Language of document : ECLI:EU:C:2022:28

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 13. Januar 2022(1)

Rechtssachen C147/20, C204/20 und C224/20

Novartis Pharma GmbH

gegen

Abacus Medicine A/S (C147/20)

und

Bayer Intellectual Property GmbH

gegen

kohlpharma GmbH (C204/20)

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Hamburg, Deutschland])

sowie

Merck Sharp & Dohme BV,

Merck Sharp & Dohme Corp.,

MSD DANMARK ApS,

MSD Sharp & Dohme GmbH,

Novartis AG,

FERRING LÆGEMIDLER A/S,

H. Lundbeck A/S

gegen

Abacus Medicine A/S,

Paranova Danmark A/S,

2CARE4 ApS (C224/20)

(Vorabentscheidungsersuchen des Sø- og Handelsret [See- und Handelsgericht, Dänemark])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 34 und 36 AEUV – Freier Warenverkehr – Geistiges Eigentum – Marken – Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 15 – Richtlinie (EU) 2015/2436 – Art. 15 – Erschöpfung des Rechts aus der Marke – Parallelimport von Arzneimitteln – Umpacken der mit der Marke versehenen Ware – Neue äußere Umhüllung – Widerspruch des Markeninhabers – Künstliche Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 47a – Sicherheitsmerkmale – Ersetzung – Gleichwertige Sicherheitsmerkmale – Delegierte Verordnung (EU) 2016/161 – Art. 3 Abs. 2 – Vorrichtung gegen Manipulation – Individuelles Erkennungsmerkmal“






Inhaltsverzeichnis



 Einleitung

1.        Es erübrigt sich im Januar 2022, erneut darauf hinzuweisen, welche Bedeutung Arzneimittel nicht nur für die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch für das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt und das Funktionieren der Weltwirtschaft haben. Der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeit deutlich gemacht, drei – potenziell gegenläufige – Ziele staatlichen Handelns im Bereich der Arzneimittelregulierung miteinander in Einklang zu bringen: die Wahrung der wirtschaftlichen Rentabilität von Entwicklung und Vermarktung innovativer Arzneimittel, die Gewährleistung ihrer Sicherheit und Wirksamkeit für die Patienten und die Begrenzung ihrer Kosten für die Patienten und die öffentlichen Haushalte(2).

2.        Denn Arzneimittel sind zwar Waren, unterscheiden sich aber in vielerlei Hinsicht von den meisten anderen handelsüblichen Gütern.

3.        Einerseits erfordern die Forschung und die Entwicklung, deren es bedarf, um neue Medikamente auf den Markt zu bringen, wegen des hochentwickelten technologischen Charakters moderner Therapien einen erheblichen finanziellen Aufwand. Außerdem sind diese Bemühungen besonders riskant, und es dauert mehrere Jahre, bis sie Ergebnisse zeitigen(3). Daher können sich die Arzneimittelhersteller bei der Finanzierung ihrer Entwicklungsvorhaben häufig nicht auf die Finanzmärkte verlassen, sondern sind auf ihre eigenen Mittel angewiesen(4). Diese Mittel können aber nur aus den Einnahmen stammen, die durch den Verkauf der bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimittel erzielt werden.

4.        Andererseits greifen die staatlichen Stellen auf unterschiedliche Mechanismen zurück, um die Arzneimittelpreise für ihre Bevölkerung zu kontrollieren, unabhängig davon, ob diese Arzneimittel von den Patienten selbst oder aus öffentlichen Mitteln, insbesondere über die Krankenversicherung, finanziert werden. Daher werden die Arzneimittelpreise selten allein durch Marktmechanismen bestimmt.

5.        Die notwendige Erzielung einer Investitionsrendite einerseits und die regulatorischen Auflagen für die Preise andererseits führen dazu, dass die Arzneimittelhersteller sogar auf eng miteinander verflochtenen Märkten wie den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ganz unterschiedliche Preise für ein und dasselbe Produkt verlangen(5). Dadurch wird es aber wirtschaftlich rentabel, Arzneimittel auf Märkten mit niedrigen Preisen einzukaufen und auf Märkten mit höheren Preisen weiterzuverkaufen. Aus diesem Grund wird dieses als „Parallelhandel“ bezeichnete Verfahren von Akteuren praktiziert, die von den Arzneimittelherstellern unabhängig sind. Letztere sehen das nicht gern, da es ihre Preispolitik zu untergraben droht.

6.        Markenrechte bieten den Herstellern die Möglichkeit, sich gegen Parallelhandel zu schützen. Jeder Inhaber einer Marke für ein Produkt kann der Verwendung dieser Marke und damit der Vermarktung dieses Produkts durch einen Dritten widersprechen.

7.        Ein solcher Widerspruch ist jedoch mit dem Grundprinzip des Binnenmarkts in der Union unvereinbar. Er läuft nämlich darauf hinaus, den von der Union geschaffenen Binnenmarkt in einzelne nationale Märkte aufzuteilen.

8.        Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung daher den Grundsatz der Erschöpfung der Rechte aus der Marke für solche Waren entwickelt, die mit Zustimmung des Markeninhabers in der Union in den Verkehr gebracht wurden(6). Dieser Grundsatz wurde später in das Markenrecht der Union übernommen(7). Diese Rechtsprechung und das einschlägige Markenrecht bilden die Rechtsgrundlage für den Parallelhandel mit Arzneimitteln in der Union.

9.        Die Freiheit des Parallelhandels scheint aus der Sicht des Binnenmarktgedankens selbstverständlich zu sein: Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten darf selbst in einem so regulierten Bereich wie dem Arzneimittelsektor nicht allein deshalb behindert werden, weil es Preisunterschiede zwischen diesen Staaten gibt. Unter dem Aspekt des Schutzes der öffentlichen Gesundheit sind die Vorteile des Parallelhandels mit Arzneimitteln jedoch alles andere als eindeutig. In der Literatur wird vielmehr darauf hingewiesen, dass diese Vorteile vor allem den Parallelhändlern selbst zugutekommen und nur zu einem wesentlich geringeren Teil den Patienten oder den Krankenversicherungssystemen. Wegen der Starrheit nicht nur der Nachfrage nach Arzneimitteln, sondern auch des Preisniveaus bei Arzneimitteln trägt der Parallelhandel nämlich nur wenig zur Senkung dieser Preise bei. Dagegen sind negative Auswirkungen des Parallelhandels sowohl auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Arzneimittelhersteller wegen der Verringerung ihrer Einnahmen als auch auf die Versorgung von Niedrigpreismärkten zu beobachten, entweder weil auf diesen Märkten massive Aufkäufe für den Export in höherpreisige Märkte stattfinden oder weil sich die Hersteller weigern, diese Märkte aus Angst vor dem Parallelhandel zu beliefern(8).

10.      Ein weiteres Risiko, das mit dem Parallelhandel zusammenhängt, auch wenn es ihm nicht immanent ist, besteht darin, dass gefälschte Arzneimittel auf den Markt gebracht werden, was vor allem bei ihrem Umpacken geschehen kann, das oft notwendig ist, wenn sie in anderen Mitgliedstaaten als dem ihrer ursprünglichen Vermarktung in den Verkehr gebracht werden sollen(9).

11.      Um diesem Risiko zu begegnen, hat der Unionsgesetzgeber die Rechtsvorschriften geändert und Vorkehrungen zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln getroffen(10). Mit dieser Änderung werden neue Anforderungen an die Verpackung von Arzneimitteln gestellt, die insbesondere Parallelhändlern neue Beschränkungen auferlegen. Die vorliegenden Rechtssachen werfen hauptsächlich die Rechtsfrage auf, ob diese neuen Anforderungen den Status quo in Bezug auf die jeweiligen Rechte ändern, die den Parallelhändlern von Arzneimitteln und deren Herstellern als den Inhabern der Marken, unter denen diese Arzneimittel vermarktet werden, zustehen.

12.      Da dieses Hauptproblem den vorliegenden drei Rechtssachen gemeinsam ist, werde ich, obwohl sie nicht förmlich verbunden wurden, für sie gemeinsame Schlussanträge stellen.

 Rechtlicher Rahmen

 Markenrecht

13.      Art. 9 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke(11) bestimmt:

„(1)      Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2)      Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a)      das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

b)      das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

(3)      Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

a)      das Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen;

b)      unter dem Zeichen Waren anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)      Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

14.      Art. 15 dieser Verordnung lautet:

„(1)      Eine Unionsmarke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind.

(2)      Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“

15.      Art. 10 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken(12) bestimmt:

„(1)      Mit der Eintragung der Marke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2)      Der Inhaber einer eingetragenen Marke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der eingetragenen Marke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr, in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, ein Zeichen zu benutzen, wenn

a)      das Zeichen mit der Marke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist;

b)      das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

(3)      Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

a)      das Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen;

b)      unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)      Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

16.      Art. 15 dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Eine Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der Union in Verkehr gebracht worden sind.

(2)      Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“

 Arzneimittelrecht

17.      Art. 40 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel(13) in der durch die Richtlinie 2011/62/EU(14) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die Herstellung von Arzneimitteln auf ihrem Gebiet von einer Erlaubnis abhängig gemacht wird. Die Herstellungserlaubnis ist auch erforderlich, wenn die hergestellten Arzneimittel für die Ausfuhr bestimmt sind.

(2)      Die Erlaubnis nach Absatz 1 ist sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung als auch für die Abfüllung, das Abpacken und die Aufmachung erforderlich.

…“

18.      Art. 47a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„Die Sicherheitsmerkmale nach Artikel 54 Buchstabe o dürfen weder teilweise noch vollständig entfernt oder überdeckt werden, es sei denn, die folgenden Bedingungen sind erfüllt:

a)      Der Inhaber der Herstellungserlaubnis prüft vor der teilweisen oder vollständigen Entfernung oder Überdeckung dieser Sicherheitsmerkmale, ob das betreffende Arzneimittel echt ist und nicht manipuliert worden ist;

b)      der Inhaber der Herstellungserlaubnis hält Artikel 54 Buchstabe o ein, indem er diese Sicherheitsmerkmale durch Sicherheitsmerkmale ersetzt, die im Hinblick auf die Möglichkeit, die Echtheit und die Identität des Arzneimittels nachzuprüfen und im Hinblick auf die Möglichkeit des Nachweises der Manipulation des Arzneimittels gleichwertig sind. Diese Ersetzung wird ausgeführt, ohne dass dafür die Primärverpackung im Sinne des Artikels 1 Nummer 23 geöffnet wird.

Die Sicherheitsmerkmale gelten als gleichwertig, wenn:

i)      sie den Anforderungen der gemäß Artikel 54a Absatz 2 erlassenen delegierten Rechtsakte entsprechen und

ii)      sie gleichermaßen geeignet sind, die Echtheit und die Identität von Arzneimitteln nachzuprüfen sowie den Nachweis der Manipulation von Arzneimitteln zu ermöglichen;

c)      die Ersetzung der Sicherheitsmerkmale wird im Einklang mit der anwendbaren guten Herstellungspraxis für Arzneimittel durchgeführt, und

d)      die Ersetzung der Sicherheitsmerkmale wird von der zuständigen Behörde überwacht.“

19.      Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie sieht vor:

„Die äußere Umhüllung oder – sofern nicht vorhanden – die Primärverpackung jedes Arzneimittels muss die nachstehenden Angaben aufweisen:

o)      im Fall der in Artikel 54a Absatz 1 genannten Arzneimittel – außer radioaktiven Arzneimitteln – Sicherheitsmerkmale, die es Großhändlern und Personen, die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind, ermöglichen,

–        die Echtheit des Arzneimittels zu überprüfen; und

–        einzelne Packungen zu identifizieren;

sowie eine Vorrichtung, die es ermöglicht zu überprüfen, ob die äußere Umhüllung manipuliert worden ist.“

20.      In Art. 54a Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie wird der Europäischen Kommission folgende Ermächtigung erteilt:

„Die Kommission nimmt durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 121a und unter den in den Artikeln 121b und 121c genannten Bedingungen Maßnahmen zur Ergänzung des Artikels 54 Buchstabe o an, um nähere Bestimmungen für die Sicherheitsmerkmale nach Artikel 54 Buchstabe o festzulegen.“

21.      Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Delegierten Verordnung (EU) 2016/161 der Kommission vom 2. Oktober 2015 zur Ergänzung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates durch die Festlegung genauer Bestimmungen über die Sicherheitsmerkmale auf der Verpackung von Humanarzneimitteln(15) sieht vor:

„Es gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Individuelles Erkennungsmerkmal‘ bezeichnet das Sicherheitsmerkmal, das die Überprüfung der Echtheit und die Identifizierung einer Einzelpackung eines Arzneimittels ermöglicht;

b)      ‚Vorrichtung gegen Manipulation‘ bezeichnet das Sicherheitsmerkmal, anhand dessen überprüft werden kann, ob die Verpackung eines Arzneimittels manipuliert wurde;

…“

22.      Art. 5 Abs. 1 bis 3 dieser Delegierten Verordnung lautet:

„(1)      Die Hersteller kodieren das individuelle Erkennungsmerkmal in einem zweidimensionalen Barcode.

(2)      Bei dem Barcode handelt es sich um eine maschinenlesbare Datenmatrix, deren Fehlererkennung und ‑korrektur derjenigen von Datamatrix ECC200 gleichkommt oder über diese hinausgeht. …

(3)      Die Hersteller drucken den Barcode auf der Verpackung auf einer glatten, einheitlichen, gering reflektierenden Oberfläche auf.“

23.      Art. 10 der Delegierten Verordnung sieht vor:

„Bei der Überprüfung der Sicherheitsmerkmale überprüfen die Hersteller, Großhändler und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigten oder befugten Personen Folgendes:

a)      die Echtheit des individuellen Erkennungsmerkmals;

b)      die Unversehrtheit der Vorrichtung gegen Manipulation.“

24.      Art. 24 der Delegierten Verordnung bestimmt:

„Hat ein Großhändler Grund zur Annahme, dass die Verpackung des Arzneimittels manipuliert wurde, oder ergibt die Überprüfung der Sicherheitsmerkmale, dass das Arzneimittel nicht echt sein könnte, so gibt er das Produkt weder ab, noch führt er es aus. Er informiert unverzüglich die zuständigen Behörden.“

25.      Schließlich lautet Art. 30 der Delegierten Verordnung 2016/161:

„Haben zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder befugte Personen Grund zur Annahme, dass die Verpackung des Arzneimittels manipuliert wurde, oder ergibt die Überprüfung der Sicherheitsmerkmale, dass das Arzneimittel nicht echt sein könnte, so geben diese zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigten oder befugten Personen das Arzneimittel nicht an die Öffentlichkeit ab und informieren unverzüglich die zuständigen Behörden.“

 Sachverhalte, Verfahren und Vorlagefragen

 Rechtssache C147/20

26.      Die Novartis Pharma GmbH, eine Gesellschaft deutschen Rechts, ist in Deutschland Alleininhaberin der Rechte an den Wortmarken Novartis und Votrient, die sie für die Arzneimittel Votrient 400 mg Filmtabletten und Votrient 200 mg Filmtabletten (im Folgenden: streitige Arzneimittel) nutzt.

27.      Die Abacus Medicine A/S, eine Gesellschaft dänischen Rechts, vertreibt in Deutschland hauptsächlich parallelimportierte Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten.

28.      Abacus Medicine ist der Ansicht, dass sie, um den gesetzlichen Vorgaben zu genügen, verpflichtet sei, die äußere Originalverpackung der streitigen Arzneimittel zu öffnen und die auf dieser Verpackung angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation zu entfernen; sie teilte Novartis Pharma daher mit, dass sie diese Arzneimittel künftig nicht mehr in ihrer äußeren Originalverpackung liefern, sondern durch neue Verpackungen mit denselben Mengen ersetzen werde.

29.      Novartis Pharma beantragt vor dem vorlegenden Gericht im Kern, Abacus Medicine zu untersagen, die parallelimportierten umgepackten streitigen Arzneimittel in Deutschland in den Verkehr zu bringen oder dort zu bewerben.

30.      Novartis Pharma macht u. a. geltend, ihre Rechte aus den betreffenden Marken seien nicht im Sinne von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 erschöpft. Das Umpacken der streitigen Arzneimittel in eine neue äußere Umhüllung sei nicht notwendig, da die Vorgaben der Art. 47a und 54a der Richtlinie 2001/83 dadurch erfüllt werden könnten, dass zum einen der Barcode als individuelles Erkennungsmerkmal im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Delegierten Verordnung 2016/161 mit einem aufzuklebenden Etikett auf der Originalverpackung angebracht werde und zum anderen die Originalverpackung, nachdem darin eine Gebrauchsinformation in deutscher Sprache eingelegt worden sei, mit einer neuen Vorrichtung gegen Manipulation versehen werde, die die Spuren der vormaligen Öffnung überdecke. Um etwaige Zweifel an der Unversehrtheit der Arzneimittel auszuräumen, könne Abacus Medicine auch erkennen lassen, dass sie im Rahmen eines zulässigen Umpackens ein neues Siegel aufgebracht habe.

