Language of document : ECLI:EU:T:2015:815

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

29. Oktober 2015(*)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke SANDTER 1953 – Ältere nationale Wortmarke Sander – Relatives Eintragungshindernis – Teilweise Zurückweisung der Anmeldung – Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke – Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009“

In der Rechtssache T‑21/14

NetMed Sàrl mit Sitz in Wasserbillig (Luxemburg), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt S. Schafhaus,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch M. Fischer als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM:

Sander chemisch-pharmazeutische Fabrik GmbH mit Sitz in Baden-Baden (Deutschland),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 24. Oktober 2013 (Sache R 1846/2012‑1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der NetMed Sàrl und der Sander chemisch-pharmazeutische Fabrik GmbH

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis sowie der Richter O. Czúcz (Berichterstatter) und A. Popescu,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 8. Januar 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 15. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund der am 25. August 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Erwiderung,

aufgrund der am 14. Oktober 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen Gegenerwiderung,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von einem Monat nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher auf Bericht des Berichterstatters gemäß Art. 135a der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 15. Oktober 2010 meldete die Klägerin, die NetMed Sàrl, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Die Marke, deren Eintragung beantragt wurde, ist das Wortzeichen SANDTER 1953.

3        Es wurden u. a. folgende Waren der Klassen 3, 5 und 10 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 3: „Massageöl; kosmetisches Massageöl“;

–        Klasse 5: „Verbandkästen (gefüllt); Verbandsmaterial; Verbandwatte; Pflaster für medizinische Zwecke; Desinfektionsmittel; Desinfektionsmittel für hygienische Zwecke; Verbandstoffe“;

–        Klasse 10: „Arztkoffer (gefüllt); Arztkoffer (nicht gefüllt); Rettungstaschen (gefüllt); Rettungskoffer (gefüllt); Rettungstaschen (nicht gefüllt); Rettungskoffer (nicht gefüllt); medizinische Apparate und Instrumente; Spritzen für medizinische Zwecke; Stethoskope; Blutdruckmessgeräte; OP-Kleidung; Bekleidung für medizinische Zwecke; Handtücher für medizinische Zwecke; Bettwäsche für medizinische Zwecke“.

4        Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 236/2010 vom 16. Dezember 2010 veröffentlicht.

5        Am 15. Februar 2011 erhob die Sander chemisch-pharmazeutische Fabrik GmbH (im Folgenden: Widersprechende) nach Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für alle oben in Rn. 3 genannten Waren.

6        Der Widerspruch war auf mehrere ältere Rechte gestützt, von denen nur die ältere nationale Wortmarke Sander für die vorliegende Rechtssache erheblich ist. Diese Marke wurde am 22. Januar 1934 in Deutschland unter der Nr. 462856 für folgende Waren der Klassen 5, 10 und 25 eingetragen: „Arzneimittel, chemische Produkte für medizinische und hygienische Zwecke, pharmazeutische Drogen und Präparate, Pflaster, Verbandstoffe, Bekleidungsstücke, Handschuhe, Korsetts; gesundheitliche Instrumente und Geräte, Bandagen, künstliche Gliedmaßen, Antikonzeptionshüllen, Kanülen, Pessarien, künstliche Sehnen und Prothesen“.

7        Als Widerspruchsgrund wurde Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 angeführt.

8        Nachdem die Klägerin gemäß Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009 den Nachweis der ernsthaften Benutzung verlangt hatte, legte die Widersprechende Dokumente und andere Unterlagen vor, mit denen der Nachweis der ernsthaften Benutzung insbesondere der älteren nationalen Marke in Deutschland erbracht werden sollte.

9        Am 12. September 2012 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch auf der Grundlage der älteren nationalen Marke teilweise, nämlich für alle angefochtenen Waren der Klassen 5 und 10, statt und wies damit die Anmeldung in Bezug auf diese Waren zurück, während sie hinsichtlich der Waren der Klasse 3, die ihrer Ansicht nach den Waren der älteren Marken nicht ähnelten, den Widerspruch zurückwies.

10      Am 2. Oktober 2012 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 beim HABM Beschwerde ein.

11      Mit Entscheidung vom 24. Oktober 2013 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Erste Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Sie kam zu dem Ergebnis, dass nach Prüfung der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Beweisstücke der Nachweis einer ernsthaften Benutzung für „Fingerlinge“, die zur allgemeinen Kategorie der „Bandagen“ gehörten, erbracht sei, so dass hinsichtlich der „Bandagen“ der Klasse 10 der Nachweis einer ernsthaften Benutzung der älteren nationalen Marke als erbracht angesehen werden könne. Ferner bestehe aufgrund der Ähnlichkeit oder Komplementarität der von der angemeldeten Marke erfassten Waren und der Waren, für die eine ernsthafte Benutzung der älteren nationalen Marke nachgewiesen worden sei, sowie aufgrund der Ähnlichkeit der Zeichen Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009.

 Anträge der Parteien

12      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM sowohl die durch das vorliegende Verfahren als auch die durch das Widerspruchs- und das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

13      Das HABM beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

14      Die Klägerin macht zwei Klagegründe geltend, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009 und zweitens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009

15      Die Klägerin ist der Ansicht, dass die bei der Widerspruchsabteilung vorgelegten Unterlagen entgegen der Schlussfolgerung der Beschwerdekammer nicht geeignet seien, den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren nationalen Marke zu erbringen. Erstens lasse sich mit den vorgelegten Beweisen eine solche Benutzung nicht nachweisen, da die eingereichten Rechnungen keine konkreten Umsatzzahlen enthielten. Zweitens seien Fingerlinge Massenartikel, die geringe Umsätze erzielten. Drittens beträfen die vorgelegten Beweise nur den Bereich der Industrie und nicht die Medizin, so dass eine ernsthafte Benutzung für Bandagen der Klasse 10, d. h. Medizinprodukte, für die insbesondere hinsichtlich der CE-Kennzeichnung eine strikte Regelung gelte, nicht nachgewiesen sei. Eine rechtswidrige Benutzung könne nicht berücksichtigt werden. Zudem habe die Beschwerdekammer diese Problematik nicht geprüft.

16      Das HABM tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

17      Aus dem zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt sich, dass der Schutz einer älteren Marken nur berechtigt ist, soweit diese Marke tatsächlich benutzt wird. Im Einklang mit diesem Erwägungsgrund kann der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke nach Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung den Nachweis verlangen, dass die ältere Marke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung, gegen die sich der Widerspruch richtet, in ihrem Schutzgebiet ernsthaft benutzt worden ist.

18      Nach Regel 22 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) in ihrer geänderten Fassung hat sich der Nachweis der Benutzung auf Ort, Zeit, Umfang und Art der Benutzung der älteren Marke zu beziehen.

