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Rechtssache T426/21

Nizar Assaad

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 8. März 2023

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern – Beurteilungsfehler – Rückwirkung – Vertrauensschutz – Rechtssicherheit – Rechtskraft“

1.      Gerichtliches Verfahren – Vorlage von Beweisen – Frist – Verspätete Vorlage von Beweisen und Beweisangeboten – Voraussetzungen – Beweise, die im gerichtlichen Verfahren als Antwort auf das Vorbringen des Beklagten vorgelegt werden – Zulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 85 Abs. 1)

(vgl. Rn. 61, 67)

2.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle – Beweis für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme – Pflicht der zuständigen Unionsbehörde, im Streitfall die Stichhaltigkeit der gegen die betroffenen Personen oder Organisationen angeführten Begründung nachzuweisen – Pflicht zur Berücksichtigung aktueller Beweise

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2019/751 und [GASP] 2019/849 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2019/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Anhang II)

(vgl. Rn. 70-76, 88, 89)

3.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes in Bezug auf führende, in Syrien tätige Geschäftsleute und Mitglieder der Familien Assad oder Makhlouf – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und Art. 28 Abs. 2 Buchst. a; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a Buchst. a)

(vgl. Rn. 78, 79)

4.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Führende, in Syrien tätige Geschäftsleute – Verbindung mit dem syrischen Regime – Begriffe

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a Buchst. a und Abs. 1b)

(vgl. Rn. 79, 80)

5.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle – Aufnahme des Klägers in die Liste im Anhang des angefochtenen Beschlusses aufgrund seiner Eigenschaft als führender, in Syrien tätiger Geschäftsmann, seiner Verbindung mit dem syrischen Regime und seinen Verbindungen zu einer den restriktiven Maßnahmen unterliegenden Person oder Organisation – Öffentlich zugängliche Dokumente – Beweiswert – Grundsatz der freien Beweiswürdigung

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung)

(vgl. Rn. 81, 84-86, 90)

6.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes in Bezug auf führende, in Syrien tätige Geschäftsleute – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Widerlegbare Vermutung – Gegenbeweis

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und Art. 28 Abs. 2 Buchst. a; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a Buchst. a)

(vgl. Rn. 93, 94, 97, 102, 105, 108-118, 120, 124, 126, 127, 173)

7.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes in Bezug auf Personen und Organisationen, die mit Mitgliedern der Familien Assad oder Makhlouf in Verbindung stehen – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Widerlegbare Vermutung – Gegenbeweis

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 und 3 sowie Art. 28 Abs. 2 und 3; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a und 1b)

(vgl. Rn. 131-132, 148, 157-160, 173)

8.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes in Bezug auf Mitglieder der Familien Assad oder Makhlouf – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Widerlegbare Vermutung – Gegenbeweis

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3 sowie Art. 28 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a Buchst. a)

(vgl. Rn. 136, 137, 144, 146, 147, 149, 173)

9.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Unterstützung des syrischen Regimes und hieraus gezogener Nutzen – Begriff – Autonomes rechtliches Kriterium – Aufnahme in die Listen aufgrund eines Bündels genauer, konkreter und übereinstimmender Indizien – Fehlen

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1 Buchst. a)

(vgl. Rn. 161, 166-170, 172, 173)

10.    Handlungen der Organe – Zeitliche Geltung – Rückwirkung einer materiell-rechtlichen Vorschrift – Voraussetzungen – Prüfung des Inhalts des Rechtsakts – Regelung über namensbezogene restriktive Maßnahmen – Spätere Änderung der Angaben zur Identität einer in die Listen aufgenommenen Person – Rückwirkung der erlassenen Rechtsakte

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung)

(vgl. Rn. 189-194, 198, 200, 201, 204, 205, 207-211, 244)

