie 91/414 mit Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 geht hervor, dass im Rahmen der Ersetzung der Richtlinie 91/414 durch die Verordnung Nr. 1107/2009 die allgemeinen Kriterien und Voraussetzungen für die Genehmigung neu und detaillierter formuliert wurden, ohne dass dies zwangsläufig zu einer Verschärfung dieser Kriterien und Voraussetzungen in der Sache geführt hat.

83      Außerdem haben sich die einheitlichen Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die u. a. die Schwellenwerte der Gefährdungsquotienten bei Exposition auf oralem Weg und durch Kontakt bestimmen, mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht wesentlich geändert.

84      Die Verordnung Nr. 1107/2009 hat hingegen neue spezifische Erfordernisse für die Genehmigung der Wirkstoffe eingeführt, wie u. a. Punkt 3.8.3 des Anhangs II dieser Verordnung, der besondere Anforderungen in Bezug auf die Exposition von Bienen und akute oder chronische Auswirkungen auf Überleben und Entwicklung von Bienenvölkern enthält. Ein Vergleich zwischen diesem Kriterium und der früheren Regelung, insbesondere Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414, ergibt, dass die Anforderungen hinsichtlich des Fehlens von unannehmbaren Auswirkungen auf Bienen mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 erheblich strenger geworden sind, da nunmehr ausdrücklich verlangt wird, dass die Exposition von Bienen gegenüber dem in Rede stehenden Wirkstoff nur „vernachlässigbar“ ist oder dass seine Verwendung „unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Honigbienenlarven und das Verhalten von Honigbienen keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat“.

85      Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 sieht vor, dass bei vor ihrem Inkrafttreten bereits genehmigten Wirkstoffen die von der Verordnung Nr. 1107/2009 harmonisierten Kriterien zum Zeitpunkt der Erneuerung oder der Überprüfung der Genehmigung angewendet werden sollten. Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Überprüfung der Genehmigung von Fipronil, das nach der Richtlinie 91/414 genehmigt wurde, nach den Kriterien und Bedingungen der Verordnung Nr. 1107/2009 zu erfolgen hat.

3)      Zur Beweislast

86      Aus dem Wortlaut und der Systematik der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009 geht schließlich hervor, dass der Genehmigungsantragsteller grundsätzlich die Beweislast dafür trägt, dass die Bedingungen für die Genehmigung nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt sind, wie es in der Richtlinie 91/414 ausdrücklich vorgesehen war (vgl. oben, Rn. 81).

87      Insbesondere heißt es im achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009, dass mit dieser Verordnung „sichergestellt werden [sollte], dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, … keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben“. Ebenso sieht der zehnte Erwägungsgrund vor, dass Stoffe nur dann in Pflanzenschutzmitteln angewandt werden sollten, „wenn nachgewiesen ist“, dass sie u. a. voraussichtlich keine unannehmbaren Folgen für die Umwelt haben.

88      Außerdem verlangt Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009, der die Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe enthält, dass „zu erwarten“ sein muss, dass Pflanzenschutzmittel, die einen Wirkstoff enthalten, die Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 dieses Artikels erfüllen, die ihrerseits fordern, dass diese Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände die im Folgenden aufgeführten Anforderungen erfüllen. Nach dem Grundsatz, dass die Partei, die sich auf eine Rechtsvorschrift beruft, nachzuweisen hat, dass die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind, ergibt sich daraus, dass der Antragsteller, um die Genehmigung zu erlangen, nachzuweisen hat, dass die Bedingungen für die Genehmigung erfüllt sind, und nicht die Kommission den Nachweis zu erbringen hat, dass die Bedingungen für die Genehmigung nicht erfüllt sind, um sie verweigern zu können.

89      Jedoch ist es im Rahmen einer Überprüfung vor dem Ende des Genehmigungszeitraums Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die Bedingungen für die Genehmigung nicht mehr erfüllt sind. Die Partei, die sich auf eine Rechtsvorschrift – hier Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 – beruft, hat nämlich nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass bei wissenschaftlicher Ungewissheit vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines auf der Ebene der Union genehmigten Wirkstoffs eine Vorsorgemaßnahme rechtfertigen können, keiner Umkehr der Beweislast gleichkommt (vgl. entsprechend Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 191).

90      Die Kommission kommt ihrer Beweislast jedoch nach, wenn sie nachweist, dass die bei der ursprünglichen Genehmigung getroffene Feststellung, dass die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt waren, durch spätere rechtliche oder technische Entwicklungen hinfällig geworden ist.

91      Daher kommt die Kommission der ihr obliegenden Beweislast im Hinblick auf Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 rechtlich hinreichend nach, wenn sie nachweisen kann, dass in Anbetracht einer Änderung des Regelungsrahmens, die zu einer Verschärfung der Bedingungen für die Genehmigung geführt hat, die im Rahmen der für die ursprüngliche Genehmigung durchgeführten Studien generierten Daten unzureichend waren, um sämtliche Risiken für Bienen im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Wirkstoff, z. B. zu bestimmten Expositionswegen, abzubilden. Das Vorsorgeprinzip gebietet nämlich, die Genehmigung eines Wirkstoffs aufzuheben oder zu ändern, wenn neue Daten vorliegen, die den früheren Schluss widerlegen, dieser Wirkstoff erfülle die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009. In diesem Zusammenhang kann sich die Kommission darauf beschränken, im Einklang mit den allgemeinen Beweislastregeln ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel am Umstand erlauben, dass der in Rede stehende Wirkstoff diese Genehmigungskriterien erfüllt (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 192).

2.      Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle

92      Damit die Kommission die ihr von der Verordnung Nr. 1107/2009 gesetzten Ziele (vgl. oben, Rn. 54 bis 56) wirksam verfolgen kann und im Hinblick darauf, dass sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, ist ihr ein weites Ermessen zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 74 und 75, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 38). Das gilt u. a. für die Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements, die sie nach dieser Verordnung zu treffen hat.

93      Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Unionsrichter nämlich im Rahmen dieser Kontrolle feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (Urteile vom 25. Januar 1979, Racke, 98/78, EU:C:1979:14, Rn. 5, vom 22. Oktober 1991, Nölle, C‑16/90, EU:C:1991:402, Rn. 12, und vom 9. September 2008, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑75/06, EU:T:2008:317, Rn. 83).