19      Insoweit wird eine Marke nach ständiger Rechtsprechung „ernsthaft benutzt“, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der von ihrer Eintragung erfassten Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, wobei symbolische Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen, ausgeschlossen sind. Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird, insbesondere anhand der Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, der Art dieser Waren oder Dienstleistungen, der Merkmale des Marktes sowie des Umfangs und der Häufigkeit der Benutzung der Marke (vgl. Urteil vom 17. Juli 2014, Reber Holding/HABM, C‑141/13 P, EU:C:2014:2089, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Bezüglich des Umfangs der Benutzung der älteren Marke sind insbesondere das Handelsvolumen aller Benutzungshandlungen sowie die Länge des Zeitraums, in dem Benutzungshandlungen erfolgt sind, und die Häufigkeit dieser Handlungen zu berücksichtigen (Urteile vom 8. Juli 2004, Sunrider/HABM – Espadafor Caba [VITAFRUIT], T‑203/02, Slg, EU:T:2004:225, Rn. 41, und vom 8. Juli 2004, MFE Marienfelde/HABM – Vétoquinol [HIPOVITON], T‑334/01, Slg, EU:T:2004:223, Rn. 35).

21      Bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung einer älteren Marke ist eine umfassende Beurteilung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren des Einzelfalls vorzunehmen. Diese Beurteilung impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den zu berücksichtigenden Faktoren. So kann ein geringes Volumen von unter der Marke vertriebenen Waren durch eine große Häufigkeit oder große zeitliche Konstanz der Benutzungshandlungen dieser Marke ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteile VITAFRUIT, oben in Rn. 20 angeführt, EU:T:2004:225, Rn. 42, und HIPOVITON, oben in Rn. 20 angeführt, EU:T:2004:223, Rn. 36).

22      Außerdem können der erzielte Umsatz und die Zahl der unter der älteren Marke verkauften Waren nicht absolut beurteilt werden, sondern müssen im Zusammenhang mit anderen relevanten Faktoren wie dem Umfang der Geschäftstätigkeit, den Produktions- oder Vertriebskapazitäten oder dem Grad der Diversifizierung des Unternehmens, das die Marke verwertet, sowie den charakteristischen Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen auf dem betreffenden Markt gesehen werden. Daher braucht die Benutzung der älteren Marke nicht immer umfangreich zu sein, um als ernsthaft eingestuft zu werden (Urteile HIPOVITON, oben in Rn. 20 angeführt, Rn. 36, und vom 18. Januar 2011, Advance Magazine Publishers/HABM – Capela & Irmãos [VOGUE], T‑382/08, EU:T:2011:9, Rn. 30; vgl. auch entsprechend Urteil vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, Slg, EU:C:2003:145, Rn. 39).

23      Je begrenzter jedoch das Handelsvolumen der Markenverwertung ist, desto größer ist die Notwendigkeit, dass der Widerspruchsführer ergänzende Angaben liefert, die etwaige Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Benutzung der betreffenden Marke ausräumen können (Urteile HIPOVITON, oben in Rn. 20 angeführt, EU:T:2004:223, Rn. 37, und VOGUE, oben in Rn. 22 angeführt, EU:T:2011:9, Rn. 31).

24      Wie in Rn. 5 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wurde und die Prüfung der in der dem Gericht vorgelegten Akte des HABM enthaltenen Unterlagen ergibt, hat im vorliegenden Fall die Widersprechende zum Nachweis einer ernsthaften Benutzung der älteren nationalen Marke folgende Beweisstücke vorgelegt:

–        eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers bezüglich der Produkte „SANDER – FINGERLINGE“;

–        53 Rechnungen aus den Jahren 2006 bis 2010 an Kunden in Deutschland und anderen Ländern hinsichtlich, u. a., Fingerlingen;

–        8 Abbildungen von Verpackungsfaltschachteln für die Produkte „SANDER – FINGERLINGE“;

–        3 Preislisten aus den Jahren 2006, 2008 und 2011 bezüglich der Produkte „SANDER – FINGERLINGE“.

25      Die Klägerin beanstandet nicht, dass die Beschwerdekammer die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden berücksichtigt hat, aus der hervorgeht, dass diese seit 1933 unter der Marke Sander ununterbrochen und in großer Zahl Fingerlinge in der Europäischen Union verkauft hat. Außerdem kommt einer solchen Versicherung – wie in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wurde – Beweiskraft zu, sofern sie durch zusätzliche Beweise gestützt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2014, Nanu-Nana Joachim Hoepp/HABM – Stal-Florez Botero [la nana], T‑196/13, EU:T:2014:674, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Ferner stellt die Klägerin, wie das HABM zutreffend hervorhebt, nicht die Feststellungen der Beschwerdekammer hinsichtlich des Ortes und des Zeitraums der Benutzung in Frage.

27      Hinsichtlich des Ortes der Benutzung geht aus den Rechnungen – wie in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt wurde – hervor, dass die Fingerlinge mit der Marke Sander regelmäßig an deutsche Firmen verkauft wurden. Die ungefähr 20 Rechnungen, auf denen der Name dieser Marke erscheint, können im Zusammenhang mit den restlichen Beweisstücken ausreichen, um ihre öffentliche Benutzung in Deutschland darzulegen, wie die Beschwerdekammer zu Recht ausführte.

28      Hinsichtlich der Dauer der Benutzung stehen in zwei der eingereichten Preislisten – wie in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wurde – als Gültigkeitsdatum jeweils der 1. Januar 2006 und der 1. Januar 2008, so dass sich, zusammen mit dem aus den Rechnungen ersichtlichen Zeitraum von Anfang 2006 bis Ende 2010, die Benutzung der älteren nationalen Marke über die letzten fünf Jahre vor der am 16. Dezember 2010 erfolgten Veröffentlichung der angemeldeten Marke erstreckte, wie dies von Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verlangt wird (siehe oben, Rn. 17).

29      Bei der Prüfung des Umfangs der Benutzung in der angefochtenen Entscheidung, der von der Klägerin speziell in Frage gestellt worden ist (siehe oben, Rn. 15), nahm die Beschwerdekammer in Rn. 25 an, dass die Rechnungen den Verkauf von jeweils 5 bis 100 Verpackungen zu je 100 Stück Fingerlingen belegten, so dass bis zu 10 000 Stück Fingerlinge pro Rechnung verkauft worden seien. Sie stellte auch fest, dass sich der Verkauf der Fingerlinge gemäß den Rechnungen an vier unterschiedliche Firmen an verschiedenen Orten Deutschlands gerichtet habe. Diese Daten reichten insgesamt aus, um einen Umfang der Benutzung zu bezeugen, der mehr als nur symbolisch sei.

30      Es ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin diese Beurteilung der Beschwerdekammer nicht in Frage stellt.