31.      Abacus Medicine trägt vor, dass die Öffnung des von Novartis Pharma angebrachten Siegeletiketts zu sichtbaren, irreversiblen Beschädigungen oder Veränderungen der Verpackung bzw. des Etiketts oder Klebebands führe und dass die Anbringung des individuellen Erkennungsmerkmals auf der Originalverpackung mit Hilfe eines aufzuklebenden Etiketts keine realistische Lösung sei, weil dieses Etikett wegen der Silikonbeschichtung der Verpackung der Arzneimittel leicht wieder beseitigt werden könne. Diese Beschichtung verhindere auch ein Aufdrucken des Barcodes gemäß Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161.

32.      Abacus Medicine meint deshalb, sie müsse die streitigen Arzneimittel, um sie in Deutschland in den Verkehr bringen zu können, in eine neue äußere Umhüllung umpacken, weshalb Novartis Pharma nicht berechtigt sei, sich diesem Umpacken zu widersetzen.

33.      Unter diesen Umständen hat das Landgericht Hamburg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann es zu einer künstlichen Abschottung der Märkte im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs führen, wenn die nach Art. 54 Buchst. o und Art. 47a der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Sicherheitsmerkmale einer originalen äußeren Umhüllung/Originalverpackung unter Beibehaltung dieser Originalverpackung durch den Parallelhändler unter Beachtung des Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 nur in der Weise ersetzt werden können, dass sichtbare Öffnungsspuren verbleiben, nachdem die ursprünglich vorhandenen Sicherheitsmerkmale teilweise oder vollständig entfernt und/oder überdeckt wurden?

2.      Ist es für die Beantwortung der ersten Frage bedeutsam, ob die Öffnungsspuren erst dann sichtbar werden, wenn das Arzneimittel von Großhändlern und/oder Personen, die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit zugelassen oder berechtigt sind, z. B. Apotheken, in Erfüllung ihrer Verpflichtung nach den Art. 10, 24 und 30 der Delegierten Verordnung 2016/161 gründlich überprüft wurde oder bei einer oberflächlichen Überprüfung übersehen werden können?

3.      Ist es für die Beantwortung der ersten Frage bedeutsam, ob die Öffnungsspuren erst sichtbar werden, wenn die Verpackung eines Arzneimittels z. B. durch den Patienten geöffnet wird?

4.      Ist Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161 dahin auszulegen, dass der Barcode, der das individuelle Erkennungsmerkmal im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung 2016/161 enthält, unmittelbar auf der Verpackung aufgedruckt sein muss, also ein Aufbringen des individuellen Erkennungsmerkmals mit einem zusätzlichen äußeren Aufkleber auf der äußeren Originalverpackung durch einen Parallelhändler nicht Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161 entspricht?

34.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 23. März 2020 beim Gerichtshof eingegangen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens sowie die polnische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden. Die Parteien haben die Fragen des Gerichtshofs schriftlich beantwortet.

 Rechtssache C204/20

35.      Die Bayer Intellectual Property GmbH, eine Gesellschaft deutschen Rechts (im Folgenden: Bayer), ist Inhaberin der deutschen Marke Androcur, die sie für Arzneimittel nutzt.

36.      Die kohlpharma GmbH, ebenfalls eine Gesellschaft deutschen Rechts, vertreibt in Deutschland parallelimportierte Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten.

37.      kohlpharma kündigte gegenüber Bayer an, dass sie das Arzneimittel Androcur 50 mg aus den Niederlanden in der Packungsgröße mit 50 Filmtabletten importieren werde, um es in Deutschland in den Packungsgrößen mit 50 und mit 100 Filmtabletten zu vertreiben. Später teilte kohlpharma Bayer mit, dass die auf der äußeren Verpackung des importierten Arzneimittels angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation für die Zwecke des Parallelimports aufgebrochen und diese Verpackung somit ersetzt werden müsse.

38.      Bayer widersetzte sich der geplanten Neuverpackung mit der Begründung, dass die Verwendung einer neuen Verpackung über das hinausgehe, was für das Inverkehrbringen der parallelimportierten Ware in Deutschland erforderlich sei.

39.      Nach der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 handle es sich bei der Neuetikettierung („relabelling“) und der Neuverpackung („reboxing“) um Alternativen, die der Parallelimporteur vernünftigerweise in Betracht ziehen könne und die gleichwertige sicherheitstechnische Garantien böten. Im vorliegenden Fall sei die Erforderlichkeit eines reboxing aber nicht erwiesen, da ein relabelling objektiv ausreichen würde, um den Marktzugang für die parallelimportierte Ware sicherzustellen.

40.      kohlpharma hält ein relabelling der Originalpackung wegen der Beschädigungsspuren, die durch die Entfernung der Vorrichtung gegen Manipulation verursacht würden und nach der Öffnung der neu etikettierten Originalpackung sichtbar blieben, für ungeeignet. Die Verwendung von Originalpackungen mit Beschädigungsspuren behindere erheblich die Möglichkeit eines Zugangs zum deutschen Apotheken- und Großhandelsmarkt.

41.      Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen relabelling und reboxing habe sich seit Inkrafttreten des aus der Richtlinie 2001/83 und der Delegierten Verordnung 2016/161 bestehenden neuen Rechtsrahmens für Arzneimittel umgekehrt.

42.      Unter diesen Umständen hat das Landgericht Hamburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 47a der Richtlinie 2001/83 so auszulegen, dass bei parallelimportierten Produkten von einer Gleichwertigkeit der Maßnahmen bei der Entfernung und Neuanbringung der Sicherheitsmerkmale nach Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 ausgegangen werden kann, die entweder im Wege eines relabelling (Verwendung von Klebeetiketten auf der Originalsekundärverpackung) oder im Wege eines reboxing (Herstellung einer neuen Arzneimittelsekundärverpackung) durch den Parallelimporteur erfolgt, wenn beide Maßnahmen im Übrigen allen Anforderungen der Richtlinie 2001/83 und der Delegierten Verordnung 2016/161 entsprechen und gleichermaßen geeignet sind, die Echtheit und die Identität von Arzneimitteln nachzuprüfen sowie den Nachweis der Manipulation von Arzneimitteln zu ermöglichen?

2.      Falls die erste Frage zu bejahen ist: Kann sich der Inhaber einer Marke dem Umpacken der Ware in eine neue äußere Verpackung (reboxing) durch einen Parallelimporteur unter Berücksichtigung der neuen Regelungen zum Fälschungsschutz widersetzen, wenn es dem Parallelimporteur ebenfalls möglich ist, eine im Einfuhrmitgliedstaat vertriebsfähige Packung zu schaffen, indem er lediglich neue Klebeetiketten auf der Originalsekundärverpackung (relabelling) anbringt?

3.      Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Ist es unschädlich, wenn im Falle des relabelling für den angesprochenen Verkehr ersichtlich ist, dass ein Sicherheitsmerkmal des Originalanbieters beschädigt wurde, solange sichergestellt ist, dass der Parallelimporteur hierfür verantwortlich ist und dieser auf der Originalsekundärverpackung ein neues Sicherheitsmerkmal angebracht hat? Macht es hierbei einen Unterschied, ob die Öffnungsspuren erst sichtbar werden, wenn die Arzneimittelsekundärverpackung geöffnet wird?

4.      Bei Bejahung von Frage 2 und/oder Frage 3: Ist die objektive Erforderlichkeit einer Umverpackung durch reboxing im Sinne der fünf Erschöpfungsvoraussetzungen für das Umpacken (vgl. Urteile vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a., C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282, Rn. 79(16), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 21(17)) gleichwohl zu bejahen, wenn die nationalen Behörden in ihren aktuellen Leitfäden zur Umsetzung der Vorgaben der Fälschungsschutzrichtlinie oder anderen entsprechenden behördlichen Verlautbarungen bekunden, dass im Normalfall ein Wiederversiegeln von geöffneten Verpackungen nicht oder zumindest nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen akzeptiert werde?

43.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 13. Mai 2020 beim Gerichtshof eingegangen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die dänische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden. Die Parteien haben die Fragen des Gerichtshofs schriftlich beantwortet.

 Rechtssache C224/20

44.      Die Merck Sharp & Dohme BV, die Merck Sharp & Dohme Corp., die MSD DANMARK ApS, die MSD Sharp & Dohme GmbH, die Novartis AG, die FERRING LÆGEMIDLER A/S und die H. Lundbeck A/S (im Folgenden zusammen: Klägerinnen des Ausgangsverfahrens) sind Hersteller von Arzneimitteln und Inhaber der Marken, unter denen die von ihnen hergestellten Arzneimittel vertrieben werden.

45.      Die Abacus Medicine A/S, die Paranova Danmark A/S und die 2Care4 ApS (im Folgenden zusammen: Beklagte des Ausgangsverfahrens) importieren Arzneimittel nach Dänemark, die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden.

46.      Vor dem Inverkehrbringen in Dänemark werden die parallelimportierten Arzneimittel in neue äußere Verpackungen umgepackt, und zwar in einigen Fällen mit Wiederanbringung der Marken (Warenbezeichnungen) der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, in anderen Fällen ohne Wiederanbringung dieser Marken, die dann durch neue Warenbezeichnungen ersetzt werden, wobei im Beipack- oder Informationszettel aber angegeben wird, dass die betreffenden Arzneimittel den Arzneimitteln entsprechen, die die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens unter ihren jeweiligen Marken vertreiben.

47.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, unter Umständen wie denjenigen der Ausgangsrechtsstreitigkeiten seien sie nach dem Markenrecht befugt, sich dem Umpacken der Arzneimittel in neue äußere Verpackungen zu widersetzen.

48.      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind dagegen der Ansicht, das Umpacken in neue äußere Verpackungen sei erforderlich und damit rechtmäßig.

49.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Lægemiddelstyrelse (dänische Arzneimittelbehörde) am 18. Dezember 2018 ein Dokument mit Fragen und Antworten zu Sicherheitsmerkmalen auf Arzneimittelverpackungen veröffentlicht hat, in dessen am 20. Januar 2020 aktualisierter Fassung es u. a. heißt:

„[D]ie [dänische Arzneimittelbehörde] ist der Auffassung, dass die allgemeine Hauptregel besteht, dass Parallelimporteure gemäß den neuen Verordnungsbestimmungen ein Umpacken in neue Verpackungen vornehmen müssen. Dies folgt auch aus der Zielsetzung der neuen Verordnungsbestimmungen, hierunter dem Erfordernis, dass ein Manipulationsschutz so ausgestaltet sein muss, dass jede Öffnung oder Manipulation dieser Vorrichtung festzustellen sein muss. Parallelimporteure, die eine Arzneimittelverpackung öffnen und den Manipulationsschutz beschädigen, um eine dänische Packungsbeilage oder Ähnliches in die Verpackung zu legen, haben somit gemäß der Hauptregel der neuen Verordnungsbestimmungen ein Umpacken in neue Verpackungen vorzunehmen, ein individuelles Erkennungsmerkmal und eine manipulationssichere Versiegelung auf der Verpackung anzubringen sowie Informationen u. a. hochzuladen.

Die Kommission hat in [ihrem Dokument mit der Bezeichnung ‚Safety features for medicinal products for human use – Questions and answers – version 18‘ (‚Sicherheitsmerkmale für Humanarzneimittel – Fragen und Antworten – Version 18‘) (im Folgenden: Q&A-Papier der Kommission)] erklärt, dass es dem Parallelimporteur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, eine Arzneimittelverpackung ‚legal‘ zu öffnen, u. a. im Hinblick darauf, eine neue Packungsbeilage in die Verpackung zu legen und die originale manipulationssichere Versiegelung durch eine neue Manipulationsschutzvorrichtung zu ersetzen, soweit dies unter Aufsicht der zuständigen Behörden erfolgt und der neue Manipulationsschutz die Verpackung vollständig versiegelt und alle sichtbaren Zeichen der legalen Öffnung überdeckt. Außerdem hat der Austausch der manipulationssicheren Versiegelung unter Beachtung der für Arzneimittel geltenden GMP (Good Manufacturing Practice) zu erfolgen, und der Parallelimporteur, der eine Arzneimittelverpackung legal öffnet und einen neuen Manipulationsschutz anbringt, muss vorher gemäß Art. 47a Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie [2001/83] die Echtheit des individuellen Erkennungsmerkmals und die Unversehrtheit der Schutzvorrichtung auf der Originalverpackung überprüft haben.

Da die allgemeine Hauptregel, wie vorstehend angeführt, darin besteht, dass der Parallelimporteur nach den neuen Verordnungsbestimmungen zu einem Umpacken in neue Verpackungen verpflichtet ist, ist die [dänische Arzneimittelbehörde] der Auffassung, dass die von der Kommission beschriebene Ausnahme ausschließlich in außergewöhnlichen Situationen, z. B. bei Gefährdung der Versorgung mit Arzneimitteln, zur Anwendung kommen kann.

Von der Ausnahme wird in Dänemark grundsätzlich nicht im Zusammenhang mit einem neuen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Parallelimporten Gebrauch gemacht werden können. Diese werden die allgemeinen Erfordernisse, wie die Hauptregel, in neue Verpackungen umpacken zu müssen, einzuhalten haben.

Die von der Kommission beschriebene Ausnahme wird bedeuten, dass ein Parallelimporteur in dem Fall, dass eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden parallelimportierten Arzneimittels bereits erteilt und dieses in den Verkehr gebracht wurde und dass er in einer spezifischen und begrenzten Situation von der Befreiung von der Hauptregel des Umpackens Gebrauch machen möchte, eine Befreiung beantragen kann, indem er einen Antrag auf Befreiung von der Kennzeichnungsbekanntmachung (Mærkningsbekendtgørelse) stellt. … Neben der Befolgung dieser Anleitung müssen Parallelimporteure zudem genau und vollständig beschreiben, auf welche Weise sie beabsichtigen, den Austausch der Manipulationsschutzvorrichtung vorzunehmen, und hierbei auch Abbildungen sowohl von dem originalen Manipulationsschutz als auch von der neuen manipulationssicheren Vorrichtung vorlegen. Es ist auch nachzuweisen, dass der Austausch der Manipulationsschutzvorrichtung unter Einhaltung der GMP-Vorschriften und derart erfolgen wird, dass die neue Vorrichtung die Verpackung vollständig versiegelt und alle sichtbaren Zeichen der legalen Öffnung überdeckt. Eine Ausnahmeregelung sollte zudem alle betroffenen Erzeugnisse umfassen, auch in Bezug auf Form und Stärke sowie die entsprechenden Ausfuhrstaaten.“

50.      Unter diesen Umständen hat das Sø- og Handelsret (See- und Handelsgericht, Dänemark) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass ein Markeninhaber sich dem weiteren Vertrieb eines Arzneimittels, das ein Parallelimporteur in eine neue äußere Verpackung umgepackt hat, auf der die Marke wieder angebracht worden ist, widersetzen kann, wenn

i)      der Importeur in der Lage ist, eine Verpackung zu schaffen, die sich für den Vertrieb eignet und mit der ein tatsächlicher Marktzugang im Einfuhrmitgliedstaat erlangt werden kann, indem die äußere Originalumhüllung geöffnet wird, um neue Etiketten auf der inneren Verpackung anzubringen und/oder die Packungsbeilage auszutauschen und danach die äußere Originalumhüllung erneut mit einer Vorrichtung zur Kontrolle etwaiger Manipulationen der Verpackung gemäß Art. 47a der Richtlinie 2001/83 und gemäß Art. 16 der Delegierten Verordnung 2016/161 zu versiegeln?

ii)      der Importeur nicht in der Lage ist, eine Verpackung zu schaffen, die sich für den Vertrieb eignet und mit der ein tatsächlicher Marktzugang im Einfuhrmitgliedstaat erlangt werden kann, indem die äußere Originalumhüllung geöffnet wird, um neue Etiketten auf der inneren Verpackung anzubringen und/oder die Packungsbeilage auszutauschen und danach die äußere Originalumhüllung erneut mit einer Vorrichtung zur Kontrolle etwaiger Manipulationen der Verpackung gemäß Art. 47a der Richtlinie 2001/83 und Art. 16 der Delegierten Verordnung 2016/161 zu versiegeln?

2.      Sind die Richtlinie 2001/83 und hierbei insbesondere Art. 47a und Art. 54 Buchst. o dahin auszulegen, dass eine neue Vorrichtung zur Kontrolle, ob die Verpackung geöffnet wurde (Manipulationsschutz), die auf der Originalumhüllung nach dem vollständigen oder teilweisen Überdecken und/oder Entfernen des originalen Manipulationsschutzes zusammen mit einer Zusatzetikettierung angebracht wurde, im Sinne des Art. 47a Abs. 1 Buchst. b „im Hinblick auf die Möglichkeit, die Echtheit und die Identität des Arzneimittels nachzuprüfen und im Hinblick auf die Möglichkeit des Nachweises der Manipulation des Arzneimittels gleichwertig“ und im Sinne des Art. 47a Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii „gleichermaßen geeignet [ist], die Echtheit und die Identität von Arzneimitteln nachzuprüfen sowie den Nachweis der Manipulation von Arzneimitteln zu ermöglichen“, wenn die Arzneimittelverpackung sichtbare Zeichen der Manipulation des originalen Manipulationsschutzes aufweist oder dies durch Berührung des Erzeugnisses ertastet werden kann, hierunter

i)      durch die von Herstellern, Großhändlern, Apothekern und Personen mit der Befugnis zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit vorgenommene, gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung der Unversehrtheit des Manipulationsschutzes (vgl. Art. 54a Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2001/83 und Art. 10 Buchst. b, Art. 25 und Art. 30 der Delegierten Verordnung 2016/161), oder

ii)      nachdem die Arzneimittelverpackung, z. B. von einem Patienten, geöffnet wurde?

