Language of document : ECLI:EU:T:2006:103

Rechtssache T‑279/02

Degussa AG

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Artikel 81 EG – Kartelle – Markt für Methionin – Einzige und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Geldbuße – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 – Unschuldsvermutung“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Rechtssicherheit – Gesetzmäßigkeit der Strafen

2.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

3.      Wettbewerb – Geldbußen

(Artikel 81 EG, 82 EG, 83 Absätze 1 und 2 Buchstaben a und d EG, 202 dritter Gedankenstrich EG und 211 erster Gedankenstrich EG; Verordnung Nr. 17 des Rates)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird

5.      Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung

(Einheitliche Europäische Akte, Präambel; Vertrag über die Europäische Union, Artikel 6 Absatz 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 47)

6.      Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

7.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden

(Artikel 253 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Abschreckende Wirkung der Geldbuße

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 Teil A Absätze 4, 5 und 6)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 Teil A Absatz 6)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlungen – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Artikel 18 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtverhängung oder Herabsetzung einer Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D Nr. 1)

16.    Gemeinschaftsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

17.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Berufsgeheimnis

(Artikel 287 EG)

1.      Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen ist ein Korrelat des Grundsatzes der Rechtssicherheit, bei dem es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt und der insbesondere verlangt, dass jede Gemeinschaftsregelung, insbesondere wenn sie die Verhängung von Sanktionen vorschreibt oder gestattet, klar und bestimmt ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können. Dieser Grundsatz, der zu den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gehört und in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen, u. a. in Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention, verankert wurde, ist sowohl bei Normen mit strafrechtlichem Charakter als auch bei spezifischen verwaltungsrechtlichen Instrumenten zu beachten, die die Verhängung von Sanktionen durch die Verwaltung vorschreiben oder gestatten. Er gilt nicht nur für Normen, die die Bestandteile einer Zuwiderhandlung festlegen, sondern auch für diejenigen, die die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen Erstere regeln. Insoweit geht aus Artikel 7 Absatz 1 der Konvention hervor, dass die Zuwiderhandlungen und die Strafen, mit denen sie bedroht sind, gesetzlich klar definiert sein müssen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Bürger dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmung und gegebenenfalls ihrer Auslegung durch die Gerichte entnehmen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Haftung auslösen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es zur Erfüllung der Anforderungen dieser Bestimmung nicht erforderlich, dass die Vorschriften, aufgrund deren die Sanktionen verhängt werden, so genau formuliert sind, dass die möglichen Folgen eines Verstoßes gegen sie mit absoluter Gewissheit vorhersehbar sind. Nach dieser Rechtsprechung führt die Existenz vager Begriffe in einer Bestimmung nämlich nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention, und die Tatsache, dass ein Gesetz ein Ermessen verleiht, verletzt als solche nicht das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, sofern der Umfang und die Modalitäten der Ausübung eines solchen Ermessens im Hinblick auf das in Rede stehende legitime Ziel hinreichend deutlich festgelegt sind, um dem Einzelnen angemessenen Schutz vor Willkür zu gewähren. Dabei berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neben dem Wortlaut des Gesetzes die Frage, ob die verwendeten unbestimmten Begriffe durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung präzisiert wurden. Im Übrigen führt die Berücksichtigung der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten nicht zu einer anderen Auslegung des allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts, um den es sich bei dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen handelt.

(vgl. Randnrn. 66-69, 71-73)

2.      Falls Artikel 7 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die Sanktionen anwendbar ist, die die Kommission bei Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verhängt, verstößt Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, der die Verhängung von Geldbußen für Unternehmen betrifft, die Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begangen haben, im Hinblick auf folgende Gesichtspunkte nicht gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen:

–        Die Kommission verfügt bei der Festsetzung von Geldbußen nicht über ein unbegrenztes Ermessen, denn sie muss die anhand des Umsatzes der betreffenden Unternehmen festgelegte Obergrenze beachten und Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigen.

–        Die Kommission hat bei der Festsetzung von Geldbußen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

–        Die gleichen Grenzen gelten für die Ausübung des Ermessens der Kommission bei der Entscheidung darüber, ob eine Geldbuße zu verhängen ist.

–        Die vom Gemeinschaftsrichter ausgeübte Kontrolle hat es ermöglicht, durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung etwaige unbestimmte Begriffe in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zu präzisieren.