31      Zwar lässt sich die ernsthafte Benutzung einer Marke nicht mit Wahrscheinlichkeitsannahmen oder Vermutungen nachweisen, sondern muss auf konkreten und objektiven Umständen beruhen, die eine tatsächliche und ausreichende Benutzung der Marke auf dem betreffenden Markt belegen (Urteile vom 12. Dezember 2002, Kabushiki Kaisha Fernandes/HABM – Harrison [HIWATT], T‑39/01, Slg, EU:T:2002:316, Rn. 47, und vom 6. Oktober 2004, Vitakraft-Werke Wührmann/HABM – Krafft [VITAKRAFT], T‑356/02, Slg, EU:T:2004:292, Rn. 28).

32      Außerdem weisen die von der Widersprechenden vorgelegten Rechnungskopien – wie die Klägerin hervorhebt und das HABM einräumt – keine konkreten Umsatzzahlen auf, da die angewandten Preise geschwärzt worden sind.

33      Gleichwohl ist – wie das HABM zutreffend geltend macht – maßgeblich, ob die vorgelegten Beweise die Annahme zulassen, dass die in Rede stehende Marke einen geschäftlichen Sinn und Zweck hat, der darin besteht, dass für Waren oder Dienstleistungen, die mit dem die Marke bildenden Zeichen versehen sind, gegenüber Waren oder Dienstleistungen anderer Unternehmen ein Absatzmarkt erschlossen oder gesichert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Ansul, oben in Rn. 22 angeführt, EU:C:2003:145, Rn. 37).

34      Im vorliegenden Fall wurden über 20 Rechnungen vorgelegt, die Beispiele für den Verkauf von 5 bis 100 Paketen Fingerlingen der Marke Sander je Rechnung (zu 100 Fingerlingen das Paket) an verschiedene Kunden in Deutschland über die letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der angemeldeten Marke liefern. Unter Berücksichtigung auch der in den ebenfalls vorgelegten Preislisten enthaltenen Skalen, der Abbildungen von Produktverpackungen und der Angaben in der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden (siehe oben, Rn. 24) konnte die Beschwerdekammer trotz fehlender Preisangaben auf den Rechnungen annehmen, dass diese berücksichtigt werden konnten, um den Nachweis zu erhärten, dass die ältere nationale Marke nicht bloß symbolisch verwendet worden war, allein um Rechte zu wahren, sondern um nach der oben in Rn. 19 angeführten Rechtsprechung im Bereich der betroffenen Waren Marktanteile zu behalten oder zu gewinnen.

35      Des Weiteren kann auch das Vorbringen der Klägerin nicht durchgreifen, dass die in Rede stehenden Fingerlinge ein Massenkonsumgut darstellten und daher nur einen geringen Umsatz erzeugten, so dass die erzielten Umsätze vergleichsweise gering seien, selbst wenn das Produkt millionenfach vertrieben würde.

36      Die Benutzung der älteren Marke braucht nämlich nicht immer umfangreich zu sein, um als ernsthaft eingestuft zu werden (Urteile VITAFRUIT, oben in Rn. 20 angeführt, EU:T:2004:225, Rn. 42, und HIPOVITON, oben in Rn. 20 angeführt, EU:T:2004:223, Rn. 36). Selbst eine geringfügige Benutzung kann als ernsthaft eingestuft werden, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen. Folglich ist es nicht möglich, von vornherein und abstrakt zu bestimmen, ab welcher mengenmäßigen Grenze eine Benutzung als ernsthaft anzusehen ist, so dass ein Mindestmaß der Benutzung, das das HABM oder auf eine entsprechende Klage hin das Gericht daran hindern würde, sämtliche Umstände des ihnen unterbreiteten Streitfalls zu würdigen, nicht festgesetzt werden kann (Urteil vom 11. Mai 2006, Sunrider/HABM, C‑416/04 P, Slg, EU:C:2006:310, Rn. 72).

37      Außerdem zielt das Erfordernis des Nachweises der ernsthaften Benutzung einer älteren Marke nach der oben in Rn. 19 angeführten Rechtsprechung weder auf eine Bewertung des kommerziellen Erfolgs noch auf eine Überprüfung der Geschäftsstrategie eines Unternehmens oder darauf ab, den Markenschutz nur umfangreichen geschäftlichen Verwertungen von Marken vorzubehalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Januar 2013, Reber/HABM – Wedi & Hofmann [Walzer Traum], T‑355/09, EU:T:2013:22, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Deshalb kann es auch nicht maßgeblich sein, dass die in Rede stehende Marke auf einem Produkt mit geringen Margen angebracht ist. Es handelt sich um ein Merkmal des betreffenden Produkts, das nicht die Annahme ausschließt, dass ein bestimmtes Verkaufsvolumen im Sinne verkaufter Einheiten den Schluss zulassen könnte, dass für die fraglichen Produkte unabhängig von ihrem Preis eine mehr als symbolische Verwendung der älteren nationalen Marke vorliegt. Die Klägerin macht im Übrigen nicht geltend, dass die Zahl verkaufter Einheiten, für die die Widersprechende den Nachweis erbracht hat, für sich genommen zu gering wäre, um einen solchen Schluss zuzulassen.

39      Hinsichtlich der zum Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke geltend gemachten Waren führte die Beschwerdekammer in den Rn. 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung zum einen aus, dass aus den bei ihr eingereichten Unterlagen (siehe oben, Rn. 24) hervorgehe, dass Fingerlinge Schutzkappen für Finger seien, die sowohl in Betrieben als Arbeitsschutzartikel (um Finger vor hautschädlichen Einwirkungen zu schützen) als auch im Sanitäts- und Erste-Hilfe-Bereich (als Hygieneschutz bzw. für den Schutz von Wund- oder Pflasterverbänden, die mit den Fingerlingen komplett abgedeckt werden) ihren Einsatz fänden. Zum anderen führte sie erstens aus, dass in der Nizza-Klassifikation Fingerlinge für medizinische bzw. diagnostische Zwecke in Klasse 10 eingeordnet würden, dass sie zweitens unter die allgemeinere Warenbezeichnung der „Verbände für medizinische und chirurgische Zwecke“ fielen, die in der Klassenüberschrift „medizinische und veterinärmedizinische Apparate und Instrumente“ der Klasse 10 enthalten seien, und dass drittens die ältere nationale Marke in dieser Klasse „Bandagen“ geschützt habe, die ebenfalls in diese Klasse fielen und als „Verbände“ verstanden würden.

40      Insoweit macht die Klägerin geltend, dass Fingerlinge zwar theoretisch sowohl als Arbeitsschutzartikel als auch als Erzeugnisse im medizinischen Bereich Verwendung finden könnten, doch gebe es in den von der Widersprechenden vorgelegten Beweisstücken keine Kunden aus dem medizinischen Bereich. Daher sei eine tatsächliche Benutzung der älteren nationalen Marke allenfalls für Schutz- und Sicherheitsausrüstungen der Klasse 9 oder für Büroartikel der Klasse 16 nachgewiesen, die nicht von der älteren Marke geschützt seien, jedoch nicht für die Benutzung der Fingerlinge als „Bandagen“ der hier in Rede stehenden Klasse 10.

