URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
11. März 1999 (1)
„EGKS-Vertrag Wettbewerb Beschluß eines Unternehmensverbands
Informationsaustauschsystem“
In der Rechtssache T-136/94
Eurofer ASBL, Gesellschaft luxemburgischen Rechts, 17-25, avenue de la Liberté,
Luxemburg, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Norbert Koch, Brüssel,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Julian
Currall und Norbert Lorenz, beide Juristischer Dienst, sowie durch Géraud Sajust
de Bergues, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, dann durch Jean-Louis Dewost, Generaldirektor des Juristischen Dienstes, Julian Currall und Guy
Charrier, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,
Beistand: Rechtsanwalt Heinz-Joachim Freund, Frankfurt am Main,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
hauptsächlich wegen Nichtigerklärung der Artikel 2 und 3 der Entscheidung
94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach
Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete
Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters C. W. Bellamy in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten sowie der Richter A. Potocki und J. Pirrung,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23.,
24., 25., 26. und 27. März 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
A Vorbemerkungen
- 1.
- Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS
der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des
EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von
europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1; im folgenden: Entscheidung oder
angefochtene Entscheidung) gerichtet, mit der die Kommission die gegen Artikel 65
§ 1 EGKS-Vertrag verstoßende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen
und der Klägerin an einer Reihe von Vereinbarungen, Beschlüssen und
verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Preisen, zur Marktaufteilung und zum
Austausch vertraulicher Informationen auf dem Trägermarkt der Gemeinschaft
feststellte und gegen vierzehn Unternehmen aus dieser Branche Geldbußen wegen
Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988 und dem 31. Dezember 1990
festsetzte.
- 2.
- Aus Randnummer 12 Buchstabe b der Entscheidung geht hervor, daß die Klägerin
die europäische Vereinigung der Eisen- und Stahlindustrie ist. Die meisten ihrer
Mitglieder sind Unternehmensvereinigungen, aber ihr gehören auch einige
Unternehmen (wie z. B. British Steel) an. In Artikel 2 ihrer Satzung heißt es:
„Die Ziele von Eurofer sind unter Berücksichtigung der Artikel 2 und 3 des
Vertrages über die Gründung der EGKS:
die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Verbänden und zwischen den
Unternehmen der europäischen Eisen- und Stahlindustrie,
die Vertretung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber
Dritten, insbesondere gegenüber der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften und anderen internationalen Organisationen, in den
Bereichen, die die Tätigkeit der Eisen- und Stahlindustrie betreffen.
Die Mitglieder von Eurofer verwirklichen diese Ziele durch
die Schaffung von Konsultationsmechanismen zur Erleichterung einer
Harmonisierung der Investitionsentscheidungen und einer Rationalisierung
der Produktion unter Beachtung der in Artikel 46 des Vertrages über die
Gründung der EGKS genannten Ziele,
den Austausch von Informationen über alle Probleme von gemeinsamem
Interesse, insbesondere die Produktion, den Markt und die Beschäftigung,
...“
- 3.
- Zehn weitere Adressaten der Entscheidung, und zwar NMH Stahlwerke GmbH (im
folgenden: NMH; Rechtssache T-134/94), ARBED SA (im folgenden: ARBED;
Rechtssache T-137/94), Cockerill-Sambre SA (im folgenden: Cockerill-Sambre;
Rechtssache T-138/94), Thyssen Stahl AG (im folgenden: Thyssen; Rechtssache
T-141/94), Unimétal Société française des aciers longs SA (im folgenden:
Unimétal; Rechtssache T-145/94), Krupp Hoesch Stahl AG (im folgenden: Krupp
Hoesch; Rechtssache T-147/94), Preussag Stahl AG (im folgenden: Preussag;
Rechtssache T-148/94), British Steel plc (im folgenden: British Steel; Rechtssache
T-151/94), Siderúrgica Aristrain Madrid SL (im folgenden: Aristrain; Rechtssache
T-156/94) und Empresa Nacional Siderúrgica SA (im folgenden: Ensidesa;
Rechtssache T-157/94) haben ebenfalls vor dem Gericht Klage erhoben.
- 4.
- Da die elf Rechtssachen durch Beschluß des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zu
gemeinsamer Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung verbunden worden
sind, wird im vorliegenden Urteil auf einige in Parallelsachen vorgelegte Unterlagen
Bezug genommen. Ferner wird, da die Klägerinnen in diesen Rechtssachen einige
Argumente im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen
Verhandlung vorgetragen haben, von „Klägerinnen“ gesprochen.
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
- 5.
- Ab 1974 wurde die europäische Stahlindustrie hart von einem Nachfragerückgang
getroffen, der zu einem Überangebot und Überkapazitäten und damit zu niedrigen
Preisen führte. Ab 1977 ergriff die Kommission verschiedene Maßnahmen, um
diese Lage zu meistern (vgl. das Urteil vom heutigen Tag in der Rechtssache
T-141/94, Thyssen/Kommission, Randnrn. 5 bis 7).
- 6.
- Da sich die Lage auf dem Stahlmarkt weiter verschlechterte, erließ die Kommission
die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 zur Einführung eines
Systems von Erzeugungsquoten für Stahl für die Unternehmen der Stahlindustrie
(ABl. L 291, S. 1). In dieser Entscheidung stellte die Kommission eine
offensichtliche Krise im Sinne von Artikel 58 EGKS-Vertrag fest und schrieb für
die meisten Stahlerzeugnisse einschließlich der Träger verbindliche
Produktionsquoten vor.
- 7.
- Dieses Quotensystem wurde sodann u. a. durch die Festsetzung von Mindestpreisen
(Entscheidung Nr. 3715/83/EGKS der Kommission vom 23. Dezember 1983 zur
Festsetzung von Mindestpreisen für bestimmte Stahlerzeugnisse, ABl. L 373, S. 1)
sowie ab 1984 durch eine Politik der Stabilität der herkömmlichen Handelsströme
(vgl. die Entscheidung Nr. 234/84/EGKS der Kommission vom 31. Januar 1984 zur
Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für
bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie, ABl. L 29, S. 1)
vervollständigt. Bei der Bewältigung der Krise stützte sich die Kommission
weitgehend auf die Klägerin. Diese war namentlich mit der Aufteilung der von der
Kommission auf Gemeinschaftsebene für jedes Unternehmen festgelegten
Produktions- und Lieferquoten („I-Quoten“) in Lieferquoten für die einzelnen
nationalen Märkte („i-Quoten“) betraut.
- 8.
- Die Kommission bereitete ab 1985 die Beendigung der Krisenregelung und die
Rückkehr zu normalen Marktbedingungen vor. Die Krisenregelung endete bei
Trägern offiziell am 30. Juni 1988 (vgl. Urteil Thyssen/Kommission, Randnrn. 17
bis 31).
- 9.
- Ab diesem Zeitpunkt nahm die Kommission bis zum 30. Juni 1990 eine
Marktüberwachung vor und erließ dazu u. a. die Entscheidung Nr. 2448/88/EGKS
vom 19. Juli 1988 zur Einführung eines Überwachungssystems für bestimmte
Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 212, S. 1). Im Rahmen
dieser Politik gab es weiterhin regelmäßige enge Kontakte zwischen den
Unternehmen und der Generaldirektion Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft
der Kommission (GD III) (vgl. Urteil Thyssen/Kommission, Randnrn. 34 und 35).
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
- 10.
