Language of document : ECLI:EU:C:2024:49

Rechtssache C-128/21

Lietuvos notarų rūmai u. a.

gegen

Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas)

 Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 18. Januar 2024

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 101 AEUV – Begriffe ‚Unternehmen‘ und ‚Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen‘ – Beschlüsse der Notarkammer eines Mitgliedstaats zur Festlegung der Methoden für die Berechnung der Gebühren – ‚Bezweckte‘ Beschränkung – Verbot – Kein Rechtfertigungsgrund – Geldbuße – Verhängung gegen die Unternehmensvereinigung und ihre Mitglieder – Zuwiderhandelnder“

1.        Vorlagefragen – Zulässigkeit – Fragen zur Anwendbarkeit des Unionsrechts – Fragen, die den Kern der Rechtssache betreffen – Zulässige Fragen

(Art. 267 AEUV)

(vgl. Rn. 42-44)

2.        Kartelle – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Beurteilungskriterien – Beurteilung auf der Grundlage mehrerer erfüllter Voraussetzungen, die für sich allein genommen nicht unbedingt entscheidend sind – Kartelle, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 48-54)

3.        Wettbewerb – Regeln der Union – Unternehmen – Begriff – Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Begriff – Notartätigkeit – Freiberufliche Tätigkeit – Einbeziehung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 55-59)

4.        Wettbewerb – Regeln der Union – Unternehmen – Begriff – Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Tätigkeiten, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängen – Ausschluss – Notartätigkeiten im Immobilienbereich – Tätigkeiten, die von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse losgelöst werden können – Einbeziehung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 61-68, Tenor 1)

5.        Kartelle – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Begriff der Unternehmensvereinigung – Berufskammer – Beurteilungskriterien – Notarkammer eines Mitgliedstaats – Keine staatliche Beeinflussung oder Kontrolle – Einbeziehung – Nationale Gerichte, die die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der Notarkammer überprüfen können – Unbeachtlichkeit

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 70-82)

6.        Kartelle – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Begriff – Von der Notarkammer eines Mitgliedstaats erlassene Vorschriften zur Vereinheitlichung der Berechnung der Notargebühren – Verbindlichkeit – Einbeziehung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 83-87, Tenor 2)

7.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Beschränkungen – Bezweckte Beschränkung – Hinreichende Beeinträchtigung – Hinreichende Feststellung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 91-93)

8.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Vorschriften, die einen Mechanismus zur Berechnung der Höhe der Gebühren der Notare vorsehen, der den Notaren vorschreibt, für bestimmte Tätigkeiten den Höchstpreis zu verlangen – Horizontale Preisfestsetzung – Bezweckte Beschränkung

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 94-96, 104, 105, Tenor 3)

9.        Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen – Vorschriften, die einen Mechanismus zur Berechnung der Höhe der Gebühren der Notare vorsehen, der den Notaren vorschreibt, für bestimmte Tätigkeiten den Höchstpreis zu verlangen – Rechtfertigung durch berechtigte öffentliche Interessen – Voraussetzung – Keine bezweckte Beschränkung – Freistellung – Voraussetzungen

(Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV)

(vgl. Rn. 97-103)

10.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter – Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 109-112)

11.      Wettbewerb – Regeln der Union – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Unternehmensvereinigungen – Zurechnung der Zuwiderhandlung an die zuwiderhandelnde Unternehmensvereinigung und an die Unternehmen, die Mitglieder des Leitungsorgans dieser Vereinigung sind – Unternehmen, die an der Zuwiderhandlung nur als Mitglieder dieser Vereinigung beteiligt waren – Unzulässigkeit – Rechtfertigung durch den abschreckenden Charakter der Geldbuße – Ausschluss

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 113-121, 129, Tenor 4)

12.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter – Umsatz, der berücksichtigt werden kann – Umsatz sämtlicher Unternehmen, die Mitglieder einer Unternehmensvereinigung sind – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

(vgl. Rn. 123-128)

Zusammenfassung

Der Gerichtshof hat auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens, im Folgenden: vorlegendes Gericht) klargestellt, inwieweit Beschlüsse eines Berufsverbands wie der Notarkammer eines Mitgliedstaats, mit denen die Berechnung der Höhe der für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Notare fälligen Gebühren geregelt werden soll, unter das in Art. 101 AEUV aufgestellte Verbot wettbewerbsbeschränkender Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen fallen. Des Weiteren hat der Gerichtshof klargestellt, unter welchen Voraussetzungen die Mitglieder eines solchen Verbands für eine von diesem begangene Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht haften.

