Language of document : ECLI:EU:C:2023:115

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 16. Februar 2023(1)

Rechtssache C488/21

GV

gegen

Chief Appeals Officer,

Social Welfare Appeals Office,

Minister for Employment Affairs and Social Protection,

Irland,

Attorney General

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [Berufungsgericht, Irland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit – Familienangehöriger eines EU-Arbeitnehmers, der von diesem abhängig ist – Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen – Kreis der Berechtigten – Aufenthaltsrecht des Verwandten in gerader aufsteigender Linie vorbehaltlich des Erfordernisses einer fortdauernden Abhängigkeit – Unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats – Gleichbehandlung der Familienangehörigen des mobilen EU-Arbeitnehmers“






I.      Einleitung

1.        Nach dem Unionsrecht dürfen manche Familienangehörige eines mobilen EU-Arbeitnehmers – darunter die Eltern eines solchen Arbeitnehmers, die von diesem abhängig sind – zu diesem EU-Arbeitnehmer in den Mitgliedstaat ziehen, in dem dieser lebt und arbeitet. Verliert ein Elternteil, wenn er im Aufnahmemitgliedstaat Sozialleistungen in Anspruch nimmt, sein auf dem Unionsrecht beruhendes Aufenthaltsrecht? Dürfen die Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten, dass dieser Elternteil ihre Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nimmt? Im Übrigen: Was ist überhaupt darunter zu verstehen, dass ein Elternteil von einem mobilen EU-Arbeitnehmer abhängig ist?

2.        Dies sind im Kern die Hauptfragen, die durch das vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) dem Gerichtshof vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfen werden.

3.        Zwar hatte der Gerichtshof bereits mehrfach zu klären, welche Rechte abhängige Familienangehörige nach dem Unionsrecht genießen und wie diese Rechte entstehen; die meisten dieser Fälle betrafen jedoch abhängige Verwandte in gerader absteigender Linie(2) oder Ehegatten(3). Der vorliegende Fall bietet dem Gerichtshof daher Gelegenheit zur näheren Auslegung der Rechte, die den Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, die von diesem abhängig sind, zustehen.

II.    Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

4.        GV besitzt die rumänische Staatsangehörigkeit und ist die Mutter von AC, einer rumänischen Staatsangehörigen, die in Irland wohnt und arbeitet. AC ist zudem eingebürgerte irische Staatsbürgerin. GV zog 2017 zu ihrer Tochter nach Irland und wohnt seitdem dort. Es steht fest, dass sie sich als Elternteil einer mobilen EU-Arbeitnehmerin, der von dieser abhängig ist, rechtmäßig in Irland aufhält.

5.        GV hielt sich mehrmals, u. a. zwischen 2009 und 2011, in Irland auf und kehrte später nach Rumänien zurück. In der Zeit von 2011 bis 2016 pendelte sie zwischen Irland, Rumänien und Spanien, wo ihre andere Tochter wohnt. Sie lebt seit 15 Jahren von ihrem Mann getrennt und ist seitdem finanziell von AC abhängig, die ihr regelmäßig Geld geschickt hat.

6.        2017 traten bei GV degenerative Veränderungen ihrer Arthritis auf. Am 28. September 2017 stellte GV einen Antrag auf Invaliditätsbeihilfe nach dem Social Welfare Consolidation Act 2005 (konsolidiertes Sozialschutzgesetz von 2005) in geänderter Fassung.

7.        Dem vorlegenden Gericht zufolge soll die von GV beantragte Invaliditätsbeihilfe vor Armut schützen. Es handelt sich um eine Sozialhilfeleistung, die aus dem allgemeinen Haushalt gezahlt wird, ohne dass der Betreffende Sozialversicherungsbeiträge entrichten müsste. Die Leistung wird, mit anderen Worten, aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Die Invaliditätsbeihilfe erfüllt die Kriterien einer „besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung“ im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004(4). Sie kann daher nur im Wohnsitzmitgliedstaat in Anspruch genommen werden(5), was bedeutet, dass GV diese Leistung nicht in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, verlangen könnte, da sie in Irland wohnhaft ist.

8.        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass in Irland eine Invaliditätsbeihilfe nur von Personen beansprucht werden kann, die bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf Alter, Behinderung und Einkommen erfüllen. Vor allem kann die Beihilfe nur Personen gewährt werden, die das allgemeine Rentenalter noch nicht erreicht haben(6). Weitere Anspruchsvoraussetzungen sind u. a. medizinische Kriterien und eine Bedürftigkeitsprüfung. Bei dieser Prüfung werden alle Einnahmen berücksichtigt, die jemand von einem Familienangehörigen bezieht.

9.        Insbesondere schließt das irische Recht die Zahlung der Invaliditätsbeihilfe an eine Person aus, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Irland hat(7). Eine Voraussetzung für den gewöhnlichen Aufenthalt ist, dass die betreffende Person berechtigt ist, sich in Irland aufzuhalten.

10.      Mit Bescheid vom 27. Februar 2018 wurde GVs Antrag abgelehnt. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde am 12. Februar 2019 zurückgewiesen. Dies wurde jeweils damit begründet, dass GV kein Recht auf Aufenthalt in Irland habe.

11.      Auf den von einer Nichtregierungsorganisation im Namen von GV gestellten Antrag hin wurde der Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2019 überprüft.

12.      Mit Bescheid vom 2. Juli 2019 stellte der Appeals Officer (Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit) fest, dass GV als Verwandte in gerader aufsteigender Linie einer in Irland beschäftigten Unionsbürgerin, die von dieser abhängig sei, zwar ein Aufenthaltsrecht habe, dass ihr aber keine Sozialhilfe zustehe.

13.      Daraufhin wurde eine Überprüfung dieses Bescheids beim Chief Appeals Officer (Leiter der Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit) (Erstbeklagter vor dem vorlegenden Gericht) beantragt, der mit Entscheidung vom 23. Juli 2019 bestätigte, dass GV keine Invaliditätsbeihilfe zustehe. Dies wurde damit begründet, dass GV nach der irischen Regelung, mit der die Unionsbürgerrichtlinie(8) umgesetzt worden sei, die nationalen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nehmen dürfe.

14.      Die einschlägige irische Regelung ist, wie vom vorlegenden Gericht dargelegt, die European Communities (Free Movement of Persons) Regulations 2015 (Verordnung von 2015 über die Freizügigkeit in den Europäischen Gemeinschaften, im Folgenden: Verordnung von 2015) (S.I. No. 548 von 2015). Regulation 11(1) der Verordnung von 2015 sieht die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsrechts in Irland mit folgender Maßgabe vor:

„Wer sich gemäß Regulation 6(9), 9 oder 10 im Staat aufhält, darf sich so lange dort weiterhin aufhalten, wie er die einschlägigen Bestimmungen der betreffenden Regulation erfüllt und die staatlichen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nimmt.“

15.      GV beantragte eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung vom 23. Juli 2019 vor dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland). Mit Urteil vom 29. Mai 2020 hob dieses Gericht die angefochtene Entscheidung auf. Nach seiner Ansicht ist das irische Recht mit der Unionsbürgerrichtlinie unvereinbar, soweit es das Aufenthaltsrecht eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers davon abhängig mache, dass dieser Familienangehörige die staatlichen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nehme. Wenn also ein Familienangehöriger zum Zeitpunkt seines Einzugs bei dem EU-Arbeitnehmer nachweislich von Letzterem abhängig sei, sei es für die Aufrechterhaltung seines Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat nicht erforderlich, dass er von dem EU-Arbeitnehmer abhängig bleibe.

16.      Der Chief Appeals Officer und der Minister for Employment Affairs and Social Protection (Minister für Beschäftigung und Sozialschutz, Irland) legten gegen dieses Urteil Berufung beim Court of Appeal, dem vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache, ein.

17.      Der Minister for Employment Affairs and Social Protection trägt vor, die Definition des Begriffs „Familienangehöriger“ in Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie enthalte das Erfordernis, dass der betreffende Familienangehörige von dem Unionsbürger so lange abhängig sei, wie das abgeleitete Aufenthaltsrecht geltend gemacht werde. Wenn das Abhängigkeitsverhältnis ende, verliere dieser Familienangehörige also sein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. GV wäre, sobald sie die Invaliditätsbeihilfe erhielte, nicht mehr von ihrer Tochter abhängig, so dass ihr kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß dieser Richtlinie mehr zustünde.

18.      GV entgegnet im Kern, Regulation 11(1) der Verordnung von 2015 sei insoweit ungültig, als für die Familienangehörigen eines Unionsbürgers die Bedingung der „unangemessenen Inanspruchnahme“ vorgeschrieben werde, während eine solche Bedingung in Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie nicht enthalten sei. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff der Abhängigkeit bestätige ihren Standpunkt. Im Übrigen verstoße die Argumentation des Minister for Employment Affairs and Social Protection gegen ihr Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie.

19.      Da der Court of Appeal Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des irischen Rechts mit der Unionsbürgerrichtlinie hegt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist das abgeleitete Aufenthaltsrecht eines Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines Unionsbürgers, der Arbeitnehmer ist, gemäß Art. 7 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie an die Bedingung geknüpft, dass dieser Verwandte weiterhin von dem Arbeitnehmer abhängig ist?

2.      Hindert die Unionsbürgerrichtlinie einen Aufnahmemitgliedstaat daran, den Zugang eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers – der Arbeitnehmer ist –, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zukommt, weil er von diesem Arbeitnehmer abhängig ist, zu einer Sozialhilfeleistung zu beschränken, wenn der Zugang zu einer solchen Leistung bedeuten würde, dass er nicht mehr von diesem Arbeitnehmer abhängig wäre?

3.      Hindert die Unionsbürgerrichtlinie einen Aufnahmemitgliedstaat daran, den Zugang eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers – der Arbeitnehmer ist –, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zukommt, weil er von diesem Arbeitnehmer abhängig ist, zu einer Sozialhilfeleistung mit der Begründung zu beschränken, dass die Zahlung der Leistung dazu führen würde, dass der betreffende Familienangehörige Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nähme?

20.      GV, der Chief Appeals Officer, das Social Welfare Appeals Office (Irland), der Minister for Employment Affairs and Social Protection, der Attorney General (Generalstaatsanwalt) (im Folgenden: die Beklagten), die tschechische, die dänische und die deutsche Regierung sowie Irland und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Am 18. Oktober 2022 hat eine Sitzung stattgefunden, in der sich GV, die Beklagten, die tschechische, die dänische und die deutsche Regierung sowie Irland und die Kommission mündlich geäußert haben.

III. Einschlägiges Unionsrecht

A.      Unionsbürgerrichtlinie

21.      Nach Art. 2 Nr. 2 der Unionsbürgerrichtlinie bezeichnet im Sinne dieser Richtlinie der Ausdruck

„‚Familienangehöriger‘

a)      den Ehegatten;

b)      den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)      die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)      die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird“.

22.      Art. 7 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie bestimmt:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)      Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)      für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)      – bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

–      über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)      ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.“

23.      Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie lautet:

„(1)      Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.

(2)      Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“

B.      Arbeitnehmerverordnung

24.      Art. 7 der Arbeitnehmerverordnung(10) sieht, soweit vorliegend von Bedeutung, vor:

„(1)      Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2)      Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.

…“

IV.    Rechtliche Würdigung

A.      Vorfragen

25.      Ein von den Verfahrensbeteiligten erörterter Punkt war, dass die Unionsbürgerrichtlinie, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht hat, als solche nicht auf den Sachverhalt des vorliegenden Falles anwendbar ist. Obwohl ich den Argumenten der Verfahrensbeteiligten insoweit zustimme, werde ich dennoch kurz erläutern, warum eine Auslegung der Unionsbürgerrichtlinie für das vorlegende Gericht gleichwohl sinnvoll ist.

