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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 8. Dezember 2022(1)

Rechtssache C583/22 PPU

MV,

Beteiligter:

Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2008/675/JI – Art. 3 – Strafrechtliche Verurteilungen in mehreren Mitgliedstaaten – Ermittlung einer Gesamtstrafe – Einbeziehung der Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat – Überschreitung des im nationalen Recht vorgesehenen Höchstmaßes der Gesamtstrafe“






I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof erstmals Gelegenheit, Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI(2) auszulegen, der die schwierige Frage der möglichen Bildung einer Gesamtstrafe(3) im Fall der Begehung mehrerer Straftaten in verschiedenen Mitgliedstaaten(4) betrifft.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Rahmenbeschluss 2008/675

2.        Die Erwägungsgründe 1, 5, 7, 8, 9 und 14 des Rahmenbeschlusses 2008/675 lauten:

„(1)      Die Europäische Union hat sich die Erhaltung und Weiterentwicklung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt. Hierzu müssen Informationen über in den Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen auch außerhalb des Urteilsmitgliedstaats zur Verhinderung neuer Straftaten und im Rahmen neuer Strafverfahren herangezogen werden können.

(5)      Als Grundsatz sollte gelten, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilung mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- oder materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden sollte wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt. Eine Harmonisierung der in den verschiedenen Rechtsordnungen für frühere Verurteilungen vorgesehenen Rechtswirkungen durch diesen Rahmenbeschluss ist jedoch nicht beabsichtigt, und in anderen Mitgliedstaaten ergangene frühere Verurteilungen müssen nur in dem Maße berücksichtigt werden wie im Inland nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilungen.

(7)      Eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung sollte gleichwertige Wirkungen entfalten wie eine im Inland ergangene Entscheidung, und zwar sowohl in der Phase vor dem eigentlichen Strafverfahren als auch während des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung.

(8)      Liegen bei einem Strafverfahren in einem Mitgliedstaat Informationen über eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene frühere Verurteilung vor, so sollte so weit wie möglich vermieden werden, dass die betreffende Person schlechter behandelt wird, als wenn die frühere Verurteilung im Inland ergangen wäre.

(9)      Artikel 3 Absatz 5 sollte, unter anderem in Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 8, dahin gehend ausgelegt werden, dass, wenn das nationale Gericht in dem neuen Strafverfahren bei der Berücksichtigung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen früheren Urteils der Ansicht ist, dass die Verhängung eines bestimmten Strafmaßes im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bezogen auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles dem Straftäter gegenüber unverhältnismäßig streng wäre, und wenn der Zweck der Bestrafung auch durch ein milderes Urteil erreicht werden kann, das einzelstaatliche Gericht das Strafmaß entsprechend verringern kann, falls ein solches Vorgehen in rein innerstaatlichen Fällen möglich gewesen wäre.

(14)      Die Abänderung eines Urteils oder seiner Vollstreckung umfasst unter anderem die Fälle, in denen entsprechend dem innerstaatlichen Recht des zweiten Mitgliedstaats die im früheren Urteil verhängte Strafe in einer anderen Strafe aufgeht oder in diese eingerechnet wird, die dann in dem Maße wirksam zu vollstrecken ist, in dem das erste Urteil nicht schon vollstreckt worden ist oder dessen Vollstreckung dem zweiten Mitgliedstaat nicht übertragen wurde.“

3.        Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses bestimmt:

„In diesem Rahmenbeschluss wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen in einem Mitgliedstaat in einem Strafverfahren gegen eine Person frühere Verurteilungen, die gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind, berücksichtigt werden.“

4.        In Art. 2 des Rahmenbeschlusses wird eine „Verurteilung“ definiert als „jede rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts, mit der eine Person einer Straftat schuldig gesprochen worden ist“.

5.        Art. 3 („Berücksichtigung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Verurteilung in einem neuen Strafverfahren“) des Rahmenbeschlusses sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts in einem Strafverfahren gegen eine Person frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen derselben Person wegen einer anderen Tat, zu denen im Rahmen geltender Rechtsinstrumente über die Rechtshilfe oder den Austausch von Informationen aus Strafregistern Auskünfte eingeholt wurden, in dem Maße berücksichtigt werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen und dass sie mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen.

(2)      Absatz 1 findet auf das Stadium vor dem Strafverfahren, im Strafverfahren selbst und bei der Strafvollstreckung Anwendung, insbesondere im Hinblick auf die anwendbaren Verfahrensvorschriften einschließlich der Vorschriften über die Untersuchungshaft, die rechtliche Einordnung des Tatbestands, Art und Umfang der Strafe sowie die Vollstreckungsvorschriften.

(3)      Die Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen nach Absatz 1 hat nicht die Wirkung, dass frühere Verurteilungen oder Entscheidungen zu ihrer Vollstreckung durch den Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, abgeändert, aufgehoben oder überprüft werden.

(5)      Wurde die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens ist, begangen, bevor die frühere Verurteilung erfolgte oder vollständig vollstreckt wurde, so haben die Absätze 1 und 2 nicht die Wirkung, dass die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anwenden müssen, wenn die Anwendung dieser Vorschriften auf im Ausland ergangene Verurteilungen das Gericht darin einschränken würde, in einem neuen Verfahren eine Strafe zu verhängen.