3.      Falls Frage 2 verneint wird:

Sind Art. 15 der Richtlinie 2015/2436, Art. 15 der Verordnung 2017/1001 sowie die Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen, dass das Umpacken in eine neue äußere Verpackung objektiv erforderlich ist, um einen tatsächlichen Marktzugang im Einfuhrstaat zu erhalten, wenn es dem Parallelimporteur nicht möglich ist, die Originalverpackung gemäß Art. 47a der Richtlinie 2001/83 mit Zusatzetiketten zu versehen und neu zu versiegeln, d. h. ohne dass die Arzneimittelverpackung sichtbare Zeichen der Manipulation des originalen Manipulationsschutzes aufweist oder dies durch Berührung ertastet werden kann, wie in Frage 2 beschrieben, in einer Weise, die nicht in Einklang mit Art. 47a steht?

4.      Sind die Richtlinie 2001/83 und die Delegierte Verordnung 2016/161 in Verbindung mit den Art. 34 und 36 AEUV, mit Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 sowie mit Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat (in Dänemark: die dänische Arzneimittelbehörde) das Recht hat, Leitlinien zu erlassen, nach deren allgemeiner Hauptregel ein Umpacken in eine neue äußere Verpackung zu erfolgen hat und es nur nach Antragstellung in außergewöhnlichen Fällen, wie z. B. der Gefährdung der Arzneimittelversorgung, erlaubt werden kann, dass eine zusätzliche Etikettierung und eine erneute Versiegelung durch das Anbringen neuer Sicherungsvorrichtungen auf der äußeren Originalverpackung vorgenommen werden, oder ist der Umstand, dass ein Mitgliedstaat solche Leitlinien erlässt und anwendet, unvereinbar mit den Art. 34 und 36 AEUV und/oder Art. 47a der Richtlinie 2001/83 sowie mit Art. 16 der Delegierten Verordnung 2016/161?

5.      Sind Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit den Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen, dass das von einem Parallelimporteur gemäß der von einem Mitgliedstaat festgelegten Leitlinien vorgenommene Umpacken in eine neue äußere Verpackung, wie in Frage 4 beschrieben, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs als erforderlich anzusehen ist,

i)      wenn solche Leitlinien mit den Art. 34 und 36 AEUV sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Parallelimport von Arzneimitteln vereinbar sind oder

ii)      wenn solche Leitlinien mit den Art. 34 und 36 AEUV sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Parallelimport von Arzneimitteln nicht vereinbar sind?

6.      Sind die Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen, dass das Umpacken eines Arzneimittels in neue äußere Verpackungen objektiv erforderlich sein muss, um einen tatsächlichen Marktzugang im Einfuhrstaat zu erhalten, selbst wenn der Parallelimporteur die Originalmarke (Warenbezeichnung) nicht wieder angebracht hat, sondern die neuen Außenverpackungen stattdessen mit einer Warenbezeichnung versehen hat, die nicht die Produktmarke des Markeninhabers enthält („de-branding“)?

7.      Sind Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass sich ein Markeninhaber dem fortgesetzten Vertrieb eines Arzneimittels, das der Parallelimporteur in neue Außenverpackungen umgepackt hat, widersetzen kann, soweit der Parallelimporteur lediglich die produktspezifische Marke des Markeninhabers wieder angebracht hat, aber nicht die übrigen Marken und/oder Unternehmenskennzeichen, die der Markeninhaber auf der äußeren Originalverpackung angebracht hatte?

51.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 29. Mai 2020 beim Gerichtshof eingegangen. Die Klägerinnen und die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die dänische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden. Die Parteien haben die Fragen des Gerichtshofs schriftlich beantwortet.

 Rechtliche Würdigung

52.      Die Vorlagefragen in diesen Rechtssachen werfen eine ganze Reihe rechtlicher Probleme auf:

–        erstens die Frage, ob Parallelhändler nach den mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Fälschungsschutz der Arzneimittel de facto oder de jure verpflichtet sind, parallelimportierte Arzneimittel vorzugsweise in neue Verpackungen umzupacken, anstatt die neu etikettierten Originalverpackungen zu verwenden (erste Frage in der Rechtssache C‑204/20 und zweite Frage in der Rechtssache C‑224/20);

–        zweitens die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit diese neuen Regelungen den Umfang des Rechts der Inhaber von Marken für Arzneimittel, sich dem Umpacken parallelimportierter Arzneimittel in neue Verpackungen zu widersetzen, im Vergleich zur Rechtslage nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ändern (erste bis dritte Frage in der Rechtssache C‑147/20, zweite und dritte Frage in der Rechtssache C‑204/20 sowie erste und dritte Frage in der Rechtssache C‑224/20);

–        drittens die Frage, ob die Behörden der Mitgliedstaaten befugt sind, strengere Vorschriften zur Art und Weise des Umpackens parallelimportierter Arzneimittel zu erlassen, und wenn ja, wie sich dies markenrechtlich auf das Recht der Hersteller dieser Arzneimittel auswirkt (vierte Frage in der Rechtssache C‑204/20 sowie vierte und fünfte Frage in der Rechtssache C‑224/20);

–        viertens das technische Problem der Anbringung des neuen individuellen Erkennungsmerkmals auf der Originalverpackung eines parallelimportierten Arzneimittels (vierte Frage in der Rechtssache C‑147/20) und schließlich

–        fünftens die Frage nach dem Umfang des Rechts des Inhabers der Marke für ein parallelimportiertes Arzneimittel, sich dessen Umpacken zu widersetzen, wenn der Parallelimporteur die vom Inhaber für dieses Arzneimittel verwendeten Marken nicht oder nur teilweise wieder anbringt (sechste und siebte Frage in der Rechtssache C‑224/20)(18).

53.      Ich werde diese Probleme in den vorliegenden Schlussanträgen in der vorstehend angegebenen Reihenfolge behandeln und daraus dann die Antworten auf die verschiedenen Vorlagefragen herleiten.

 Auslegung von Art. 47a der Richtlinie 2001/83 in Verbindung mit der Delegierten Verordnung 2016/161

 Streitgegenstand der Ausgangsverfahren

54.      In den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen streiten die Inhaber von Arzneimittelmarken mit den Parallelimporteuren der betreffenden Arzneimittel darüber, welche Methoden beim Umpacken dieser Arzneimittel im Rahmen des Parallelvertriebs zulässig sind.

55.      Da bei Arzneimitteln nach den einschlägigen Rechtsvorschriften nämlich sowohl auf der Verpackung als auch in einer üblicherweise darin enthaltenen Packungsbeilage bestimmte Informationen anzugeben sind, die in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abgefasst sein müssen, in dem die Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden(19), sind die Parallelhändler in der Regel verpflichtet, die Originalverpackung zu öffnen, um die Packungsbeilage durch eine solche in der Sprache des Mitgliedstaats, in dem das Arzneimittel vertrieben wird, zu ersetzen. Damit stellt sich die Frage, ob die Parallelhändler angesichts der neuen, durch die Richtlinie 2011/62 und die Delegierte Verordnung 2016/161 eingeführten Regelungen zum Fälschungsschutz der Arzneimittel die Originalverpackung unter Anbringung der erforderlichen Elemente, insbesondere einer neuen Vorrichtung gegen Manipulation, wieder verschließen dürfen oder ob sie de jure oder de facto zur Herstellung einer neuen Verpackung verpflichtet sind.

56.      Die Diskussion zu diesem Thema scheint insbesondere durch das Q&A-Papier der Kommission und durch die Leitlinien der Arzneimittelbehörden einiger Mitgliedstaaten, insbesondere der dänischen Behörde, angeregt zu werden. Diesen Dokumenten zufolge verpflichten die neuen Sicherheitsvorschriften für Arzneimittel die Parallelhändler grundsätzlich, Arzneimittel nach dem Öffnen der Originalpackung in neue Verpackungen umzupacken.

57.      Die in den Ausgangsverfahren beklagten Parallelhändler und die dänische Regierung machen daher geltend, das Umpacken in neue Verpackungen sei nunmehr die Regel und das Wiederverschließen der Originalverpackung nur ausnahmsweise zulässig. Die in den Ausgangsverfahren klägerischen Inhaber der Arzneimittelmarken und die polnische Regierung sowie – trotz des Inhalts ihres Q&A-Papiers – die Kommission sind dagegen im Wesentlichen der Ansicht, die neuen Regelungen über die Arzneimittelsicherheit hätten die bestehenden Regelungen nicht grundlegend geändert, so dass grundsätzlich sowohl die Wiederverwendung der Originalverpackung als auch das Umpacken in eine neue Verpackung möglich seien, ohne dass das Arzneimittelrecht die eine oder die andere Methode irgendwie priorisiere(20).

58.      Um diese Streitfrage zu klären, bedarf es einer Analyse des Art. 47a der Richtlinie 2001/83 und der Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2016/161.

59.      Zur Erinnerung: Nach Art. 47a der Richtlinie 2001/83 dürfen die in deren Art. 54 Buchst. o genannten Sicherheitsmerkmale, nämlich das individuelle Erkennungsmerkmal und die Vorrichtung gegen Manipulation(21), von einem Inhaber der Herstellungserlaubnis(22) nur unter bestimmten Bedingungen entfernt oder überdeckt werden, um insbesondere die Sicherheitsmerkmale unter der Kontrolle der zuständigen Behörde durch gleichwertige Sicherheitsmerkmale zu ersetzen.

60.      Darüber hinaus sind Großhändler und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigte oder berechtigte Personen nach den Art. 24 und 30 der Delegierten Verordnung 2016/161 verpflichtet, das Arzneimittel nicht abzugeben und unverzüglich die zuständigen Behörden zu informieren, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass die Verpackung des Arzneimittels manipuliert wurde, oder wenn die Überprüfung von dessen Sicherheitsmerkmalen ergibt, dass es nicht echt sein könnte.

 Vorbringen der Parteien

61.      Unter Berufung auf diese Bestimmungen machen die Parallelhändler und die dänische Regierung im Wesentlichen geltend, es sei für die Parallelhändler in der Praxis äußerst schwierig, nach dem Öffnen der Verpackung eine Vorrichtung gegen Manipulation so zu ersetzen, dass die Kriterien der Kontrolle erfüllt seien, die die Großhändler und die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugten Personen durchzuführen hätten(23). Es sei vor allem praktisch unmöglich, diese Vorrichtung zu ersetzen, ohne Spuren von der Öffnung der Originalvorrichtung zurückzulassen. Derartige Spuren begründeten aber den Verdacht einer Manipulation und somit für die Großhändler und die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugten Personen die Pflicht, das Arzneimittel aus der Lieferkette zu nehmen und die Behörden zu alarmieren.

62.      Daher müssten die Parallelhändler wegen der neuen Sicherheitsmerkmale der Arzneimittel Letztere in neue Umhüllungen umpacken, anstatt die Originalverpackungen zu verwenden und lediglich das Sicherheitsmerkmal zu ersetzen. Denn nur die auf einer neuen Verpackung angebrachte unversehrte Vorrichtung gegen Manipulation genüge den regulatorischen Anforderungen und vermittle den verschiedenen Akteuren in der Lieferkette insoweit Vertrauen, als sie sich von der Identität und Echtheit der parallelimportierten Arzneimittel überzeugen könnten. Dagegen seien die Verwendung der Originalverpackung und der Ersatz der Vorrichtung gegen Manipulation auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken. Auf diesen Erwägungen beruhten auch die Leitlinien der dänischen Arzneimittelbehörde.

63.      Diese Auffassung wird weder von den Inhabern der Arzneimittelmarken noch von der polnischen Regierung und der Kommission geteilt.

64.      Diese Parteien tragen im Wesentlichen vor, nach den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 wie auch der Delegierten Verordnung 2016/161 werde weder das erneute Verpacken parallelimportierter Arzneimittel in die Originalverpackungen unter Ersetzung der Vorrichtung gegen Manipulation ausgeschlossen noch das Umpacken in neue Verpackungen bevorzugt.

65.      Das ergebe sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen, die ausdrücklich beide Methoden erwähnten, ohne die eine oder die andere zu bevorzugen. Die Markeninhaber weisen außerdem darauf hin, dass der Zweck der Vorrichtung gegen Manipulation nicht darin bestehe, ein Öffnen der Verpackung zu verhindern, sondern nur darin, den Nachweis für eine Manipulation, d. h. ein unrechtmäßiges Öffnen, zu erbringen. Da sich die Parallelhändler vor dem Öffnen der Verpackung von der Unversehrtheit der Vorrichtung gegen Manipulation überzeugen müssten, diene die zum Verschließen der Verpackung von ihnen später angebrachte Vorrichtung aber nur als Nachweis dafür, dass die Packung bei der Lieferung des Arzneimittels vom Parallelhändler zum Endverbraucher (einem Patienten oder einer Einrichtung des Gesundheitswesens) nicht geöffnet worden sei. Etwaige Spuren, die darauf hindeuteten, dass die Originalvorrichtung gegen Manipulation geöffnet worden sei, erweckten somit bei den Akteuren der Lieferkette keinen Verdacht, wenn sie sich vergewissern könnten, dass die Öffnung auf einen Parallelhändler zurückzuführen und ordnungsgemäß erfolgt sei.

66.      Die neuen Vorschriften zur Bekämpfung gefälschter Arzneimittel ließen die Möglichkeit der Parallelhändler, für das Umpacken von Arzneimitteln die Originalverpackungen zu verwenden, unberührt.

 Meine Überlegungen

67.      Ich bin mit den Inhabern der Arzneimittelmarken, der polnischen Regierung und der Kommission grundsätzlich der Ansicht, dass die einschlägigen Bestimmungen prinzipiell weder die eine oder andere Art des Umpackens ausschließen noch insoweit eine Präferenz erkennen lassen.

68.      Der in Art. 47a der Richtlinie 2001/83 verwendete Ausdruck „Ersetzung der Sicherheitsmerkmale“ bedeutet insbesondere nicht, dass eine neue Verpackung notwendig wäre. Wenn das Arzneimittel in eine neue Verpackung umgepackt wird, ist diese Verpackung vielmehr gemäß Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie mit Sicherheitsmerkmalen zu versehen. In der Tat muss ein Parallelhändler, der Arzneimittel umpackt, nicht ohne Grund über eine Herstellungserlaubnis verfügen. Ich bezweifle deshalb, dass beim Umpacken in eine neue Verpackung von einer „Ersetzung“ der Sicherheitsmerkmale im Sinne von Art. 47a Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gesprochen werden kann. Eine Ersetzung findet nur in Bezug auf die Originalverpackung statt.

69.      Im Übrigen legt der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/62 nahe, dass es dem Inhaber einer Herstellungserlaubnis, wie etwa einem Parallelhändler, nach Ansicht des Unionsgesetzgebers gestattet sein sollte, u. a. die Sicherheitsmerkmale „auszutauschen“, d. h. sie folgerichtig auf der Originalverpackung zu ersetzen.

70.      Es ist daher meines Erachtens anzunehmen, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er die Inhaber der Herstellungserlaubnis, die wie z. B. Parallelhändler Arzneimittel umpacken, zur Verwendung neuer Verpackungen hätte verpflichten wollen, dies ausdrücklich vorgesehen hätte, indem er Verpackungen, die geöffnet wurden, aus der Lieferkette ausgeschlossen hätte.

71.      Andererseits scheinen mir sowohl die Markeninhaber als auch die Kommission die von der polnischen Regierung zu Recht aufgeworfene Frage der Gleichwertigkeit der die originalen Sicherheitsmerkmale ersetzenden neuen Sicherheitsmerkmale zu unterschätzen.

72.      Nach Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 müssen nämlich die Inhaber der Herstellungserlaubnis, die Arzneimittel umpacken, die gegebenenfalls entfernten Sicherheitsmerkmale durch solche ersetzen, die „im Hinblick auf die Möglichkeit, die Echtheit und die Identität des Arzneimittels nachzuprüfen und im Hinblick auf die Möglichkeit des Nachweises der Manipulation gleichwertig sind“.

73.      Die Möglichkeit für Parallelhändler, die Originalverpackung für das Wiederverpacken von Arzneimitteln zu verwenden, hängt somit davon ab, dass die originalen Sicherheitsmerkmale durch gleichwertige Sicherheitsmerkmale im Sinne dieser Vorschrift ersetzt werden können. Es ist daher festzustellen, unter welchen Bedingungen Sicherheitsmerkmale als den originalen Sicherheitsmerkmalen gleichwertig anzusehen sind.

74.      In diesem Zusammenhang bringt der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/62 die Überzeugung des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, dass „die Bedeutung des Begriffs ‚gleichwertig‘ eindeutig festgelegt werden [sollte]“. Für das individuelle Erkennungsmerkmal sind in der Delegierten Verordnung 2016/161 im Einzelnen die Kriterien aufgeführt, die ein neues individuelles Erkennungsmerkmal erfüllen muss, um als gleichwertig zu gelten. In Bezug auf die Vorrichtung gegen Manipulation scheinen mir die einschlägigen Bestimmungen diesem Anspruch hingegen nicht gerecht zu werden.