26.      Die Unionsbürgerrichtlinie gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

27.      Diese Richtlinie regelt daher nicht die abgeleiteten Rechte der Familienangehörigen eines Unionsbürgers in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Bürger besitzt.

28.      Da AC die irische Staatsangehörigkeit erworben hat, gilt die Unionsbürgerrichtlinie ab dem Zeitpunkt ihrer Einbürgerung nicht mehr für die ihrer Mutter in Irland zustehenden Rechte.

29.      Auch wenn die Unionsbürgerrichtlinie als solche nicht die Situation erfasst, die im vorliegenden Fall zum Rechtsstreit geführt hat, hat der Gerichtshof doch bereits entschieden, dass sie auf ähnliche Situationen „entsprechend“ anwendbar ist(11).

30.      Das abgeleitete Aufenthaltsrecht eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers kann sich unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ergeben. Wie der Gerichtshof klargestellt hat, darf einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben hat und dort aufhält, das unionsrechtlich garantierte Recht, in diesem Staat ein Familienleben zu führen, nicht allein deshalb verwehrt werden, weil er in der Folge die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats erwirbt(12).

31.      Um eine Situation zu vermeiden, in der Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich so weitgehend in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats integriert haben, dass sie dessen Staatsangehörigkeit erworben haben, im Hinblick auf ihr Familienleben ungünstiger behandelt werden als Unionsbürger, die ebenfalls von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, aber nur die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftsstaats behalten haben, legt die Unionsbürgerrichtlinie den Mindestinhalt der abgeleiteten Rechte von Familienangehörigen eingebürgerter Bürger fest.

32.      Die Unionsbürgerrichtlinie beeinflusst somit die Auslegung des im vorliegenden Fall anwendbaren Art. 21 Abs. 1 AEUV, indem sie dessen Mindestinhalt konkretisiert.

33.      Die Auslegung der Unionsbürgerrichtlinie durch den Gerichtshof wird dem vorlegenden Gericht bei der Beurteilung der Frage hilfreich sein, ob der Chief Appeals Officer mit seiner Entscheidung die Rechte verletzt hat, die Art. 21 Abs. 1 AEUV sowohl AC als auch GV verleiht. Der Gerichtshof darf daher die auf die Auslegung der Unionsbürgerrichtlinie gerichteten Vorlagefragen beantworten.

34.      Außerdem ist nach meinem Dafürhalten auch die Arbeitnehmerverordnung mittelbar auf das Ausgangsverfahren anwendbar. Sie konkretisiert den Mindestinhalt der primären Freizügigkeitsrechte mobiler EU-Arbeitnehmer, welche die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats, in den sie sich begeben haben, durch Einbürgerung erworben haben(13). Der Umstand, dass das vorlegende Gericht seine Fragen auf die Auslegung der Unionsbürgerrichtlinie beschränkt hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm für seine Entscheidung von Nutzen sein können(14).

35.      Aus diesem Grund werde ich vorschlagen, Art. 45 Abs. 2 AEUV nach Maßgabe der Arbeitnehmerverordnung auszulegen, soweit mir dies für den vorliegenden Fall, insbesondere für die Beurteilung der dritten Vorlagefrage, sachdienlich erscheint. Dementsprechend werde ich dem Gerichtshof auch einen Vorschlag machen, wie diese Frage umzuformulieren wäre, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu erteilen.

B.      Beantwortung der Vorlagefragen

36.      Der Hauptgrund für die vorliegende Rechtssache liegt in der Verordnung von 2015, einer gesetzlichen Maßnahme, mit der Irland die Unionsbürgerrichtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt hat. Mit diesem Rechtsakt werden die Begriffsbestimmungen für die Familienangehörigen(15) sowie die Vorschriften über das Aufenthaltsrecht für Familienangehörige(16), wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie enthalten sind, fast wortwörtlich umgesetzt.

37.      Die Verordnung von 2015 regelt u. a. die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts, und zwar auch für Familienangehörige. Regulation 11(1) dieser Verordnung (siehe Nr. 14 dieser Schlussanträge) knüpft die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Verwandten in gerader aufsteigender Linie im Wesentlichen an zwei Voraussetzungen: Erstens muss der Verwandte in gerader aufsteigender Linie von dem mobilen Unionsbürger abhängig sein(17); zweitens darf dieser Verwandte die staatlichen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

38.      Verfügt der Verwandte in gerader aufsteigender Linie über kein Aufenthaltsrecht in Irland, so hat er keinen Anspruch auf Invaliditätsbeihilfe. Beide Argumente – Ende der Abhängigkeit wie auch unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen – wurden in den verschiedenen Entscheidungen angeführt, mit denen GVs Antrag auf Invaliditätsbeihilfe abgelehnt wurde.

39.      Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine dieser beiden Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts in Irland unionsrechtlich zulässig ist.

40.      Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich folgendermaßen vorgehen. Ich werde die Fragen in der Reihenfolge prüfen, wie sie gestellt wurden. Die erste Frage wirft jedoch zwangsläufig eine weitere Frage auf, die auch für die Beantwortung der zweiten Frage relevant ist: Was ist unter Abhängigkeit zu verstehen? Nachdem ich meine Meinung zur ersten Frage dargelegt habe, werde ich daher auf diese Zusatzfrage eingehen, bevor ich mich der zweiten und der dritten Frage zuwende.

1.      Erste Frage: Ist Abhängigkeit eine dauerhafte Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht?

41.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es gemäß Art. 21 Abs. 1 AEUV, konkretisiert durch Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie(18), ausreicht, dass das Abhängigkeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt bestand, als der Verwandte in gerader aufsteigender Linie dem mobilen EU-Arbeitnehmer in den Aufnahmestaat nachfolgte, oder ob es sich dabei um eine dauerhafte Voraussetzung für das Bestehen des abgeleiteten Rechts auf Aufenthalt in diesem Staat handelt.

42.      Hierzu tragen GV und die Kommission vor, die Abhängigkeit brauche nur zum Zeitpunkt des Zuzugs des Elternteils zu dem mobilen Arbeitnehmer in den Aufnahmestaat bestehen. Zur Begründung dieser Ansicht berufen sie sich auf die Urteile in den Rechtssachen Jia(19) und Reyes(20). In diesen Rechtssachen hat der Gerichtshof bestätigt, dass die Abhängigkeit eines Familienangehörigen von einem Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (oder von einem Ehegatten eines Unionsbürgers, der von diesem Recht Gebrauch gemacht hat), bereits im Herkunftsland – vor dem Erwerb des Aufenthaltsrechts im Aufnahmestaat – bestanden haben muss(21).

43.      Die Beklagten und die anderen beteiligten Regierungen entgegnen, GV könne das abgeleitete Aufenthaltsrecht nur so lange zustehen, wie sie von ihrer Tochter abhängig sei. Die Abhängigkeit sei deshalb eine dauerhafte Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie und würde enden, wenn ihr Invaliditätsbeihilfe von den irischen Behörden gewährt würde.

44.      In den von der Klägerin des Ausgangsverfahrens angeführten Rechtssachen Jia und Reyes hatte der Gerichtshof über die Zulässigkeit der Voraussetzungen für den Erwerb des Rechts auf eine Aufenthaltserlaubnis bei der Ankunft im Aufnahmestaat zu befinden. In keiner dieser Rechtssachen ging es um die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsrechts. Außerdem verfügt GV – anders als die Antragsteller in jenen beiden Rechtssachen, denen die Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde – im vorliegenden Fall bereits über ein Aufenthaltsrecht in Irland. Die Feststellungen des Gerichtshofs in den Urteilen Jia und Reyes tragen daher nicht zur Klärung der Situation in der vorliegenden Rechtssache bei.

45.      Diese beiden Rechtssachen schließen somit nicht die Feststellung aus, dass die Abhängigkeit als Grundlage für ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, wie die Beklagten und die beteiligten Regierungen geltend machen, so lange bestehen muss, wie sich der Elternteil im Aufnahmestaat aufhält.

46.      Ich neige dazu, mich dieser letzteren Auffassung anzuschließen.

47.      Das abgeleitete Aufenthaltsrecht ist unbestreitbar kein eigenständiges Recht der Verwandten in gerader aufsteigender Linie. Dieses Recht steht ihnen – nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d in Verbindung mit Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie – zu, weil sie abhängige Verwandte in gerader aufsteigender Linie sind. Ein solches Aufenthaltsrecht unterscheidet sich von dem unmittelbaren Aufenthaltsrecht, das eine solche Person ebenfalls erwerben kann(22), dadurch, dass es mit der Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch einen mobilen Unionsbürger, hier einen Arbeitnehmer, verknüpft ist und davon abhängt. Es erscheint mir daher folgerichtig, dass die Abhängigkeit von diesem Unionsbürger nach dem Zuzug eines nahen Familienangehörigen in den Aufnahmestaat fortbestehen muss.

48.      Art. 14 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, der die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts regelt, stellt im Übrigen klar, dass Familienangehörige die Rechte aus Art. 7 dieser Richtlinie behalten, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen. Da diese Bestimmung auf Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Unionsbürgerrichtlinie verweist, kann dies so verstanden werden, dass das Aufenthaltsrecht so lange besteht, wie ein Abhängigkeitsverhältnis gegeben ist.

49.      Schließlich rechtfertigt gerade die Abhängigkeit eines Verwandten in gerader aufsteigender Linie von seinem Kind das Recht dieses Verwandten, sich im Aufnahmestaat aufzuhalten. Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, soll die Unionsbürgerrichtlinie die Ausübung des elementaren Rechts auf Freizügigkeit erleichtern und stärken(23). Das abgeleitete Aufenthaltsrecht eines Verwandten in gerader aufsteigender Linie trägt somit dazu bei, dass der mobile EU-Arbeitnehmer sein Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen kann.

50.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass Art. 21 Abs. 1 AEUV, konkretisiert durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. d und Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie, dahin auszulegen ist, dass die Bedingung, dass der Verwandte in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers von diesem abhängig ist, so lange erfüllt sein muss, wie das Aufenthaltsrecht dieses Verwandten von dem Freizügigkeitsrecht abgeleitet wird, das der Arbeitnehmer ausübt.

51.      Eine andere Frage ist indes, ob ein Antrag auf Invaliditätsbeihilfe bedeutet, dass das betreffende Abhängigkeitsverhältnis beendet ist. Die Antwort auf diese Frage erfordert zunächst eine Auslegung des Begriffs der Abhängigkeit.

2.      Zum Begriff der Abhängigkeit

52.      Aus Art. 2 Nr. 2 Buchst. d in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie ergibt sich, dass ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nur abhängigen Verwandten in gerader aufsteigender Linie zusteht(24).

53.      In der Unionsbürgerrichtlinie wird jedoch nicht näher erläutert, was unter dieser „Abhängigkeit“ des Verwandten in gerader aufsteigender Linie zu verstehen ist(25). Tatsächlich weichen die verschiedenen Sprachfassungen von Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie voneinander ab. So heißt es, um nur einige Beispiele zu nennen, in der englischen Fassung „dependent“, in der französischen Fassung „à charge“, in der deutschen Fassung „Unterhalt gewährt wird“, in der italienischen Fassung „a carico“, in der kroatischen Fassung „uzdržavanici“, in der niederländischen Fassung „te hunnen laste“, in der polnischen Fassung „utrzymaniu“ und in der rumänischen Fassung „în întreținere“.

