Language of document : ECLI:EU:C:2019:724

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. September 2019(*)

„Rechtsmittel – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Absolute Nichtigkeitsgründe – Art. 52 Abs. 1 Buchst. b – Bösgläubigkeit bei Anmeldung der Marke“

In der Rechtssache C‑104/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 13. Februar 2018,

Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret AŞ mit Sitz in Istanbul (Türkei), Prozessbevollmächtigte: J. Güell Serra und E. Stoyanov Edissonov, abogados,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch J. Crespo Carrillo als Bevollmächtigten,

Beklagter im ersten Rechtszug,

Joaquín Nadal Esteban, wohnhaft in Alcobendas (Spanien), Prozessbevollmächtigter: J. L. Donoso Romero, abogado,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2018,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 4. April 2019

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret AŞ die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 30. November 2017, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO – Nadal Esteban (STYLO & KOTON) (T‑687/16, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:853), mit dem das Gericht ihre Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 14. Juni 2016 (Sache R 1779/2015‑2) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret AŞ und Herrn Joaquín Nadal Esteban (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unionsmarke] (ABl. 2009, L 78, S. 1), mit der die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde, wurde durch die am 23. März 2016 in Kraft getretene Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geändert. Später wurde sie durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) mit Wirkung zum 1. Oktober 2017 aufgehoben und ersetzt.

3        Da die Anmeldung der angegriffenen Marke vor dem 23. März 2016 lag, wie auch im Übrigen die Eintragungsentscheidung und der Antrag auf Nichtigerklärung, ist der vorliegende Rechtsstreit hier anhand der Verordnung Nr. 207/2009 in ihrer ursprünglichen Fassung zu prüfen.

4        Art. 7 („Absolute Eintragungshindernisse“) dieser Verordnung bestimmte, dass Zeichen mit bestimmten Mängeln wie einem rein beschreibenden Charakter oder fehlender Unterscheidungskraft nicht als Unionsmarke eingetragen werden konnten.

5        In Art. 8 („Relative Eintragungshindernisse“) der Verordnung hieß es:

„(1)      Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

a)      wenn sie mit der älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt;

b)      wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

(2)      ‚Ältere Marken‘ im Sinne von Absatz 1 sind

a)      Marken mit einem früheren Anmeldetag als dem Tag der Anmeldung der [Unionsmarke], gegebenenfalls mit der für diese Marken in Anspruch genommenen Priorität, die den nachstehenden Kategorien angehören:

i)      [Unionsmarken];

ii)      in einem Mitgliedstaat … eingetragene Marken;

iii)      mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registrierte Marken;

iv)      aufgrund internationaler Vereinbarungen mit Wirkung in der [Union] eingetragene Marken;

(5)      Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke im Sinne des Absatzes 2 ist die angemeldete Marke auch dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn sie mit der älteren Marke identisch ist oder dieser ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen eingetragen werden soll, die nicht denen ähnlich sind, für die die ältere Marke eingetragen ist, wenn es sich im Falle einer älteren [Unionsmarke] um eine in der [Union] bekannte Marke und im Falle einer älteren nationalen Marke um eine in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannte Marke handelt und die Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde.“

6        Art. 52 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmte:

„(1)      Die [Unionsmarke] wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)      wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 eingetragen worden ist;

b)      wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

(3)      Liegt ein Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die [Unionsmarke] eingetragen ist, so kann sie nur für diese Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt werden.“

7        Art. 53 („Relative Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung bestimmte in Abs. 1:

„Die [Unionsmarke] wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)      wenn eine in Artikel 8 Absatz 2 genannte ältere Marke besteht und die Voraussetzungen der Absätze 1 und 5 des genannten Artikels erfüllt sind;

…“

8        Der Inhalt der Art. 7, 8, 52 und 53 der Verordnung Nr. 207/2009, der dem der Art. 7, 8, 51 und 52 der Verordnung Nr. 40/94 entsprach, wurde in den Art. 7, 8, 59 und 60 der Verordnung 2017/1001 übernommen.

