Language of document : ECLI:EU:C:2024:76

Rechtssache C334/22

Audi AG

gegen

GQ

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Warszawie)

 Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 25. Januar 2024

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsmarke – Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a bis c – Recht aus der Unionsmarke – Begriff ,Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr‘ – Art. 14 Abs. 1 Buchst. c – Beschränkungen der Wirkungen der Unionsmarke – Recht des Inhabers einer Unionsmarke, sich der Benutzung eines mit der Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Autoersatzteile durch einen Dritten zu widersetzen – Teil eines Kühlergrills, das für die Anbringung eines die Marke eines Automobilherstellers darstellenden Emblems gedacht ist“

1.        Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Rechte aus der Marke – Ziel, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen Automobilherstellern und Verkäufern von nachgebauten Ersatzteilen zu wahren – Analoge Anwendung der sogenannten Reparaturklausel der Verordnung Nr. 6/2002 auf eine Unionsmarke – Ausschluss

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 und 14; Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 110)

(vgl. Rn. 25-29)

2.        Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Rechte aus der Marke – Recht, die Benutzung der Marke zu verbieten – Begriff der Benutzung – Anbringung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens auf Kühlergrills und Einfuhr sowie Angebot dieser Kühlergrills zum Kauf – Zeichen, das in der Form eines Elements dieser Kühlergrills besteht, das für die Anbringung des diese Marke darstellenden Zeichens gedacht ist – Einbeziehung

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a bis c)

(vgl. Rn. 38-40, 49, Tenor 1)

3.        Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Rechte aus der Marke – Recht, einem Dritten die Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens auf Kühlergrills zu verbieten – Zeichen, das in der Form eines Elements dieser Kühlergrills besteht, das für die Anbringung des diese Marke darstellenden Zeichens auf diesen Kühlergrills gedacht ist – Zulässigkeit – Bestehen oder Nichtbestehen einer technischen Möglichkeit, dieses Emblem auf den Kühlergrills zu befestigen, ohne dieses Zeichen auf ihnen anzubringen – Keine Auswirkung

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 14 Abs. 1 Buchst. c)

(vgl. Rn. 53-55, 58, 60, Tenor 2)

Zusammenfassung

In einem Vorabentscheidungsverfahren erläutert der Gerichtshof den Begriff der Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr, wenn ein Dritter Autoersatzteile ohne Zustimmung des Automobilherstellers, der Inhaber einer Unionsmarke ist, importiert und zum Kauf anbietet. Des Weiteren stellt der Gerichtshof den Umfang des ausschließlichen Rechts dieses Herstellers klar, dem Dritten die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für solche Ersatzteile zu verbieten.

GQ ist eine natürliche Person, die über eine Website Autoersatzteile vertreibt. Im Rahmen dieser Tätigkeit machte GQ Werbung für Kühlergrills, die für ältere Fahrzeugmodelle von Audi der 1980er und 1990er Jahre gestaltet und gedacht waren, und bot sie zum Kauf an. Sie enthielten ein Element, das für die Anbringung eines Emblems der Marke des Automobilherstellers Audi gedacht war.

Audi, Inhaber der Unionsbildmarke, die vier sich überlappende Kreise darstellt (im Folgenden: Marke AUDI), erhob beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen), dem vorlegenden Gericht, Klage, um GQ zu verbieten, nachgebaute Kühlergrills mit einem Zeichen, das mit der Marke AUDI identisch oder ihr ähnlich ist, zu bewerben, zu importieren, anzubieten oder zu vermarkten.

Das vorlegende Gericht hat beschlossen, den Gerichtshof zur Auslegung der Verordnung 2017/1001(1) zu befragen, und ersucht um Klarstellung des Begriffs der Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr und des Umfangs des Rechts eines Automobilherstellers, der Inhaber einer Unionsmarke ist, einem Dritten die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Ersatzteile zu verbieten.

Würdigung durch den Gerichtshof

Erstens stellt der Gerichtshof fest, dass eine sogenannte „Reparaturklausel“ wie die im Geschmacksmusterrecht(2) bestehende vom Unionsgesetzgeber in der Verordnung 2017/1001 nicht vorgesehen worden ist, und weist darauf hin, dass diese Klausel das Unionsmarkenrecht unberührt lässt.

Daher kann die sogenannte „Reparaturklausel“ nicht analog angewendet werden, um das Ziel der Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs zwischen Automobilherstellern und Verkäufern von nachgebauten Ersatzteilen zu wahren, da dieses Ziel vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der Verordnung 2017/1001(3) berücksichtigt wurde, und das dem Unionsmarkeninhaber gewährte Recht nicht auf der Grundlage dieser Klausel beschränkt werden(4).

Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die Form des Teils der Kühlergrills, das für die Anbringung des die Marke AUDI darstellenden Emblems gedacht ist, nach Ansicht des vorlegenden Gerichts mit dieser Marke identisch oder ihr ähnlich ist. Diese Form stellt somit ein Zeichen im Sinne der Verordnung 2017/1001 dar(5). Des Weiteren stellt die Anbringung dieses Zeichens auf den Kühlergrills oder ihr Einbau in diese für deren Vermarktung eine Benutzung dar, die unter diese Verordnung(6) fällt, und, soweit GQ Kühlergrills mit diesem Zeichen importiert und zum Kauf anbietet, vollzieht er Formen der Benutzung, die unter diese Verordnung fallen. Die Tatsache, dass dieses Element auf dem Ersatzteil, und zwar dem Kühlergrill, derart angebracht ist, dass das mit der Marke des Fahrzeugherstellers identische oder ihr ähnliche Zeichen für die maßgeblichen Verkehrskreise sichtbar ist, wenn sie dieses Teil sehen, ist geeignet, das Bestehen eines sachlichen Zusammenhangs zwischen diesem Teil, das ein Dritter importiert, für das er Werbung macht und das er zum Kauf anbietet, und dem Inhaber der Marke AUDI zu konkretisieren.

Daher ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der Dritte, der ohne Zustimmung des Automobilherstellers, der Inhaber einer Unionsmarke ist, Ersatzteile, und zwar Kühlergrills für diese Fahrzeuge, importiert und zum Kauf anbietet, die ein Element enthalten, das für die Anbringung des Emblems, das diese Marke wiedergibt, gedacht ist und dessen Form mit dieser Marke identisch oder ihr ähnlich ist, ein Zeichen im geschäftlichen Verkehr in einer Weise benutzt, die eine oder mehrere Funktionen dieser Marke beeinträchtigen kann, was das nationale Gericht prüfen muss.

Drittens hebt der Gerichtshof hervor, dass es sich bei der für den Inhaber einer Marke bestehenden Unmöglichkeit, einem Dritten die Benutzung dieser Marke zu verbieten, falls diese Benutzung notwendig ist, um auf die Bestimmung einer Ware, insbesondere als Zubehör oder Ersatzteil, oder einer Dienstleistung hinzuweisen, und den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht, um einen der Fälle handelt, in denen dem Dritten das ausschließliche Recht aus der Marke nicht entgegengehalten werden kann.

Das Ziel der in diesem Fall angestrebten Begrenzung besteht nämlich darin, es den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen, die die vom Markeninhaber angebotenen Waren oder Dienstleistungen ergänzen, zu erlauben, diese Marke zu benutzen, um das Publikum über die Bestimmung der von ihnen vertriebenen Ware oder angebotenen Dienstleistung, also über den Sachzusammenhang zwischen ihren eigenen Waren und Dienstleistungen und denen des Markeninhabers verständlich und umfassend zu unterrichten.

Wenn ein Zeichen, das mit einer Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist, ein Element eines Autoersatzteils darstellt, das für die Anbringung des Emblems des Herstellers dieser Fahrzeuge auf diesem Ersatzteil gedacht ist und nicht zu Zwecken der Identifizierung oder zum Verweis auf Waren oder Dienstleistungen als die des Inhabers dieser Marke verwendet wird, sondern um so getreu wie möglich eine Ware dieses Inhabers darzustellen, fällt eine solche Benutzung dieser Marke allerdings nicht unter diesen Fall.

Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass der Automobilhersteller, der Inhaber einer Unionsmarke ist, berechtigt ist, einem Dritten(7) die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Autoersatzteile, und zwar Kühlergrills, zu verbieten, wenn dieses Zeichen in der Form eines Elements des Kühlergrills besteht, das für die Anbringung des diese Marke darstellenden Emblems auf diesem Kühlergrill gedacht ist, ohne dass es insoweit von Bedeutung ist, ob es technisch möglich ist, dieses Emblem auf dem Kühlergrill zu befestigen, ohne das Zeichen auf ihm anzubringen.


1      Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).


2      Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1). Gemäß diesem Artikel „besteht für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne des Artikels 19 Absatz 1 mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster“.


3      Art. 14 der Verordnung 2017/1001.


4      Art. 9 dieser Verordnung.


5      Art. 9 Abs. 2 dieser Verordnung.


6      Art. 9 Abs. 3 Buchst. a bis c der Verordnung 2017/1001.


7      Auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001.