Die Mitgliedstaaten stellen jedoch sicher, dass ihre Gerichte frühere in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in solchen Fällen auf andere Weise berücksichtigen können.“

B.      Deutsches Recht

6.        Die Bildung von Gesamtstrafen ist in den §§ 53 bis 55 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt.

7.        Abs. 1 von § 53 StGB („Tatmehrheit“) lautet:

„Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.“

8.        § 54 StGB („Bildung der Gesamtstrafe“) sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2)      Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.“

9.        § 55 StGB („Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe“) bestimmt in Abs. 1:

„Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.“

III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

10.      Der im Ausgangsverfahren Angeklagte ist französischer Staatsangehöriger.

11.      Zwischen August 2002 und September 2003 beging er in Frankreich mehrere Straftaten. Am 10. Oktober 2003 entführte er eine Studentin von einem Universitätscampus in Deutschland und vergewaltigte sie.

12.      Am 20. Oktober 2003 wurde der Angeklagte in den Niederlanden aufgrund eines von den französischen Behörden erlassenen Haftbefehls festgenommen und nach knapp sieben Monaten Auslieferungshaft am 17. Mai 2004 nach Frankreich überstellt; dort wurde er inhaftiert.

13.      Am 30. September 2004 wurde der Angeklagte vom Tribunal de grande instance de Gueret (Regionalgericht Gueret, Frankreich) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

14.      Die Cour d’assises du Loir-et-Cher (Schwurgericht Loir-et-Cher) in Blois (Frankreich) verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 29. Februar 2008 eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren. In dieser Strafe gingen weitere Verurteilungen des Angeklagten vom 16. Mai 2008 durch die Cour d’assises de Loire-Atlantique (Schwurgericht Loire-Atlantique) in Nantes (Frankreich) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vom 23. April 2012 durch die Cour d’appel (Berufungsgericht) in Grenoble (Frankreich) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf.

15.      Am 24. Januar 2013 verurteilte die Cour d’assises du Maine-et-Loire (Schwurgericht Maine-et-Loire) in Angers (Frankreich) den Angeklagten zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sieben Jahren.

16.      Alle fünf Verurteilungen betrafen Taten, die der Angeklagte zwischen September 2002 und September 2003 begangen hatte. Von den Freiheitsstrafen wurden 17 Jahre und neun Monate vollstreckt, so dass er sich in Frankreich bis zum 23. Juli 2021 ununterbrochen in Haft befand. An diesem Tag wurde er den deutschen Behörden überstellt.

17.      Seitdem befindet sich der Angeklagte aufgrund eines vom Amtsgericht Freiburg im Breisgau (Deutschland) erlassenen Haftbefehls in Deutschland in Untersuchungshaft.

18.      Am 21. Februar 2022 verurteilte das Landgericht Freiburg im Breisgau (Deutschland) den Angeklagten wegen der am 10. Oktober 2003 in Deutschland begangenen besonders schweren Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Dabei ging es davon aus, dass die der begangenen Tat wirklich angemessene Freiheitsstrafe sieben Jahre betragen würde. Da eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den fünf von französischen Gerichten verhängten Strafen nicht möglich war, setzte das Gericht die von ihm verhängte Strafe jedoch zum Ausgleich um ein Jahr herab.

19.      Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland) eingelegt.

20.      Das vorlegende Gericht hebt erstens hervor, dass die Möglichkeit, gegen den Angeklagten wegen der besonders schweren Vergewaltigung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, eine Freiheitsstrafe zu verhängen, von der Auslegung des durch Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 in Verbindung mit dessen Abs. 5 Unterabs. 1 umgesetzten Grundsatzes der Gleichstellung in anderen Mitgliedstaaten ergangener strafrechtlicher Verurteilungen abhänge.

21.      Würden die Verurteilungen durch französische Gerichte deutschen Verurteilungen gleichgestellt, wäre nach § 55 Abs. 1 StGB aus den Strafen, die die französischen Gerichte verhängt hätten, und der im Ausgangsverfahren verhängten Strafe wegen besonders schwerer Vergewaltigung eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, weil die Vergewaltigung vor den Verurteilungen in Frankreich begangen worden sei.

22.      In diesem Fall wäre auch die in § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB festgelegte Obergrenze des Freiheitsentzugs von 15 Jahren zu berücksichtigen. Diese Obergrenze sei bereits mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren durch die Cour d’assises du Loir-et-Cher (Schwurgericht Loir-et-Cher) in Blois am 29. Februar 2008 erreicht worden. Infolgedessen könnte gegen den Angeklagten wegen der Vergewaltigung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, zwar eine Einzelstrafe verhängt werden, doch bliebe es aufgrund der genannten Obergrenze bei einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Freiheitsentzug, so dass in seinem Fall keine weitere Strafe vollstreckt werden könnte.

23.      Nach ständiger Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts scheide eine Gesamtstrafenbildung mit ausländischen Strafen aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft der ausländischen Verurteilung und die Vollstreckungshoheit des ausländischen Staates aber aus völkerrechtlichen Gründen aus.

24.      Da dies nicht möglich sei, müssten die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 sicherstellen, dass in einem neuen Strafverfahren gegen eine Person frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen wegen anderer Taten in gleichem Maß berücksichtigt würden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland ergangene frühere Verurteilungen. Dies solle verhindern, dass der Betroffene schlechter behandelt werde, als wenn die in Rede stehende frühere strafrechtliche Verurteilung eine innerstaatliche Verurteilung gewesen wäre.

25.      Fraglich sei jedoch, welche Bedeutung Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 zukomme, wonach die Mitgliedstaaten, falls die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens sei, begangen worden sei, bevor die frühere Verurteilung erfolgt oder vollständig vollstreckt worden sei, nicht verpflichtet seien, ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anzuwenden, wenn die Anwendung dieser Vorschriften auf im Ausland ergangene Verurteilungen das Gericht darin einschränken würde, in einem neuen Verfahren eine Strafe zu verhängen.

