Language of document : ECLI:EU:T:2004:76

Rechtssache T‑157/01

Danske Busvognmænd

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Staatliche Beihilfen – Öffentlicher regionaler Busverkehr“

Leitsätze des Urteils

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Entscheidung der Kommission ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG – Klagebefugnis eines Unternehmensverbands, der etwaige staatliche Beihilfen gerügt hat – Zulässigkeit

(Artikel 88 Absatz 2 EG und 230 Absatz 2 EG)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Zulässige Klage – Recht, sich auf alle in Artikel 230 EG aufgezählten Rechtswidrigkeitsgründe zu berufen

(Artikel 230 Absatz 2 EG)

3.      Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Bestimmung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe

(Satzung des Gerichtshofes, Artikel 21 Absatz 1 und 53 Absatz 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 44 § 1 Buchstabe c)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Entschädigungszahlung an Mitarbeiter eines Unternehmens für Verzicht auf den Beamtenstatus – Ausschluss

(Artikel 87 Absatz 1 EG)

5.      Verkehr – Verkehrsbeihilfen – Unterscheidung zwischen den Begriffen „mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen“ und „Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ – Nach Ausschreibungen freiwillig geschlossene Beförderungsverträge

(Verordnung Nr. 1191/69 des Rates, Artikel 1, 2 und 14)

6.      Verkehr – Vorgehen der Mitgliedstaaten bei gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen – Verordnung Nr. 1191/69 – Unanwendbarkeit von Artikel 87 Absatz 1 EG – Grenzen – Beihilfen, die unmittelbar und ausschließlich für die Erbringung von öffentlichen Verkehrsdiensten erforderlich sind

(Artikel 87 Absatz 1 EG und 88 Absatz 3 EG; Verordnung Nr. 1191/69 des Rates, Artikel 17 Absatz 2)

7.      Verkehr – Verkehrsbeihilfen – Anwendung von Artikel 73 EG – Beschränkung auf die im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Fälle

(Artikel 73 EG; Verordnungen Nrn. 1191/69 und 1107/70 des Rates)

1.      Hat die Kommission auf die Beschwerde eines Unternehmensverbands, der das Bestehen von staatlichen Beihilfen gerügt hatte, nach einer ersten Prüfung der Angelegenheit, also ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG, eine Entscheidung erlassen, so kommen diesem Verband – in seiner Eigenschaft als Beschwerdeführer, der überdies den Verlauf des Verwaltungsverfahrens der Kommission beeinflusst hat und unter dessen Mitgliedern zumindest manche Unternehmen in Konkurrenz zur Empfängerin der gerügten Beihilfen stehen – die Verfahrensgarantien nach Artikel 88 Absatz 2 EG zugute. Die Einhaltung dieser Garantien kann aber nur sichergestellt werden, wenn der Kläger die angefochtene Entscheidung beim Gemeinschaftsrichter nach Artikel 230 Absatz 4 EG anfechten kann.

(vgl. Randnrn. 39-40)

2.      Ein Unternehmensverband kann im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, die seinen Interessen und denen seiner Mitglieder dient, jeden der in Artikel 230 Absatz 2 EG aufgezählten Rechtswidrigkeitsgründe geltend machen, soweit sie sich auf die vollständige oder partielle Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung beziehen, ohne dabei auf eine Rüge der Verletzung der Verfahrensrechte des Artikels 88 Absatz 2 EG beschränkt zu sein.

(vgl. Randnr. 41)

3.      Nach Artikel 21 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes, der nach Artikel 53 Absatz 1 der Satzung auch auf das Gericht Anwendung findet, in Verbindung mit Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen aus sich selbst heraus hinreichend klar und deutlich sein, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, über die Klage entscheiden kann. Um die Rechtssicherheit und eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit eines Klagegrundes daher erforderlich, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die er gestützt ist, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus dem Text der Klageschrift ergeben.

(vgl. Randnr. 45)

4.      Artikel 87 Absatz 1 EG soll nur Vorteile untersagen, durch die bestimmte Unternehmen begünstigt werden, da der Begriff der Beihilfe nur Interventionen erfasst, die die normalen Belastungen eines Unternehmens mindern und die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erlangt hätte. Die Zahlung eines Geldbetrags durch einen Mitgliedstaat an die Mitarbeiter eines Busunternehmens, mit dem die Aufgabe ihres Beamtenstatus für ein vertragliches Arbeitsverhältnis ausgeglichen werden soll, bildet daher keine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG, wenn mit dieser Maßnahme der privilegierte und kostenaufwändige Status dieser Beamten durch einen Status abgelöst werden soll, wie ihn auch Mitarbeiter von anderen, konkurrierenden Busunternehmen haben. Eine solche Maßnahme soll, wie dies auch im Fall der Wiedereingliederung der betroffenen Beamten in die öffentliche Verwaltung gegolten hätte, das in Frage stehende Unternehmen lediglich von einem strukturellen Nachteil im Vergleich zu seinen privaten Konkurrenten befreien, nicht aber ihm einen Vorteil gewähren.

(vgl. Randnr. 57)

5.      Nach seinem Wortlaut unterscheidet Artikel 1 der Verordnung Nr. 1191/69 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn‑, Straßen‑ und Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung Nr. 1893/91 klar zwischen „mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen“, die die zuständigen Behörden aufheben müssen (Absatz 3), und der „Verkehrsbedienung“, die die Behörden mittels „Verträgen über Verkehrsdienste“ gewährleisten können (Absatz 4), wobei in Absatz 5 des Artikels klargestellt wird, dass „[d]ie Behörden … jedoch … Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Sinne des Artikels 2 beibehalten oder auferlegen [können]“. Nur in diesem letztgenannten Fall sind die insbesondere in Abschnitt IV der Verordnung Nr. 1191/69, d. h. in deren Artikeln 10 bis 13, vorgesehenen gemeinsamen Ausgleichsmethoden anzuwenden.

