Language of document : ECLI:EU:C:2024:388

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

8. Mai 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsstaatlichkeit – Unabhängigkeit der Justiz – Art. 19 Abs. 1 EUV – Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung – Im Einvernehmen mit Rumänien ergangene Vorgaben – Korruptionsbekämpfung – Ermittlung von Straftaten innerhalb der Justiz – Klage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Durchführung solcher Ermittlungen zuständig sind – Klagebefugnis der Berufsverbände von Richtern und von Staatsanwälten“

In der Rechtssache C‑53/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Pitești, Rumänien) mit Entscheidung vom 31. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Februar 2023, in dem Verfahren

Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“,

Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“

gegen

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter T. von Danwitz und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“, vertreten durch D. Călin und L. Zaharia,

–        des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României, vertreten durch A.‑F. Florenţa als Bevollmächtigten,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch L.‑E. Baţagoi, E. Gane und L. Ghiţă als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, I. V. Rogalski und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Februar 2024

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV, der Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), des Anhangs IX der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203), sowie der Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ und der Asociația „Mișcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ auf der einen Seite und dem Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Generalstaatsanwalt von Rumänien) (im Folgenden: Generalstaatsanwalt) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit einer Verfügung zur Ernennung mehrerer Staatsanwälte beim Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof, Rumänien; im Folgenden: PÎCCJ).

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 8 Abs. 1a der Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004 (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004) bestimmt:

„Natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts können Ansprüche zur Wahrung eines berechtigten öffentlichen Interesses nur ergänzend geltend machen, soweit sich die Beeinträchtigung des berechtigten öffentlichen Interesses logisch aus der Verletzung eines subjektiven Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses ergibt.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

4        Am 5. August 2022 erhoben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in ihrer Eigenschaft als Berufsverband von Richtern bzw. Staatsanwälten bei der Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf teilweise Nichtigerklärung einer Verfügung zur Ernennung von Staatsanwälten beim PÎCCJ, die in Korruptionssachen, die in die Zuständigkeit der Direcția Națională Anticorupție (Nationale Antikorruptionsdirektion, Rumänien) fallen und Richter sowie Staatsanwälte betreffen, die Strafverfolgung wahrnehmen sollen.

5        Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen für ihre Klage im Wesentlichen geltend, dass die nationale Regelung, auf der diese Verfügung beruhe, gegen verschiedene Bestimmungen des Unionsrechts verstoße, so dass der Generalstaatsanwalt von ihrer Anwendung hätte absehen müssen. Mit dieser Regelung wurde die Secția pentru investigarea infracțiunilor din justiție (Abteilung für die Ermittlung von Straftaten innerhalb der Justiz) beim PÎCCJ abgeschafft und die ausschließliche Zuständigkeit für die Strafverfolgung der von Richtern und Staatsanwälten begangenen Straftaten auf Staatsanwälte übertragen, die vom Generalstaatsanwalt auf Vorschlag des Plenums des Consiliul Superior al Magistraturii (Oberster Justizrat, Rumänien) für einen Zeitraum von vier Jahren speziell ernannt werden.

6        Das vorlegende Gericht weist als Erstes darauf hin, dass es nach den rumänischen Verfahrensvorschriften in ihrer Auslegung durch die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) die Nichtigkeitsklage im Ausgangsverfahren für unzulässig erklären müsse.

7        Zwar räume die rumänische Regelung jeder Person, deren berechtigtes Interesse verletzt worden sei, das Recht ein, einen Verwaltungsakt anzufechten, doch ergebe sich aus dieser Regelung, dass sich Personen des Privatrechts nur auf ein öffentliches Interesse berufen könnten, soweit sich die Beeinträchtigung dieses Interesses logisch aus der Verletzung eines subjektiven Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses ergebe. In Bezug auf Vereinigungen mache die Rechtsprechung der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) die Zulässigkeit einer Klage wie derjenigen, um die es im Ausgangsverfahren gehe, aber davon abhängig, dass zwischen dem der Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogenen Verwaltungsakt und dem unmittelbaren Zweck sowie den Zielen der klagenden Vereinigung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung habe die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) in mehreren Urteilen befunden, dass Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten kein Rechtsschutzinteresse gegenüber Entscheidungen über die Ernennung von Richtern oder Staatsanwälten hätten.

8        Allerdings strebten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in einem vom Unionsrecht erfassten Bereich an. Daher sei zu klären, ob die Auslegung der nationalen Verfahrensvorschriften durch die Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) gegen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta verstoße.