–        Die Kommission hat eine bekannte und zugängliche Verwaltungspraxis entwickelt, die zwar nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen bildet, aber als Bezugspunkt für die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung dienen kann, wobei eine Anhebung des Niveaus der Geldbußen innerhalb der durch Artikel 15 Absatz 2 festgelegten Grenzen jederzeit möglich bleibt, wenn die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln dies verlangt.

–        Die Kommission hat Leitlinien für die Festsetzung der Geldbußen erlassen, so dass sie selbst die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und damit zur Rechtssicherheit beigetragen hat und die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes beachten muss.

–        Die Kommission ist nach Artikel 253 EG verpflichtet, Entscheidungen, mit denen eine Geldbuße festgesetzt wird, zu begründen.

(vgl. Randnrn. 71, 74-84)

3.      Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Befugnis, bei Verstößen gegen die Artikel 81 EG und 82 EG Geldbußen zu verhängen, ursprünglich dem Rat zustand, der sie auf die Kommission übertragen oder diese im Sinne von Artikel 202 dritter Gedankenstrich EG mit der Durchführung betraut hat. Nach den Artikeln 83 Absätze 1 und 2 Buchstaben a und d EG und 211 erster Gedankenstrich EG gehört diese Befugnis zur Rolle der Kommission, über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu wachen, wobei diese Rolle in Bezug auf die Anwendung der Artikel 81 EG und 82 EG durch die Verordnung Nr. 17 präzisiert, umrahmt und formalisiert wurde. Die der Kommission durch diese Verordnung eingeräumte Befugnis zur Verhängung von Geldbußen ergibt sich somit aus den Bestimmungen des Vertrages selbst und soll die effektive Anwendung der in den genannten Artikeln vorgesehenen Verbote ermöglichen.

(vgl. Randnrn. 86-87)

4.      Das Erfordernis der Rechtssicherheit, in deren Genuss die Wirtschaftsteilnehmer kommen müssen, bedeutet, dass bei einem Streit über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln die Kommission, die die Beweislast für die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen trägt, Beweise beizubringen hat, mit denen sie in rechtlich hinreichender Weise das Vorliegen des die Zuwiderhandlung begründenden Sachverhalts belegen kann. In Bezug auf die behauptete Dauer einer Zuwiderhandlung folgt aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, dass die Kommission, wenn es an Beweisen fehlt, mit denen die Dauer der Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, zumindest Beweise beibringt, die sich auf Fakten beziehen, die zeitlich so nahe beieinander liegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung fortgesetzt wurde.

(vgl. Randnrn. 114, 153)

5.      Der u. a. in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegte Grundsatz der Unschuldsvermutung gehört zu den Grundrechten, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die im Übrigen durch die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte, durch Artikel 6 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union und durch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist, in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt sind. Angesichts der Art der fraglichen Zuwiderhandlungen sowie der Art und Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung auch in Verfahren wegen Verletzung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln, in denen Geldbußen oder Zwangsgelder verhängt werden können.

(vgl. Randnr. 115)

6.      Die „abgestimmte Verhaltensweise“ besteht in einer Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit verlangen keineswegs die Ausarbeitung eines wirklichen „Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Wirtschaftsteilnehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Es ist zwar richtig, dass dieses Selbständigkeitspostulat nicht das Recht der Wirtschaftsteilnehmer beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen solchen Wirtschaftsteilnehmern entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht.

Zum Nachweis einer abgestimmten Verhaltensweise muss also nicht dargetan werden, dass der fragliche Mitbewerber sich förmlich gegenüber einem oder mehreren anderen zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet hat oder dass die Mitbewerber gemeinsam ihr zukünftiges Verhalten auf dem Markt festgelegt haben. Es genügt, dass der Mitbewerber durch seine Absichtserklärung die Ungewissheit über das von ihm zu erwartende Marktverhalten beseitigt oder zumindest erheblich verringert hat. Außerdem ist zwar nicht Voraussetzung für die Beendigung eines Kartells, dass die Kartellteilnehmer einander ihre dahin gehende Absicht mitteilen, doch kann, wenn ein Unternehmen, selbst ohne sich aktiv zu beteiligen, an Treffen von Unternehmen mit wettbewerbswidrigem Zweck teilnimmt und sich nicht offen vom Inhalt dieser Treffen distanziert, so dass es den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gibt, dass es dem Ergebnis der Treffen zustimmt und sich daran halten wird, der Nachweis als erbracht angesehen werden, dass es sich an der aus diesen Treffen resultierenden Absprache beteiligt hat.