75.      Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 enthält lediglich eine eher tautologische Definition, wonach Sicherheitsmerkmale – außer dass sie den Anforderungen der gemäß Art. 54a Abs. 2 dieser Richtlinie erlassenen delegierten Rechtsakte entsprechen müssen, wobei es solche Anforderungen in Bezug auf die Vorrichtung gegen Manipulation mangels einer entsprechenden Delegation an die Kommission aufgrund dieser Bestimmung praktisch nicht gibt –, die „im Hinblick auf die Möglichkeit, die Echtheit und die Identität des Arzneimittels nachzuprüfen und im Hinblick auf die Möglichkeit des Nachweises der Manipulation des Arzneimittels gleichwertig sind[,] … geeignet sind, die Echtheit und die Identität von Arzneimitteln nachzuprüfen sowie den Nachweis der Manipulation von Arzneimitteln zu ermöglichen“. Dem lässt sich nur entnehmen, dass Sicherheitsmerkmale dann gleichwertig sind, wenn sie ebenso wirksam sind wie die originalen Sicherheitsmerkmale. Wir bleiben im Bereich des Abstrakten. Daher bedarf es einer Auslegung, mit der die Ziele der vorgenannten Bestimmung in der Praxis erreicht werden können.

76.      Es gibt eine begrenzte Anzahl von Vorrichtungen, die für die äußere Verpackung von Arzneimitteln verwendet werden können. Die ISO-Norm 21976:2018 „Packaging – Tamper verification features for medicinal product packaging“ („Verpackung – Merkmale zur Überprüfung von Manipulationen an Arzneimittelverpackungen“)(24), die in dem von der Kommission erstellten Q&A-Papier(25) als Mittel zur Erfüllung der Vorgaben des Art. 47a und des Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 erwähnt wird, listet mehrere Kategorien von „Manipulationssicherungen“ auf, die für Arzneimittelverpackungen verwendet werden können. Zu diesen Kategorien gehören u. a. mit Klebstoff verschlossene Faltschachteln, Klebesiegel in Form von Klebeetiketten und Klebebändern, Manschetten oder auch zerbrechliche oder einreißbare Verschlüsse. Im Übrigen lassen sich mehrere Manipulationssicherungen unterschiedlicher Art in ein und derselben Verpackung verwenden, z. B. ein Klebeverschluss auf einer Seite der Schachtel und ein zerbrechlicher Verschluss auf der anderen.

77.      Ohne mich zu weit in den Bereich der Tatsachenwürdigungen begeben zu wollen, halte ich es für offensichtlich, dass diese verschiedenen Kategorien von Manipulationssicherungen für die Feststellung, ob eine Verpackung geöffnet wurde, von unterschiedlicher Wirksamkeit sind, d. h., dass es leichter oder schwerer sein kann, eine Verpackung, nachdem sie geöffnet wurde, mit einer Vorrichtung gegen Manipulation wieder zu verschließen, die genauso wirksam ist wie die Originalvorrichtung.

78.      Man kann sich z. B. leicht vorstellen, dass es einfacher ist, ein Klebeband zu entfernen und zu ersetzen, als eine Schachtel wieder zusammenzukleben, geschweige denn einen einreißbaren Verschluss zu reparieren.

79.      Um gleichwertig im Sinne von Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 zu sein, muss die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation meines Erachtens die gleichen technischen Eigenschaften aufweisen wie die Originalvorrichtung. Ich bin daher mit der Kommission der Ansicht, dass die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation die gleiche Festigkeit, Zuverlässigkeit und Qualität aufweisen muss wie die Originalvorrichtung. Die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation wird in der Praxis – ohne dass dies aber zu einer absoluten Regel gemacht werden könnte, da die Rechtsvorschriften eine solche Regel nicht hergeben – meistens von der gleichen Art sein müssen wie die Originalvorrichtung. Nach meinem Dafürhalten reicht es deshalb nicht aus, z. B. eine Schachtel, deren Klebeverschluss zerstört oder die aufgerissen wurde, mit Klebeband abzudecken, auch wenn Klebesiegel in Form von Klebeetiketten und Klebebändern zu den Kategorien von Manipulationssicherungen im Sinne der ISO-Norm 21976:2018 zählen.

80.      So genügt ein Parallelhändler, der Arzneimittel umpackt, den Anforderungen des Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 durch Verwendung der Originalverpackung, wenn er nach deren Öffnen in der Lage ist, die Originalvorrichtung gegen Manipulation durch eine solche zu ersetzen, die den oben beschriebenen Kriterien entspricht. Erweist sich dies hingegen als unmöglich, insbesondere, weil die Vorrichtung gegen Manipulation so konzipiert ist, dass das Öffnen der Verpackung zu ihrer Zerstörung führt, wird der Parallelhändler objektiv auf eine neue Verpackung zurückgreifen müssen.

81.      Die Kommission argumentiert sowohl in ihrem Q&A-Papier als auch – etwas differenzierter – in ihren Erklärungen in den vorliegenden Rechtssachen, die Parallelhändler seien verpflichtet, alle sichtbaren Spuren des Öffnens der Verpackung, einschließlich der Spuren der Originalvorrichtung gegen Manipulation, mit der Ersatzvorrichtung abzudecken. Meines Erachtens ergibt sich eine solche Verpflichtung jedoch weder aus Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 noch aus den Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2016/161.

82.      Was zum einen Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 betrifft, so ist eine solche Verpflichtung keine Bedingung dafür, dass mit der Ersatzvorrichtung gegen Manipulation, wie diese Bestimmung es verlangt, der Nachweis einer Manipulation des Arzneimittels erbracht werden kann. Wie die Markeninhaber in ihren Erklärungen zutreffend ausführen, soll mit der Ersatzvorrichtung gegen Manipulation sichergestellt werden, dass die Verpackung zwischen dem Betrieb des Umpackers und dem Verkauf an den Endverbraucher nicht geöffnet wurde. Dass Spuren einer zulässigen Öffnung zum Zweck des Umpackens zurückbleiben, beeinträchtigt nicht den mit der Vorrichtung gegen Manipulation verfolgten Zweck, sofern klar ist, dass es sich um einen solchen zulässigen Vorgang handelte. Das räumt übrigens auch die Kommission in ihren Erklärungen ein. So gesehen, halte ich es für wirksamer, eine Ersatzvorrichtung zu verwenden, die den oben in Nr. 79 genannten Anforderungen entspricht, als die Öffnungsspuren irgendwie zu überdecken.

83.      Zum anderen verlangen nach meiner Meinung auch die Art. 24 und 30 der Delegierten Verordnung 2016/161 nicht, dass die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation alle Spuren einer Öffnung der Verpackung während des Umpackens vollständig überdeckt. Nach diesen Bestimmungen sind Großhändler und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugte Personen verpflichtet, die betreffenden Arzneimittel nicht abzugeben, wenn sie „Grund zur Annahme [haben], dass die Verpackung des Arzneimittels manipuliert wurde“. Das zulässige Öffnen der Verpackung beim Umpacken ist aber keine Manipulation, da eine solche ein unzulässiger Vorgang im Sinne von Art. 47a der Richtlinie 2001/83 ist. Wenn also die Originalvorrichtung gegen Manipulation durch eine Vorrichtung ersetzt wurde, die den in Nr. 79 dieser Schlussanträge genannten Anforderungen entspricht, dürften die in den Art. 24 und 30 der Delegierten Verordnung 2016/161 erwähnten Personen keinen Grund zu der Annahme haben, dass die Verpackung manipuliert wurde.

84.      Ich bin daher der Ansicht, dass Parallelhändler, die Arzneimittel umpacken, zu diesem Zweck deren Originalverpackungen verwenden dürfen, sofern sie in der Lage sind, die Vorrichtung gegen Manipulation durch eine Vorrichtung zu ersetzen, die dieselben technischen Eigenschaften wie die Originalvorrichtung aufweist und mit deren Hilfe man sich davon überzeugen kann, dass die Verpackung geöffnet wurde, weil die betreffenden Arzneimittel zulässigerweise umgepackt wurden.

 Schlussbemerkungen

85.      Abgesehen von der eigentlichen Auslegung der geltenden Vorschriften bringen die verschiedenen Parteien, insbesondere die Markeninhaber und die Parallelhändler, einander entgegengesetzte Argumente vor, die sie darauf stützen, inwieweit die verschiedenen Methoden des Umpackens von Arzneimitteln mehr oder weniger geeignet seien, deren Sicherheit zu gewährleisten. So ist nach Ansicht der Markeninhaber die Erhaltung der Originalverpackung mit Anbringung einer neuen Vorrichtung gegen Manipulation, aus der eindeutig hervorgeht, dass das Öffnen der Verpackung rechtmäßig durch einen befugten Akteur erfolgt ist, eine Garantie dafür, dass es sich bei dem in dieser Verpackung enthaltenen Arzneimittel um ein Originalprodukt handelt. Nach Auffassung der Parallelhändler bietet dagegen nur eine neue Verpackung mit einer unversehrten Vorrichtung gegen Manipulation die Gewähr, dass das Arzneimittel nicht manipuliert und möglicherweise gefälscht wurde.

86.      Diese Argumente beeinflussen nach Ansicht dieser Parteien die Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften.

87.      Ich glaube nicht, dass sich daraus solche Schlüsse in die eine oder andere Richtung ziehen lassen.

88.      Es liegt auf der Hand, dass die beste Garantie für die Echtheit eines Arzneimittels darin besteht, dass dieses zum Endverbraucher in einer unversehrten Verpackung gelangt. Muss aber die Verpackung auf einer bestimmten Stufe der Lieferkette geöffnet werden, um etwa die originale Packungsbeilage durch eine solche in einer anderen Sprache zu ersetzen, ist die Garantie für die Echtheit des Arzneimittels zwangsläufig gemindert. Es kommt daher entscheidend darauf an, dass die vom Parallelhändler oder seinen Subunternehmern festgelegten Verfahren zuverlässig und einwandfrei funktionieren, damit sichergestellt ist, dass das umgepackte und dann in der Lieferkette weiter versandte Arzneimittel mit demjenigen identisch ist, das zum Parallelhändler gelangt war. Dabei spielt das individuelle Erkennungsmerkmal eine Schlüsselrolle.

89.      Es lässt sich nach meiner Auffassung jedoch nicht a priori die Überlegenheit der einen oder anderen Umpackmethode feststellen. Selbst wenn in einem konkreten Fall eine dieser Methoden Vorteile haben mag, kann dies meines Erachtens doch nicht verallgemeinert werden. Eine Arzneimittelverpackung herzustellen oder eine Vorrichtung gegen Manipulation auszuwechseln ist, offen gesagt, keine Hexerei. Es geht nämlich um nichts anderes als das Verschließen einer einfachen Pappschachtel. Sind Kriminelle in der Lage, das Arzneimittel zu fälschen, dann können sie auch die Verpackung fälschen.

90.      Ich bin somit der Ansicht, dass die Argumente, mit denen die Überlegenheit der einen Umpackmethode gegenüber der anderen geltend gemacht werden, nichts an den Schlüssen ändern, die aus der Auslegung der geltenden Bestimmungen zu ziehen sind.

 Beantwortung der Vorlagefragen

91.      Es sind nunmehr die erste Frage in der Rechtssache C‑204/20 und die zweite Frage in der Rechtssache C‑224/20 zu beantworten.

92.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑204/20 im Kern wissen, ob die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachten Sicherheitsmerkmale im Sinne von Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 den originalen Sicherheitsmerkmalen im Sinne von Art. 47a Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gleichwertig sind, wenn sie es ermöglichen, die Echtheit und die Identität der Arzneimittel nachzuprüfen sowie den Nachweis einer Manipulation gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu erbringen.

93.      Diese Frage ist insofern etwas zirkelschlüssig, als Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 Sicherheitsmerkmale gerade dann als den originalen Sicherheitsmerkmalen gleichwertig definiert, wenn sie eine Überprüfung der vom vorlegenden Gericht in seiner Frage erwähnten Aspekte ermöglichen(26). Die Frage kann somit nur bejaht werden. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen sollte diese Antwort aber präzisiert werden.

94.      Ich schlage daher vor, auf die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C‑204/20 zu antworten, dass Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachten Sicherheitsmerkmale im Sinne von Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 den originalen Sicherheitsmerkmalen im Sinne der erstgenannten Bestimmung gleichwertig sind, wenn sie es ermöglichen, die Echtheit und die Identität der Arzneimittel nachzuprüfen sowie den Nachweis einer Manipulation gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu erbringen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b dieser Delegierten Verordnung die gleichen technischen Eigenschaften wie die Originalvorrichtung aufweist.

95.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑224/20 im Kern wissen, ob die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Delegierten Verordnung 2016/161 der Originalvorrichtung im Sinne von Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 gleichwertig ist, wenn die betreffende Verpackung bei einer Überprüfung gemäß den Art. 16, 20 oder 25 dieser Delegierten Verordnung oder nach dem Öffnen durch den Endverbraucher wahrnehmbare Zeichen dafür aufweist, dass ein Eingriff in die Originalvorrichtung gegen Manipulation vorgenommen wurde(27).

96.      Ich schlage vor, auf diese Frage zu antworten, dass Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Delegierten Verordnung 2016/161 der Originalvorrichtung gemäß Art. 47a Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gleichwertig ist, selbst wenn die betreffende Verpackung bei einer Überprüfung nach den Art. 16, 20 oder 25 dieser Delegierten Verordnung oder nach dem Öffnen durch den Endverbraucher wahrnehmbare Zeichen dafür aufweist, dass ein Eingriff in die Originalvorrichtung gegen Manipulation vorgenommen wurde, sofern dieser Eingriff offensichtlich auf einem zulässigen Vorgang beruht.

 Recht der Markeninhaber, sich dem Umpacken von Arzneimitteln im Rahmen des Parallelhandels zu widersetzen

97.      Beim zweiten Komplex von Vorlagefragen in diesen Rechtssachen geht es darum, ob und gegebenenfalls inwieweit die mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen den Umfang des Rechts der Markeninhaber, sich dem Umpacken parallelimportierter Arzneimittel in neue Verpackungen zu widersetzen, im Vergleich zur Rechtslage nach Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 sowie der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich ändern(28). Bevor ich mit meiner Prüfung beginne, halte ich eine kurze Übersicht über diese Rechtsprechung für geboten.

 Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs

98.      In seinem Urteil Centrafarm und de Peijper(29), das bereits den Parallelimport von Arzneimitteln betraf, bekräftigte der Gerichtshof unter Berufung auf den freien Warenverkehr den Grundsatz der Erschöpfung des Rechts des Inhabers einer Marke, sich dem ohne seine Erlaubnis von einem Dritten vorgenommenen Vertrieb eines mit dieser Marke versehenen Erzeugnisses zu widersetzen, das zuvor in einem anderen Mitgliedstaat mit Zustimmung dieses Inhabers auf den Markt gebracht worden war(30).

99.      Zum Recht des Inhabers einer Marke, sich dem Vertrieb eines mit dieser Marke versehenen Erzeugnisses zu widersetzen, das in eine neue Packung umgefüllt worden war, äußerte sich der Gerichtshof in seinem Urteil Hoffmann-La Roche(31) dahin gehend, dass der Widerspruch des Markeninhabers in einer solchen Situation grundsätzlich gerechtfertigt sei. Würde nämlich der Vertrieb des nach seinem Umpacken in eine neue Verpackung mit einer Marke versehenen Erzeugnisses zugelassen, so würde dem Parallelhändler damit eine gewisse Befugnis eingeräumt, die unter normalen Umständen dem Markeninhaber vorbehalten sei(32), nämlich die Marke auf der neuen Verpackung anzubringen.

100. Wenn der Markeninhaber von seiner Widerspruchsbefugnis Gebrauch macht, kann dies jedoch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten darstellen. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn das Umpacken dergestalt vollzogen würde, dass weder die Ursprungsidentität noch der Originalzustand des Erzeugnisses beeinträchtigt würde. Der Originalzustand des Erzeugnisses bleibt vor allem dann unberührt, wenn dieses in eine doppelte Verpackung eingepackt ist und sich das Umpacken nur auf die äußere Umhüllung bezieht oder wenn das Umpacken von einer Behörde überwacht wird. Unter solchen Umständen würde es zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen, wenn der Markeninhaber für ein und dasselbe Erzeugnis in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Verpackungen verwenden und sich dann dem Umpacken in eine neue Verpackung zum Zwecke des Parallelimports dieses Erzeugnisses widersetzen(33).

101. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass es eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellt, wenn sich ein Markeninhaber dem Vertrieb eines in eine neue Verpackung umgepackten Erzeugnisses unter seiner Marke widersetzt, sofern

–        erwiesen ist, dass die Geltendmachung des Markenrechts durch den Inhaber unter Berücksichtigung des von ihm angewandten Vermarktungssystems zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen würde,

–        dargetan ist, dass das Umpacken den Originalzustand des Erzeugnisses nicht beeinträchtigen kann,

–        der Markeninhaber vorher von dem Feilhalten des umgepackten Erzeugnisses unterrichtet wird und

–        auf der neuen Packung angegeben ist, von wem das Erzeugnis umgepackt wurde(34).

102. Den Grundsatz der Erschöpfung des Rechts des Markeninhabers, sich dem ohne seine Erlaubnis vorgenommenen Vertrieb einer mit dieser Marke versehenen Ware zu widersetzen, die bereits mit seiner Zustimmung in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht worden war, hat der Unionsgesetzgeber anschließend in Art. 7 der Richtlinie 89/104/EWG(35) verankert. Diese Bestimmung wurde im Wesentlichen wortgleich in Art. 15 der Verordnung 2017/1001 sowie in Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 übernommen.