Artikel 14 der Verordnung Nr. 1191/69 definiert den „Vertrag über Verkehrsdienste“ als einen Vertrag mit dem Zweck, der Allgemeinheit ausreichende Verkehrsdienste zu bieten. Außer seiner Laufzeit legt dieser Vertrag alle Einzelheiten der Beförderungsleistungen fest, darunter den „Preis … für die Dienstleistungen, der die Tarifeinnahmen ergänzt oder die Einnahmen miteinschließt, sowie die Einzelheiten der finanziellen Beziehungen zwischen den beiden Parteien“ (Artikel 14 Absätze 1 und 2 Buchstabe b). Diese rein vertragliche Regelung kennt weder einen Ausgleich für die Erfüllung einer übertragenen Aufgabe noch eine Verpflichtung des öffentlichen Dienstes im Sinne von Artikel 2 der Verordnung Nr. 1191/69.

Insoweit bestimmt Artikel 14 Absätze 4 bis 6 der Verordnung Nr. 1191/69, dass die zuständigen Behörden, wenn ein Unternehmen einen Verkehrsdienst, der nicht unter die Vertragsregelung „oder“ das System der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes fällt, einstellen möchte, die Aufrechterhaltung dieses Verkehrsdienstes vorschreiben können, wobei für die aus dieser Verpflichtung entstehenden Kosten ein „Ausgleich nach den in den Abschnitten II, III und IV genannten gemeinsamen Methoden“ zu leisten ist. Folglich umfasst das Vertragsverhältnis, das nach einer Ausschreibung zwischen dem Verkehrsunternehmen und der zuständigen Behörde zustande kommt, nach Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1191/69 zwangsläufig eine besondere Finanzierungsregelung, die für einen Ausgleich nach den Methoden gemäß den Abschnitten II, III und IV der Verordnung keinen Raum lässt.

Folglich hat ein Busunternehmen keine Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1191/69 zu tragen, wenn ihm die Verpflichtungen zum Betrieb, zur Beförderung und zur Vereinnahmung der festgelegten Fahrpreise nicht einseitig auferlegt wurden, wenn es weiterhin nicht verpflichtet war, seine Beförderungsaufgaben zu unrentablen Bedingungen zu erbringen, die seinem wirtschaftlichen Interesse zuwiderliefen, sondern es diese Verpflichtungen freiwillig erfüllt, nachdem es in Ausschreibungen ausgewählt wurde, die keine staatlichen Zuschüsse vorsahen und an denen teilzunehmen ihm nach Maßgabe seiner wirtschaftlichen Interessen freistand, und wenn die von dem Unternehmen erbrachten Verkehrsdienste durch den Preis vergütet werden, den es selbst in seinen Angeboten im Rahmen der Ausschreibungen vorgeschlagen hat und der anschließend in die geschlossenen Verträge aufgenommen worden ist; ein solches Unternehmen erhält damit keine „Ausgleichszahlungen“ im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1191/69, sondern nur das vereinbarte Entgelt gemäß den geschlossenen Beförderungsverträgen.

(vgl. Randnrn. 77-82)

6.      Nach der Verordnung Nr. 1191/69 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn‑, Straßen‑ und Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung Nr. 1893/91 dürfen die zuständigen nationalen Behörden auf dem Gebiet des Straßenverkehrs alle unter die Verordnung fallenden Maßnahmen einschließlich der erforderlichen Finanzmaßnahmen erlassen und sind hierfür nach Artikel 17 Absatz 2 sogar von der Anmeldepflicht nach Artikel 88 Absatz 3 EG befreit. Die Verordnung Nr. 1191/69 enthält somit eine sektorielle Ausnahme von dem in Artikel 87 Absatz 1 EG niedergelegten Grundsatz des Verbotes staatlicher Beihilfen und lässt der Kommission für die Genehmigung von unter die Ausnahme fallenden Beihilfen keinen Spielraum. Demnach enthält diese Verordnung eine besonders günstige Genehmigungsregelung, die folglich restriktiv auszulegen ist.

Diese Regelung ist daher auf Beihilfen zu beschränken, die für die Erbringung von öffentlichen Verkehrsdiensten als solchen unmittelbar und ausschließlich erforderlich sind, und zwar unter Ausschluss von Zuschüssen zur Deckung von Verlusten, die dem von der Beihilfe begünstigten Unternehmen aus anderen Umständen entstehen als der Beförderungsaufgabe selbst wie etwa Auswirkungen allgemein schlechter Finanzverwaltung, die nicht mit dem Verkehrssektor zusammenhängt. Die öffentliche Finanzierung solcher, nicht speziell sektorieller Defizite kann nur nach den allgemeinen Vorschriften des Artikels 87 Absätze 2 und 3 EG genehmigt werden.

(vgl. Randnrn. 85-86)

7.      Nach dem Erlass der Verordnung Nr. 1107/70 über Beihilfen im Eisenbahn‑, Straßen‑ und Binnenschiffsverkehr sind die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt, sich außerhalb der im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht genannten Fälle unmittelbar auf Artikel 73 EG zu berufen, wonach Beihilfen, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen, mit dem Vertrag vereinbar sind.

Soweit nämlich die Verordnung Nr. 1191/69 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn‑, Straßen‑ und Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung Nr. 1893/91 nicht anwendbar ist oder die fraglichen Zuschüsse unter Artikel 87 Absatz 1 EG fallen, werden die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten Beihilfen nach Artikel 73 EG vergeben dürfen, abschließend durch die Verordnung Nr. 1107/70 festgelegt.

(vgl. Randnr. 100)