54.      Auch wenn einige dieser Sprachfassungen nur eine finanzielle oder materielle Abhängigkeit vorzugeben scheinen, gibt es Gründe, sich zu fragen, ob die Richtlinie sich nur auf eine solche Abhängigkeit bezieht. Mit anderen Worten: Ist eine Person nur dann abhängig im Sinne dieser Richtlinie, wenn sie auf die finanzielle Unterstützung einer anderen Person angewiesen ist? Oder umfasst die Abhängigkeit auch andere Bedürfnisse, wie etwa die Notwendigkeit einer physischen oder emotionalen Unterstützung?

55.      Die Entstehungsgeschichte der Unionsbürgerrichtlinie scheint keine Antwort zu liefern. Die Definition der Familienangehörigen in Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie ergibt sich daraus, dass in diesen Gesetzestext der inhaltsgleiche Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68(26) übernommen wurde. Diese Bestimmung bezog sich auf „Verwandte … in aufsteigender Linie, denen … Unterhalt gewährt [wird]“(27), aber der Grund für die Verwendung dieses Zusatzes wurde weder in dem Rechtsakt noch in der hierzu ergangenen Rechtsprechung erläutert. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission für die Unionsbürgerrichtlinie enthielt in Art. 2 Nr. 2 Buchst. d diesen Zusatz nicht, sondern bezog sich nur auf „die Verwandten in aufsteigender Linie“(28). Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde jedoch der Wortlaut, wie er in der Verordnung Nr. 1612/68 enthalten war, wiederhergestellt, indem der Ausdruck „denen … Unterhalt gewährt wird“ wieder eingefügt wurde(29). Die Gründe für diese Änderung sind aus den Materialien nicht ersichtlich, so dass über die Absicht des Gesetzgebers nur spekuliert werden kann.

56.      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die beteiligten Regierungen verstehen den Begriff der Abhängigkeit so, dass damit nur die finanzielle Abhängigkeit gemeint sei. Folglich werde GV, sobald sie Invaliditätsbeihilfe erhalte, nicht mehr von ihrer Tochter abhängig sein. Sie werde dann vom Staat, nicht aber von ihrer Tochter abhängig sein.

57.      In der Tat hat der Gerichtshof in den das abgeleitete Aufenthaltsrecht naher Familienangehöriger betreffenden Rechtssachen bestätigt, dass der Bedarf an finanzieller Unterstützung als Abhängigkeit im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie gilt(30). In diesen Rechtssachen hatte der Gerichtshof jedoch nicht zu erläutern, was unter Abhängigkeit zu verstehen ist. Es war einfach so, dass der Sachverhalt in diesen Rechtssachen jeweils eine solche Form der Abhängigkeit betraf(31).

58.      Diese Rechtsprechung kann also nicht dahin verstanden werden, dass allein eine finanzielle Abhängigkeit für den Anspruch auf die abgeleiteten Aufenthaltsrechte nach der Unionsbürgerrichtlinie maßgeblich wäre. Meines Erachtens sprechen mehrere Gründe für ein anderes Ergebnis, nämlich dass es sich bei der Abhängigkeit im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie um einen weiter gefassten Begriff handelt, der auch emotionale und physische Bedürfnisse einschließt.

59.      Erstens ist die materielle oder finanzielle Abhängigkeit nach meiner Meinung der am wenigsten gewichtige Grund dafür, einem mobilen EU-Arbeitnehmer zu gestatten, dass er seine Eltern in den Aufnahmestaat, in dem er lebt und arbeitet, nachholt. Ginge es nur um eine finanzielle Unterstützung, könnte diese auch den in ihren Herkunftsländern verbleibenden Eltern gewährt werden. Sie brauchen nicht in den Aufnahmestaat zu kommen, um dort eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung für Nahrung oder Kleidung zu erhalten. Es könnte sogar billiger sein, diese Unterstützung im Herkunftsland der Eltern zu gewähren, wo die Lebenshaltungskosten möglicherweise niedriger sind als im Aufnahmestaat. Hingegen ist die emotionale und physische Unterstützung eines Elternteils zumeist unmöglich, wenn dieser nicht in der Nähe seiner Kinder lebt.

60.      Zweitens geht aus den Materialien zur Unionsbürgerrichtlinie eindeutig hervor, dass der Grund für die Anerkennung der abgeleiteten Rechte von Familienangehörigen darin bestand, die tatsächliche Inanspruchnahme des Rechts auf Achtung des Familienlebens zu ermöglichen(32). Dieses Grundrecht, das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)(33) anerkannt ist, umfasst auch emotionale Bindungen zwischen Familienangehörigen(34).

61.      Drittens steht eine so weite Auslegung des Begriffs der Abhängigkeit im Einklang mit dem Ziel der Unionsbürgerrichtlinie, das darin besteht, einen Beitrag zum Recht auf Freizügigkeit mobiler EU-Arbeitnehmer zu leisten. Wenn GV auf die Anwesenheit und Betreuung ihrer Tochter angewiesen wäre, aber nicht zu ihr in den Mitgliedstaat kommen könnte, in dem sie lebt und arbeitet, wäre die Tochter wahrscheinlich (zumindest bis zur Erfindung der Teleportation) gezwungen, den Aufnahmestaat zu verlassen, um sich zu ihrer Mutter in deren Herkunftsstaat zu begeben(35). Dadurch würde das Recht von AC, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, beeinträchtigt. Eine mobile EU-Arbeitnehmerin, Kind eines drittstaatsangehörigen und auf diese Art der Unterstützung angewiesenen Elternteils, könnte gezwungen sein, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

62.      Genau in diesem Zusammenhang erkennt der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung an, dass das Unionsrecht der Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten um Hindernisse bei der Ausübung der im Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu beseitigen(36).

63.      Schließlich finden sich in der Rechtsprechung Hinweise darauf, dass der Gerichtshof den Begriff der Abhängigkeit gemäß der Unionsbürgerrichtlinie weiter versteht als nur mit Blick auf finanzielle Bedürfnisse. So hat der Gerichtshof zunächst entschieden, dass Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie weit auszulegen ist(37).

64.      Außerdem hat die jüngste Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, der entferntere Familienangehörige betrifft, ein umfassenderes Verständnis der Abhängigkeit anerkannt(38). Obwohl die Rechte der Familienangehörigen aus Art. 3 Abs. 2 weniger weit gehen als ein automatisches Aufenthaltsrecht, wie es den Familienangehörigen zusteht, die unter Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie fallen, gibt es keinen Grund, den Begriff der „Abhängigkeit“ innerhalb dieser Richtlinie oder im Rahmen der verschiedenen Rechtsakte, die die Rechte der Familienangehörigen mobiler EU-Arbeitnehmer regeln, unterschiedlich aufzufassen(39).

65.      Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, den Begriff der Abhängigkeit weit zu fassen, nämlich so, dass diese immer dann gegeben ist, wenn eine Person der materiellen, finanziellen, physischen oder emotionalen Unterstützung durch einen Familienangehörigen bedarf. Daher könnte GV, auch wenn sie nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung ihrer Tochter angewiesen wäre, immer noch die Voraussetzung der Abhängigkeit erfüllen, auf der das abgeleitete Aufenthaltsrecht beruht.

3.      Zweite Frage – Kann der Zugang zu Sozialleistungen das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Verwandten in aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, der von diesem abhängig ist, beenden?

66.      Wie das vorlegende Gericht dargelegt hat, schließt das irische Recht die Zahlung der Invaliditätsbeihilfe an eine Person aus, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in diesem Staat hat. Ein gewöhnlicher Aufenthalt setzt voraus, dass die betreffende Person berechtigt ist, sich in Irland aufzuhalten. Irischen Staatsbürgern kann ein rechtmäßiger Aufenthalt in Irland völkerrechtlich nicht verwehrt werden. Staatsangehörige anderer Länder benötigen hingegen eine nach irischem Recht anerkannte Rechtsgrundlage, auf die sie ihr Aufenthaltsrecht stützen können. Eine solche Rechtsgrundlage ist Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie.

67.      Diese Rechtslage war Anlass für die zweite Frage des vorlegenden Gerichts. Mit dieser Frage möchte das Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 Abs. 1 AEUV nach Maßgabe der Unionsbürgerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Zahlung der Invaliditätsbeihilfe an den Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines Arbeitnehmers, der Unionsbürger ist, die Abhängigkeit dieses Verwandten von dem Arbeitnehmer beendet und damit sein abgeleitetes Aufenthaltsrecht hinfällig macht.

68.      Wenn der Gerichtshof meinem Antwortvorschlag zur ersten Frage zustimmt, dem zufolge das Abhängigkeitsverhältnis von Dauer sein muss, um das auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie beruhende Aufenthaltsrecht eines Verwandten in gerader aufsteigender Linie zu rechtfertigen, dann führt der Wegfall der Abhängigkeit des betreffenden Verwandten von dem mobilen Unionsbürger tatsächlich zum Ende des hierauf gestützten abgeleiteten Aufenthaltsrechts dieses Verwandten.

69.      Dies bedeutet jedoch nicht, dass durch die Beantragung einer Sozialleistung die Abhängigkeit des Verwandten in gerader aufsteigender Linie von dem mobilen Unionsbürger beendet würde.

70.      Erstens mag die Gewährung der Invaliditätsbeihilfe, sofern der Gerichtshof meinem Vorschlag entsprechend den Begriff der Abhängigkeit weit auslegt, die finanzielle Abhängigkeit (oder zumindest einen Teil davon) beseitigen, aber wohl nicht dem sonstigen Unterstützungsbedarf von Verwandten in aufsteigender Linie Rechnung tragen(40). Die irischen Behörden dürften kaum in der Lage sein, die Betreuung und emotionale Unterstützung eines Elternteils zu ersetzen.

71.      Selbst wenn also der Aufnahmestaat die finanziellen Kosten für den Lebensunterhalt des Elternteils in diesem Staat teilweise oder sogar vollständig übernähme, bliebe dieser Elternteil von dem mobilen Unionsbürger, von dem er sein Aufenthaltsrecht ableitet, abhängig, wenn er auf materielle, emotionale oder physische Unterstützung angewiesen wäre.

72.      Zweitens kann, auch wenn unter Abhängigkeit nur die notwendige materielle oder finanzielle Unterstützung zu verstehen ist, aus der Beantragung von Invaliditätsbeihilfe nicht automatisch geschlossen werden, dass das auf der Unionsbürgerrichtlinie beruhende Aufenthaltsrecht wegfiele, sofern die Beihilfe gewährt würde.

73.      Wie von der Kommission aufgezeigt, würde ein solcher Schluss zu einer unzulässigen Endlosschleife führen, nämlich zu folgendem Szenario: Sobald einem Familienangehörigen eine Sozialleistung gewährt wird, erlischt das Aufenthaltsrecht, was wiederum die Möglichkeit ausschließt, eine Sozialleistung zu erhalten. Ohne diese Sozialleistung wird der Familienangehörige aber wieder von dem mobilen Unionsbürger abhängig, was bedeutet, dass ihm ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zusteht und er eine Voraussetzung für den Antrag auf die Sozialleistung erfüllt. Und so weiter, immer im Kreis.

74.      Der Ausweg aus einem solchen Teufelskreis besteht darin, diesen an einem bestimmten Punkt zu durchbrechen. Folglich sollte die Eigenschaft des abhängigen Familienangehörigen eines Arbeitnehmers unabhängig von der Gewährung einer Beihilfe beurteilt werden.

75.      Der Gerichtshof hat eine solche Sichtweise schon in der Rechtssache Lebon anerkannt, in der es darum ging, ob die Tochter eines mobilen Unionsbürgers, die von diesem abhängig war, Anspruch auf eine belgische Sozialleistung, den sogenannten Minimex, hatte.