- Am 16., 17. und 18. Januar 1991 ließ die Kommission aufgrund von
Einzelentscheidungen gemäß Artikel 47 des Vertrages in den Geschäftsräumen von
sieben Unternehmen und zwei Unternehmensverbänden u. a. bei der Klägerin
Nachprüfungen vornehmen. Weitere Nachprüfungen wurden am 5., 7. und 25. März
1991 vorgenommen. Von verschiedenen beteiligten Unternehmen und
Unternehmensverbänden wurden zusätzliche Auskünfte erteilt, die die Kommission
gemäß Artikel 47 des Vertrages verlangt hatte.
- 11.
- Die Kommission richtete an die betroffenen Unternehmen und Verbände, zu
denen auch die Klägerin gehörte, am 6. Mai 1992 eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben vom 30. Juli und
vom 10. September 1992.
- 12.
- Die Parteien hatten außerdem bei einer Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar
1993 in Brüssel stattfand und deren Protokoll ihnen am 8. Juli 1993 und am 8.
September 1993 übersandt wurde, die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen.
Bei dieser Gelegenheit forderte der Anhörungsbeauftragte die anwesenden Parteien
auf, ihm im Hinblick auf ihre zahlreichen Andeutungen, daß zwischen der GD III
und den Trägerherstellern in dem von den Beschwerdepunkten erfaßten Zeitraum
bestimmte Kontakte bestanden hätten, alle insoweit in ihrem Besitz befindlichen
Beweismittel zukommen zu lassen. Die Klägerin antwortete darauf nicht.
- 13.
- Mit Schreiben vom 22. April 1993 teilte der Anhörungsbeauftragte den Betroffenen
mit, daß er nicht beabsichtige, eine zweite Anhörung durchzuführen.
- 14.
- Am 15. Februar 1994, einen Tag vor dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung,
wurden die Verhandlungen zwischen der Kommission und Vertretern der
Stahlindustrie über die Umstrukturierung dieser Industrie durch freiwillige
Verringerung der Produktionskapazitäten erfolglos abgebrochen.
- 15.
- Nach dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission (Vor- und Nachmittag), das
die Beklagte auf Ersuchen des Gerichts vorgelegt hat, wurde die Entscheidung am
Nachmittag des 16. Februar 1994 endgültig erlassen.
- 16.
- Am Mittag des 16. Februar 1994 veranstaltete Herr Van Miert, das für
Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission, eine Pressekonferenz, bei
der er bekanntgab, daß die Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe,
und die Höhe der gegen die Klägerinnen British Steel, Preussag und ARBED
festgesetzten Geldbußen mitteilte. Diese Angaben entsprachen nicht den in der
Entscheidung genannten Beträgen. Er erläuterte ferner einige bei der Festsetzung
der Geldbußen herangezogene Kriterien und beantwortete Fragen der Journalisten.
Er bestritt u. a. jeden Zusammenhang zwischen dem Erlaß der Entscheidung und
dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die freiwillige Verringerung der
Produktionskapazitäten am Vortag.
- 17.
- Am 24. Februar 1994 warfen bei einer Debatte im Europäischen Parlament einige
Abgeordnete die Frage auf, welche Gründe die Kommission dazu veranlaßt hätten,
die Entscheidung einen Tag nach dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die
Umstrukturierung der Stahlindustrie zu erlassen. Herr Van Miert verteidigte den
Standpunkt der Kommission und wies darauf hin, daß es sich dabei um zwei
getrennte Vorgänge handele.
D Die angefochtene Entscheidung
- 18.
- Die angefochtene Entscheidung ging der Klägerin am 3. März 1994 zusammen mit
einem Begleitschreiben von Herrn Van Miert vom 28. Februar 1994 zu. In ihren
Artikeln 1 bis 3 heißt es:
„Artikel 1
Die folgenden Unternehmen haben in dem in dieser Entscheidung beschriebenen
Umfang an den jeweils unter ihrem Namen aufgeführten wettbewerbswidrigen
Praktiken teilgenommen, die den normalen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt
verhinderten, einschränkten und verfälschten. ...
...
Artikel 2
Eurofer hat gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag verstoßen, indem sie den Austausch
vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern
begangenen Verstößen nach Artikel 1 organisierte.
Artikel 3
Die in den Artikeln 1 und 2 genannten Unternehmen und Unternehmensverbände
stellen die in den Artikeln 1 und 2 genannten Verstöße, soweit noch nicht bereits
geschehen, ab. Zu diesem Zweck unterlassen sie es, die in Artikel 1 bzw. 2
genannten Handlungen oder Verhaltensweisen zu wiederholen oder fortzusetzen
und Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen.“
- 19.
- Wegen der in Artikel 1 genannten und nach dem 30. Juni 1988 (31. Dezember
1988(2) im Fall von Aristrain und Ensidesa) begangenen Verstöße wurden in
Artikel 4 der Entscheidung gegen 14 Unternehmen Geldbußen festgesetzt. Die
Klägerin gehört zu den in Artikel 6 aufgeführten Adressaten der Entscheidung.
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
- 20.
- Die vorliegende Klage wurde mit Klageschrift erhoben, die am 1. April 1994 bei
der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist.
- 21.
- Mit Schreiben an die Kanzlei vom 7. September 1994 hat Aristrain, die Klägerin
in der Rechtssache T-156/94, die Frage aufgeworfen, ob die Kommission im
vorliegenden Fall ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des
Gerichtshofes (im folgenden: Artikel 23) hinsichtlich der Übersendung der
Vorgänge erfüllt hat. Die zur Stellungnahme zu diesem Ersuchen aufgeforderte
Kommission hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1994 im wesentlichen geantwortet,
daß sie der Ansicht ist, den Anforderungen von Artikel 23 genügt zu haben.
- 22.
- Die Kanzlei des Gerichts hat die Kommission mit Schreiben vom 25. Oktober 1994
aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus Artikel 23 nachzukommen. Mit
Begleitschreiben vom 24. November 1994 hat die Kommission bei der Kanzlei
insgesamt etwa 11 000 die Entscheidung betreffende Schriftstücke eingereicht; in
diesem Schreiben hat die Kommission u. a. geltend gemacht, daß Schriftstücke, die
Geschäftsgeheimnisse enthielten, sowie ihre eigenen internen Unterlagen den
betroffenen Unternehmen nicht zugänglich gemacht werden sollten.
- 23.
- Im Anschluß an eine informelle Zusammenkunft mit den Parteien am 14. März
1995 hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) die Parteien mit Schreiben der
Kanzlei vom 30. März 1995 ersucht, schriftlich zu den aufgeworfenen Fragen der
Vertraulichkeit sowie zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen Stellung zu
nehmen. In Anbetracht der Unvollständigkeit der Antworten der Parteien hat das
Gericht mit Schreiben der Kanzlei vom 21. Juli 1995 (25. Juli im Fall von British
Steel) einen zweiten Fragenkatalog an sie gerichtet. Ferner hat es die Beklagte
aufgefordert, zu einem neuen Antrag von British Steel vom 14. Juli 1995 Stellung
zu nehmen.
- 24.
- In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts, die zwischen dem 6. und dem 15.
September 1995 eingegangen sind, haben die Klägerinnen u. a. ihre Anträge auf
Einsicht in die internen Unterlagen der Kommission anhand einer Liste dieser
Unterlagen konkretisiert, die einem Schreiben der Kommission an das Gericht vom
25. Juni 1995 beigefügt war.
- 25.
