Language of document : ECLI:EU:C:2018:25

Rechtssache C179/16

F. Hoffmann-La Roche Ltd u. a.

gegen

Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 101 AEUV – Kartell – Arzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Angaben zu den Risiken, die mit der Anwendung eines Arzneimittels für eine Behandlung verbunden sind, die nicht von der Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels gedeckt ist (off-label) – Definition des relevanten Marktes – Nebenabrede – Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – Freistellung“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 23. Januar 2018

1.        Kartelle – Relevanter Markt – Abgrenzung – Zweck – Bestimmung der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Beurteilungskriterien – Substituierbarkeit der Erzeugnisse oder Dienstleistungen auf der Angebots- und der Nachfrageseite – Pharmazeutische Erzeugnisse – Substituierbarkeit unrechtmäßig hergestellter oder verkaufter Erzeugnisse

(Art. 101 Abs. 1 AEUV; Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6)

2.        Kartelle – Relevanter Markt – Abgrenzung – Kriterien – Substituierbarkeit der Erzeugnisse oder Dienstleistungen auf der Angebots- und der Nachfrageseite – Pharmazeutische Erzeugnisse – Berücksichtigung von für die Behandlung einer bestimmten Erkrankung zugelassenen Arzneimitteln sowie von solchen, die zu diesem Zweck eingesetzt werden, obwohl die betreffende Erkrankung in ihrer Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht angeführt ist – Voraussetzungen

(Art. 101 AEUV)

3.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Nebenabrede – Begriff – Für die Durchführung einer Hauptmaßnahme notwendige Beschränkung – Objektivität und Verhältnismäßigkeit – Beschränkung, ohne die die Hauptmaßnahme schwerer durchführbar oder weniger rentabel ist – Ausschluss vom Begriff – Anderer als der unerlässliche Charakter einer Beschränkung, die in den Genuss einer Freistellung kommen kann

(Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV)

4.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Nebenabrede – Begriff – Für die Durchführung einer Hauptmaßnahme notwendige Beschränkung – Beschränkungen in einer die Verwertung eines Arzneimittels betreffenden Vereinbarung, die darauf abzielen, die Anwendung eines anderen Arzneimittels für die gleiche Behandlung zu beschränken – Nichteinbeziehung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

5.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt – Pharmazeutische Erzeugnisse – Berücksichtigung der Auswirkung der Unionsregelung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

6.        Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Bilaterale Vereinbarung zwischen Unternehmen, die miteinander in Wettbewerb stehende Arzneimittel vermarkten, über die Verbreitung irreführender Informationen zu den Nebenwirkungen eines dieser Arzneimittel bei der Behandlung einer Erkrankung, die von seiner Zulassung nicht gedeckt ist, um den Wettbewerbsdruck zu verringern, der sich aus einer solchen Anwendung ergibt – Wettbewerbsfeindlichkeit – Keine Freistellung

(Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 49-53)

2.      Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde für die Zwecke der Anwendung dieses Artikels in den relevanten Markt außer den für die Behandlung der betreffenden Erkrankungen zugelassenen Arzneimitteln ein anderes Arzneimittel einbeziehen kann, dessen Genehmigung für das Inverkehrbringen eine solche Behandlung nicht deckt, das aber zu diesem Zweck eingesetzt wird und so in einem konkreten Substituierbarkeitsverhältnis zu den erstgenannten Arzneimitteln steht. Für die Feststellung, ob ein solches Substituierbarkeitsverhältnis besteht, muss die Wettbewerbsbehörde, sofern eine Prüfung der Konformität des in Rede stehenden Erzeugnisses mit den für seine Herstellung oder Vermarktung geltenden Vorschriften seitens der hierfür zuständigen Behörden oder Gerichte stattgefunden hat, das Ergebnis dieser Prüfung berücksichtigen, indem sie beurteilt, wie es sich möglicherweise auf die Struktur von Nachfrage und Angebot auswirkt.

(vgl. Rn. 67, Tenor 1)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 69-71)

4.      Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Absprache zwischen den Parteien einer die Verwertung eines Arzneimittels betreffenden Lizenzvereinbarung, die, um den Wettbewerbsdruck auf dieses Arzneimittel bei der Anwendung zur Behandlung bestimmter Erkrankungen zu verringern, darauf abzielt, das Verhalten von Dritten zu beschränken, das darin besteht, die Anwendung eines anderen Arzneimittels für die Behandlung der gleichen Erkrankungen zu fördern, der Anwendung dieser Bestimmung nicht deshalb entzogen ist, weil es sich etwa um eine Nebenabrede zu der Lizenzvereinbarung handelt.

(vgl. Rn. 75, Tenor 2)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 78-80)

6.      Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Absprache zwischen zwei Unternehmen, die zwei miteinander in Wettbewerb stehende Arzneimittel vermarkten, über die Verbreitung irreführender Informationen zu den Nebenwirkungen der Anwendung eines dieser Arzneimittel bei nicht von seiner Zulassung gedeckten Indikationen an die Europäische Arzneimittel-Agentur, die Angehörigen der Heilberufe und die Öffentlichkeit in einem Kontext, der durch einen ungesicherten wissenschaftlichen Kenntnisstand gekennzeichnet ist, zu dem Zweck, den Wettbewerbsdruck zu verringern, der sich aus dieser Anwendung für die Anwendung des anderen Arzneimittels ergibt, eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung ist.

Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine solche Absprache nicht unter die Freistellung gemäß Abs. 3 dieses Artikels fallen kann. Die Anwendbarkeit der Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV hängt von der Erfüllung der dort genannten vier kumulativen Voraussetzungen ab. Erstens muss die fragliche Absprache zur Verbesserung der Erzeugung oder Verteilung der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, zweitens müssen die Verbraucher angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligt werden, drittens dürfen den beteiligten Unternehmen nur unerlässliche Beschränkungen auferlegt werden, und viertens darf die Absprache den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren oder Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten. Im vorliegenden Fall genügt jedoch der Hinweis, dass die Verbreitung irreführender Informationen über ein Arzneimittel nicht als „unerlässlich“ im Sinne der dritten erforderlichen Voraussetzung für eine Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV angesehen werden kann.

(vgl. Rn. 95, 97, 98, 101, Tenor 3, 4)