11.    Handlungen der Organe – Zeitliche Geltung – Rückwirkungsverbot – Ausnahmen – Voraussetzungen – Erreichung eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels und Beachtung des berechtigten Vertrauens – Regelung über namensbezogene restriktive Maßnahmen – Spätere Änderung der Angaben zur Identität einer in die Listen aufgenommenen Person – Verletzung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung)

(vgl. Rn. 212, 216-219, 225, 226-228, 235, 238, 240, 241, 245-249, 254)

12.    Gerichtliches Verfahren – Rechtskraft – Umfang – Beschluss des Gerichts, mit dem eine Klage auf Nichtigerklärung restriktiver Maßnahmen wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses des Klägers für unzulässig erklärt wird – Spätere und rückwirkende Änderung der Angaben zur Identität des Klägers – Neuer Antrag auf Nichtigerklärung der gegen ihn erlassenen Folgerechtsakte – Verletzung des Grundsatzes der Rechtskraft

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2021/751 und [GASP] 2022/849 geänderten Fassung; Verordnung Nr. 36/2012 des Rates in der durch die Verordnungen 2015/1828, 2021/743 und 2022/840 geänderten Fassung)

(vgl. Rn. 257, 259-264, 268, 270, 271, 273)

13.    Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Begrenzung durch den Gerichtshof – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Nichtigerklärung von zwei Rechtsakten mit identischen restriktiven Maßnahmen zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten – Gefahr einer ernsthaften Beeinträchtigung der Rechtssicherheit – Aufrechterhaltung der Wirkungen des ersten dieser Rechtsakte bis zum Wirksamwerden der Nichtigerklärung des zweiten

(Art. 264 Abs. 2 und Art. 280 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 60; Beschluss (GASP) 2022/849 des Rates; Verordnung 2022/840 des Rates)

(vgl. Rn. 276-280)


Zusammenfassung

Der Kläger, Herr Nizar Assaad, ist ein Geschäftsmann mit syrischer, libanesischer und kanadischer Staatsangehörigkeit, der dem Rat der Europäischen Union zufolge enge Verbindungen zum syrischen Regime hat.

Sein Name war 2011 in die Listen der Personen und Organisationen aufgenommen worden, die den vom Rat gegen die Arabische Republik Syrien verhängten restriktiven Maßnahmen unterliegen(1). Mangels einer genauen Identifizierung vertrat der Rat nach einer Korrektur und Hinzufügung zusätzlicher Angaben zur Identität(2) die Auffassung, dass die genannten Rechtsakte nicht den Kläger bezeichneten. Dieser war 2020(3) erneut in die Listen aufgenommen und in den Jahren 2021 und 2022(4) darauf belassen worden, da er dem Rat zufolge ein führender Geschäftsmann mit engen Beziehungen zum Regime, mit den Familien Assad und Makhlouf verbunden und Gründer und Leiter der Lead Contracting & Trading Ltd. war, einem der größten Investoren im Erdölsektor.

Diese Gründe stützten sich zum einen auf das Kriterium des führenden, in Syrien tätigen Geschäftsmanns(5), zum anderen auf das Kriterium der Verbindung mit dem syrischen Regime(6) und schließlich auf das Kriterium der Verbindung mit einer den restriktiven Maßnahmen unterliegenden Person oder Organisation, da der Kläger nach Auffassung des Rates mit Mitgliedern der Familien Assad und Makhlouf(7) verbunden war.

Der Kläger hat Klage auf Nichtigerklärung der 2021 und 2022 erlassenen Rechtsakte erhoben, soweit sie ihn betreffen. Das Gericht gibt dieser Klage statt und befasst sich insbesondere erstmals mit der Frage, ob der Rat Rechtsakten, die im Rahmen einer Regelung über restriktive Maßnahmen erlassen wurden, rechtmäßig Rückwirkung verleihen kann. Es befasst sich außerdem mit der Frage, ob eine frühere gerichtliche Entscheidung Rechtskraft dahin entfaltet, dass der Rat und das Gericht an die in dieser Entscheidung getroffenen Feststellungen zur Identität einer in die Listen aufgenommenen Person gebunden sind.