41      Dieses Vorbringen kann nicht durchgreifen.

42      Zwar muss sich die Beurteilung der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke, wie auch das HABM einräumt, nach der oben in Rn. 31 angeführten Rechtsprechung im Hinblick auf die vorgelegten Beweisstücke auf eine konkrete und tatsächliche Benutzung für ein einschlägiges Warensegment stützen.

43      Im vorliegenden Fall weisen die von der Widersprechenden eingereichten Unterlagen – wie das HABM zutreffend hervorhebt – die Fingerlinge als Schutzkappen für Finger aus, die u. a. im Sanitäts- und Erste-Hilfe-Bereich zum Einsatz kommen. So geht aus den beim HABM vorgelegten Informationen über die Verpackungsfaltschachteln der Fingerlinge der Marke Sander und aus den Preislisten z. B. hervor, dass die Fingerlinge „im Sanitäts- und Erste-Hilfe-Bereich eingesetzt“ werden oder „Schutz für Wunden am Finger“ bieten. Desgleichen werden in einem der Widerspruchsabteilung vorgelegten Informationsblatt über die Fingerlinge der Marke Sander ausdrücklich die positiven Eigenschaften der Fingerlinge der Marke Sander im Fall von Fingerverletzungen hervorgehoben.

44      Im Übrigen hat das Gericht bereits festgestellt, dass die Benutzung zu medizinischen Zwecken im Rahmen der Klassentitel der Nizza-Klassifikation weit zu verstehen ist (Urteil vom 23. Januar 2014, Sunrider/HABM – Nannerl [SUN FRESH], T‑221/12, EU:T:2014:25, Rn. 35). Diese Rechtssache betraf zwar die Klasse 5 und in dieser Klasse insbesondere Kräutertees für medizinische Zwecke, hinsichtlich deren das Gericht der Ansicht gewesen ist, dass dazu Tees gehören können, die hauptsächlich zur Verhütung oder zur Behandlung von bestimmten Gesundheitsproblemen getrunken werden, ohne dass sie jedoch als ein Arzneimittel im eigentlichen Sinne angesehen werden müssen.

45      Für die Klasse 10 lässt sich entsprechend argumentieren. Ihrem Titel nach enthält diese Klasse nämlich „Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel; chirurgisches Nahtmaterial“. Auch wenn die Klasse 10 überwiegend Spezialwaren für den medizinischen Bereich betrifft, schließt die allgemeine Überschrift „medizinische Apparate und Instrumente“ jedoch Waren nicht aus, die auch in einem weiteren Kontext, d. h. außerhalb eines spezialisierten medizinischen Kontexts, benutzt werden sollen. Dies wird im Übrigen durch die erläuternde Anmerkung für diese Klasse, wonach sie „im Wesentlichen medizinische Apparate, Instrumente und Artikel“, darunter insbesondere „Spezialmobiliar für medizinische Zwecke, bestimmte Hygieneartikel aus Gummi (siehe alphabetische Warenliste); orthopädische Bandagen“, enthält, und durch die dazugehörige alphabetische Liste bestätigt.

46      In Anbetracht dieser Erwägungen hat die Beschwerdekammer keinen Fehler begangen, als sie die medizinische Benutzung der Waren in der Klasse 10 weit ausgelegt hat, indem sie davon ausgegangen ist, dass die im Sanitäts- und Erste-Hilfe-Bereich benutzten Fingerlinge in diese Kategorie fallen können.

47      Des Weiteren kann auch das Vorbringen der Klägerin nicht durchgreifen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass eine Benutzung zu medizinischen Zwecken im Sinne der Nizza-Klassifikation voraussetze, dass die betreffende Marke auf Waren mit CE-Kennzeichnung benutzt werde, und dass die Beschwerdekammer diese Problematik hätte explizit prüfen müssen.

48      Die Klägerin verwechselt nämlich zwei Arten von Regelungen, die unterschiedliche Ziele haben.

49      Wie das HABM zutreffend hervorhebt, stellen die von der Klägerin geltend gemachten europäischen und nationalen Rechtsvorschriften über Medizinprodukte, insbesondere die Richtlinie 93/42/EWG vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169, S. 1) und die nationalen Umsetzungsgesetze wie das deutsche Medizinproduktegesetz, Regelungsinstrumente dar, die dem Zweck dienen, den Verkehr mit genau definierten Medizinprodukten zu regeln, um dadurch für die Sicherheit, Eignung und Leistung dieser Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz von Patienten, Anwendern und Dritten zu sorgen. Bei der Nizza-Klassifikation stehen dagegen allgemeine Erwägungen zur Verwaltung und Zweckmäßigkeit der Produkte und Dienstleistungen im Vordergrund.

50      Außerdem geht es bei dem Nachweis der ernsthaften Benutzung einer älteren Marke nicht um die Überprüfung der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben hinsichtlich des Vertriebs und der technischen Kennzeichnung der fraglichen Waren oder damit zusammenhängende Haftungsfragen, sondern um die Frage der Zweckbestimmung und der Art der tatsächlichen Benutzung der Waren im relevanten Markt. Wie in der oben in Rn. 33 angeführten Rechtsprechung ausgeführt wird, müssen die vorgelegten Beweise nämlich die Annahme zulassen, dass die in Rede stehende Marke einen geschäftlichen Sinn und Zweck hat, der darin besteht, dass für Waren oder Dienstleistungen, die mit dem die Marke bildenden Zeichen versehen sind, gegenüber Waren oder Dienstleistungen anderer Unternehmen ein Absatzmarkt erschlossen oder gesichert wird.

51      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich bezüglich der angefochtenen Entscheidung entgegen der von der Klägerin offenbar vertretenen Ansicht kein Begründungsfehler feststellen lässt, obgleich sich die Beschwerdekammer dementsprechend nicht explizit zum Vorbringen der Klägerin zur CE-Kennzeichnung geäußert hat.

52      Nach Art. 75 der Verordnung Nr. 207/2009 sind die Entscheidungen des HABM mit Gründen zu versehen. Diese Pflicht hat den gleichen Umfang wie die aus Art. 296 AEUV, wonach die Überlegungen desjenigen, der den Rechtsakt erlassen hat, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen müssen. Diese Verpflichtung soll dem doppelten Ziel dienen, die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und es dem Unionsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen (vgl. Urteil vom 12. Juli 2012, Gucci/HABM – Chang Qing Qing [GUDDY], T‑389/11, EU:T:2012:378, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Im vorliegenden Fall sind die Überlegungen der Beschwerdekammer in den Rn. 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Rn. 39) klar und eindeutig, wenn sie ausführt, dass die Fingerlinge der Marke Sander auch im Sanitäts- und Erste-Hilfe-Bereich benutzt würden und daher unter die allgemeinere Bezeichnung der Verbände für medizinische und chirurgische Zwecke fielen. Diese Überlegungen ermöglichen es zum einen der Klägerin, die Gründe für die erlassene Maßnahme zu erkennen, damit sie ihre Rechte verteidigen kann, und zum anderen dem Unionsrichter, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Frage zu überprüfen, ob die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass die ernsthafte Benutzung der älteren nationalen Marke für „Bandagen“ der Klasse 10 nachgewiesen ist.