- Durch Beschluß vom 19. Juni 1996 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1996, II-537; im folgenden:
Beschluß vom 19. Juni 1996) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer, der der
Berichterstatter inzwischen zugeteilt worden war) über das Recht der Klägerinnen
auf Einsicht in die von der Beklagten übersandten Aktenstücke entschieden, die
zum einen von den Klägerinnen selbst und zum anderen von nicht an den
vorliegenden Verfahren beteiligten Dritten stammen und in deren Interesse von der
Kommission als vertraulich eingestuft wurden. Das Gericht hat sich dagegen die
Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der
Beklagten als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in diesen Akten sowie
über ihre Anträge auf Beibringung von in diesen Akten nicht enthaltenen
Unterlagen vorbehalten und die Beklagte zugleich aufgefordert, ausführlich und
konkret anzugeben, aus welchen Gründen bestimmte, von ihr als „intern“
eingestufte Schriftstücke in diesen Akten ihrer Ansicht nach den Klägerinnen nicht
übermittelt werden können.
- 26.
- Die Beklagte ist dieser Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 11., 12. und
13. September 1996 nachgekommen. In den gleichen Schreiben hat sie
vorgeschlagen, alle Rechtssachen gemäß Artikel 14 der Verfahrensordnung des
Gerichts an das Plenum des Gerichts zu verweisen. Die um Stellungnahme zu
diesem Antrag ersuchten Klägerinnen haben dem Gericht zwischen dem 4. und
dem 18. Oktober 1996 schriftlich geantwortet. Die Klägerinnen in den
Rechtssachen T-134/94, T-137/94, T-138/94, T-148/94, T-151/94 und T-157/94 haben
sich gegen eine solche Verweisung ausgesprochen.
- 27.
- Durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2293; im folgenden:
Beschluß vom 10. Dezember 1997) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer)
über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als
„intern“ eingestuften Unterlagen entschieden und angeordnet, daß bestimmte dem
Gericht gemäß Artikel 23 übersandte Unterlagen über die Kontakte zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in dem in der Entscheidung bei der Festlegung der
Höhe der Geldbußen herangezogenen Zeitraum der Zuwiderhandlung sowie
bestimmte Unterlagen der Generaldirektion Auswärtige Beziehungen (GD I) über
Kontakte zwischen der Kommission und einigen nationalen skandinavischen
Behörden zu den Akten der Rechtssache genommen werden. Ferner hat das
Gericht die Erhebung einiger Beweise angeordnet und der Kommission aufgegeben,
ihre eigenen Protokolle oder Vermerke über Treffen der GD III mit Vertretern der
Stahlindustrie zwischen Juli 1988 und November 1990 vorzulegen. Schließlich hat
das Gericht die Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer Beweiserhebung
und mündlicher Verhandlung angeordnet, ohne sie an das Plenum zu verweisen.
- 28.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen und den Parteien gemäß Artikel 64 der
Verfahrensordnung einige schriftliche Fragen zu stellen. Mit Schreiben der Kanzlei
vom 26. November 1997 hat es u. a. die Beklagte gebeten, das endgültige Protokoll
der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 (Vormittag und Nachmittag)
vorzulegen, soweit es den Erlaß der angefochtenen Entscheidung betrifft, und
einige Fragen zur Berechnung der Geldbußen gestellt.
- 29.
- Die Beklagte hat auf diese Fragen des Gerichts mit Schreiben vom 21. Januar 1998
geantwortet, das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist. Mit diesem
Schreiben hat sie dem Gericht zwei Schriftstücke übermittelt, die mit „Projet de
procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel)
le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Protokolls der
1189. Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar
1994 [Vormittag und Nachmittag]) und „Projet de procès-verbal spécial de la
1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16
février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Sonderprotokolls der 1189.
Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar 1994
[Vormittag und Nachmittag]) überschrieben sind, und vorgetragen, diese beiden
Schriftstücke fielen unter das Beratungsgeheimnis und dürften den Klägerinnen
nicht zugänglich gemacht werden.
- 30.
- Am 14. Januar 1998 hat das Gericht eine informelle Sitzung mit den Parteien
durchgeführt, um den reibungslosen Ablauf der mündlichen Verhandlung zu
planen. Es hat den Parteien u. a. mitgeteilt, daß sie in dem in den Beschlüssen vom
19. Juni 1996 und vom 10. Dezember 1997 genannten Umfang und in der von der
Kanzlei festzulegenden Weise Anspruch auf Einsicht in die ihm gemäß Artikel 23
übermittelten Akten haben. Es hat die Parteien überdies gebeten, ihm nach der
Einsichtnahme in die Akten mitzuteilen, auf welche zusätzlichen Unterlagen sie im
einzelnen in der mündlichen Verhandlung eingehen möchten.
- 31.
- Die Klägerinnen ARBED, Aristrain, Cockerill-Sambre, British Steel, Ensidesa,
Preussag und Unimétal haben die genannten Akten des Gerichts eingesehen und
eine Kopie der Unterlagen erhalten, die sie für ihre Verteidigung zu benötigen
glaubten. Mit Schreiben vom 9. Februar 1998 hat Ensidesa zu einigen der
fraglichen Unterlagen Stellung genommen.
- 32.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 30. Januar 1998 hat das Gericht der Kommission
und der Klägerin einige zusätzliche Fragen zu dem von der Klägerin eingeführten
und in der Entscheidung unter dem Namen „Fast Bookings“ beschriebenen System
des monatlichen Informationsaustauschs über Bestellungen und Lieferungen
gestellt. Sie haben darauf mit Schreiben vom 17. und vom 23. Februar 1998
geantwortet.
- 33.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 6. Februar 1998 hat das Gericht der Beklagten
außerdem einige ergänzende Fragen zu der im vorliegenden Fall angewandten
Berechnungsmethode der Geldbußen gestellt, auf die sie mit Schreiben vom 23.
Februar 1998 geantwortet hat, das am 24. Februar 1998 bei der Kanzlei
eingegangen ist.
- 34.
- Durch Beschluß vom 16. Februar 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte
Kammer) angeordnet, nur das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangene,
mit „Projet de procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à
Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“
überschriebene Schriftstück zu den Akten der Rechtssache zu nehmen und den
Klägerinnen zuzuleiten.
- 35.
- Mit Schreiben vom 13. und vom 19. Februar 1998 haben die Klägerinnen
gemeinsame Anträge gestellt, mit denen sie die Erhebung von Beweisen,
insbesondere zur Berechnung der Geldbußen, und die Vorlage von Unterlagen
über den Erlaß der Entscheidung begehren. Die Kommission hat darauf mit
Schreiben vom 2. März 1998 geantwortet.
- 36.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 11. März 1998 hat das Gericht die Beklagte
gebeten, ihre Antworten vom 21. Januar 1998 und vom 23. Februar 1998 auf die
Fragen des Gerichts dadurch zu vervollständigen, daß sie für jede Klägerin die
genauen arithmetischen Berechnungen angibt, anhand deren konkret nachvollzogen
werden kann, wie die Bußgeldbeträge ermittelt wurden, und das endgültige
Protokoll der Sitzung der Kommission (Vormittag und Nachmittag), in der die
angefochtene Entscheidung erlassen wurde, sowie dessen Anlagen, soweit sie diese
Entscheidung betreffen, vorzulegen. Die Beklagte hat darauf mit Schreiben vom 19.
März 1998 geantwortet und bei der Kanzlei das endgültige Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 sowie dessen Anlagen eingereicht.
- 37.
- Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Ortún und
Herrn Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Kutscher, einen
ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den Kontakten zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in der Zeit vom 1. Juli 1988 bis Ende 1990 zu
vernehmen, die bei der Bußgeldbemessung als Zeitraum der Zuwiderhandlung
zugrunde gelegt wurde.
- 38.