9        Das vorlegende Gericht weist insoweit insbesondere darauf hin, dass der Gerichtshof Umweltschutzverbänden eine Klagebefugnis zuerkannt habe und dass er über Vorabentscheidungsersuchen in Ausgangsverfahren entschieden habe, die von Berufsverbänden von Richtern und Staatsanwälten eingeleitet worden seien.

10      Als Zweites wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die von Rumänien erlassene Neuregelung der Strafverfolgung im Hinblick auf von Richtern und Staatsanwälten begangene Straftaten mit dem Unionsrecht, namentlich mit Art. 19 Abs. 1 EUV und den Verpflichtungen Rumäniens im Bereich der Korruptionsbekämpfung, vereinbar ist.

11      Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Piteşti (Berufungsgericht Piteşti) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta dem entgegen, dass Klagen, die Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten erheben, um die Unabhängigkeit der Richter und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu schützen sowie die Stellung des Berufsstands zu wahren, durch die Einführung der Voraussetzung eingeschränkt werden, dass ein berechtigtes privates Interesse vorliegen muss, das auf der Grundlage einer verbindlichen Entscheidung der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof), gefolgt von einer nationalen Praxis in ähnlichen Fällen wie dem, in dem das vorliegende Ersuchen ergeht, dadurch übermäßig eingeschränkt worden ist, dass in Fällen, in denen die Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in vom Unionsrecht erfassten Bereichen im Einklang mit ihrem Zweck und ihren allgemeinen satzungsmäßigen Zielen anstreben, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verwaltungsakt, der der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte unterzogen wird, und dem unmittelbaren Zweck sowie den satzungsmäßigen Zielen der Verbände verlangt wird?

2.      Stehen – abhängig von der Antwort auf die erste Frage – Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Anhang IX der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, und die Entscheidung 2006/928 einer nationalen Regelung entgegen, die die Zuständigkeit der Nationalen Antikorruptionsdirektion dadurch einschränkt, dass sie die ausschließliche Zuständigkeit für die Ermittlung von Korruptionsdelikten (im weiteren Sinne), die von Richtern und Staatsanwälten begangen werden, bestimmten Staatsanwälten der Staatsanwaltschaft bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) bzw. der Staatsanwaltschaften bei den Berufungsgerichten überträgt, die (vom Generalstaatsanwalt von Rumänien auf Vorschlag des Plenums des Obersten Justizrats) speziell ernannt werden und auch für andere Kategorien von Straftaten zuständig sind, die von Richtern und Staatsanwälten begangen werden?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

12      Der Generalstaatsanwalt stellt die Zuständigkeit des Gerichtshofs und die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Abrede. Er macht zunächst geltend, dass die Vorlagefragen hypothetischen Charakter hätten und sich ausschließlich auf das nationale Recht bezögen. Sodann werde der Fall des Ausgangsverfahrens vom Unionsrecht nicht erfasst, da sich die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht auf ein unionsrechtlich geschütztes persönliches Recht beriefen. Daraus folge, dass der Gerichtshof für die Auslegung der Bestimmungen der Charta, auf die sich die Vorlagefragen bezögen, nicht zuständig sei. Schließlich werde der Gerichtshof mit dem Vorabentscheidungsersuchen aufgerufen, sich zur Rechtmäßigkeit von Maßnahmen des nationalen Rechts zu äußern, was ebenfalls seine Zuständigkeit überschreite.

13      Die rumänische Regierung hält die erste Frage für unzulässig. Sie macht geltend, dass das vorlegende Gericht die Sachlage des Ausgangsverfahrens nicht klar erläutere und nicht darlege, inwiefern und auf welcher Grundlage den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens das Recht auf Zugang zu einem Gericht verwehrt werde. Insbesondere gehe aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhobene Klage die im rumänischen Recht aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen erfülle, was der ersten Frage jede Bedeutung nehme. Somit sei das vorlegende Gericht allenfalls mit einer Schwierigkeit bei der Auslegung des nationalen Rechts konfrontiert.

14      Insoweit ist zur Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefragen als Erstes festzustellen, dass das mit Art. 267 AEUV errichtete System der Zusammenarbeit auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht. Im Rahmen eines gemäß diesem Artikel eingeleiteten Verfahrens ist die Auslegung der nationalen Vorschriften Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten und nicht des Gerichtshofs, und es kommt diesem nicht zu, sich zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen des Unionsrechts zu äußern. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem Gericht ermöglichen, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu beurteilen (Urteil vom 10. März 2022, Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs [Umfassender Krankenversicherungsschutz], C‑247/20, EU:C:2022:177, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Im vorliegenden Fall geht zum einen aus dem Wortlaut der Vorlagefragen hervor, dass sie unmittelbar die Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts zum Gegenstand haben. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass sie sich auf die Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts beziehen.