76.      In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass „ein Antrag auf Gewährung des Existenzminimums, den ein Familienangehöriger des Wanderarbeitnehmers, der diesem Unterhalt gewährt, stellt, diese Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, nicht berühren kann. Eine andere Entscheidung liefe darauf hinaus, dass die Gewährung des Existenzminimums dem Betroffenen die Eigenschaft eines Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, nehmen und folglich entweder die Streichung des Existenzminimums selbst oder sogar den Verlust des Aufenthaltsrechts rechtfertigen könnte. Eine solche Lösung würde es in der Praxis dem Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, verbieten, die Gewährung des Existenzminimums zu beantragen, und dadurch die dem Wanderarbeitnehmer zuerkannte Gleichbehandlung beeinträchtigen. Die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, ist somit ungeachtet der Gewährung des Existenzminimums zu beurteilen“(41). Zwar betraf das Urteil Lebon einen Verwandten in gerader absteigender Linie; es gibt jedoch keinen Grund, warum die gleiche Konsequenz nicht auch für Verwandten in gerader aufsteigender Linie gelten sollte(42).

77.      Selbst wenn man also unter Abhängigkeit nur den Bedarf an finanzieller Unterstützung versteht (was ich für eine zu enge Auslegung dieses Begriffs halte), wird die Abhängigkeit der unterstützten Person nicht deshalb beseitigt, weil der Mitgliedstaat eine solche Unterstützung gewährt.

78.      Besteht ein Anspruch auf die Invaliditätsbeihilfe (wofür nach irischem Recht medizinische und finanzielle Voraussetzungen erfüllt sein müssen), so bestätigt dies die Abhängigkeit, anstatt sie zu widerlegen. Würden die staatlichen Behörden den abhängigen Familienangehörigen nicht unterstützen, müsste nämlich die primäre Bezugsperson, ein mobiler EU-Arbeitnehmer, für den entsprechenden Unterstützungsbedarf aufkommen.

79.      Die Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung wie der Invaliditätsbeihilfe kann deshalb an der Abhängigkeit des Antragstellers nichts ändern.

80.      Als zusätzliches Argument für die vorstehende Schlussfolgerung möchte ich anmerken, dass Art. 7 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie weder in Buchst. a noch in Buchst. d vorschreibt, dass der Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen müsste, um nicht dem Sozialhilfesystem des Aufnahmemitgliedstaats zur Last zu fallen(43). Nur in den Buchst. b und c schreibt Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie die Selbstversorgung als Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht vor. Ich werde darauf bei der Erörterung des Arguments zurückkommen, dass ein Familienmitglied dem Sozialhilfesystem des Aufnahmestaats zur Last fallen könnte(44).

81.      Außerdem sollten, wie die Kommission argumentiert, Maßnahmen, die ein abhängiger Familienangehöriger trifft, um seine Autonomie im Aufnahmemitgliedstaat zu stärken, keinesfalls dazu führen, dass ihm sein Aufenthaltsrecht entzogen wird.

82.      Andernfalls würde dies bedeuten, dass nur Personen, die keine besondere beitragsunabhängige Beihilfe brauchen, Anspruch darauf hätten. Das Gesetz sollte nicht dergestalt verstanden werden, dass es zu solch absurden Ergebnissen führen würde(45).

83.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass Art. 21 Abs. 1 AEUV, konkretisiert durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. d und Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie, dahin auszulegen ist, dass die Beantragung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung durch den Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen Unionsbürgers die Abhängigkeit dieses Verwandten von dem Arbeitnehmer nicht beendet und daher das abgeleitete Aufenthaltsrecht dieses Verwandten nicht beeinträchtigt.

4.      Dritte Frage: Recht auf Gleichbehandlung und budgetäre Belange der Mitgliedstaaten

84.      Wie eingangs erwähnt(46), kann ein Verwandter in gerader aufsteigender Linie nach irischem Recht sein abgeleitetes Aufenthaltsrecht unter zwei Voraussetzungen behalten: 1. wenn er von dem mobilen Unionsbürger abhängig ist und 2. wenn er die staatlichen Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch nimmt. Daher würde dieser Verwandte, selbst wenn die Abhängigkeit fortbestünde, sein Aufenthaltsrecht verlieren, sofern er diese Leistungen unangemessen in Anspruch nähme.

85.      Dementsprechend vertrat der Chief Appeals Officer in der vom vorlegenden Gericht zu überprüfenden Entscheidung die Ansicht, dass GV zwar ein Aufenthaltsrecht, aber kein Anspruch auf die Invaliditätsbeihilfe zustehe, da diese zu einer unzumutbaren Belastung für das Sozialhilfesystem und somit zum Verlust ihres Aufenthaltsrechts führen würde.

86.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht es verbietet, den Zugang eines Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers zu einer Invaliditätsbeihilfe im Aufnahmestaat mit der Begründung zu beschränken, die Zahlung einer solchen Leistung würde dazu führen, dass dieser abhängige Verwandte die staatlichen Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nähme.

87.      Zunächst müssen wir uns vor Augen halten, dass mobilen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen aus dem Unionsrecht kein Anspruch auf Sozialhilfe erwächst. Für die Ausgestaltung des Sozialstaats sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten verantwortlich. Ihre Befugnis umfasst die Wahl der Arten von Sozialhilfeleistungen sowie die Voraussetzungen für den Leistungsbezug.

88.      Die Frage ist daher nicht, ob GV ein Anspruch auf die Invaliditätsbeihilfe zusteht. Das ist Gegenstand des irischen Rechts. Allerdings greift das Unionsrecht über den Grundsatz der Gleichbehandlung im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit ein(47). Er verbietet, dass ein Mitgliedstaat der Union Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen diskriminiert. Wenngleich der Grundsatz der Gleichbehandlung im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit unmittelbar aufgrund des Vertrags eingreift, hat er eine besondere Ausprägung in verschiedenen Rechtsakten des sekundären Unionsrechts, u. a. in Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie und Art. 7 der Arbeitnehmerverordnung, erfahren.

89.      Folglich kann GV einen Anspruch auf die Invaliditätsbeihilfe unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend machen. Kommt eine solche Beihilfe für irische Staatsangehörige in Betracht, muss dies auch für GV gelten.

90.      Im vorliegenden Fall gibt es aus meiner Sicht zwei Personen, deren Recht auf Gleichbehandlung einen Anspruch von GV auf die Invaliditätsbeihilfe begründen könnte.

91.      Die erste Person ist GV selbst: Als Verwandte in gerader aufsteigender Linie einer mobilen Unionsbürgerin, die von dieser abhängig ist, muss sie gemäß Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie hinsichtlich ihres Zugangs zur Invaliditätsbeihilfe genauso behandelt werden wie irische Bürger.

92.      Zweitens kommt ihre Tochter, AC, in Betracht. Wird ihrer Mutter, die von ihr abhängig ist, der Zugang zur Invaliditätsbeihilfe verweigert, so wird AC schlechter gestellt als irische Arbeitnehmer, deren von ihnen unterstützter Elternteil Invaliditätsbeihilfe beanspruchen kann. Das Verbot, AC zu diskriminieren, kann nicht nur auf ACs Eigenschaft als Unionsbürgerin, die sich im Aufnahmestaat aufhält, gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Unionsbürgerrichtlinie gestützt werden, sondern auch, wie von der Kommission vorgeschlagen, auf ihre Eigenschaft als Arbeitnehmerin, die ihr Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV nach Maßgabe der Arbeitnehmerverordnung ausgeübt hat. In Art. 7 dieser Verordnung kommt der Grundsatz der Gleichbehandlung zum Ausdruck.

93.      Das vorlegende Gericht hat in seiner Vorlageentscheidung und mit der Formulierung der dritten Frage darauf hingewiesen, dass im konkreten Fall primär die mobile Arbeitnehmerin für den Unterhalt aufkommt. Daher kann die mögliche Diskriminierung dieser Arbeitnehmerin hier nicht außer Acht gelassen werden.

94.      Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, beide Perspektiven in Betracht zu ziehen.

95.      Ich werde zunächst prüfen, inwiefern der Anspruch von GV auf Invaliditätsbeihilfe a) mittelbar auf ACs Recht auf Gleichbehandlung und sodann b) wie er unmittelbar auf GVs eigenes Recht auf Gleichbehandlung gemäß der Unionsbürgerrichtlinie gestützt werden kann(48). Anschließend werde ich untersuchen, ob diese Rechte wegen der Befürchtung eingeschränkt werden dürfen, ein Verwandter in aufsteigender Linie könnte, wenn er Sozialleistungen erhielte, zu einer unzumutbaren Belastung für das Sozialhilfesystem des Aufnahmestaats werden (c).

a)      Gleichbehandlung von AC als Grundlage für GVs Anspruch auf Invaliditätsbeihilfe

96.      Der Anspruch von GV auf Invaliditätsbeihilfe kann sich meines Erachtens daraus ergeben, dass AC als Arbeitnehmerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, ein Recht auf Gleichbehandlung zusteht.

97.      Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV umfasst die Freizügigkeit der Arbeitnehmer „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“.

98.      Kann in der unterschiedlichen Behandlung eines Elternteils des mobilen EU-Arbeitnehmers im Vergleich zu den Eltern von Arbeitnehmern, die Staatsangehörige des Aufnahmestaats sind, eine nach Art. 45 Abs. 2 AEUV verbotene Diskriminierung gesehen werden?

99.      Diese Vertragsbestimmung wurde durch die Arbeitnehmerverordnung konkretisiert und präzisiert. Nach deren Art. 7 Abs. 2 genießt ein Arbeitnehmer, der Unionsbürger ist, in einem anderen Mitgliedstaat „die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer“(49).

100. Das wirft die Frage auf, ob eine Sozialleistung, die ein Elternteil eines Arbeitnehmers erhält, als eine soziale Vergünstigung dieses Arbeitnehmers angesehen werden kann.

101. Diese Frage ist aus den folgenden Gründen zu bejahen. Erstens hat der Gerichtshof den Begriff der „sozialen Vergünstigung“ in der Arbeitnehmerverordnung weit ausgelegt(50). Er umfasst „alle Vergünstigungen, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen gewährt werden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland, und deren Erstreckung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Union und daher auch ihre Integration im Aufnahmemitgliedstaat zu fördern“(51).

102. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits bestätigt, dass dieser Begriff eine Sozialleistung wie die Invaliditätsbeihilfe umfassen kann(52). Er hat auch anerkannt, dass der Begriff „soziale Vergünstigungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung auf Leistungen anwendbar ist, welche wie die hier streitige Invaliditätsbeihilfe zugleich in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fallen(53).

103. Zweitens umfasst der Begriff „soziale Vergünstigung“ einer Arbeitnehmerin auch eine Sozialleistung wie die Invaliditätsbeihilfe, wenn diese einem Elternteil der Arbeitnehmerin und nicht der Arbeitnehmerin selbst gewährt wird.

104. Während der Gerichtshof den Begriff „soziale Vergünstigungen“ ursprünglich auf Leistungen beschränkt hat, die den Arbeitnehmern selbst gewährt wurden(54), hat sich die Rechtsprechung im Anschluss an das Urteil Lebon geändert. Aus diesem Urteil geht hervor, dass eine einem Verwandten in gerader absteigender Linie bewilligte Leistung eine „soziale Vergünstigung“ des Arbeitnehmers darstellen kann, wenn Letzterer diesem Verwandten Unterhalt gewährt(55).

