Language of document : ECLI:EU:T:2014:122

Rechtssache T‑297/11

Buzzi Unicem SpA

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsbeschluss – Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Begründungspflicht – Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Siebte Kammer) vom 14. März 2014

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Angabe der Rechtsgrundlagen und des Zwecks des Verlangens – Umfang – Verletzung der Begründungspflicht – Fehlen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 3)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Erst nach Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestehende Möglichkeit des betroffenen Unternehmens, diese Rechte umfassend geltend zu machen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Angabe der Rechtsgrundlagen und des Zwecks des Verlangens – Erfordernis eines notwendigen Zusammenhangs zwischen den verlangten Auskünften und der untersuchten Zuwiderhandlung – Entscheidungsspielraum der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Umfang

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 3)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Verteidigungsrechte – Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, der einen Schutz vor willkürlichen oder unverhältnismäßigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt vorschreibt

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 3)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Befugnisse der Kommission – Befugnis, Auskunftsverlangen damit zu verbinden, dass die verlangten Daten in eine bestimmte Form gebracht werden – Grenzen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Verteidigungsrechte – Absolutes Auskunftsverweigerungsrecht – Fehlen – Recht zur Verweigerung einer Antwort, die die Anerkennung einer Zuwiderhandlung implizieren würde

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 und 48 Abs. 2; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18)

7.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Verteidigungsrechte – Recht zur Verweigerung einer Antwort, die die Anerkennung einer Zuwiderhandlung implizieren würde – Fragen der Kommission, die solche Antworten nach sich ziehen würden – Beurteilung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Befugnisse der Kommission – Grenze – Erfordernis eines notwendigen Zusammenhangs zwischen den verlangten Auskünften und der untersuchten Zuwiderhandlung – Öffentliche Zugänglichkeit der verlangten Auskünfte

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 1)

9.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Befugnisse der Kommission – Grenze – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Ersuchen um Informationen, die sich bereits im Besitz der Kommission befinden – Verstoß gegen den genannten Grundsatz – Bitte um Präzisierung zuvor erteilter Auskünfte – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 3)

10.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Umstände – Zwischen einem einfachen Auskunftsverlangen und einem Beschluss zu treffenden Wahl – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Gerichtliche Nachprüfung

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 1 bis 3)

11.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Pflicht der Kommission, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte zu untersuchen – Übersendung mehrerer aufeinander folgender Auskunftsverlangen – Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Fehlen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18)

1.      Die wesentlichen Bestandteile der Begründung eines Auskunftsbeschlusses regelt Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 selbst. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Kommission die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die geforderten Auskünfte angibt und die Frist für die Erteilung der Auskünfte festlegt. Überdies heißt es in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003, dass die Kommission ferner einen Hinweis auf die in Art. 23 vorgesehenen Sanktionen gibt, entweder auf die in Art. 24 vorgesehenen Sanktionen hinweist oder diese auferlegt und auch auf das Recht hinweist, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben. Insoweit braucht die Kommission weder dem Adressaten einer solchen Entscheidung alle ihr vorliegenden Informationen über mutmaßliche Zuwiderhandlungen zu übermitteln, noch muss sie eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen; sie hat aber klar anzugeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt.

Wenn somit die Begründung eines Beschlusses aus einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung besteht, deren Präzisierung angebracht gewesen wäre, so dass sie insoweit zu beanstanden ist, kann gleichwohl davon ausgegangen werden, dass eine Bezugnahme auf mutmaßliche Zuwiderhandlungen in Verbindung mit einem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 dem Mindestmaß an Klarheit entspricht, das es erlaubt, die Einhaltung der Vorschriften von Art. 18 Abs. 3 der Verordnung zu bejahen.

(vgl. Rn. 22, 23, 30, 36)

2.      Im Verwaltungsverfahren nach der Verordnung Nr. 1/2003 kann das betroffene Unternehmen seine Verteidigungsrechte erst nach Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte umfassend geltend machen. Durch die Erstreckung dieser Rechte auf den Zeitraum vor Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte würde nämlich die Wirksamkeit der von der Kommission durchgeführten Untersuchung beeinträchtigt, da das betroffene Unternehmen schon im Abschnitt der Voruntersuchung erfahren würde, welche Informationen der Kommission bekannt sind und welche damit noch vor ihr verborgen werden können.