16      Zum anderen zielen die Vorlagefragen zwar darauf ab, vom Gerichtshof Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu erhalten, anhand deren die Vereinbarkeit bestimmter nationaler Regelungen mit dem Unionsrecht beurteilt werden kann, doch wird der Gerichtshof damit nicht aufgerufen, sich selbst zu dieser Vereinbarkeit zu äußern.

17      Was als Zweites das Vorbringen des Generalstaatsanwalts betrifft, der Fall des Ausgangsverfahrens werde vom Unionsrecht nicht erfasst, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine innerstaatliche Regelung, mit der eine Abteilung der rumänischen Staatsanwaltschaft errichtet und organisatorisch geregelt wurde, die mit der Ermittlung von Straftaten innerhalb der Justiz betraut und für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig ist, in den Anwendungsbereich der Entscheidung 2006/928 fällt und folglich den Anforderungen genügen muss, die sich aus dem Unionsrecht und insbesondere aus Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Zwar ergibt sich aus dieser Feststellung nicht unmittelbar, dass Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens individuelle Rechte verleihen, doch bezieht sich der Standpunkt des Generalstaatsanwalts, wonach dies nicht der Fall sei, wie der Generalanwalt in Nr. 21 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auf materielle Aspekte, die die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefragen nicht berühren können.

19      Mit der ersten Frage soll nämlich gerade geklärt werden, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV, die nationalen Gerichte verpflichtet, die Nichtigkeitsklage eines Berufsverbands von Richtern bzw. Staatsanwälten für zulässig zu erklären, mit der der betreffende Verband die Vereinbarkeit von Ernennungen von Staatsanwälten in eine für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständige Abteilung der rumänischen Staatsanwaltschaft mit dem Unionsrecht in Abrede stellt.

20      Daher ist, ohne dass beurteilt zu werden braucht, ob im Fall des Ausgangsverfahrens sämtliche in den Vorlagefragen angeführten Bestimmungen des Unionsrechts anwendbar sind, festzustellen, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht mit der Begründung verneint werden kann, dass der Fall des Ausgangsverfahrens vom Unionsrecht nicht erfasst werde.

21      Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts insbesondere nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 9. November 2023, Odbor azylové a migrační politiky [Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie], C‑257/22, EU:C:2023:852, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Darüber hinaus macht es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung bzw. Beurteilung der Gültigkeit des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sorgfältig beachtet, die in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, von dem das vorlegende Gericht Kenntnis haben sollte, ausdrücklich aufgeführt sind. Auf diese Anforderungen wird im Übrigen in den Empfehlungen des Gerichtshofs an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen (Urteil vom 13. Juli 2023, Azienda Ospedale-Università di Padova, C‑765/21, EU:C:2023:566, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      So folgt aus der Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, die Anforderung, dass das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen die Fragen beruhen. Außerdem müssen in der Vorlageentscheidung die genauen Gründe angegeben werden, aus denen das nationale Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung des Unionsrechts hat und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof für erforderlich hält (Urteil vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Im vorliegenden Fall enthält das Vorabentscheidungsersuchen alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Gerichtshof die Beantwortung der Vorlagefragen zu ermöglichen.

25      Was insbesondere die erste Frage betrifft, ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung des Ersuchens und des Wortlauts an sich dieser Frage, dass sich das vorlegende Gericht im Fall einer Verneinung dieser Frage gehalten sehen wird, der Auslegung der einschlägigen nationalen Regelung, die sich aus der Rechtsprechung der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) ergibt, zu folgen und daher die Klage im Ausgangsverfahren als unzulässig abzuweisen.

26      Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen sowohl den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der ersten Frage als auch die Gründe dargelegt hat, aus denen es die Vorlage dieser Frage an den Gerichtshof für erforderlich hält. Anhand ebendieser Gründe lässt sich auch feststellen, dass die besagte Frage der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienlich ist.

27      Außerdem ergibt sich aus dem Ersuchen, dass das vorlegende Gericht bei einer Bejahung der ersten Frage die Vereinbarkeit der nationalen Regelung, auf die sich die zweite Frage bezieht, mit dem Unionsrecht zu prüfen haben wird, um über das Vorbringen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zu befinden.