94      Hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens eines offenkundigen Beurteilungsfehlers durch den Unionsrichter ist darauf hinzuweisen, dass ein die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigender offensichtlicher Irrtum der Kommission bei der Würdigung komplexer Tatsachen nur festgestellt werden kann, wenn die vom Kläger vorgebrachten Beweise ausreichen, um die Sachverhaltswürdigung im Rechtsakt als nicht plausibel erscheinen zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 1996, AIUFFASS und AKT/Kommission, T‑380/94, EU:T:1996:195, Rn. 59, und vom 1. Juli 2004, Salzgitter/Kommission, T‑308/00, EU:T:2004:199, Rn. 138). Abgesehen von dieser Plausibilitätskontrolle darf das Gericht seine Beurteilung komplexer Tatsachen nicht an die Stelle der Beurteilung des Organs setzen, das den Rechtsakt erlassen hat (Urteil vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 152; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 15. Oktober 2009, Enviro Tech [Europe], C‑425/08, EU:C:2009:635, Rn. 47).

95      Außerdem kommt der Kontrolle der Einhaltung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung für Verwaltungsverfahren vorsieht, in Fällen, in denen ein Organ über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, wesentliche Bedeutung zu. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass zu diesen Garantien u. a. die Verpflichtung des zuständigen Organs gehört, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidung hinreichend zu begründen (Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, EU:C:1991:438, Rn. 14, vom 7. Mai 1992, Pesquerias De Bermeo und Naviera Laida/Kommission, C‑258/90 und C‑259/90, EU:C:1992:199, Rn. 26, sowie vom 6. November 2008, Niederlande/Kommission, C‑405/07 P, EU:C:2008:613, Rn. 56).

96      So wurde bereits entschieden, dass die Vornahme einer möglichst erschöpfenden wissenschaftlichen Risikobewertung auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten, die auf den Grundsätzen der höchsten Fachkompetenz, der Transparenz und der Unabhängigkeit beruhen, eine wichtige Verfahrensgarantie zur Gewährleistung der wissenschaftlichen Objektivität der Maßnahmen und zur Verhinderung des Erlasses willkürlicher Maßnahmen darstellt (Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 172).

3.      Zu den Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009

97      BASF macht im Wesentlichen geltend, dass die Kommission nicht das Recht gehabt habe, die Genehmigung von Fipronil zu überprüfen, da die insoweit in Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 angeführten Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien.

98      Die Kommission tritt dem Vorbringen von BASF entgegen.

99      Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 ist wie folgt aufgebaut.

100    Abs. 1 bestimmt, dass die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit, entweder von Amts wegen oder auf Antrag eines Mitgliedstaats, überprüfen kann. Nach Unterabs. 2 dieses Absatzes informiert die Kommission, wenn sie beschließt, eine Überprüfung vorzunehmen, die Mitgliedstaaten, die EFSA und den Hersteller des in Rede stehenden Wirkstoffs, wobei sie dem Hersteller eine Frist für eine Stellungnahme einräumt.

101    Abs. 2 sieht vor, dass die Kommission im Rahmen der Überprüfung die Mitgliedstaaten und die EFSA um eine Stellungnahme oder um wissenschaftliche oder technische Unterstützung ersuchen kann, und regelt die von den Letzteren einzuhaltenden Fristen.

102    Nach Abs. 3 schlägt schließlich die Kommission, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind, den Erlass einer Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung gemäß dem Komitologieverfahren nach Art. 79 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 vor.

a)      Zur Schwelle für die Anwendung vonArt. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009

103    BASF hat zur Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht spezifisch Stellung genommen, da sie in ihrem Vorbringen nicht streng zwischen den Voraussetzungen für die Anwendung von Abs. 1 und von Abs. 3 dieses Artikels unterscheidet. Sie macht jedoch insbesondere geltend, dass es keine neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 gebe, die darauf hindeuteten, dass der streitige Wirkstoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllte.

104    Die ECPA als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von BASF trägt unter anderem vor, dass das Erfordernis der „Neuheit“ der in Rede stehenden wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse nicht in erster Linie zeitlich zu verstehen sei, sondern als ein qualitatives Erfordernis.

105    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

106    Erstens ist festzustellen, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 ergibt, dass die Schwelle für die Anwendung seines Abs. 1 niedriger ist als diejenige für die Anwendung seines Abs. 3.

107    Zunächst sieht Art. 21 Abs. 1 erster Satz vor, dass die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs „jederzeit“ überprüfen kann. Selbst wenn die Umsetzung dieser sehr allgemeinen Ermächtigung in der Folge an gewisse Bedingungen geknüpft wird, weist die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung darauf hin, dass er nicht davon ausging, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs demjenigen, der die Genehmigung beantragt hat, einen besonderen Schutz gegen die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens einräumen müsste.

108    Während außerdem Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 eine Überprüfung u. a. vorsieht, wenn „es nach Ansicht der Kommission … Anzeichen dafür [gibt], dass der Stoff die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt“, verlangt Abs. 3 dieses Artikels, dass die Kommission „zu dem Schluss [gekommen sein muss], dass die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt sind“, damit eine Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung erlassen werden kann. Schon der Wortlaut von Art. 21 weist daher darauf hin, dass die Schwelle für die Anwendung von Abs. 1 niedriger ist als diejenige für die Anwendung von Abs. 3.

109    Dies steht im Einklang mit der oben in den Rn. 99 bis 102 dargestellten Systematik von Art. 21. Das Überprüfungsverfahren soll nämlich der Kommission gerade für den Fall des Zutagetretens neuer wissenschaftlicher Kenntnisse, die darauf hindeuten, dass der in Rede stehende Wirkstoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllen könnte, die Prüfung ermöglichen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Es widerspräche daher jeder Logik, denselben Grad der Gewissheit für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens wie für die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung zu verlangen.

110    Zweitens ist zur konkreten Definition der Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 zum einen darauf hinzuweisen, dass die Interessen derjenigen, die den Antrag auf Genehmigung der betreffenden Wirkstoffe gestellt haben, durch den Umstand geschützt sind, dass die Genehmigung tatsächlich nur aufgehoben oder geändert werden kann, wenn nach einem Überprüfungsverfahren festgestellt wird, dass die Bedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllt sind. Zum anderen muss die Kommission, um feststellen zu können, ob dies der Fall ist, insbesondere unter Berücksichtigung des von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziels (vgl. oben, Rn. 54 bis 56) selbst dann eine Prüfung einleiten können, wenn der Grad des durch die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse erweckten Zweifels nur relativ schwach ist.