Schon nach dem Wortlaut von Artikel 81 Absatz 1 EG setzt eine abgestimmte Verhaltensweise zwar über die Abstimmung zwischen den Unternehmen hinaus ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus, doch gilt vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden Gegenbeweises die Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Mitbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, wenn die Abstimmung während eines langen Zeitraums regelmäßig stattfindet.

(vgl. Randnrn. 132-134, 136)

7.      Ein Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG kann sich nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortgesetzten Verhalten ergeben. Dieser Auslegung lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Bestimmung darstellen könnten. Fügen sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zweckes der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes in einen „Gesamtplan“ ein, so ist die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes aufzuerlegen.

(vgl. Randnr. 155)

8.      Bei der Berechnung der von der Kommission wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verhängten Geldbußen sind die Anforderungen durch das wesentliche Formerfordernis, um das es sich bei der Begründungspflicht handelt, erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglicht haben, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln. Ferner ist bei der Ermittlung des Umfangs der Begründungspflicht zu berücksichtigen, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssen. Außerdem verlangt die Begründungspflicht von der Kommission nicht, in ihrer Entscheidung bezifferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbußen zu machen, sondern nur, die Gesichtspunkte wiederzugeben, anhand deren sie die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung bestimmen konnte.

(vgl. Randnrn. 193-194)

9.      Bei der Ermittlung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln ist insbesondere dem normativen und wirtschaftlichen Zusammenhang der beanstandeten Verhaltensweise Rechnung zu tragen. Wenn die Kommission die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt beurteilt – wozu sie im Rahmen des Möglichen immer verpflichtet ist –, muss sie sich auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne die Zuwiderhandlung geherrscht hätte. Folglich kann die Kommission, wenn sie im Fall von Preisabsprachen feststellt, dass die Vereinbarungen es den betreffenden Unternehmen tatsächlich ermöglicht haben, ein höheres Niveau der Transaktionspreise zu erreichen, als es ohne Absprache bestanden hätte, bei der Ermittlung der Geldbuße die Bedeutung der nachteiligen Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt berücksichtigen und die Geldbuße im Hinblick auf die Schwere der Zuwiderhandlung höher festsetzen, als dies ohne eine solche Feststellung geschehen wäre. Im Rahmen dieser Beurteilung muss die Kommission sämtliche objektiven Bedingungen des betreffenden Marktes im Hinblick auf den bestehenden wirtschaftlichen und etwaigen normativen Zusammenhang berücksichtigen. Gegebenenfalls ist „objektiven wirtschaftlichen Faktoren“ Rechnung zu tragen, aus denen sich ergibt, dass sich bei „freiem Wettbewerb“ das Preisniveau nicht so entwickelt hätte wie das Niveau der tatsächlichen Preise.

(vgl. Randnrn. 216, 222-224)

10.    Die Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln kann anhand der Art und des Zweckes der missbräuchlichen Verhaltensweisen festgestellt werden. Gesichtspunkte, die den Gegenstand eines Verhaltens betreffen, können für die Festsetzung der Geldbuße größere Bedeutung haben als Gesichtspunkte, die seine Wirkungen betreffen. Die Auswirkung einer wettbewerbswidrigen Praxis ist nämlich bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens betreffen, können größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen betreffen, vor allem, wenn es sich dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie Preisfestsetzung und Marktaufteilung handelt. Außerdem sind horizontale Preisabsprachen stets zu den schwersten Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gezählt worden.

(vgl. Randnrn. 250-252)

11.    Bei der Ermittlung des Betrages der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht muss die Kommission nicht nur die Schwere der Zuwiderhandlung und die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und sicherstellen, dass ihr Vorgehen vor allem in Bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, abschreckende Wirkung hat.