- In der Sitzung, die vom 23. bis zum 27. März 1998 stattfand, haben die Parteien
mündlich verhandelt und Fragen der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts,
bestehend aus dem Präsidenten A. Kalogeropoulos sowie den Richtern C. P. Briët,
C. W. Bellamy, A. Potocki und J. Pirrung, beantwortet. Die Klägerinnen haben zu
einigen Punkten gemeinsame mündliche Ausführungen gemacht. Das Gericht hat
Professor Steindorff, den ehemaligen Generalsekretär der deutschen Delegation bei
den Verhandlungen vor der Unterzeichnung des EGKS-Vertrags, als
Sachverständigen gehört. Das Gericht hat ferner Herrn Ortún, Herrn
Vanderseypen und Herrn Kutscher sowie auf Antrag von Preussag zwei ihrer
Mitarbeiter, Herrn Mette und Herrn Kröll, als Zeugen vernommen. Dem Gericht
wurde außerdem eine von Aristrain vorgelegte Videoaufzeichnung der
Pressekonferenz von Herrn Van Miert am 16. Februar 1994 vorgeführt.
- 39.
- In der Sitzung wurde, entweder auf Ersuchen des Gerichts oder mit seiner
Zustimmung, eine Reihe neuer Unterlagen eingereicht.
- 40.
- Die mündliche Verhandlung wurde am Ende der Sitzung vom 27. März 1998
geschlossen. Da zwei Mitglieder der Kammer nach dem Ablauf ihrer Amtszeit am
17. September 1998 nicht mehr an den Beratungen teilnehmen konnten, wurden
die Beratungen des Gerichts gemäß Artikel 32 der Verfahrensordnung von den drei
Richtern fortgesetzt, deren Unterschrift das vorliegende Urteil trägt.
- 41.
- Die Klägerin beantragt,
die Artikel 2 und 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 42.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
- 43.
- Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
beruft sich die Klägerin auf mehrere Argumente, die wie folgt zusammengefaßt
werden können. Erstens rügt sie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Zweitens bestreitet sie, einen Beschluß im Sinne von Artikel 65 des
Vertrages gefaßt zu haben. Drittens macht sie geltend, ein Verband könne selbst
nicht gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen, und viertens trägt sie vor, daß die
zuletzt genannte Bestimmung die Kommission nicht zur Feststellung einer etwaigen
Zuwiderhandlung ermächtige. Eine fünfte Gruppe von Argumenten stützt sie
darauf, daß das ihr zur Last gelegte System keinen wettbewerbswidrigen Charakter
habe.
- 44.
- In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin darüber hinaus geltend gemacht,
daß die Entscheidung hinsichtlich der Schilderung des ihr zur Last gelegtenrelevanten Sachverhalts widersprüchlich sei. Ferner hat sie sich einigen sie
betreffenden Klagegründen und Argumenten angeschlossen, die in der mündlichen
Verhandlung im Namen aller Klägerinnen vorgetragen wurden und sich mit der
Rolle der GD III bei den in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen,
einem Ermessensmißbrauch und einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften
während des Verwaltungsverfahrens beschäftigen. Das Gericht wird zunächst das
zum Schluß genannte Vorbringen prüfen.
A Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 45.
- In der mündlichen Verhandlung sind bei einer gemeinsamen Stellungnahme im
Namen aller Klägerinnen folgende Rügen vorgetragen worden, die die Verletzung
wesentlicher Formvorschriften während des Verfahrens zum Erlaß der
Entscheidung betreffen.
- 46.
- Die Klägerinnen weisen zunächst darauf hin, daß Herr Van Miert in der von ihm
am Mittag des 16. Februar 1994 veranstalteten Pressekonferenz fälschlich
behauptet habe, daß die Entscheidung bereits erlassen worden sei, und daß er
überdies in bezug auf einige Geldbußen falsche Zahlen genannt habe (vgl.
Anhang 1 der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94). Die Pressemitteilungen
der Kommission, die vor dem Erlaß der Entscheidung vorbereitet worden seien,
hätten ebenfalls Fehler enthalten, u. a. hinsichtlich der Identität der Unternehmen,
gegen die eine Geldbuße festgesetzt worden sei.
- 47.
- Unter diesen Umständen erheben die Klägerinnen unter Berufung auf das Urteil
des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P
(Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-Urteil) und die
Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89,
T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89,
T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89 (BASF u. a./Kommission,
Slg. 1995, II-729, Randnrn. 114 und 119; im folgenden: LDPE-Urteil) und vom 29.
Juni 1995 in der Rechtssache T-31/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1821,
Randnr. 50) vier Hauptvorwürfe.
- 48.
- Erstens sei das nach Artikel 5 der damals geltenden Geschäftsordnung der
Kommission vom 17. Februar 1993 (93/492/Euratom, EGKS, EWG, ABl. L 230,
S. 15; im folgenden: Geschäftsordnung von 1993) erforderliche Quorum von neun
anwesenden Mitgliedern der Kommission nicht erreicht worden. Auch wenn aus
Seite 2 des Protokolls der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994
hervorzugehen scheine, daß beim Erlaß der Entscheidung am Nachmittag (Punkt
XXV, S. 43) neun Mitglieder anwesend gewesen seien, ergebe sich aus der Liste
der Personen, die „in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission“ an der Sitzung
teilgenommen hätten, auf Seite 40 des Protokolls, daß bei diesem Teil der Sitzung
in Wirklichkeit nur sechs Kommissionsmitglieder anwesend gewesen seien. Wegen
der Nichterreichung des Quorums habe gemäß Artikel 6 der Geschäftsordnung von
1993 keine gültige Abstimmung über den Erlaß der Entscheidung stattfinden
können.
- 49.
- Zweitens sei die Entscheidung von der Kommission nicht in der den Klägerinnen
notifizierten Form erlassen worden. Es sei zumindest nicht möglich, den genauen
Inhalt der Entscheidung zu ermitteln, die die Kommission am 16. Februar 1994
habe erlassen wollen.
- 50.
- Nach dem Protokoll der Sitzung (S. 43) habe die Kommission „die in dem
Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen
Sprachen“ genehmigt, während die den Klägerinnen notifizierte Entscheidung das
Aktenzeichen K(94) 321 endg. trage. Überdies gebe es nach der dem Gericht
gemäß Artikel 23 im Anhang des Schreibens der Kommission vom 27. Juni 1995
übermittelten Liste interner Unterlagen eine weitere Fassung der Entscheidung, die
das Aktenzeichen K(94) 321/4 und das Datum des 25. Februar 1994 trage.
- 51.
- Außerdem bestünden gewisse Zweifel hinsichtlich der verschiedenen Fassungen der
Entscheidung, die im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom 11. März 1998
bei der Kanzlei eingereicht worden seien. Abgesehen davon, daß nur die spanische
und die italienische Fassung die Angabe „verbindliche Fassung“ auf ihrem
Deckblatt trügen, schienen die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 aus
mehreren gesondert ausgearbeiteten Schriftstücken zu bestehen, die
unterschiedliche Schrifttypen aufwiesen und nicht einheitlich durchnumeriert seien.
- 52.
- Nachdem sich die Kommission in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt hat,
die Vertraulichkeit der internen Unterlagen über den Erlaß der Entscheidung
aufzuheben, die sich in den Ordnern 57, 58 und 61 der dem Gericht gemäß Artikel
23 übermittelten Akten befinden, sehen die Rechtsanwälte der Klägerinnen ihre
Zweifel durch die Entdeckung einer Reihe von Unterschieden zwischen den
internen Unterlagen in diesen Ordnern und den Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 bestätigt, die in einer in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt sind. Außerdem bestünden erhebliche Unterschiede zwischen der
Unterlage im Aktenordner 61 der Kommission, bei der es sich um das von der
Kommission in ihrer Vormittagssitzung vom 16. Februar 1994 geprüfte Schriftstück
K(94) 321/1 handele, und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3. Diese
Unterschiede sind in einer zweiten in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt. Schließlich seien an der italienischen Fassung des Schriftstücks
K(94) 321/2 nach dem Eingang eines Telefax des Übersetzungsdienstes der
Kommission am 16. Februar 1994 zwischen 17 Uhr 09 und 17 Uhr 14, also nach
dem Schluß der Sitzung um 16 Uhr 25, einige manuelle Änderungen vorgenommen
worden.