Im vorliegenden Fall hat das Leitungsorgan der Notarkammer von Litauen, das Präsidium, Vorschriften zur Erläuterung der Methoden zur Berechnung der Gebühren erlassen, die die Notare für die Ausübung bestimmter ihrer Tätigkeiten(1) verlangen können (im Folgenden: Erläuterungen). Nach diesen Erläuterungen wird die Höhe der von den Notaren in Rechnung gestellten Gebühren auf den höchsten Betrag der Preisspanne festgesetzt, die in der vom Justizminister der Republik Litauen erlassenen vorläufigen Gebührenordnung vorgesehen ist.

Da der Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba (Wettbewerbsrat der Republik Litauen, im Folgenden: Wettbewerbsrat) die Ansicht vertrat, dass die Notarkammer, die über ihr Leitungsorgan, nämlich das Präsidium, gehandelt habe, und dessen Mitglieder durch den Erlass dieser Erläuterungen mittelbar die Höhe der von den Notaren in Rechnung gestellten Gebühren festgesetzt hätten und damit u. a. gegen Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV verstoßen hätten, verhängte er mit Entscheidung vom 26. April 2018 Geldbußen gegen die Notarkammer und die acht dem Präsidium angehörenden Notare.

Der Aufhebungsklage der Adressaten dieser Entscheidung wurde in erster Instanz teilweise stattgegeben. Der Wettbewerbsrat legte daraufhin gegen das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Im Wesentlichen möchte das vorlegende Gericht mit diesen Fragen zunächst wissen, ob die Notare der Republik Litauen, wenn sie die von den fraglichen Erläuterungen erfassten Tätigkeiten ausüben, als „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV anzusehen sind, sodann, falls dies zu bejahen ist, ob die Erläuterungen als wettbewerbsbeschränkende Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung einzustufen sind, und schließlich, ob, falls eine solche Einstufung vorgenommen werden sollte, Geldbußen sowohl gegen die Notarkammer als auch gegen jeden Notar, der ihrem Präsidium angehört, verhängt werden können.

Würdigung durch den Gerichtshof

Vorab prüft der Gerichtshof, ob die Anwendung von Art. 101 AEUV auf das Ausgangsverfahren von vornherein auszuschließen ist, weil die Erläuterungen, wie die Notarkammer und die litauische Regierung geltend machen, nicht geeignet seien, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Erläuterungen für das gesamte Hoheitsgebiet der Republik Litauen gelten, da sie Beschlüsse der Notarkammer sind, die für alle in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Notare verbindlich sind. Sie könnten also dazu führen, dass Abschottungen auf nationaler Ebene verfestigt werden und somit die vom AEU-Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert wird. Im Übrigen ist der Begriff „Handel zwischen Mitgliedstaaten“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht auf den grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen beschränkt, sondern hat eine umfassendere Bedeutung, die jede grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit einschließlich der Niederlassung erfasst. Auch wenn ein Notar grundsätzlich keine Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem er niedergelassen ist, erbringen könnte, ändert dies nichts daran, dass auf den Notarberuf die Niederlassungsfreiheit anwendbar ist. Vorschriften wie die Erläuterungen, die einen grundlegenden Aspekt der Ausübung dieses Berufs im fraglichen Mitgliedstaat betreffen, sind dabei grundsätzlich geeignet, die Entscheidung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, sich zur Ausübung dieses Berufs in diesem Mitgliedstaat niederzulassen, erheblich zu beeinflussen. Außerdem können Angehörige anderer Mitgliedstaaten als der Republik Litauen Dienstleistungen der in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Notare in Anspruch nehmen. Folglich wären die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erläuterungen, sofern sie als Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder als Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV einzustufen sein sollten, geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne dieser Bestimmung zu beeinträchtigen.

Nach dieser Klarstellung befasst sich der Gerichtshof in einem ersten Schritt mit der Frage, ob Art. 101 AEUV in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens angewandt werden kann. Zu diesem Zweck prüft er erstens, ob die Notare als Unternehmen eingestuft werden können, zweitens, ob die Notarkammer als Unternehmensvereinigung anzusehen ist, und drittens, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erläuterungen als Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung anzusehen sind.

Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassene Notare als Unternehmen einzustufen sind, wenn sie Tätigkeiten wie die von den Erläuterungen erfassten ausüben. Da Notare nämlich eine freiberufliche Tätigkeit ausüben, deren Schwerpunkt die Erbringung verschiedener entgeltlicher Dienstleistungen bildet, üben sie grundsätzlich eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden(2), dass Tätigkeiten wie die von den Erläuterungen erfassten(3) nicht unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse, die keinen wirtschaftlichen Charakter hat, verbunden sind.

Sodann ist die Notarkammer eine Unternehmensvereinigung und kein Organ der öffentlichen Gewalt. Angesichts der ihr übertragenen Aufgaben weist sie die Merkmale einer Organisation zur Regelung des Berufs auf, für die als solche die Wettbewerbsregeln gelten. Im Übrigen besteht das Präsidium ausschließlich aus Angehörigen dieses Berufs, die nur von ihren Kollegen gewählt werden, wobei der litauische Staat offenbar weder auf die Bestellung dieser Berufsangehörigen noch auf den Erlass der Beschlüsse des Präsidiums Einfluss nimmt. Des Weiteren bedeutet der bloße Umstand, dass die litauischen Gerichte die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der Notarkammer überprüfen können, nicht, dass diese Kammer unter der wirksamen Kontrolle des Staates handelt.

Schließlich handelt es sich bei Regeln wie den Erläuterungen um Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung, d. h. um Beschlüsse, in denen der Wille der Vertreter eines Berufsstands zum Ausdruck kommt, die Angehörigen dieses Berufsstands bei ihrer Wirtschaftstätigkeit zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Im Übrigen ist die Festsetzung des Preises durch einen verbindlichen Rechtsakt als Beschluss im Sinne von Art. 101 AEUV anzusehen.

In einem zweiten Schritt prüft der Gerichtshof, nachdem er festgestellt hat, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erläuterungen als Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen eingestuft werden können, ob sie unter das in Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellte Verbot fallen.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erläuterungen unter das in Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellte Verbot fallen, da sie als eine nach dieser Bestimmung verbotene „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden können. Ein Mechanismus zur Berechnung der Höhe der Gebühren, wie er in den Erläuterungen vorgesehen ist, führt nämlich gerade zu einer horizontalen Festsetzung der Preise für die betreffenden Dienstleistungen.

Insoweit kann das Vorbringen der Notarkammer und der litauischen Regierung, wonach mit diesen Erläuterungen berechtigte Ziele verfolgt würden, im vorliegenden Fall keinen Erfolg haben. Zwar ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus dem Urteil Wouters u. a.(4), dass bestimmte wettbewerbswidrige Verhaltensweisen als durch die Verfolgung legitimer Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigt angesehen werden können, sofern diese Verhaltensweisen als solche keinen wettbewerbswidrigen Charakter haben und sofern die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit der zu diesem Zweck eingesetzten Mittel ordnungsgemäß nachgewiesen worden sind. Diese Rechtsprechung findet jedoch keine Anwendung auf Verhaltensweisen, die einen Grad an Schädlichkeit aufweisen, der die Annahme rechtfertigt, dass sie die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 AEUV „bezwecken“. Angesichts solcher Verhaltensweisen kann nur die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV geltend gemacht werden, sofern alle in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

In einem dritten Schritt prüft der Gerichtshof die Frage, ob der Wettbewerbsrat eine Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV gegen die Notarkammer als Unternehmensvereinigung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, sowie gegen jeden Notar, der Mitglied des Leitungsorgans dieser Vereinigung ist, verhängen darf.

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden, falls das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV erwiesen ist, grundsätzlich eine Geldbuße gegen den Zuwiderhandelnden verhängen müssen, die hinreichend abschreckend und verhältnismäßig ist. Nach dieser Bestimmung kann einer „Unternehmensvereinigung“ wie der Notarkammer eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung zuzurechnen sein.

Im vorliegenden Fall lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass die vom Wettbewerbsrat festgestellte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV im Erlass der Erläuterungen durch Beschluss des Präsidiums der Notarkammer besteht. Die Beschlüsse des Präsidiums sind für die Notarkammer verbindlich, so dass diese Beschlüsse als Beschlüsse der Notarkammer selbst anzusehen sind. Daraus folgt, dass davon auszugehen ist, dass die vom Wettbewerbsrat im Ausgangsverfahren festgestellte Zuwiderhandlung von der Notarkammer begangen wurde.

Die Notare, aus denen sich das Präsidium zusammensetzt, haben offenbar nur in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Präsidiums gehandelt, ohne in anderer Weise an der festgestellten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen zu sein. Der Wettbewerbsrat hatte jedoch gegen die Mitglieder des Präsidiums individuelle Geldbußen verhängt, um die abschreckende Wirkung der wegen dieser Zuwiderhandlung verhängten Sanktionen sicherzustellen, denn das damals geltende litauische Recht habe es nicht erlaubt, allein gegen die Notarkammer eine Geldbuße zu verhängen, die hoch genug sei, um diese abschreckende Wirkung zu erzielen.

Hierzu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Grundsatz der persönlichen Haftung, der verlangt, dass für eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln nur das Unternehmen sanktioniert wird, das sie begangen hat, diesem Ansatz entgegensteht. Im Übrigen hinderte der Umstand, dass das auf das Ausgangsverfahren anwendbare litauische Recht nicht die Möglichkeit vorsah, den Umsatz der Mitglieder der Notarkammer bei der Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen, die der Wettbewerbsrat gegen die Notarkammer verhängen musste, den Wettbewerbsrat nicht daran, diesen Umsatz zu berücksichtigen. Somit ergibt sich sowohl aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch aus Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003(5), der auch für die Bestimmung der Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden relevant ist, im Wesentlichen, dass insbesondere dann, wenn die von der Unternehmensvereinigung begangene Zuwiderhandlung die Tätigkeiten ihrer Mitglieder betrifft, die gegen die Unternehmensvereinigung zu verhängende Geldbuße, um abschreckend zu sein, anhand des Umsatzes aller der Unternehmensvereinigung angehörenden Unternehmen auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt berechnet werden, selbst wenn diese Unternehmen an der Zuwiderhandlung eigentlich nicht beteiligt waren. Darüber hinaus sieht Art. 23 Abs. 4 dieser Verordnung vor, dass eine Unternehmensvereinigung, wenn gegen sie eine Geldbuße unter Berücksichtigung des Umsatzes ihrer Mitglieder verhängt wird und sie selbst nicht zahlungsfähig ist, verpflichtet ist, von ihren Mitgliedern Beiträge zur Deckung des Betrags dieser Geldbuße zu fordern, und dass die Europäische Kommission unter bestimmten Voraussetzungen die Zahlung der Geldbuße unmittelbar von jedem Unternehmen verlangen kann, dessen Vertreter Mitglieder in den betreffenden Entscheidungsgremien der Vereinigung waren, und dann von jedem Mitglied der Vereinigung, das auf dem Markt tätig war, auf dem die Zuwiderhandlung erfolgte.

Daraus folgt, dass es einer nationalen Wettbewerbsbehörde verwehrt ist, individuelle Geldbußen gegen die Unternehmen zu verhängen, die Mitglieder des Leitungsorgans der zuwiderhandelnden Unternehmensvereinigung sind, wenn diese Unternehmen an der Zuwiderhandlung nicht beteiligt waren.


1      Dabei handelt es sich um folgende Tätigkeiten:


      - die Beurkundung von grundpfandrechtlichen Vorgängen und die Erteilung einer Vollstreckungsklausel in Fällen, in denen die Parteien den Wert des mit einem Grundpfandrecht belasteten Grundstücks nicht angegeben haben, sowie in Fällen, in denen eine Vielzahl von Grundstücken durch einen einzigen grundpfandrechtlichen Vorgang mit einem Grundpfandrecht belastet wird;


      - die Ausfertigung notarieller Urkunden, Ausarbeitung von Rechtsgeschäften und Erbringung von beratenden und technischen Dienstleistungen in Fällen, in denen eine Dienstbarkeit mit einem einzigen Vertrag für eine Vielzahl von Grundstücken begründet wird;


      - die Beglaubigung eines Tauschvertrags in Fällen, in denen Teile unterschiedlicher Vermögenswerte durch Vertrag gegeneinander ausgetauscht werden.


2      Vgl. in diesem Sinne: Urteil vom 1. Februar 2017, Kommission/Ungarn (C-392/15, EU:C:2017:73, Rn. 119 und 120 sowie 125 bis 127), Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Frankreich (C-50/08, EU:C:2011:335, Rn. 97), Urteil vom 1. Dezember 2011, Kommission/Niederlande (C-157/09, EU:C:2011:794, Rn. 72).


3      Das heißt die notarielle Beurkundung von Rechtsgeschäften, die von den Parteien aus freien Stücken eingegangene einseitige Verpflichtungen oder Verträge zum Gegenstand haben, die Bestellung von Hypotheken, die bloße Anbringung der Vollstreckungsklausel sowie die Ausarbeitung von Rechtsgeschäften, die Beratung und die Erbringung technischer Dienstleistungen durch die Notare.


4      Urteil vom 19. Februar 2002, Wouters u. a. (C-309/99, EU:C:2002:98).


5      Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).