Insoweit sehen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, im Übrigen vor, dass neben der Art des Verstoßes, seinen konkreten Auswirkungen auf den Markt und dessen räumlichem Umfang die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber des Verstoßes, Mitbewerber und Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen und die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen ist, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet (Nr. 1 Teil A Absatz 4). Darüber hinaus kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Großunternehmen besser erkennen können, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt und welche Folgen zu gewärtigen sind (Nr. 1 Teil A Absatz 5).

Was den erstgenannten Gesichtspunkt angeht, so besteht das Abschreckungsziel, das die Kommission bei der Bemessung einer Geldbuße verfolgen darf, darin, zu gewährleisten, dass die Unternehmen die im Vertrag für ihre Tätigkeiten in der Gemeinschaft oder im Europäischen Wirtschaftsraum festgelegten Wettbewerbsregeln beachten. Dieses Ziel kann nur unter Berücksichtigung der Situation des Unternehmens zum Zeitpunkt der Verhängung der Geldbuße erreicht werden. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem Ausmaß der Zuwiderhandlung auf dem Markt und dem jeden Kartellteilnehmer treffenden Teil der Verantwortung (auf die sich Nr. 1 Teil A Absätze 4 und 6 der Leitlinien erstreckt) einerseits und der mit der Verhängung der Geldbuße verfolgten Abschreckungswirkung andererseits.

Was das Ausmaß der Zuwiderhandlung auf dem Markt und den jeden Kartellteilnehmer treffenden Teil der Verantwortung angeht, so kann der Teil des Umsatzes, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, einen zutreffenden Anhaltspunkt für das Ausmaß einer Zuwiderhandlung auf dem betreffenden Markt liefern. Der Umsatz, der mit den Erzeugnissen erzielt wurde, die Gegenstand einer beschränkenden Verhaltensweise waren, stellt ein objektives Kriterium dar, das zutreffend angibt, wie schädlich sich diese Verhaltensweise auf den normalen Wettbewerb auswirkt.

Das Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten, wenn mit ihm nicht die Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen im Rahmen der Umsetzung einer Wettbewerbspolitik begründet wird, verlangt jedoch, dass die Geldbuße angepasst wird, um der gewünschten Auswirkung auf das Unternehmen, gegen das sie verhängt wird, Rechnung zu tragen, damit sie in Einklang mit den Anforderungen, die sich aus der Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten, und der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Finanzkraft des betreffenden Unternehmens weder zu niedrig noch zu hoch ausfällt. Namentlich aufgrund von Aufspaltungen oder Zusammenschlüssen können die Gesamtressourcen eines Unternehmens aber in relativ kurzer Zeit, insbesondere zwischen der Beendigung der Zuwiderhandlung und dem Erlass der Bußgeldentscheidung, erheblich größer oder kleiner werden.

Folglich müssen diese Ressourcen, um unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Abschreckungsziel ordnungsgemäß zu erreichen, zu dem Zeitpunkt bewertet werden, zu dem die Geldbuße verhängt wird. Insoweit wird aus den gleichen Gründen im Rahmen des Artikels 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 die Obergrenze der Geldbuße von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens anhand des weltweiten Gesamtumsatzes im Geschäftsjahr vor dem Erlass der Entscheidung ermittelt. Ebenso sind im Rahmen der Ermittlung eines etwaigen Aufschlags auf die Geldbuße zur Gewährleistung ihrer abschreckenden Wirkung die Finanzkraft und die tatsächlichen Ressourcen des Unternehmens zum Zeitpunkt der Verhängung der Geldbuße zu berücksichtigen und nicht die in seine Bilanz aufgenommene, naturgemäß fiktive Pro-forma-Bewertung infolge der Anwendung von Buchungsregeln, denen sich das betroffene Unternehmen unterworfen hat.

Mit dem zweiten Gesichtspunkt – den juristischen und wirtschaftlichen Ressourcen der Unternehmen, anhand deren sie erkennen können, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt – sollen Großunternehmen stärker bestraft werden, da unterstellt wird, dass sie über ausreichende Kenntnisse und Strukturmittel verfügen, um die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens zu erkennen und dessen etwaige Vorteile einzuschätzen. Zu diesem Zweck muss sich der Umsatz, auf dessen Grundlage die Kommission die Größe der fraglichen Unternehmen und damit deren Fähigkeit bestimmt, den Charakter und die Folgen ihres Verhaltens zu ermitteln, auf ihre Situation zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung beziehen.