26.      Daher könne wegen der Tat, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, nur dann eine Strafe verhängt werden, wenn Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen wäre, dass der in dessen Art. 3 Abs. 1 verankerte Gleichheitsgrundsatz unanwendbar sei, wenn die Einbeziehung der in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Strafe zu einer Überschreitung der in § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB festgelegten Obergrenze der Freiheitsstrafe von 15 Jahren führe. Eine solche Auslegung stünde jedoch im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichbehandlung von Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten, da sie bei den letztgenannten Strafen eine Überschreitung der Obergrenze erlauben würde.

27.      Zweitens fragt das vorlegende Gericht für den Fall, dass Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen sein sollte, dass der in dessen Art. 3 Abs. 1 niedergelegte Gleichheitsgrundsatz unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, nach der Auslegung von Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2 des Rahmenbeschlusses.

28.      Im Einzelnen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in der letztgenannten Bestimmung vorgesehene Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Strafe in der Weise vorzunehmen sei, dass der aus der fehlenden Möglichkeit der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe resultierende Nachteil bei der Bemessung der Strafe für die im Inland begangene Straftat konkret auszuweisen und zu begründen sei.

29.      Nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts zu diesem Punkt werde dem Nachteil, der durch die fehlende Möglichkeit der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat entstehe, in der Regel im Rahmen der Strafzumessung durch einen im Ermessen des Tatgerichts stehenden unbezifferten Härteausgleich Rechnung getragen.

30.      Mit den Vorschriften von Art. 3 Abs. 1 und 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 stehe aber allein ein nachvollziehbar begründeter und bezifferter Nachteilsausgleich im Einklang.

31.      Nach diesem Rahmenbeschluss sei die Art und Weise der Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen möglichst weitgehend der Berücksichtigung früherer nationaler Verurteilungen anzugleichen. Um einer Gesamtstrafenbildung, wie sie in den §§ 54 und 55 StGB in Form einer zu beziffernden Bewertung vorgesehen sei, möglichst nahe zu kommen, sei es erforderlich, einen aus der fehlenden Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung resultierenden Nachteil konkret auszuweisen und von der neu zu verhängenden (Gesamt‑)Strafe in Abzug zu bringen.

32.      Ein begründeter und bezifferter Nachteilsausgleich sei nicht nur aus Transparenzgründen unverzichtbar, sondern auch aus Gründen der Nachprüfbarkeit der Straffestsetzung durch das Revisionsgericht. Die schlichte Berücksichtigung eines unbezifferten Ausgleichs als bloßer Gesichtspunkt der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten werde diesem Erfordernis nicht gerecht.

33.      Auf welche Weise das Tatgericht den Ausgleich konkret bestimme, stehe in seinem Ermessen. Es könne den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe ausscheide, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe – unter Bezifferung des abzuziehenden Teils – berücksichtigen oder auch von einer unter Heranziehung der ausländischen Strafe gebildeten „fiktiven Gesamtstrafe“ ausgehen und diese um die ausländische Strafe mindern. Erforderlich sei in diesem Kontext nur, dass der Ausgleich angemessen sei sowie nachvollziehbar begründet und beziffert werde, vergleichbar mit der Gesamtstrafenbildung nach den §§ 54 und 55 StGB.

34.      Im Ausgangsverfahren habe das Landgericht Freiburg im Breisgau bei der Strafzumessung in seinem Urteil nicht berücksichtigt, dass mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren die in § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB festgelegte Obergrenze des Freiheitsentzugs von 15 Jahren überschritten werde. Außerdem habe es nicht angegeben, welches konkrete Kriterium es bei der Berücksichtigung der Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat im Einklang mit Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675 herangezogen habe.

35.      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann angesichts des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 und vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 bei einer an sich bestehenden Gesamtstrafenlage zwischen deutschen und EU-ausländischen Verurteilungen für die inländische Straftat auch dann eine Strafe verhängt werden, wenn eine fiktive Einbeziehung der EU-ausländischen Strafe dazu führen würde, dass das nach deutschem Recht zulässige Höchstmaß für eine Gesamtstrafe bei zeitigen Freiheitsstrafen überschritten würde?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird:

Ist die nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675 vorgesehene Berücksichtigung der EU-ausländischen Strafe in der Weise vorzunehmen, dass der aus der fehlenden Möglichkeit der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe resultierende Nachteil – entsprechend den Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung nach deutschem Recht – bei der Bemessung der Strafe für die inländische Straftat konkret auszuweisen und zu begründen ist?

36.      Die Zweite Kammer des Gerichtshofs hat am 27. September 2022 beschlossen, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 107 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

37.      Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Deutschland) und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

38.      Diese Parteien und der Angeklagte haben an der mündlichen Verhandlung am 14. November 2022 teilgenommen.

IV.    Würdigung

A.      Zur ersten Vorlagefrage

39.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, in einem Strafverfahren gegen eine Person seine nationalen Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen dieser Person in einem anderen Mitgliedstaat wegen anderer zuvor begangener Taten anzuwenden, wenn die Tat, um die es in dem neuen Verfahren geht, vor den früheren Verurteilungen begangen wurde, wobei die Anwendung dieser nationalen Vorschriften dazu führt, dass in dem neuen Verfahren eine Strafe nicht verhängt oder zumindest nicht vollstreckt werden kann(5).