Würdigung durch das Gericht

Was erstens den Klagegrund betrifft, mit dem Beurteilungsfehler gerügt werden, prüft das Gericht anhand der vom Rat angeführten Gründe für die Aufnahme des Klägers in die Listen zunächst, ob das Kriterium des Status eines führenden, in Syrien tätigen Geschäftsmanns erfüllt ist. Aus den vom Rat vorgelegten Beweisen geht zwar hervor, dass der Kläger ein Investor im syrischen Erdölsektor war. Doch hat zum einen der Kläger nachgewiesen, dass er nicht mehr an der Gesellschaft Lead Syria(8), die sich zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte in Liquidation befand, beteiligt war, und zum anderen hat der Rat nichts vorgetragen, was die Verlässlichkeit der vom Kläger vorgelegten Beweise oder dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft Lead UAE(9) in Frage stellen könnte, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger nicht mehr an dieser Gesellschaft beteiligt war. Gleiches gilt für die Beteiligung des Klägers an mehreren anderen syrischen Organisationen und seine Mitwirkung bei verschiedenen Handelskammern. Der Rat hat daher nicht rechtlich hinreichend belegt, dass der Kläger geschäftliche Interessen in Syrien hatte oder Mitglied bestimmter handelsbezogener Einrichtungen war. Das Gericht schließt daraus, dass der Rat zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte nicht nachgewiesen hat, dass der Kläger ein führender, in Syrien tätiger Geschäftsmann im Sinne des im Beschluss 2013/255 aufgestellten Kriteriums war.

Sodann stellt das Gericht zu den Verbindungen des Klägers zu Mitgliedern der Familie Assad fest, dass der Kläger nicht Mitglied dieser Familie ist und dass die ihm vom Rat nachgesagten Verbindungen nur beruflicher Art sind, insbesondere aufgrund von Tätigkeiten im Erdölsektor. Nach Prüfung der vom Rat insoweit beigebrachten Beweise gelangt das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass der Rat kein Bündel hinreichend konkreter, genauer und übereinstimmender Indizien vorgelegt hat, die diese beruflichen Verbindungen nachweisen könnten. Zu dem gleichen Schluss gelangt es in Bezug auf die Verbindung des Klägers zur Familie Makhlouf.

Schließlich führt das Gericht zur Verbindung des Klägers mit dem syrischen Regime, die sich daraus ergeben soll, dass er Unterstützer oder Nutznießer dieses Regimes ist, zunächst aus, dass der Kläger weder aufgrund seiner Geschäftstätigkeiten in Syrien oder seiner Verbindungen zu Mitgliedern der Familien Makhlouf und Assad noch aufgrund anderer Aufgaben oder der Tätigkeit der Gesellschaft Lead Syria mit dem syrischen Regime in Verbindung gebracht werden kann. Vielmehr soll er sich insbesondere seit 2012 von diesem System distanziert haben. Der Rat hat somit die Verbindung des Klägers mit dem syrischen Regime nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, so dass das Gericht dem ersten Klagegrund stattgibt, mit dem der Kläger geltend gemacht hat, dass die vom Rat angeführten Gründe für seine Aufnahme in die Listen nicht stichhaltig seien.

Zweitens prüft das Gericht hinsichtlich des vom Rat in den angefochtenen Rechtsakten angegebenen Datums der erstmaligen Aufnahme des Klägers in die Listen, des 23. August 2011, in einem ersten Schritt, ob diese Rechtsakte ihrem Inhalt nach Rückwirkung haben. So verhält es sich bei den 2021 erlassenen Rechtsakten, die ihre Vorgänger fortführen und ändern und die erlassen wurden, nachdem der Rat einen Irrtum in Bezug auf die Identität des Betroffenen eingeräumt hatte. Dass in diesen Rechtsakten der Zeitpunkt der erstmaligen Aufnahme des Klägers in die Listen geändert wurde, wirkt sich nämlich durchaus rückwirkend auf seine rechtliche Lage aus. Dies betrifft zum einen seinen Ruf und sein Ansehen und zum anderen seine rechtliche Situation in Frankreich im Hinblick auf einen auf die Rechtsakte von 2019 gestützten Ministerialbeschluss vom 12. Februar 2020, mit dem seine Gelder in diesem Mitgliedstaat eingefroren wurden.