9        Art. 71 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 lautet:

„Nach der Prüfung, ob der Beschwerde stattzugeben ist, entscheidet die Beschwerdekammer über die Beschwerde. Die Beschwerdekammer wird entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Dienststelle tätig, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Behandlung an diese Dienststelle zurück.“

10      Art. 72 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)      Die Entscheidungen der Beschwerdekammern, durch die über eine Beschwerde entschieden wird, sind mit der Klage beim Gericht anfechtbar.

(3)      Das Gericht kann die angefochtene Entscheidung aufheben oder abändern.

(6)      Das Amt ergreift die notwendigen Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichts oder, im Falle der Einlegung eines Rechtsmittels gegen dieses Urteil, des Gerichtshofs ergeben.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

11      Am 25. April 2011 meldete Herr Nadal Esteban (im Folgenden: Streithelfer) beim EUIPO das folgende Zeichen als Unionsmarke an:

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12      Die Marke wurde für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35 und 39 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in geänderter und revidierter Fassung (im Folgenden: Abkommen von Nizza) angemeldet. Diese Waren und Dienstleistungen entsprachen folgender Beschreibung:

–      Klasse 25: „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“;

–      Klasse 35: „Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten“;

–      Klasse 39: „Transportwesen; Verpackung und Lagerung von Waren; Veranstaltung von Reisen“.

13      Am 26. August 2011 legte die Rechtsmittelführerin, ein Unternehmen, das Kleidung, Schuhe und Accessoires herstellt und vertreibt, unter Berufung auf die folgenden älteren Marken Widerspruch ein:

–      die nachstehend wiedergegebene, in Malta für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25 und 35 im Sinne des Abkommens von Nizza eingetragene Marke:

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–      die nachstehend wiedergegebene, mit Wirkung für mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union für Waren und Dienstleistungen der Klassen 18, 25 und 35 im Sinne des Abkommens von Nizza eingetragene Marke:

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14      Der Widerspruch wurde auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützt.

15      Mit Entscheidung vom 31. Oktober 2013 gab das EUIPO dem Widerspruch lediglich insoweit statt, als er sich auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 25 und 35 im Sinne des Abkommens von Nizza bezog. Für die Dienstleistungen der Klasse 39 im Sinne dieses Abkommens wies es den Widerspruch hingegen zurück.

16      Am 23. Juni 2014 wurde diese Entscheidung von der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO bestätigt.

17      Am 5. November 2014 wurde die angemeldete Marke vom EUIPO für die in Rn. 12 des vorliegenden Urteils genannten Dienstleistungen der Klasse 39 eingetragen.

18      Am 5. Dezember 2014 reichte die Rechtsmittelführerin einen auf Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützten Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit der Marke ein.

19      Mit Entscheidung vom 25. August 2015 wies die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit zurück. Sie war der Auffassung, dass eine Bösgläubigkeit des Streithelfers nicht nachgewiesen worden sei.

20      Am 4. September 2015 legte die Rechtsmittelführerin Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.

21      Mit der streitigen Entscheidung wies die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO diese Beschwerde zurück. Sie ging davon aus, dass unabhängig von der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen und der Kenntnis des Streithelfers von den älteren Marken der Rechtsmittelführerin keine Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 vorliegen könne, da weder eine Identität noch eine Ähnlichkeit zwischen den Waren und Dienstleistungen, für die die älteren Marken eingetragen worden seien, einerseits und den Dienstleistungen der Klasse 39 im Sinne des Abkommens von Nizza, für die die angegriffene Marke eingetragen worden sei, andererseits bestehe. Da der Umfang des Schutzes, der der Rechtsmittelführerin von den älteren Marken gewährt werde, und der des Schutzes, der dem Streithelfer von der angegriffenen Marke gewährt werde, unterschiedlich seien, könne Art. 52 Abs. 1 Buchst. b nicht angewandt werden.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

22      Mit Klageschrift, die am 23. September 2016 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte die Rechtsmittelführerin, die streitige Entscheidung aufzuheben und dem EUIPO aufzugeben, die angegriffene Marke für nichtig zu erklären.