40.      Vorweg weise ich darauf hin, dass nach den Ausführungen des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof und den Angaben in der Vorlageentscheidung die Bildung einer Gesamtstrafe mit einer im Ausland verhängten Strafe nach deutschem Recht aus völkerrechtlichen Gründen nicht zulässig ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt jedoch sicher, dass der Angeklagte dadurch nicht benachteiligt wird, indem sie einen „Härteausgleich“ vorsieht, der es dem Tatrichter ermöglicht, die frühere Verurteilung bei der Festsetzung der Strafe im neuen Verfahren so zu berücksichtigen, wie er es getan hätte, wenn eine Gesamtstrafenbildung im engeren Sinne möglich gewesen wäre.

41.      Ferner ist hervorzuheben, dass nach den Erläuterungen des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof aus dessen Rechtsprechung hervorgeht, dass die im deutschen Recht für Gesamtfreiheitsstrafen vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren grundsätzlich Anwendung findet, wenn der Härteausgleich vorgenommen wird.

42.      Nach diesen Klarstellungen werde ich meine Würdigung mit einigen Vorbemerkungen zum Gegenstand des Rahmenbeschlusses 2008/675 und seinen Auswirkungen auf die Frage der Bildung einer Gesamtstrafe aus Strafen, die in mehreren Mitgliedstaaten verhängt wurden, beginnen, bevor ich mich der Prüfung von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses zuwende, der im Mittelpunkt der ersten Vorlagefrage steht.

1.      Zum Gegenstand des Rahmenbeschlusses 2008/675 und zur Problematik der Gesamtstrafenbildung

43.      Mit dem Rahmenbeschluss 2008/675 wird eine Mindestverpflichtung für die Mitgliedstaaten bezüglich der Berücksichtigung in anderen Mitgliedstaaten ergangener Verurteilungen festgelegt(6). Diese Verpflichtung fügt sich zwanglos in den von der Union geschaffenen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein, in dem es nicht zulässig ist, die Erfassung der strafrechtlichen Vergangenheit einer Person unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat eine Straftat begangen wurde.

44.      Zu diesem Zweck werden die Mitgliedstaaten durch Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 im Licht seines fünften Erwägungsgrundes dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass in einem neuen Strafverfahren, das in einem Mitgliedstaat gegen dieselbe Person wegen einer anderen Straftat durchgeführt wird, zum einen frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in dem Maß berücksichtigt werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen nach innerstaatlichem Recht und dass sie zum anderen mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- oder materiell-rechtlichen Wirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen(7). Im Rahmenbeschluss wird damit der Grundsatz aufgestellt, dass Verurteilungen gleich zu behandeln sind, unabhängig davon, ob sie in nur einem Mitgliedstaat oder in mehreren Mitgliedstaaten ergangen sind.

45.      Es geht somit darum, die strafrechtliche Vergangenheit einer Person in einem Mitgliedstaat zu berücksichtigen, und zwar nicht nur, wie die Kommission ausführt, wenn dies für ihn nachteilig sein kann – ich denke vor allem an Wiederholungstäter –, sondern auch zu ihren Gunsten, insbesondere im Fall von Tatmehrheit, was dazu führen kann, dass anstelle der Einzelstrafen für jede Straftat auf eine Gesamtstrafe erkannt wird.

46.      Die Gesamtstrafenbildung ist nämlich ein Mechanismus, der es erlaubt, die Schwere der Strafe einzudämmen, indem eine bloße Kumulierung der Strafen für mehrere konkurrierende Taten vermieden wird. Die rein mathematische Kumulierung könnte nicht nur Auswirkungen haben, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderliefen, sondern verstieße auch, wie Generalanwalt Richard de la Tour ausführt, gegen eine der wesentlichen Funktionen der Strafe(8). Die Strafe kann nämlich keine reine Vergeltungsfunktion haben, sondern soll auch zur Verhinderung weiterer Straftaten und zur sozialen Wiedereingliederung der Verurteilten dienen. In Fällen von Tatmehrheit gab es aber keine Warnung in Form einer ersten Verurteilung, die ein Bewusstwerden beim Täter fördert, so dass die zu verhängende Strafe entsprechend angepasst werden kann(9).

47.      Die Berücksichtigung früherer Verurteilungen durch das Gericht ermöglicht es ihm somit, insbesondere diese Situationen zu erfassen und nach den Bestimmungen seines nationalen Rechts eine Gesamtstrafe für die konkurrierenden Straftaten zu verhängen. Der Rahmenbeschluss 2008/675 lässt die Anwendung solcher Mechanismen in Fällen grenzüberschreitender Tatmehrheit zu. Dazu hat der Gerichtshof entschieden, dass der Rahmenbeschluss auf ein nationales Verfahren anwendbar ist, das die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe – für die Zwecke ihrer Vollstreckung – betrifft, bei der die durch das innerstaatliche Gericht gegen eine Person verhängte Strafe sowie die im Rahmen einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat verhängte Strafe berücksichtigt werden(10).

48.      Die Pflicht zur Berücksichtigung früherer Verurteilungen kann jedoch zu Schwierigkeiten führen, wenn die Verurteilungen im Ausland ergangen sind; daher wird die Tragweite dieser Pflicht in Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 präzisiert.

49.      Nach Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 kann die Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren nicht die Wirkung haben, dass diese früheren Verurteilungen oder Entscheidungen zu deren Vollstreckung durch den Mitgliedstaat, in dem das neue Strafverfahren geführt wird, abgeändert oder aufgehoben werden oder dass die Verurteilungen – die so berücksichtigt werden müssen, wie sie ergangen sind – überprüft werden(11).