In einem zweiten Schritt prüft das Gericht, ob mit dieser Rückwirkung die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verletzt werden. Zum Vorliegen eines Allgemeininteresses führt es aus, dass die Rechtssicherheit und die praktische Wirksamkeit der restriktiven Maßnahmen nur gewährleistet werden können, wenn der Rat die betroffenen Personen und Einrichtungen in den fraglichen Rechtsakten eindeutig identifiziert. Es ist daher legitim und erforderlich, dass der Rat Fehler in Bezug auf die Identität einer Person berichtigen kann, um die Erreichung der Ziele der restriktiven Maßnahmen zu gewährleisten. Denn nur so können Dritte erkennen, gegen wen die Maßnahmen gerichtet sind, und die betroffene Person kann gegebenenfalls gegen die Maßnahmen klagen. Was die Frage angeht, ob der Kläger in die Situation vor der Berichtigung dieses Fehlers vertrauen durfte, weist das Gericht darauf hin, dass es nicht erforderlich ist, dass der Kläger Adressat von Rechtsakten war, die subjektive Rechte begründen, um sich auf den Schutz seines berechtigten Vertrauens berufen zu können, und er braucht auch nicht nachzuweisen, dass er klare, unbedingte und übereinstimmende Zusicherungen erhalten hat, die geeignet waren, bei ihm ein solches berechtigtes Vertrauen zu begründen. In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles, d. h. des Schriftwechsels zwischen dem Rat und den Vertretern des Klägers, der vom Rat aufgrund dieses Schriftwechsels erlassenen Berichtigungsrechtsakte(10) und des vom Rat in einer früheren Rechtssache Assaad/Rat(11) eingenommenen Standpunkts stellt das Gericht fest, dass der Rat gegenüber dem Kläger wiederholt erklärt hat, dass dieser nicht die Person sei, die ursprünglich von den 2011 erlassenen Rechtsakten betroffen gewesen sei. Insoweit weist das Gericht das Vorbringen des Rates zurück, wonach jegliche Feststellung zur Identität einer von restriktiven Maßnahmen betroffenen Person nur deklaratorischen Charakter habe. Vielmehr haben die in Rede stehenden Schreiben zusammen mit den verschiedenen Rechtsakten des Rates beim Kläger die Erwartung geweckt, dass er nicht die betroffene Person sei. Das Gericht gelangt zu dem Ergebnis, dass der Rat das berechtigte Vertrauen des Klägers und den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht beachtet hat, als er ihm gegenüber rückwirkende Maßnahmen erlassen hat.

Drittens führt das Gericht zu dem Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Rechtskraft geltend gemacht wird (im vorliegenden Fall gegen den in der früheren Rechtssache Assaad/Rat ergangenen Beschluss, mit dem die Klage des Klägers für unzulässig erklärt worden war, da er nicht die in den Listen von 2011 genannte Person war und daher kein Rechtsschutzinteresse hatte), aus, dass der Rat, indem er erklärt hat, dass sich die Rechtsakte von 2011 auf den Kläger bezogen, bewirkt hat, dass in der Unionsrechtsordnung eine Entscheidung und Rechtsakte nebeneinander bestehen, die in Bezug auf ihre Wirkungen widersprüchlich oder gar miteinander unvereinbar sind. Damit hat er gegen den Grundsatz der Rechtskraft des genannten Beschlusses in Bezug auf die Rechtsakte von 2011 verstoßen. Da der Grundsatz der Rechtskraft aber nicht so weit ausgedehnt werden kann, dass ein Beschluss Fragen regelte, die sich auf eine Gruppe anderer Rechtsakte beziehen, die auf der Grundlage anderer Beweise erlassen wurden und andere Basisrechtsakte betreffen, gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht geltend machen kann, dass die angefochtenen Rechtsakte ab 2020 unter Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtskraft erlassen worden seien.