- 53.
- Drittens seien weder die Fassung K(94) 321 endg. noch die Fassungen K(94) 321/2
und K(94) 321/3 der Entscheidung gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung von
1993 festgestellt worden. Keine dieser Fassungen sei dem Protokoll im Sinne dieser
Bestimmung, die eine körperliche Verbindung verlange, beigefügt worden.
Außerdem würden im Protokoll die ihm beigefügten Unterlagen nicht erwähnt.
- 54.
- Von einer Feststellung des Protokolls gemäß den Artikeln 9 und 16 der
Geschäftsordnung von 1993 könne jedenfalls deshalb nicht ausgegangen werden,
weil auf dem Deckblatt die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs fehlten.
- 55.
- Viertens enthalte das Protokoll nicht das Datum, an dem es vom Präsidenten und
vom Generalsekretär der Kommission unterschrieben worden sei, so daß nicht
davon ausgegangen werden könne, daß es zum Zeitpunkt seiner Genehmigung
festgestellt worden sei.
- 56.
- Schließlich bitten die Klägerinnen das Gericht, Beweisbeschlüsse zu erlassen, die
es ihnen ermöglichen sollen, das in den Archiven der Kommission befindliche
Original des Protokolls einzusehen, und mit denen sich, z. B. anhand der
Terminkalender der Kommissionsmitglieder und anderer vergleichbarer Unterlagen,
klären lasse, welche Kommissionsmitglieder beim Erlaß der Entscheidung in der
Nachmittagssitzung des 16. Februar 1994 tatsächlich anwesend gewesen seien.
Würdigung durch das Gericht
Zulässigkeit
- 57.
- Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift nicht geltend gemacht, daß beim Erlaß der
Entscheidung Verfahrensfehler begangen worden seien. Das Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 und seine Anlagen sind jedoch erst während
des Verfahrens im Anschluß an Beweiserhebungen und prozeßleitende
Maßnahmen des Gerichts zutage getreten. Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung
schließt neue Angriffsmittel nicht aus, sofern sie auf solche Gründe gestützt werden.
Folglich ist der vorliegende Klagegrund zulässig.
Die Nichterreichung des Quorums
- 58.
- Der durch Artikel H Nr. 2 des Vertrages über die Europäische Union eingefügte
Artikel 13 Absatz 1 EGKS-Vertrag sieht vor, daß die Beschlüsse der Kommission
mit der Mehrheit der Anzahl ihrer damals 17 Mitglieder gefaßt werden. Gemäß
Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages kann die Kommission nur dann wirksam tagen,
wenn die in ihrer Geschäftsordnung festgesetzte Anzahl von Mitgliedern anwesend
ist.
- 59.
- Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993 lautet: „Die Kommission ist
beschlußfähig, wenn die Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der
Mitglieder anwesend ist.“ Folglich lag das Quorum für die Beschlußfähigkeit der
Kommission in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1994 bei neun anwesenden
Mitgliedern.
- 60.
- In Artikel 6 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Kommission beschließt auf
Vorschlag eines oder mehrerer ihrer Mitglieder. Die Kommission nimmt auf Antrag
eines ihrer Mitglieder eine Abstimmung vor. Dabei wird über den ursprünglichen
Vorschlag oder über einen von dem oder den zuständigen Mitglied(ern) oder dem
Präsidenten geänderten Vorschlag abgestimmt. Die Beschlüsse der Kommission
werden mit der Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder
gefaßt.“ Auch daraus folgt, daß die Beschlüsse der Kommission damals der
Zustimmung von neun ihrer Mitglieder bedurften.
- 61.
- Aus dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel am 16. Februar
1994 (im folgenden: Protokoll), das dem Gericht auf seine Ersuchen vom 27.
November 1997 und vom 11. März 1998 übersandt wurde, geht hervor, daß diese
Sitzung in zwei Teilen am Vormittag und am Nachmittag stattfand. Punkt XVII des
Protokolls, der am Vormittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XVII. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(K[94] 321; SEK[94] 267)
Herr RENAUDIERE, Mitglied des Kabinetts von Herrn VAN MIERT,
nimmt an den Beratungen über diesen Punkt teil.
Herr VAN MIERT erläutert der Kommission die verschiedenen
Gesichtspunkte des ihm vorliegenden Falles. Er weist auf die besondere
Schwere der festgestellten Zuwiderhandlungen hin. Er unterbreitet der
Kommission Vorschläge für die gegen die fraglichen Unternehmen
festzusetzenden Geldbußen.
Die Kommission stimmt der von Herrn VAN MIERT vorgeschlagenen
Entscheidung im wesentlichen zu und erörtert ausführlich die Höhe der
Geldbußen. Es wird vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt der
vorliegenden Sitzung über den von Herrn VAN MIERT vorzulegenden
Entwurf der endgültigen Entscheidung zu befinden.
Die übrigen Beratungen der Kommission über diesen Punkt sind
Gegenstand eines Sonderprotokolls.“
- 62.
- Punkt XXV des Protokolls, der am Nachmittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XXV. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(FORTSETZUNG VON PUNKT XVII) (K[94] 321/2 und 3; SEK[94] 267)
Die Kommission führt ihre am Vormittag begonnenen Beratungen fort. Sie
setzt gegen die fraglichen Unternehmen folgende Geldbußen fest:
ARBED SA:
11 200 000 ECU
British Steel plc:
32 000 000 ECU
Unimétal SA:
12 300 000 ECU
Saarstahl AG:
4 600 000 ECU
Ferdofin SpA:
9 500 000 ECU
Thyssen Stahl AG:
6 500 000 ECU
Preussag AG:
9 500 000 ECU
Empresa Nacional Siderúrgica SA:
4 000 000 ECU
Siderúrgica Aristrain Madrid SL:
10 600 000 ECU
SA Cockerill Sambre:
4 000 000 ECU
Krupp-Hoesch Stahl AG:
13 000 ECU
NMH Stahlwerke GmbH:
150 000 ECU
Norsk Jernverk AS:
750 ECU
Inexa Profil AB:
600 ECU
Die Kommission beschließt ferner, daß Geldbußen, die 20 000 ECU
überschreiten, in Raten bezahlt werden können. Sie genehmigt infolgedessen
die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung
in den verbindlichen Sprachen.
*
* *
Die Sitzung wird um 16 Uhr 25 geschlossen.“
- 63.
- Aus Punkt XVII in Verbindung mit Punkt XXV des Protokolls ergibt sich, daß die
Entscheidung nicht während der Beratung von Punkt XVII am Vormittag endgültig
erlassen wurde, sondern während der Beratung von Punkt XXV am Nachmittag.
- 64.
- Aus der Liste der Anwesenden auf Seite 2 des Protokolls geht ferner hervor, daß
bei der Beratung von Punkt XXV durch die Kommission neun Mitglieder der
Kommission anwesend waren, und zwar Herr Delors, Sir Leon Brittan, Herr Van
Miert, Herr Ruberti, Herr Millan, Herr Van den Broek, Herr Flynn, Herr Steichen
und Herr Paleokrassas. Das nach Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993
erforderliche Quorum war somit erreicht. Die Entscheidung konnte auch nach
Artikel 6 der Geschäftsordnung mit Zustimmung der neun anwesenden Mitglieder
gefaßt werden.
- 65.