50.      Eine solche Klarstellung ist natürlich in Fällen relevant, in denen die Begehung mehrerer Straftaten in einem Mitgliedstaat zur Bildung einer Gesamtstrafe führen kann. Der 14. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 sieht dies im Übrigen ausdrücklich vor, denn dort heißt es, dass Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses die Fälle erfasst, in denen eine in einem früheren Urteil verhängte und noch nicht vollstreckte Strafe in einer anderen, dann wirksam zu vollstreckenden Strafe aufgeht oder in diese eingerechnet wird. In einem solchen Fall hätte nämlich die Bildung einer Gesamtstrafe im Mitgliedstaat des Gerichts, das sie ausspricht, zwangsläufig Auswirkungen auf die Vollstreckung der früheren, von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verhängten Strafe.

51.      Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 beschränkt sich jedoch nicht auf die Frage der Gesamtstrafenbildung. Die Berücksichtigung früherer ausländischer Verurteilungen durch das innerstaatliche Gericht kann nämlich in anderen Fällen Auswirkungen auf diese früheren Verurteilungen haben, z. B. dadurch, dass die Bewährung, zu der die im früheren Urteil verhängte Strafe ausgesetzt ist, aufgehoben und diese Strafe in eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe umgewandelt wird(12).

52.      Es geht somit darum, die Rechtskraft der in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen zu wahren, so dass die Berücksichtigung früherer Verurteilungen nicht zu einem Eingriff des innerstaatlichen Gerichts in das frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Urteil führen darf. Dadurch legt Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 eine allgemeine Grenze für die Pflicht zur Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat erfolgter Verurteilungen fest.

53.      Neben dieser Grenze sieht der Rahmenbeschluss 2008/675 in Art. 3 Abs. 5 ferner vor, dass dessen Abs. 1 und 2, falls die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens ist, begangen wurde, bevor die frühere Verurteilung erfolgte oder vollständig vollstreckt wurde, nicht die Wirkung haben, dass die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anwenden müssen, wenn ihre Anwendung auf im Ausland ergangene Verurteilungen das Gericht darin einschränken würde, im neuen Verfahren eine Strafe zu verhängen.

2.      Zu Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675

54.      Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 sieht eine Ausnahme von dessen Art. 3 Abs. 1 vor.

55.      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nämlich klar hervor, dass für die Mitgliedstaaten in der von ihr erfassten Situation die in Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 aufgestellte Pflicht, ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anzuwenden, nicht gilt. Mit anderen Worten: Der in Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses vorgesehene Grundsatz der Gleichbehandlung ist nicht anwendbar, wenn die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen auf Verurteilungen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind, das Gericht darin einschränken würde, im neuen Verfahren eine Strafe zu verhängen.

56.      Entgegen dem Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung richtet sich Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 somit an die Mitgliedstaaten und lässt ihnen einen Spielraum hinsichtlich der Möglichkeit, eine Ausnahme von dem in Art. 3 Abs. 1 aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung vorzusehen; falls sich die Mitgliedstaaten für die Anwendung einer solchen Ausnahme entscheiden, müssen sie sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere Verurteilungen im Ausland gleichwohl auf andere Weise berücksichtigen können.

57.      Diese Bestimmung kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens ist, begangen wurde, bevor die frühere Verurteilung erfolgte oder vollständig vollstreckt wurde.

58.      Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, da die Vergewaltigung, um die es im Ausgangsverfahren geht, vor dem Erlass der französischen Urteile begangen wurde. Daraus könnte man, wie es der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und die Kommission tun, ableiten, dass Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 im vorliegenden Fall zur Anwendung kommen und es dem vorlegenden Gericht ermöglichen sollte, die im deutschen Recht vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren für die Gesamtstrafe bei zeitigen Freiheitsstrafen nicht anzuwenden, da eine solche Vorschrift das deutsche Gericht daran hindern würde, gegen den Angeklagten eine vollstreckbare Strafe zu verhängen.

59.      Eine solche Auslegung überzeugt mich jedoch aus den nachstehend dargelegten Gründen nicht.

a)      Die Umsetzung von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 in nationales Recht und die fehlende unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung

60.      In Anbetracht der in den Nrn. 40 und 41 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hielt es der deutsche Gesetzgeber nicht für angebracht, weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/675 zu erlassen, da der Härteausgleich bei ausländischen Verurteilungen es bei einer Auslegung im Einklang mit dem Mechanismus von Art. 3 des Rahmenbeschlusses ermögliche, zu gewährleisten, dass die Person, gegen die in Deutschland ein Strafverfahren durchgeführt worden sei, wegen der Verurteilung durch einen ausländischen Staat nicht gegenüber einer Person mit mehreren Verurteilungen in nur einem Mitgliedstaat benachteiligt werde(13).

61.      Nach ständiger Rechtsprechung müssen jedoch die Bestimmungen eines Rahmenbeschlusses, der Rechte für den Einzelnen begründen soll, mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der erforderlichen Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit Genüge zu tun, das es gebietet, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von ihren Rechten in vollem Umfang Kenntnis zu erlangen(14).

62.      Diese Erfordernisse der unbestreitbaren Verbindlichkeit, der Konkretheit und der Klarheit gelten erst recht im Bereich des Strafrechts für Fälle, in denen die Bestimmungen eines Rahmenbeschlusses die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Angeklagten verschärfen können.