23      Zur Stützung ihrer Klage führte sie als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 an. Die Klägerin machte nämlich geltend, die Beschwerdekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für die Anwendung dieser Bestimmung identisch oder ähnlich seien müssten.

24      Das Gericht hat die Klage abgewiesen.

25      In den Rn. 30 und 31 des angefochtenen Urteils verwies es auf die Auslegung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 durch den Gerichtshof im Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), und führte in Rn. 32 des angefochtenen Urteils aus, dass es sich bei den vom Gerichtshof in jenem Urteil genannten erheblichen Faktoren lediglich um Beispiele für Anhaltspunkte handle, die berücksichtigt werden könnten, um über eine etwaige Bösgläubigkeit des Anmelders einer Unionsmarke zu befinden. Das Gericht ging insoweit davon aus, dass „auch die unternehmerische Logik berücksichtigt werden [könne], in die sich die Anmeldung des Zeichens als Unionsmarke einfügt, und die Geschehensabfolge bei der Anmeldung“.

26      In Rn. 44 des angefochtenen Urteils befand das Gericht, die Beschwerdekammer habe sich „auf die Anwendung der Rechtsprechung beschränkt, wie sie sich u. a. aus dem Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361, Rn. 53), ergibt, nach der eine Bösgläubigkeit des Anmelders die Verwendung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für eine identische oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware oder Dienstleistung durch einen Dritten voraussetzt“.

27      Gemäß den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 54 bis 57 des angefochtenen Urteils zeigten die von der Klägerin vorgebrachten Sachverhaltselemente wie das vorherige Bestehen einer Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien und die Aufnahme des Wort- und Bildbestandteils „KOTON“ in die angegriffene Marke allenfalls, dass der Streithelfer die älteren Marken gekannt habe, nicht aber, dass er eine unredliche Absicht gehabt habe. Das Gericht schloss daraus in Rn. 58 des Urteils, dass die Klägerin „in jedem Fall überhaupt nicht dargetan [habe], dass der Streithelfer am Tag der Anmeldung der [Unionsmarke] die Absicht gehabt hätte, die Verwendung der älteren Marken zu behindern“.

28      Das Gericht nahm schließlich in Rn. 60 des angefochtenen Urteils im Ergebnis an, die Beschwerdekammer habe zu Recht aufgrund des Umstands, „dass die angegriffene Marke für andere als die von den älteren maltesischen … Marken … und die [ältere] internationale Registrierung erfassten Dienstleistungen eingetragen worden [sei] und somit jede Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken ausgeschlossen“ sei, entscheiden können, dass der Nachweis für eine Bösgläubigkeit des Streithelfers nicht erbracht worden sei.

 Anträge der Parteien

29      Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–      das angefochtene Urteil aufzuheben;

–      die streitige Entscheidung aufzuheben;

–      die angegriffene Marke für nichtig zu erklären und

–      dem Streithelfer und dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

30      Das EUIPO beantragt,

–      dem Rechtsmittel stattzugeben und

–      dem EUIPO und dem Streithelfer die Kosten aufzuerlegen.

31      Der Streithelfer beantragt,

–      das angefochtene Urteil zu bestätigen und

–      der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

32      Die Rechtsmittelführerin macht als einzigen Rechtsmittelgrund einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 geltend.

 Vorbringen der Parteien

33      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin ist das Gericht in den Rn. 44 und 60 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, Bösgläubigkeit setze voraus, dass die angegriffene Marke für Waren oder Dienstleistungen eingetragen worden sei, die zu denen, für die die ältere Marke eingetragen worden sei, identisch oder ähnlich seien. Eine derartige Anforderung für die Anwendung des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 genannten absoluten Nichtigkeitsgrundes ergebe sich weder aus dieser Verordnung noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs.