103. Der Gerichtshof legt diese Bestimmungen jedoch weiterhin im Licht der Warenverkehrsfreiheit aus und nimmt an, dass sie dasselbe Ziel wie der nunmehrige Art. 36 AEUV verfolgen, weshalb seine aufgrund dieser Bestimmung(36) entwickelte Rechtsprechung nach wie vor relevant ist(37).

104. Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof aber in späteren Urteilen hinsichtlich mehrerer Punkte präzisiert und ergänzt.

105. So hat er insbesondere klargestellt, dass der Widerspruch des Inhabers gegen den Vertrieb einer in eine neue Verpackung umgepackten Ware unter einer ihm gehörenden Marke zur Abschottung der Märkte beiträgt, wenn dieses Umpacken für den Vertrieb der Ware im Einfuhrmitgliedstaat erforderlich ist. Eine solche Erforderlichkeit ist gegeben, wenn die Ware wegen der Vorschriften oder der Praxis in diesem Mitgliedstaat nicht in ihrer Originalverpackung vertrieben werden kann(38).

106. Außerdem hat er eine weitere Bedingung hinzugefügt, unter der sich der Markeninhaber dem Vertrieb der in eine neue Verpackung umgepackten Ware unter seiner Marke nicht widersetzen darf, nämlich dann nicht, wenn die umgepackte Ware nicht so aufgemacht ist, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann, was insbesondere der Fall wäre, wenn die neue Verpackung schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich wäre(39).

107. Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass die Voraussetzungen dafür, dass sich der Inhaber einer Marke dem Vertrieb einer umgepackten Ware unter dieser Marke nicht widersetzen darf – vor allem die Voraussetzung der Erforderlichkeit –, nicht nur für das Umpacken in eine neue Verpackung, sondern auch für das Umpacken in Form einer auf der Originalverpackung angebrachten Neuetikettierung gelten(40).

108. In den vorliegenden Rechtssachen stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen etwas an den Erkenntnissen aus der Rechtsprechung ändern, die ich in den vorstehenden Abschnitten dieser Schlussanträge wiedergegeben habe. Die Parteien, die in diesen Rechtssachen Stellung genommen haben, vertreten insoweit unterschiedliche Ansichten.

 Vorbringen der Parteien

109. Die an den Ausgangsverfahren beteiligten Parallelhändler argumentieren, die neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen verlangten de facto, wenn nicht gar de jure, dass von diesen Regelungen erfasste parallelimportierte Arzneimittel in neue Verpackungen umzupacken seien, weshalb die Markeninhaber sich dieser Form des Umpackens nicht widersetzen könnten. Diese Ansicht vertritt auch die dänische Regierung. Diesen Parteien zufolge kann nur eine neue Verpackung den Anforderungen an die Vorrichtung gegen Manipulation gemäß Art. 54 Buchst. o und Art. 47a der Richtlinie 2001/83 vollständig genügen. Denn jedes ersatzweise angebrachte Sicherheitsmerkmal ließe Zweifel an der Zulässigkeit des Öffnens und Wiederverschließens der Originalverpackung aufkommen.

110. Die an den Ausgangsverfahren beteiligten Markeninhaber machen demgegenüber geltend, die neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen hätten keinen Einfluss auf die Prüfung des Kriteriums der Erforderlichkeit des Umpackens parallelimportierter Arzneimittel, einschließlich der Erforderlichkeit, eine neue Verpackung vorzunehmen. Vielmehr werde gerade eine Beibehaltung der Originalverpackung am besten den Zielen der Neuregelung gerecht, da die Arzneimittel auf diese Weise in einem Zustand aufbewahrt werden könnten, der ihrem Originalzustand am nächsten komme.

111. Die polnische Regierung vertritt zwar eine ähnliche Auffassung wie die Markeninhaber, weist jedoch darauf hin, dass die Vorbehalte seitens der Großhändler, der Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Patienten gegenüber Vorrichtungen gegen Manipulation, die nach dem Umpacken auf den Originalverpackungen von Arzneimitteln ersatzweise angebracht worden seien, für die Verwendung neuer Verpackungen sprechen könnten.

112. Schließlich trägt die Kommission vor, nach der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs hätten sich die Markeninhaber zwar dem Vertrieb von Arzneimitteln in neuen Verpackungen widersetzen dürfen, wenn die Verwendung der Originalverpackungen möglich gewesen sei; in den neueren Urteilen werde das Kriterium der Erforderlichkeit aber offenbar nur auf das Umpacken als solches angewandt, wobei den Parallelhändlern die Wahl zwischen einer neuen Verpackung und der Verwendung der Originalverpackung gelassen werde. Der Markeninhaber könne sich somit nicht allein deshalb der Verwendung einer neuen Verpackung widersetzen, weil der Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats auch bei Verwendung der Originalverpackung möglich sei.

113. Diese unterschiedlichen Positionen veranlassen mich zu folgenden Bemerkungen.

 Die Voraussetzung der Erforderlichkeit, eine Verpackung zu verwenden, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

114. Ich werde zunächst das Vorbringen der Kommission prüfen, das auf einem neuen Verständnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu beruhen scheint.

115. Wie erwähnt, hat der Gerichtshof nach Ansicht der Kommission in seinen jüngsten Urteilen die Voraussetzung der Erforderlichkeit in Bezug auf die Wahl des Parallelhändlers zwischen einer neuen Verpackung und der Originalverpackung aufgegeben und diese Voraussetzung nur auf das Umpacken als solches angewandt. Die Kommission stützt sich insoweit auf mehrere Urteile, in denen der Gerichtshof festgestellt hat, die Voraussetzung der Erforderlichkeit betreffe nur das Umpacken als solches und nicht die Art und Weise, in der es vorgenommen werde(41). Die Kommission fügt hinzu, es sei nicht gerechtfertigt, die Voraussetzung der Erforderlichkeit auf die Verwendung einer neuen Verpackung anstelle der neu etikettierten Originalverpackung anzuwenden, da dies aus den Rechtsvorschriften nicht ausdrücklich hervorgehe. Dies hätte daher die Anwendung eines doppelten Kriteriums der Erforderlichkeit und eine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Warenverkehrs zur Folge. Im Übrigen sei die Verwendung einer neuen Verpackung nicht immer ein gravierenderer Eingriff in die Rechte des Markeninhabers als eine Neuetikettierung der Originalverpackung.

116. Mich überzeugt weder diese Ansicht noch diese Argumentation.

117. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die ich in den Nrn. 98 bis 107 der vorliegenden Schlussanträge zusammengefasst habe, betreffen die Voraussetzungen dafür, dass sich der Inhaber einer Marke nicht unter Berufung auf diese Marke dem ohne seine Zustimmung vorgenommenen Vertrieb einer Ware unter dieser Marke widersetzen kann, nur Waren, die in eine neue Verpackung umgepackt worden sind. Das gilt insbesondere für die Voraussetzung der Erforderlichkeit. Der Gerichtshof hat nämlich klargestellt, dass sich der Inhaber einer Marke dem Umpacken der Ware in eine neue Verpackung widersetzen kann, wenn es dem Parallelhändler möglich ist, diese Ware im Einfuhrmitgliedstaat unter Verwendung der Originalverpackung zu vermarkten und diese Verpackung den Anforderungen dieses Mitgliedstaats entsprechend zu gestalten(42).

118. Dieser Lösung lag die Feststellung zugrunde, dass einem Parallelhändler, dem das Recht zuerkannt würde, für den Vertrieb einer mit einer Marke versehenen Ware ohne Zustimmung des Inhabers dieser Marke eine neue Verpackung zu verwenden, eine Befugnis eingeräumt würde, die normalerweise dem Markeninhaber vorbehalten ist, nämlich die Marke auf der neuen Verpackung anzubringen(43). Das Umpacken in eine neue Verpackung ist somit zwangsläufig mit einem gravierenderen Eingriff in die Befugnisse des Markeninhabers verbunden als der einfache Vertrieb der Ware in ihrer Originalverpackung, selbst wenn diese neu etikettiert wird.

119. Die These der Kommission ist daher unbegründet. Zwar kann die Neuetikettierung der Originalverpackung in einer konkreten Situation so gestaltet sein, dass sie den Ruf der Marke stärker beeinträchtigt, als es bei einer Neuverpackung der Fall gewesen wäre. Das ist aber etwas anderes als die Frage nach dem Grad des Eingriffs in die Sphäre der ausschließlichen Rechte des Inhabers dieser Marke.

120. Zwar hat der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 23. April 2002, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑143/00, im Folgenden: Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2002, EU:C:2002:246), und Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 die Anwendung der zu erfüllenden Voraussetzungen dafür, dass sich der Inhaber einer Marke dem Vertrieb einer umgepackten Ware unter dieser Marke nicht widersetzen darf, auf das Umpacken durch Neuetikettierung erstreckt, und zwar mit der Begründung, diese Form des Umpackens begründe ebenso wie eine Neuverpackung der Ware Gefahren für deren Herkunftsgarantie, die durch die Marke gewährleistet werden solle(44).

121. Der Gerichtshof hat jedoch keineswegs die Anwendung des Kriteriums der Erforderlichkeit auf das Umpacken in eine neue Verpackung – im Gegensatz zur Neuetikettierung der Originalverpackung – aufgegeben. Er hat es vielmehr in seinem Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2002 (Nr. 2 des Tenors) ausdrücklich angewandt und entschieden, das Umpacken von Arzneimitteln in neue Packungen sei objektiv erforderlich im Sinne seiner Rechtsprechung, wenn ohne dieses Umpacken aufgrund des starken Widerstands eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen mit Etiketten überklebte Arzneimittelpackungen von einem Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum betreffenden Markt oder zu einem beträchtlichen Teil dieses Marktes auszugehen sei.

122. Er hat dies im Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 mit der Entscheidung bestätigt, wonach die „Voraussetzung der Erforderlichkeit nur das Umpacken der Ware als solches sowie die Wahl zwischen Neuverpackung und Überkleben im Hinblick darauf [betrifft], den Vertrieb dieser Ware auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats zu ermöglichen, und nicht die Art und Weise, in der das Umpacken durchgeführt wird“(45). Im Gegensatz zur Kommission halte ich diese Passage nicht für zweideutig. Meiner Meinung nach lässt sich ihr unschwer entnehmen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit dem Gerichtshof zufolge (auch) die Wahl zwischen einer Neuverpackung und einer Neuetikettierung betrifft und dass diese Wahl nichts mit der „Art und Weise, in der das Umpacken durchgeführt wird“, zu tun hat. Die späteren Urteile entkräften diese Feststellung nicht. Gegenstand der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. November 2016, Ferring Lægemidler (C‑297/15, EU:C:2016:857), ergangen ist, war vielmehr gerade die Frage, ob das Umpacken in eine neue Verpackung erforderlich war.

123. Auch die übrigen Argumente der Kommission überzeugen mich nicht.

124. Es sieht zwar so aus, als könne die Anwendung des Kriteriums der Erforderlichkeit zunächst auf das Umpacken im Allgemeinen und dann auf die Neuverpackung zu einer Duplizierung dieses Kriteriums führen. Wenn dieses Kriterium aber in Bezug auf die Neuverpackung erfüllt ist, gilt dies automatisch auch für das Umpacken im Allgemeinen. Es gibt dann keinen Grund, das Kriterium insoweit gesondert zu prüfen. Im Übrigen ist das Kriterium der Erforderlichkeit des Umpackens auf einem so stark regulierten Markt wie dem Arzneimittelmarkt fast immer erfüllt, und sei es nur deshalb, damit die Patienten die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des Einfuhrmitgliedstaats erhalten. Es mag zwar Ausnahmesituationen geben, etwa einen Parallelhandel zwischen zwei Mitgliedstaaten mit der gleichen Sprache, wie er Gegenstand der Rechtssache war, in der das Urteil vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb (C‑642/16, EU:C:2018:322), ergangen ist, doch werden diese Fälle sehr selten sein. Sollte dieses Kriterium daher nicht auf die Wahl zwischen Neuverpackung und Neuetikettierung, sondern nur auf das Umpacken im Allgemeinen angewendet werden, würde es weitgehend bedeutungslos.

125. Zu dem Argument, wonach sich die Anwendung der Voraussetzung der Erforderlichkeit auf das Umpacken in eine neue Verpackung nicht aus dem Unionsrecht ergebe, genügt der Hinweis, dass sämtliche Voraussetzungen für die Erschöpfung der Rechte aus einer Marke im Rahmen des Parallelhandels, gleich ob sie für das bloße Umpacken von Waren oder für die Verwendung einer neuen Verpackung gelten, allein auf der Rechtsprechung beruhen und nicht ausdrücklich in den einschlägigen Vorschriften enthalten sind. Schließlich kann die Anwendung der Voraussetzung der Erforderlichkeit auf das Umpacken in eine neue Verpackung, wenn die Neuetikettierung der betreffenden Ware einen effektiven Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats ermöglicht, keine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellen.

 Das Vorbringen zum Schutz vor gefälschten Arzneimitteln

126. Die an den Ausgangsverfahren beteiligten Parallelhändler machen geltend, die Ziele der mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen könnten nur durch das Umpacken von Arzneimitteln in neue Verpackungen in vollem Umfang erreicht werden. Nur bei einer neuen Verpackung, die mit einer unversehrten Vorrichtung gegen Manipulation versehen sei und keine Öffnungsspuren aufweise, könnten die Angehörigen von Gesundheitsberufen und die Patienten die Gewissheit haben, dass das Arzneimittel nicht manipuliert worden sei. Die Markeninhaber vertreten indes die gegenteilige Auffassung.

127. Es ist zu beachten, dass der Gerichtshof schon in seinem grundlegenden Urteil zum Markenrecht in Bezug auf den Parallelhandel mit Arzneimitteln erklärt hatte, obwohl der Schutz der Öffentlichkeit vor den mit fehlerhaften Arzneimitteln verbundenen Gefahren ein berechtigtes Anliegen sei, müssten die zu diesem Zweck erforderlichen Maßnahmen als solche der Gesundheitspflege getroffen werden und nicht auf dem Umweg über Vorschriften des gewerblichen und kommerziellen Rechtsschutzes, wobei sich der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums seinem spezifischen Gegenstand nach vom Schutz der Öffentlichkeit und den damit einhergehenden etwaigen Verpflichtungen unterscheide(46). Er hat daher entschieden, dass sich der Inhaber einer Marke für ein Arzneimittel den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den freien Warenverkehr nicht mit der Begründung entziehen könne, er müsse den Vertrieb des Erzeugnisses überwachen, um die Öffentlichkeit vor fehlerhaften Erzeugnissen zu schützen(47). Diesen Ansatz hat er später im Zusammenhang mit angemessenen Verbraucherinformationen auf den Arzneimittelpackungen bestätigt(48).

128. Dementsprechend müssen die mit der Bekämpfung gefälschter Arzneimittel verfolgten Ziele durch zu diesem Zweck erlassene spezifische Bestimmungen und deren Durchsetzung im Verlauf der gesamten Lieferkette erreicht werden. Die Markeninhaber dürfen sich daher dem Umpacken von Arzneimitteln in neue Verpackungen nicht allein deshalb widersetzen, weil eine Neuetikettierung der Originalverpackungen ihrer Ansicht nach eher zur Erreichung der Ziele dieser Bestimmungen beitragen würde. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, sind zwar Ausnahmen von dem elementaren Grundsatz des freien Warenverkehrs in Fällen möglich, in denen sich der Inhaber einer Marke unter Berufung auf die Marke dem Umpacken parallelimportierter Arzneimittel widersetzt, doch gilt dies nur insoweit, als dem Markeninhaber dadurch die Wahrung der Rechte ermöglicht wird, die im Licht der Hauptfunktion der Marke zu deren spezifischem Gegenstand gehören(49).

129. Der Gerichtshof hat zwar darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen, unter denen sich Markeninhaber dem Parallelhandel mit ihren Waren nicht widersetzen können, vor allem die Voraussetzung der vorherigen Unterrichtung, es diesen Inhabern u. a. ermöglichen sollen, sich vor Fälschungen zu schützen(50); diese Bemerkung ist aber unter dem Aspekt des Schutzes des gewerblichen Eigentums, im konkreten Fall der Marken, und nicht der Verhinderung gefälschter Arzneimittel zu sehen(51). Diesen Textstellen ist nicht zu entnehmen, dass die durch die Richtlinie 2011/62 aufgeworfene Problematik in den Anwendungsbereich des Markenrechts fallen würde.

130. Was für Markeninhaber gilt, gilt jedoch auch für Parallelhändler. Die Befugnis von Parallelhändlern, in die Rechte von Markeninhabern einzugreifen, ist deshalb gerechtfertigt, weil der freie Warenverkehr aufrechterhalten werden soll. Der Umfang dieser Befugnis ist daher anhand des für diese Freiheit charakteristischen Kriteriums zu beurteilen: des effektiven Zugangs zum Markt. Andere Faktoren, wie etwa die angeblichen Vorteile für den Schutz der Patienten vor gefälschten Arzneimitteln, dürfen dabei nicht berücksichtigt werden.