28      Daher können die Vorlagefragen nicht als hypothetisch angesehen werden.

29      Demnach ist festzustellen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens zuständig ist und die Vorlagefragen zulässig sind.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

30      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es, indem sie die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, vom Vorliegen eines berechtigten privaten Interesses abhängig macht, in der Praxis ausschließt, dass eine solche Klage von Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten erhoben werden kann, um den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu verteidigen.

31      Soweit die rumänische Regierung für die von ihr vorgeschlagene Antwort auf die erste Frage geltend macht, dass entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht zwangsläufig zur Feststellung der Unzulässigkeit der Klage im Ausgangsverfahren führe, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen hat. Somit kann die Prüfung einer Vorlage zur Vorabentscheidung nicht anhand der von der Regierung eines Mitgliedstaats vorgebrachten Auslegung des nationalen Rechts erfolgen (Urteil vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Das vorlegende Gericht hat aber darauf hingewiesen, dass die von der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) vorgenommene Auslegung der einschlägigen rumänischen Regelung zwangsläufig dazu führe, dass eine Klage wie diejenige im Ausgangsverfahren als unzulässig zurückgewiesen werde, weil sich ein Berufsverband von Richtern bzw. Staatsanwälten nicht auf ein berechtigtes privates Interesse berufen könne, das seine Klagebefugnis für eine solche Klage begründen könnte, weshalb sich die erste Frage auf diese Auslegung der betreffenden Regelung bezieht.

33      Die von der rumänischen Regierung vertretene Auslegung der Verfahrensvorschriften des rumänischen Rechts kann infolgedessen vom Gerichtshof für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens nicht herangezogen werden.

34      Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe überträgt, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 188, und vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 39).

35      Schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, ist einem Rechtsstaat inhärent. Insoweit ist es gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und entsprechend in Art. 47 der Charta verankert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 219 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, insbesondere die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu regeln, ohne jedoch das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Dabei dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als für entsprechende Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 22).

38      Was den Äquivalenzgrundsatz betrifft, scheint es nach den Angaben, die im Vorabentscheidungsersuchen gemacht werden, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung auf Klagen zum Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte und auf entsprechende Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, in gleicher Weise zur Anwendung kommt. Insbesondere scheint – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – das Rechtsschutzinteresse von Personen des Privatrechts und namentlich von Vereinigungen nicht danach unterschiedlich geprüft zu werden, ob sie ein auf das Unionsrecht gestütztes öffentliches Interesse wie den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit oder ein aus dem nationalen Recht abgeleitetes öffentliches Interesse geltend machen wollen.

39      Was den Effektivitätsgrundsatz anbelangt, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass diese nationale Regelung es, wie oben in Rn. 7 ausgeführt, jeder Person, die ein berechtigtes privates Interesse nachweist, erlaubt, einen Verwaltungsakt wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfügung anzufechten, und zwar auch unter Berufung auf eine sich daraus ergebende Beeinträchtigung eines öffentlichen Interesses. Unter diesen Umständen scheint ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz dadurch gewährleistet zu sein, dass die Betroffenen und insbesondere die Richter und Staatsanwälte, die durch eine sie betreffende nationale Maßnahme beschwert werden, das Recht haben, sich auf die Einhaltung der Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 EUV zu berufen, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

40      Zwar hat der Gerichtshof, wie das vorlegende Gericht hervorhebt, bereits festgestellt, dass die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen repräsentativen Verbänden gestatten müssen, zum Schutz der Umwelt oder zur Bekämpfung von Diskriminierungen den Rechtsweg zu beschreiten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 58, und vom 23. April 2020, Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI, C‑507/18, EU:C:2020:289, Rn. 60).

41      Diese Feststellungen des Gerichtshofs gehen jedoch zum einen auf Verfahrensrechte zurück, die repräsentativen Verbänden durch das am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichnete und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigte Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten oder durch Sekundärrechtsakte wie die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) speziell verliehen werden.