34      Mit seiner dahin gehenden Entscheidung setze sich das Gericht außerdem zu Rn. 32 des angefochtenen Urteils in Widerspruch, in dem es ausgeführt habe, dass es sich bei den vom Gerichtshof im Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), genannten erheblichen Faktoren lediglich um Beispiele innerhalb eines Bündels von Anhaltspunkten handle, die zum Nachweis der Bösgläubigkeit des Anmelders geeignet seien.

35      Das EUIPO macht seinerseits ebenfalls geltend, die Beschwerdekammer und das Gericht hätten, beruhend auf einem Fehlverständnis des Urteils vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), den von der Rechtsmittelführerin gerügten Rechtsfehler begangen.

36      Der für die Beurteilung der Bösgläubigkeit eines Anmelders maßgebliche Zeitpunkt sei der der Anmeldung der Marke. Die Beschwerdekammer und das Gericht hätten somit Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 falsch angewandt, indem sie den Schwerpunkt allein auf die Dienstleistungen der Klasse 39 im Sinne des Abkommens von Nizza gelegt hätten, für die die angegriffene Marke letztlich eingetragen worden sei. Sie hätten prüfen müssen, ob der Streithelfer bei Einreichung seiner Anmeldung, die sich auf Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35 und 39 im Sinne des Abkommens von Nizza bezogen habe, bösgläubig gewesen sei.

37      Das EUIPO ergänzt, dass die Beschwerdekammer und das Gericht, hätten sie den gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 maßgeblichen Zeitpunkt ordnungsgemäß berücksichtigt, wahrscheinlich zu der Feststellung gelangt wären, dass der Streithelfer mit dem Versuch der Vereinnahmung des in den älteren Marken vorhandenen Wort- und Bildbestandteils „KOTON“ bösgläubig gehandelt habe. Diese Feststellung hätte somit zu einer Nichtigerklärung der angegriffenen Marke insgesamt, d. h. für alle Waren und Dienstleistungen, geführt.

38      Die Annahme, dass die Feststellung der Bösgläubigkeit das Bestehen einer Verwechslungsgefahr voraussetze, liefe außerdem – wie die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht ausgeführt habe – auf eine Verkennung des Unterschieds zwischen dem absoluten Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 und dem in deren Art. 53 Abs. 1 Buchst. a genannten relativen Nichtigkeitsgrund hinaus.

39      Der Streithelfer bestreitet jegliche Bösgläubigkeit seinerseits und ergänzt, dass die Rechtsmittelführerin den Gegenbeweis nicht erbracht habe. Das angefochtene Urteil sei somit rechtlich nicht zu beanstanden. Zu dem von der Rechtsmittelführerin gerügten Rechtsfehler merkt er an, dass eine Prüfung der Bösgläubigkeit ohne jedwedes Vorliegen einer Verwechslungsgefahr sinnlos sei.

40      Der Streithelfer unterstreicht, dass er nie ein Vertriebshändler für die Waren der Rechtsmittelführerin gewesen sei. Er habe mit ihr lediglich als Käufer von Waren einer weiteren ihrer Marken, die er in Spanien weiterverkauft habe, Geschäftsbeziehungen unterhalten. Die Rechtsmittelführerin habe diese Geschäftsbeziehungen im Jahr 2006 einseitig aufgekündigt.

41      Im Jahr 2004 habe er in Spanien eine Wort- und Bildmarke für Waren der Klasse 25 im Sinne des Abkommens von Nizza eintragen lassen, die das Wort „KOTON“ enthalte. Da diese Marke vor der internationalen Registrierung der Marke der Klägerin bestanden habe, sei Letztere 2016 von einem spanischen Gericht für nichtig erklärt worden. Die Berufung der Rechtsmittelführerin gegen die Entscheidung dieses Gerichts sei anhängig.

