URTEIL DES GERICHTSHOFES
27. April 1999 (1)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie Aktion zur Verkaufsförderung Gegen
Einlösung von Gutscheinen ausgehändigte Gegenstände Entgeltliche Lieferung
Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis Begriff“
In der Rechtssache C-48/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom VAT and Duties
Tribunal, London (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Kuwait Petroleum (GB) Ltd
gegen
Commissioners of Customs & Excise
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 2
Nummer 1, 5 Absatz 6, 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b und 27 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl.
L 145, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn und G. Hirsch (Berichterstatter) sowie der
Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann, D. A. O. Edward,
L. Sevón und M. Wathelet,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Kuwait Petroleum (GB) Ltd, vertreten durch John Walters, QC,
beauftragt durch Peter Landon, FCA,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant
Treasury Solicitor John E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von
Paul Lasok, QC, und Barrister Philippa J. E. Whipple,
der französischen Regierung, vertreten durch Kareen Rispal-Bellanger,
Abteilungsleiterin für internationales Wirtschaftsrecht und
Gemeinschaftsrecht in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, und Gautier Mignot, Sekretär für Auswärtige
Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der portugiesischen Regierung, vertreten durch Luís Fernandes, Direktor
des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für
Gemeinschaftsangelegenheiten des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und Angelo Cortesão de Seiça Neves, Jurist im selben
Dienst, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter
Oliver, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kuwait Petroleum (GB) Ltd,
vertreten durch John Walters, beauftragt durch Peter Landon, der Regierung des
Vereinigten Königreichs, vertreten durch John E. Collins im Beistand von Paul
Lasok, der französischen Regierung, vertreten durch Gautier Mignot, und der
Kommission, vertreten durch Peter Oliver und Hélène Michard, Juristischer Dienst,
sowie Francesca Riddy, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordnete
nationale Beamtin, als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 5. Mai 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli
1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das VAT and Duties Tribunal, London, hat mit Verfügung vom 15. Januar 1997,
beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 Nummer 1, 5 Absatz 6, 11 Teil A
Absatz 3 Buchstabe b und 27 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste
Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Kuwait Petroleum
(GB) Ltd (im folgenden: Klägerin) und den Commissioners of Customs & Excise
(im folgenden: Beklagte), der im Vereinigten Königreich für die Erhebung der
Mehrwertsteuer zuständigen Stelle, bei dem es darum geht, ob die Abgabe
bestimmter Erzeugnisse, die die Klägerin im Rahmen von Werbeaktionen zwischen
1991 und 1996 angeboten hat, der Mehrwertsteuer unterliegt.
Die nationale Regelung
- 3.
- Schedule 4 des Value Added Tax Act (Mehrwertsteuergesetz) 1994 legt fest, welche
Vorgänge Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen für die Zwecke der
Mehrwertsteuer darstellen oder ihnen gleichgestellt sind. Paragraph 5 von Schedule
4 lautet:
„(1) Vorbehaltlich von Subparagraph 2 stellt der Umstand, daß Teile eines
Betriebsvermögens von der Person, die das Unternehmen betreibt, oder auf deren
Weisung übertragen oder entnommen werden, so daß sie nicht mehr zu diesem
Vermögen gehören, eine Lieferung von Gegenständen durch diese Person
unabhängig davon dar, ob dies entgeltlich geschieht.
(2) Subparagraph 1 findet keine Anwendung, wenn die Übertragung oder
Entnahme
(a) die schenkweise Übertragung von Gegenständen zur Förderung eines
Geschäftes (in anderer Weise denn als Teil einer Reihe oder einer Folge
von Geschenken, die derselben Person von Zeit zu Zeit gemacht werden)
darstellt, sofern die Kosten für den Schenker nicht mehr als 10 UKL
betragen ...“
Die Gemeinschaftsregelung
- 4.
- Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein
Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
...“
- 5.
- Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands
durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf,
für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein
für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile
zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben.
Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster
nicht darunter.“
- 6.
- Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„A. Im Inland
...
(3) In die Besteuerungsgrundlage sind nicht einzubeziehen:
...
b) die Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer oder
Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt
erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird ...“
Das Ausgangsverfahren
- 7.
- Der von der Klägerin unter der Marke „Q8“ vertriebene Treibstoff wird an den
Endverbraucher entweder unmittelbar von der Klägerin in ungefähr 110 ihr
gehörenden und von ihr selbst oder für ihre Rechnung verwalteten Tankstellen
oder aber von ungefähr 500 unabhängigen Wiederverkäufern verkauft, die von der
Klägerin Q8-Treibstoff im Großhandel erwerben.
- 8.
- Von 1991 bis 1996 betrieb die Klägerin eine Verkaufsförderungsaktion, an der sich
die ihr gehörenden Tankstellen sowie ungefähr 160 unabhängige Wiederverkäufer
beteiligten. Im Rahmen dieser Aktion wurde den Kunden ein Gutschein „Q8 Sails“
für jede vollständige Menge von 12 Litern gekauftem Treibstoff angeboten. Der
Preis des Treibstoffs war der gleiche, ob der Kunde die ihm angebotenen
Q8-Sails-Gutscheine nun annahm oder nicht. Hatte ein Kunde eine ausreichende
Anzahl solcher Q8-Gutscheine gesammelt, so hatte er das Recht, gegen ihre
Einlösung aus einer als „Geschenkkatalog“ bezeichneten Liste Gegenstände oder
gelegentlich auch in einem Papier (wie Theaterkarten) verkörperte
Dienstleistungen auszuwählen, zu deren Lieferung oder Erbringung innerhalb einer
bestimmten Frist sich die Klägerin verpflichtete.
- 9.
- Jeder an der Aktion beteiligte unabhängige Wiederverkäufer verpflichtete sich, der
Klägerin während des Aktionszeitraums einen Zuschlag pro Liter zuzüglich
Mehrwertsteuer auf die Gesamtmenge des im selben Zeitraum verkauften
Treibstoffs zu zahlen. Dieser Zuschlag, der ursprünglich 0,22 Pence pro Liter
betrug, wurde 1993 auf 0,33 Pence pro Liter erhöht.
- 10.
- Mit Bescheid vom 16. Juni 1995 beschlossen die Beklagten, daß die Klägerin, die
die Vorsteuer auf die Gegenstände abgezogen hatte, die im Hinblick auf ihre
Aushändigung gegen Einlösung der Q8-Gutscheine erworben waren,
Mehrwertsteuer auf diejenigen der den Kunden ausgehändigten Waren zu
entrichten hatte, deren Kosten mehr als 10 UKL betrugen; zur Begründung
machten sie geltend, daß diese Gegenstände von der Klägerin „anders als gegen
Entgelt“ geliefert worden seien.
- 11.
- Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid Klage beim vorlegenden Gericht und
trug vor, daß die gegen Einlösung der Q8-Gutscheine ausgehändigten Gegenstände
entgeltlich geliefert worden seien, wobei die Gegenleistung in einem unbestimmten
Teil des Preises einschließlich Mehrwertsteuer bestehe, der vom Verbraucher
sowohl für die Lieferung von Treibstoff als auch für die spätere Aushändigung von
Gegenständen im Austausch gegen Q8-Gutscheine gezahlt worden sei, so daß sie
auf diesen Vorgang bereits die Mehrwertsteuer entrichtet habe.
- 12.
- Das VAT and Duties Tribunal hat entschieden, daß nach englischem Recht die
Aushändigung der Q8-Gutscheine an den Kunden als einseitig und vom
Hauptvorgang, der im Kauf von Treibstoff bestehe, getrennt zu betrachten sei.
Ebenso seien die Q8-Gutscheine unentgeltlich erlangt worden.
- 13.