111    Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass die Kommission in ihrer Beurteilung völlig frei wäre. Wie nämlich die ECPA zu Recht ausgeführt hat, kann der Begriff „neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse“ nicht ausschließlich in zeitlicher Hinsicht verstanden werden, sondern er umfasst auch eine qualitative Komponente, die im Übrigen sowohl an das Adjektiv „neu“ als auch an das Adjektiv „wissenschaftlich“ anknüpft. Daraus folgt, dass die Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht erreicht wird, wenn die „neuen Kenntnisse“ nur schlichte Wiederholungen von früheren Kenntnissen, neue Vermutungen ohne solide Grundlage sowie politische Erwägungen ohne Anknüpfung an die Wissenschaft betreffen. Letztlich müssen die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ somit für die Beurteilung des Fortbestehens der Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 von tatsächlicher Relevanz sein.

112    Schließlich ist drittens auch die Definition des Standes der früheren wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu klären, da die Neuheit der neuen Kenntnisse nur gegenüber einem vorigen Stand beurteilt werden kann. Insoweit kann der frühere Kenntnisstand nicht der unmittelbar vor der Veröffentlichung der neuen Kenntnisse bestehende sein, sondern vielmehr derjenige im Zeitpunkt der vorigen Bewertung der Risiken des betreffenden Wirkstoffs. Zum einen stellt nämlich diese vorige Bewertung einen festen Referenzwert dar, da sie eine Zusammenfassung der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Kenntnisse enthält. Zum anderen wäre es, wenn sich die Neuheit der Kenntnisse auf den Kenntnisstand unmittelbar vor ihrer Veröffentlichung bezöge, nicht möglich, einer schrittweisen Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse Rechnung zu tragen, bei der nicht jeder Schritt zwangsläufig für sich genommen besorgniserregend ist, die aber in ihrer Gesamtheit Anlass zur Besorgnis geben kann.

113    Da im vorliegenden Fall die vorige Bewertung der Risiken von Fipronil am 3. März 2006 stattgefunden hatte, wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/52 ergibt, war der Stand der früheren Kenntnisse daher der am 3. März 2006 vorliegende.

114    Im Ergebnis ist es daher, damit die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 überprüfen kann, hinreichend, dass neue Studien vorliegen (nämlich Studien, die von der EFSA oder der Kommission im Rahmen einer vorigen Bewertung des in Rede stehenden Wirkstoffs noch nicht berücksichtigt wurden), deren Ergebnisse gegenüber den bei der vorigen Bewertung verfügbaren Kenntnissen Besorgnis in Bezug auf die Frage erregen, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt sind, ohne dass es erforderlich ist, zu diesem Zeitpunkt zu prüfen, ob diese Besorgnis tatsächlich begründet ist, da diese Feststellung der Überprüfung selbst vorbehalten ist.

b)      Zu den von der Kommission zur Rechtfertigung der Einleitung des Überprüfungsverfahrens geltend gemachten Informationen

115    Um festzustellen, welche Informationen die Kommission bei ihrer Entscheidung, die Genehmigung von Fipronil zu überprüfen, berücksichtigen konnte oder gegebenenfalls musste, ist es erstens erforderlich zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt diese Entscheidung getroffen wurde.

116    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die EFSA am 6. August 2012 (vgl. oben, Rn. 10) beauftragte, die Bewertung der Risiken von Fipronil für Bienen zu aktualisieren, insbesondere zum einen hinsichtlich der akuten und chronischen Auswirkungen auf die Entwicklung und das Überleben der Bienenvölker und zum anderen hinsichtlich der Auswirkungen subletaler Dosen auf das Überleben und das Verhalten der Bienen. Eine solche „Aktualisierung“ muss als erste Phase der Überprüfung der Genehmigung der in Rede stehenden Wirkstoffe im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 verstanden werden, nämlich als die Phase der Bestimmung und Bewertung der mit diesen Wirkstoffen verbundenen Risiken, wobei die Verordnung Nr. 1107/2009 diese Aufgabe der EFSA zuweist (während die zweite, im Risikomanagement bestehende Phase der Kommission obliegt). Daher ist der 6. August 2012 als der Zeitpunkt festzuhalten, zu dem die Kommission spätestens beschlossen hat, die Überprüfung vorzunehmen.

117    Die Kommission hat auf eine schriftliche Frage des Gerichts diesen Zeitpunkt im Wesentlichen bestätigt, wobei sie darauf hingewiesen hat, dass, da Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 für die Einleitung einer Überprüfung den Erlass einer förmlichen Entscheidung nicht vorsehe, das Datum des 6. August 2012 nur das zeitliche Ende eines Entscheidungsprozesses darstelle, der sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt habe.

118    Folglich mussten die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 vor dem 6. August 2012 zutage getreten sein, um die Einleitung des Überprüfungsverfahrens rechtfertigen zu können.

119    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Rechtsakt die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, die die Kommission zur Überprüfung der Genehmigung von Fipronil veranlassten, nicht genau bezeichnet. Der vierte Erwägungsgrund dieses Rechtsakts nimmt nämlich allgemein Bezug auf „neue…, von Italien vorgelegte… Informationen über die Risiken für Honigbienen durch gebeiztes Maissaatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die Fipronil enthielten“. Aus den Akten ergibt sich allerdings, dass es sich um den oben in Rn. 7 angeführten Bericht über das Projekt Apenet handelte, sowie um die oben in Rn. 9 angeführte Erklärung der EFSA, die eine wissenschaftliche Beurteilung der EFSA des Projekts Apenet und seiner Ergebnisse enthielt (vgl. oben, Rn. 9). Außerdem verfügte die Kommission über die Stellungnahme der EFSA (vgl. oben, Rn. 8), die das bis dahin angewandte System für die Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen in Frage stellte.

c)      Zur Frage, ob die Kommission bei der Einleitung des Überprüfungsverfahrens über neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 verfügte

1)      Zu den Ergebnissen des Projekts Apenet

120    Das Projekt Apenet war ein fachübergreifendes Überwachungs- und Forschungsprojekt, dessen Hauptziel die Bewertung des Gesundheitszustands der Bienen, der Staubabdrift bei der Aussaat von mit bestimmten Neonicotinoiden und Fipronil behandeltem Mais, der letalen Auswirkungen auf die diesem Staub ausgesetzten Bienen und der Auswirkungen auf den Rückkehrinstinkt und die Orientierung von Bienen war. Im Rahmen dieses Projekts wurden u. a. Versuche durchgeführt, bei denen Bienen mit und ohne Anbringung von Deflektoren an den Sämaschinen dem Staub bei der Saat ausgesetzt wurden, und Versuche zu den Auswirkungen einer Kontamination mit subletalen Dosen von Fipronil auf den Orientierungssinn, die Lernfähigkeit und das olfaktorische Gedächtnis von Bienen.