42      Da die Rechtsmittelführerin von dieser spanischen Marke des Streithelfers Kenntnis gehabt habe und bis 2006 – ungeachtet der Eintragung dieser Marke im Jahr 2004 – Beziehungen zum Streithelfer aufrechterhalten habe, könne nicht behauptet werden, dass er mit der Anmeldung der angegriffenen Marke am 25. April 2011 bösgläubig gehandelt habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

43      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein Begriff, der in der Verordnung Nr. 207/2009 nicht definiert ist, in seiner Bedeutung und Tragweite entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen ist, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit dieser Verordnung verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2019, Textilis, C‑21/18, EU:C:2019:199, Rn. 35, vgl. entsprechend Urteile vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, EU:C:2011:605, Rn. 39, und vom 22. März 2012, Génesis, C‑190/10, EU:C:2012:157, Rn. 41).

44      Für den Begriff „bösgläubig“ in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist mangels seiner Definition durch den Unionsgesetzgeber so zu verfahren.

45      Der Begriff „bösgläubig“ ist zudem, auch wenn er seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entsprechend eine unredliche Geisteshaltung oder Absicht voraussetzt, im markenrechtlichen Kontext, mithin dem Geschäftsleben, zu verstehen. Insoweit verfolgen die nacheinander erlassenen Verordnungen Nr. 40/94, Nr. 207/2009 und 2017/1001 ein und dasselbe Ziel, nämlich die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts (vgl. zur Verordnung Nr. 207/2009 Urteil vom 27. Juni 2013, Malaysia Dairy Industries, C‑320/12, EU:C:2013:435, Rn. 35). Die Regelungen über die Unionsmarke sollen insbesondere zu einem unverfälschten Wettbewerbssystem in der Union beitragen, in dem jedes Unternehmen, um die Kunden durch die Qualität seiner Waren oder seiner Dienstleistungen an sich zu binden, die Möglichkeit haben muss, Zeichen als Marken eintragen lassen zu können, die es dem Verbraucher ermöglichen, diese Waren oder diese Dienstleistungen ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. September 2010, Lego Juris/HABM, C‑48/09 P, EU:C:2010:516, Rn. 38, und vom 11. April 2019, ÖKO-Test Verlag, C‑690/17, EU:C:2019:317, Rn. 40).

46      Folglich findet der absolute Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 Anwendung, wenn sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergibt, dass der Inhaber einer Unionsmarke die Anmeldung dieser Marke nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder mit der Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken – u. a. der in Rn. 45 des vorliegenden Urteils angeführten wesentlichen Funktion der Herkunftsangabe – zu verschaffen.

47      Bei der Absicht des Anmelders einer Marke handelt es sich um ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das von den zuständigen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden jedoch in objektiver Weise zu bestimmen ist. Folglich muss jede Berufung auf eine Bösgläubigkeit umfassend beurteilt werden, wobei alle im Einzelfall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, C‑529/07, EU:C:2009:361, Rn. 37 und 42). Dies ist die einzige Art und Weise, auf die eine behauptete Bösgläubigkeit objektiv geprüft werden kann.

48      In der Rechtssache, in der das Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), ergangen ist, wurde der Gerichtshof, wie er in Rn. 36 des Urteils hervorgehoben hat, speziell zu dem Fall befragt, in dem zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke mehrere Hersteller auf dem Binnenmarkt gleiche oder ähnliche Zeichen für gleiche oder ähnliche Waren verwendeten, was zu Verwechslungen Anlass geben konnte. Das vorlegende Gericht hatte den Gerichtshof um Klarstellung gebeten, welche Faktoren bei Bestehen einer solchen Verwechslungsgefahr für die Beurteilung einer Bösgläubigkeit des Anmelders der Marke zu berücksichtigen sind.