Nach alledem erklärt das Gericht die angefochtenen Rechtsakte für nichtig, soweit sie den Kläger betreffen, wobei es die Wirkungen des Beschlusses 2022/849 ihm gegenüber bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist oder, wenn innerhalb dieser Frist ein Rechtsmittel eingelegt wird, bis zur etwaigen Zurückweisung des Rechtsmittels aufrechterhält.


1      Durchführungsbeschluss 2011/515/GASP des Rates vom 23. August 2011 zur Durchführung des Beschlusses 2011/273/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2011, L 218, S. 20) und Durchführungsverordnung (EU) Nr. 843/2011 des Rates vom 23. August 2011 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2011, L 218, S. 1).


2      Beschluss 2011/735/GASP des Rates vom 14. November 2011 zur Änderung des Beschlusses 2011/273/GASP (ABl. 2011, L 296, S. 53) und Verordnung (EU) Nr. 1150/2011 des Rates vom 14. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 (ABl. 2011, L 296, S. 1).


3      Beschluss (GASP) 2020/719 des Rates vom 28. Mai 2020 zur Änderung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2020, L 168, S. 66) und Durchführungsverordnung (EU) 2020/716 des Rates vom 28. Mai 2020 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2020, L 168, S. 1).


4      Durchführungsbeschluss (GASP) 2021/751 des Rates vom 6. Mai 2021 zur Durchführung des Beschlusses 2013/255/GASP (ABl. 2021, L 160, S. 115) und Durchführungsverordnung (EU) 2021/743 des Rates vom 6. Mai 2021 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2021, L 160, S. 1); Beschluss (GASP) 2022/849 des Rates vom 30. Mai 2022 zur Änderung des Beschlusses 2013/255/GASP (ABl. 2022, L 148, S. 52) und Durchführungsverordnung (EU) 2022/840 des Rates vom 30. Mai 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2022, L 148, S. 8) (im Folgenden: angefochtene Rechtsakte).


5      Vgl. Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und Art. 28 Abs. 2 Buchst. a des Beschlusses 2013/255/GASP in der durch den Beschluss (GASP) 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 15 Abs. 1a Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung (EU) 2015/1828 geänderten Fassung.


6      Vgl. Art. 27 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 des Beschlusses 2013/255/GASP in der durch den Beschluss (GASP) 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung (EU) 2015/1828 geänderten Fassung.


7      Vgl. Art. 27 Abs. 2 letzter Satz und Art. 28 Abs. 2 letzter Satz des Beschlusses 2013/255/GASP in der durch den Beschluss (GASP) 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 15 Abs. 1a letzter Satz der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung (EU) 2015/1828 geänderten Fassung.


8      Lead Contracting and Trade Company.


9      Lead Contracting and Trading Limited.


10      Beschluss 2011/735/GASP zur Änderung des Beschlusses 2011/273/GASP (ABl. 2011, L 296, S. 53) und Verordnung (EU) Nr. 1150/2011 des Rates vom 14. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 (ABl. 2011, L 296, S. 1) sowie Berichtigungen des Durchführungsbeschlusses 2013/185/GASP des Rates vom 22. April 2013 zur Durchführung des Beschlusses 2012/739/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 363/2013 des Rates vom 22. April 2013 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 (ABl. 2013, L 123, S. 28).


11      Beschluss vom 24. Mai 2012, Assaad/Rat (T‑550/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:266).