42      Zum anderen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es den Mitgliedstaaten selbst in den oben in Rn. 40 genannten Bereichen, wenn das besagte Übereinkommen oder die angesprochenen Rechtsakte die Zuerkennung der Klagebefugnis an repräsentative Verbände nicht speziell vorschreiben, freisteht, ob sie diese Verbände mit einer Klagebefugnis ausstatten oder nicht. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten, wenn sie in diesem Rahmen repräsentativen Verbänden die Klagebefugnis zuerkennen wollen, sowohl den Umfang der diesen Verbänden offenstehenden Klagen als auch die Voraussetzungen festlegen, von denen die Erhebung dieser Klagen unter Wahrung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf abhängig gemacht wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2008, Feryn, C‑54/07, EU:C:2008:397, Rn. 27, vom 23. April 2020, Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI, C‑507/18, EU:C:2020:289, Rn. 62 bis 64, und vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe [Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen], C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 63 und 65 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Wie aber der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verpflichtet keine Bestimmung des Unionsrechts die Mitgliedstaaten dazu, den Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten Verfahrensrechte zu garantieren, die es ihnen ermöglichen würden, gegen jede Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht gerichtlich vorzugehen, die mutmaßlich in Bezug auf eine mit der Stellung der Richter zusammenhängende nationale Bestimmung oder Maßnahme besteht.

44      Daher kann aus der oben in Rn. 35 genannten Verpflichtung, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet, nicht abgeleitet werden, dass die Mitgliedstaaten allgemein verpflichtet sind, den besagten Verbänden das Recht auf Erhebung einer Klage zu garantieren, die auf eine solche Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht gestützt ist.

45      Der Umstand, dass der Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen beantwortet haben mag, die in Rechtssachen an ihn gerichtet wurden, in denen das vorlegende Gericht von Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten angerufen worden war, ist nicht geeignet, diese Würdigung in Frage zu stellen, da es nicht Sache des Gerichtshofs ist, sich im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren zur Zulässigkeit der Klagen der Ausgangsverfahren zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Die Berücksichtigung von Art. 12 der Charta, auf den sich das vorlegende Gericht bezieht, kann keine Grundlage für eine andere Lösung bieten, da darin lediglich die Vereinigungsfreiheit niedergelegt ist, ohne dass jedoch verlangt würde, dass Vereinigungen zwangsläufig befugt sein müssen, Klage zu erheben, um für ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel einzutreten.

47      Gleiches gilt für die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Was insoweit genauer die Möglichkeit betrifft, gegen Entscheidungen über die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, Klage zu erheben, ist daran zu erinnern, dass jeder Mitgliedstaat, um Art. 19 Abs. 1 EUV nachzukommen, dafür zu sorgen hat, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 191, und vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 40).

48      Um sicherzustellen, dass Einrichtungen, die zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können, in der Lage sind, den nach dieser Bestimmung erforderlichen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, ist aber von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 194 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Die Anforderung der Unabhängigkeit der Gerichte, die sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergibt, umfasst zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt verlangt, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Bei Vorschriften, die für Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten die Möglichkeit ausschließen, gegen Entscheidungen über die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, Klage zu erheben, ist nicht ersichtlich, dass sie die genannten Anforderungen unmittelbar beeinträchtigen können, da diese Vorschriften als solche nicht geeignet sind, die Richter in ihrer Fähigkeit zu behindern, ihr Amt autonom und unparteiisch auszuüben.

51      Allerdings setzen nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsuchenden jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 196, und vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 82).

52      Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen, um sicherzustellen, dass der Anforderung der richterlichen Unabhängigkeit nachgekommen ist, bestimmte Rechtsbehelfe vorsehen müssen, die es ermöglichen, die Ordnungsmäßigkeit nationaler Maßnahmen zu überprüfen, die sich auf die Laufbahn der Richter oder auf die Zusammensetzung der nationalen Gerichte auswirken.

53      So verlangt diese Anforderung nach der Rechtsprechung zunächst, dass die Disziplinarregelung die erforderlichen Garantien dafür bietet, dass jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang sind Regeln, die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, Teil eines Gefüges von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 198 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Ebenso müssen Versetzungsmaßnahmen, die außerhalb des Rahmens der Disziplinarregelung getroffen werden und nicht im Einvernehmen ergehen, vor Gericht in einem Verfahren angefochten werden können, das die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte in vollem Umfang gewährleistet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 118).

55      Sodann hat der Gerichtshof geurteilt, dass das Grundrecht auf ein faires Verfahren und insbesondere die Garantien für den Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht, die dieses Grundrecht kennzeichnen, u. a. implizieren, dass jedes Gericht überprüfen muss, ob es in Anbetracht seiner Zusammensetzung ein solches Gericht ist, wenn insoweit ein ernsthafter Zweifel besteht, und dass diese Überprüfung im Hinblick auf das Vertrauen, das die Gerichte einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsuchenden wecken müssen, erforderlich ist (Urteil vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], C‑204/21, EU:C:2023:442, Rn. 129).