49      Der Gerichtshof wurde somit – und obgleich sich die Beurteilung, ob Bösgläubigkeit vorliegt, eine andere war als die, ob eine Verwechslungsgefahr besteht, da es sich um zwei unterschiedliche Begriffe des Markenrechts handelt – um die Aufstellung von Kriterien für die Prüfung ersucht, ob in einer Situation, in der eine Verwechslungsgefahr erwiesen ist, Bösgläubigkeit vorliegt.

50      Der Gerichtshof hat dahin geantwortet, dass in einem solchen Fall neben weiteren Faktoren zu prüfen ist, ober der Anmelder wusste oder wissen musste, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat das mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbare Zeichen verwendet, wobei eine solche Kenntnis des Anmelders vermutet werden kann, wenn eine allgemeine Kenntnis von einer derartigen Verwendung in dem betreffenden Wirtschaftssektor besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, C‑529/07, EU:C:2009:361, Rn. 39 und 53).

51      Diesem Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ausschließlich in der Fallkonstellation festgestellt werden kann, zu der der Gerichtshof befragt worden war, in der auf dem Binnenmarkt ein gleiches oder ähnliches Zeichen für gleiche oder für verwechselbar ähnliche Waren verwendet wird.

52      Es mag nämlich Fallgestaltungen geben, für die die Annahme, auf der das Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), aufbaut, nicht trägt, in denen die Anmeldung einer Marke – ungeachtet der zum Zeitpunkt dieser Anmeldung fehlenden Nutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für identische oder ähnliche Waren durch einen Dritten auf dem Binnenmarkt – als bösgläubig angesehen werden kann.

53      Insoweit unterscheidet sich der absolute Nichtigkeitsgrund in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 grundlegend von dem in deren Art. 53 Abs. 1 Buchst. a genannten relativen Nichtigkeitsgrund, da Letzterer das Bestehen einer älteren Marke im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Verordnung wie auch das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung voraussetzt, soweit es sich bei der älteren Marke nicht um eine bekannte Marke im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung handelt oder deren Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Anwendung findet. Wie die Generalanwältin in Nr. 27 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es allerdings bei einem auf Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützten Antrag auf Nichtigerklärung keineswegs erforderlich, dass der Antragsteller Inhaber einer älteren Marke für die gleichen oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen ist.

54      Dabei ist zu ergänzen, dass – gesetzt den Fall, es stellt sich zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke heraus, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat ein mit dieser Marke identisches oder ähnliches Zeichen verwendet – für die Anwendung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum nicht zwingend festgestellt werden muss.

55      Aus der vom Gerichtshof in Rn. 53 des Urteils vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361), vorgenommenen Auslegung ergibt sich lediglich, dass im Rahmen der Gesamtabwägung der erheblichen Faktoren des Einzelfalls bei erbrachtem Nachweis, dass ein Dritter für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen ein identisches oder ähnliches Zeichen benutzt, was zu Verwechslungen Anlass geben kann, zu prüfen ist, ob der Anmelder der angegriffenen Marke von diesem Umstand Kenntnis hatte. Dieser Aspekt ist jedoch nur ein erheblicher Faktor unter anderen, die zu berücksichtigen sind.

56      Aus den in den Rn. 52 bis 55 des vorliegenden Urteils ausgeführten Gründen ist im Ergebnis festzuhalten, dass bei Fehlen einer Verwechslungsgefahr zwischen dem von einem Dritten verwendeten Zeichen und der angegriffenen Marke oder bei Fehlen der Nutzung eines mit der angegriffenen Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten andere tatsächliche Umstände gegebenenfalls schlüssige und übereinstimmende Indizien für den Nachweis einer Bösgläubigkeit des Anmelders darstellen können.

57      Daraus folgt, dass der Befund des Gerichts in Rn. 44 des angefochtenen Urteils, „eine Bösgläubigkeit des Anmelders [setze] die Verwendung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für eine identische oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware oder Dienstleistung durch einen Dritten voraus“, auf einem Fehlverständnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs beruht und Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zu eng fasst.

