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Rechtssache C‑360/10

Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers CVBA (SABAM)

gegen

Netlog NV

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank van eerste aanleg te Brussel)

„Informationsgesellschaft – Urheberrecht – Internet – Hosting-Anbieter – Verarbeitung von Informationen, die auf einer Plattform für ein soziales Netzwerk im Internet gespeichert sind – Einrichtung eines Systems zur Filterung dieser Informationen, um die urheberrechtsverletzende Zurverfügungstellung von Dateien zu verhindern – Keine allgemeine Verpflichtung, die gespeicherten Informationen zu überwachen“

Leitsätze des Urteils

Rechtsangleichung – Informationsgesellschaft – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Schutz personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 8 und 11; Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates, 2000/31; Art. 15 Abs. 1; 2001/29 und 2004/48; Art. 3 Abs. 1)

Die Richtlinien 2000/31 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind, bei einer Gesamtbetrachtung und einer Auslegung im Hinblick auf die sich aus dem Schutz der anwendbaren Grundrechte ergebenden Anforderungen, dahin auszulegen, dass sie der Anordnung eines nationalen Gerichts an einen Hosting-Anbieter entgegenstehen, ein System der Filterung,

–        der von den Nutzern seiner Dienste auf seinen Servern gespeicherten Informationen,

–        das unterschiedslos auf alle diese Nutzer anwendbar ist,

–        präventiv,

–        allein auf eigene Kosten und

–        zeitlich unbegrenzt

einzurichten, mit dem sich Dateien ermitteln lassen, die musikalische, filmische oder audiovisuelle Werke enthalten, an denen der Antragsteller Rechte des geistigen Eigentums zu haben behauptet, um zu verhindern, dass die genannten Werke unter Verstoß gegen das Urheberrecht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Eine solche Anordnung würde diesen Anbieter nämlich verpflichten, eine aktive Überwachung fast aller Daten sämtlicher Nutzer seiner Dienste vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen, d. h. sie würde ihn zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten, die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 verboten ist. Sie würde außerdem zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Hosting-Anbieters führen, da sie ihn verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten, was im Übrigen gegen die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verstieße, wonach die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein dürfen. Folglich würde mit einer solchen Anordnung das Erfordernis missachtet, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, das Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der Wirtschaftsteilnehmern wie den Hosting-Anbietern zukommt, zu gewährleisten. Im Übrigen würden sich die Wirkungen einer solchen Anordnung nicht auf den Hosting-Anbieter beschränken, weil das Filtersystem auch Grundrechte ihrer Nutzer beeinträchtigen kann, und zwar ihre durch die Art. 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen. Die Anordnung würde zum einen die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung der Informationen in Bezug auf die auf dem sozialen Netzwerk von dessen Nutzern geschaffenen Profile bedeuten, wobei es sich bei den Informationen in Bezug auf diese Profile um geschützte personenbezogene Daten handelt, da sie grundsätzlich die Identifizierung der genannten Nutzer ermöglichen. Zum anderen könnte die Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil die Gefahr bestünde, dass das System nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

(vgl. Randnrn. 38, 46-50, 52 und Tenor)