121    Infolge der Bewertung des Projekts Apenet, die sie auf Ersuchen der Kommission vorgenommen hatte, kam die EFSA in ihrer Erklärung zu dem Ergebnis, dass es aufgrund gewisser Lücken in der Studiengestaltung, Schwächen der statistischen Analyse und der Unvollständigkeit der berichteten Ergebnisse nicht möglich sei, endgültige Schlussfolgerungen über die Gesamtheit der im Rahmen dieses Projekts gesammelten wissenschaftlichen Informationen zu ziehen. Dennoch hielt es die EFSA für möglich, daraus in Bezug auf Fipronil folgende Schlussfolgerungen zu ziehen:

–        Trachtbienen sind einem Risiko ausgesetzt, wenn sie durch die Staubwolken fliegen, die von Sämaschinen bei der Saat von mit Fipronil behandelten Maiskörnern verursacht werden.

–        Es wurden bestimmte potenzielle Besorgnisse festgestellt, wie letale Auswirkungen auf die dem Staub ausgesetzten Bienen und subletale Auswirkungen, die nahelegten, dass eine Änderung der Bewertung von Fipronil hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Bienen erforderlich sein könnte.

122    Zwar trifft es insoweit zu, dass, wie BASF vorbringt, das akute Risiko durch Exposition gegenüber Staub bei der Saat nicht neu war, da es bereits im Anhang der Richtlinie 2007/52 zur Aufnahme von Fipronil in den Anhang I der Richtlinie 91/414 angeführt worden war, der bestimmte, dass die besten verfügbaren Techniken anzuwenden seien, damit sichergestellt sei, dass die Freisetzung von Staubwolken bei der Lagerung, Beförderung und Anwendung ausgeschlossen werden könne.

123    Jedoch führte die EFSA auch potenzielle Besorgnisse hinsichtlich subletaler Auswirkungen an, die ihrer Ansicht nach eine Änderung der Bewertung von Fipronil nahelegten. Dies bestätigte die allgemeine Infragestellung des bis dahin angewandten Systems für die Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen durch die am 23. Mai 2012 veröffentlichte Stellungnahme der EFSA.

124    Unter diesen Umständen konnte die Kommission zu Recht und ohne einen Rechtsfehler zu begehen davon ausgehen, dass die Ergebnisse des Projekts Apenet gegenüber den früheren Kenntnissen Besorgnis in Bezug auf die Frage erregten, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt waren. Dies betrifft insbesondere die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung zu unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt und genauer zu den Auswirkungen auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen.

2)      Zur Rolle der Überwachungsdaten

125    Die Parteien streiten über die Frage, welche Rolle im Rahmen der Entscheidung nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009, ein Verfahren zur Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs zu eröffnen, sowie im Rahmen der Risikobewertung und der Entscheidung der Kommission nach Art. 21 Abs. 3 dieser Verordnung den Überwachungsdaten beizumessen ist.

126    BASF macht im Wesentlichen geltend, dass die Kommission sowie gegebenenfalls die EFSA die verfügbaren Überwachungsdaten ebenso wie die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 berücksichtigen müssten. Die verfügbaren Überwachungsdaten belegten, dass unter realen Bedingungen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Fipronil kein Risiko für Bienen auf der Ebene der Bienenvölker bestehe.

i)      Zum Begriff „Überwachungsdaten“

127    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Überwachungsdaten“ in der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht definiert wird.

128    Aus den Antworten der Parteien auf eine schriftliche Frage des Gerichts ergibt sich jedoch, dass die Überwachungsdaten Daten sind, die nach der tatsächlichen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit einem nach der Verordnung Nr. 1107/2009 genehmigten Wirkstoff im Freiland gesammelt wurden. Zum Teil werden diese Daten im Rahmen von Überwachungsprogrammen gesammelt, die über einen in Jahren gerechneten Zeitraum geführt werden und grundsätzlich keine dem betreffenden Wirkstoff nicht ausgesetzte Kontrollgruppe umfassen und in denen die nicht simulierte Anwendung von Pestiziden beobachtet und untersucht wird. Da es sich um nicht interventionelle Studien handelt, werden die Parameter der Exposition der Bienen gegenüber den Pestiziden weder definiert noch kontrolliert. Trotz gewisser Bemühungen zur Standardisierung in bestimmten Überwachungsprogrammen gibt es keine einheitliche Methode für die Überwachungsstudien, die eine einheitliche Qualität der erzeugten Daten sicherstellen könnte; deren Qualität hängt daher von der Beachtung der wissenschaftlichen Grundsätze und der guten wissenschaftlichen Praxis ab. Erst recht besteht keine Gewähr für Qualität und Homogenität von außerhalb eines Überwachungsprogramms gesammelten Überwachungsdaten.

129    Aus den Antworten der Parteien auf die schriftlichen Fragen des Gerichts geht auch hervor, dass Überwachungsstudien von Feldstudien, die auch als „Stufe-3-Studien“ bezeichnet werden, zu unterscheiden sind. Letztere sind experimentelle Studien mit klar definierten Parametern und einer Kontrollgruppe aus nicht exponierten Bienenvölkern, die über einen in Wochen oder Monaten gerechneten Zeitraum geführt werden, in denen die realen Bedingungen der Exposition der Völker gegenüber den Pestiziden so weit wie möglich simuliert werden.

ii)    Zum Wert, der den Überwachungsdaten beizumessen ist

130    Die Kommission trägt vor, dass Überwachungsstudien in Ermangelung einer Kontrollpopulation und klar definierter wissenschaftlicher Parameter, die die beobachtete Situation von einer Kontrollpopulation unterschieden, es nicht gestatteten, glaubwürdige Schlussfolgerungen zu einem Kausalzusammenhang zu formulieren. Ihr zufolge könnten also Überwachungsstudien das Bestehen eines Risikos aufzeigen, jedoch, im Unterschied zu Feldstudien, nicht das Nichtbestehen eines Risikos erweisen.