58      Da das Gericht, wie sich aus Rn. 60 des angefochtenen Urteils ergibt, davon ausgegangen ist, der Umstand, dass die angegriffene Marke für Dienstleistungen einer anderen Klasse des Abkommens von Nizza eingetragen worden war als die, für die die älteren Marken der Rechtsmittelführerin eingetragen und verwendet worden waren, habe die Beschwerdekammer zu dem Schluss berechtigt, dass eine Bösgläubigkeit des Streithelfers nicht erwiesen sei, schlägt dieser Rechtsfehler auf die Begründung des Gerichts durch.

59      Diesem Ansatz folgend hat das Gericht entgegen dem Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs in seiner Gesamtwürdigung eine Berücksichtigung aller im vorliegenden Fall erheblichen Faktoren, wie sie sich bei der Anmeldung darstellten, unterlassen, obgleich dieser Zeitpunkt maßgeblich war (Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, C‑529/07, EU:C:2009:361, Rn. 35).

60      Das Gericht hätte mithin den unstreitigen und von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Umstand berücksichtigen müssen, dass der Streithelfer ein Zeichen mit dem stilisierten Wort „KOTON“ nicht nur für die Dienstleistungen der Klasse 39 im Sinne des Abkommens von Nizza als Unionsmarke angemeldet hatte, sondern auch für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25 und 35 im Sinne des Abkommens von Nizza, die denen entsprechen, für die die Rechtsmittelführerin Marken mit diesem stilisierten Wort hatte eintragen lassen.

61      Aus Art. 52 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt sich zwar, dass die in dessen Abs. 1 genannten absoluten Nichtigkeitsgründe gegebenenfalls nur für einen Teil der Waren und Dienstleistungen vorliegen können, für die die angegriffene Marke eingetragen wurde. Die Rechtsmittelführerin hat allerdings die Nichtigerklärung der angegriffenen Marke insgesamt beantragt. Ihr Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit war somit unter Zugrundelegung der Absicht des Streithelfers zu dem Zeitpunkt zu prüfen, zu dem er eine Unionsmarke mit dem bereits von der Rechtsmittelführerin für Textilwaren benutzten Wort- und Bildbestandteil für verschiedene Waren und Dienstleistungen (einschließlich Textilwaren) angemeldet hatte.

62      Zudem hat das Gericht den Umstand, dass es Geschäftsbeziehungen zwischen dem Streithelfer und der Rechtsmittelführerin gab, die von der Rechtsmittelführerin beendet wurden, nur hilfsweise gewürdigt, da es die Verwendung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für mit den Dienstleistungen, für die die angegriffene Marke letztlich eingetragen wurde, identische oder ähnliche Dienstleistungen irrig zur wesentlichen Voraussetzung für die Anwendung von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gemacht hatte. Es hat zudem nicht geprüft, ob der Anmeldung einer Marke mit dem stilisierten Wort „KOTON“ für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35 und 39 im Sinne des Abkommens von Nizza in Anbetracht der Tätigkeiten des Streithelfers eine unternehmerische Logik zukam.

63      Auch wenn es in Rn. 32 des angefochtenen Urteils die „unternehmerische Logik …, in die sich die Anmeldung … einfügt“, und „die Geschehensabfolge bei der Anmeldung“ als Faktoren, die erheblich sein könnten, angeführt hat, hat das Gericht diese Faktoren somit in der Folge in seinem Urteil nicht erschöpfend geprüft.

64      Es ist in Rn. 56 des angefochtenen Urteils zwar davon ausgegangen, dass das Verstreichen eines ausreichend langen Zeitraums zwischen dem Ende der Geschäftsbeziehungen und der Anmeldung der angegriffenen Marke gegen eine Bösgläubigkeit des Streithelfers spreche.