63.      Insoweit weise ich darauf hin, dass der im deutschen Recht vorgesehene Härteausgleich den Angeklagten in einem Strafverfahren begünstigt, da er eine Berücksichtigung seiner früheren Verurteilungen mit dem Ziel ermöglicht, die gegen ihn zu verhängende Strafe anzupassen. Da Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 es dem innerstaatlichen Gericht erlaubt, von diesem Ausgleich abzusehen, wirkt er sich nachteilig auf die Situation des Angeklagten aus.

64.      Im vorliegenden Fall ist, obwohl Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 u. a. zu einer Verschlechterung der Situation der im Rahmen eines Strafverfahrens Angeklagten führt, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs uneinheitlich. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat verschiedene Urteile angeführt, von denen einige die Obergrenze von 15 Jahren einhielten, andere hingegen nicht(15).

65.      Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt daher keine hinreichende Maßnahme zur Umsetzung von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dar(16).

66.      Da der Rahmenbeschluss 2008/675 auf der Grundlage des ehemaligen dritten Pfeilers der Union, u. a. gemäß Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EU, erlassen wurde, haben seine Bestimmungen keine unmittelbare Wirkung. Nach dieser Bestimmung sind zum einen die Rahmenbeschlüsse für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel, und zum anderen sind die Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar wirksam(17).

67.      Mangels unmittelbarer Wirkung von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 kann diese Bestimmung daher nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es dem nationalen Gericht erlaubt, die im deutschen Recht für Gesamtfreiheitsstrafen vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren nicht anzuwenden.

b)      Die Pflicht zu einer mit dem Rahmenbeschluss 2008/675 im Einklang stehenden Auslegung und ihre Grenzen

68.      Auch wenn die Rahmenbeschlüsse keine unmittelbare Wirkung haben, besteht aufgrund ihres zwingenden Charakters nach Ablauf ihrer Umsetzungsfrist für die nationalen Behörden gleichwohl eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ihres innerstaatlichen Rechts(18).

69.      Die Behörden müssen das innerstaatliche Recht bei seiner Anwendung daher so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und des Zwecks des Rahmenbeschlusses auslegen, um das darin festgelegte Ziel zu erreichen(19).

70.      Da die Anwendung der im deutschen Recht vorgesehenen Obergrenze von 15 Jahren für Gesamtfreiheitsstrafen zur Folge hätte, dass die Befugnis der Gerichte zur Verhängung einer Strafe im Rahmen bei ihnen anhängiger Verfahren eingeschränkt würde, könnte die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des deutschen Rechts sie dazu veranlassen, diese Obergrenze nicht anzuwenden, sondern frühere ausländische Verurteilungen auf andere Weise zu berücksichtigen.

71.      Der Grundsatz der rahmenbeschlusskonformen Auslegung gilt jedoch nicht schrankenlos. So stehen die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot, u. a. dem entgegen, dass die Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung dazu führt, dass auf der Grundlage eines Rahmenbeschlusses, unabhängig von einem zu seiner Umsetzung erlassenen Gesetz, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Straftätern festgelegt oder verschärft wird(20).

72.      Genau dies scheint mir aber bei Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 der Fall zu sein, wenn diese Bestimmung dahin auszulegen wäre, dass sie es dem nationalen Gericht erlaubt, sich von der im deutschen Recht vorgesehenen Obergrenze von 15 Jahren für Gesamtfreiheitsstrafen zu lösen. In einem solchen Fall würde die Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung nämlich zu einer Verschlechterung der strafrechtlichen Situation des Betroffenen im Vergleich zu der Situation, in der er sich nach nationalem Recht befunden hätte, führen, denn ihm würde der mit dieser Obergrenze von 15 Jahren verbundene Vorteil genommen.

73.      Insoweit bedarf der Klarstellung, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zwar die Verschärfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Straftäters betrifft, aber dies scheint mir nicht auszuschließen, dass sie auch Situationen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betrifft, in der die Bestimmung eines Rahmenbeschlusses nicht die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betreffenden als solche verschärft, sondern die gegen ihn verhängte Strafe.

74.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs beruht nämlich u. a. auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit(21), dem im Strafrecht besondere Bedeutung zukommt und dessen Tragweite sich nicht auf die Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Einzelnen beschränkt, sondern auch auf die Wirkungen einer solchen Verantwortlichkeit erstreckt, zu denen in erster Linie die Strafe gehört, die gegen ihn verhängt werden kann. Der Gerichtshof erkennt dies im Übrigen selbst an, denn er prüft bei der Anwendung dieser Rechtsprechung nicht nur, ob die im konkreten Fall in Rede stehende Bestimmung des Rahmenbeschlusses dazu führt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen festzulegen oder zu verschärfen, sondern auch, ob sie zur Folge hat, „zu seinen Lasten die Dauer der Sanktion zu verändern“(22).

75.      Unter diesen Umständen darf der Grundsatz, dass das nationale Recht im Einklang mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2008/675 auszulegen ist, nicht dazu führen, dass sich das nationale Gericht von der Obergrenze von 15 Jahren lösen kann, die im nationalen Recht für die auf der Grundlage des Härteausgleichs verhängten Gesamtfreiheitsstrafen vorgesehen ist.

c)      Die mangelnde Präzision des nationalen Rechts in Bezug auf das Bestehen einer Obergrenze für Gesamtfreiheitsstrafen, resultierend aus der Anwendung des Härteausgleichs

76.      Die soeben vorgenommene Analyse beruht auf der Prämisse, dass in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Erfordernis der Einhaltung einer Obergrenze von 15 Jahren für Gesamtfreiheitsstrafen, das im Bereich der Gesamtstrafenbildung besteht, auf den Härteausgleich übertragen wird. Nur soweit das deutsche Recht selbst vorsieht, dass eine solche Obergrenze beim Zusammentreffen in mehreren Mitgliedstaaten begangener Straftaten anzuwenden ist, ist Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 nämlich dahin auszulegen, dass er es nicht erlaubt, sich davon zu lösen.