Die von der Kommission im Abschnitt der Voruntersuchung ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere die Nachprüfungsmaßnahmen und die Auskunftsverlangen, implizieren jedoch naturgemäß den Vorwurf einer Zuwiderhandlung und können erhebliche Auswirkungen auf die Situation der unter Verdacht stehenden Unternehmen haben. Folglich muss verhindert werden, dass die Verteidigungsrechte in diesem Abschnitt des Verwaltungsverfahrens in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden könnten, da die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung auszulösen, von entscheidender Bedeutung sein können.

Von der Kommission kann jedoch nicht verlangt werden, im Stadium des Abschnitts der Voruntersuchung außer den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen, denen sie nachzugehen beabsichtigt, auch die Indizien anzugeben, d. h. die Gesichtspunkte, aufgrund deren sie die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV in Betracht zieht. Eine solche Verpflichtung würde nämlich das durch die Rechtsprechung geschaffene Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Wirksamkeit der Untersuchung und dem Schutz der Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens in Frage stellen.

(vgl. Rn. 26, 27, 31)

3.      Die der Kommission nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 obliegende Verpflichtung zur Angabe der Rechtsgrundlage und des Zwecks eines Auskunftsverlangens stellt ein grundlegendes Erfordernis dar, da dadurch die Berechtigung des Ersuchens um Auskünfte der betreffenden Unternehmen aufgezeigt werden soll, diese aber auch in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren. Daraus folgt, dass die Kommission nur Auskünfte verlangen darf, die ihr die Prüfung der die Durchführung der Untersuchung rechtfertigenden und im Auskunftsverlangen angegebenen mutmaßlichen Zuwiderhandlungen ermöglichen können.

In Anbetracht der weitgehenden Nachprüfungs- und Ermittlungsbefugnisse der Kommission ist es ihre Sache, die Erforderlichkeit der Auskünfte zu beurteilen, die sie von den betroffenen Unternehmen verlangt. Zu der vom Gericht ausgeübten Kontrolle dieser Beurteilung der Kommission ist bei der Auslegung des Begriffs der erforderlichen Auskünfte auf den Zweck abzustellen, zu dem der Kommission die fraglichen Untersuchungsbefugnisse übertragen wurden. Das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen dem Auskunftsverlangen und der mutmaßlichen Zuwiderhandlung ist daher erfüllt, wenn in diesem Stadium des Verfahrens Grund zu der Annahme besteht, dass das Verlangen insofern in Beziehung zu der mutmaßlichen Zuwiderhandlung steht, als die Kommission vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass ihr das Dokument bei der Ermittlung des Vorliegens der gerügten Zuwiderhandlung helfen wird.

(vgl. Rn. 28, 85)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 43, 44)

5.      Da unter der Erteilung von „Auskünften“ im Sinne von Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht nur die Vorlage von Schriftstücken zu verstehen ist, sondern auch die Pflicht zur Beantwortung von Fragen zu diesen Schriftstücken, ist die Kommission nicht darauf beschränkt, allein die Vorlage von Daten zu verlangen, die unabhängig vom Tätigwerden des betroffenen Unternehmens vorliegen. Daher darf sie an ein Unternehmen Fragen richten, die voraussetzen, dass die verlangten Daten in eine bestimmte Form gebracht werden.

Die Ausübung dieser Befugnis wird jedoch durch die Beachtung mindestens zweier Grundsätze begrenzt. Zum einen dürfen die an ein Unternehmen gerichteten Fragen es nicht dazu zwingen, eine Zuwiderhandlung einzugestehen. Zum anderen darf die Beantwortung dieser Fragen keine Belastung darstellen, die zu den Erfordernissen der Untersuchung außer Verhältnis steht.

(vgl. Rn. 56, 57)

6.      Einem Unternehmen, an das sich ein Auskunftsbeschluss im Sinne von Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 richtet, kann kein absolutes Auskunftsverweigerungsrecht zuerkannt werden. Die Anerkennung eines solchen Rechts ginge nämlich über das hinaus, was zur Wahrung der Verteidigungsrechte der Unternehmen erforderlich ist, und würde zu einer ungerechtfertigten Behinderung der Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgabe führen, über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt zu wachen. Ein Auskunftsverweigerungsrecht kann nur insoweit anerkannt werden, als von dem betroffenen Unternehmen Antworten verlangt werden, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission den Nachweis zu erbringen hat.

Zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 darf die Kommission daher die Unternehmen verpflichten, ihr alle erforderlichen Auskünfte über ihnen eventuell bekannte Tatsachen zu erteilen und erforderlichenfalls die damit zusammenhängenden Schriftstücke, die sich in ihrem Besitz befinden, zu übermitteln, selbst wenn diese dazu verwendet werden können, den Beweis für ein wettbewerbswidriges Verhalten zu erbringen. Diese Auskunftsbefugnisse der Kommission verstoßen weder gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie verstoßen auch nicht gegen die Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Die Pflicht zur Beantwortung rein tatsächlicher Fragen der Kommission und zur Vorlage von ihr angeforderter vorhandener Schriftstücke kann die tragenden Grundsätze der Wahrung der Verteidigungsrechte in Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Anspruchs auf einen fairen Prozess in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht verletzen, die auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts einen Schutz bieten, der dem durch Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährten gleichwertig ist. Denn nichts hindert den Adressaten eines Auskunftsverlangens daran, später im Verwaltungsverfahren oder in einem Verfahren vor dem Unionsrichter zu beweisen, dass die in seinen Antworten mitgeteilten Tatsachen oder die übermittelten Schriftstücke eine andere als die ihnen von der Kommission beigemessene Bedeutung haben.

(vgl. Rn. 60-62)

7.      In Bezug auf die Antworten auf die Fragen, die die Kommission an die Unternehmen richten kann, ist danach zu unterscheiden, ob sie als rein tatsächlich eingestuft werden können oder nicht. Nur wenn eine Frage nicht als rein tatsächlich eingestuft werden kann, ist zu prüfen, ob sie eine Antwort impliziert, durch die das betroffene Unternehmen das Vorliegen der Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission den Nachweis zu erbringen hat.

Insoweit ist zwischen zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Zum einen wird der Unionsrichter, wenn die Kommission, gestützt auf die Annahme, dass der festgestellte Sachverhalt nur durch die Existenz eines wettbewerbswidrigen Verhaltens erklärt werden könne, eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt, den fraglichen Beschluss für nichtig erklären, sofern das Vorbringen der betroffenen Unternehmen den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lässt und damit eine andere plausible Erklärung der Tatsachen ermöglicht als die, aus der die Kommission geschlossen hat, dass eine Zuwiderhandlung vorliege. In einem solchen Fall kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommission den Beweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erbracht hat. Führen Fragen, ohne als rein tatsächlich eingestuft werden zu können, zu einer Antwort, deren Auslegung durch die Kommission vom betroffenen Unternehmen auf diese Weise angefochten werden kann, begründen sie kein Auskunftsverweigerungsrecht zu dessen Gunsten.

Zum anderen obliegt es, wenn die Kommission die Teilnahme eines Unternehmens an offensichtlich wettbewerbswidrigen Treffen von Unternehmen nachweisen konnte, dem betroffenen Unternehmen, eine andere Erklärung für den Inhalt dieser Treffen zu geben. Ebenso kann in einem Fall, in dem sich die Kommission auf Beweise stützt, die grundsätzlich genügen, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung darzutun, der bloße Hinweis des betroffenen Unternehmens auf die Möglichkeit des Vorliegens eines Umstands, der ihren Beweiswert erschüttern könnte, nicht dazu führen, dass die Kommission die Last des Gegenbeweises dafür trägt, dass ihr Beweiswert durch diesen Umstand nicht erschüttert werden konnte. Vielmehr muss das betroffene Unternehmen – es sei denn, dies wäre ihm wegen des eigenen Verhaltens der Kommission nicht möglich – rechtlich hinreichend nachweisen, dass zum einen der von ihm angeführte Umstand vorliegt und dass er zum anderen den Beweiswert der Beweise, auf die sich die Kommission stützt, in Frage stellt. Bei Fragen, die bezwecken oder bewirken, dass ein Unternehmen gegenüber der Kommission solche Angaben machen muss, hat es zwangsläufig ein Auskunftsverweigerungsrecht. Andernfalls müsste es nämlich das Vorliegen der Zuwiderhandlung eingestehen, für die die Kommission den Nachweis zu erbringen hat.