131    BASF ist diesem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten. Ihr zufolge hängt die Relevanz der Überwachungsdaten von der Wirklichkeitsnähe der Bedingungen ab, unter denen die Überwachungsstudien durchgeführt worden seien, und beispielsweise seien Studien von besonderer Relevanz, die in Spanien durchgeführt worden seien, wo es viele Bienen gebe. Zudem umfassten bestimmte Überwachungsstudien eine Kontrollgruppe aus Bienenvölkern, die neben unbehandelten Kulturen platziert seien. Die Überwachungsstudien deckten alle Expositionssituationen und ‑wege ab und ihre etwaigen Schwächen sollten nicht zum Vorabausschluss der betreffenden Studien oder der von ihnen generierten Daten führen, sondern müssten vielmehr in der Bewertung gewichtet werden.

132    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie oben in den Rn. 128 und 129 dargelegt, Feldstudien wissenschaftliche experimentelle Studien mit klaren Parametern und einer Kontrollgruppe sind, während Überwachungsstudien (nicht interventionelle) Beobachtungsstudien sind, deren Parameter nicht definiert sind. Folglich ist die Qualität der von diesen beiden Studienarten erzeugten Daten unterschiedlich, insbesondere was ihre Eignung betrifft, Folgerungen zu den Zusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen eines beobachteten Phänomens oder zu einer fehlenden Kausalität bei Nichtbeobachtung eines Phänomens zu stützen.

133    Daher ist festzustellen, dass Überwachungsstudien es lediglich ermöglichen, eine Koinzidenz zweier beobachteter Tatsachen nachzuweisen und keine Korrelation, da dieser Begriff voraussetzt, dass zwischen den beiden Tatsachen ein Zusammenhang festgestellt wird. Aufgrund des Fehlens von definierten und kontrollierten Parametern in den Überwachungsstudien ist es jedoch gerade nicht möglich, einen solchen Zusammenhang zwischen zwei in einer solchen Studie beobachteten Tatsachen festzustellen. Da nämlich im Freiland zahlreiche nicht definierte und nicht kontrollierbare Faktoren gegeben sind, die die beobachteten Tatsachen beeinflussen können (Exposition, Höhe, Witterungsverhältnisse, Umfeld der Bienenstöcke, angrenzende Kulturen usw.), können zwei koinzident beobachtete Tatsachen nicht mit Sicherheit im Sinne einer Korrelation miteinander in Zusammenhang gebracht werden.

134    Daraus folgt, dass Überwachungsdaten, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines Überwachungsprogramms oder außerhalb gesammelt wurden, hinsichtlich ihrer Eignung als Grundlage für wissenschaftliche Schlussfolgerungen zum Vorliegen oder Fehlen von kausalen Zusammenhängen nicht mit in Feldstudien generierten Daten gleichgesetzt werden können.

135    Dies macht die Überwachungsdaten jedoch nicht unnütz oder irrelevant. Sie können nämlich Informationen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Koinzidenz der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Fipronil zum einen, und einer erhöhten Sterblichkeit von Bienen oder einem Aussterben von Bienenvölkern zum anderen liefern. Diese Informationen können dann den betreffenden Verantwortlichen für das Risikomanagement als Hinweise auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Risiken dienen – ohne dies jedoch mit Sicherheit nachzuweisen.

136    Die Kommission macht daher zu Recht geltend, dass Überwachungsstudien zwar Hinweise auf das Bestehen eines Risikos aufzeigen können, aber, anders als Feldstudien, nicht als Nachweis des Nichtbestehens eines Risikos dienen können.

iii) Zur Rolle der Überwachungsdaten im Rahmen der Entscheidung, eine Überprüfung nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 vorzunehmen

137    Aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 geht hervor, dass, selbst wenn die Kommission den Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs „berücksichtigen“ muss, sie in ihrer Würdigung der Frage frei bleibt, ob aufgrund neuer verfügbarer wissenschaftlicher Kenntnisse eine solche Überprüfung zu erfolgen hat. Dies stellt im Übrigen einen Schutz der Erzeuger genehmigter Wirkstoffe gegen unbegründete oder gar missbräuchliche Anträge auf Überprüfung dar, die von den Mitgliedstaaten gestellt werden könnten.

138    Die Überwachungsdaten werden im zweiten Satz dieses Unterabsatzes nur angeführt, um die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Mitgliedstaaten eine Überprüfung einer Genehmigung beantragen können, und nicht die Voraussetzungen für die Entscheidung der Kommission zur Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens. Letztere werden nämlich in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 festgelegt, der nur die Berücksichtigung der „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ vorsieht. Andernfalls wäre Unterabs. 2 überflüssig, da er die Berücksichtigung von neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen durch die Kommission vorsähe, die bereits in Unterabs. 1 Satz 2 angeführt sind.

139    Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Neubewertung der Genehmigung eines Wirkstoffs gerade den Zweck hat, die neuen wissenschaftlichen Kenntnisse umfassend zu prüfen und zu untersuchen, ob sie den Schluss rechtfertigen, dass die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 definierten Genehmigungskriterien nicht oder nicht mehr (vollständig) erfüllt sind (vgl. oben, Rn. 109).

140    Sollten daher die von BASF angeführten Überwachungsdaten übereinstimmend keine Koinzidenz zwischen erhöhter Bienensterblichkeit oder dem Aussterben von Bienenvölkern und der Verwendung von fipronilhaltigen Pflanzenschutzmitteln verzeichnen, so wären sie geeignet, die durch die Ergebnisse des Projekts Apenet erweckten Besorgnisse, die oben in Rn. 121 zusammengefasst worden sind, in Zweifel zu ziehen. Sie waren hingegen nicht für den Nachweis der Unbegründetheit dieser Besorgnisse geeignet.

141    Außerdem deuteten die Überwachungsdaten entgegen dem Vorbringen von BASF nicht übereinstimmend auf die Unbedenklichkeit von fipronilhaltigen Pflanzenschutzmitteln für Bienen hin. BASF hat nämlich auf eine Studie über die Überwachungsdaten verwiesen, auf die sie die Kommission hingewiesen habe und die für sie günstig war (im Folgenden: Bernal-Studie von 2011), da dort keine Rückstände von Fipronil oder seiner Metaboliten in den untersuchten Proben festgestellt wurden.