77.      Hervorzuheben ist jedoch, dass die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung Zweifel daran geweckt haben, ob eine solche Obergrenze von 15 Jahren auch für den Härteausgleich gilt; der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat sowohl angegeben, dass diese Obergrenze nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Härteausgleich gelte, als auch, dass eine solche Obergrenze nicht angewandt werden könne und im Übrigen nie angewandt worden sei. Außerdem ergibt sich aus der Vorgeschichte des Ausgangsverfahrens, dass das erstinstanzliche Gericht die Anwendung einer solchen Obergrenze abgelehnt hat. Es steht daher nicht zweifelsfrei fest, dass das deutsche Recht die Anwendung der Obergrenze von 15 Jahren bei der Verhängung einer Gesamtstrafe im Rahmen der Durchführung des Härteausgleichs vorsieht.

78.      Ist eine solche Obergrenze im deutschen Recht in Bezug auf den Härteausgleich nicht vorgesehen, könnte die rahmenbeschlusskonforme Auslegung der Bestimmungen des nationalen Rechts im Licht von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 zu einem anderen als dem von mir vorgeschlagenen Ergebnis führen.

79.      Unter diesen Umständen wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob die im deutschen Recht für Gesamtfreiheitsstrafen vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren bei der Durchführung des Härteausgleichs anwendbar ist.

80.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich meines Erachtens, dass Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, wenn es keine Maßnahmen zur Umsetzung dieser Bestimmung gibt und soweit das nationale Recht im Fall der Berücksichtigung von Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat eine Obergrenze für die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsieht, verpflichtet ist, in einem Strafverfahren gegen eine Person seine nationalen Vorschriften unter Berücksichtigung früherer ausländischer Verurteilungen dieser Person wegen anderer zuvor begangener Taten anzuwenden, wenn die Tat, um die es in dem neuen Verfahren geht, vor den früheren Verurteilungen begangen wurde; dies gilt auch dann, wenn die Anwendung dieser nationalen Vorschriften dazu führt, dass in dem neuen Verfahren eine Strafe nicht verhängt oder zumindest nicht vollstreckt werden kann.

B.      Zur zweiten Vorlagefrage

81.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675, falls ein Mitgliedstaat nicht aufgrund von Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 1 verpflichtet ist, seine nationalen Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat anzuwenden, dahin auszulegen ist, dass die dort vorgesehene Berücksichtigung früherer, in anderen Mitgliedstaaten ergangener Verurteilungen auf andere Weise vom nationalen Gericht verlangt, bei der Bemessung der Strafe für die im Inland begangene Tat klar und beziffert darzulegen, welcher Nachteil sich daraus ergibt, dass es nicht möglich ist, nach den nationalen Vorschriften eine Gesamtstrafe zu bilden.

82.      Angesichts meiner Würdigung der ersten Vorlagefrage braucht diese zweite Frage nicht beantwortet zu werden. Gleichwohl werde ich sie der Vollständigkeit halber – für den Fall, dass der Gerichtshof meine Analyse nicht teilen sollte – prüfen.

83.      Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten, wenn Unterabs. 1 dieser Bestimmung zur Anwendung kommt, der es dem nationalen Gericht gestattet, abweichend von dem in Art. 3 Abs. 1 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung bei Tatmehrheit eine frühere Verurteilung unberücksichtigt zu lassen, gleichwohl sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere Verurteilungen auf andere Weise berücksichtigen können.

84.      Mit anderen Worten sorgt Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dafür, dass auch in Fällen, in denen frühere im Ausland ergangene Verurteilungen nicht berücksichtigt werden, die strafrechtliche Vergangenheit der Person, um die es in dem neuen Verfahren geht, nicht außer Acht gelassen wird, damit mangels strikter Gleichbehandlung eine gewisse Form des Ausgleichs gewährleistet ist.

85.      Wie die Kommission und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ausführen, stellt diese Bestimmung hingegen keine Anforderungen an die konkreten Modalitäten dieser alternativen Berücksichtigung, insbesondere hinsichtlich der Bezifferung der verhängten Strafe. Diese Frage bleibt daher der Beurteilung durch die in dieser Bestimmung genannten Gerichte der Mitgliedstaaten überlassen, ohne dass aus Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 ein anderes Erfordernis abgeleitet werden könnte als das einer Berücksichtigung zum Ausgleich der Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

86.      Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Berücksichtigung früherer, in anderen Mitgliedstaaten ergangener Verurteilungen auf andere Weise vom nationalen Gericht nicht verlangt, bei der Bemessung der Strafe für die im Inland begangene Tat klar und beziffert darzulegen, welcher Nachteil sich daraus ergibt, dass es nicht möglich ist, nach den nationalen Vorschriften eine Gesamtstrafe zu bilden.

V.      Ergebnis

87.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren

ist dahin auszulegen, dass

ein Mitgliedstaat, wenn es keine Maßnahmen zur Umsetzung dieser Bestimmung gibt und soweit das nationale Recht im Fall der Berücksichtigung von Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat eine Obergrenze für die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsieht, verpflichtet ist, in einem Strafverfahren gegen eine Person seine nationalen Vorschriften unter Berücksichtigung früherer ausländischer Verurteilungen dieser Person wegen anderer zuvor begangener Taten anzuwenden, wenn die Tat, um die es in dem neuen Verfahren geht, vor den früheren Verurteilungen begangen wurde; dies gilt auch dann, wenn die Anwendung dieser nationalen Vorschriften dazu führt, dass in dem neuen Verfahren eine Strafe nicht verhängt oder zumindest nicht vollstreckt werden kann.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (ABl. 2008, L 220, S. 32).