105. Gleiches gilt meines Erachtens für abhängige Verwandte in aufsteigender Linie. GV ist von AC abhängig. Was sie nicht an staatlicher Unterstützung erhält, muss AC weiterhin aufbringen. Mit anderen Worten: Sollte GV Invaliditätsbeihilfe erhalten, würde diese Zahlung auch die Lage für AC verbessern(56). Verweigerten die irischen Behörden ihrer Mutter hingegen diese Unterstützung, würde AC gegenüber den in einer ähnlichen Situation befindlichen irischen Arbeitnehmern benachteiligt.

106. Um zu beurteilen, ob AC benachteiligt wird, muss sie mit Arbeitnehmern verglichen werden, die die irische Staatsangehörigkeit besitzen. Manche dieser Arbeitnehmer mögen Eltern haben, die Unionsbürger, aber keine irischen Staatsbürger sind und denen Invaliditätsleistungen verweigert werden könnten, wenn sie sich weniger als fünf Jahre in Irland aufgehalten haben(57). In den meisten Fällen werden jedoch die Eltern irischer Arbeitnehmer ebenfalls irische Staatsangehörige sein und daher Anspruch auf Invaliditätsbeihilfe haben. Insofern könnte in der Benachteiligung von AC, die sich daraus ergibt, dass ihrer Mutter keine Invaliditätsbeihilfe zusteht, eine mittelbare Diskriminierung in Bezug auf soziale Vergünstigungen gesehen werden, die inländischen Arbeitnehmern zugutekommen.

107. Schließlich bestätigt die ständige Rechtsprechung, dass abhängige Familienangehörige mittelbare Nutznießer der den mobilen EU-Arbeitnehmern gemäß Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung zuerkannten Gleichbehandlung sind(58). Der Gerichtshof hat auch schon Verwandte in gerader aufsteigender Linie in die Gruppe dieser mittelbar Begünstigten einbezogen(59).

108. Auch wenn sie nur mittelbare Nutznießer des Arbeitnehmerrechts auf Gleichbehandlung sind, können abhängige Verwandte Sozialleistungen im eigenen Namen beantragen(60). Soweit die Beklagten und die beteiligten mitgliedstaatlichen Regierungen ACs Recht auf Gleichbehandlung für irrelevant halten, da GV den Antrag im eigenen Namen gestellt habe, ist ihr Vorbringen daher nicht stichhaltig.

109. Die hier vertretene Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung fördert die Arbeitnehmerfreizügigkeit, da sie es erlaubt, wie der Gerichtshof kürzlich festgestellt hat, bestmögliche Bedingungen für die Integration der Familienangehörigen von EU-Arbeitnehmern zu schaffen, die von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht und im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt haben(61).

110. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, die von diesem abhängig sind, daraus einen Anspruch auf Leistungen herleiten können, worin gemäß Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung eine soziale Vergünstigung für den EU-Arbeitnehmer, von dem sie abhängig sind, gesehen werden kann.

111. Daher kann sich GV wegen ihrer Abhängigkeit von AC auf Art. 45 Abs. 2 AEUV, konkretisiert durch Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung, berufen, um als mittelbare Nutznießerin des Gleichbehandlungsrechts ihrer Tochter eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung wie die hier in Rede stehende Invaliditätsbeihilfe zu beantragen.

112. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Arbeitnehmerverordnung enthalten somit bereits eine Lösung für den Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist. Gleichwohl werde ich weiter prüfen, ob sich die Frage dieses Gerichts auch anhand der Unionsbürgerrichtlinie beantworten lässt.

b)      Gleichbehandlung von GV als Grundlage für einen Anspruch auf Invaliditätsbeihilfe

113. Nach Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.

114. Die Rechtsprechung hat klargestellt, dass ein Unionsbürger verlangen kann, mit Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats gleichbehandelt zu werden, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Staats die Voraussetzungen der Unionsbürgerrichtlinie erfüllt(62).

115. Da GV, wie im ersten Teil dieser Schlussanträge dargelegt, eine Verwandte in aufsteigender Linie einer mobilen EU-Arbeitnehmerin ist, die von dieser abhängig ist, erfüllt sie die Bedingungen der Unionsbürgerrichtlinie, so dass ihr ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt in Irland zusteht. Sie hat folglich ein Recht auf Gleichbehandlung.

116. Der Anspruch von GV auf Gleichbehandlung nach der Arbeitnehmerverordnung ist ein abgeleitetes Recht, das auf dem unmittelbaren Gleichbehandlungsrecht ihrer Tochter beruht. GV steht jedoch gemäß Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie ein eigenes, unmittelbares Recht auf Gleichbehandlung zu. Sobald sie ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht hat, erwirbt sie ihr eigenes, unmittelbares Recht auf Gleichbehandlung mit irischen Staatsbürgern. Ihr muss daher Invaliditätsbeihilfe unter den gleichen Bedingungen wie irischen Bürgern zustehen.

117. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie die tschechische, die dänische und die deutsche Regierung meinen indes, ein Mitgliedstaat brauche diese Beihilfe nicht zu gewähren, wenn der Antragsteller Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nähme.

c)      Zur Frage der „unangemessenen Inanspruchnahme“

118. Mit dem Einwand, GV könnte staatliche Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nehmen (im Folgenden: Einwand unangemessener Inanspruchnahme), wurden im vorliegenden Fall drei verschiedene Arten von Anliegen angesprochen. Das erste hat damit zu tun, dass die Eröffnung des Zugangs zu den Sozialleistungen die Mitgliedstaaten bei ihrer Sozialpolitik beeinträchtigen könnte. Das zweite hat mit Solidarität zu tun. Das dritte, das mit den vorhergehenden zusammenhängt, betrifft die Befürchtung, es könne ein sogenannter „Wohlfahrtstourismus“ entstehen. Ich werde alle drei Arten von Anliegen der Reihe nach prüfen, und zwar mit dem Ergebnis, dass die darauf gestützten Argumente nicht dazu verwendet werden können, das Gleichbehandlungsrecht von GV zu beschränken, weder als mittelbares Recht, das auf dem unmittelbaren Gleichbehandlungsrecht ihrer Tochter als mobiler Arbeitnehmerin beruht, noch als ihr eigener, unmittelbarer Gleichbehandlungsanspruch, den GV über ihr abgeleitetes Aufenthaltsrecht erworben hat.

1)      Unangemessene Inanspruchnahme als Anliegen der Sozialhilfesysteme

119. Es steht außer Frage, dass die Belange der Nachhaltigkeit nationaler Sozialpolitik ernst genommen werden müssen.

120. Im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Gerichtshof anerkannt, dass „Haushaltserwägungen den sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der von ihm zu treffenden sozialen Schutzmaßnahmen beeinflussen können“(63). Der Gerichtshof hat jedoch ausgeschlossen, dass solche Erwägungen eine Diskriminierung von EU-Wanderarbeitnehmern rechtfertigen könnten(64).

121. Da eine Beschränkung des Gleichbehandlungsanspruchs mobiler EU-Arbeitnehmer nicht mit dem Einwand unangemessener Inanspruchnahme gerechtfertigt werden kann, kann dieser Einwand auch nicht geltend gemacht werden, um eine Beschränkung des abgeleiteten Gleichbehandlungsrechts eines Verwandten in aufsteigender Linie eines solchen Arbeitnehmers, der von diesem abhängig ist, zu rechtfertigen, dessen Anspruch auf Sozialhilfe eine soziale Vergünstigung für den betreffenden Arbeitnehmer darstellt.

122. Daher darf Irland, wenn es GVs Invaliditätsbeihilfeantrag auf der Grundlage des Rechts ihrer Tochter auf Gleichbehandlung mit inländischen Arbeitnehmern prüft, nicht davon ausgehen, dass GV irische Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nähme.

123. Dies gilt meines Erachtens auch, wenn die Rechtsstellung von GV als einer Verwandten in gerader aufsteigender Linie einer mobilen EU-Arbeitnehmerin betrachtet wird, die über ein unmittelbares Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie verfügt, und zwar aufgrund ihres aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie abgeleiteten Aufenthaltsrechts.

124. Lassen Sie mich das näher erläutern. Das Primärrecht gewährt allen Unionsbürgern Freizügigkeitsrechte (einschließlich des Aufenthalts- und des Gleichbehandlungsrechts), lässt aber zu, dass diese Rechte Bedingungen nach Maßgabe des sekundären Unionsrechts oder des nationalen Rechts unterliegen. Die Unionsbürgerrichtlinie legt den Rahmen für die zulässigen Bedingungen der Freizügigkeitsrechte fest. Sie erkennt die Belange der Mitgliedstaaten an und sieht vor, dass das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern an Bedingungen geknüpft werden kann, damit die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch genommen werden(65). Daher gestattet sie den Mitgliedstaaten, das Aufenthaltsrecht bestimmter, ausdrücklich benannter Kategorien von Bürgern (aber nicht anderer) zu beschränken, indem sie den Einwand unangemessener Inanspruchnahme als Rechtfertigungsgrund zulässt.

125. Dies ist jedoch nur in ausdrücklich festgelegten Situationen und nur in Bezug auf bestimmte Gruppen nicht erwerbstätiger Unionsbürger möglich. Solche Situationen betreffen Bürger, deren Freizügigkeitsrechte auf der Annahme beruhen, dass sie über ausreichende Existenzmittel für sich und ihre Familien verfügen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Unionsbürgerrichtlinie), und Studenten (Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie). Außerhalb dieser Situationen kann der Einwand unangemessener Inanspruchnahme nicht erhoben werden.

126. Ich würde noch weiter gehen: Selbst wenn das Aufenthaltsrecht für bestimmte Kategorien von Bürgern beschränkt werden sollte, kann dies nicht automatisch geschehen. Obwohl im Schrifttum vereinzelt die mangelnde Klarheit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu solchen Beschränkungen kritisiert wird(66), halte ich es für offensichtlich, dass ein Staat, der einen solchen Einwand vorbringen will, zunächst eine systemrelevante Bedrohung seines Sozialhilfesystems nachweisen(67) und darüber hinaus belegen muss, dass diese Bedrohung die Beschränkung des Rechts einer bestimmten Person in einem bestimmten Fall rechtfertigt. Daher müssen die Mitgliedstaaten, wenn sie sich auf den unionsrechtlich zulässigen Einwand unangemessener Inanspruchnahme berufen wollen, stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten(68).

127. Alle Personen, denen nach der Unionsbürgerrichtlinie ein Aufenthaltsrecht zusteht, muss der Aufnahmestaat genauso behandeln wie seine eigenen Staatsangehörigen. Die einzigen Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie ausdrücklich vorgesehen. Da diese Bestimmung eine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung darstellt, ist sie eng auszulegen(69).

128. Verwandte in gerader aufsteigender Linie von mobilen EU-Arbeitnehmern fallen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.

129. Zusammenfassend ist festzustellen, dass weder die Aufenthaltsrechte abhängiger Verwandter in gerader aufsteigender Linie mit der Begründung eingeschränkt werden dürfen, sie nähmen die Sozialhilfeleistungen eines Staates unangemessen in Anspruch, noch der sich aus dem Aufenthaltsrecht ergebende Anspruch auf Gleichbehandlung aus irgendeinem Grund eingeschränkt werden darf.

130. Dies ist meines Erachtens das Ergebnis des auf Unionsebene erzielten legislativen Kompromisses bei der Abwägung zwischen den Anforderungen der Freizügigkeit und den Belangen der mitgliedstaatlichen Sozialsysteme. Wie die Kommission erklärt hat, war den legitimen Anliegen der Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Sozialhilfesysteme während des Gesetzgebungsverfahrens, das zur Annahme der Unionsbürgerrichtlinie führte, Rechnung getragen worden.