- Das Vorbringen der Klägerinnen beruht indessen auf einer Anwesenheitsliste aufSeite 40 des Protokolls, in der es heißt, daß Herr Budd und Herr Santopinto, die
Kabinettschefs von Sir Leon Brittan und Herrn Ruberti, sowie Frau Evans, ein
Mitglied des Kabinetts von Herrn Flynn, „in Abwesenheit der Mitglieder der
Kommission“ an der Sitzung teilgenommen hätten. Die Klägerinnen folgern daraus,
daß Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn entgegen den Angaben auf
Seite 2 des Protokolls bei dem unter Punkt XXV behandelten Erlaß der
Entscheidung nicht anwesend gewesen seien.
- 66.
- Dem kann nicht gefolgt werden. Wie schon aus dem Wortlaut der Liste auf Seite 2
des Protokolls hervorgeht, dient sie einer genauen Aufstellung der An- oder
Abwesenheit der Mitglieder der Kommission bei der betreffenden Sitzung. Diese
Aufstellung betrifft sowohl die Vormittags- als auch die Nachmittagssitzung und ist
somit der Beweis für die Anwesenheit der fraglichen Kommissionsmitglieder bei
diesen beiden Sitzungsteilen, sofern nicht ausdrücklich angegeben ist, daß ein
Mitglied bei der Erörterung eines bestimmten Punktes abwesend war. Die Liste auf
Seite 40 des Protokolls betrifft dagegen nicht die Anwesenheit der
Kommissionsmitglieder, sondern nur die etwaiger anderer Personen wie z. B. der
Kabinettschefs. Unter diesen Umständen können die indirekten Schlüsse, die die
Klägerinnen aus der genannten Liste ziehen zu können glauben, nicht höher
bewertet werden als die ausdrücklichen Angaben zur An- oder Abwesenheit der
Kommissionsmitglieder auf Seite 2 des Protokolls.
- 67.
- Das Gericht ist jedenfalls der Ansicht, daß die Angabe „An der Sitzung nehmen
in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ auf Seite 40 des Protokolls als
Synonym für „An der Sitzung nehmen teil, falls ein Mitglied bei einem bestimmten
Punkt abwesend ist,“ verstanden werden muß.
- 68.
- Diese Angabe ist nämlich im Zusammenhang mit Artikel 8 der Geschäftsordnung
von 1993 zu sehen, in dem es u. a. heißt: „Ist ein Mitglied der Kommission
abwesend, so kann sein Kabinettschef an der Sitzung teilnehmen und auf
Aufforderung des Präsidenten die Meinung des abwesenden Mitglieds vortragen.“
Die Liste auf Seite 40 des Protokolls soll daher die Liste auf Seite 2 nicht ersetzen,
sondern die Personen angeben, die gemäß Artikel 8 zur Teilnahme an der Sitzung
berechtigt sind und dort gegebenenfalls die Meinung des abwesenden Mitglieds
vortragen können.
- 69.
- Die Tatsache, daß ein Kabinettschef in Abwesenheit des von ihm vertretenen
Kommissionsmitglieds dessen Meinung zu einem bestimmten Punkt vortragen kann,
schließt es jedoch nicht aus, daß das betreffende Kommissionsmitglied bei der
Erörterung eines anderen Punktes in die Sitzung zurückkehrt, ohne daß sein
Kabinettschef den Sitzungssaal nach seiner Rückkehr verläßt. Die Angabe auf Seite
40 des Protokolls, daß Herr Budd, Herr Santopinto und Frau Evans der
Nachmittagssitzung beigewohnt hätten, kann deshalb allein damit zu erklären sein,
daß gemäß Seite 2 des Protokolls Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn
bei der Erörterung einiger Punkte der Tagesordnung für den Nachmittag abwesend
waren, und zwar bei den Punkten XXIII.B, XXIII.C und teilweise XXIV (Sir Leon
Brittan) sowie den Punkten XXIII.B und teilweise XXIII.C (Herr Ruberti und Herr
Flynn). Daraus folgt daher nicht, daß diese drei Kommissionsmitglieder bei der
Beratung über Punkt XXV entgegen den ausdrücklichen Angaben auf Seite 2 des
Protokolls abwesend waren.
- 70.
- Diese Auslegung wird durch Seite 7 des Protokolls bestätigt, auf der sich für den
Vormittag entsprechend der Liste auf Seite 40 für den Nachmittag eine Liste
der Personen befindet, die „in Abwesenheit“ der Mitglieder der Kommission an der
Sitzung teilnahmen. Wenn die Auslegung der Formulierung „An der Sitzung
nehmen in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ durch die Klägerinnen
zuträfe, wäre daraus, daß nach dieser Liste Herr Kubosch, ein Mitglied des
Kabinetts von Herrn Bangemann, und Herr Budd, der Kabinettschef von Sir Leon
Brittan, während des gesamten Vormittags anwesend waren, zu folgern, daß die
beiden genannten Kommissionsmitglieder den ganzen Vormittag über abwesend
waren. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, denn gemäß Seite 2 des Protokolls waren
Herr Bangemann am Vormittag bei den Punkten I bis XVIII und Sir Leon Brittan
bei den Punkten XVII bis XXII anwesend.
- 71.
- Demnach war das erforderliche Quorum anwesender Mitglieder beim Erlaß der
Entscheidung am Nachmittag des 16. Februar 1994 erfüllt.
- 72.
- Im übrigen sieht Artikel 6 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die Kommission
auf Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder beschließt und nur auf Antrag eines
ihrer Mitglieder eine Abstimmung vornimmt. Mangels eines solchen Antrags
brauchte die Kommission in der Nachmittagssitzung keine förmliche Abstimmung
vorzunehmen. Da gemäß Artikel 6 die Beschlüsse der Kommission mit der
Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Mitgliederzahl gefaßt werden, die damals
neun Mitglieder betrug, waren die am Nachmittag des 16. Februar 1994
anwesenden neun Mitglieder jedenfalls nicht daran gehindert, einstimmig den Erlaß
der Entscheidung zu beschließen.
- 73.
- Folglich ist die erste Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der
Klägerin notifizierten Entscheidung
- 74.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen der verfügende Teil und die
Begründung der ihrem oder ihren Adressaten notifizierten Entscheidung
abgesehen von rein orthographischen oder grammatikalischen Anpassungen, die
am Wortlaut eines Rechtsakts noch nach seiner endgültigen Verabschiedung durch
das Kommissionskollegium vorgenommen werden dürfen mit der vom Kollegium
erlassenen Entscheidung übereinstimmen (PVC-Urteil, Randnrn. 62 bis 70).
- 75.
- Nach Punkt XXV des Protokolls hat die Kommission „die in dem Schriftstück
K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen“
erlassen.
- 76.
- Folglich ist der maßgebliche Vergleich zwischen der Fassung K(94) 321/2 in
Verbindung mit der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der
Kommission am Nachmittag des 16. Februar 1994 erlassen wurden, und den
verschiedenen, den Klägerinnen in den verbindlichen Sprachen notifizierten
Fassungen der Entscheidung anzustellen.
- 77.
- Ein sachlicher Unterschied zwischen der Fassung K(94) 321/2 in Verbindung mit
der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der Kommission in den vier
verbindlichen Sprachen bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden sind, und
den Fassungen der Entscheidung, die den Klägerinnen notifiziert wurden, ist aber
von den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden und für das Gericht nicht
ersichtlich. Daß die Entscheidung in Form von zwei Schriftstücken K(94) 321/2
und K(94) 321/3 erlassen wurde, wobei im zweiten mehrere, zum Teil
handschriftliche Änderungen am ersten vorgenommen wurden, spielt unter diesen
Umständen keine Rolle, zumal diese Änderungen im wesentlichen nur die
Ratenzahlung der Geldbußen und den Beschluß betreffen, keine Geldbußen unter
100 ECU festzusetzen. Auch die Tatsache, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 in einigen Sprachfassungen nicht durchgehend paginiert sind oder
unterschiedliche Schrifttypen aufweisen, ist unerheblich, da das intellektuelle und
das formelle Element dieser Schriftstücke zusammen genommen der den
Klägerinnen notifizierten Fassung der Entscheidung entsprechen (PVC-Urteil,
Randnr. 70).