131. Die Abwägung zwischen den Rechten der Markeninhaber und den Interessen der Parallelhändler hat daher allein anhand der relevanten Kriterien zu erfolgen, d. h. einerseits der Hauptfunktion der Marke, die darin besteht, die Herkunft der Waren sicherzustellen, und andererseits der Wahrung eines effektiven Zugangs zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats. Argumente, die sich auf die Wirksamkeit der Bekämpfung gefälschter Arzneimittel beziehen, spielen bei dieser Debatte hingegen keine Rolle.

 Der Einfluss der Vorschriften gegen Arzneimittelfälschungen auf den Interessenausgleich zwischen Markeninhabern und Parallelhändlern

132. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, gilt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht der Markeninhaber, sich dem Vertrieb umgepackter Waren unter ihren Marken zu widersetzen, auch nach Inkrafttreten der mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen weiterhin in vollem Umfang.

133. Nach dieser Rechtsprechung steht den Markeninhabern trotz der Erschöpfung ihres Rechts, die Benutzung der Marken für mit ihrer Zustimmung in der Union in Verkehr gebrachten Waren zu verbieten, grundsätzlich weiterhin das Recht zu, dem in jedem Umpacken einer solchen Ware bestehenden Eingriff zu widersprechen. Dieser Widerspruch verstößt jedoch gegen die Warenverkehrsfreiheit, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, die der Gerichtshof in seinem Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. aufgestellt hat. Zu diesen Voraussetzungen gehört zum einen, dass das Umpacken, einschließlich des Ersetzens der Originalverpackung durch eine neue Verpackung, für den effektiven Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats erforderlich ist, und zum anderen, dass durch die Aufmachung der umgepackten Ware der Ruf der Marke und ihres Inhabers nicht geschädigt wird.

134. Die mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten neuen Regelungen zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen haben de jure keinen Einfluss auf die Anwendung dieser Bedingungen. De facto können jedoch bei der Beurteilung konkreter Situationen neue Faktoren eine Rolle spielen.

135. Erstens kann der Parallelhändler, wie ich im ersten Prüfungsteil der vorliegenden Schlussanträge erwähnt habe(52), in bestimmten Situationen außerstande sein, nach dem Öffnen der Verpackung die Vorrichtung gegen Manipulation durch eine Vorrichtung zu ersetzen, die dem Kriterium der Gleichwertigkeit gemäß Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 genügt. Dies wäre somit ein legitimer Grund für den Parallelhändler, ein Umpacken in eine neue Verpackung vorzunehmen, dem sich der Markeninhaber nicht widersetzen könnte.

136. Zweitens betrifft die Voraussetzung, wonach die Aufmachung der umgepackten Ware den Ruf der Marke und ihres Inhabers nicht beeinträchtigen darf, alle Aspekte der Verpackung der Ware nach dem Umpacken, einschließlich der Ersatzvorrichtung gegen Manipulation. Diese Vorrichtung muss also nicht nur den Anforderungen des Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 genügen, sondern auch diese Voraussetzung erfüllen.

137. Schließlich kann drittens, wie der Gerichtshof schon festgestellt hat, auf einem Markt oder einem beträchtlichen Teil dieses Marktes ein so starker Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen mit Etiketten überklebte Arzneimittelpackungen bestehen, dass von einem Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt auszugehen ist. Unter diesen Umständen müssten die Arzneimittel, um einen effektiven Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats sicherzustellen, in neue Verpackungen umgepackt werden(53).

138. Einen solchen Widerstand kann es insbesondere gegenüber Arzneimittelverpackungen geben, bei denen die Vorrichtungen gegen Manipulation ersetzt wurden. Dies gilt besonders deshalb, weil Großhändlern und Angehörigen von Gesundheitsberufen nach den Art. 10, 24 und 30 der Delegierten Verordnung 2016/161 eine erhöhte Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Unversehrtheit der Vorrichtungen gegen Manipulation obliegt, die auf den Verpackungen der von ihnen verkauften bzw. abgegebenen Arzneimittel angebracht sind. Ein solcher Widerstand könnte daher – falls erwiesen – die Verwendung neuer Verpackungen rechtfertigen, wodurch dem Problem der ersetzten Vorrichtungen gegen Manipulation ausgewichen werden könnte.

139. Dieser Widerstand muss jedoch im konkreten Fall tatsächlich unter Anführung von Beweisen dargetan werden. Ein potenzieller oder mutmaßlicher Widerstand genügt nicht. Denn in der Regel sollte eine Ersatzvorrichtung gegen Manipulation hinreichend gewährleisten, dass das Arzneimittel nur Gegenstand rechtmäßiger Vorgänge war. Parallelhändler können sich daher nicht auf eine Vermutung generellen Widerstands gegen Arzneimittel mit ausgetauschten Vorrichtungen gegen Manipulation berufen, um ein Umpacken in neue Verpackungen zu rechtfertigen.

140. Es reicht auch für sich allein nicht aus, dass der Austausch der Vorrichtung gegen Manipulation Öffnungsspuren auf der Verpackung hinterlässt, die bei einer mehr oder weniger gründlichen Überprüfung dieser Verpackung sichtbar werden, wenn es keine begründeten Zweifel daran gibt, wer für das Öffnen der Verpackung verantwortlich ist.

 Beantwortung der Vorlagefragen

141. Nach alledem schlage ich vor, die erste, die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑147/20, die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑204/20 sowie die erste und die dritte Frage in der Rechtssache C‑224/20 wie folgt zu beantworten.

142. Den ersten drei Fragen in der Rechtssache C‑147/20, für die ich eine gemeinsame Antwort vorschlage, entnehme ich, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen sind, dass der Umstand, dass die Ersetzung der nach Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Vorrichtung gegen Manipulation eines Arzneimittels durch einen Parallelhändler Spuren hinterlässt, die nach einer Überprüfung dieser Vorrichtung oder nach dem Öffnen der Verpackung durch den Patienten sichtbar oder wahrnehmbar sind, für die Annahme ausreicht, dass der Widerspruch des Markeninhabers gegen das eventuelle Umpacken dieses Arzneimittels in eine neue Verpackung zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen und daher den Grundsatz des freien Warenverkehrs verletzen würde(54).

143. Ich schlage vor, auf diese Frage zu antworten, dass die genannten Bestimmungen nicht in diesem Sinne auszulegen sind, es sei denn, diese Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung ruft einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervor, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt, was im jeweiligen Einzelfall zu prüfen ist.

144. Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, für die ich eine gemeinsame Antwort vorschlage, möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑204/20 im Kern wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass sich der Inhaber einer Marke für ein Arzneimittel dessen Umpacken in eine neue Verpackung im Rahmen des Parallelhandels widersetzen kann, sofern es dem Parallelhändler möglich ist, die Originalverpackung unter Ersetzung der Sicherheitsmerkmale im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu verwenden, auch wenn diese Ersetzung Spuren hinterlässt, die nach einer Überprüfung oder nach dem Öffnen der Verpackung durch den Patienten sichtbar oder wahrnehmbar sind.

145. Ich schlage vor, auf diese Frage zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 im angegebenen Sinne auszulegen ist, es sei denn, diese Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung ruft einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervor, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

146. Mit seiner ersten und seiner dritten Frage, für die ich eine gemeinsame Antwort vorschlage, möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑224/20 im Kern wissen, ob Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen sind, dass sich der Inhaber einer Marke für ein Arzneimittel dessen Umpacken in eine neue Verpackung im Rahmen des Parallelhandels widersetzen kann, sofern es dem Parallelhändler möglich ist, die Originalverpackung unter Ersetzung der Sicherheitsmerkmale im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu verwenden.

147. Ich schlage vor, diese Frage ebenso zu beantworten wie in der Rechtssache C‑204/20.

 Befugnis der nationalen Behörden, Parallelhändlern das Umpacken von Arzneimitteln in neue Verpackungen vorzuschreiben

148. Mit der vierten Frage in der Rechtssache C‑204/20 und der vierten Frage in der Rechtssache C‑224/20 möchten die vorlegenden Gerichte jeweils im Wesentlichen wissen, ob die mit der Überwachung des Arzneimittelmarkts betrauten nationalen Behörden Regeln aufstellen dürfen, wonach mit Sicherheitsmerkmalen gemäß Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 versehene Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels generell in neue Verpackungen umgepackt werden müssen, während eine Neuetikettierung nur in Ausnahmefällen möglich ist. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑224/20 außerdem wissen, ob solche Regeln für die Annahme ausreichen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit für das Umpacken in eine neue Verpackung erfüllt ist.

149. Mit der Kommission halte ich die vierte Frage in der Rechtssache C‑204/20 für unzulässig. Aus den Akten dieser Rechtssache geht nämlich hervor, dass diese Frage ihren Ursprung in Regeln hat, die von den schwedischen Behörden aufgestellt worden sind. Jedoch deutet nichts darauf hin, dass diese oder ähnliche Regeln auf das Ausgangsverfahren in dieser Rechtssache anwendbar wären. Diese Frage scheint daher rein hypothetischer Natur zu sein.

150. Dagegen betreffen die vierte und die fünfte Frage in der Rechtssache C‑224/20 die von der dänischen Arzneimittelbehörde herausgegebenen Leitlinien, die auf das Ausgangsverfahren Anwendung finden, so dass diese Fragen zulässig sind.

 Zur vierten Vorlagefrage in der Rechtssache C224/20

151. Nach den Leitlinien der dänischen Arzneimittelbehörde(55) müssen Parallelhändler, die mit Sicherheitsmerkmalen gemäß Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 versehene Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten auf den dänischen Markt bringen wollen, diese Arzneimittel in der Regel in neue Verpackungen umpacken. Eine Neuetikettierung der Originalverpackungen und eine Ersetzung der Sicherheitsmerkmale sind dagegen nur in Ausnahmesituationen, etwa bei Gefährdung der Versorgung mit Arzneimitteln, zulässig.

152. Nach Art. 47a Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2001/83 wird die Ersetzung der in Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie genannten Sicherheitsmerkmale von der zuständigen Behörde überwacht. Es ist klar, dass eine zuständige mitgliedstaatliche Behörde im Rahmen dieser Überwachung Leitlinien herausgeben darf, die darüber informieren, unter welchen Bedingungen und nach welchen Modalitäten die Überwachung durchgeführt wird. Diese Leitlinien können jedoch das geltende Unionsrecht nicht ändern.

153. Sowohl die Bestimmungen der Richtlinie 2001/83, die in Letztere durch die Richtlinie 2011/62 eingefügt wurden, als auch die Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2016/161 sehen aber ausdrücklich vor, dass ein Inhaber einer Herstellungserlaubnis die in Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 beschriebenen Sicherheitsmerkmale ersetzen kann. Das Unionsrecht verweist auch nicht zur Konkretisierung dieser Bestimmungen auf das nationale Recht und räumt den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit ein, strengere Vorschriften zu erlassen.

154. Vielmehr verbietet die Richtlinie 2001/83 ausdrücklich den Erlass solcher Vorschriften. Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83, wonach bestimmte Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen zu versehen sind, findet sich nämlich in Titel V („Etikettierung und Packungsbeilage“) dieser Richtlinie. Die in dieser Bestimmung genannten Sicherheitsmerkmale sind folglich Teil der Etikettierung der Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83(56). Art. 60 dieser Richtlinie, der sich ebenfalls in Titel V findet, bestimmt aber, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Arzneimitteln in ihrem Hoheitsgebiet nicht aus Gründen, die mit der Etikettierung zusammenhängen, untersagen oder verhindern dürfen, sofern diese mit den Vorschriften dieses Titels übereinstimmt. Die Mitgliedstaaten dürfen daher nicht verlangen, dass Arzneimittel in neue Verpackungen umgepackt werden, wenn die Parallelhändler in der Lage sind, die auf den Originalverpackungen angebrachten Sicherheitsmerkmale durch solche zu ersetzen, die diesen Vorschriften entsprechen(57).

155. Das Vorbringen, die Mitgliedstaaten seien im Rahmen des Schutzes der Patienten vor gefälschten Arzneimitteln berechtigt, das von ihnen zu gewährleistende Schutzniveau festzulegen, geht hier meines Erachtens ins Leere. Soweit der Unionsgesetzgeber nämlich die Zuständigkeit zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen ausgeübt und dabei insbesondere Sicherheitsmerkmale für Arzneimittel vorgesehen hat, ist diese Materie der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten entzogen. Sie haben daher keinen Spielraum mehr für eine Entscheidung über dieses Schutzniveau.

156. Hinzu kommt, dass die Parallelhändler zwar in den Ausgangsverfahren der vorliegenden Rechtssachen das Recht geltend machen, Arzneimittel in neue Verpackungen umzupacken; das könnte sich aber in anderen Situationen anders verhalten, in denen ein solches Umpacken als zusätzliche Belastung empfunden würde. Nationale Vorschriften, die das Umpacken in neue Verpackungen vorschreiben, würden eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellen, die gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden müsste. Eine solche Rechtfertigung ist jedoch angesichts dessen, dass das Sekundärrecht der Union ein Umpacken durch Neuetikettierung ausdrücklich zulässt, nicht selbstverständlich.

157. Ich schlage daher vor, auf die vierte Vorlagefrage in der Rechtssache C‑224/20 zu antworten, dass Art. 47a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass die mit der Überwachung des Arzneimittelmarkts betrauten nationalen Behörden keine Regeln aufstellen dürfen, wonach mit Sicherheitsmerkmalen gemäß Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie versehene Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels generell in neue Verpackungen umgepackt werden müssen und eine Neuetikettierung auf Ausnahmefälle beschränkt ist.

 Zur fünften Vorlagefrage in der Rechtssache C224/20

158. Mit seiner fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑224/20 im Wesentlichen wissen, ob Regeln einer Arzneimittelkontrollbehörde, wonach eine Neuetikettierung von mit Sicherheitsmerkmalen versehenen Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels grundsätzlich verboten ist, für die Annahme ausreichen, dass in Bezug auf das Umpacken in eine neue Verpackung die Voraussetzung der Erforderlichkeit im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Widerspruchsrecht der Markeninhaber gegen die Benutzung ihrer Marken erfüllt ist.

159. Diese Frage hat offensichtlich nur dann einen Sinn, wenn die fraglichen Regeln zulässig sind. Sind diese Regeln nämlich meinem Entscheidungsvorschlag entsprechend mit dem Unionsrecht unvereinbar, dann sind sie ungerechtfertigt und können nicht das Handeln der Marktteilnehmer wie der Parallelhändler von Arzneimitteln bestimmen. Ich werde mich daher mit dieser Frage ergänzend für den Fall befassen, dass der Gerichtshof meiner Analyse im Rahmen der vorhergehenden Frage nicht folgen sollte.

160. Regeln, wie sie von der dänischen Arzneimittelbehörde aufgestellt und angewandt werden, hindern Parallelhändler de facto daran, Arzneimittel in ihren neu etikettierten Originalverpackungen auf den betreffenden nationalen Markt zu bringen. Nur in neue Verpackungen umgepackte Arzneimittel können auf diesen Markt gelangen. Ein solches Umpacken wird, mit anderen Worten, zu einer notwendigen Voraussetzung für einen effektiven Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats. Daher würde der etwaige Widerspruch der Inhaber der Marken für diese Arzneimittel gegen deren Umpacken in neue Verpackungen diesen effektiven Zugang behindern. Es ist somit anzunehmen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit, wie sie in der mit dem Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. begründeten Rechtsprechung des Gerichtshofs definiert ist, erfüllt ist.

161. Nur auf diese Weise könnten meiner Meinung nach Regeln, wie sie von der dänischen Arzneimittelbehörde aufgestellt wurden, für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt werden. Denn wenn die Existenz solcher Regeln nicht ausreichen würde, um den Widerspruch der Markeninhaber gegen das Umpacken in neue Verpackungen zu überwinden, hätte dies zur Folge, dass ein Handelshindernis errichtet würde, das weder zum Schutz der legitimen Interessen der Markeninhaber noch zum Schutz der Patienten vor gefälschten Arzneimitteln gerechtfertigt wäre. Es bleibt also nur die Wahl, die Voraussetzung der Erforderlichkeit als erfüllt anzusehen oder Regeln wie die vorliegenden als für mit den Art. 34 und 36 AEUV unvereinbar zu erklären.

162. Sollte der Gerichtshof meinem Antwortvorschlag zur vierten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑224/20 nicht folgen, wäre davon auszugehen, dass Regeln einer Arzneimittelkontrollbehörde, wonach eine Neuetikettierung von mit Sicherheitsmerkmalen versehenen Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels grundsätzlich verboten ist, für die Annahme ausreichen, dass in Bezug auf das Umpacken in eine neue Verpackung die Voraussetzung der Erforderlichkeit im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Widerspruchsrecht der Markeninhaber gegen die Benutzung ihrer Marken erfüllt ist.

 Anbringung des individuellen Erkennungsmerkmals auf der Arzneimittelverpackung

163. Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑147/20 wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161 dahin auszulegen ist, dass der Barcode, der das individuelle Erkennungsmerkmal im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Delegierten Verordnung enthält, zwingend unmittelbar auf der Verpackung aufgedruckt sein muss, so dass ein Anbringen dieses Barcodes mittels eines auf diese Verpackung aufgeklebten Etiketts mit dieser Bestimmung nicht vereinbar wäre.