131. Dieser legislative Kompromiss hat zur derzeitigen Situation geführt, in der weder mobile EU-Arbeitnehmer noch die von diesen abhängigen Verwandten in gerader aufsteigender Linie als unzumutbare Belastung für den Aufnahmestaat angesehen werden können. Mit anderen Worten: Diese Familienangehörigen sind genauso eine (un)zumutbare Belastung, wie die Bürger dieses Staates eine (un)zumutbare Belastung darstellen.

132. Hierbei steht es den Mitgliedstaaten frei, ihre Sozialhilfesysteme so zu gestalten, wie sie es für richtig halten. Sie können wählen, welche Arten von Leistungen sie anbieten wollen, oder beschließen, eine bisherige Leistung zu streichen oder zu kürzen. Bei diesen Entscheidungen müssen die Mitgliedstaaten aber auch die abhängigen Familienangehörigen der in ihrem Land ansässigen mobilen EU-Arbeitnehmer als für ihre politischen Entscheidungen maßgebliche Faktoren berücksichtigen.

133. Daher darf Irland, wenn es GVs Invaliditätsbeihilfeantrag auf der Grundlage ihres sich aus ihrem abgeleiteten Aufenthaltsrecht ergebenden unmittelbaren Anspruchs auf Gleichbehandlung prüft, nicht davon ausgehen, dass GV irische Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nähme.

2)      Unangemessene Inanspruchnahme als ein Aspekt der Solidarität

134. Der Einwand unangemessener Inanspruchnahme kann zweitens unter dem Aspekt der Solidarität, d. h. der Bereitschaft, sich an der Lastenverteilung zu beteiligen, betrachtet werden. Eine solche Solidarität beruht in der Regel auf der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, sei es auf nationaler, beruflicher, familiärer oder europäischer Ebene(70), was es erlaubt, Personen auszuschließen, die nicht dieser Gemeinschaft angehören, da es unangebracht erscheint, mit ihnen Lasten zu teilen(71).

135. Die Beklagten machen insoweit geltend, abhängige Verwandte in gerader aufsteigender Linie hätten erst dann Anspruch auf Sozialleistungen wie die Invaliditätsbeihilfe, wenn sie die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten erlangten, nicht aber während der ersten fünf Jahre ihres Aufenthalts im Aufnahmestaat. Dies ergebe sich aus der Struktur der Unionsbürgerrichtlinie, die zwischen Kurzaufenthalten von bis zu drei Monaten(72), Aufenthalten von mehr als drei Monaten(73) und schließlich dem dauerhaften Aufenthaltsstatus unterscheide, der nach einem fünfjährigen Aufenthalt im Aufnahmestaat erreicht werden könne(74). Während der ersten fünf Jahre müssten die EU-Arbeitnehmer weiterhin für ihre Familienangehörigen aufkommen, die zu ihnen in den Aufnahmestaat nachgezogen seien, ohne dass die Steuerzahler in diesem Staat die Kosten für diese Familienangehörigen zu tragen hätten.

136. In der Tat sieht die Unionsbürgerrichtlinie ein abgestuftes System von Rechten vor, das auf der Dauer des Aufenthalts im Aufnahmestaat beruht(75). Das ist aber nicht Ausdruck einer abgestuften Solidarität. Die Richtlinie lässt nicht zu, dass die Rechte naher Angehöriger des mobilen Unionsbürgers, die von diesem abhängig sind, eingeschränkt werden könnten, wenn sie sich länger als drei Monate im Aufnahmestaat aufhalten(76).

137. Die Gleichbehandlung der Verwandten in gerader aufsteigender Linie hinsichtlich ihres Zugangs zu Sozialleistungen fördert ihre eigene schrittweise Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats(77).

138. Sowohl die Unionsbürgerrichtlinie als auch die Arbeitnehmerverordnung bringen somit „eine bestimmte finanzielle Solidarität der Angehörigen [eines Aufnahmemitgliedstaats] mit denen der anderen Mitgliedstaaten“ zum Ausdruck, wie der Gerichtshof sie in seinem wegweisenden Urteil Grzelczyk anerkannt hat(78).

139. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass eine Leistung wie die Invaliditätsbeihilfe gemäß Art. 70 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 nur im Wohnsitzmitgliedstaat beantragt werden kann (siehe Nr. 7 der vorliegenden Schlussanträge). Mit anderen Worten: Wenn es eine derartige besondere beitragsunabhängige Leistung in Rumänien gäbe, könnte GV sie dort nicht verlangen, da sie in Irland wohnt.

140. Irland darf GV daher nicht als eine unzumutbare Belastung seines Sozialhilfesystems behandeln, weil sie nicht lange genug der irischen Gesellschaft angehört habe und keine Solidarität verdiene.

3)      Unangemessene Inanspruchnahme und Wohlfahrtstourismus

141. Schließlich muss ich noch auf ein weiteres Anliegen eingehen, das von den an diesem Verfahren beteiligten mitgliedstaatlichen Regierungen geäußert wurde, aber auch im politischen Leben der Union und in der Rechtswissenschaft thematisiert wird. Es handelt sich um die Furcht vor einem sogenannten „Wohlfahrtstourismus“. Mitgliedstaaten, vor allem solche mit höheren Sozialstandards, haben deutlich ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich Unionsbürger nur deshalb in diese Länder begeben, um von den dortigen Sozialhilfeleistungen zu profitieren(79). Diese Praxis, die häufig als Missbrauch der Freizügigkeitsrechte betrachtet wird, war Gegenstand der Rechtssache Dano(80). Diese Rechtssache hat ergeben, dass erwerbslose Unionsbürger, die ihre Freizügigkeit nur deshalb ausüben, um Sozialhilfe im Aufnahmestaat zu erhalten, keinen Anspruch auf Gleichbehandlung nach der Unionsbürgerrichtlinie haben(81).

142. Kann es zu einem solchen Missbrauch kommen, wenn der erwerbslose Bürger sein Aufenthalts- und Gleichbehandlungsrecht aus der Freizügigkeit eines mobilen EU-Arbeitnehmers herleitet, der ein erwerbstätiger Bürger ist? Man könnte vielleicht an eine Situation denken, in der ein Unionsbürger beschließt, in einem anderen als seinem Herkunftsmitgliedstaat zu arbeiten (oder sich selbständig zu machen), nur um seine Verwandten in gerader aufsteigender Linie (oder einen davon) in die Lage zu versetzen, im Aufnahmestaat Sozialhilfe zu beantragen. Selbst in einem so unwahrscheinlichen Szenario(82) wäre der Unionsbürger, auf dessen Recht der Leistungsbezug des abhängigen nahen Verwandten beruht, im Aufnahmestaat ein Arbeitnehmer. Begibt sich ein Bürger in einen anderen Mitgliedstaat, um dort zu arbeiten, so ist darin kein Missbrauch, sondern vielmehr die Wahrnehmung eines im Vertrag verankerten Grundrechts zu sehen. Ist jemand nur zur Arbeitssuche in den Aufnahmestaat eingereist, dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie ihn und seine Familienangehörigen von den Ansprüchen auf bestimmte Sozialhilfeleistungen, aber nicht unbedingt von allen Leistungen, wie etwa den Leistungen der sozialen Sicherheit, ausschließen(83). Wenn aber die Rechte der Familienangehörigen auf den Rechten eines mobilen EU-Arbeitnehmers beruhen, ist mir unerfindlich, wie man behaupten kann, dieser Arbeitnehmer sei nur umgezogen, um Sozialhilfe zu erhalten.

143. Auch wenn ich mir die Möglichkeit eines Missbrauchs nicht vorstellen kann, vermag ich sie doch nicht völlig auszuschließen. In solchen Fällen könnte jedoch auf Art. 35 der Unionsbürgerrichtlinie, der speziell zur Vermeidung von Missbrauchsgefahren erlassen wurde, sowie auf das Urteil Dano zurückgegriffen werden, um zu verhindern, dass sich solche Gefahren verwirklichen.

144. Die Situation im vorliegenden Fall scheint keinen Anlass zu solchen Bedenken zu geben. AC arbeitet und wohnt schon seit langer Zeit in Irland. Sie hat enge Verbindungen zur irischen Gesellschaft geknüpft, was daraus hervorgeht, dass ihr am 17. Juli 2015 die irische Staatsangehörigkeit verliehen wurde(84). Es ist schwer zu glauben, dass all dies nur geplant worden sein soll, um ihre Mutter nach Irland zu holen, damit sie dort eine Sozialleistung beantragen kann(85).

145. Diese Argumente legen, zusammen oder einzeln betrachtet, den Schluss nahe, dass das Kriterium der unangemessenen Inanspruchnahme mitgliedstaatlicher Sozialhilfeleistungen, wenn die Voraussetzungen für eine Gleichbehandlung erfüllt sind(86), einen Mitgliedstaat nicht dazu berechtigt, den Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, die von diesem abhängig sind, den Zugang zu besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen zu verweigern.

146. Folglich sind Art. 45 Abs. 2 AEUV, konkretisiert durch Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung, und Art. 21 Abs. 1 AEUV, konkretisiert durch Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie, meines Erachtens dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Zugang zu einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung für einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht wegen seiner Abhängigkeit von diesem Arbeitnehmer zusteht und der sich seit mehr als drei Monaten rechtmäßig im Wohnstaat aufhält, mit der Begründung beschränkt, die Gewährung dieser Leistung würde dazu führen, dass der betreffende Familienangehörige Sozialhilfeleistungen dieses Staates unangemessen in Anspruch nähme.

V.      Ergebnis

147. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 21 AEUV, konkretisiert durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. d und Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten,

ist dahin auszulegen, dass

die Bedingung, dass der Verwandte in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers von diesem abhängig ist, so lange erfüllt sein muss, wie das Aufenthaltsrecht dieses Verwandten von dem Freizügigkeitsrecht abgeleitet wird, das der Arbeitnehmer ausübt.

2.      Art. 21 AEUV, konkretisiert durch Art. 2 Nr. 2 Buchst. d und Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/38,

ist dahin auszulegen, dass

die Beantragung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung durch den Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen Unionsbürgers die Abhängigkeit dieses Verwandten von dem Arbeitnehmer nicht beendet und daher das abgeleitete Aufenthaltsrecht dieses Verwandten nicht beeinträchtigt.

3.      Art. 45 Abs. 2 AEUV, konkretisiert durch Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, und Art. 21 Abs. 1 AEUV, konkretisiert durch Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38,

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Zugang zu einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung für einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie eines mobilen EU-Arbeitnehmers, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht wegen seiner Abhängigkeit von diesem Arbeitnehmer zusteht und der sich seit mehr als drei Monaten rechtmäßig im Wohnstaat aufhält, mit der Begründung beschränkt, die Gewährung dieser Leistung würde dazu führen, dass der betreffende Familienangehörige Sozialhilfeleistungen dieses Staates unangemessen in Anspruch nähme.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Vgl. u. a. Urteile vom 18. Juni 1987, Lebon (316/85, EU:C:1987:302, im Folgenden: Urteil Lebon), vom 26. Februar 1992, Bernini (C‑3/90, EU:C:1992:89), vom 8. Juni 1999, Meeusen (C‑337/97, EU:C:1999:284), vom 17. September 2002, Baumbast und R (C‑413/99, EU:C:2002:493), vom 8. Mai 2013, Alarape und Tijani (C‑529/11, EU:C:2013:290), vom 20. Juni 2013, Giersch u. a. (C‑20/12, EU:C:2013:411), vom 16. Januar 2014, Reyes (C‑423/12, EU:C:2014:16, im Folgenden: Urteil Reyes), vom 15. Dezember 2016, Depesme u. a. (C‑401/15 bis C‑403/15, EU:C:2016:955, im Folgenden: Urteil Depesme) und vom 26. März 2019, SM (unter algerische Kafala gestelltes Kind) (C‑129/18, EU:C:2019:248).