- 78.
- Die Unterschiede zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 zeugen
vielmehr vom Bestreben der Kommission, die Entscheidung erst förmlich zu
erlassen, nachdem alle vom Kollegium beschlossenen Änderungen, insbesondere
hinsichtlich der Ratenzahlung der Geldbußen und der Nichtfestsetzung von
Geldbußen unter 100 ECU, in alle Sprachfassungen eingefügt worden waren.
- 79.
- Aus dem Vorstehenden folgt ferner, daß die auf einem eingehenden Vergleich
zwischen einigen in den Aktenordnern 57, 58 und 61 der Kommission befindlichen
Unterlagen und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 beruhenden
Argumente fehl gehen. Wie oben ausgeführt, ist der maßgebliche Vergleich
zwischen den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 einerseits und der den Klägerinnen notifizierten Fassung andererseits
anzustellen und nicht zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3
einerseits und einigen Entwürfen und anderen möglicherweise älteren Unterlagen
in den Akten der Kommission andererseits. Es gibt insbesondere keinen Beweis
dafür, daß das im Ordner 61 enthaltene Schriftstück B, das ein Arbeitsdokument
zu sein scheint, das Schriftstück K(94) 321 darstellt oder dem von der Kommission
in der Vormittagssitzung des 16. Februar 1994 geprüften Schriftstück entspricht.
Dem Schriftstück K(94) 321 kommt ohnehin keine Bedeutung zu, da die von der
Kommission erlassene endgültige Fassung der Entscheidung aus den Schriftstücken
K(94) 321/2 und K(94) 321/3 besteht.
- 80.
- Auch etwaige Unklarheiten hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem die
Übersetzung einiger geringfügiger Änderungen der italienischen Fassung der
Entscheidung übersandt wurde, sind unerheblich, zumal sich die italienische
Fassung der Entscheidung nicht an die Klägerin richtet.
- 81.
- Schließlich ist unstreitig, daß das Schriftstück K(94) 321/4 nur eine nicht
vertrauliche Fassung des Schriftstücks K(94) 321 endg. ist, in der einige Zahlen, bei
denen es sich um Geschäftsgeheimnisse der Adressaten handelt, zum Zweck der
Notifizierung der Entscheidung an andere Adressaten entfernt wurden.
- 82.
- Folglich ist die zweite Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
- 83.
- Zur dritten Rüge der Klägerinnen, nach der die Fassungen K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 der Entscheidung nicht in der in Artikel 16 Absatz 1 der
Geschäftsordnung von 1993 vorgesehenen Weise festgestellt worden seien, ist
darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung folgendes vorsieht:
„Die von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefaßten
Beschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich
sind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsse
angenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse
werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der
ersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“
- 84.
- Ferner sieht Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die
Protokolle der Kommission „durch die Unterschrift des Präsidenten und des
Generalsekretärs festgestellt“ werden.
- 85.
- In Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 war nicht festgelegt, in
welcher Weise die in einer Sitzung gefaßten Beschlüsse dem Protokoll „beigefügt“
werden mußten, während sie z. B. gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung der
Kommission in der Fassung des Beschlusses 95/148/EG, Euratom, EGKS vom 8.
März 1995 (ABl. L 97, S. 82) „untrennbar mit dem Protokoll ... verbunden“ sein
müssen.
- 86.
- Im vorliegenden Fall ist dem Gericht das Protokoll mit den verschiedenen
verbindlichen Sprachfassungen der Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 in
demselben Behältnis und so zugegangen, wie es die Prozeßvertreter der
Kommission nach ihren Angaben im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom
11. März 1998 vom Generalsekretariat der Kommission erhalten haben. Daher ist
davon auszugehen, daß diese Schriftstücke dem Protokoll in der Weise „beigefügt“
waren, daß sie mit ihm zusammen aufbewahrt wurden, ohne körperlich mit ihm
verbunden zu sein.
- 87.
- Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 soll sicherstellen, daß die
Kommission den dem Adressaten notifizierten Beschluß ordnungsgemäß erlassen
hat. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber keinen sachlichen Unterschied
zwischen der ihr notifizierten Fassung der Entscheidung und der Fassung dargetan,
die der Kommission zufolge dem Protokoll „beigefügt“ war.
- 88.
- Unter diesen Umständen hat die Klägerin angesichts der Gültigkeitsvermutung für
Gemeinschaftshandlungen (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der
Rechtssache T-35/92, Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnr. 31) nicht
nachgewiesen, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 dem Protokoll
nicht im Sinne von Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993 „beigefügt“ waren.
Daher ist davon auszugehen, daß diese Schriftstücke durch die Unterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite des Protokolls
festgestellt wurden.
- 89.
- Zu der Tatsache, daß das dem Gericht vorgelegte Protokoll seinerseits eine
Fotokopie ist, die nicht die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs trägt, ist festzustellen, daß die erste Seite des Protokolls mit dem
Stempel „Beglaubigte Ausfertigung, Der Generalsekretär, Carlo Trojan“ versehen
ist und daß dieser Stempel die Originalunterschrift von Herrn Trojan, dem
derzeitigen Generalsekretär der Kommission, trägt. Diese Beglaubigung durch den
derzeitigen Generalsekretär der Kommission ist als rechtlich hinreichender Beweisdafür anzusehen, daß das Original des Protokolls die Originalunterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission trägt.
- 90.
- Folglich ist die dritte Rüge nicht begründet.
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
- 91.
- Zur vierten Rüge der Klägerinnen, daß auf dem Protokoll das Datum seiner
Unterzeichnung durch den Präsidenten und den Generalsekretär der Kommission
fehle, genügt die Feststellung, daß die erste Seite des dem Gericht vorgelegten
Protokolls die Angabe „Brüssel, den 23. Februar 1994“ und den Satz enthält: „Das
vorliegende Protokoll wurde von der Kommission in ihrer 1190. Sitzung in Brüssel
am 23. Februar 1994 angenommen.“ Es folgen die Unterschriften des Präsidenten
und des Generalsekretärs sowie die Beglaubigung der Übereinstimmung der
Ausfertigung des Protokolls mit dem Original durch Herrn Trojan. Somit wurde das
Protokoll vom Präsidenten und vom Generalsekretär am 23. Februar 1994 in
Einklang mit der Geschäftsordnung von 1993 ordnungsgemäß unterzeichnet.
- 92.
- Auch die vierte Rüge der Klägerinnen ist folglich unbegründet.
- 93.
- Schließlich haben die unzutreffenden Angaben von Herrn Van Miert in seiner
Pressekonferenz am Mittag des 16. Februar 1994, bei der er bekanntgab, daß die
Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe, und einige Bußgeldbeträge
nannte, die nicht den in der Entscheidung festgesetzten Beträgen entsprachen, als
solche keine Auswirkungen auf den ordnungsgemäßen Erlaß der Entscheidung
durch das Kommissionskollegium, da sich die gerichtliche Kontrolle nur auf die von
der Kommission erlassene Entscheidung erstrecken kann (vgl. Urteil des Gerichts
vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991,
II-1439, Randnr. 136).
- 94.