- Der Begriff „consideration“ (Gegenleistung) im Sinne des englischen Vertragsrechts
sei ein anderer als der Begriff „consideration“ (Entgelt) im Steuerrecht, worunter
der als Grundlage der Mehrwertsteuer dienende Wert einer Lieferung zu verstehen
sei. Daher hat das VAT and Duties Tribunal, London, in der Erwägung, daß es
eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts benötige, um den bei ihm anhängigen
Rechtsstreit entscheiden zu können, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen vorgelegt:
In Fällen, in denen ein Lieferant von Gegenständen eine Werbeaktion veranstaltet,
in deren Rahmen in groben Zügen :
i) der Veranstalter Gegenstände gegen Einlösung von Gutscheinen für
geschäftliche Zwecke entsprechend den Bedingungen der Aktion zur
Verfügung stellt,
ii) bei der Aushändigung dieser Gegenstände keine Geldzahlung verlangt wird,
iii) die Gegenstände gegen Einlösung von Gutscheinen (Prämien) ausgehändigt
werden, auf die ein Erwerber von Waren, mit denen Gutscheine ausgegeben
werden (Prämienwaren), durch Bezahlung des vollständigen
Endverkaufspreises dieser Waren ohne eine bestimmbare Zahlung für die
Gutscheine Anspruch erworben hat:
1. Fallen unter die Wendung „Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis,
die dem Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und
die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird“, in
Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie des Rates
die gesamten Kosten für die Prämienwaren?
2. Sind die Prämienwaren als „Lieferung gegen Entgelt“ im Sinne von Artikel
5 Absatz 6 dieser Richtlinie zu betrachten?
3. Wenn die Prämienwaren in anderer Weise als gegen Entgelt oder
„kostenfrei“ zur Verfügung gestellt werden, ist dann nach Artikel 5 Absatz
6 die Abgabe der Prämienwaren als Lieferung gegen Entgelt zu betrachten,
obgleich sie für geschäftliche Zwecke erfolgt?
4. Ist eine der vorstehenden Fragen anders zu beantworten,
a) wenn alle für jeden Artikel der Prämienwaren eingelösten Gutscheine
beim Erwerb von Prämienwaren vom Veranstalter der Aktion erlangt
wurden;
b) wenn diese Gutscheine sämtlich beim Erwerb von Prämienwaren von
einem Händler erlangt wurden, der sich an der Aktion beteiligt hat;
c) wenn die eingelösten Gutscheine beim Erwerb von Prämienwaren teils
vom Veranstalter und teils von einem oder mehreren beteiligten
Händlern erlangt wurden?
5. Kann, wenn die dritte Frage verneint wird, das Vereinigte Königreich gemäß
Artikel 27 der Sechsten Richtlinie des Rates entsprechend der Ausnahme,
zu der es 1977 ermächtigt wurde, beim Veranstalter zusätzlich zu der
Umsatzsteuer, die im vollständigen Endverkaufspreis der Prämienwaren
enthalten ist, eine Umsatzsteuer von den Kosten des Veranstalters für die
Prämienwaren erheben?
Zur ersten Frage
- 14.
- Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob
Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist,
daß die Begriffe „Rabatte“ und „Rückvergütungen“ einen Preisnachlaß in Höhe
der gesamten Kosten der Lieferung der gegen Einlösung der Gutscheine
ausgehändigten Gegenstände umfassen können.
- 15.
- Dazu ist vorab festzustellen, daß die Klägerin selbst nicht behauptet, sie habe ihren
Kunden einen Rabatt oder eine Rückvergütung auf den Preis im Sinne dieser
Richtlinie gewährt. Sie macht vielmehr geltend, die Kunden hätten für die
Gegenstände, die im Austausch gegen die Q8-Gutscheine ausgehändigt worden
seien, einen Teil des beim Treibstoffkauf entrichteten Preises bezahlt. Daher sei die
erste Frage irrelevant.
- 16.
- Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die französische und die
portugiesische Regierung zu Recht ausgeführt haben, setzt die Gewährung eines
Rabattes oder einer Rückvergütung auf den Preis die entgeltliche Lieferung eines
Gegenstands voraus. Denn schon die Begriffe „Rückvergütung“ und „Rabatt“
beziehen sich auf eine nur teilweise Herabsetzung des vereinbarten Gesamtpreises.
Beträgt die Herabsetzung dagegen 100 % des Preises, so handelt es sich in
Wirklichkeit um eine unentgeltliche Abgabe. Die unentgeltliche Zuwendung eines
Gegenstands fällt jedoch unter Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie.
- 17.
- Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 11 Teil A Absatz 3
Buchstabe b der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, daß die Begriffe „Rabatte“
und „Rückvergütungen“ keinen Preisnachlaß in Höhe der Gesamtkosten einer
Lieferung von Gegenständen umfassen können.
Zur zweiten, zur dritten und zur vierten Frage
- 18.
- Mit seiner zweiten, seiner dritten und seiner vierten Frage, die gemeinsam zu
prüfen sind, möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 5
Absatz 6 der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, daß die Entnahme von
Gegenständen durch eine Erdölgesellschaft, die an einen Treibstoffkäufer gegen
Gutscheine weitergegeben werden, die er nach Maßgabe der gekauften Menge
gegen Zahlung des vollen Endverkaufspreises des Treibstoffs an der Tankstelle im
Rahmen der in den Randnummern 7 bis 9 des vorliegenden Urteils beschriebenen
Aktion erhalten hat, einer Lieferung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung
gleichzustellen ist.
- 19.
- Vorab ist darauf hinzuweisen, daß im vorliegenden Fall die Aushändigung der
Gegenstände gegen die Q8-Gutscheine für die Zwecke des Unternehmens erfolgte,
denn das Ziel der Werbung bestand für die Klägerin wie für die an der Aktion
beteiligten unabhängigen Wiederverkäufer nach den Feststellungen des nationalen
Gerichts in einer Erhöhung des Umfangs der Treibstoffverkäufe. Daher ist ein
Steuerpflichtiger, der sich in der gleichen Situation wie die Klägerin befindet,
berechtigt, gemäß Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die von
ihm für den Ankauf dieser Gegenstände entrichtete Vorsteuer abzuziehen.
- 20.
- Nach Ansicht der Klägerin schließt der Umstand, daß sie die Gegenstände für die
Zwecke ihres Unternehmens weitergegeben habe, die Anwendung von Artikel 5
Absatz 6 der Sechsten Richtlinie aus. Satz 1 dieses Absatzes beziehe sich nicht auf
eine solche Entnahme. Denn da die Mehrwertsteuer eine Verbrauchsteuer sei, sei
nur im Fall einer Verwendung der Gegenstände, die einen Verbrauch durch den
Steuerpflichtigen darstelle, eine Steuerbelastung erforderlich. Die Abgabe von
Gegenständen, die infolge der Einlösung von Gutscheinen ausgehändigt würden,
stelle aber keinen Verbrauch dieser Gegenstände durch das Unternehmen dar.
- 21.
- Dazu ist zu bemerken, daß der Zweck des Artikels 5 Absatz 6 der Sechsten
Richtlinie insbesondere darin besteht, die Gleichbehandlung des Steuerpflichtigen,
der einen Gegenstand seines Unternehmens für private Zwecke entnimmt, und
eines gewöhnlichen Verbrauchers zu gewährleisten, der einen gleichartigen
Gegenstand kauft (vgl. Urteile vom 6. Mai 1992 in der Rechtssache C-20/91, De
Jong, Slg. 1992, I-2847, Randnr. 15, und vom 26. September 1996 in der
Rechtssache C-230/94, Enkler, Slg. 1996, I-4517, Randnr. 33).
- 22.