(vgl. Randnrn. 95-96, 272-274, 278-280, 283, 285, 289-290, 302)

12.    Eine Vorgehensweise bei der Festsetzung der Geldbußen für die verschiedenen Teilnehmer an einem Kartell, die darin besteht, die Mitglieder in mehrere Kategorien einzuteilen, was zu einer Pauschalierung des für die Unternehmen einer Kategorie festgesetzten Ausgangsbetrags führt, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, auch wenn sie bewirkt, dass die Größenunterschiede zwischen Unternehmen ein und derselben Kategorie unberücksichtigt bleiben. Die Kommission ist nämlich, wenn Geldbußen gegen mehrere an derselben Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen festgesetzt werden, bei der Ermittlung der Höhe der Geldbußen nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in den Endbeträgen der Geldbußen alle Unterschiede, die zwischen dem Gesamtumsatz der betreffenden Unternehmen bestehen, zum Ausdruck kommen.

Gleichwohl muss bei einer solchen Einteilung in Kategorien der Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet werden, der es verbietet, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Im Hinblick darauf sehen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, in Nummer 1 Teil A Absatz 6 vor, dass vor allem eine „sehr unterschiedliche“ Größe der an einem Verstoß derselben Art beteiligten Unternehmen eine Differenzierung bei der Beurteilung der Schwere des Verstoßes rechtfertigen kann. Im Übrigen muss der Betrag der Geldbußen zumindest in angemessenem Verhältnis zu den Faktoren stehen, die bei der Beurteilung der Schwere des Verstoßes herangezogen wurden. Folglich muss, wenn die Kommission die betroffenen Unternehmen zur Festsetzung der Geldbußen in Kategorien einteilt, die Bestimmung der Schwellenwerte für jede der auf diese Weise gebildeten Kategorien schlüssig und objektiv gerechtfertigt sein.

Im Hinblick auf das verfolgte Ziel – die Anpassung der Geldbuße unter Berücksichtigung der Gesamtressourcen des Unternehmens und seiner Fähigkeit, die zur Zahlung der Geldbuße erforderlichen Mittel aufzubringen – soll die Festlegung des zur Sicherstellung einer hinreichend abschreckenden Wirkung der Geldbuße dienenden Aufschlags auf den Grundbetrag eher dazu dienen, die Wirksamkeit der Geldbuße zu gewährleisten, als dazu, die Schädlichkeit der Zuwiderhandlung für den normalen Wettbewerb und damit die Schwere der Zuwiderhandlung deutlich zu machen. Folglich muss das Erfordernis einer objektiven Rechtfertigung der Methode, die Unternehmen in Kategorien einzuteilen, enger ausgelegt werden, wenn diese Einteilung nicht zur Ermittlung der Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung vorgenommen wird, sondern zur Ermittlung des Aufschlags auf den Grundbetrag, der eine hinreichend abschreckende Wirkung der verhängten Geldbuße sicherstellen soll.

Im Rahmen der Ermittlung der Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung ist nämlich, selbst wenn wegen der Einteilung in Gruppen bei bestimmten Unternehmen trotz ihrer unterschiedlichen Größe der gleiche Grundbetrag festgesetzt wird, diese unterschiedliche Behandlung objektiv gerechtfertigt, weil der Art der Zuwiderhandlung bei der Bestimmung ihrer Schwere ein sehr viel größeres Gewicht zukommt als der Unternehmensgröße. Diese Rechtfertigung gilt jedoch nicht für die Ermittlung des Aufschlags, der eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherstellen soll, da dieser Aufschlag im Wesentlichen und objektiv auf der Größe und den Ressourcen der Unternehmen beruht und nicht auf der Art der Zuwiderhandlung.

(vgl. Randnrn. 323-325, 328-331)

13.    Im Rahmen der Ermittlung des Betrages einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln ist es zwar bedeutsam, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergriffen hat, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts daran, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Die bloße Tatsache, dass die Kommission bei ihrer Entscheidungspraxis in bestimmten Fällen die Einführung eines Befolgungsprogramms als mildernden Umstand berücksichtigt hat, bedeutet folglich nicht, dass sie verpflichtet wäre, in einem konkreten Fall ebenso vorzugehen. Die Kommission ist somit nicht verpflichtet, einen solchen Faktor als mildernden Umstand zu berücksichtigen, sofern sie den Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet, was voraussetzt, dass die Unternehmen, an die sich eine Entscheidung richtet, in diesem Punkt nicht unterschiedlich beurteilt werden.