142    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass BASF die Kommission über diese Studie in ihren Erklärungen vom 12. Juni 2013 über die Schlussfolgerungen der EFSA und daher nach der Entscheidung über die Einleitung des Überprüfungsverfahrens informierte. Außerdem machte sie nicht geltend, dass die EFSA die Bernal-Studie von 2011 nicht berücksichtigt hätte, die in den Schlussfolgerungen der EFSA im Übrigen mehrfach erwähnt wird, sondern vielmehr, dass diese Schlussfolgerungen nicht ausdrücklich eine der für BASF besonders günstigen Feststellungen der Studie wiedergäben.

143    Schließlich und vor allem verschweigt BASF mehrere Überwachungsstudien, die ebenso wie die Bernal-Studie von 2011 in dem Punkt „Überwachungsdaten“ der Schlussfolgerungen der EFSA erwähnt werden und die Rückstände von Fipronil oder seiner Metaboliten in Proben von Bienen gefunden hatten. Somit ist festzustellen, dass die verfügbaren Überwachungsdaten es nicht gestatteten, eindeutige Feststellungen im Sinne des Nichtvorliegens eines mit Fipronil verbundenen Risikos für Bienen zu treffen. Das Vorbringen von BASF zur Nichtberücksichtigung der Bernal-Studie von 2011 bei der Entscheidung, das Überprüfungsverfahren einzuleiten, ist daher zurückzuweisen.

144    Die Kommission konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass im vorliegenden Fall eine Überprüfung der Genehmigung von Fipronil vorzunehmen war.

145    Folglich sind die Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 zurückzuweisen.

4.      Zu den Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009

146    BASF macht zwei Rügenkomplexe in Bezug auf die Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 durch die Kommission und die EFSA geltend, nämlich zum einen den Umstand, dass die Kommission und die EFSA andere Methoden und Kriterien angewandt hätten als die zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung von Fipronil anwendbaren, und zum anderen offensichtliche Fehler bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips oder eine falsche Anwendung dieses Grundsatzes.

147    Zunächst sind die Rügen hinsichtlich einer falschen Anwendung des Vorsorgeprinzips zu prüfen.

148    Insoweit macht BASF erstens geltend, dass das Vorsorgeprinzip im Rahmen der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht außerhalb der Notfallverfahren nach den Art. 69 und 70 dieser Verordnung angewandt werden könne.

149    Zweitens habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass Fipronil die Kriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfülle, wie es ihr Art. 21 Abs. 3 dieser Verordnung vorschreibe. Insbesondere führe das hohe akute Risiko in Verbindung mit Staub, das die EFSA für Mais festgestellt habe, nicht zu unannehmbaren Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung von Bienenvölkern. Jedenfalls habe die Kommission nicht einmal ernsthafte Anhaltspunkte geliefert, die vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit von Fipronil erlaubten und den angefochtenen Rechtsakt rechtfertigten.

150    Drittens habe die Kommission im vorliegenden Fall die Anforderungen einer richtigen Anwendung des Vorsorgeprinzips nicht erfüllt.

151    Die Kommission tritt dem Vorbringen von BASF entgegen.

a)      Zur Frage, ob der angefochtene Rechtsakt auf der Anwendung des Vorsorgeprinzips beruht

152    Zunächst ist festzustellen, dass sich der angefochtene Rechtsakt u. a. auf das Vorsorgeprinzip stützt, auch wenn dieser Grundsatz in seinen Erwägungsgründen nicht gesondert erwähnt wird.

153    Aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 sowie aus ihrem Art. 1 Abs. 4 ergibt sich nämlich, dass sämtliche Bestimmungen dieser Verordnung auf dem Vorsorgeprinzip beruhen, um sicherzustellen, dass Wirkstoffe oder Produkte u. a. die Umwelt nicht beeinträchtigen. Daraus ergibt sich, dass jeder auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1107/2009 erlassene Rechtsakt ipso iure auf dem Vorsorgeprinzip beruht.

154    Außerdem ist die Anwendung des Vorsorgeprinzips nicht auf den Fall beschränkt, dass das Bestehen eines Risikos ungewiss ist, sondern kann auch erfolgen, wenn das Bestehen eines Risikos festgestellt wurde und die Kommission beurteilen muss, ob dieses Risiko hinnehmbar ist oder nicht (vgl. oben, Rn. 71 bis 73) oder wie ihm im Rahmen des Risikomanagements Rechnung zu tragen ist (vgl. oben, Rn. 74).

155    Das Vorbringen von BASF, wonach die Anwendung des Vorsorgeprinzips im Rahmen der Verordnung Nr. 1107/2009 auf die Notfallverfahren beschränkt sei, beruht auf der Annahme, dass das Vorsorgeprinzip bereits in die Bestimmungen dieser Verordnung integriert sei, insbesondere in seine Art. 69 und 70, die die Notfallverfahren regeln und die wesentlichen Merkmale der Anwendung dieses Grundsatzes festlegten. Daraus ergibt sich nach Ansicht von BASF, dass es nicht möglich ist, diesen Grundsatz im Rahmen anderer Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009 anzuwenden.

156    Um dieses Vorbringen zurückzuweisen, genügt der Hinweis, dass, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 sowie aus ihrem Art. 1 Abs. 4 ergibt, sämtliche Bestimmungen dieser Verordnung auf dem Vorsorgeprinzip beruhen, um sicherzustellen, dass Wirkstoffe oder Pflanzenschutzmittel u. a. die Umwelt nicht beeinträchtigen. Diese Grundlage beschränkt sich nicht auf die Art. 69 und 70 der Verordnung Nr. 1107/2009 über die Notfallverfahren. Wie die Kommission zu Recht vorträgt, wird diese Feststellung von der ständigen Rechtsprechung bestätigt, wonach das Vorsorgeprinzip bei der Bewertung der Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 anzuwenden ist (vgl. entsprechend Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 152 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), auf den Art. 21 Abs. 3 dieser Verordnung verweist.

b)      Zur Frage, ob die Kommission das Vorsorgeprinzip im Rahmen des Risikomanagements richtig angewendet hat

157    BASF macht verschiedene Rügen in Bezug auf die Art und Weise geltend, in der die Kommission das Vorsorgeprinzip im Rahmen des Risikomanagements angewendet habe. Insbesondere habe die Kommission keine Folgenabschätzung durchgeführt, BASF sei nicht in die Risikomanagementoptionen einbezogen gewesen und die getroffenen Maßnahmen seien unverhältnismäßig.