- Jedoch geht bereits aus dem Wortlaut ihres Artikels 5 Absatz 6 Satz 1 hervor, daß
die Sechste Richtlinie die Entnahme eines Gegenstands durch einen
Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen, den dieser unentgeltlich weitergibt,
dann einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellt, wenn dieser Gegenstand zu einem
Vorsteuerabzug berechtigt hat, ohne daß es grundsätzlich entscheidend wäre, ob
diese Weitergabe für die Zwecke des Unternehmens stattfindet. Denn Satz 2 dieser
Bestimmung, der Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für
Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens von der Steuer ausnimmt, hätte
keinen Sinn, wenn Satz 1 Entnahmen, die der Steuerpflichtige für die Zwecke des
Unternehmens unentgeltlich weitergibt, nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen
würde.
- 23.
- Außerdem wird diese Auslegung, wie der Generalanwalt in Nummer 26 seiner
Schlußanträge ausgeführt hat, durch die Entstehungsgeschichte des Artikels 5
Absatz 6 der Sechsten Richtlinie bestätigt. Nummer 6 des Anhangs A der Zweiten
Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Struktur und
Anwendungsmodalitäten des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967,
Nr. 71, S. 1303) wie auch Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a des von der Kommission
am 29. Juni 1973 dem Rat vorgelegten Vorschlags für die Sechste Richtlinie (ABl.
C 80, S. 1) sahen nämlich u. a. vor, daß Entnahmen für Geschenke von geringem
Wert und Warenmuster, die steuerlich den Gemeinkosten zugeordnet werden
können, entgegen der allgemeinen Regelung nicht als steuerbare Lieferungen zu
betrachten sind. Daraus folgt, daß diese Entnahmen, auch wenn sie für die Zwecke
des Unternehmens getätigt werden, als steuerbare Lieferungen betrachtet werden
müssen, sofern die Geschenke nicht von geringem Wert sind.
- 24.
- Die Klägerin macht ferner geltend, Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie finde
keine Anwendung, weil im Ausgangsverfahren keine unentgeltliche Zuwendung im
Sinne dieser Bestimmung vorgelegen habe. Das Entgelt für die Aushändigung der
Gutscheine und daher für die Lieferung der gegen diese Gutscheine eingetauschten
Gegenstände bestehe nämlich in einem bestimmbaren Teil des Preises
einschließlich Mehrwertsteuer, den der Kunde beim Kauf des Treibstoffs gezahlt
habe. Der Kunde zahle somit auch für die im Rahmen der Werbeaktion erhaltenen
Gegenstände. Dies sei mit dem Endverbraucher an den der Klägerin gehörenden
Tankstellen vereinbart worden. Diese Analyse gelte im wesentlichen auch dann,
wenn unabhängige Wiederverkäufer in den Vertriebsprozeß einbezogen seien, die
in bezug auf die Aushändigung der Q8-Gutscheine und die Vereinnahmung des
entsprechenden Preisanteils für Rechnung der Klägerin handelten.
- 25.
- Hingegen vertreten die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die
französische und die portugiesische Regierung die Ansicht, trotz der Tatsache, daß
jeder Steuerpflichtige bestrebt sei, mit seinen Einnahmen alle ihm entstehenden
Kosten zu tragen, entrichte der Kunde in einem Verfahren wie dem im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden beim Kauf des Treibstoffs kein Entgelt für
die Gutscheine und die Geschenke, die ihm ausgehändigt würden.
- 26.
- Eine Lieferung von Gegenständen erfolgt nur dann im Sinne von Artikel 2
Nummer 1 der Sechsten Richtlinie „gegen Entgelt“, wenn zwischen dem
Lieferanten und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen
gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die Vergütung, die der
Lieferant erhält, den tatsächlichen Gegenwert für den gelieferten Gegenstand bildet
(vgl. für Dienstleistungen Urteil vom 3. März 1994 in der Rechtssache C-16/93,
Tolsma, Slg. 1994, I-743, Randnr. 14).
- 27.