54      Schließlich ist auch das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, dass Fingerlinge nicht unter den Oberbegriff „Bandagen“ subsumierbar seien, sondern es sich um völlig unterschiedliche Produktgruppen handele, insbesondere im Rahmen der Nizza-Klassifikation.

55      Insoweit ergibt sich aus Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009, dass dann, wenn eine Marke für eine Gruppe von Waren oder Dienstleistungen eingetragen worden ist, die hinreichend weit gefasst ist, um diese Gruppe in verschiedene Untergruppen aufteilen zu können, die sich jeweils als selbständig ansehen lassen, der Schutz, der durch den Nachweis ausgelöst wird, dass die Marke für einen Teil dieser Waren oder Dienstleistungen ernsthaft benutzt worden ist, in einem Widerspruchsverfahren nur derjenigen Untergruppe oder denjenigen Untergruppen zuteil wird, zu der oder zu denen die Waren oder Dienstleistungen gehören, für die die Marke tatsächlich benutzt worden ist (Urteile vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR], T‑256/04, Slg, EU:T:2007:46, Rn. 23, und vom 16. Mai 2013, Aleris/HABM – Carefusion 303 [ALARIS], T‑353/12, EU:T:2013:257, Rn. 18).

56      Der Begriff der teilweisen Benutzung bezweckt zwar, dass Marken, die für eine bestimmte Warengruppe nicht benutzt worden sind, verfügbar bleiben; er darf jedoch nicht bewirken, dass der Inhaber der älteren Marke jeden Schutz für Waren verliert, die zwar nicht völlig mit den Waren, für die er eine ernsthafte Benutzung hat nachweisen können, identisch sind, die sich jedoch von diesen nicht wesentlich unterscheiden und zu ein und derselben Gruppe gehören, bei der jede Unterteilung willkürlich wäre. Schließlich ist es dem Inhaber einer Marke praktisch unmöglich, deren Benutzung für alle denkbaren Varianten der von der Eintragung betroffenen Waren nachzuweisen. Infolgedessen kann der Begriff „Teil der Waren oder Dienstleistungen“ nicht so verstanden werden, dass er sich auf alle kommerziellen Ausprägungen ähnlicher Waren oder Dienstleistungen bezieht, sondern nur so, dass er sich auf jene Waren oder Dienstleistungen bezieht, die unterschiedlich genug sind, um kohärente Gruppen oder Untergruppen bilden zu können (vgl. Urteil ALARIS, oben in Rn. 55 angeführt, EU:T:2013:257, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Im vorliegenden Fall ist Ausgangspunkt der Überlegungen der Beschwerdekammer die Einstufung der benutzten Waren als „Fingerlinge für medizinische Zwecke“ in Klasse 10. Zwar enthält die Klasse 10 eine spezielle Bezeichnung unter der Nr. 100079 für Fingerlinge für medizinische Zwecke, wie die Klägerin vorträgt. Fingerlinge können jedoch, wie das HABM zutreffend geltend macht, ebenso wie die von der älteren nationalen Marke erfassten und in Klasse 10 geschützten „Bandagen“ dazu dienen, verletzte Körperteile – nämlich Finger – einzuwickeln bzw. zu verbinden, und können z. B. Wund- oder Pflasterverbände abdecken, um sie vor Schmutz, Nässe oder Infektionen zu schützen. Die Klägerin kann also nicht mit Erfolg geltend machen, dass Fingerlinge für medizinische Zwecke einerseits und Bandagen andererseits völlig verschiedene Warengruppen bilden.

58      Zudem sind die beiden Arten von Waren derselben Warenklasse zugeordnet, richten sich an dasselbe Publikum, verfolgen dasselbe Ziel, haben dieselbe Funktionsweise und werden aus denselben Materialien hergestellt. Da sich die beiden Warenbezeichnungen der Klasse 10 überschneiden, hat die Beschwerdekammer das Kriterium des Zwecks oder der Bestimmung nicht verkannt, das für die Definition einer Untergruppe maßgebend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil ALARIS, oben in Rn. 55 angeführt, EU:T:2013:257, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung), als sie annahm, dass Fingerlinge für medizinische Zwecke in die allgemeinere Kategorie der von der angemeldeten Marke erfassten und zur Klasse 10 gehörenden Verbände fallen könnten. Im Übrigen gibt es in der Klasse 10 keine spezielle Bezeichnung für Fingerverbände, auch wenn es verschiedene Bezeichnungen für verschiedene Arten von Verbänden wie orthopädische Bandagen oder elastische oder nichtelastische Bandagen gibt.

59      Aus dem Vorstehenden folgt, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, die Beurteilung der Beschwerdekammer in Frage zu stellen, dass mit einer wie oben in den Rn. 24 und 43 beschriebenen Benutzung der Fingerlinge der Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren nationalen Marke für „Bandagen“ erbracht werden kann, die in die Klasse 10 fallen.

60      Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009

61      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe die Wahrnehmung des maßgeblichen Publikums und den Vergleich der Ähnlichkeit der fraglichen Waren und Zeichen fehlerhaft beurteilt, so dass ihre Schlussfolgerung falsch sei, dass zwischen den in Rede stehenden Marken Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bestehe. Ergänzend fügt sie hinzu, dass die ältere nationale Marke und eine andere deutsche Marke, deren Inhaberin sie sei und die mit der angemeldeten Marke identisch sei, ungestört nebeneinander bestanden hätten.

62      Das HABM tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

63      Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

64      Nach ständiger Rechtsprechung liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Nach dieser Rechtsprechung ist die Verwechslungsgefahr umfassend, gemäß der Wahrnehmung der in Rede stehenden Zeichen und Waren oder Dienstleistungen durch das maßgebliche Publikum und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, zu beurteilen (vgl. Urteil vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, Slg, EU:T:2003:199, Rn. 30 bis 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 setzt eine Verwechslungsgefahr voraus, dass eine Identität oder Ähnlichkeit zwischen den einander gegenüberstehenden Marken und eine Identität oder Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen besteht. Hierbei handelt es sich um kumulative Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 22. Januar 2009, Commercy/HABM – easyGroup IP Licensing [easyHotel], T‑316/07, Slg, EU:T:2009:14, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Wenn sich der Schutz der älteren Marke auf die gesamte Union erstreckt, ist die Wahrnehmung der einander gegenüberstehenden Marken durch den Verbraucher der in Rede stehenden Waren in diesem Gebiet zu berücksichtigen. Eine Gemeinschaftsmarke ist jedoch bereits dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ein relatives Eintragungshindernis im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 in einem Teil der Union vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca [VENADO mit Rahmen u. a.], T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, Slg, EU:T:2006:397, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer zu Recht annahm, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Marken Verwechslungsgefahr bestehe.