164. Zu den in Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83 genannten Sicherheitsmerkmalen gehört neben der Vorrichtung gegen Manipulation auch ein individuelles Erkennungsmerkmal(58). Nach Art. 4 der Delegierten Verordnung 2016/161 besteht das individuelle Erkennungsmerkmal aus einer Folge numerischer oder alphanumerischer Zeichen mit mehreren Informationen, die für eine bestimmte Packung eines Arzneimittels individuell ist. Der Umfang dieser Informationen kann bis zu einem gewissen Grad von dem Mitgliedstaat bestimmt werden, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht werdenoll(59). Im Übrigen können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 54a Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 die Verpflichtung, für das Inverkehrbringen in ihrem Hoheitsgebiet bestimmte Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen auszustatten, auf Kategorien von Arzneimitteln ausdehnen, für die diese Verpflichtung aufgrund der Richtlinie nicht gilt.

165. Es ist daher möglich, dass der Parallelhändler gezwungen ist, das individuelle Erkennungsmerkmal eines Arzneimittels zu ersetzen(60) oder ihm ein neues hinzuzufügen, um den Anforderungen des Einfuhrmitgliedstaats zu genügen. Wenn die vorliegende Frage also dahin beantwortet würde, dass das individuelle Erkennungsmerkmal zwingend unmittelbar auf der Verpackung aufgedruckt sein muss, hätte dies zur Folge, dass der Parallelhändler in jeder dieser Situationen de facto das Arzneimittel immer in eine neue Verpackung umpacken müsste, während er bei einer gegenteiligen Antwort die Originalverpackung neu etikettieren könnte. Wenig überraschend spricht sich Abacus Medicine, ein Parallelhändler, für die erste Antwort und Novartis Pharma, ein Inhaber von Arzneimittelmarken, für die zweite Antwort aus.

166. In den Art. 5 und 6 der Delegierten Verordnung 2016/161 sind die technischen Aspekte für die Anbringung des individuellen Erkennungsmerkmals in Form eines Barcodes auf den Arzneimittelverpackungen geregelt. Nach Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung muss dieser Barcode auf der Verpackung auf einer glatten, einheitlichen, gering reflektierenden Oberfläche aufgedruckt werden. Bei isolierter und wörtlicher Betrachtung dieser Bestimmung scheint der Barcode unmittelbar auf die Verpackung aufgedruckt werden zu müssen(61).

167. Ich halte diese Auslegung jedoch nicht für die einzig mögliche. Denn Art. 5 der Delegierten Verordnung 2016/161 ist meines Erachtens aus der Perspektive des Originalherstellers des Arzneimittels formuliert, für den es selbstverständlich ist, das individuelle Erkennungsmerkmal zusammen mit den übrigen notwendigen Informationen unmittelbar auf die Verpackung aufzudrucken.

168. Dagegen sehen sowohl Art. 47a der Richtlinie 2001/83 als auch die Art. 16 und 17 der Delegierten Verordnung 2016/161 ausdrücklich vor, dass die Sicherheitsmerkmale, namentlich das individuelle Erkennungsmerkmal, entfernt oder überdeckt und durch gleichwertige Merkmale ersetzt werden können. Außerdem enthält Art. 35 der Delegierten Verordnung 2016/161, der die Datenspeicher für die individuellen Erkennungsmerkmale von Arzneimitteln betrifft, in seinem Abs. 4 eine Beschreibung des Verfahrens, das im Fall „neu verpackter oder neu etikettierter Arzneimittelpackungen, die … mit gleichwertigen individuellen Erkennungsmerkmalen versehen wurden“(62), durchzuführen ist. Die einschlägigen Bestimmungen sehen somit ausdrücklich vor, dass das individuelle Erkennungsmerkmal im Rahmen einer Neuetikettierung ersetzt werden kann.

169. Für die Ersetzung des individuellen Erkennungsmerkmals nach der Neuetikettierung einer Arzneimittelpackung kommt jedoch logischerweise nur ein an dieser Packung zusätzlich angebrachtes Etikett in Betracht. Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161 ist also im Licht der in den vorstehenden Nummern erwähnten Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 und dieser Delegierten Verordnung so zu verstehen, dass der Barcode mit dem individuellen Erkennungsmerkmal nicht unmittelbar auf die Verpackung aufgedruckt werden muss, sondern auf ein an dieser Verpackung angebrachtes Etikett aufgedruckt werden darf.

170. Allerdings muss ein solches Etikett, wie die Kommission in ihrer Stellungnahme sowie in ihrem Q&A-Papier(63) hervorhebt, nicht nur den Anforderungen der Art. 5, 6 und 17 der Delegierten Verordnung 2016/161 entsprechen, sondern auch so an der Verpackung befestigt sein, dass man es nicht entfernen kann, ohne es zu zerstören, ohne die Verpackung zu beschädigen oder ohne Spuren seiner Entfernung zu hinterlassen. Es soll nämlich verhindert werden, dass das Etikett mit dem individuellen Erkennungsmerkmal und die Verpackung voneinander getrennt und anschließend möglicherweise gesondert verwendet werden. Das individuelle Erkennungsmerkmal auf einem Etikett wird somit zu einem festen Bestandteil der Verpackung werden und als „auf der Verpackung“ aufgedruckt betrachtet werden können, wie es Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung verlangt.

171. Ich schlage daher vor, auf die vierte Vorlagefrage in der Rechtssache C‑147/20 zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung 2016/161 dahin auszulegen ist, dass der Barcode mit dem individuellen Erkennungsmerkmal im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Delegierten Verordnung mittels eines auf die Verpackung aufgeklebten Etiketts aufgebracht werden kann, sofern dieses Etikett nicht nur den Anforderungen der Art. 5, 6 und 17 der Delegierten Verordnung entspricht, sondern auch so an der Verpackung befestigt ist, dass man es nicht entfernen kann, ohne es zu zerstören, ohne die Verpackung zu beschädigen oder ohne Spuren seiner Entfernung zu hinterlassen.

 Keine Wiedergabe der Originalmarken auf den Verpackungen parallelimportierter Arzneimittel

172. Die sechste und die siebte Vorlagefrage in der Rechtssache C‑224/20 betreffen Situationen, in denen Parallelhändler die Marken der Hersteller von Arzneimitteln nach deren Umpacken in neue Verpackungen nicht oder nur teilweise wiedergeben, sowie den Umfang des Rechts der Inhaber dieser Marken, sich einem solchen Verhalten zu widersetzen. Diese Fragen stützen sich im Gegensatz zu den zuvor geprüften Fragen nicht auf die mit der Richtlinie 2011/62 und der Delegierten Verordnung 2016/161 eingeführten Vorschriften zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen.

 Vorbemerkungen

173. Mit seiner sechsten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑224/20 wissen, ob die Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit des Umpackens eines parallelimportierten Arzneimittels in eine neue Verpackung, die erfüllt sein muss, damit sich der Inhaber von Marken für dieses Arzneimittel dessen Vertrieb nicht widersetzen kann, auch dann einzuhalten ist, wenn der Parallelhändler diese Marken auf der neuen Verpackung nicht wieder anbringt (sogenanntes de-branding). Mit der siebten Vorlagefrage möchte es wissen, ob Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen sind, dass sich der Markeninhaber dem Vertrieb eines Arzneimittels widersetzen kann, das ein Parallelhändler in eine neue Verpackung umgepackt hat, auf der er die produktspezifische Marke des Markeninhabers wieder angebracht hat, aber nicht die übrigen Marken, mit denen der Markeninhaber die äußere Originalverpackung versehen hatte.

174. Das vorlegende Gericht erläutert nicht, warum es ein und dieselbe Frage unter dem Aspekt der Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie unter dem Aspekt des Sekundärrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung sind diese Fragen auf der Grundlage des im Licht von Art. 36 AEUV ausgelegten Markenrechts der Union zu prüfen(64). Nach dieser Auslegung kann sich der Inhaber einer Marke grundsätzlich dem Vertrieb einer Ware widersetzen, die umgepackt und mit der Marke dieses Inhabers versehen wurde, sofern nicht eine Reihe von in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist(65).

175. Bei speziellen Produkten wie Arzneimitteln ist es praktisch unmöglich, dass ein Parallelhändler ein Produkt auf den Markt bringen und dabei die Verwendung der Marken des Originalherstellers dieses Produkts völlig vermeiden kann.

176. Erstens wird nämlich, wie Ferring Lægemidler in ihren Erklärungen zutreffend bemerkt, die Zulassung zum Inverkehrbringen eines Arzneimittels im Rahmen des Parallelhandels unter Bezug auf die Zulassung zum Inverkehrbringen (im Einfuhrmitgliedstaat) des Originalarzneimittels, d. h. desselben Arzneimittels erteilt, das von seinem Hersteller, dem Inhaber der Marken für dieses Arzneimittel, oder mit dessen Zustimmung vermarktet wurde(66). Der Parallelhändler benutzt daher die Marken dieses Inhabers (Produktname und Unternehmensbezeichnung des Herstellers) im Sinne von Art. 9 der Verordnung 2017/1001 und Art. 10 der Richtlinie 2015/2436, wenn er sich auf das Originalarzneimittel bezieht, um diese Zulassung zu erlangen, und anschließend im Rahmen der Patienteninformation auf der Verpackung oder in der Packungsbeilage des parallelimportierten Arzneimittels.

177. Zweitens darf der Parallelhändler ein Arzneimittel nur dann ohne Widerspruch des Markeninhabers umpacken, wenn er die Primärverpackung unversehrt lässt(67). Diese Primärverpackung muss u. a. den Namen des Arzneimittels und den Namen des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen aufweisen(68), bei denen es sich normalerweise um durch Marken des Originalherstellers des Arzneimittels geschützte Zeichen handelt. Der Parallelhändler bringt die Waren somit unter mit diesen Marken identischen Zeichen im Sinne der vorerwähnten Bestimmungen auf den Markt.

178. Daraus folgt meines Erachtens, dass bei Arzneimitteln immer die Originalmarken in der Form von Bezugnahmen auf den Namen des Originalprodukts und seines Herstellers sowie auf der Primärverpackung benutzt werden, selbst wenn der Parallelhändler das Arzneimittel in eine neue äußere Verpackung umpackt, auf der er die Originalmarken durch andere Zeichen ersetzt. Der Inhaber der Originalmarken behält also sein Recht, sich einer solchen Benutzung dieser Marken zu widersetzen, wobei die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen, unter denen dieser Inhaber sein Recht nicht geltend machen kann, weiterhin gelten.

179. Ich möchte hinzufügen, dass sich sowohl die im Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑224/20 klägerischen Markeninhaber als auch die Kommission auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Mitsubishi Shoji Kaisha und Mitsubishi Caterpillar Forklift Europe (C‑129/17, EU:C:2018:594), berufen, in dem der Gerichtshof entschieden hat, der Vorgang, der darin bestehe, dass ein Dritter die mit einer Marke identischen Zeichen entferne, um auf der betreffenden Ware seine eigenen Zeichen anzubringen, könne als Benutzung der Marke im geschäftlichen Verkehr angesehen werden(69). In dieser Rechtssache ging es jedoch um den Parallelimport von Waren, die noch nicht in der Union in Verkehr gebracht worden waren, und die Entscheidung des Gerichtshofs beruhte im Wesentlichen darauf, dass die Inhaber der Marken für diese Waren nicht über deren erstes Inverkehrbringen in der Union bestimmen konnten. Auch aus diesem Grund lässt dieses Urteil den jeweiligen (aktuellen) Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und der Richtlinie 2015/2436 unberücksichtigt. Das Urteil erscheint mir daher wenig hilfreich für die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache.

180. Gleichwohl bin ich aus den in den Nrn. 175 bis 178 dieser Schlussanträge dargelegten Gründen der Ansicht, dass sich die mit der siebten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑224/20 angesprochene Situation („partielles“ de-branding) aus der Sicht des Widerspruchsrechts des Markeninhabers nicht grundlegend von der mit der sechsten Vorlagefrage angesprochenen Situation („vollständiges“ de-branding) unterscheidet. Ich schlage deshalb vor, die beiden Fragen gemeinsam zu prüfen, wobei ich sie umformuliere, um den vorstehenden Betrachtungen Rechnung zu tragen.

 Prüfung und Beantwortung der Vorlagefragen

181. Die sechste und die siebte Vorlagefrage sind also in dem Sinne umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht damit im Kern wissen möchte, ob Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen sind, dass sich ein Markeninhaber dem Vertrieb einer Ware widersetzen kann, wenn der Parallelhändler diese Ware in eine neue Verpackung umgepackt, darauf aber nur einige der auf der Originalverpackung abgebildeten Marken dieses Markeninhabers angebracht oder diese durch andere Zeichen ersetzt hat, wobei er diese Marken nur als Hinweis auf den Namen der Ware und ihres Herstellers verwendet.

182. Wie bereits erwähnt, darf sich der Inhaber der fraglichen Marken nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in einer solchen Situation nicht dem Vertrieb der Ware widersetzen, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, wozu insbesondere gehört, dass das umgepackte Arzneimittel nicht so aufgemacht ist, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann(70).

183. Zu dieser Voraussetzung hat der Gerichtshof entschieden, dass die Frage, ob es den Ruf der Marke schädigen kann, wenn der Parallelimporteur

–        die Marke nicht auf dem neuen äußeren Karton anbringt (de-branding) oder

–        entweder sein eigenes Logo oder ein Firmenmarkenzeichen, eine Firmenaufmachung oder eine für eine Reihe verschiedener Waren verwendete Aufmachung auf dem neuen äußeren Karton anbringt (co-branding) oder

–        auf dieser Verpackung einen zusätzlichen Aufkleber so anbringt, dass die Marke des Inhabers ganz oder teilweise überklebt wird, oder

–        auf dem zusätzlichen Aufkleber nicht den Inhaber der Marke angibt oder

–        den Namen des Parallelimporteurs in Großbuchstaben schreibt,

eine Sachfrage ist, über die nach dem jeweiligen Sachverhalt zu entscheiden Sache des nationalen Gerichts ist(71).

184. In einem neueren Urteil(72) hat der Gerichtshof aber auch entschieden, dass sich der Markeninhaber der Benutzung seiner Marke durch einen Wiederverkäufer in Anzeigen für den Wiederverkauf widersetzen darf, wenn dieser Wiederverkäufer die Marke ohne Zustimmung ihres Inhabers von den Waren entfernt und durch ein Etikett mit dem Namen des Wiederverkäufers ersetzt, so dass die Marke des Herstellers der Waren völlig unkenntlich gemacht wird. In einem solchen Fall wird dem Gerichtshof zufolge nämlich die wesentliche Funktion der Marke beeinträchtigt, die darin besteht, die Ursprungsidentität der Ware zu kennzeichnen und zu gewährleisten, und der Verbraucher daran gehindert, Waren des Markeninhabers von solchen des Wiederverkäufers oder anderer Dritter zu unterscheiden(73). Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass in einer solchen Situation der Inhaber der fraglichen Marke gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 89/104 berechtigt ist, der Benutzung dieser Marke zu widersprechen(74).

185. Ebenso besteht, wenn ein Parallelhändler die Originalmarken auf der äußeren Verpackung einer Ware durch andere Zeichen ersetzt und diese Marken entweder als Hinweis auf die Originalbezeichnung der Ware und ihres Herstellers oder auf der Primärverpackung erscheinen lässt, die Gefahr einer Beeinträchtigung der wesentlichen Funktion der Marke, die darin besteht, die Ursprungsidentität der Ware zu kennzeichnen und zu gewährleisten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Zeichen wie im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑224/20 die Unternehmensbezeichnung des Parallelhändlers enthalten. Denn die Verbraucher, die nicht zwangsläufig die Regeln des Parallelhandels mit Arzneimitteln kennen, werden die Waren nicht ihrem tatsächlichen Hersteller richtig zuordnen können oder diesen Hersteller womöglich mit dem Parallelhändler gleichsetzen.

186. In einem solchen Fall werden meiner Meinung nach die Voraussetzungen, unter denen sich der Inhaber der Marken deren Benutzung nicht widersetzen kann, keine Anwendung finden. Diese Voraussetzungen gehen nämlich davon aus, dass die Marken, die dem Originalhersteller des Arzneimittels gehören, nach dem Umpacken auf der neuen Verpackung angebracht werden. Es besteht dann nicht die Gefahr, dass die spezifische Funktion der Marke, nämlich die Herkunft der Ware zu garantieren, beeinträchtigt würde. Hingegen wäre es, wenn eine solche Gefahr bestünde, gerechtfertigt, Ausnahmen vom fundamentalen Grundsatz des freien Warenverkehrs zu machen(75), d. h. im Zusammenhang mit dem Parallelhandel zwischen Mitgliedstaaten Art. 15 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 anzuwenden.

187. Besteht keine solche Gefahr für die Garantie der Warenherkunft, dann ist die Tatsache, dass der Parallelhändler nach dem Umpacken einer Ware auf der neuen Verpackung nicht alle Marken anbringt, mit denen die Originalverpackung versehen war, oder dass er darauf andere Zeichen anbringt, nur im Hinblick auf das Erfordernis zu beurteilen, wonach die umgepackte Ware nicht so aufgemacht sein darf, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann. Diese sachbezogene Beurteilung hat das nationale Gericht in jedem Einzelfall vorzunehmen(76).