- Auch wenn das nationale Gericht zu ermitteln hat, ob die Kunden und die Klägerin
beim Kauf des Treibstoffs, gegebenenfalls über unabhängige Wiederverkäufer,
vereinbart haben, daß ein Teil des für den Treibstoff gezahlten Preises, ob
bestimmbar oder nicht, den Gegenwert für die Q8-Gutscheine oder die gegen
deren Einlösung gelieferten Gegenstände darstellte, so enthalten die Akten doch
keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Betroffenen tatsächlich derartige gegenseitigen
Leistungen ausgetauscht hätten.
- 28.
- Zum einen stellen, wie der Generalanwalt in Nummer 43 seiner Schlußanträge
ausgeführt hat, der Verkauf des Treibstoffs und die Weitergabe von Gegenständen
gegen Gutscheine zwei getrennte Vorgänge dar.
- 29.
- Zum anderen sprechen im Ausgangsverfahren insbesondere zwei Erwägungen
dafür, daß es sich bei der Aushändigung von Gegenständen gegen Q8-Gutscheine
um eine unentgeltliche Zuwendung im Sinne von Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten
Richtlinie handelt, so daß ihre Entnahme einer Lieferung gegen Entgelt
gleichzustellen ist und daher der Steuer unterliegt.
- 30.
- Erstens wurden die gegen Q8-Gutscheine ausgehändigten Gegenstände im Rahmen
des von der Klägerin eingeführten Verkaufsförderungssystems als Geschenke
bezeichnet.
- 31.
- Zweitens steht fest, daß der Käufer von Q8-Treibstoff unabhängig davon, ob er die
Gutscheine annahm, den gleichen Endverkaufspreis zu zahlen hatte und daß die
Rechnung über den Treibstoffkauf, den die Klägerin oder die unabhängigen
Wiederverkäufer gemäß Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie denjenigen
Kunden auszustellen hatten, die selbst Steuerpflichtige waren, nur diesen Preis
auswies. Somit kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, daß im
Gegensatz zu dem, was auf den von ihr ausgestellten Rechnungen gestanden habe,
der von den Treibstoffkäufern gezahlte Preis in Wirklichkeit einen Teil des Wertes
der Q8-Gutscheine oder der gegen diese Gutscheine gelieferten Gegenstände
enthalten habe.
- 32.
- Daher ist auf die zweite, die dritte und die vierte Frage zu antworten, daß Artikel
5 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, daß die Entnahme von
Gegenständen durch eine Erdölgesellschaft, die an einen Treibstoffkäufer gegen
Gutscheine weitergegeben werden, die er nach Maßgabe der gekauften Menge
gegen Zahlung des vollen Endverkaufspreises des Treibstoffs an der Tankstelle im
Rahmen einer Werbeaktion wie der des Ausgangsverfahrens erhalten hat, einer
Lieferung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung gleichzustellen ist.
- 33.
- In Anbetracht der Antwort auf die zweite, die dritte und die vierte Frage braucht
die fünfte Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
- 34.
- Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der französischen und
der portugiesischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom VAT and Duties Tribunal, London, mit Verfügung vom 15. Januar
1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
ist so auszulegen, daß die Begriffe „Rabatte“ und „Rückvergütungen“
keinen Preisnachlaß in Höhe der Gesamtkosten einer Lieferung von
Gegenständen umfassen können.
2. Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist so auszulegen, daß die
Entnahme von Gegenständen durch eine Erdölgesellschaft, die an einen
Treibstoffkäufer gegen Gutscheine weitergegeben werden, die er nach
Maßgabe der gekauften Menge gegen Zahlung des vollen
Endverkaufspreises des Treibstoffs an der Tankstelle im Rahmen einer
Werbeaktion wie der des Ausgangsverfahrens erhalten hat, einer Lieferung
gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung gleichzustellen ist.
Rodríguez IglesiasKapteyn
Hirsch
Mancini Moitinho de Almeida
Gulmann
Edward Sevón
Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. April 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias