Language of document : ECLI:EU:C:2023:887

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 16. November 2023(1)

Rechtssache C14/23 [Perle](i)

XXX

gegen

État belge, vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Einwanderungspolitik – Richtlinie (EU) 2016/801 – Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken – Art. 20 Abs. 2 Buchst. f – Fakultativer Grund für die Ablehnung des Antrags auf Zulassung – Antrag, mit dem andere Zwecke verfolgt werden – Art und Weise der Prüfung – Berücksichtigung der Absicht des Antragstellers, ein Studium zu absolvieren – Fehlende Umsetzung – Art. 34 Abs. 5 – Verfahrensgarantien – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Umfang der Befugnisse der mit einem Rechtsbehelf befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichte – Fehlende Abänderungsbefugnis“






I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen, die ihr Studium an einer Hochschuleinrichtung in einem Mitgliedstaat absolvieren möchten, sowie die Verfahrensgarantien, die diesen Personen nach der Richtlinie (EU) 2016/801(2) zustehen, zu präzisieren.

2.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer kamerunischen Staatsangehörigen und dem belgischen Staat, vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration (Staatssekretärin für Asyl und Migration), über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des belgischen Staates, ihr das beantragte Visum zu verweigern, weil sie nicht die Absicht habe, in Belgien zu studieren. Zwar räumt Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, einen solchen Antrag abzulehnen, wenn Beweise oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt; ein solcher Ablehnungsgrund war jedoch in den auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren belgischen Rechtsvorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen.

3.        Im Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya(3), zur Auslegung der Richtlinie 2004/114/EG(4) hatte der Gerichtshof befunden, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, alle Nachweise zu verlangen, die für die Prüfung der Schlüssigkeit des vom Drittstaatsangehörigen gestellten Antrags erforderlich sind, um jeder missbräuchlichen oder betrügerischen Inanspruchnahme des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen(5). Diese Auslegung beruhte auf einer Prüfung sowohl des Wortlauts der Art. 6 und 7 dieser Richtlinie, die sich auf die allgemeinen und besonderen Bedingungen für die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken beziehen, als auch der allgemeinen Systematik und der Zielsetzung dieser Richtlinie.

4.        Die vorliegende Rechtssache wurde eingeleitet, nachdem die Richtlinie 2004/114 aufgehoben und durch die Richtlinie 2016/801 ersetzt worden war, deren Ziel es ist, diese Bedingungen zu verbessern und zu vereinfachen, die Zügigkeit des Zulassungsverfahrens zu gewährleisten und die Verfahrensrechte von Drittstaatsangehörigen zu stärken.

5.        Der Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) befragt den Gerichtshof zu drei Aspekten des Verfahrens der Zulassung zu Studienzwecken.

6.        Als Erstes ersucht er den Gerichtshof, die Voraussetzungen zu präzisieren, unter denen ein Mitgliedstaat den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Visums zu Studienzwecken (im Folgenden: Aufenthaltstitel „Student“ oder Studentenvisum) mit der Begründung ablehnen kann, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im nationalen Hoheitsgebiet verfolge in Wirklichkeit ein anderes Ziel. Der Gerichtshof hat daher Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 auszulegen und sich insbesondere mit den Strategien zu befassen, die die Mitgliedstaaten in der Phase vor der Einreise eines solchen Staatsangehörigen in das nationale Hoheitsgebiet verfolgen können, um der Gefahr eines Missbrauchs des Aufenthaltstitels „Student“ oder des Studentenvisums entgegenzuwirken. Der vom Europäischen Migrationsnetzwerk (EMN) im März 2022 durchgeführten Studie zufolge hatten zwölf Mitgliedstaaten, darunter das Königreich Belgien, solche Strategien beschlossen(6).

7.        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, aus welchen Gründen ich der Ansicht bin, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums nur ablehnen kann, wenn ihr Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Inland weder dazu dienen noch vorrangig den Zweck verfolgen soll, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zur Erlangung eines von diesem Mitgliedstaat anerkannten Hochschulabschlusses führt.

8.        Als Zweites fragt der Conseil d’État (Staatsrat) den Gerichtshof nach den Einzelheiten der Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801, der eine fakultative Bestimmung darstellt(7), in das innerstaatliche Recht.

9.        In diesem Zusammenhang werde ich erläutern, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz verlangen, dass der Mitgliedstaat, der diese Bestimmung in seine innerstaatliche Rechtsordnung umsetzen will, in einem klaren, genauen und vorhersehbaren rechtlichen Rahmen ausdrücklich vorsieht, dass er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums mit der Begründung ablehnen kann, dass ihm Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt.

10.      Als Drittes und Letztes fragt der Conseil d’État (Staatsrat) den Gerichtshof nach den verfahrensrechtlichen Modalitäten des in Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, mit der der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird, und insbesondere nach dem Umfang der Befugnisse, die den mit diesem Rechtsbehelf befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichten zu diesem Zweck eingeräumt werden müssen.

11.      In diesem Zusammenhang werde ich darlegen, aus welchen Gründen ich der Ansicht bin, dass diese Bestimmung im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(8) dahin auszulegen ist, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Verwaltungsbehörden oder Gerichten, die mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst sind, mit der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird, eine Aufhebungsbefugnis unter Ausschluss einer Abänderungsbefugnis einzuräumen, sofern die neue Entscheidung von der zuständigen Behörde vor dem Beginn des Studienjahrs der Hochschuleinrichtung, bei der der Drittstaatsangehörige ordnungsgemäß eingeschrieben ist, erlassen wird.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

12.      In den Erwägungsgründen 41 und 60 der Richtlinie 2016/801 heißt es:

„(41)      Bestehen Zweifel an den Antragsgründen, sollten die Mitgliedstaaten angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen können, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf … [das] Studium [oder] Praktikum … zu bewerten und dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.

(60)      Jeder Mitgliedstaat sollte sicherstellen, dass der Öffentlichkeit insbesondere über das Internet geeignete und regelmäßig aktualisierte Informationen über die zu den Zwecken dieser Richtlinie zugelassenen aufnehmenden Einrichtungen und über die Bedingungen und Verfahren für die zu den Zwecken dieser Richtlinie erfolgende Zulassung von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden.“

13.      In Art. 3 Nrn. 3 und 21 dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

3.      ‚Studenten‘ Drittstaatsangehörige, die an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen und in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurden, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss wie einem Diplom, Zertifikat oder Doktorgrad von höheren Bildungseinrichtungen führt, einschließlich Vorbereitungskursen für diese Studien gemäß dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats oder eines Pflichtpraktikums;

21.      ‚Aufenthaltstitel‘ eine Aufenthaltserlaubnis oder – falls im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen – ein Visum für den längerfristigen Aufenthalt, die bzw. das zum Zwecke dieser Richtlinie ausgestellt wird“.

14.      Kapitel II („Zulassung“) der Richtlinie 2016/801 enthält die Art. 5 bis 16. Art. 5 („Grundsätze“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger wird nach dieser Richtlinie nur dann zugelassen, wenn sich nach Prüfung der Dokumente zeigt, dass der Drittstaatsangehörige folgende Bedingungen erfüllt:

a)      die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7; und

b)      die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16.

(2)      Die Mitgliedstaaten können von dem Antragsteller verlangen, dass er die Unterlagen nach Absatz 1 in einer Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats oder in einer anderen von diesem Mitgliedstaat bestimmten Amtssprache der [Europäischen] Union vorlegt.

(3)      Wenn alle allgemeinen und einschlägigen besonderen Bedingungen erfüllt sind, hat der Drittstaatsangehörige Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.

Wenn ein Mitgliedstaat lediglich in seinem Hoheitsgebiet Aufenthaltserlaubnisse erteilt und sämtliche Zulassungsbedingungen dieser Richtlinie erfüllt sind, stellt der betreffende Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen das erforderliche Visum aus.“

15.      Art. 7 („Allgemeine Bedingungen“) der Richtlinie 2016/801 sieht vor:

„(1)      In Bezug auf die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen gemäß dieser Richtlinie muss der Antragsteller

a)      ein nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats gültiges Reisedokument und erforderlichenfalls einen Visumantrag oder ein gültiges Visum oder gegebenenfalls eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein gültiges Visum für den längerfristigen Aufenthalt vorlegen; die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Geltungsdauer des Reisedokuments mindestens die Dauer des geplanten Aufenthalts abdeckt;

b)      wenn der Drittstaatsangehörige nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats minderjährig ist, eine Erlaubnis der Eltern oder ein gleichwertiges Dokument für den geplanten Aufenthalt vorlegen;

c)      Nachweise darüber vorlegen, dass der Drittstaatsangehörige über eine Krankenversicherung verfügt oder – falls dies im nationalen Recht vorgesehen ist – eine Krankenversicherung beantragt hat, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats abgedeckt sind. Die Versicherung muss für die Dauer des geplanten Aufenthalts gültig sein;

d)      auf Verlangen des Mitgliedstaats einen Nachweis über die Zahlung der in Artikel 36 vorgesehenen Gebühr für die Bearbeitung des Antrags erbringen;

e)      den vom betreffenden Mitgliedstaat verlangten Nachweis erbringen, dass der Drittstaatsangehörige während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung und berücksichtigt die Mittel, die u. a. aus einem Stipendium, einem gültigen Arbeitsvertrag oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot oder einer finanziellen Verpflichtung einer für den Schüleraustausch, die Aufnahme von Praktikanten oder den Freiwilligendienst zuständigen Organisation, einer Gastfamilie oder einer Au-pair-Vermittlungsstelle stammen.

(2)      Die Mitgliedstaaten können dem Antragsteller vorschreiben, dass er die Anschrift des betreffenden Drittstaatsangehörigen in ihrem Hoheitsgebiet angibt.

(3)      Die Mitgliedstaaten können einen Referenzbetrag für die „nötigen Mittel“ nach Absatz 1 Buchstabe e angeben. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung.

(4)      Der Antrag wird gestellt und geprüft, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige sich entweder außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhält, in das der Drittstaatsangehörige zugelassen werden möchte, oder wenn sich der Drittstaatsangehörige bereits mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einem Visum für den längerfristigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhält.

Abweichend hiervon kann ein Mitgliedstaat im Einklang mit seinem nationalen Recht den Antrag eines Drittstaatsangehörigen annehmen, der nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder eines Visums für den längerfristigen Aufenthalt ist, der sich aber rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält.

(5)      Die Mitgliedstaaten legen fest, ob der Antrag von dem Drittstaatsangehörigen, von der aufnehmenden Einrichtung oder von jedem der beiden zu stellen ist.

(6)      Drittstaatsangehörigen, die als Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit angesehen werden, ist die Zulassung zu verweigern.“

16.      Art. 11 dieser Richtlinie sieht, wie sich aus seiner Überschrift ergibt, die „[b]esondere[n] Bedingungen für Studenten“ vor. Er bestimmt:

„(1)      In Bezug auf die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken gemäß dieser Richtlinie muss der Antragsteller zusätzlich zu den allgemeinen Bedingungen des Artikels 7

a)      nachweisen, dass der Drittstaatsangehörige von einer Hochschuleinrichtung zu einem Studium zugelassen worden ist;

b)      auf Verlangen des Mitgliedstaats nachweisen, dass die von der Hochschuleinrichtung geforderten Gebühren entrichtet worden sind;

c)      auf Verlangen des Mitgliedstaats hinreichende Kenntnisse der Sprache nachweisen, in der das Studienprogramm, an dem der Drittstaatsangehörige teilnehmen möchte, erteilt wird;

d)      auf Verlangen des Mitgliedstaats nachweisen, dass der Drittstaatsangehörige über die nötigen Mittel verfügt, um die Kosten für das Studium zu tragen.

(2)      Für Drittstaatsangehörige, die mit ihrer Einschreibung bei einer Hochschuleinrichtung automatisch über eine Krankenversicherung verfügen, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise in dem betreffenden Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind, gilt die Vermutung, dass sie die Bedingung des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe c erfüllen.

(3)      Ein Mitgliedstaat, der ein Zulassungsverfahren für Hochschuleinrichtungen nach Artikel 15 eingeführt hat, befreit die Antragsteller von der Pflicht, ein oder mehrere der in Absatz 1 Buchstaben b, c oder d dieses Artikels oder Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe d oder Artikel 7 Absatz 2 genannten Dokumente vorzulegen, wenn die Drittstaatsangehörigen von einer zugelassenen Hochschuleinrichtung aufgenommen werden.“

17.      In Art. 20 („Ablehnungsgründe“) dieser Richtlinie, der in ihrem Kapitel IV („Gründe für die Ablehnung, Entziehung oder Nichtverlängerung eines Aufenthaltstitels“) enthalten ist, heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten lehnen einen Antrag ab, wenn

a)      die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7 oder die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16 nicht erfüllt sind;

(2)      Die Mitgliedstaaten können einen Antrag ablehnen, wenn

f)      der Mitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt.

(4)      Unbeschadet des Absatzes 1 muss jede Entscheidung, einen Antrag abzulehnen, die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten.“

18.      Zu diesem Kapitel IV gehört auch Art. 21, der gemäß seiner Überschrift die „Gründe für die Entziehung oder Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln“ vorsieht.

19.      Kapitel VII („Verfahren und Transparenz“) der Richtlinie 2016/801 umfasst die Art. 33 bis 36. Der „Verfahrensgarantien und Transparenz“ betreffende Art. 34 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats entscheiden über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel oder auf dessen Verlängerung und unterrichten den Antragsteller gemäß den im nationalen Recht festgelegten Mitteilungsverfahren so rasch wie möglich, jedoch spätestens 90 Tage nach Einreichung des vollständigen Antrags schriftlich über die Entscheidung.

(2)      Betrifft das Zulassungsverfahren eine zugelassene aufnehmende Einrichtung gemäß den Artikeln 9 und 15, wird abweichend von Absatz 1 dieses Artikels die Entscheidung über den vollständigen Antrag so rasch wie möglich, jedoch spätestens innerhalb von 60 Tagen getroffen.

(3)      Sind die Angaben oder die Unterlagen zur Begründung des Antrags unvollständig, so teilen die zuständigen Behörden dem Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist mit, welche zusätzlichen Informationen erforderlich sind, und legen eine angemessene Frist für deren Vorlage fest. Die Frist in den Absätzen 1 oder 2 wird ausgesetzt, bis die Behörden die verlangten zusätzlichen Informationen erhalten haben. Werden die zusätzlichen Informationen oder Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht, so kann der Antrag abgelehnt werden.

(4)      Die Gründe für eine Entscheidung, einen Antrag für unzulässig zu erklären oder abzulehnen oder eine Verlängerung zu verweigern, werden dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt. Die Gründe für eine Entscheidung, einen Aufenthaltstitel zu entziehen, werden dem Drittstaatsangehörigen schriftlich mitgeteilt. Die Gründe für eine Entscheidung, einen Aufenthaltstitel zu entziehen, können zusätzlich auch der aufnehmenden Einrichtung schriftlich mitgeteilt werden.

(5)      Jede Entscheidung, mit der ein Antrag für unzulässig erklärt oder abgelehnt wird, eine Verlängerung verweigert oder ein Aufenthaltstitel entzogen wird, kann in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dem nationalen Recht mit einem Rechtsbehelf angefochten werden. In der schriftlichen Mitteilung werden das Gericht oder die Verwaltungsbehörde, bei denen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, und die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs genannt.“

20.      Art. 35 („Transparenz und Zugang zu Informationen“) der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen den Antragstellern die Informationen über alle im Rahmen der Antragstellung beizubringenden Nachweise sowie Informationen über die Bedingungen für Einreise und Aufenthalt, einschließlich der damit verbundenen Rechte, Pflichten und Verfahrensgarantien des in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Drittstaatsangehörigen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung. Dies gilt gegebenenfalls auch für die Höhe der monatlich nötigen Mittel, u. a. der nötigen Mittel zur Deckung der Studien- oder Ausbildungskosten – unbeschadet einer Prüfung im Einzelfall – sowie der geltenden Gebühren.

Die zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaats veröffentlichen Listen der aufnehmenden Einrichtungen, die für die Zwecke dieser Richtlinie zugelassen worden sind. Aktualisierte Fassungen dieser Listen werden nach jeder Änderung so rasch wie möglich veröffentlicht.“

21.      Art. 40 („Umsetzung“) dieser Richtlinie, der in ihrem Kapitel VIII („Schlussbestimmungen“) enthalten ist, bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 23. Mai 2018 nachzukommen. Sie teilen der [Europäischen] Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf die vorliegende Richtlinie Bezug. In diese Vorschriften fügen sie die Erklärung ein, dass Bezugnahmen in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die durch die vorliegende Richtlinie aufgehobenen Richtlinien als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie gelten. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme und die Formulierung dieser Erklärung.

(2)      Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten nationalen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.“

B.      Belgisches Recht

22.      Art. 3 der Loi sur l’accès au territoire, le séjour, l’établissement et l’éloignement des étrangers (Gesetz über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und  das Ausweisen von Ausländern) vom 15. Dezember 1980(9) sah vor:

„Außer bei Abweichungen, die durch einen internationalen Vertrag oder durch Gesetz bestimmt sind, kann dem Ausländer, der sich in einem der folgenden Fälle befindet, die Einreise verweigert werden:

1.      wenn er in der Flughafentransitzone vorgefunden wird, ohne Inhaber der aufgrund von Artikel 2 erforderlichen Dokumente zu sein,

5.      wenn er im [Schengener Informationssystem(10)] oder in der Allgemeinen Nationalen Datenbank zur Einreise- und Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben ist,

6.      wenn davon ausgegangen wird, dass er die internationalen Beziehungen Belgiens oder eines Vertragsstaates eines Belgien bindenden internationalen Abkommens über die Überschreitung der Außengrenzen beeinträchtigen könnte,

7.      wenn davon ausgegangen wird, dass er die öffentliche Ruhe, die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit beeinträchtigen könnte,

8.      wenn er vor weniger als zehn Jahren aus dem Königreich zurückgewiesen oder ausgewiesen worden ist und die Maßnahme weder ausgesetzt noch rückgängig gemacht worden ist.“

23.      Art. 39/2 § 2 dieses Gesetzes bestimmte:

„Der Rat [für Ausländerstreitsachen (Belgien)(11)] befindet auf dem Wege von Entscheiden über die übrigen Beschwerden wegen Verletzung wesentlicher oder zur Vermeidung der Nichtigkeit, der Befugnisüberschreitung oder des Befugnismissbrauchs vorgeschriebener Formen.“

24.      Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 bestimmte:

„Wenn der Antrag auf Erlaubnis, sich länger als drei Monate im Königreich aufhalten zu dürfen, bei einer belgischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung von einem Ausländer eingereicht wird, der in Belgien an einer Hochschule studieren oder dort ein Vorbereitungsjahr für den Hochschulunterricht besuchen möchte, muss diese Erlaubnis erteilt werden, wenn sich der Betreffende nicht in einem der in Art. 3 Abs. 1 Nrn. 5 bis 8 vorgesehenen Fälle befindet und wenn er folgende Dokumente vorlegt:

1.      eine von einer Bildungseinrichtung gemäß Art. 59 ausgestellte Bescheinigung;

2.      den Nachweis, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt;

3.      ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass er nicht an einer der in der Anlage zu diesem Gesetz aufgezählten Krankheiten oder Gebrechen leidet;

4.      eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass gegen ihn keine Verurteilungen wegen gemeinrechtlicher Verbrechen oder Vergehen vorliegen, wenn die betreffende Person älter als 21 Jahre ist.

Wird das Attest nach Abs. 1 Nr. 3 oder die Bescheinigung nach Abs. 1 Nr. 4 nicht vorgelegt, so kann der Minister [zu dessen Zuständigkeitsbereich die Einreise ins Staatsgebiet, der Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern gehören(12)] oder sein Beauftragter dem Ausländer unter Berücksichtigung der Umstände gleichwohl gestatten, sich zu Studienzwecken in Belgien aufzuhalten.

Die Erlaubnis zum Aufenthalt von mehr als drei Monaten im Königreich kann vom Ausländer nach den vom König in Durchführung von Artikel 9 Absatz 2 festgelegten Modalitäten beantragt werden.“

25.      Mit dem Gesetz vom 11. Juli 2021 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern in Bezug auf Studenten(13) wurde die Richtlinie 2016/801 nach Ablauf der in ihrem Art. 40 vorgesehenen Frist für ihre Umsetzung teilweise umgesetzt.

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

26.      Am 6. August 2020 beantragte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, eine kamerunische Staatsangehörige, bei der belgischen Botschaft in Yaoundé (Kamerun) auf der Grundlage von Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 ein Studentenvisum.

27.      Nachdem ihr mit Entscheidung vom 18. September 2020 die Erteilung eines Visums verweigert worden war, beantragte sie am 28. September 2020 die Nichtigerklärung dieser Entscheidung beim Conseil du contentieux des étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen), der ihren Antrag mit Urteil vom 23. Dezember 2020 ablehnte.

28.      Insoweit befand der Rat für Ausländerstreitsachen im Wesentlichen, dass Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 das Königreich Belgien verpflichte, die Absicht der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, in Belgien zu studieren, zu überprüfen. Außerdem vertrat er die Ansicht, dass das Königreich Belgien das beantragte Visum auf der Grundlage dieses Art. 58 verweigern könne, obwohl Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 nicht umgesetzt worden sei, da dieser Art. 58 ebenfalls die Möglichkeit vorsehe, einen solchen Visumantrag abzulehnen. Nach Auffassung des Rats für Ausländerstreitsachen verpflichtet Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 das Königreich Belgien, zu prüfen, ob der Wunsch, in Belgien zu studieren, tatsächlich besteht, und erlaubt ihm somit, den Antrag abzulehnen, wenn sich herausstellt, dass der Drittstaatsangehörige nicht den wirklichen Willen hat, ein Studium zu absolvieren.

29.      Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 legte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens beim Conseil d’État (Staatsrat) Kassationsbeschwerde ein.

30.      Sie macht erstens geltend, dass die Entscheidung des Rats für Ausländerstreitsachen, die Anwendung von Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 stehe im Einklang mit Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801, rechtsfehlerhaft sei, weil die letztgenannte Bestimmung nicht in belgisches Recht umgesetzt worden sei und das belgische Recht entgegen den Geboten der Transparenz und der Rechtssicherheit nicht näher bestimme, welche ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte die Feststellung erlaubten, dass sie ihren Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die sie die Zulassung beantrage.

31.      Während der belgische Staat zur Verteidigung seines Standpunkts darüber hinaus geltend macht, dass diese Richtlinie, insbesondere ihr 41. Erwägungsgrund, es den zuständigen Behörden ermögliche, zu überprüfen, ob das Studienvorhaben des Antragstellers realistisch sei und dieser tatsächlich die Absicht habe, zu studieren, so dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Nachweise verlangen könnten, um die Schlüssigkeit des Zulassungsantrags zu beurteilen, vertritt die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens die Auffassung, dass die Definition des Begriffs „Studenten“ in Art. 3 Nr. 3 dieser Richtlinie es nur ermögliche, sich zu vergewissern, dass der Antragsteller an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen worden sei, nicht aber, zu überprüfen, ob er den Wunsch habe, zu studieren.

32.      Der belgische Staat macht nämlich geltend, dass Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980, der bestimme, dass die Aufenthaltserlaubnis einem Ausländer erteilt werde, der in Belgien studieren möchte, eine Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 gewährleiste, was die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens in Abrede stellt.

33.      Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob die Wendung „studieren … möchte“ für die Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie ausreicht und ob eine konforme Auslegung dieser Richtlinie den Geboten der Transparenz und der Rechtssicherheit genügt. Es weist ferner darauf hin, dass Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 keine Definition oder gar Aufzählung der Beweise oder ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte enthalte, die die Feststellung erlaubten, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantrage, und fragt sich daher, ob diese Definition oder Aufzählung in den nationalen Umsetzungsmaßnahmen ausdrücklich aufgeführt sein muss.

34.      Das vorlegende Gericht hält dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens für unbegründet, weil Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 es zulasse, den Antrag abzulehnen, wenn erwiesen sei, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantrage, was bedeute, dass die Mitgliedstaaten notwendigerweise überprüfen dürften, ob der Antragsteller tatsächlich die Absicht habe, sich zu dem Zweck aufzuhalten, der seinen Antrag rechtfertige. Gleichwohl hält dieses Gericht es für angebracht, den Gerichtshof hierzu zu befragen.

35.      Darüber hinaus fragt sich das vorlegende Gericht, ob die richtlinienkonforme Anwendung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie unter Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der Rechtssicherheit zum einen verlangt, dass das nationale Recht ausdrücklich vorsieht, dass der Antrag abgelehnt werden kann, wenn der Mitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt, und zum anderen, dass im nationalen Recht festgelegt wird, welche Beweise oder ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte die Feststellung erlauben, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt.

36.      Zweitens trägt die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens vor, die Art und Weise der vom Rat für Ausländerstreitsachen ausgeübten Kontrolle verstoße gegen die Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht ergäben. Nach Art. 39/2 § 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 sei diese Kontrolle eine Rechtmäßigkeitskontrolle, so dass der Rat für Ausländerstreitsachen zwar einen Rechtsverstoß feststellen könne, aber nicht über eine Abänderungsbefugnis verfüge. Allerdings sei die gegnerische Partei im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die Rechtskraft des Tenors und der ihn tragenden Gründe gebunden.

37.      Daher sieht sich das vorlegende Gericht veranlasst, den Gerichtshof zu fragen, ob Art. 39/2 § 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980,  wie die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens geltend mache, nicht den Anforderungen genüge, die sich aus Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801, aus dem Grundsatz der Effektivität und aus Art. 47 der Charta ergäben.

38.      Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Muss im Hinblick auf Art. 288 AEUV, die Art. 14 und 52 der Charta, die Art. 3, 5, 7, 11, 20, 34, 35 und 40 der Richtlinie 2016/801 und ihre Erwägungsgründe 2 und 60 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz die dem Mitgliedstaat in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 eingeräumte Befugnis zur Ablehnung des Aufenthaltsantrags ausdrücklich in dessen Rechtsvorschriften vorgesehen sein, damit sie von diesem Staat ausgeübt werden kann? Wenn ja, müssen die ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte in dessen Rechtsvorschriften näher bestimmt werden?

2.      Verpflichtet die Prüfung des Antrags auf ein Visum zu Studienzwecken den Mitgliedstaat, die Bereitschaft und die Absicht des Ausländers zu prüfen, ein Studium aufzunehmen, obwohl Art. 3 der Richtlinie 2016/801 den Studenten als jemanden definiert, der an einer höheren Bildungseinrichtung zugelassen ist, und die in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie genannten Gründe für die Ablehnung des Antrags, ebenso wie die in Art. 20 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe, fakultativ und nicht verbindlich sind?

3.      Erfordern Art. 47 der Charta, der Grundsatz der Effektivität und Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801, dass der im nationalen Recht vorgesehene Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf Einreise ins Staatsgebiet zu Studienzwecken abgelehnt wird, es dem Richter ermöglicht, seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der Verwaltungsbehörde zu setzen und die Entscheidung dieser Behörde zu ändern, oder reicht eine Rechtmäßigkeitskontrolle aus, die es dem Richter ermöglicht, eine Rechtswidrigkeit, insbesondere einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, durch die Aufhebung der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu rügen?

39.      Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, die belgische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben an der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2023 teilgenommen, in der auch die tschechische, die litauische, die luxemburgische, die ungarische und die niederländische Regierung mündliche Erklärungen abgegeben haben(14).

IV.    Würdigung

40.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, in einem ersten Schritt die zweite Vorlagefrage zu prüfen, die die Voraussetzungen betrifft, unter denen ein Mitgliedstaat einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums aus dem in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 genannten Grund ablehnen kann. In einem zweiten Schritt werde ich auf die Einzelheiten der Umsetzung dieser Bestimmung in innerstaatliches Recht eingehen, auf die sich das vorlegende Gericht in seiner ersten Vorlagefrage konzentriert. Schließlich werde ich in einem dritten Schritt die den Gegenstand der dritten Vorlagefrage bildenden verfahrensrechtlichen Modalitäten des in Art. 34 Abs. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung prüfen, mit der der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird.

A.      Zum Umfang der Befugnis des Mitgliedstaats, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels “Student“ oder eines Studentenvisums aus dem in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Grund abzulehnen (zweite Vorlagefrage)

41.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die zuständige Behörde bei der Prüfung eines auf der Grundlage der Richtlinie 2016/801 gestellten Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums verpflichtet ist, den Willen und die Absicht des Drittstaatsangehörigen, ein Studium zu absolvieren, zu überprüfen, und gegebenenfalls, unter welchen Bedingungen sie diese Prüfung vorzunehmen hat.

42.      Das vorlegende Gericht bezieht sich nicht ausdrücklich auf die nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie erforderliche Prüfung, sondern allgemeiner auf die „Prüfung des Antrags auf ein Visum zu Studienzwecken“. Aus den Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, impliziert aber nur diese Bestimmung, dass die zuständige Behörde zum Zweck der Beurteilung eines solchen Antrags die Absicht des Drittstaatsangehörigen prüft, im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu studieren.

43.      Aus Art. 5 der Richtlinie 2016/801 in Verbindung mit ihrem 30. Erwägungsgrund ergibt sich nämlich, dass ein Drittstaatsangehöriger Anspruch auf einen Aufenthaltstitel „Student“ oder ein Studentenvisum hat, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass der Antrag den allgemeinen und besonderen Bedingungen von Art. 7 bzw. Art. 11 dieser Richtlinie entspricht(15).

44.      Streng genommen bedeutet keine dieser allgemeinen oder besonderen Bedingungen, dass die zuständige Behörde die Absicht und den Willen des Drittstaatsangehörigen prüft, ein Studium zu absolvieren. Die von einer Hochschuleinrichtung erteilte Zulassung zu einem Studium(16), die Zahlung der hierfür geforderten Gebühren oder auch die hinreichende Kenntnis der Sprache, in der das Studienprogramm erteilt wird, sind objektive Kriterien, anhand deren normalerweise die Absicht des Antragstellers, zu studieren, festgestellt werden kann. Durch diese materiellen Feststellungen lassen sich jedoch Fälle, in denen die zuständige Behörde möglicherweise über den Zweck des Aufenthalts des Drittstaatsangehörigen vorsätzlich oder unabsichtlich getäuscht wird, nicht ausschließen.

45.      So heißt es im 36. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801, dass es den Mitgliedstaaten „möglich sein [sollte], die Zulassung … aus besonderen Gründen abzulehnen“. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, sind diese Gründe in Art. 20 dieser Richtlinie abschließend aufgezählt, und die Mitgliedstaaten können keine weiteren Gründe hinzufügen.

46.      Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 sieht die Gründe vor, aus denen der Mitgliedstaat den Antrag auf Zulassung ablehnen muss. Es handelt sich um zwingende Gründe. Dagegen sieht Art. 20 Abs. 2 dieser Richtlinie die Gründe vor, aus denen der Mitgliedstaat einen solchen Antrag ablehnen kann. Wie das vom Unionsgesetzgeber hier verwendete Verb „können“ zeigt, sind diese Gründe für den Mitgliedstaat fakultativ.

47.      Von allen diesen Gründen betrifft aber nur der Ablehnungsgrund von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie das vom Antragsteller mit seinem Aufenthalt verfolgte Ziel im eigentlichen Sinne(17).

48.      Daher ist nunmehr zu bestimmen, inwieweit die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, bei der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums gestellt wurde, zur Prüfung der Absicht des Drittstaatsangehörigen, ein Studium zu absolvieren, verpflichtet ist, Zu diesem Zweck werde ich meine Prüfung mit einer Analyse des Wortlauts von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 beginnen und sodann den Kontext und die Ziele untersuchen, die mit der Regelung, in die sich diese Bestimmung einfügt, verfolgt werden.

1.      Analyse des Wortlauts von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801

49.      Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 räumt der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats die Möglichkeit ein, einen Antrag auf Zulassung abzulehnen, wenn sie „Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt“.

50.      Als Erstes ist diese Bestimmung eng auszulegen. Sie ermöglicht es der zuständigen Behörde nämlich, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abzulehnen und somit einem Drittstaatsangehörigen die Einreise und den Aufenthalt zu Studienzwecken im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu verweigern, obwohl feststeht, dass dieser Antrag mit keinem der in Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 genannten Mängel behaftet ist, d. h. dass er die in den Art. 7 und 11 dieser Richtlinie aufgestellten Zulassungsbedingungen erfüllt, dass die Unterlagen und Daten, auf die sich dieser Antrag stützt, echt und zutreffend sind und dass gegebenenfalls die betreffende aufnehmende Einrichtung zugelassen ist.

51.      Eine enge Auslegung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 ist umso mehr geboten, als der in dieser Bestimmung genannte Grund für die Ablehnung des Zulassungsantrags zugleich auch ein Grund ist, aus dem gemäß Art. 21 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie ein dem Studierenden erteilter Aufenthaltstitel entzogen oder nicht verlängert sowie gemäß Art. 31 Abs. 7 Buchst b dieser Richtlinie ein von ihm gestellter Antrag auf Mobilität abgelehnt werden kann. Unter diesen Umständen kann ein solcher Grund noch schwerwiegendere Folgen haben, und zwar nicht nur für den Antragsteller, sondern auch für seine Familienangehörigen(18).

52.      Als Zweites geht aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 hervor, dass dieser den Fall betrifft, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum „anderen Zwecken“ dienen soll als denen, für die er beantragt wird. Der Unionsgesetzgeber macht den Zweck des Aufenthalts zu einer wesentlichen Voraussetzung, was mit der „besonderen Art des Aufenthalts der Gruppe der Drittstaatsangehörigen“, die unter diese Richtlinie fallen, im Einklang steht(19).

53.      Was den Aufenthaltstitel „Student“ oder das Studentenvisum betrifft, ergibt sich der Zweck des Aufenthalts aus der Definition des Begriffs „Studenten“ in Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie 2016/801, wonach Studenten „Drittstaatsangehörige [sind], die an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen und in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurden, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss … führt“(20).

54.      Folglich hat ein Drittstaatsangehöriger, der an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen wurde, dessen Zulassungsantrag aber von der zuständigen Behörde noch geprüft wird, entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens nicht die Eigenschaft eines „Studenten“ im Sinne von Art. 3 Nr. 3 dieser Richtlinie.

55.      Aus dieser Begriffsbestimmung, insbesondere aus der Verwendung der Konjunktion „und“, ergibt sich nämlich, dass die Eigenschaft als „Student“ die Erfüllung zweier kumulativer Voraussetzungen erfordert, nämlich zum einen, dass der Drittstaatsangehörige an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen wurde, und zum anderen, dass er in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zugelassen wurde, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm an der höheren Bildungseinrichtung zu absolvieren, bei der er ordnungsgemäß eingeschrieben ist. Wie die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, kommt dieser Zweck auch in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2016/801 zum Ausdruck, der verlangt, dass dieser Staatsangehörige von einer Hochschuleinrichtung „zu einem Studium“ zugelassen worden ist. In Anbetracht dieser Begriffsbestimmung kann die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats daher meines Erachtens einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie ablehnen, wenn sie nachweist, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen einen anderen Zweck verfolgen würde.

56.      Eine solche Situation kann sich aus einem unbeabsichtigten Irrtum ergeben. Dies kann der Fall sein, wenn die zuständige Behörde feststellt, dass der Drittstaatsangehörige beabsichtigt, eine Erwerbstätigkeit unter Bedingungen auszuüben, die es ihm nicht erlauben – um den Wortlaut von Art. 24 dieser Richtlinie aufzugreifen(21) –, die erforderlichen „Studienzeiten“ aufzubringen, was den Sinn und die wesentliche Zweckbestimmung des Aufenthalts vereiteln würde.

57.      Eine solche Situation kann auch auf den Versuch zurückzuführen sein, das Verfahren bewusst zu missbrauchen. In diesem Fall wird die zuständige Behörde durch die missbräuchliche oder betrügerische Absicht der aufnehmenden Einrichtung oder des Drittstaatsangehörigen über den wahren Zweck des Aufenthalts getäuscht(22). So könnte der Drittstaatsangehörige einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums allein zu dem Zweck stellen, die durch das Unionsrecht zugunsten ausländischer Studenten geschaffenen Erleichterungen zu missbrauchen, die mit dem Status eines Studenten verbundenen Rechte und Vergünstigungen(23) in Anspruch zu nehmen, sich den in Wirklichkeit für ihn geltenden Einreise- und Aufenthaltsbedingungen zu entziehen oder weiterhin im Mitgliedstaat zu bleiben. Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 soll daher Fälle verhindern, in denen feststeht, dass das Aufenthaltsrecht oder das Studentenvisum zweckentfremdet würde, und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen, solche Fälle in einer Weise aufzudecken, die den Maßnahmen gleicht, die sie in ihren Botschaften oder Konsulaten ergreifen können, um Missbräuche des Rechts auf Familienzusammenführung, z. B. durch Scheinehen, aufzudecken und zu verhindern(24).

58.      Diese Auslegung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 wird durch den 41. Erwägungsgrund dieser Richtlinie bestätigt, in dem es heißt: „Bestehen Zweifel an den Antragsgründen, sollten die Mitgliedstaaten angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen können, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf Forschung [oder] Studium … zu bewerten und dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.“(25)

59.      Als Drittes lässt sich der Verwendung des Konjunktivs („nutzen würde“) in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 entnehmen, welche Art von Beurteilung die zuständige Behörde vorzunehmen hat. Es handelt sich um eine Ex-ante-Beurteilung, da diese Behörde in einem hypothetischen Kontext die Absichten des Antragstellers in Bezug auf den Gegenstand und den Zweck des Aufenthalts zu ermitteln hat(26).

60.      Diese Beurteilung unterscheidet sich somit von derjenigen, die diese Behörde nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2016/801 vorzunehmen hat. Nach dieser Bestimmung muss die Behörde einen zuvor erteilten Aufenthaltstitel entziehen oder seine Verlängerung verweigern, wenn sie feststellt, dass „der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzt als jene, für die [er] zum Aufenthalt zugelassen wurde“(27). In diesem Fall sind objektive Umstände wie die Tatsache, dass der Drittstaatsangehörige das betreffende Studium nicht aufgenommen, unterbrochen oder vorzeitig abgebrochen hat, oder auch der Umstand, dass er eine Berufstätigkeit ausübt, die die Höchstzahl der zulässigen Arbeitsstunden übersteigt, oder dass er weit vom Studienort oder gar außerhalb seiner Mobilitätsrechte in der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, materielle Feststellungen, die es erleichtern, den Gegenstand und den Zweck des Aufenthalts dieses Drittstaatsangehörigen und insbesondere Fälle eines Verfahrensmissbrauchs festzustellen. Derartige Feststellungen sind schwieriger zu treffen, wenn der Antrag gestellt wird, während sich der Drittstaatsangehörige noch außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats aufhält.

61.      Insoweit gilt in Anbetracht des Schweigens von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 der Freibeweis. Der Unionsgesetzgeber stellt keine besonderen Anforderungen an die Form dieses Beweises, da er im 41. Erwägungsgrund dieser Richtlinie darauf hinweist, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, „angemessene Prüfungen“ durchzuführen und „Nachweise“(28) zu verlangen, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf Forschung oder Studium sowie die Gefahr des Missbrauchs oder Betrugs zu beurteilen. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Wortlaut dieses Artikels, dass die Anhaltspunkte, auf die sich die zuständige Behörde stützt, „ernsthaft und sachlich“(29) sein müssen, was voraussetzt, dass sie substantiierte und zuverlässige Anhaltspunkte hat, die sich aus einer einzelfallbezogenen Prüfung des Antrags ergeben und die Ablehnung rechtfertigen.

62.      Im Hinblick auf diese Hinweise zum Wortlaut möchte ich zwei Anmerkungen machen.

63.      Die erste betrifft die Beweislast. Meines Erachtens reicht es nicht aus, dass die zuständige Behörde den Gegenstand und den Zweck des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums in Zweifel zieht. Vielmehr halte ich es für erforderlich, dass diese Behörde zu der Überzeugung gelangt, dass der Aufenthalt weder zum Gegenstand hat noch den Zweck verfolgt, das Studium an der in diesem Antrag genannten Hochschuleinrichtung zu absolvieren. Diese Beurteilung muss auf einem Bündel objektiver und subjektiver Indizien beruhen und kann die Zusammenarbeit aller betroffenen Akteure erfordern, nicht nur des Antragstellers, der diplomatischen Vertretungen, der Botschaften oder der Konsulate (je nach Organisation der betreffenden nationalen Stellen), sondern auch der Hochschuleinrichtungen oder gar der für die Einwanderung zuständigen Stellen. Die Absicht des Drittstaatsangehörigen ist ein subjektives Element, das normalerweise anhand objektiver Kriterien festgestellt wird, wie z. B. der Einschreibung an einer Hochschule, der für das Studium aufgewandten Kosten, der Kenntnis der Sprache des Aufnahmemitgliedstaats und der Ordnungsmäßigkeit früherer Aufenthalte in einem Mitgliedstaat der Union. Einige Mitgliedstaaten können in diesem Zusammenhang besonders darauf achten, ob das Studienvorhaben des Antragstellers schlüssig ist. In Frankreich müssen Anträge von ägyptischen Staatsangehörigen mit einem begründeten Vorhaben einhergehen, das „schlüssig ist und, soweit möglich, die Kontinuität [des] bisherigen Werdegangs [wahrt]“(30). In Belgien umfasst der bei den Konsularbehörden in Kamerun gestellte Zulassungsantrag, wie sich aus den den Erklärungen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens beigefügten Unterlagen sowie aus den von der belgischen Regierung in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben ergibt, einen Fragebogen und geht mit einem Gespräch einher, das dem Drittstaatsangehörigen den Nachweis ermöglichen soll, dass er tatsächlich die Absicht hat, sich in Belgien als Student aufzuhalten(31). In diesen Fällen wird die Schlüssigkeit des Studienvorhabens im Hinblick auf die Kompetenzen, die der Drittstaatsangehörige insbesondere durch seinen akademischen Werdegang erworben hat, sowie im Hinblick auf seine beruflichen Wünsche und Ziele beurteilt. Dieser Drittstaatsangehörige hat auch die Möglichkeit, sein Studien- oder Ausbildungsvorhaben in einem Gespräch mit einem Orientierungsberater zu erläutern oder zu verteidigen.

64.      In der mündlichen Verhandlung wurde der Frage, welche Relevanz die Berücksichtigung der Schlüssigkeit des Studienvorhabens des Drittstaatsangehörigen im Rahmen der Aufdeckung und Verhinderung von Verfahrensmissbrauch hat, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl der Unionsgesetzgeber diesen Aspekt im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/114 ausdrücklich angesprochen hatte, hat er ihn nämlich im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 nicht übernommen und stattdessen eine allgemeinere Formulierung bevorzugt, die sich auf das „Studium [oder] Praktikum“ des Drittstaatsangehörigen konzentriert. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, dass die zuständige Behörde die Schlüssigkeit des Studienvorhabens dieses Drittstaatsangehörigen berücksichtigt, allerdings unter der Voraussetzung, dass diese Beurteilung einzelfallbezogen ist und von qualifiziertem Personal umsichtig sowie in Zusammenarbeit mit dem Drittstaatsangehörigen vorgenommen wird. Meines Erachtens ist es auch wichtig, Fällen Rechnung zu tragen, in denen der Drittstaatsangehörige möglicherweise einen unkonventionellen akademischen Werdegang beschritten hat oder sich neu ausrichten will. Die Schlüssigkeit des Studienvorhabens ist daher ein Gesichtspunkt, der von der zuständigen Behörde berücksichtigt werden kann, dem jedoch je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedliches Gewicht zukommen wird.

65.      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Schriftstücken, die die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens ihren Erklärungen beigefügt hat, dass die belgischen Konsularbehörden diesem Gesichtspunkt erhebliche Bedeutung beigemessen haben. Sie haben nämlich auf der Grundlage der Antworten der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens auf dem ihrem Zulassungsantrag beigefügten Fragebogen und nach dem von ihr mit einem Orientierungsberater geführten Gespräch die Auffassung vertreten, dass ihr Studienvorhaben nicht nur im Hinblick auf ihren akademischen Werdegang, sondern auch im Hinblick auf ihre beruflichen Pläne „offensichtliche Unstimmigkeiten“ aufweise. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Antrag abzulehnen sei, weil er einen Versuch darstelle, das Verfahren zur Erteilung eines Studentenvisums zu Migrationszwecken zu missbrauchen(32). Ich werde mich hier auf die Klarstellung beschränken, dass ein Mitgliedstaat einen Antrag auf Zulassung meines Erachtens nur dann mit der Begründung ablehnen kann, dass das Studienvorhaben des Drittstaatsangehörigen nicht schlüssig sei, wenn er zum einen dem Antragsteller die Möglichkeit gibt, dieses Vorhaben vor qualifiziertem Personal darzulegen und zu rechtfertigen, und wenn zum anderen die fehlende Schlüssigkeit offensichtlich ist.

66.      Die zweite Anmerkung, die ich machen möchte, betrifft die Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 in innerstaatliches Recht. Nichts verlangt von dem Mitgliedstaat, in seinem Umsetzungsgesetz die Anhaltspunkte aufzuzählen, aus denen sich ergeben könnte, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt. Diese Anhaltspunkte unterliegen der Würdigung des jeweiligen Einzelfalls, und eine solche Aufzählung könnte der zuständigen Behörde ihren Beurteilungsspielraum nehmen. Dagegen ist diese Behörde nach Art. 34 Abs. 4 dieser Richtlinie verpflichtet, dem Drittstaatsangehörigen den Grund für die Ablehnung seines Antrags schriftlich mitzuteilen und ihn so in die Lage zu versetzen, im Rahmen des Rechtsbehelfs, den er nach Abs. 5 dieses Artikels einlegen kann, sämtliche Umstände geltend zu machen, die die Ernsthaftigkeit oder Schlüssigkeit seines Studienvorhabens belegen.

67.      Als Ergebnis dieser Analyse des Wortlauts bin ich der Auffassung, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 nur ablehnen kann, wenn sie nach einer Einzelfallprüfung des Antrags und auf der Grundlage von Beweisen oder ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkten feststellt, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen weder dazu dienen noch vorrangig den Zweck verfolgen soll, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt. Im Rahmen dieser Prüfung ist die zuständige Behörde durch nichts daran gehindert, die Schlüssigkeit des Studienvorhabens zu berücksichtigen.

68.      Eine systematische und teleologische Analyse der Richtlinie 2016/801 bestätigt diese Auslegung.

2.      Systematische und teleologische Analyse der Richtlinie 2016/801

69.      Was erstens die systematische Analyse der Richtlinie 2016/801 betrifft, ermöglicht es eine solche Auslegung meines Erachtens, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Grundrechte der betroffenen Person zu wahren.

70.      Aus dem 61. Erwägungsgrund dieser Richtlinie geht nämlich hervor, dass bei der Ablehnung eines Antrags auf Zulassung die Grundrechte dieser Person, wie sie in der Charta gewährleistet sind und zu denen das Recht auf Bildung gehört, gewahrt werden müssen.

71.      Darüber hinaus bestimmt Art. 20 Abs. 4 dieser Richtlinie, dass „jede Entscheidung, einen Antrag abzulehnen, die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten [muss]“. Das setzt voraus, dass die zuständige Behörde vor der Entscheidung über den Antrag eine Einzelfallprüfung dieses Antrags vornimmt, in deren Rahmen sie sowohl die objektiven als auch die subjektiven Aspekte, die ihr bekannt sind, umfassend bewerten und sämtliche betroffenen Interessen in ausgewogener und angemessener Weise berücksichtigen muss(33).

72.      Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, den die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieses Rechts beachten müssen(34). Auch wenn die Betrugsbekämpfung ein legitimes Ziel darstellt, das Überprüfungen und gegebenenfalls die Ablehnung des Antrags rechtfertigt, weise ich darauf hin, dass der Drittstaatsangehörige in einem Fall wie dem vorliegenden sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Zulassungsbedingungen der Art. 7 und 11 der Richtlinie 2016/801 erfüllt. Das setzt voraus, dass er von einer Hochschuleinrichtung zugelassen worden ist und gegebenenfalls den Nachweis für die Zahlung der Studiengebühren erbracht hat. Dieser Drittstaatsangehörige läuft daher Gefahr, dass sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt und ihm somit die Möglichkeit genommen wird, das Studium an der Hochschuleinrichtung, bei der er eingeschrieben ist, zu absolvieren. Unter diesen Umständen und mit Ausnahme der Fälle, in denen ein offensichtlicher Rechtsmissbrauch vorliegt, ist es meines Erachtens unerlässlich, dass die zuständige Behörde in jedem Einzelfall prüft, ob die Ablehnung des Antrags nicht unverhältnismäßig ist und bestimmte durch die Charta garantierte Grundrechte nicht zu verletzen droht.

73.      Was zweitens die teleologische Analyse der Richtlinie 2016/801 betrifft, trägt die Entscheidung, mit der die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Zulassung zu Studienzwecken mit der Begründung ablehnt, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt im Inland nicht dazu nutzen würde, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt, zur Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie bei.

74.      Zunächst zielt die Richtlinie 2016/801 darauf ab, die Bedingungen festzulegen, unter denen bestimmte Gruppen von Drittstaatsangehörigen sowohl in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats als auch in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten dürfen, wobei sich diese Bedingungen nach der besonderen Natur des Aufenthalts jeder dieser Gruppen richten.

75.      Soweit es sich um Aufenthalte zu Studienzwecken handelt, verfolgt die Richtlinie 2016/801 das Ziel, den Ruf Europas als internationalen Exzellenzstandort für Studien zu festigen, indem die „Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt zu diesen Zwecken verbessert und vereinfacht werden“(35). Darüber hinaus geht aus den Erwägungsgründen 15 und 44 dieser Richtlinie hervor, dass diese die Mobilität von Studenten innerhalb der Union erleichtern und die europäischen Hochschulen attraktiver und wettbewerbsfähiger machen soll. Zu diesem Zweck soll mit der Richtlinie gemäß ihren Erwägungsgründen 44 und 48 eine „spezifische Regelung für die Mobilität“ von Studierenden innerhalb der Union eingeführt werden, die eigenständige Regeln für die Einreise zu Studienzwecken in andere Mitgliedstaaten als den Aufnahmemitgliedstaat und für den dortigen Aufenthalt festlegt. So berechtigt der vom Aufnahmemitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltstitel die Drittstaatsangehörigen gemäß den für die Mobilität geltenden Bestimmungen von Art. 31 dieser Richtlinie, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort für eine Dauer von bis zu 360 Tagen aufzuhalten, um dort einen Teil ihres Studiums zu absolvieren.

76.      Ferner hat die Richtlinie 2016/801 gemäß ihrem Art. 1 zum Gegenstand, die Rechte der Drittstaatsangehörigen sowohl im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats als auch im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten festzulegen, in dem sie sich zu Studienzwecken aufhalten. Aus dem 54. Erwägungsgrund dieser Richtlinie geht hervor, dass sie darauf abzielt, die Rechte dieser Staatsangehörigen den Rechten der Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats anzugleichen, indem der Aufenthaltstitel dem Studenten unter den Voraussetzungen von Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie Anspruch auf Gleichbehandlung gewährt.

77.      Die Entscheidung, mit der die zuständige Behörde einen Antrag auf Zulassung zu Studienzwecken mit der Begründung ablehnt, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats nicht dazu nutzen würde, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führe, ermöglicht es, Fällen vorzubeugen, in denen dem Drittstaatsangehörigen ohne berechtigten Grund vereinfachte Einreise- und Aufenthaltsbedingungen gewährt und ihm die Rechtsstellung eines „Studenten“ sowie die damit verbundenen weitreichenden Rechte zuerkannt würden. Eine solche Entscheidung ermöglicht es somit auch, den spezifischen Charakter der für die verschiedenen Gruppen von Drittstaatsangehörigen geltenden Einreise- und Aufenthaltsbedingungen, auf dem die Richtlinie 2016/801 beruht, zu gewährleisten und zu verhindern, dass sich bestimmte Drittstaatsangehörige den in Wirklichkeit für sie geltenden Bedingungen für die Ausstellung des Aufenthaltstitels entziehen.

78.      Schließlich sollte Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie in Anbetracht der weitreichenden Rechte, die mit dem Aufenthaltstitel „Student“ oder dem Studentenvisum verbunden sind, die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, Betrug oder Rechtsmissbrauch wirksam zu bekämpfen, indem er ihnen die Möglichkeit einräumt, die Zulassung zu verweigern, wenn erwiesen ist, dass der Antragsteller sie in missbräuchlicher oder betrügerischer Weise beantragt. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich niemand auf den Erwerb oder die Beibehaltung der mittels einer Täuschung erlangten Rechte berufen, unabhängig davon, ob diese Täuschung von dem durch diese Rechte Begünstigten verübt wurde oder diesem bekannt war(36).

79.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums nur ablehnen darf, wenn sie Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im nationalen Hoheitsgebiet weder dazu dienen noch vorrangig den Zweck verfolgen soll, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt. Der Entscheidung, mit der ein solcher Antrag abgelehnt wird, muss eine Einzelfallprüfung dieses Antrags vorausgehen, in deren Rahmen die Absicht des Drittstaatsangehörigen, sein Studium im nationalen Hoheitsgebiet zu absolvieren, auf der Grundlage sowohl objektiver als auch subjektiver Gesichtspunkte zu beurteilen ist, zu denen die Schlüssigkeit seines Studienvorhabens gehören kann.

B.      Zu den Einzelheiten der Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 in innerstaatliches Recht (erste Vorlagefrage)

80.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Mitgliedstaat, der einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums aus dem in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie genannten Grund ablehnen möchte, im Hinblick auf Art. 288 AEUV, die Art. 14 und 52 der Charta, die Art. 3, 5, 7, 11, 20, 34, 35 und 40 der Richtlinie 2016/801 und ihre Erwägungsgründe 2 und 60 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz verpflichtet ist, in seinem innerstaatlichen Recht ausdrücklich eine solche Befugnis und gegebenenfalls die Anhaltspunkte vorzusehen, die ihm die Feststellung ermöglichen, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt.

81.      Diese Frage stellt sich insofern, als im Gegensatz zum nunmehr geltenden belgischen Recht, mit dem Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 förmlich umgesetzt wird, indem es vorsieht, dass der für die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern zuständige Minister oder sein Beauftragter einen Antrag ablehnen kann, wenn „durch Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte belegt werden kann, dass der Aufenthalt zu anderen Zwecken als dem Studium genutzt würde“, was die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Rechtsvorschriften nicht vorgesehen hatten(37).

82.      Ich werde meine Analyse mit der Klarstellung beginnen, dass die in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Gründe für die Ablehnung von Anträgen für die Mitgliedstaaten fakultativ sind. Diese Richtlinie schreibt somit nur einen gewissen Grad der Harmonisierung in Bezug auf die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt der in ihren Anwendungsbereich fallenden Gruppen von Drittstaatsangehörigen vor, weil die Umsetzung dieser Bestimmung in die nationalen Rechtsordnungen in das Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten gestellt ist. Diesen steht es frei, über ihre Umsetzung souverän nach politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Erwägungen zu entscheiden. Einige der Mitgliedstaaten, die der Gefahr einer Umgehung des Verfahrens zur Ausstellung von Studentenvisa am stärksten ausgesetzt sind, nehmen somit offenbar eine eingehendere Prüfung der Anträge vor, die von Staatsangehörigen bestimmter Drittländer gestellt werden oder auf ein Studium an bestimmten Hochschuleinrichtungen abzielen(38).

83.      Der Umstand, dass Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2016/801 eine fakultative Bestimmung ist, bedeutet hingegen nicht, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Bestimmung völlig freie Hand hätten und Drittstaatsangehörigen, die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen, den Aufenthalt nach Belieben verweigern könnten.

84.      Erstens sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Befugnisse im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts auszuüben, zu denen auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört(39). So hat der Gerichtshof kürzlich darauf hingewiesen, dass die Umsetzung von Bestimmungen des Unionsrechts in nationales Recht verlangt, dass diese durch Vorschriften umgesetzt werden, die so konkret, bestimmt und klar sind, dass es dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügt(40). Dieser Grundsatz soll die Vorhersehbarkeit der aus dem Unionsrecht resultierenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen gewährleisten und verlangt, dass jede Maßnahme der Verwaltung, die Rechtswirkungen entfaltet, klar und präzise ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich entsprechend darauf einrichten können. Dieses Erfordernis gilt vor allem dann, wenn der in Rede stehende Rechtsakt nachteilige Folgen für die Betroffenen haben kann(41).

85.      Was insbesondere Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 betrifft, könnte sich – sofern sich herausstellen sollte, dass der Mitgliedstaat diesen Grundsatz nicht beachtet – die zuständige Behörde dieses Staates nicht auf diese Bestimmung berufen, um den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abzulehnen.

86.      Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten die ihnen eingeräumte Freiheit auf eine Art und Weise zu nutzen haben, die den vom Unionsgesetzgeber festgelegten Bedingungen entspricht und weder das Ziel der Richtlinie 2016/801 noch deren praktische Wirksamkeit beeinträchtigt(42).

87.      Mit dem Erlass der Richtlinie 2016/801 wollte der Unionsgesetzgeber die Mängel des zuvor durch die Richtlinie 2004/114 eingeführten Systems beheben und es verbessern, um „mehr Transparenz und Rechtssicherheit … für verschiedene Gruppen von Drittstaatsangehörigen, die in die Union einreisen[, zu gewährleisten]“, wie er im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 ausdrücklich angegeben hat(43). Insoweit verlangt der mit der unmissverständlichen Überschrift „Transparenz und Zugang zu Informationen“ versehene Art. 35 dieser Richtlinie von den Mitgliedstaaten, den Antragstellern Informationen über die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen einschließlich der Rechte, Pflichten und Verfahrensgarantien, die unter diese Richtlinie fallen, zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang halte ich es für wesentlich, dass einem Drittstaatsangehörigen, der einen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums gerichteten Antrag stellt, der die erforderlichen Zulassungsbedingungen erfüllt, mitgeteilt wird, dass dieser Antrag, unabhängig davon, ob er in gutem Glauben gestellt wird oder nicht, abgelehnt werden kann, wenn sein Aufenthalt einen anderen Zweck verfolgt.

88.      Folglich verlangen sowohl der Grundsatz der Rechtssicherheit als auch der Grundsatz der Transparenz, dass der Mitgliedstaat, der von den Bestimmungen von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 Gebrauch machen möchte, in einem klaren, bestimmten und vorhersehbaren gesetzlichen Rahmen ausdrücklich vorsieht, dass er einen Antrag auf Zulassung mit der Begründung ablehnen kann, dass er Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür habe, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt.

89.      Dagegen verpflichtet die Umsetzung dieses Artikels aus den in Nr. 66 der vorliegenden Schlussanträge genannten Gründen den Mitgliedstaat nicht, diese Gründe aufzuzählen.

90.      Nun ist zu prüfen, ob Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 durch die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Rechtsvorschriften umgesetzt worden ist.

91.      Die belgische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es keine positive Maßnahme zur Umsetzung dieser Bestimmung gegeben hat. Sie hat in diesem Zusammenhang im Einklang mit ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, dass Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 als eine schon zuvor bestehende nationale Bestimmung angesehen werden könne, die eine ausreichende Umsetzung des Unionsrechts in nationales Recht gewährleiste(44). Es steht auch fest, dass entgegen den in Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen weder in den nationalen Bestimmungen selbst noch im Zuge deren Veröffentlichung auf die Richtlinie 2016/801 Bezug genommen worden ist.

92.      Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 bestimmt, dass, „[w]enn der Antrag auf Erlaubnis, sich länger als drei Monate im Königreich aufhalten zu dürfen, bei einer belgischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung von einem Ausländer eingereicht wird, der in Belgien an einer Hochschule studieren oder dort ein Vorbereitungsjahr für den Hochschulunterricht besuchen möchte“(45), diese Erlaubnis erteilt werden muss, wenn auf den Drittstaatsangehörigen keiner der in Art. 3 Abs. 1 Nrn. 5 bis 8 genannten Fälle zutrifft und wenn er eine von einer Bildungseinrichtung ausgestellte Bescheinigung, den Nachweis, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt, ein ärztliches Attest sowie eine Bescheinigung vorlegt, aus der hervorgeht, dass gegen ihn keine Verurteilungen wegen gemeinrechtlicher Verbrechen oder Vergehen vorliegen.

93.      Aus diesem Artikel geht eindeutig hervor, dass die Aufenthaltserlaubnis verweigert werden kann, wenn der Drittstaatsangehörige bestimmte der in den Art. 7 und 11 der Richtlinie 2016/801 enthaltenen allgemeinen und besonderen Zulassungsbedingungen nicht erfüllt.

94.      Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 sieht jedoch nicht ausdrücklich vor, dass das Studentenvisum verweigert werden kann, falls durch Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte nachgewiesen wird, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken als zu einem Studium in Belgien nutzen würde. Der in dieser nationalen Bestimmung genannte Umstand, dass der Antrag von einem Ausländer gestellt wird, der „in Belgien an einer Hochschule studieren … möchte“, wird vom Rat für Ausländerstreitsachen dahin ausgelegt, dass die Absicht des Drittstaatsangehörigen, ein Hochschulstudium zu absolvieren, geprüft werden müsse. Es handele sich um einen konstitutiven Bestandteil des Antrags, so dass der belgische Staat befugt sei, einen Antrag abzulehnen, wenn sich herausstelle, dass dieser Staatsangehörige keine solche Absicht habe. Meines Erachtens kann ein solcher Umstand jedoch nicht als Verweis auf den in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Grund für die Ablehnung eines Zulassungsantrags verstanden und dahin ausgelegt werden, dass er die Umsetzung dieser Bestimmung im Einklang mit den oben genannten Erfordernissen der Klarheit, der Bestimmtheit und der Vorhersehbarkeit gewährleistet.

95.      Ich bin daher der Auffassung, dass Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung keine Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 unter Bedingungen gewährleistet, die die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz wahren.

C.      Zu den verfahrensrechtlichen Modalitäten des Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, mit der der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird (dritte Vorlagefrage)

96.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Verwaltungsbehörden oder Gerichten, die mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst sind, mit der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird, die Befugnis einräumen müssen, diese Entscheidung abzuändern und die Beurteilung der zuständigen Behörde, die diese Entscheidung erlassen hat, durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen(46).

97.      Art. 34 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2016/801 räumt den Antragstellern ausdrücklich die Möglichkeit ein, die Entscheidung, mit der ein Antrag auf Zulassung abgelehnt wird, in dem betreffenden Mitgliedstaat „gemäß dem nationalen Recht“ mit einem Rechtsbehelf anzufechten. Diese Richtlinie enthält jedoch weder Bestimmungen zum Umfang und zu den Modalitäten dieses Rechtsbehelfs, insbesondere zu den Fristen, innerhalb deren er einzulegen und über ihn zu entscheiden ist, oder zu den Befugnissen, die den mit diesem Rechtsbehelf befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichten zu diesem Zweck zustehen, noch zu den Wirkungen der Aufhebung der von der zuständigen Behörde erlassenen Entscheidung, insbesondere zu der Frage, innerhalb welcher Frist diese Behörde eine neue Entscheidung zu erlassen hat. Die Mitgliedstaaten verfügen daher über einen weiten Ermessensspielraum. Der Unionsgesetzgeber stellt in Art. 34 Abs. 5 Satz 2 der Richtlinie 2016/801 lediglich klar, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats in einer schriftlichen Mitteilung das Gericht oder die Verwaltungsbehörde, bei denen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, und die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs nennen müssen.

98.      Der Gerichtshof hat die Tragweite von Art. 34 Abs. 5 Satz 1 dieser Richtlinie im Urteil vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N.(47), ausgelegt, das die Weigerung einer polnischen Konsularbehörde betraf, einem Drittstaatsangehörigen das beantragte Studentenvisum zu erteilen. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Unionsgesetzgeber die Entscheidung über die Art und die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbehelfe, die den Antragstellern für Visa für den längerfristigen Aufenthalt im Anwendungsbereich dieser Richtlinie zur Verfügung stehen, im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie den Mitgliedstaaten überlassen hat. Es steht den Mitgliedstaaten daher frei, der angerufenen Verwaltungsbehörde oder dem angerufenen Gericht eine Aufhebungs- oder Abänderungsbefugnis einzuräumen. Eine vergleichende Analyse der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften zeigt insoweit, dass die Mitgliedstaaten je nach ihren Rechtstraditionen sehr unterschiedliche Verfahrenslösungen gewählt haben(48).

99.      Im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung hat der Gerichtshof jedoch darauf hingewiesen, dass die Merkmale des in Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahrens so zu bestimmen sind, dass sie zum einen mit Art. 47 der Charta, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte der Einzelnen zu gewährleisten(49), und zum anderen mit dem Äquivalenzgrundsatz (die verfahrensrechtlichen Modalitäten dürfen nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen) sowie mit dem Effektivitätsgrundsatz (die verfahrensrechtlichen Modalitäten dürfen die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren) im Einklang stehen(50).

100. Im Ausgangsverfahren stellt sich nur die Frage, ob Art. 47 der Charta und der Effektivitätsgrundsatz beachtet wurden.

101. In der vorliegenden Rechtssache sind drei Aspekte hervorzuheben.

102. Der erste Aspekt betrifft das Bestehen eines Rechtsbehelfs. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das belgische Recht ein Recht auf einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen vorsieht, mit denen ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird. Dieser Rechtsbehelf wird beim Rat für Ausländerstreitsachen eingelegt, der gemäß Art. 39/1 § 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980  ein administratives Rechtsprechungsorgan ist, das allein befugt ist, über Beschwerden gegen Einzelbeschlüsse, die in Anwendung der Gesetze über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern gefasst wurden, zu erkennen.

103. Der zweite Aspekt betrifft den Umfang der Befugnisse der mit dem Rechtsbehelf befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichte. Insoweit präzisiert das vorlegende Gericht, dass der Rat für Ausländerstreitsachen nach Art. 39/2 § 2 dieses Gesetzes befugt sei, eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf ein Studentenvisum abgelehnt werde, für nichtig zu erklären. Es gibt jedoch nicht an, inwieweit dieses Urteil von der zuständigen Behörde beachtet werden muss.

104. Der dritte Aspekt betrifft die Entscheidungsfristen. Zwar bezieht sich das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen nicht auf diese Fristen, doch zeigt sich im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Fristen von besonderer Bedeutung sind, wenn die Befugnisse der mit dem Rechtsbehelf befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichte auf eine Aufhebungsbefugnis beschränkt sind, wie dies in Belgien der Fall ist(51). Ich weise daher darauf hin, dass der Rat für Ausländerstreitsachen gemäß Art. 39/82 §§ 1 und 4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 befugt ist, die Aussetzung der Ausführung der Entscheidung, gegen die eine Beschwerde eingelegt wurde, anzuordnen, und zu diesem Zweck innerhalb von 30 Tagen über einen solchen Antrag entscheidet(52). Wird die Aussetzung angeordnet, ist über den Antrag auf Nichtigerklärung innerhalb von vier Monaten nach Verkündung der Entscheidung zu entscheiden.

105. Ich werde meine Analyse mit einer Prüfung der nach Art. 47 der Charta erforderlichen Voraussetzung der Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes beginnen.

106. Die Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto(53), vom 29. Juli 2019, Torubarov(54), und vom 19. März 2020, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal(55), die die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes betreffen, enthalten nämlich sachdienliche Klarstellungen im Zusammenhang mit nationalen Regelungen, die der zuständigen Verwaltungsbehörde oder dem zuständigen Gericht nur eine Aufhebungsbefugnis und keine Abänderungsbefugnis einräumen.

107. Derartige Regelungen verstoßen als solche nicht gegen das Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes. Dagegen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass jeder Mitgliedstaat sein nationales Recht so ausgestalten muss, dass nach einer Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung und im Fall der Zurückverweisung der Sache an die zuständige Behörde diese zum einen binnen kurzer Frist und zum anderen im Einklang mit der im Aufhebungsurteil enthaltenen Würdigung eine neue Entscheidung erlässt(56). Der Gerichtshof stützt seine Argumentation auf drei Haupterwägungen: auf die Notwendigkeit, eine möglichst rasche Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz zu gewährleisten, auf das Bestreben, die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen sicherzustellen, in denen das Recht auf einen Rechtsbehelf verankert ist, und schließlich auf die Notwendigkeit, im Einklang mit Art. 47 der Charta einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zu gewährleisten.

108. Aus Gründen, die sich von denen unterscheiden, die für den Erlass einer Entscheidung über die Gewährung internationalen Schutzes maßgebend sind, muss die Entscheidung über die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums so schnell wie möglich getroffen werden, damit der Drittstaatsangehörige sein Studienjahr an der Hochschuleinrichtung aufnehmen kann, bei der er ordnungsgemäß eingeschrieben ist und seine Einschreibungsgebühren entrichtet hat.

109. Schon im Rahmen der Richtlinie 2004/114 hatte der Unionsgesetzgeber verlangt, dass Entscheidungen über Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums „innerhalb eines solchen Zeitraums getroffen und dem Antragsteller mitgeteilt [werden], der diesen nicht daran hindert, die entsprechenden Studien zu absolvieren, und gleichzeitig den zuständigen Behörden ausreichend Zeit zur Bearbeitung des Antrags lässt“(57).

110. Die Annahme der Richtlinie 2016/801 zielte darauf ab, die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken nach Europa einreisen wollen, zu verbessern und zu erleichtern, ein zügiges Zulassungsverfahren zu gewährleisten und ihre Verfahrensrechte zu stärken(58). Diese Ziele erfordern, dass einem Drittstaatsangehörigen, der die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums erfüllt, dieser Titel oder dieses Visum innerhalb einer Frist erteilt wird, die es ihm ermöglicht, die mit diesem Status verbundenen Rechte und Vorteile in Anspruch zu nehmen.

111. So ergibt sich aus Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2016/801, dass die zuständigen Behörden so rasch wie möglich, spätestens jedoch 90 Tage nach Einreichung des vollständigen Antrags, eine Entscheidung treffen müssen. Die Bedeutung der Fristen kommt auch zum einen im 42. Erwägungsgrund dieser Richtlinie zum Ausdruck, in dem der Unionsgesetzgeber darauf besteht, dass der Antragsteller die erforderlichen zusätzlichen Informationen innerhalb „angemessene[r] Frist“ vorlegt, und zum anderen im 43. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, in dem er den zuständigen Behörden empfiehlt, die Entscheidung „so bald wie möglich“ schriftlich mitzuteilen.

112. Dieses Erfordernis der zügigen Bearbeitung hängt untrennbar mit der spezifischen Natur des in der Richtlinie 2016/801 zugunsten von Drittstaatsangehörigen vorgesehenen Aufenthaltsart „Student“ zusammen.

113. Die Natur dieses Aufenthalts macht es zum einen erforderlich, dass der Drittstaatsangehörige die gebotene Sorgfalt walten lässt, um seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums innerhalb angemessener Frist zu stellen und ihn gegebenenfalls nach Maßgabe des von der jeweiligen Hochschuleinrichtung festgelegten Zeitplans zu vervollständigen. Zum anderen macht sie es erforderlich, dass der Mitgliedstaat – gegebenenfalls nach Aufhebung einer ersten Entscheidung der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts – eine endgültige Entscheidung vor Beginn des Studienjahrs erlassen kann, und zwar so, dass diesem Staatsangehörigen genügend Zeit bleibt, die weiteren Schritte zu unternehmen, die für seine Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats und seinen Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet erforderlich sind, insbesondere wenn er außerhalb dieses Hoheitsgebiets wohnt.

114. Folglich steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, den mit einem Rechtsbehelf gegen eine solche Entscheidung befassten Verwaltungsbehörden oder Gerichten unter Ausschluss einer Abänderungsbefugnis eine Aufhebungsbefugnis einzuräumen, wie es im vorliegenden Fall das belgische Recht offenbar tut, jedoch muss das Rechtsbehelfsverfahren dem Erfordernis einer zügigen Bearbeitung entsprechen, und zwar in einer Weise, die den Drittstaatsangehörigen nicht nur einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta, sondern auch die volle Wirksamkeit ihrer Rechte aus der Richtlinie 2016/801 gewährleistet. Nach meiner Auffassung ist dieses Erfordernis der zügigen Bearbeitung mit der Natur der Prüfung, die erforderlich ist, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums gestellt wird, nicht unvereinbar, da diese Prüfung meines Erachtens keine komplexen Tatsachenwürdigungen voraussetzt.

115. Daraus folgt meines Erachtens, dass jeder Mitgliedstaat sein nationales Recht so ausgestalten sollte, dass die zuständige Behörde nach der Aufhebung einer ursprünglichen Entscheidung und im Fall der Zurückverweisung der Sache an diese Behörde eine neue Entscheidung erlässt, die mit der im Aufhebungsurteil enthaltenen Würdigung im Einklang steht und zudem vor dem Beginn des Studienjahrs der Hochschuleinrichtung, bei der der Drittstaatsangehörige ordnungsgemäß eingeschrieben ist, erlassen wird.

116. Ich füge hinzu, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser verfahrensrechtlichen Modalitäten ihr besonderes Augenmerk auf die Situation derjenigen Antragsteller richten sollten, die ihren Antrag stellen, während sie ihren Wohnsitz außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats haben – indem sie diese in die Lage versetzen, das Recht auf Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs wirksam auszuüben –, sowie auf die Situation derer, die sich zwar im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhalten, aber nur über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum verfügen, dessen Ablauf kurz bevorsteht.

117. In Anbetracht all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Verwaltungsbehörden oder Gerichten, die mit dem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst sind, mit der ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ oder eines Studentenvisums abgelehnt wird, unter Ausschluss einer Abänderungsbefugnis eine Aufhebungsbefugnis einzuräumen, sofern die neue Entscheidung von der zuständigen Behörde vor dem Beginn des Studienjahrs der Hochschuleinrichtung, bei der der Drittstaatsangehörige ordnungsgemäß eingeschrieben ist, erlassen wird.

V.      Ergebnis

118. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) wie folgt zu antworten:

1.      Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie (EU) 2016/801/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit

ist dahin auszulegen, dass

–        die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz verlangen, dass der Mitgliedstaat, der diese Bestimmung in seine innerstaatliche Rechtsordnung umsetzen will, in einem klaren, genauen und vorhersehbaren rechtlichen Rahmen ausdrücklich vorsieht, dass er einen Antrag auf Zulassung mit der Begründung ablehnen kann, dass er Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der betreffende Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung beantragt. Die Umsetzung dieser Bestimmung verpflichtet den Mitgliedstaat nicht, diese Anhaltspunkte aufzuzählen;

–        die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einen Antrag auf Zulassung zu Studienzwecken nur ablehnen darf, wenn sie Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im nationalen Hoheitsgebiet weder dazu dienen noch vorrangig den Zweck verfolgen soll, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt.

Der Entscheidung, mit der dieser Antrag abgelehnt wird, muss eine Einzelfallprüfung vorausgehen, in deren Rahmen die Absicht des Drittstaatsangehörigen, sein Studium im nationalen Hoheitsgebiet zu absolvieren, auf der Grundlage sowohl objektiver als auch subjektiver Gesichtspunkte zu beurteilen ist, zu denen die Schlüssigkeit seines Studienvorhabens gehören kann.

2.      Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Verwaltungsbehörden oder Gerichten, die mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst sind, mit der ein Antrag auf Zulassung zu Studienzwecken abgelehnt wird, unter Ausschluss einer Abänderungsbefugnis eine Aufhebungsbefugnis einzuräumen, sofern die neue Entscheidung von der zuständigen Behörde vor dem Beginn des Studienjahrs der Hochschuleinrichtung, bei der der Drittstaatsangehörige ordnungsgemäß eingeschrieben ist, erlassen wird.


1      Originalsprache: Französisch.


i      Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. 2016, L 132, S. 21).


3      C‑491/13, EU:C:2014:2187.


4      Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (ABl. 2004, L 375, S. 12).


5      Vgl. Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya (C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 34).


6      Vgl. Kurzbericht des EMN „Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung des Missbrauchs von zu Studienzwecken erteilten EU-Aufenthaltstiteln“, März 2022 (im Folgenden: EMN-Kurzbericht), Nr. 2.


7      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2019, M.A. u. a. (C‑661/17, EU:C:2019:53, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


8      Im Folgenden: Charta.


9      Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584, in der zuletzt durch das Gesetz vom 5. Mai 2019 (Moniteur belge vom 22. August 2019, S. 80425) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980).


10      Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. 2006, L 381, S. 4), der Verordnung (EU) 2018/1860 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Nutzung des Schengener Informationssystems für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2018, L 312, S. 1) und der Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (ABl. 2018, L 312, S. 14) (vgl. Art. 1 § 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980).


11      Vgl. Art. 39/1 § 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980.


12      Vgl. Art. 1 § 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980.


13      Moniteur belge vom 5. August 2021, S. 77965.


14      In der mündlichen Verhandlung haben die tschechische, die litauische, die luxemburgische, die ungarische und die niederländische Regierung ihre mündlichen Ausführungen auf die erste vom Gerichtshof zur mündlichen Beantwortung gestellte Frage konzentriert, die die Umsetzung der Richtlinie 2016/801 betrifft.