3      Vgl. u. a. Urteile vom 17. April 1986, Reed (59/85, EU:C:1986:157), vom 30. März 2006, Mattern und Cikotic (C‑10/05, EU:C:2006:220), vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449), vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135), vom 16. Juli 2015, Singh u. a. (C‑218/14, EU:C:2015:476), vom 30. Juni 2016, NA (C‑115/15, EU:C:2016:487), vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, im Folgenden: Urteil Lounes), vom 5. Juni 2018, Coman u. a. (C‑673/16, EU:C:2018:385), und vom 12. Juli 2018, Banger (C‑89/17, EU:C:2018:570).


4      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1). Nach Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung weisen die betreffenden Leistungen drei Hauptmerkmale auf. Sie sind erstens zur Deckung der Lebenshaltungskosten von Personen bestimmt, die diese Kosten nicht selbst tragen können, werden zweitens nicht durch Beiträge, sondern aus Steuereinnahmen finanziert und sind drittens in Anhang X der Verordnung Nr. 883/2004 aufgeführt.


5      Vgl. Art. 70 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004.


6      Vgl. Section 210(1)(a) des Social Welfare Consolidation Act 2005.


7      Vgl. Section 210(9) des Social Welfare Consolidation Act 2005.


8      Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, im Folgenden: Unionsbürgerrichtlinie).


9      Regulation 6 der Verordnung von 2015 betrifft das Aufenthaltsrecht für Zeiträume von mehr als drei Monaten. Damit wird Art. 7 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie, einschließlich des Buchst. d, in irisches Recht umgesetzt.


10      Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Text von Bedeutung für den EWR) (ABl. 2011, L 141, S. 1, im Folgenden: Arbeitnehmerverordnung).


11      Vgl. in diesem Sinne Urteil Lounes, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung.


12      Urteil Lounes, Rn. 52 und 53.


13      Die Arbeitnehmerverordnung regelt u. a., dass Arbeitnehmer, welche die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, aber in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, der nicht der Staat ihrer Staatsangehörigkeit ist, gleichbehandelt werden. Wie die Unionsbürgerrichtlinie gilt sie daher nicht für die Rechte von Arbeitnehmern in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Sie kann also nicht die Rechte von AC, einer irischen Staatsangehörigen, in Irland regeln. Nach derselben Logik, wie sie in Bezug auf die Unionsbürgerrichtlinie dargelegt wurde, können jedoch die unmittelbar auf Art. 45 und Art. 21 Abs. 1 AEUV beruhenden Rechte einer Person, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit aufzunehmen, nicht allein deshalb eingeschränkt werden, weil sie auch die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben hat.


14      Vgl. u. a. Urteile vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 24), und vom 20. Oktober 2022, Digi (C‑77/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:805, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15      Vgl. Regulation 3(5)(b) der Verordnung von 2015, in der die anspruchsberechtigten Familienangehörigen genauso (fast Wort für Wort) definiert werden wie in Art. 2 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.


16      Vgl. Regulation 6(3)(a) der Verordnung von 2015, womit Art. 7 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie in Bezug auf das einen Zeitraum von drei Monaten übersteigende Aufenthaltsrecht umgesetzt wird.


17      Sie erlegt diese Verpflichtung auf, indem sie vorsieht, dass eine Person ihr Aufenthaltsrecht behält, solange sie den einschlägigen Bestimmungen entspricht, auf denen der Aufenthalt beruht, wozu die Bestimmung gehört, die Art. 7 Abs. 1 Buchst. d der Unionsbürgerrichtlinie umsetzt.


18      Alle Verfahrensbeteiligten, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, stimmen darin überein, dass – weil das Ausgangsverfahren einen Unionsbürger und keinen Drittstaatsangehörigen betrifft – der Verweis auf Art. 7 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie auf einem Versehen beruht und die Frage als Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie zu verstehen ist.


19      Urteil vom 9. Januar 2007, Jia (C‑1/05, EU:C:2007:1, im Folgenden: Urteil Jia, Rn. 37).


20      Urteil Reyes, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung.


21      In der Rechtssache Jia beantragten die drittstaatsangehörigen Eltern des Ehemanns einer Unionsbürgerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte, eine Aufenthaltserlaubnis. In der Rechtssache Reyes beantragte die drittstaatsangehörige Tochter einer Unionsbürgerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte, eine Aufenthaltskarte.


22      Diese Person kann ein unmittelbares Aufenthaltsrecht, im Gegensatz zu dem auf Abhängigkeit beruhenden abgeleiteten Aufenthaltsrecht, auf der Grundlage anderer Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie erwerben. Dies kann zum Beispiel nach fünf Jahren Aufenthalt im Aufnahmestaat (Art. 16 der Unionsbürgerrichtlinie) oder dann geschehen, wenn der Familienangehörige im Aufnahmestaat wirtschaftlich tätig wird, indem er eine abhängige oder selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Unionsbürgerrichtlinie).


23      Urteil vom 26. März 2019, SM (unter algerische Kafala gestelltes Kind) (C‑129/18, EU:C:2019:248, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24      Das Gleiche gilt auch für Verwandte in gerader absteigender Linie.


25      Bei Verwandten in gerader absteigender Linie geht die Unionsbürgerrichtlinie (Art. 2 Nr. 2 Buchst. c) davon aus, dass sie, solange sie das 21. Lebensjahr nicht vollendet haben, automatisch abhängig sind, lässt aber die Möglichkeit zu, dass sie auch nach Erreichen der Volljährigkeit abhängig bleiben können.


26      Verordnung des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, L 257, S. 2).


27      Hervorhebung nur hier.


28      Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, KOM (2001) 257 endgültig (ABl. 2001, C 270 E, S. 150).


29      Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 5. Dezember 2003, vom Rat festgelegt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, C 54 E, S. 12). Art. 2 Nr. 2 Buchst. d dieser Textfassung sprach dann ohne weitere Erläuterung von „Verwandten in gerader aufsteigender Linie …, denen … Unterhalt gewährt wird“.


30      Die meisten dieser Fälle betrafen Verwandte in gerader absteigender Linie. So ging es in der Rechtssache Lebon um die Tochter eines mobilen EU-Arbeitnehmers, die selbst Unionsbürgerin war. Die Rechtssache Reyes betraf die (drittstaatsangehörige) Tochter einer mobilen Unionsbürgerin. In der Rechtssache Depesme ging es um die Kinder der Ehegatten bzw. anerkannten Partner mehrerer mobiler Grenzgänger. Eine Ausnahme bildet die Rechtssache Jia: Sie betraf Eltern, denen Unterhalt gewährt wurde.


31      Das Einzige, was der Gerichtshof in diesen Fällen zum Begriff der Abhängigkeit ausdrücklich klargestellt hat, war, dass sich die Eigenschaft des abhängigen Familienangehörigen aus einer tatsächlichen Situation ergibt. Vgl. hierzu Urteil Lebon, Rn. 22, Urteil Jia, Rn. 35, und Urteil Depesme, Rn. 58.


32      Vgl. dazu Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, S. 150, Begründung Nr. 2.4. Vgl. auch Meduna, M., Stockwell, N., Geyer, F., Adamo, C., Nemitz, P., „Institutional Report“, in Neergaard, U., Jacqueson, C., Holst-Christensen, N., (Hrsg.) Union Citizenship, Development, Impact and Challenges, XXVI. FIDE‑Kongress in Kopenhagen, 2014, Kongressveröffentlichungen, Kopenhagen, 2014, Bd. 2, S. 247.


33      Art. 7 der Charta.


34      Vgl. dazu Urteil des EGMR vom 4. März 2013, Butt/Norwegen (CE:ECHR:2012:1204JUD004701709, insbesondere § 76), zu Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der durch Art. 7 der Charta aufgegriffen wird.


35      Vgl. entsprechend Urteil vom 8. März 2011, Ruiz Zambrano (C‑34/09, EU:C:2011:124, Rn. 42 und 43), in dem, obwohl der Sachverhalt keine Freizügigkeit beinhaltete, ein Aufenthaltsrecht eines Elternteils bejaht wurde, da das Kind, ein sesshafter Unionsbürger, andernfalls gezwungen gewesen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen. Vgl. auch, aus jüngerer Zeit, Urteil vom 5. Mai 2022, Subdelegación del Gobierno en Toledo (Aufenthalt eines Familienangehörigen – Unzureichende Existenzmittel) (C‑451/19 und C‑532/19, EU:C:2022:354, Rn. 45), das auf einer ähnlichen Logik beruht.


36      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, EU:C:2002:434, Rn. 38), und vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


37      Vgl. u. a. Urteil Reyes, Rn. 23, oder Urteil vom 26. März 2019, SM (unter algerische Kafala gestelltes Kind) (C‑129/18, EU:C:2019:248, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).


38      Urteil vom 15. September 2022, Minister for Justice and Equality (Einem Drittstaat angehörender Cousin eines Unionsbürgers) (C‑22/21, EU:C:2022:683, Rn. 23 und 27). Die Hilfsbedürftigkeit, die neben dem Bedarf an finanzieller Unterstützung berücksichtigt wurde, beruhte auf gesundheitlichen Gründen oder einer engen und festen persönlichen Beziehung, die sich z. B. aus dem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft ergab.


39      Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/54/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung der Rechte, die Arbeitnehmern im Rahmen der Freizügigkeit zustehen (ABl. 2014, L 128, S. 8) heißt es, dass der Begriff „Familienangehöriger“ im Rahmen der Arbeitnehmerverordnung die gleiche Bedeutung haben sollte wie der in Art. 2 Nr. 2 der Unionsbürgerrichtlinie definierte Begriff. Dies wurde später im Urteil Depesme (Rn. 51 bis 55) und im Urteil vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants (Kind des Ehegatten eines Grenzgängers) (C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 51), bestätigt.


40      In der mündlichen Verhandlung haben die beteiligten Mitgliedstaaten eingeräumt, dass die physische, materielle und emotionale Dimension der Abhängigkeit zwischen AC und GV auch nach Zahlung der Invaliditätsbeihilfe fortbestünde.


41      Urteil Lebon, Rn. 20.


42      Wegen der einschlägigen Fundstellen verweise ich auf die in Nr. 107 dieser Schlussanträge angeführte Rechtsprechung.


43      Dies war auch das Argument von Richter Garrett Simons (High Court) im erstinstanzlichen Urteil des Ausgangsverfahrens. Richter Simons stellte fest, dass es „im Fall eines Arbeitnehmers und eines abhängigen Familienangehörigen kein Erfordernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a oder d [dieser Richtlinie gibt], sich selbst versorgen zu können“, Urteil vom 29. Mai 2020, High Court (Irland), GV v Chief Appeals Officer, Social Welfare Appeals Office, 2020, IEHC 258, Rn. 76.


44      Siehe hierzu Nrn. 118 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


45      Vgl. u. a. MacCormick, N., Rhetoric and the Rule of Law: A Theory of Legal Reasoning, Oxford University Press, Oxford, 2005, S. 138.


46      Siehe oben, Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge.


47      Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist eine der Grundlagen des Unionsrechts. Es kommt heute in Art. 18 AEUV zum Ausdruck und ist Teil aller Vertragsbestimmungen zu den Grundfreiheiten. Es ist auch in Art. 21 Abs. 2 der Charta verankert.


48      Ich habe mich für diese Reihenfolge entschieden, weil die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, seitdem die Unionsbürgerschaft in die Verträge aufgenommen wurde, als eine besondere Ausprägung dieser Bürgerschaft zu verstehen ist. Laut Gerichtshof „hat Art. 21 Abs. 1 AEUV, in dem das Recht eines jeden Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, in Art. 45 AEUV hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer … eine besondere Ausprägung erfahren. Urteil vom 11. November 2021, MH und ILA (Rentenansprüche im Fall der Insolvenz), (C‑168/20, EU:C:2021:907, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).