 Zum maßgeblichen Publikum

68      Nach der Rechtsprechung ist bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der in Frage stehenden Art von Waren abzustellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers je nach Art der Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann (vgl. Urteil RESPICUR, oben in Rn. 55 angeführt, EU:T:2007:46, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Im vorliegenden Fall sind sich die Parteien darüber einig, dass – wie die Beschwerdekammer in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat – die Wahrnehmung des deutschen Publikums zu berücksichtigen ist, da die ernsthafte Benutzung für die ältere deutsche Marke nachgewiesen wurde.

70      Die Beschwerdekammer führte in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung auch aus, dass die einander gegenüberstehenden Waren Artikel und Materialien für medizinische und sanitäre Zwecke seien, die hauptsächlich von Fachleuten in dem Gebiet, aber auch von Endverbrauchern erworben und gebraucht würden. Das allgemeine Publikum sei durchschnittlich informiert, aufmerksam und verständig, während die spezialisierten Verkehrskreise eine erhöhte Aufmerksamkeit aufbrächten.

71      Die Klägerin tritt dieser Beurteilung entgegen. Sie trägt vor, dass sich von den fraglichen Waren die in Klasse 10 eingruppierten Waren erkennbar nicht an Endverbraucher richteten. Endverbraucher erwürben keine Arztkoffer, Rettungstaschen oder Rettungskoffer, medizinische Apparate und Instrumente, Spritzen für medizinische Zwecke, Stethoskope usw. Ausschließlich Fachleute seien Abnehmer dieser Waren. Sie wiederholt außerdem, dass die Kunden der Widersprechenden ausschließlich Industriebetriebe seien, die die Fingerlinge im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit einsetzten.

72      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Die Beschwerdekammer betonte ausdrücklich, dass die einander gegenüberstehenden Waren, bei denen es sich um Artikel und Materialien für medizinische und sanitäre Zwecke handele, hauptsächlich von medizinischen Fachleuten erworben und gebraucht würden, die eine erhöhte Aufmerksamkeit aufbrächten. Sie hat indessen zu Recht annehmen können, dass bestimmte Waren, die zu dieser Klasse gehören können, wie insbesondere die von der älteren Marke geschützten Bandagen in Klasse 10 oder bestimmte Waren der von der angemeldeten Marke erfassten Waren in Klasse 5 wie Verbandsmaterial oder Verbandkästen, nicht nur für medizinische Fachleute, sondern auch für das allgemeine Publikum bestimmt sind. Letzteres kann einige dieser Waren kaufen, z. B. für die Erstellung einer privaten Haus- oder Sportapotheke oder die Bestückung eines Fahrzeugs. Das vom HABM angeführte Beispiel der Blutdruckmessgeräte ist insoweit anschaulich: Diese Warenart ist nicht nur in Apotheken oder im Fachhandel erhältlich, sondern auch in Drogerien oder Kaufhäusern. Außerdem setzt zumindest für bestimmte Waren der in Rede stehenden Klassen 5 und 10 wie insbesondere bestimmte Arten von Bandagen deren Kauf keine genaue oder wohlüberlegte Auswahl voraus, wie das im Allgemeinen für Waren des Gesundheitsbereichs der Fall sein kann. Daher ist beim betreffenden Verbraucher nicht zwingend von einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad auszugehen.

73      In Anbetracht dieser Erwägungen hat die Beschwerdekammer keinen Fehler begangen, als sie in die Beurteilung des maßgeblichen Publikums Endverbraucher einbezogen hat, die einen mittleren Aufmerksamkeitsgrad aufbringen, da der betreffende Verbraucher zumindest einen solchen Aufmerksamkeitsgrad aufbringen wird, auch wenn dieser Grad für bestimmte der in Rede stehenden Waren höher sein kann.

 Zum Vergleich der Waren

74      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis kennzeichnen, in dem sie zueinander stehen. Hierzu gehören insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihr Charakter als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. Es können auch andere Faktoren wie die Vertriebswege der betreffenden Waren berücksichtigt werden (vgl. Urteil vom 11. Juli 2007, El Corte Inglés/HABM – Bolaños Sabri [PiraÑAM diseño original Juan Bolaños], T‑443/05, Slg, EU:T:2007:219, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      In den Rn. 34 und 35 der angefochtenen Entscheidung führte die Beschwerdekammer aus, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klassen 5 und 10 und die Bandagen der Klasse 10, für die die Benutzung der älteren nationalen Marke bewiesen worden sei, entweder ähnlich oder komplementär seien.

76      Die Klägerin ist dagegen zum einen der Ansicht, dass für die zur Klasse 10 gehörenden Bandagen eine ernsthafte Benutzung der älteren nationalen Marke nicht nachgewiesen worden sei und die Waren, auf die sich die fraglichen Beweise bezögen, keine Medizinprodukte beträfen, so dass die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer hinsichtlich der Identität zwischen den von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 5 und den von der Widersprechenden verkauften Fingerlingen zwangsläufig falsch sei.

77      Zum anderen könnten geschulte Fachleute, genauer gesagt medizinisches Fachpersonal, hinsichtlich der von der Beschwerdekammer behaupteten Komplementarität der betreffenden Waren der Klasse 10 nicht glauben, dass die ältere nationale Marke, die seit 1933 existiere und nur für Fingerlinge als Bestandteil einer persönlichen Schutzausrüstung im gewerblichen Bereich benutzt worden sei, plötzlich auch Erzeugnisse für medizinische Zwecke schütze. Ebenso wenig sei nachvollziehbar, dass ein solches Publikum annehmen könne, dass diese Waren zu derselben breiten Gattung der Bandagen angehörten, wie die Beschwerdekammer angenommen habe.

78      Insoweit ist zunächst das Vorbringen, das auf einen fehlenden Nachweis der ernsthaften Benutzung der von der älteren nationalen Marke erfassten Bandagen der Klasse 10 gestützt wird und im Rahmen des ersten Klagegrundes zurückgewiesen worden ist, wie auch das Vorbringen hinsichtlich der Eigenschaft des betroffenen Publikums als Fachpublikum, das oben in den Rn. 72 und 73 zurückgewiesen worden ist, zurückzuweisen.

79      Sodann ist festzustellen, dass Bandagen, für die die Benutzung der älteren nationalen Marke nachgewiesen worden ist, insbesondere dazu dienen, Körperteile zu schützen, und dass sie daher mit einigen der streitbefangenen Waren der Klasse 5 wie dem Verbandsmaterial (siehe oben, Rn. 3) identisch sind oder ihnen stark ähneln.