Außerdem kann die bloße Einführung eines Programms zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch ein Unternehmen zweifellos keine tragfähige und sichere Garantie für die künftige dauerhafte Einhaltung dieser Regeln darstellen, so dass ein solches Programm die Kommission nicht zwingen kann, eine Geldbuße herabzusetzen, weil der mit ihr verfolgte Präventionszweck zumindest teilweise bereits erreicht wurde.

(vgl. Randnrn. 350-351, 361)

14.    Das Verbot generalpräventiver Gründe gilt zwar für den Sonderfall der Maßnahmen, mit denen Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung von dem in Artikel 18 Absatz 1 EG verankerten Grundsatz der Freizügigkeit der Unionsbürger abweichen, stellt aber keineswegs einen allgemeinen Grundsatz dar und kann somit offenkundig nicht ohne weiteres auf den Bereich der von der Kommission wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gegen Unternehmen verhängten Geldbußen übertragen werden. Vielmehr darf die Kommission dem Umstand Rechnung tragen, dass wettbewerbswidrige Praktiken wegen des Gewinns, den eine Reihe der betroffenen Unternehmen daraus ziehen kann, immer noch verhältnismäßig häufig sind, obwohl ihre Rechtswidrigkeit von Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an feststand, und kann daher das Niveau der Geldbußen anheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken; dies entspricht zumindest teilweise der Notwendigkeit, den Geldbußen eine abschreckende Wirkung für andere als die von ihnen betroffenen Unternehmen zu verleihen.

(vgl. Randnrn. 359-360)

15.    Die Herabsetzung von Geldbußen im Fall der Kooperation von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht beteiligt waren, beruht auf der Erwägung, dass eine solche Kooperation der Kommission ihre Aufgabe erleichtert.

Insoweit trägt ein Unternehmen, das sich im Verwaltungsverfahren darauf beschränkt, zu den von der Kommission aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht Stellung zu nehmen, und somit deren Richtigkeit nicht einräumt, nicht nachhaltig zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission bei. Ebenso reicht eine allgemeine Erklärung eines Unternehmens, dass es den festgestellten Sachverhalt gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit in Kartellsachen nicht bestreite, nicht aus, wenn diese Erklärung im konkreten Fall ohne jeden Nutzen für die Kommission ist. Schließlich kann eine Herabsetzung auf der Grundlage der Mitteilung über Zusammenarbeit nur gerechtfertigt sein, wenn die gelieferten Informationen und allgemeiner das Verhalten des betreffenden Unternehmens insoweit als Zeichen seiner echten Zusammenarbeit angesehen werden können. Wie sich bereits aus dem Begriff der Zusammenarbeit, wie er in der Mitteilung über Zusammenarbeit und insbesondere in der Einführung und in Abschnitt D Nummer 1 dieser Mitteilung verwendet wird, ergibt, kann eine Herabsetzung auf der Grundlage der Mitteilung nur vorgenommen werden, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens von einem solchen Geist der Zusammenarbeit zeugt.

(vgl. Randnrn. 380-383)

16.    Im Fall einer Änderung der allgemeinen Wettbewerbspolitik der Kommission im Bereich von Geldbußen, wie sie sich insbesondere aus den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ergibt, ist im Rahmen der Kontrolle der Beachtung des Rückwirkungsverbots zu prüfen, ob die Änderung zum Zeitpunkt der Begehung der betreffenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war.

Insoweit besteht die wesentliche Neuerung der Leitlinien darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung ein Grundbetrag verwendet wird, der innerhalb von hierfür vorgesehenen Spannen festgelegt wird, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen. Zu prüfen ist daher, ob diese neue Berechnungsmethode der Geldbußen, falls sie sich verschärfend auf die Höhe der Geldbußen ausgewirkt haben sollte, zum Zeitpunkt der Begehung der betreffenden Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war. Die Kommission ist aber dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen; vielmehr verlangt die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann.