65      Dass sich dieser Aspekt der Würdigung im angefochtenen Urteil findet, kann jedoch nicht für die Anwendung der Regel genügen, dass dann, wenn die Gründe einer Entscheidung des Gerichts eine Verletzung des Unionsrechts erkennen lassen, die Entscheidungsformel sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, ein solcher Verstoß nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Tschechische Republik/Kommission, C‑696/15 P, EU:C:2017:595, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der vom Gericht in Rn. 56 des angefochtenen Urteils festgestellte Umstand ist nämlich nur ein Gesichtspunkt neben anderen, denen im Rahmen einer – vom Gericht nicht vorgenommenen – Gesamtwürdigung unter gebührender Berücksichtigung der Markenanmeldung, wie sie vom Streithelfer für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35 und 39 im Sinne des Abkommens von Nizza eingereicht worden war, Rechnung zu tragen gewesen wäre.

66      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der einzige Rechtsmittelgrund begründet und das angefochtene Urteil aufzuheben ist.

 Zur Klage vor dem Gericht

67      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, sofern dieser zur Entscheidung reif ist.

68      Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über den einzigen im ersten Rechtszug geltend gemachten Klagegrund, nämlich einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, zu entscheiden.

69      Wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, ging die Beschwerdekammer bei der Feststellung einer Bösgläubigkeit des Streithelfers davon aus, dass die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens für mit den Waren oder Dienstleistungen, für die die angegriffene Marke eingetragen worden sei, identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen nachzuweisen gewesen wäre. Auf dieser Grundlage wies sie die Beschwerde der Rechtsmittelführerin zurück.

70      Wie sich allerdings aus den Rn. 52 bis 57 des vorliegenden Urteils ergibt, ist diese Begründung insoweit rechtsfehlerhaft, als sie Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zu eng fasst.

71      Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

 Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke

72      Da der Gerichtshof gemäß der in Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union angesprochenen Befugnis entschieden hat, die Entscheidung der Beschwerdekammer aufzuheben, obliegt es nach Art. 72 Abs. 6 der Verordnung 2017/1001 der zuständigen Stelle des EUIPO, eine neue Entscheidung zu treffen, und zwar unter Zugrundelegung einer Gesamtbeurteilung, die der Anmeldung der angegriffenen Marke, wie sie am 25. April 2011 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35 und 39 im Sinne des Abkommens von Nizza eingereicht wurde, sowie den von der Rechtsmittelführerin ordnungsgemäß nachgewiesenen Umständen ebenso Rechnung trägt wie den vom Streithelfer im Rahmen seiner Verteidigung gegen den Antrag auf Nichtigerklärung ordnungsgemäß dargetanen Umständen.

73      Folglich ist der Antrag, der Gerichtshof möge die angegriffene Marke für nichtig erklären, zurückzuweisen.

 Kosten

74      Gemäß Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

75      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

76      Die Rechtsmittelführerin hat im Wesentlichen obsiegt, da das angefochtene Urteil und die streitige Entscheidung aufgehoben worden sind. Sie hat beantragt, dem Streithelfer die Kosten aufzuerlegen.

77      Das EUIPO hat beantragt, ihm gemeinsam mit dem Streithelfer die Kosten aufzuerlegen.

78      Der Streithelfer und das EUIPO sind daher zu verurteilen, die Kosten der Rechtsmittelführerin sowohl hinsichtlich des Verfahrens im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑687/16 als auch hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens zu gleichen Teilen zu tragen. Wie sich aus Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt, stellen die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer notwendigen Kosten erstattungsfähige Kosten dar.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 30. November 2017, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO – Nadal Esteban (STYLO & KOTON) (T687/16, EU:T:2017:853), wird aufgehoben.

2.      Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 14. Juni 2016 (Sache R 1779/20152) wird aufgehoben.

3.      Der Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.

4.      Herr Joaquín Nadal Esteban und das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) tragen zu gleichen Teilen die Kosten, die der Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret AŞ im Verfahren im ersten Rechtszug in der Rechtssache T687/16 und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.