15      Die Form und die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels sind in den Art. 17 bis 19 dieser Richtlinie festgelegt.


16      Vorbehaltlich einer eingehenderen Prüfung der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen besonderen Bedingung bin ich der Ansicht, dass die Wendung „zu einem Studium“ für sich genommen nicht ausreicht, um vom Mitgliedstaat zu verlangen, dass er den Willen und die Absicht des Antragstellers prüft, ein Studium zu absolvieren. Meines Erachtens soll dieser Ausdruck es ermöglichen, zwischen Antragstellern, die ein Studienprogramm absolvieren möchten, und solchen, die nur an einem befristeten Austausch teilnehmen, zu unterscheiden.


17      Der in Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2016/801 genannte zwingende Ablehnungsgrund betrifft den Fall, dass der Antragsteller Dokumente vorlegt, die gefälscht sind oder die er auf betrügerische Weise erworben hat. Ohne der Auslegung dieser Bestimmung vorzugreifen, würde die Feststellung eines Betrugs auch bedeuten, dass die zuständige Behörde die Absicht des Drittstaatsangehörigen berücksichtigt, im vorliegenden Fall die Absicht, die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels zu umgehen, um den damit verbundenen Vorteil zu erlangen. Vgl. hierzu die vom Gerichtshof im Urteil vom 6. Februar 2018, Altun u. a. (C‑359/16, EU:C:2018:63), aufgestellten Grundsätze zur Feststellung eines Betrugs. Die Feststellung eines Betrugs erfordert die Prüfung, ob ein Bündel übereinstimmender Indizien vorliegt, aus denen sich das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements ergibt (Rn. 50 dieses Urteils). Daher kann nur ein Betrug, den der Drittstaatsangehörige, der einen Aufenthaltstitel „Student“ oder ein Studentenvisum beantragt hat, materiell und absichtlich begangen hat, geahndet werden. Das für die Feststellung des Betrugs erforderliche subjektive Element besteht nach der im Urteil vom 6. Februar 2018, Altun u. a. (C‑359/16, EU:C:2018:63), auf den Sachverhalt des dortigen Ausgangsverfahrens angewandten Definition in der Absicht der Antragstellerin, die Voraussetzungen für die Ausstellung des Aufenthaltstitels zu umgehen, um den damit verbundenen Vorteil zu erlangen (Rn. 52 dieses Urteils).


18      Im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 heißt es nämlich, dass „alle Bestimmungen der Richtlinie 2003/86/EG [des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12)], einschließlich der Gründe für die Ablehnung oder Entziehung der Zulassung oder die Verweigerung der Verlängerung, gelten [sollten]. Familienangehörigen kann somit die Aufenthaltserlaubnis entzogen oder ihre Verlängerung verweigert werden, wenn der Aufenthaltstitel des Forschers, den sie begleiten, erlischt und sie nicht über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht verfügen.“


19      Vgl. 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801.


20      Hervorhebung nur hier.


21      Art. 24 dieser Richtlinie legt die Voraussetzungen und Grenzen fest, unter denen Studierende neben ihrem Studium eine Berufstätigkeit ausüben können.


22      Vgl. hierzu Art. 20 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2016/801.


23      Wie sich aus dem 54. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 ergibt, kommen Studenten in den Genuss der Bestimmungen der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1), die ein auf dem Grundsatz der Gleichstellung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats beruhendes gemeinsames Bündel von Rechten vorsieht (20. Erwägungsgrund und Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/98).


24      Vgl. Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2003/86 und zur Rechtsprechung Urteil vom 23. September 2003, Akrich (C‑109/01, EU:C:2003:491, Rn. 57).


25      Anders als die französische Sprachfassung verwenden u. a. die deutsche, die englische, die italienische und die spanische Fassung nicht die Worte „d’une part … d’autre part“ („zum einen … zum anderen“), sondern die Konjunktion „und“.


26      Die italienische Sprachfassung dieses Artikels bezieht sich im Übrigen ausdrücklich auf den Begriff „Absicht“ („che il cittadino di paese terzo intende soggiornare“, Hervorhebung nur hier).


27      Hervorhebung nur hier.


28      Nach Art. 34 Abs. 3 dieser Richtlinie kann die zuständige Behörde vom Antragsteller zusätzliche Informationen zur Begründung seines Antrags verlangen.


29      Eine vergleichende Analyse der verschiedenen Sprachfassungen von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 ergibt erstens, dass sich die Adjektive „ernsthafte und sachliche“ auf die „Anhaltspunkte“ und nicht auf die „Beweise“ beziehen (vgl. z. B. die englische [„the Member State has evidence or serious and objective grounds“] oder die italienische Sprachfassung [„lo Stato membro è in possesso di prove o ha motivi seri e oggettivi“]), und zweitens, dass sich der Begriff „ernsthafte … Anhaltspunkte“ von dem Begriff „schwerwiegende Gründe“ unterscheidet, den der Unionsgesetzgeber in zahlreichen Texten des abgeleiteten Rechts über den Aufenthalt von Unionsbürgern oder Drittstaatsangehörigen in der Union verwendet, wie etwa in der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35).


30      Vgl. z. B. die Website Campus France Ägypten: https://www.egypte.campusfrance.org/fr/preparer-un-projet-d-etudes-clair-et-coherent.


31      Aus dem EMN-Kurzbericht (Nr. 2) geht hervor, dass die Validierung der Dokumente und die Gespräche mit den Antragstellern die beiden Methoden sind, die in der Phase vor der Ankunft im nationalen Hoheitsgebiet am häufigsten angewandt werden.


32      Aus den Unterlagen in der nationalen Verfahrensakte geht hervor, dass der bei den belgischen Konsularbehörden gestellte Antrag auf Zulassung dem Drittstaatsangehörigen den Nachweis ermöglichen muss, dass dieser tatsächlich beabsichtigt, sich in Belgien als Student aufzuhalten, um dort ein Hochschulstudium zu absolvieren. Der Fragebogen muss es dem Drittstaatsangehörigen ermöglichen, sein Studienvorhaben im Hinblick auf seinen akademischen Werdegang und seine beruflichen Ziele darzulegen und zu begründen, während das Gespräch ihm Gelegenheit geben muss, dieses Vorhaben zu erläutern oder zu verteidigen.


33      Ich weise auch darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450), zur Auslegung von Art. 35 der Richtlinie 2004/38 entschieden hat, dass der Umstand, dass sich ein Mitgliedstaat mit einer hohen Zahl von Rechtsmissbrauchs- oder Betrugsfällen konfrontiert sieht, die von Drittstaatsangehörigen begangen werden, den Erlass von Maßnahmen, die unter Ausschluss jeder spezifischen Beurteilung des eigenen Verhaltens der Betroffenen auf generalpräventiven Erwägungen beruhen, nicht rechtfertigen kann (Rn. 55).


34      Vgl. auch 36. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801, der klarstellt, dass „die Möglichkeit bestehen [sollte], die Zulassung zu verweigern, falls ein Mitgliedstaat auf der Grundlage einer auf Tatsachen gestützten Beurteilung in einem konkreten Einzelfall und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu der Auffassung gelangt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit darstellt“.


35      Vgl. 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 (Hervorhebung nur hier).


36      Vgl. entsprechend Urteil vom 14. März 2019, Y. Z. u. a. (Täuschung bei der Familienzusammenführung) (C‑557/17, EU:C:2019:203, Rn. 64 und 65).


37      Das Gesetz vom 11. Juli 2021 zur Abänderung des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern in Bezug auf Studenten dient gemäß seinem Art. 2 „der Teilumsetzung der Richtlinie 2016/801“ und setzt in seinem Art. 15 den in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie genannten Ablehnungsgrund um.


38      Vgl. hierzu EMN-Kurzbericht, Nr. 5.


39      Vgl. Urteil vom 16. Februar 2023, DGRFP Cluj (C‑519/21, EU:C:2023:106, Rn. 105).


40      Vgl. Urteil vom 29. Juni 2023, Stadt Frankfurt am Main und Stadt Offenbach am Main (Verlängerung eines Aufenthaltstitels im zweiten Mitgliedstaat) (C‑829/21 und C‑129/22, EU:C:2023:525, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung). Auch wenn diese Erwägung die zwingenden Bestimmungen in Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. 2011, L 132, S. 1) geänderten Fassung betrifft, ist sie meines Erachtens auf eine fakultative Bestimmung wie Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 entsprechend anwendbar.


41      Vgl. Urteil vom 16. Februar 2023, DGRFP Cluj (C‑519/21, EU:C:2023:106, Rn. 105).


42      Vgl. entsprechend Urteil vom 13. März 2019, E. (C‑635/17, EU:C:2019:192, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).


43      Vgl. auch den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 28. September 2011 betreffend die Anwendung der Richtlinie 2004/114/EG über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (KOM[2011] 587 endg.), in dem die Kommission auf die „allgemeiner[e] Verpflichtung …, Drittstaatsangehörige über die Regeln zu informieren, die auf die Zulassung von Studenten anzuwenden sind, [damit] Transparenz und Rechtssicherheit für zukünftige Studenten geschaffen und diese dazu ermutigt werden, in der EU zu studieren“, hinweist (S. 4, „Besondere Bedingungen für Studenten“).


44      Der Gerichtshof hat entschieden, dass in den Geltungsbereich einer Richtlinie nicht nur die nationalen Vorschriften fallen, deren ausdrückliches Ziel die Umsetzung der Richtlinie ist, sondern – vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie an – auch die schon zuvor bestehenden nationalen Vorschriften, die geeignet sind, die Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto [C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung]).


45      Hervorhebung nur hier.


46      Zur Stützung ihrer Erklärungen verweist die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens auf Art. 46 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60). Meines Erachtens kann eine solche Parallele aber nicht gezogen werden, weil dieser Artikel ausdrücklich verlangt, dass der wirksame Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig oder unbegründet erklärt wird, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt.


47      C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 37 bis 46 und die dort angeführte Rechtsprechung.


48      Vgl. EMN-Kurzbericht, Nr. 7.


49      Vgl. Urteil vom 8. November 2022, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Von Amts wegen erfolgende Prüfung der Haft) (C‑704/20 und C‑39/21, EU:C:2022:858, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).


50      Vgl. Urteil vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N. (C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 42 bis 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


51      Ich weise darauf hin, dass es in der derzeit beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Darvate u. a. (C‑299/23) ausdrücklich um die im belgischen Recht im Kontext von Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 vorgesehenen Entscheidungsfristen geht.


52      Der Antrag auf Aussetzung in äußerster Dringlichkeit, der innerhalb von 48 Stunden bearbeitet wird, ist Ausweisungs- und Abweisungsmaßnahmen vorbehalten, deren Durchführung unmittelbar bevorsteht.


53      C‑585/16, EU:C:2018:584.


54      C‑556/17, EU:C:2019:626.


55      C‑406/18, EU:C:2020:216.


56      Vgl. Urteil vom 19. März 2020, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (C‑406/18, EU:C:2020:216, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


57      Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2004/114.


58      Vgl. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Folgenabschätzung, Begleitdokument zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einem bezahlten oder unbezahlten Praktikum, einem Freiwilligendienst oder zur Ausübung einer Au-pair-Beschäftigung (COM[2013] 151 final), abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑7869-2013-ADD-1/en/pdf (S. 19).