Somit kann bei Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, ein berechtigtes Vertrauen weder darauf bestehen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird, noch auf eine bestimmte Berechnungsmethode der Geldbußen. Die betreffenden Unternehmen müssen sich folglich dessen bewusst sein, dass die Kommission jederzeit beschließen kann, unter Beachtung der für ihr Handeln maßgebenden Vorschriften das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der in Einzelentscheidungen verhängten Geldbußen anhebt, sondern auch dann, wenn die Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen, die wie die Leitlinien allgemeine Geltung haben, auf konkrete Fälle angewandt werden. Im Übrigen steht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte der Vorhersehbarkeit des Gesetzes nicht entgegen, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für Gewerbstätige, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen.

Daraus ist zu schließen, dass die Leitlinien und speziell die darin vorgesehene neue Berechnungsmethode der Geldbußen, falls sie sich verschärfend auf die Höhe der Geldbußen ausgewirkt haben sollte, für die Unternehmen zum Zeitpunkt der Begehung der betreffenden Zuwiderhandlung hinreichend vorhersehbar waren.

(vgl. Randnrn. 388-396)

17.    Nach Artikel 287 EG sind die Mitglieder sowie die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaftsorgane verpflichtet, „Auskünfte, die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben; dies gilt insbesondere für Auskünfte über Unternehmen sowie deren Geschäftsbeziehungen oder Kostenelemente“. Obwohl sich diese Bestimmung in erster Linie auf Auskünfte bezieht, die bei Unternehmen eingeholt worden sind, zeigt der Zusatz „insbesondere“, dass es sich um einen allgemeinen Grundsatz handelt, der auch für andere vertrauliche Auskünfte gilt. In streitigen Verfahren, die zur Verhängung einer Sanktion führen können, fallen Art und Höhe der vorgeschlagenen Sanktion ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis, solange die Sanktion noch nicht endgültig gebilligt und verhängt worden ist. Dieser Grundsatz folgt insbesondere aus der Notwendigkeit, den Ruf und das Ansehen des Betroffenen zu wahren, solange die Sanktion nicht gegen ihn verhängt worden ist.

Insofern deckt sich die Pflicht der Kommission, der Presse keine Auskünfte über die konkret geplante Sanktion zu geben, nicht nur mit ihrer Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses, sondern auch mit ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung. Schließlich gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung auch in Verfahren, die gegen Unternehmen wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln eingeleitet werden und zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können. Diese Unschuldsvermutung wird von der Kommission offensichtlich nicht beachtet, wenn sie das dem Beratenden Ausschuss und dem Kollegium der Kommissionsmitglieder zur Beratung vorgelegte Verdikt vor der förmlichen Verhängung der Sanktion gegen das von ihr beschuldigte Unternehmen der Presse mitteilt.

Zum einen kann jedoch das Vorliegen einer nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens tatsächlich erwiesenen Zuwiderhandlung nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass der Kommission nachgewiesen wird, dass sie ihre Überzeugung von der Existenz der Zuwiderhandlung und die Höhe der Geldbuße, die sie deshalb gegen ein Unternehmen zu verhängen beabsichtigt, verfrüht bekundet hat. Es kann auch nicht behauptet werden, dass die Preisgabe des Inhalts einer Entscheidung am Ende des Verwaltungsverfahrens und kurz vor ihrem förmlichen Erlass für sich genommen zum Beweis dafür geeignet ist, dass die Kommission der Entscheidung vorgegriffen oder voreingenommen ermittelt hat.

Zum anderen kann eine derartige Unregelmäßigkeit nur dann zur Nichtigerklärung der fraglichen Entscheidung führen, wenn erwiesen ist, dass die Entscheidung ohne diese Unregelmäßigkeit inhaltlich anders ausgefallen wäre.

In der letztgenannten Voraussetzung kann keine Verletzung des Anspruchs des Einzelnen auf effektiven gerichtlichen Schutz seiner aus der Gemeinschaftsrechtsordnung hergeleiteten Rechte gesehen werden, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, und auch in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Dieser Schutz muss nämlich mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und der für Handlungen der Gemeinschaftsorgane geltenden Gültigkeitsvermutung in Einklang gebracht werden.

(vgl. Randnrn. 409-411, 414-416, 421-423)