(vgl. Rn. 63, 75-77)

8.      Auskünfte wie die Postleitzahlen der Beschaffungsstandorte, die Bestimmungsorte und der Lieferort oder die von dem Erzeugnis vom Beschaffungsort bis zur Lieferadresse zurückgelegten Entfernungen sind zwar ihrer Art nach der Kommission zugänglich, doch sind sie die logische Ergänzung von Informationen, die allein dem Unternehmen vorliegen. Daher kann ihr etwaiger öffentlicher Charakter nichts daran ändern, dass sie als erforderlich im Sinne von Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 angesehen werden können.

(vgl. Rn. 87, 88)

9.      Zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch ein Auskunftsverlangen genügt es nicht, dass die verlangten Auskünfte mit dem Gegenstand der Untersuchung in Zusammenhang stehen. Erforderlich ist auch, dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung für das betreffende Unternehmen keine Belastung darstellt, die zu den Erfordernissen der Untersuchung außer Verhältnis steht.

Daraus ist zu schließen, dass ein Beschluss, mit dem dem Adressaten aufgegeben wird, zuvor verlangte Auskünfte erneut zu erteilen, nur weil nach Ansicht der Kommission einige von ihnen unzutreffend sind, als eine Belastung angesehen werden könnte, die außer Verhältnis zu den Erfordernissen der Untersuchung steht und daher weder mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch mit dem Gebot der Erforderlichkeit im Einklang steht. In einer solchen Situation steht es der Kommission nämlich frei, genau die Informationen zu benennen, die das betreffende Unternehmen ihres Erachtens korrigieren muss.

Ebenso lässt sich mit dem Bestreben, die von den Unternehmen erteilten Antworten leichter verarbeiten zu können, nicht rechtfertigen, dass diesen Unternehmen aufgegeben wird, bereits im Besitz der Kommission befindliche Auskünfte in einem neuen Format zu erteilen. Zwar haben Unternehmen eine Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung, aufgrund deren sie alle den Gegenstand der Untersuchung betreffenden Informationsquellen für die Kommission bereithalten müssen, doch kann diese Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung nicht so weit gehen, Auskünfte aufzubereiten, die sich bereits im Besitz der Kommission befinden.

Ein Beschluss der Kommission, mit dem die Erteilung genauerer als der bis dahin erteilten Auskünfte verlangt wird, ist als durch die Erfordernisse der Untersuchung gerechtfertigt anzusehen. Die Suche nach sämtlichen relevanten Informationen, die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln bestätigen oder widerlegen, kann nämlich damit verbunden sein, dass die Kommission von den Unternehmen verlangt, bestimmte ihr zuvor mitgeteilte tatsächliche Auskünfte zu präzisieren oder näher zu erläutern. Daher kann der Umstand, dass mit dem Auskunftsbeschluss entweder neue oder genauere Auskünfte eingeholt werden sollen, die Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte rechtfertigen.

(vgl. Rn. 97-99, 101, 104)

10.    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, verlangt, dass die Handlungen der Organe nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen.

Nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 ist die Kommission berechtigt, Auskünfte durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Entscheidung zu verlangen, ohne dass diese Bestimmung den Erlass einer Entscheidung an ein vorheriges einfaches Auskunftsverlangen knüpft. Die von ihr zu treffende Wahl zwischen einem einfachen Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 und einem Auskunftsbeschluss nach deren Art. 18 Abs. 3 unterliegt der vom Unionsrichter vorzunehmenden Kontrolle anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eine solche Kontrolle muss von den Erfordernissen einer den Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Untersuchung abhängen.

(vgl. Rn. 118-121)

11.    In den Fällen, in denen die Organe der Union über einen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt der Beachtung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt, eine umso grundlegendere Bedeutung zu. Zu diesen Garantien gehört insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen. Soweit sich das Auskunftsverlangen, auch wenn sein Gegenstand dem der früheren Auskunftsverlangen nahekommt, von ihnen durch den Genauigkeitsgrad seiner Fragen oder durch das Vorhandensein neuer Fragen unterscheidet, können Umstände wie der Umfang der von der Kommission durchgeführten Untersuchung und die Zahl der betroffenen Unternehmen sowie der technische Charakter des betroffenen Produktmarkts es rechtfertigen, dass die Kommission nacheinander mehrere, sich teilweise überschneidende Auskunftsverlangen erlässt, ohne damit gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zu verstoßen.

(vgl. Rn. 147, 148)