80      Außerdem steht für die übrigen von der angemeldeten Marke erfassten streitbefangenen Waren der Klasse 5 (siehe ebenfalls oben, Rn. 3) zum einen fest, dass „Verbandkästen“ im Allgemeinen auch „Bandagen“ enthalten, und zum anderen die Waren „Verbandwatte; Pflaster für medizinische Zwecke; Desinfektionsmittel; Desinfektionsmittel für hygienische Zwecke“ wie Bandagen zu „Verbandkästen“ gehören oder zusammen mit Bandagen benutzt werden, um den verletzten Körperteil zu schützen.

81      Die Beschwerdekammer hat in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung daher zu Recht annehmen können, dass zwischen den angemeldeten Waren der Klasse 5 und den von der älteren nationalen Marke erfassten Bandagen der Klasse 10 ein Komplementärverhältnis besteht. Waren ergänzen nämlich einander, wenn zwischen ihnen ein enger Zusammenhang in dem Sinne besteht, dass die eine Ware für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder wichtig ist, so dass die Verbraucher denken könnten, die Verantwortung für die Herstellung dieser Waren liege bei demselben Unternehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil easyHotel, oben in Rn. 65 angeführt, EU:T:2009:14, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Auch wenn daraus nicht zwingend folgt, dass die in Rede stehenden Waren identisch sind, wie die Beschwerdekammer in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung jedoch angenommen hat, so ergibt sich daraus nach der oben in Rn. 74 angeführten Rechtsprechung zumindest, dass sie einander ähnlich sind.

82      Was sodann die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 anbelangt, handelt es sich, wie oben in Rn. 3 ausgeführt, um „Arztkoffer (gefüllt); Arztkoffer (nicht gefüllt); Rettungstaschen (gefüllt); Rettungskoffer (gefüllt); Rettungstaschen (nicht gefüllt); Rettungskoffer (nicht gefüllt); medizinische Apparate und Instrumente; Spritzen für medizinische Zwecke; Stethoskope; Blutdruckmessgeräte; OP-Kleidung; Bekleidung für medizinische Zwecke; Handtücher für medizinische Zwecke; Bettwäsche für medizinische Zwecke“.

83      Entsprechend den oben in den Rn. 80 und 81 genannten Gründen sind diese Waren auch komplementär zu den Bandagen, für die die ernsthafte Benutzung der älteren nationalen Marke nachgewiesen worden ist, und gehören zur selben Klasse.

84      Wie das HABM zu Recht geltend gemacht hat, wird der angemessen aufmerksame Durchschnittsverbraucher nämlich sämtliche Waren einem medizinischen Kontext zuordnen und davon ausgehen, dass sie demselben Zweck der Gesundheitsvorsorge oder der Behandlung von Krankheiten und Verletzungen dienen. Zudem handelt es sich bei den von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klasse 10 im Wesentlichen um elementare medizinische Utensilien eines Arztes, die insbesondere für ambulante Diagnostik und Therapie oder effektive Erste-Hilfe-Maßnahmen geeignet sind, wobei medizinische Grundutensilien wie Stethoskope, Blutdruckmessgeräte oder Spritzen ebenso wie Bandagen oder sonstiges Verbandsmaterial einen festen und unentbehrlichen Bestandteil von Rettungskoffern oder Arzttaschen darstellen. Daher ist der Beurteilung des HABM beizupflichten, dass die von der älteren nationalen Marke erfassten Bandagen ergänzend zu einer umfassenden medizinischen Versorgung beitragen, so dass das maßgebliche Publikum sie derselben Warengattung medizinischer Basisutensilien zuordnen wird.

85      Deshalb hat die Beschwerdekammer auch keinen Fehler begangen, als sie in Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung angenommen hat, dass die von den beiden in Rede stehenden Marken erfassten Waren der Klasse 10 ähnlich sind.

 Zum Vergleich der Zeichen

86      Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr hinsichtlich der bildlichen, klanglichen oder begrifflichen Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese Zeichen hervorrufen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es entscheidend darauf an, wie die Marken vom Durchschnittsverbraucher dieser Waren oder Dienstleistungen wahrgenommen werden. Der Durchschnittsverbraucher nimmt dabei eine Marke regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf ihre verschiedenen Einzelheiten (vgl. Urteil vom 12. Juni 2007, HABM/Shaker, C‑334/05 P, Slg, EU:C:2007:333, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87      Die Beurteilung der Ähnlichkeit zweier Marken darf sich nicht darauf beschränken, dass nur ein Bestandteil einer zusammengesetzten Marke berücksichtigt und mit einer anderen Marke verglichen wird. Vielmehr sind die einander gegenüberstehenden Marken jeweils als Ganzes miteinander zu vergleichen, was nicht ausschließt, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer zusammengesetzten Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der maßgeblichen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können. Für die Beurteilung der Ähnlichkeit kann es nur dann allein auf den dominierenden Bestandteil ankommen, wenn alle anderen Markenbestandteile zu vernachlässigen sind. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn dieser Bestandteil allein schon geeignet ist, das Bild dieser Marke, das das angesprochene Publikum im Gedächtnis behält, so zu prägen, dass alle übrigen Bestandteile der Marke in dem durch diese hervorgerufenen Gesamteindruck zu vernachlässigen sind (vgl. Urteil vom 15. Juni 2005, Shaker/HABM – Limiñana y Botella [Limoncello della Costiera Amalfitana shaker], T‑7/04, Slg, EU:T:2005:222, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      In den Rn. 38 und 39 der angefochtenen Entscheidung nahm die Beschwerdekammer im Wesentlichen an, dass die in Rede stehenden Marken Sander und SANDTER 1953 in ihren fast identischen Hauptbestandteilen „Sander“ und „SANDTER“ übereinstimmten und die Nummer „1953“ als Jahreszahl erkannt werde, so dass sie eine geringere Kennzeichnungskraft habe. Sie schloss daraus, dass der von den in Rede stehenden Zeichen erzeugte Gesamteindruck ähnlich sei, weil sie bildlich ähnlich und klanglich für deutschsprachige Verbraucher nahezu identisch seien, während ihr begrifflicher Vergleich unerheblich sei.

89      Die Klägerin rügt insoweit, dass die Beschwerdekammer bei der umfassenden Beurteilung der angemeldeten Marke ihrem zusätzlichen Bestandteil „1953“ geringe Kennzeichnungskraft zuerkannt habe. Die Beschwerdekammer habe diesen Bestandteil überhaupt nicht berücksichtigt, was allenfalls dann statthaft gewesen wäre, wenn der Bestandteil „SANDTER“ den von der angemeldeten Marke hervorgerufenen Gesamteindruck dominieren würde. Ferner habe die Beschwerdekammer ihre Ansicht, dass dieser Bestandteil als eine Jahreszahl betrachtet werden könne, willkürlich begründet.

90      Hierzu ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass die Hauptbestandteile der beiden Marken, nämlich „Sander“ und „SANDTER“, bildlich ähnlich und klanglich nahezu identisch sind, weil sie sich lediglich in dem zentralen Konsonanten „T“ der angemeldeten Marke unterscheiden. Der deutsche Verbraucher wird den Konsonanten „T“ nämlich klanglich nicht wahrnehmen, da das „T“ und das „D“ klanglich sehr nahe beieinander liegen.

91      Die folgende Zahl „1953“ ist von der Beschwerdekammer entgegen der von der Klägerin offenbar vertretenen Ansicht beim Gesamteindruck der angemeldeten Marke und beim Vergleich der Zeichen berücksichtigt worden. Die Beschwerdekammer nahm allerdings an, dass dieser Bestandteil nur geringe Kennzeichnungskraft besitze und ihm daher für den Gesamteindruck der angemeldeten Marke geringere Bedeutung zukomme.

92      Diese Beurteilung ist zu bestätigen.

93      Wie das HABM zu Recht vorträgt, werden vierstellige Zahlen, die mit 20, 19, 18 usw. beginnen, vom Publikum insbesondere dann regelmäßig als Referenz auf eine Jahreszahl wahrgenommen, wenn sie im Zusammenhang mit weiteren Elementen wie einer Firmenbezeichnung benutzt und diesen nachgestellt verwendet werden. Damit wollen die betreffenden Unternehmen im Allgemeinen auf ihr Gründungsjahr oder zu Werbezwecken auf die Tradition und die Langlebigkeit ihrer betreffenden Markenprodukte hinweisen. Das Publikum ist somit daran gewöhnt, vierstellige Zahlen in diesem Sinne auszulegen, jedenfalls sofern es sich dabei – wie vorliegend – um realistische und gängige Jahreszahlen handelt.

94      Zudem hat die Klägerin keinen Nachweis für die gegenteilige Behauptung vorgelegt, dass der Bestandteil „1953“ eine reine Phantasiebezeichnung ohne Bedeutungsinhalt sei. Aus ihren Schriftsätzen geht vielmehr hervor, dass der ursprüngliche Inhaber der mit der angemeldeten Marke identischen deutschen Marke SANDTER 1953 eine 1953 gegründete Gesellschaft ist.

95      Die Beschwerdekammer hat schließlich zu Recht angenommen, dass ein begrifflicher Vergleich unerheblich ist, weil die Zeichen keinen Bedeutungsgehalt haben, was die Klägerin im Übrigen nicht bestreitet.

96      Die Beschwerdekammer hat daher fehlerfrei annehmen können, dass die Zeichen insgesamt ähnlich sind.

 Zur Verwechslungsgefahr

97      Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteile vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, Slg, EU:C:1998:442, Rn. 17, und VENADO mit Rahmen u. a., oben in Rn. 66 angeführt, EU:T:2006:397, Rn. 74).

98      Im vorliegenden Fall führte die Beschwerdekammer in den Rn. 40 bis 42 der angefochtenen Entscheidung aus, dass der Verbraucher nur selten die Möglichkeit habe, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, sondern sich auf das unvollkommene Bild verlassen müsse, das er von ihnen im Gedächtnis behalten habe. Daher könne unter Berücksichtigung der geringen Unterschiede zwischen den in Rede stehenden Zeichen und auch unter Berücksichtigung dessen, dass die sich gegenüberstehenden Waren sehr ähnlich bzw. komplementär seien, eine Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen werden.

99      In dieser Hinsicht macht die Klägerin geltend, dass, da die Beschwerdekammer unzutreffend eine Waren- und Zeichenähnlichkeit angenommen habe, auch ihre Gesamtabwägung hinsichtlich des Vorliegens von Verwechslungsgefahr fehlerhaft sei.

100    Aus der vorstehenden Würdigung ergibt sich indessen, dass die Prüfung der Beschwerdekammer hinsichtlich des Bestehens von Ähnlichkeit oder Komplementarität der in Rede stehenden Waren und hinsichtlich der Ähnlichkeit der Zeichen zu bestätigen ist. Hinzu kommt, dass die ältere Marke eine mittlere Kennzeichnungskraft besitzt. Wie die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, besteht daher bei einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wechselbeziehung die Gefahr von Verwechslungen zwischen den in Rede stehenden Zeichen. Wie sie in Rn. 42 der angefochtenen Entscheidung ausführte, lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass der deutsche Durchschnittsverbraucher annimmt, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klassen 5 und 10 und die von der älteren nationalen Marke erfassten Bandagen der Klasse 10 einen gemeinsamen oder wirtschaftlich miteinander verbundenen betrieblichen Ursprung haben.

101    Schließlich ist noch das ergänzende Vorbringen der Klägerin zu prüfen, das auf die friedliche Koexistenz der älteren Marke und der unter der Nr. 30426135 eingetragenen deutschen Marke SANDTER 1953 gestützt wird, deren Inhaberin sie seit 2010 ist. Sie trägt insbesondere vor, dass diese Marke mit der angemeldeten Marke identisch sei, dass sie 2004 in Deutschland mit einem Warenverzeichnis eingetragen worden sei, das mit dem der angemeldeten Marke identisch sei, und dass es ihrer Kenntnis nach zu keiner Zeit zu Kollisionen der beiden Marken gekommen sei.

102    Zwar ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass in bestimmten Fällen eine Koexistenz älterer Marken auf dem Markt die Gefahr von Verwechslungen zwischen zwei einander gegenüberstehenden Marken eventuell ausschließen kann. Eine solche Eventualität kann aber nur berücksichtigt werden, wenn der Anmelder der Gemeinschaftsmarke im Verfahren wegen relativer Eintragungshindernisse vor dem HABM zumindest hinreichend nachgewiesen hat, dass die betreffende Koexistenz darauf beruhte, dass für die angesprochenen Verkehrskreise keine Verwechslungsgefahr zwischen den älteren Marken, auf die er sich beruft, und der älteren Marke, auf die sich der Widerspruch stützt, bestand, und unter dem Vorbehalt, dass die in Rede stehende ältere Marke und die einander gegenüberstehenden Marken identisch sind (vgl. Urteil vom 2. Oktober 2013, Cartoon Network/HABM – Boomerang TV [BOOMERANG], T‑285/12, EU:T:2013:520, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

103    Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass die Klägerin nachzuweisen hat, dass die von ihr geltend gemachte Koexistenz der Marken darauf beruhte, dass für die angesprochenen Verkehrskreise keine Verwechslungsgefahr besteht. Die Klägerin hat jedoch nichts vorgebracht, anhand dessen nachvollzogen werden könnte, wie die angesprochenen Verkehrskreise auf dem Markt mit den einander gegenüberstehenden Marken konfrontiert wurden und für welche Waren sie benutzt wurden. Daher ist das Vorbringen zurückzuweisen.

104    Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

105    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

106    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des HABM die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die NetMed Sàrl trägt die Kosten.

Berardis

Czúcz

Popescu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. Oktober 2015.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.