49      Art. 7 Abs. 2 der Arbeitnehmerverordnung geht auf Art. 7 Abs. 2 der Vorgängerverordnung, d. h. der Verordnung Nr. 1612/68, zurück. Somit ist die Rechtsprechung zur letzteren Verordnung auch für das Verständnis des Begriffs der „sozialen Vergünstigung“ in der derzeitigen Verordnung von Bedeutung. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld (C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 34).


50      Urteil vom 30. September 1975, Cristini (32/75, EU:C:1975:120, Rn. 12).


51      Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld (C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Formel wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil vom 31. Mai 1979, Even und ONPTS (207/78, EU:C:1979:144, Rn. 22), ständig wiederholt.


52      Urteile vom 27. Mai1993, Schmid (C‑310/91, EU:C:1993:221, Rn. 18), und vom 5. Mai 2011, Kommission/Deutschland (C‑206/10, EU:C:2011:283, Rn. 34).


53      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Mai 1993, Schmid (C‑310/91, EU:C:1993:221, Rn. 17), sowie vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants (Kind des Ehegatten eines Grenzgängers) (C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 45 und 46).


54      Urteil vom 11. April 1973, S. (76/72, EU:C:1973:46, Rn. 9).


55      In der Rechtssache Lebon hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass die fragliche Leistung keine Vergünstigung für Arbeitnehmer darstellte, da die Antragstellerin von ihrem Vater nicht mehr unterstützt wurde. Vgl. Urteil Lebon, Rn. 13.


56      Spaventa, E. (Hrsg.), Rennuy, N., Minderhoud, P., The legal status and rights of the family members of EU mobile workers, Europäische Kommission, Generaldirektion (GD) Beschäftigung, Soziales und Inklusion, Direktion E – Labour Mobility and International Affairs, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, 2022, S. 17.


57      So verhält es sich in der Sache bei AC nach ihrer Einbürgerung. Es könnte aber auch irische Staatsbürger geben, die ihre Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben haben, deren Eltern aber nicht die irische Staatsangehörigkeit besitzen.


58      Vgl. zum Nachkommen eines Wanderarbeitnehmers, der von diesem abhängig ist, Urteil Lebon (Rn. 12) sowie Urteile vom 26. Februar 1992, Bernini (C‑3/90, EU:C:1992:89, Rn. 26), und vom 2. April 2020, PF u. a. (C‑830/18, EU:C:2020:275, Rn. 26). Vgl. zum Ehegatten eines Wanderarbeitnehmers Urteil vom 10. September 2009, Kommission/Deutschland (C‑269/07, EU:C:2009:527, Rn. 65).


59      Urteile vom 12. Juli 1984, Castelli (261/83, EU:C:1984:280, Rn. 10), vom 6. Juni 1985, Frascogna (157/84, EU:C:1985:243, Rn. 23), und vom 9. Juli 1987, Frascogna (256/86, EU:C:1987:359, Rn. 6).


60      Urteil Lebon, Rn. 13.


61      Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld (C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).


62      Urteil vom 11. November 2014, Dano (C‑333/13, EU:C:2014:2358, Rn. 69).


63      Urteil vom 14. Juni 2012, Kommission/Niederlande (C‑542/09, EU:C:2012:346, Rn. 57).


64      Ebd. Vgl. auch Urteile vom 20. Juni 2013, Giersch u. a. (C‑20/12, EU:C:2013:411, Rn. 51 und 52), und vom 24. Oktober 2013, Thiele Meneses (C‑220/12, EU:C:2013:683, Rn. 43).


65      Zehnter Erwägungsgrund der Unionsbürgerrichtlinie.


66      Vgl. u. a. Verschueren, H., „Free Movement or Benefit Tourism: The Unreasonable Burden of Brey“, European Journal of Migration and Law, Bd. 16, 2014, S. 147 bis 179; Thym, D., „The Elusive Limits of Solidarity: Residence Rights of and Social Benefits for Economically Inactive Union Citizens“, CML Rev Bd. 52, 2015, S. 17 bis 50 (28).


67      Ein solches Vorbringen kann nur dann als mögliche Rechtfertigung für die Beschränkung von Freizügigkeitsrechten in Betracht gezogen werden, wenn der Mitgliedstaat, der den Einwand unangemessener Inanspruchnahme geltend macht, mittels zuverlässiger, übereinstimmender und beweiskräftiger Daten nachweist, dass sein Sozialhilfesystem tatsächlich gefährdet ist. Vgl. u. a. Urteil vom 13. April 2010, Bressol u. a. (C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 71). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in den verbundenen Rechtssachen Prinz und Seeberger (C‑523/11 und C‑585/11, EU:C:2013:90, Nrn. 61 bis 64).


68      Vgl. Dougan, M., „The constitutional dimension to the case-law on Union citizenship“, E.L. Rev., Bd. 31(5), 2006, S. 613 bis 641.


69      Urteil vom 1. August 2022, Familienkasse Niedersachsen-Bremen (C‑411/20, EU:C:2022:602, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


70      Supiot, A., La solidarité, Enquête sur un principe juridique, Odile Jacob, Paris, 2015, S. 12; De Witte, F., Justice in the EU, The Emergence of Transnational Solidarity, Oxford University Press, Oxford, 2015, Kapitel 4 (wobei speziell in Bezug auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, wie z. B. besondere beitragsunabhängige Leistungen, ein gemeinschaftsbezogener Ansatz vertreten wird), S. 151 bis 155).


71      Ein solches Verständnis des Einwands unangemessener Inanspruchnahme dürfte m. E. die Rechtsprechung erklären, die das Erfordernis einer tatsächlichen Verbundenheit mit der Gesellschaft des Aufnahmestaats oder eines gewissen Grades an Integration in diese Gesellschaft für den Erwerb des Aufenthaltsrechts und der damit verbundenen Ansprüche auf Sozialhilfe als gerechtfertigt anerkannt hat. Vgl. in Bezug auf Arbeitssuchende u. a. Urteile vom 11. Juli 2002, D‘Hoop (C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 39), vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, EU:C:2004:172, Rn. 67 bis 69), sowie vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 38 und 39). Vgl. in Bezug auf Studierende u. a. Urteile vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, EU:C:2005:169, Rn. 62 und 63), vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher (C‑11/06 und C‑12/06, EU:C:2007:626, Rn. 43 und 44), vom 18. November 2008, Förster (C‑158/07, EU:C:2008:630, Rn. 54), vom 18. Juli 2013, Prinz und Seeberger (C‑523/11 und C‑585/11, EU:C:2013:524, Rn. 36 und 37), sowie vom 24. Oktober 2013, Thiele Meneses (C‑220/12, EU:C:2013:683, Rn. 35 und 36), oder vom 26. Februar 2015, Martens (C‑359/13, EU:C:2015:118, Rn. 36 bis 39).


72      Art. 6 der Unionsbürgerrichtlinie.


73      Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie.


74      Kapitel IV der Unionsbürgerrichtlinie.


75      Dieses System übernimmt im Wesentlichen die Stufen und Bedingungen, die in den einzelnen Instrumenten des Unionsrechts vor Erlass dieser Richtlinie und in der zuvor ergangenen Rechtsprechung für den Aufenthaltsstatus vorgesehen waren. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft kann somit in das Recht auf Daueraufenthalt münden. Urteile vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja (C‑424/10 und C‑425/10, EU:C:2011:866, Rn. 38), und vom 1. August 2022, Familienkasse Niedersachsen-Bremen (C‑411/20, EU:C:2022:602, Rn. 30).


76      Auch während dieses Zeitraums gilt die Ausschlussmöglichkeit nur für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, nicht aber für andere Leistungen der sozialen Sicherheit. Vgl. hierzu Urteil vom 1. August 2022, Familienkasse Niedersachsen-Bremen (C‑411/20, EU:C:2022:602, Rn. 53).


77      Vgl. u. a. Urteil Lounes, Rn. 56.


78      Urteil vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 44). Der Solidaritätsgrundsatz und die Systeme der sozialen Sicherheit waren schon Gegenstand des Urteils vom 17. Februar 1993, Poucet und Pistre (C‑159/91 und C‑160/91, EU:C:1993:63).


79      So beklagten im Mai 2013 die Minister von vier Mitgliedstaaten – der Republik Österreich, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland – den „Betrug und systematischen Missbrauch im Zusammenhang mit der Freizügigkeit“. Vgl. u. a. Blauberger, M., und Schmidt, S. K., „Welfare migration? Free movement of EU citizens and access to social benefits“, Research and Politics, Oktober-Dezember 2014, S. 1 bis 7. Vgl. auch Pascouau, Y., „Strong attack against the freedom of movement of EU citizens: Turning back the clock“, Kommentar auf der Website des European Policy Centre vom 30. April 2013.


80      Urteil vom 11. November 2014, Dano (C‑333/13, EU:C:2014:2358).


81      Vgl. in diesem Sinne die Auslegung des Urteils vom 11. November 2014, Dano (C‑333/13, EU:C:2014:2358), im Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld (C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 68).


82      Eine von der Kommission 2016 in Auftrag gegebene Studie fand keine Anhaltspunkte dafür, dass Unionsbürger mobilitätswillig wären, um von Sozialleistungen zu profitieren. Vgl. u. a. „A fact finding analysis on the impact on the Member States’ social security systems of the entitlements of non-active intra-EU migrants to special non-contributory cash benefits and healthcare granted on the basis of residence“, Abschlussbericht, vorgelegt von der ICF GHK in Zusammenarbeit mit der Milieu Ltd., GD Beschäftigung, Soziales und Inklusion über GD Justiz, Rahmenvertrag, 2013. Vgl. auch Mantu, S., und Minderhoud, P., „Exploring the limits of social solidarity: welfare tourism and EU citizenship“, UNIO – EU Law Jounal, Bd. 2(2), 2016, S. 4 bis 19.


83      Urteil vom 1. August 2022, Familienkasse Niedersachsen-Bremen (C‑411/20, EU:C:2022:602, Rn. 53).


84      Wie die Anwälte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben. Nach dem Irish Nationality and Citizenship Act 1956 (Gesetz über die irische Staatsangehörigkeit und ‑bürgerschaft von 1956) in seiner geänderten konsolidierten Fassung muss ein volljähriger, lediger EWR-Bürger folgende Kriterien erfüllen, um eingebürgert zu werden (Section 15 des Gesetzes): Er muss a) über 18 Jahre alt sein; b) einen guten Leumund haben; c) sich unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Antragstellung ein Jahr lang ununterbrochen in dem Staat aufgehalten und während der diesem Zeitraum unmittelbar vorangegangenen acht Jahre insgesamt vier Jahre lang in dem Staat aufgehalten haben; d) die ehrliche Absicht haben, sich nach der Einbürgerung weiterhin in dem Staat aufzuhalten; e) bereit sein, an einer Einbürgerungsfeier teilzunehmen und eine Loyalitätserklärung abzugeben.


85      Vgl. zu einer Debatte über den Einfluss der tatsächlichen Umstände, die den vom Gerichtshof zu entscheidenden Rechtssachen zugrunde liegen, Davies, G., „Has the Court changed, or have the cases? The deservingness of litigants as an element in Court of Justice citizenship adjudication“, Journal of European Public Policy, Bd. 25, 2018, S. 1442 bis 1460.


86      Was im Wesentlichen der Fall ist, wenn die Aufenthaltsbedingungen erfüllt sind.