158    Zunächst ist die Rüge einer fehlenden Folgenabschätzung zu prüfen.

159    BASF trägt insoweit vor, die Kommission habe keine Abschätzung der potenziellen Vorteile und Nachteile der verhängten Beschränkungen und des Nichttätigwerdens durchgeführt, obwohl eine solche Analyse in Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip vorgesehen sei.

160    Die Kommission tritt dem Vorbringen von BASF entgegen.

161    Punkt 6.3.4 („Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile“) der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip hat folgenden Wortlaut:

„Die wahrscheinlichsten positiven und negativen Folgen, die mit der in Betracht gezogenen Maßnahme oder mit einem Nichttätigwerden verbunden sind, sind gegeneinander abzuwägen; ferner ist zu prüfen, welche Gesamtkosten sich daraus kurz- oder langfristig für die [Union] ergeben. Die geplanten Vorsorgemaßnahmen sollten insgesamt gesehen dazu beitragen können, das Risiko auf ein zumutbares Niveau zu senken.

Die Abwägung der Vor- und Nachteile darf sich nicht auf eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse beschränken. Sie muss weiter angelegt sein und auch andere als wirtschaftliche Erwägungen einbeziehen.

Die Prüfung der Vor- und Nachteile sollte eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse umfassen, sofern diese zweckmäßig und durchführbar ist.

Es können aber auch andere Analysemethoden herangezogen werden, z. B. Methoden zur Feststellung der Wirksamkeit möglicher Optionen oder der Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Gesellschaft ist nämlich unter Umständen bereit, zum Schutz eines von ihr als wesentlich anerkannten Interesses – z. B. der Umwelt oder der Gesundheit – größere Opfer zu bringen.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Kommission der Auffassung, dass den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit unzweifelhaft größeres Gewicht beizumessen ist als wirtschaftlichen Erwägungen.

Bevor Maßnahmen getroffen werden, sind die mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung sollte eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse umfassen, sofern dies zweckmäßig und durchführbar ist. Auch andere Analysemethoden – z. B. zur Ermittlung der Wirksamkeit und der sozioökonomischen Auswirkungen der möglichen Optionen – kommen in Frage. Im Übrigen kann sich der Entscheidungsträger auch von anderen als wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen, z. B. vom Anliegen des Gesundheitsschutzes.“

162    Zunächst ist insoweit festzustellen, dass Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip vorsieht, dass eine Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile zu erfolgen hat. Hingegen sind das Format und der Umfang dieser Abwägung nicht näher dargelegt. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass die betreffende Behörde verpflichtet wäre, ein spezielles Bewertungsverfahren einzuleiten, das z. B. mit einem formellen schriftlichen Bewertungsbericht endet. Außerdem kommt der Behörde, die das Vorsorgeprinzip anwendet, nach dem Wortlaut ein erheblicher Ermessensspielraum hinsichtlich der Analysemethoden zu. Die Mitteilung weist nämlich zwar darauf hin, dass die Abwägung eine wirtschaftliche Analyse umfassen „sollte“, doch hat die betreffende Behörde jedenfalls auch andere als wirtschaftliche Erwägungen einzubeziehen. Außerdem wird ausdrücklich dargelegt, dass möglicherweise unter gewissen Umständen wirtschaftliche Erwägungen als weniger bedeutsam angesehen werden müssen als andere als wesentlich anerkannte Interessen; als Beispiel werden ausdrücklich Interessen wie die Umwelt oder die Gesundheit angeführt.

163    Außerdem ist es nicht erforderlich, dass die wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse auf der Grundlage einer genauen Berechnung der jeweiligen Kosten der in Betracht gezogenen Maßnahme oder des Nichttätigwerdens erfolgt. Solche genauen Berechnungen werden in den meisten Fällen unmöglich sein, da ihre Ergebnisse im Rahmen der Anwendung des Vorsorgeprinzips von verschiedenen, definitionsgemäß unbekannten Variablen abhängen. Wenn nämlich alle Folgen des Nichttätigwerdens sowie der Maßnahme bekannt wären, wäre es nicht erforderlich, das Vorsorgeprinzip heranzuziehen, sondern es wäre möglich, auf der Grundlage von Gewissheiten zu entscheiden. Im Ergebnis genügt es den Anforderungen der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip, wenn die betreffende Behörde, im vorliegenden Fall die Kommission, sich tatsächlich mit den positiven und negativen, wirtschaftlichen und anderen möglichen Auswirkungen der in Betracht gezogenen Maßnahme sowie des Nichttätigwerdens vertraut gemacht und sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat. Hingegen ist es nicht erforderlich, diese Auswirkungen genau zu beziffern, wenn dies nicht möglich ist oder unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.

164    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Rn. 165 der Klagebeantwortung ausgeführt, dass BASF „sich irrt, wenn sie sagt, dass die Kommission das Für und das Wider der angefochtenen Maßnahme vor ihrem Erlass nicht gewichtet [habe]“. Sie hat jedoch in keiner Weise dargetan, dass eine solche Analyse tatsächlich stattgefunden hat. Dazu in der mündlichen Verhandlung befragt hat die Kommission eingeräumt, dass es keinen schriftlichen Beleg gebe. Sie hat jedoch vorgetragen, dass, da die Entscheidung über Fipronil nach derjenigen über die Neonicotinoide getroffen worden sei, die „politische Ebene“, d. h. das Kollegium der Kommissionsmitglieder, die Analyse gekannt habe, die für die Zwecke der früheren Entscheidung durchgeführt worden sei.

165    Darüber hinaus hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung zum rein wirtschaftlichen Aspekt einer solchen Analyse (wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse) erklärt, dass die Mitteilung über das Vorsorgeprinzip eine solche wirtschaftliche Analyse nur vorsehe, „sofern dies zweckmäßig und durchführbar ist“. Der Gesetzgeber habe jedoch im Rahmen der Verordnung Nr. 1107/2009 diese Analyse bereits im Voraus durchgeführt, indem er gemäß dem 24. Erwägungsgrund dieser Verordnung dem Ziel, u. a. die Umwelt zu schützen, Vorrang eingeräumt habe vor dem Ziel, die Pflanzenproduktion zu verbessern.