56      Schließlich könnte in einem Kontext, der von allgemeinen Reformen des Justizsystems geprägt ist, die die Unabhängigkeit der Richter einschränken, das Fehlen hinreichender Garantien eines Gremiums, das die Ernennung von Richtern vorschlagen soll, das Bestehen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs für nicht ausgewählte Kandidaten – und sei er auch eingeschränkt – erforderlich machen, um dazu beizutragen, das Verfahren zur Ernennung der betreffenden Richter vor unmittelbarer oder mittelbarer Einflussnahme zu schützen, und um letztlich zu verhindern, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter entstehen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A.B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 136).

57      In diesem Zusammenhang ist in Bezug auf die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, um u. a. das Aufkommen solcher Zweifel zu verhindern, allgemein sicherstellen müssen, dass die Tätigkeit der betreffenden Staatsanwälte durch wirksame Vorschriften geregelt wird, die der Anforderung der richterlichen Unabhängigkeit voll und ganz gerecht werden. Die zu diesem Zweck erlassenen Vorschriften müssen insbesondere, ebenso wie diejenigen über die disziplinarische Verantwortung der Richter und Staatsanwälte, die notwendigen Garantien dafür vorsehen, dass eine solche Strafverfolgung nicht als System zur politischen Kontrolle der Tätigkeit der Richter und Staatsanwälte eingesetzt werden kann, und sie müssen die Wahrung der in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte in vollem Umfang gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 213).

58      Da erstens die Mitgliedstaaten solche Vorschriften erlassen und anwenden müssen, da zweitens die Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten von der Ernennung von Staatsanwälten grundsätzlich nicht unmittelbar betroffen sind, und zwar auch dann nicht, wenn die ernannten Staatsanwälte für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sein werden, und da sich drittens aus den obigen Erwägungen in den Rn. 43 bis 46 ergibt, dass das Unionsrecht nicht allgemein vorschreibt, dass solchen Verbänden spezielle Verfahrensrechte zuerkannt werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein der Umstand, dass eine nationale Regelung den Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten nicht gestattet, eine Nichtigkeitsklage gegen Entscheidungen über die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, zu erheben, ausreicht, um bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der Richter aufkommen zu lassen.

59      Daraus folgt, dass die Anforderung der richterlichen Unabhängigkeit nicht allgemein dahin ausgelegt werden kann, dass die Mitgliedstaaten danach den Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten die Erhebung solcher Klagen gestatten müssten.

60      Im Übrigen kann ein Recht der Berufsverbände von Richtern bzw. Staatsanwälten, gerichtlich gegen Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorzugehen, auch nicht aus Art. 47 der Charta hergeleitet werden.

61      Die Anerkennung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in einem bestimmten Einzelfall setzt nämlich voraus, dass die Person, die es geltend macht, sich auf durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten beruft oder Gegenstand von Verfolgungsmaßnahmen ist, die eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 34).

62      Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch weder hervor, dass sich die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens auf ein Recht beriefen, das ihnen aufgrund einer Bestimmung des Unionsrechts zustünde, noch, dass sie Gegenstand von Verfolgungsmaßnahmen wären, die eine Durchführung des Unionsrechts darstellten.

63      Soweit die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ihre Klage auf Art. 19 Abs. 1 EUV stützen möchten, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei einem Verband, der vor einem nationalen Gericht die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung über die Ernennung von Richtern bzw. Staatsanwälten mit dieser Bestimmung geltend macht, nicht allein aus diesem Grund davon ausgegangen werden kann, dass er sich auf eine Verletzung eines Rechts beruft, das ihm nach einer Bestimmung des Unionsrechts zustünde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 43 und 44).

64      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es, indem sie die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, vom Vorliegen eines berechtigten privaten Interesses abhängig macht, in der Praxis ausschließt, dass eine solche Klage von Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten erhoben werden kann, um den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu verteidigen.

 Zur zweiten Frage

65      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

66      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es, indem sie die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen die Ernennung von Staatsanwälten, die für die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten zuständig sind, vom Vorliegen eines berechtigten privaten Interesses abhängig macht, in der Praxis ausschließt, dass eine solche Klage von Berufsverbänden von Richtern bzw. Staatsanwälten erhoben werden kann, um den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu verteidigen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.