188. Im Übrigen betrifft nach ständiger Rechtsprechung die in der sechsten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑224/20 erwähnte Voraussetzung der Erforderlichkeit nur das Umpacken der Ware als solches – sowie die Wahl zwischen Neuverpackung und Neuetikettierung – im Hinblick darauf, den Vertrieb dieser Ware auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats zu ermöglichen, und nicht die Art und Weise, in der das Umpacken durchgeführt wird(77). Das de-branding gehört meines Erachtens aber zur Art und Weise des Umpackens.

189. Ich schlage daher vor, auf die sechste und die siebte Frage in der Rechtssache C‑224/20 zu antworten, dass Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen sind, dass der Inhaber einer Marke für eine Ware sich deren Vertrieb widersetzen kann, wenn der Parallelhändler sie in eine neue Verpackung umgepackt hat, auf der er nur einige der Marken dieses Inhabers, mit denen die Originalverpackung versehen war, angebracht oder durch andere Zeichen ersetzt hat, wobei er diese Marken nur als Hinweis auf den Namen der Ware und ihres Herstellers benutzt, es sei denn, die Voraussetzungen, die der Gerichtshof in seinen Urteilen Bristol-Myers Squibb u. a. und Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 aufgestellt hat, sind erfüllt. Droht in einer solchen Situation jedoch die Gefahr einer Beeinträchtigung der wesentlichen Funktion der Marke, die darin besteht, die Herkunft der Ware zu kennzeichnen und zu gewährleisten, kann sich der Inhaber der Marken für diese Ware deren Vertrieb widersetzen, ohne dass es einer Prüfung bedarf, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

 Ergebnis

190. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Landgerichts Hamburg (Deutschland) in der Rechtssache C‑147/20 wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 15 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke und Art. 15 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind dahin auszulegen, dass der Umstand, dass die Ersetzung der – nach Art. 54 Buchst. o der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung vorgesehenen – Vorrichtung gegen Manipulation eines Arzneimittels durch einen Parallelhändler Spuren hinterlässt, die nach einer Überprüfung dieser Vorrichtung oder nach dem Öffnen der Verpackung durch den Patienten sichtbar oder wahrnehmbar sind, nicht für die Annahme ausreicht, dass der Widerspruch des Markeninhabers gegen das eventuelle Umpacken dieses Arzneimittels in eine neue Verpackung zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen und daher den Grundsatz des freien Warenverkehrs verletzen würde, es sei denn, diese Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung ruft einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervor, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

2.      Art. 5 Abs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/161 der Kommission vom 2. Oktober 2015 zur Ergänzung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates durch die Festlegung genauer Bestimmungen über die Sicherheitsmerkmale auf der Verpackung von Humanarzneimitteln ist dahin auszulegen, dass der Barcode mit dem individuellen Erkennungsmerkmal im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Delegierten Verordnung mittels eines auf die Verpackung aufgeklebten Etiketts aufgebracht werden kann, sofern dieses Etikett nicht nur den Anforderungen der Art. 5, 6 und 17 der Delegierten Verordnung entspricht, sondern auch so an der Verpackung befestigt ist, dass man es nicht entfernen kann, ohne es zu zerstören, ohne die Verpackung zu beschädigen oder ohne Spuren seiner Entfernung zu hinterlassen.

191. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Landgerichts Hamburg (Deutschland) in der Rechtssache C‑204/20 wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachten Sicherheitsmerkmale im Sinne von Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie den originalen Sicherheitsmerkmalen im Sinne der erstgenannten Bestimmung gleichwertig sind, wenn sie es ermöglichen, die Echtheit und die Identität der Arzneimittel nachzuprüfen sowie den Nachweis einer Manipulation gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu erbringen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Ersatzvorrichtung gegen Manipulation im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b dieser Delegierten Verordnung die gleichen technischen Eigenschaften wie die Originalvorrichtung aufweist.

2.      Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 ist dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke für ein Arzneimittel dessen Umpacken in eine neue Verpackung im Rahmen des Parallelhandels widersetzen kann, sofern es dem Parallelhändler möglich ist, die Originalverpackung unter Ersetzung der Sicherheitsmerkmale im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu verwenden, auch wenn diese Ersetzung Spuren hinterlässt, die nach einer Überprüfung oder nach dem Öffnen der Verpackung durch den Patienten sichtbar oder wahrnehmbar sind, es sei denn, diese Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung ruft einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervor, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

192. Schließlich schlage ich nach alledem dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Sø- og Handelsret (See- und Handelsgericht, Dänemark) in der Rechtssache C‑224/20 wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 47a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die von einem Inhaber einer Herstellungserlaubnis beim Umpacken von Arzneimitteln neu angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Delegierten Verordnung 2016/161 der Originalvorrichtung gemäß Art. 47a Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gleichwertig ist, selbst wenn die betreffende Verpackung bei einer Überprüfung nach den Art. 16, 20 oder 25 dieser Delegierten Verordnung oder nach dem Öffnen durch den Endverbraucher wahrnehmbare Zeichen dafür aufweist, dass ein Eingriff in die Originalvorrichtung gegen Manipulation vorgenommen wurde, sofern dieser Eingriff offensichtlich auf einem zulässigen Vorgang beruht.

2.      Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 sind dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke für ein Arzneimittel dessen Umpacken in eine neue Verpackung im Rahmen des Parallelhandels widersetzen kann, sofern es dem Parallelhändler möglich ist, die Originalverpackung unter Ersetzung der Sicherheitsmerkmale im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung und der Delegierten Verordnung 2016/161 zu verwenden, auch wenn diese Ersetzung Spuren hinterlässt, die nach einer Überprüfung oder nach dem Öffnen der Verpackung durch den Patienten sichtbar oder wahrnehmbar sind, es sei denn, diese Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung ruft einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervor, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

3.      Art. 47a Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die mit der Überwachung des Arzneimittelmarkts betrauten nationalen Behörden keine Regeln aufstellen dürfen, wonach mit Sicherheitsmerkmalen gemäß Art. 54 Buchst. o dieser Richtlinie versehene Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels generell in neue Verpackungen umgepackt werden müssen und eine Neuetikettierung auf Ausnahmefälle beschränkt ist.

4.      Art. 15 der Verordnung 2017/1001 und Art. 15 der Richtlinie 2015/2436 sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke für eine Ware sich deren Vertrieb widersetzen kann, wenn der Parallelhändler sie in eine neue Verpackung umgepackt hat, auf der er nur einige der Marken dieses Inhabers, mit denen die Originalverpackung versehen war, angebracht oder durch andere Zeichen ersetzt hat, wobei er diese Marken nur als Hinweis auf den Namen der Ware und ihres Herstellers benutzt, es sei denn, die Voraussetzungen, die der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282), und vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), aufgestellt hat, sind erfüllt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Droht in einer solchen Situation jedoch die Gefahr einer Beeinträchtigung der wesentlichen Funktion der Marke, die darin besteht, die Herkunft der Ware zu kennzeichnen und zu gewährleisten, kann sich der Inhaber der Marken für diese Ware deren Vertrieb widersetzen, ohne dass es einer Prüfung bedarf, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Caro de Sousa, P., „Free movement and competition in the European market for pharmaceuticals“, in Figueroa, P., Guerrero, A. (Hrsg.), EU Law of Competition and Trade in the Pharmaceutical Sector, Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, 2019, S. 431; Pilgerstorfer, M., „EU law and policy on pharmaceuticals marketing and post-market control including product liability“, in Hervey, T. K., Young, C. A., und Bishop, L. E. (Hrsg.), Research Handbook on EU Health Law and Policy, Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, 2017, S. 156.


3      Es wird geschätzt, dass von 10 000 neuen Wirkstoffen, die in Labors synthetisiert werden, nur einer oder zwei die Marktreife erreichen und dass dieser Prozess etwa 12 bis 13 Jahre dauert. Vgl. Navarro Varona, E., Caballero Candelario, C., „The pharmaceutical sector and parallel trade“, in Figueroa, P., Guerrero, A. (Hrsg.), a. a. O., S. 428.


4      Durand, B., „Competition law and pharma: an economic perspective“, in Figueroa, P., Guerrero, A. (Hrsg.), a. a. O., S. 3.


5      Da das Gesundheitswesen weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, wird die Preispolitik für Arzneimittel auf nationaler Ebene festgelegt (vgl. u. a. Urteil vom 16. September 2008, Sot. Lélos kai Sia u. a., C‑468/06 bis C‑478/06, EU:C:2008:504, Rn. 59).


6      Zu den Einzelheiten dieser Rechtsprechung verweise ich auf die Nrn. 98 bis 107 der vorliegenden Schlussanträge.


7      Siehe Nrn. 14 und 16 der vorliegenden Schlussanträge.


8      Caro de Sousa, P., a. a. O., S. 436; Durand, B., a. a. O., S. 5; Navarro Varona, E., Caballero Candelario, C., a. a. O., S. 409 und 423 bis 429. Die Fragen im Zusammenhang mit einer solchen Weigerung standen im Mittelpunkt der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. September 2008, Sot. Lélos kai Sia u. a. (C‑468/06 bis C‑478/06, EU:C:2008:504), ergangen ist.


9      Dieses Risiko ist belegt. Vgl. u. a. OECD/EUIPO, Illicit Trade. Trade in Counterfeit Pharmaceutical Products, OECD Publishing, Paris, 2020.


10      Siehe Nrn. 18 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


11      ABl. 2017, L 154, S. 1.


12      ABl. 2015, L 336, S. 1.


13      ABl. 2001, L 311, S. 67.


14      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette (ABl. 2011, L 174, S. 74).


15      ABl. 2016, L 32, S. 1.


16      Im Folgenden: Urteil Bristol-Myers Squibb u. a.


17      Im Folgenden: Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2007.


18      Diese Gliederung der in den vorliegenden Rechtssachen aufgeworfenen Rechtsfragen sowie der Vorlagefragen weicht zwar in gewissem Maß vom Wortlaut dieser Fragen ab, erscheint mir aber sinnvoll, um die komplexe Materie der vorliegenden Rechtssachen zu verdeutlichen und die nachfolgenden Überlegungen zu strukturieren.


19      Vgl. Art. 54, 59, 62 und 63 der Richtlinie 2001/83.


20      Ob sich eine solche Priorität aus dem Markenrecht ergibt, ist der Kern der mit den vorliegenden Rechtssachen aufgeworfenen zweiten Rechtsfrage (siehe Nrn. 98 bis 140 der vorliegenden Schlussanträge).


21      Gemäß der Definition in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Delegierten Verordnung 2016/161.


22      Nach Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 sind Parallelhändler, die Arzneimittel umpacken, verpflichtet, eine solche Erlaubnis einzuholen.


23      Im Gegensatz zur Vorrichtung gegen Manipulation scheint das in der Delegierten Verordnung 2016/161 näher geregelte Verfahren zur Ersetzung des individuellen Erkennungsmerkmals unproblematisch zu sein. Die Erörterung in den vorliegenden Rechtssachen konzentriert sich auf die Ersetzung der Vorrichtung gegen Manipulation (siehe jedoch Nrn. 162 bis 169 der vorliegenden Schlussanträge).


24      Das Inhaltsverzeichnis und der Informationsteil der Norm sind kostenlos abrufbar unter der Internetadresse https://www.iso.org/obp/ui/#iso:std:iso:21976:ed-1:v1:fr.


25      In seiner Version 18B. Frühere Versionen bezogen sich auf die ISO-Norm 16679:2014, die durch die Norm 21976:2018 ersetzt wurde.


26      Siehe Nr. 75 der vorliegenden Schlussanträge.


27      Zu dieser vom vorlegenden Gericht ausdrücklich so formulierten Frage ist festzustellen, dass die darin angesprochene Vorrichtung gegen Manipulation nur dazu dient, den Nachweis einer Manipulation des Arzneimittels zu erbringen. Die Überprüfung von Identität und Echtheit des Arzneimittels erfolgt anhand des individuellen Erkennungsmerkmals, das nicht Gegenstand der Frage ist.


28      Zwar werden mit diesen beiden Rechtsakten unterschiedliche Schutzsysteme (Unionsmarken und nationale Marken) begründet, doch sind ihre für die vorliegenden Rechtssachen relevanten Bestimmungen, die gleichlautend formuliert sind, gleich auszulegen. Ich werde sie daher gemeinsam prüfen.


29      Urteil vom 31. Oktober 1974 (16/74, EU:C:1974:115). In der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs wird dieses als „Urteil Winthrop“ bezeichnet.


30      Vgl. Nr. 1 des Tenors.


31      Urteil vom 23. Mai 1978 (102/77, im Folgenden: Urteil Hoffmann-La Roche, EU:C:1978:108, Nr. 1a des Tenors).


32      Urteil Hoffmann-La Roche (Rn. 11).


33      Urteil Hoffmann-La Roche (Rn. 9 und 10).


34      Urteil Hoffmann-La Roche (Nr. 1b des Tenors).


35      Erste Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).


36      Genauer gesagt: aufgrund von Art. 36 des EWG-Vertrags.


37      Vgl. Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 40, 41 und 50).


38      Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 52 bis 56 und Nr. 3 erster Gedankenstrich des Tenors).


39      Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 75 bis 77 und Nr. 3 vierter Gedankenstrich des Tenors).


40      Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 (Rn. 28 bis 31 und Nr. 1 des Tenors).


41      Urteile Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 und vom 22. Dezember 2008, The Wellcome Foundation (C‑276/05, EU:C:2008:756, Rn. 25).


42      Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 55).


43      Urteil Hoffmann-La Roche (Rn. 11).


44      Vgl. u. a. Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 (Rn. 28 bis 31).


45      Hervorhebung nur hier.


46      Urteil vom 31. Oktober 1974, Centrafarm und de Peijper (16/74, EU:C:1974:115, Rn. 20 bis 22).


47      Urteil vom 31. Oktober 1974, Centrafarm und de Peijper (16/74, EU:C:1974:115, Nr. 3 des Tenors).


48      Urteil vom 28. Juli 2011, Orifarm u. a. (C‑400/09 und C‑207/10, EU:C:2011:519, Rn. 34).


49      Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2002 (Rn. 28). Vgl. auch Erwägungsgründe 5 und 29 der Richtlinie 2011/62, in denen klar zwischen den Bestimmungen dieser Richtlinie und den Rechten des geistigen Eigentums differenziert wird.


50      Urteile Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 78) und Boehringer Ingelheim u. a. von 2002 (Rn. 61).


51      Vgl. Urteil Hoffmann-La Roche (Rn. 12), in dem der Gerichtshof „[i]m Hinblick auf das Interesse des [Marken]inhabers daran, dass der Verbraucher nicht über die Herkunft der Ware irregeführt wird“, die Voraussetzung der vorherigen Unterrichtung aufgestellt hat.


52      Siehe Nrn. 79 und 80 der vorliegenden Schlussanträge.


53      Urteile vom 23. April 2002, Merck, Sharp & Dohme (C‑443/99, EU:C:2002:245, Rn. 31), und Boehringer Ingelheim u. a. von 2002 (Rn. 52).


54      Vereinfacht ausgedrückt, geht es darum, ob der Parallelhändler die Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Originalverpackung nach deren Neuetikettierung anführen kann, um das Umpacken in eine neue Verpackung vorzunehmen, ohne dass sich der Markeninhaber dem widersetzen könnte.


55      Siehe Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge.


56      Offensichtlich geht es nicht um die Packungsbeilage, die sich in der Verpackung befindet.


57      Dies umfasst meines Erachtens die Vorschriften der Delegierten Verordnung 2016/161, da die Ermächtigung zum Erlass dieser Verordnung ebenfalls in Titel V der Richtlinie 2001/83 geregelt ist.


58      Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Delegierten Verordnung 2016/161.


59      Art. 4 Buchst. b Ziff. iii der Delegierten Verordnung 2016/161.


60      Gemäß Art. 47a der Richtlinie 2001/83 und den Art. 16 und 17 der Delegierten Verordnung 2016/161.


61      Während nach dem französischen Wortlaut dieser Bestimmung die Betonung hauptsächlich auf der Beschaffenheit der Oberfläche zu liegen scheint, auf die der Barcode aufzudrucken ist, heißt es in den anderen Sprachfassungen, insbesondere in der spanischen, der deutschen, der englischen oder der polnischen Fassung, eindeutig, dass er „auf der Verpackung“ aufgedruckt sein muss.


62      Hervorhebung nur hier.


63      Frage 2.21.


64      Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Nr. 1 des Tenors).


65      Urteile Bristol-Myers Squibb u. a. (Nr. 3 des Tenors) und Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 (Nr. 1 des Tenors).


66      Urteil vom 10. September 2002, Ferring (C‑172/00, EU:C:2002:474, Rn. 21 und 22).


67      Urteil Hoffmann-La Roche (Rn. 10).


68      Art. 55 der Richtlinie 2001/83.


69      Rn. 48.


70      Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Nr. 3 des Tenors).


71      Urteil Boehringer Ingelheim u. a. von 2007 (Nr. 4 des Tenors).


72      Urteil vom 8. Juli 2010, Portakabin (C‑558/08, EU:C:2010:416).


73      Urteil vom 8. Juli 2010, Portakabin (C‑558/08, EU:C:2010:416, Rn. 86).


74      Urteil vom 8. Juli 2010, Portakabin (C‑558/08, EU:C:2010:416, Nr. 3 des Tenors).


75      Vgl. u. a. Urteil Bristol-Myers Squibb u. a. (Rn. 48).


76      Siehe Nr. 183 der vorliegenden Schlussanträge.


77      Urteil Boehringer Ingelheim u. a von 2007 (Rn. 38).