166    Erstens ist insoweit darauf hinzuweisen, dass in Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip, auf den sich die Kommission bezieht, der Vorbehalt über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit tatsächlich nur den rein wirtschaftlichen Aspekt der Folgenabschätzung betrifft, während die Analyse als solche unter allen Umständen erforderlich ist.

167    Zweitens stützt der 24. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 das Vorbringen der Kommission nicht, selbst im Hinblick auf den rein wirtschaftlichen Aspekt der Folgenabschätzung. Nach dem klaren Wortlaut dieses Erwägungsgrundes betrifft dieser nämlich nur die Erteilung einer Zulassung für Pflanzenschutzmittel (auf nationaler Ebene) und nicht die Genehmigung der Wirkstoffe (auf Unionsebene), die in diesen Pflanzenschutzmitteln enthalten sind.

168    Drittens hat das Gericht zwar auf der Grundlage von Art. 11 AEUV und Art. 114 Abs. 3 AEUV anerkannt, dass im Rahmen der Anwendung der Verordnung Nr. 1107/2009 der Schutz der Umwelt vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen hat, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. die oben in Rn. 55 angeführte Rechtsprechung), wobei diese Formel im Übrigen in Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgegriffen wird.

169    Das allgemeine Postulat eines solchen Grundsatzes kann jedoch nicht als vorweggenommene Ermessensausübung durch den Gesetzgeber angesehen werden, die die Kommission von der Durchführung einer Abschätzung der Vorteile und Nachteile einer konkreten Maßnahme entbände. Eine Folgenabschätzung betrifft nämlich eine konkrete Maßnahme des Risikomanagements; eine solche Abschätzung kann daher nur unter Berücksichtigung der spezifisch relevanten Umstände des Einzelfalls und nicht allgemein und im Voraus für alle Fälle der Anwendung einer Norm vorgenommen werden. Daher ist das Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung zurückzuweisen, das sich darauf stützt, dass das Kollegium der Kommissionsmitglieder die Folgenabschätzung betreffend die Beschränkungen der Genehmigung der Neonicotinoide gekannt habe.

170    Viertens ist die in Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip enthaltene Verpflichtung, eine Folgenabschätzung durchzuführen, letztlich nur eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Somit würde das Vorbringen der Kommission bedeuten, dass sie im Rahmen der Anwendung der Verordnung Nr. 1107/2009 von der Beachtung dieses Grundsatzes befreit wäre, zumindest was seinen wirtschaftlichen Aspekt betrifft. In einem Bereich, in dem die Kommission über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, ist jedoch die Behauptung, dass sie das Recht hätte, Maßnahmen zu treffen, ohne deren Vorteile und Nachteile bewerten zu müssen, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar. Die Einräumung eines Ermessensspielraums für die Verwaltung hat nämlich notwendig und unerlässlich eine Verpflichtung zur Folge, dieses Ermessen auch auszuüben und alle dafür relevanten Informationen zu berücksichtigen. Dies gilt erst recht im Rahmen der Anwendung des Vorsorgeprinzips, bei der die Verwaltung Maßnahmen trifft, die die Rechte der Einzelnen nicht auf Grundlage einer wissenschaftlichen Gewissheit, sondern auf Grundlage einer Ungewissheit beschränken: Wenn der Einzelne es hinnehmen muss, dass ihm eine wirtschaftliche Tätigkeit verboten werden kann, selbst wenn gar nicht sicher ist, dass sie mit einem unannehmbaren Risiko verbunden ist, dann muss zumindest von der Verwaltung verlangt werden, dass sie die Folgen ihres Tätigwerdens für die verschiedenen beteiligten Interessen, verglichen mit den möglichen Folgen ihres Nichttätigwerdens, möglichst vollständig bewertet.

171    Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Kommission nach dem Vorsorgeprinzip verpflichtet war, eine Folgenabschätzung der geplanten Maßnahmen durchzuführen. Wie aus den vorstehenden Rn. 162 und 163 hervorgeht, waren die formellen und materiellen Anforderungen insoweit maßvoll.

172    Die Kommission hat jedoch eingeräumt, dass es keinen schriftlichen Beleg einer solchen Analyse gibt. Da davon auszugehen ist, dass jede, selbst summarische Analyse schriftlichen Niederschlag in der Verwaltungsakte gefunden hätte, und da die Kommission vorgetragen hat, das Kollegium der Kommissionsmitglieder sei durch die Folgenabschätzung im Rahmen der Beschränkung der Genehmigung der Neonicotinoide hinreichend unterrichtet gewesen, ist aus diesem Fehlen eines schriftlichen Belegs zu schließen, dass eine Folgenabschätzung der in dem angefochtenen Rechtsakt verhängten Beschränkungen in Wahrheit nicht durchgeführt worden ist.

173    Somit ist der Rüge einer fehlenden Folgenabschätzung und folglich dem Klagegrund eines Verstoßes gegen das Vorsorgeprinzip stattzugeben. Da sich der angefochtene Rechtsakt auf diesen Grundsatz stützt, sind seine Art. 1, 3 und 4 aus diesem Grund für nichtig zu erklären, ohne dass die anderen Klagegründe und Argumente von BASF zu prüfen wären.

IV.    Kosten

174    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission im Wesentlichen unterlegen ist, ist sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten sowie gemäß dem Antrag von BASF zur Tragung von deren Kosten und gemäß dem Antrag der ECPA und der ESA, die dem Verfahren als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge von BASF beigetreten sind, zur Tragung von deren Kosten zu verurteilen.

175    Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall ist zu entscheiden, dass der DBEB, der ÖEB und der ÖIB, die dem Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Art. 1, 3 und 4 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 781/2013 der Kommission vom 14. August 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung des Wirkstoffs Fipronil und zum Verbot der Verwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die diesen Wirkstoff enthalten, werden für nichtig erklärt.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten, die Kosten der BASF Agro BV und der anderen Klägerinnen, deren Namen im Anhang angeführt sind, sowie die der Association européenne pour la protection des cultures (ECPA) und der European Seed Association (ESA).

4.      Der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V., der Österreichische Erwerbsimkerbund und der Österreichische Imkerbund (ÖIB) tragen ihre eigenen Kosten.

Kanninen

Pelikánová

Buttigieg

Gervasoni

 

      Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2018.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis





*      Verfahrenssprache: Englisch.


1      Die Liste der Klägerinnen ist nur der Fassung beigefügt, die den Parteien mitgeteilt wird.