3      Im Rahmen der vorliegenden Schlussanträge verstehe ich unter „Bildung einer Gesamtstrafe“ sowohl die Verhängung einer Gesamtstrafe in Höhe der schwersten ursprünglichen Strafe, in der die weniger schwere Strafe aufgeht, als auch die Verhängung einer Gesamtstrafe in Form einer Kombination der Einzelstrafen bis zu einer gewissen Obergrenze.


4      Unter „Begehung mehrerer Straftaten“ verstehe ich eine Situation, in der eine Person, die eine Straftat begangen hat, eine weitere Straftat begeht, bevor sie wegen der ersten Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.


5      Aus der Vorlageentscheidung geht nicht klar hervor, ob die vom vorlegenden Gericht angesprochenen nationalen Vorschriften es daran hindern, wegen der Tat, die Gegenstand des bei ihm anhängigen Strafverfahrens ist, eine Strafe zu verhängen, oder ob eine Strafe verhängt, aber nicht vollstreckt werden könnte. Das vorlegende Gericht führt nämlich sowohl aus, dass bei einer bestimmten Auslegung von Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 durch den Gerichtshof keine Strafe verhängt werden könne, als auch, dass zwar eine Strafe verhängt, aber keine weitere Strafe vollstreckt werden könne. Wie ich darlegen werde, bin ich jedoch der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 1 und 5 des Rahmenbeschlusses in beiden Fällen in gleicher Weise auszulegen ist, so dass die Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage nicht davon abhängt, ob die nationalen Vorschriften nicht nur die Vollstreckung einer in einem neuen Strafverfahren verhängten Strafe verhindern, sondern auch die Verhängung einer solchen Strafe.


6      Dritter Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675.


7      Urteil vom 21. September 2017, Beshkov (C‑171/16, EU:C:2017:710, Rn. 25 und 26).


8      Schlussanträge des Generalanwalts Richard de la Tour in der Rechtssache AV (Gesamturteil) (C‑221/19, EU:C:2020:815, Nr. 35).


9      Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Beshkov (C‑171/16, EU:C:2017:386, Nr. 43)


10      Urteile vom 21. September 2017, Beshkov (C‑171/16, EU:C:2017:710, Rn. 29), und vom 15. April 2021, AV (Gesamturteil) (C‑221/19, EU:C:2021:278, Rn. 52).


11      Urteile vom 21. September 2017, Beshkov (C‑171/16, EU:C:2017:710, Rn. 37 und 44), und vom 15. April 2021, AV (Gesamturteil) (C‑221/19, EU:C:2021:278, Rn. 53).


12      Urteil vom 21. September 2017, Beshkov (C‑171/16, EU:C:2017:710, Rn. 46).


13      Deutscher Bundestag, Drucksache 16/13673 (bundestag.de), S. 5.


14      Urteile vom 24. März 2022, Kommission/Irland (Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/909) (C‑125/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:213, Rn. 21), vom 17. Dezember 2020, Kommission/Ungarn (Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) (C‑808/18, EU:C:2020:1029, Rn. 288), und vom 13. März 1997, Kommission/Frankreich (C‑197/96, EU:C:1997:155, Rn. 15).


15      Im Rahmen des Ausgangsverfahrens hat das erstinstanzliche Gericht bei der Umsetzung des Härteausgleichs die im deutschen Recht vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren für Gesamtfreiheitsstrafen nicht angewandt.


16      Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend umgesetzt wird, da sie die Beachtung der Obergrenze von 15 Jahren bei der Umsetzung des Härteausgleichs unzweifelhaft vorschreibt, könnte dies meines Erachtens das vorlegende Gericht nicht dazu veranlassen, sich über diese Obergrenze hinwegzusetzen. In der genannten Bestimmung heißt es, dass in den von ihr erfassten Fällen „die Absätze 1 und 2 nicht die Wirkung [haben], dass die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anwenden müssen“, und dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere ausländische Verurteilungen in solchen Fällen auf andere Weise berücksichtigen können. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine Umsetzung durch die Gerichte entschieden, die im Fall von Tatmehrheit eine Gesamtstrafenbildung im engeren Sinne ausschließt und zugleich durch den Härteausgleich eine alternative Berücksichtigung durch das Gericht vorsieht, bei der die Obergrenze von 15 Jahren für die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen zur Anwendung kommt. Unter diesen Umständen kann, da die nationale Rechtsprechung Art. 3 Abs. 5 des Rahmenbeschlusses 2008/675 im Rahmen des den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Spielraums strikt umsetzt, diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es den nationalen Gerichten gleichwohl gestattet, die im deutschen Recht vorgesehene Obergrenze von 15 Jahren für Gesamtfreiheitsstrafen nicht anzuwenden.


17      Urteile vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 56), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 69).


18      Urteile vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 58 und 61), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 72).


19      Urteile vom 16. Juni 2005, Pupino (C‑105/03, EU:C:2005:386, Rn. 43), vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 59), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 73).


20      Urteile vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 63 und 64), vom 29. Juni 2017, Popławski (C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 32), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 75).


21      Urteile vom 16. Juni 2005, Pupino (C‑105/03, EU:C:2005:386, Rn. 44), vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 64), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 75).


22      Urteil vom 8. November 2016, Ognyanov (C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 65).