- Nach alledem sind die verschiedenen Argumente, mit denen geltend gemacht wird,
daß die Kommission im Verwaltungsverfahren wesentliche Formvorschriften
verletzt habe, in vollem Umfang zurückzuweisen, ohne daß die von den
Klägerinnen beantragten Beweisaufnahmen angeordnet zu werden brauchen.
B Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 95.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe dem tatsächlichen Verhalten eines
Unternehmensverbands in der Entscheidung eine andere Bedeutung beigemessen
als in den Beschwerdepunkten, ohne ihr Gelegenheit zu geben, zu dieser neuen
rechtlichen Würdigung Stellung zu nehmen. In den Beschwerdepunkten (Nrn. 465
und 472) habe die Kommission die Ansicht vertreten, daß das tatsächliche
Verhalten eines Unternehmensverbands, insbesondere eine einseitige Handlung
seiner Geschäftsführung, selbst einen „Beschluß“ dieses Verbandes darstelle. In der
Entscheidung (Randnr. 281) habe sie ein solches Verhalten dagegen als bloßen
Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Beschlusses im vorerwähnten Sinne
angesehen. Sie gehe dort offenbar davon aus, daß der im vorliegenden Fall
beanstandete „Beschluß“ auf einer Absprache zwischen den Mitgliedern der
Klägerin beruht habe. Diese geänderte Sichtweise der Kommission sei von
grundlegender Bedeutung und hätte der Klägerin deshalb vorab mitgeteilt werden
müssen.
Würdigung durch das Gericht
- 96.
- Der Anspruch auf rechtliches Gehör, auf den sich die Klägerin beruft, wird im
vorliegenden Fall durch Artikel 36 Absatz 1 EGKS-Vertrag gewährleistet, der
bestimmt, daß die Kommission vor der Festsetzung der nach diesem Vertrag
vorgesehenen Sanktionen dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben hat. Diese Bestimmung wendet so einen allgemeinen Grundsatz des
Gemeinschaftsrechts an, der verlangt, daß in allen Verfahren, die zu Sanktionen
namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, dem betroffenen
Unternehmen im Lauf des Verwaltungsverfahrens Gelegenheit gegeben wird, zum
Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie
zu den Unterlagen Stellung zu nehmen, die die Kommission zur Stützung ihrer
Behauptung, daß eine Zuwiderhandlung vorliege, herangezogen hat (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La
Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnrn. 9 und 11).
- 97.
- Dieser Grundsatz gilt auch für Entscheidungen, mit denen eine Zuwiderhandlung
festgestellt wird (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 2. März 1983 in der Rechtssache
7/82, GVL/Kommission, Slg. 1983, 483, Randnrn. 7 bis 13).
- 98.
- Im vorliegenden Fall führte die Kommission in Nummer 471 der
Beschwerdepunkte aus, daß die Klägerin ein Unternehmensverband im Sinne von
Artikel 65 des Vertrages sei. In den Nummern 472 und 473 der Beschwerdepunkte
fügte sie folgendes hinzu:
„Für die Anwendung von Artikel 65 § 1 muß ... das tatsächliche Verhalten eines
Unternehmensverbands, seiner Organe oder seiner Hilfsorgane als .Beschluß'
angesehen werden, da anzunehmen ist, daß der Verband nicht ohne ausdrückliche
oder stillschweigende Zustimmung seiner Mitglieder tätig wird. Wenn die
Handlungen eines Unternehmensverbands als solche darauf abzielen, den
Wettbewerb einzuschränken oder zu verfälschen, so fallen sie automatisch unter
das Verbot.
Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Buchstaben, dem Geist und dem
Zweck von Artikel 65, der generell alle Vereinbarungen, Beschlüsse und
verabredeten Praktiken untersagt, die darauf abzielen, den Wettbewerb
einzuschränken. Dieses Verbot findet folglich insoweit auf Unternehmensverbände
Anwendung, als ihre eigene Tätigkeit oder die ihrer Mitglieder die Wirkungen zu
entfalten trachtet, die Artikel 65 zu unterbinden versucht. Eine weitere Bestätigung
für diese Auslegung liefert Artikel 48 Absatz 1 des EGKS-Vertrages, wonach
Verbände von Unternehmen jede Tätigkeit ausüben können, die nicht im
Widerspruch zu den Bestimmungen des EGKS-Vertrages steht.“
- 99.
- In ihrer Erwiderung vom 30. Juli 1992 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
(Anlage 4 der Klageschrift) hat die Klägerin u. a. folgendes geltend gemacht:
„Nach der Auffassung der Kommission erfüllt tatsächliches Handeln eines
Verbandes den Tatbestand des Beschlusses, weil die Zustimmung der Mitglieder
zu unterstellen sei.
[Solches] Handeln ... verletzt das Verbot des Artikels 65 § 1 EGKS-Vertrag aber
nur in der Person der Mitgliedsunternehmen.
Zuzustimmen ist der Kommission darin, daß es dabei auf die Zustimmung der
Mitglieder zu dem Handeln des Verbandes ankommt. Diese Zustimmung kann
aber nicht unterstellt werden, sondern ist eine Frage der Verbandssatzung.
Verbandshandeln, das von der Satzung nicht gedeckt ist, kann unbeteiligten
Verbandsmitgliedern nicht angelastet werden.
Das von Eurofer .betriebene' Informationsaustauschsystem beruht im übrigen auf
der Initiative der hieran beteiligten Unternehmen. Irgendeinen Verbandsbeschluß
hat es hierzu nicht gegeben. Die Frage nach den satzungsmäßigen Befugnissen der
Eurofer-Organe stellt sich daher gar nicht.
In diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, daß Eurofer ihren
satzungsmäßigen Auftrag zum Austausch von Daten in allen Fragen von
gemeinsamem Interesse (§ 2 vierter Spiegelstrich der Eurofer-Satzung) nur in dem
Umfang auszuführen berechtigt ist und tatsächlich nur in dem Umfang ausführen
kann und ausführt, den die Verbandsmitglieder (die nationalen Verbände) oder die
Mitgliedsunternehmen der Verbandsmitglieder bestimmen.“
- 100.
- In den Randnummern 281 und 282 der Entscheidung führt die Kommission
folgendes aus:
„281. Artikel 65 § 1 des EGKS-Vertrags bezieht sich auf Beschlüsse von
Unternehmensverbänden, die geeignet sind, den Wettbewerb
einzuschränken. Auf die Existenz eines solchen Beschlusses kann vom
tatsächlichen Verhalten eines Unternehmensverbandes, seiner Organe oder
seiner Hilfsorgane geschlossen werden.
Laut Satzung von Eurofer gehört der Informationsaustausch zu den
Aufgaben von Eurofer (Artikel 2, vierter Gedankenstrich, der Satzung). Es
muß angenommen werden, daß Eurofer nicht ohne ausdrückliche oder
stillschweigende Einwilligung ihrer Mitglieder handelte. Dies wird dadurch
bestätigt, daß es sich bei den ausgetauschten Zahlen um Zahlen der
Unternehmen handelte, die (unmittelbar oder mittelbar) Mitglied von
Eurofer waren.
282. Diese Auslegung steht im Einklang mit Wortlaut, Sinn und Zweck von
Artikel 65, der alle Vereinbarungen, Beschlüsse und verabredeten Praktiken
untersagt, die darauf abzielen, den Wettbewerb einzuschränken.“
- 101.
- Der einzige Unterschied zwischen der Begründung der Mitteilung der
Beschwerdepunkte und der Begründung der Entscheidung besteht darin, daß die
Kommission in Nummer 472 der Beschwerdepunkte die Ansicht vertrat, das
tatsächliche Verhalten eines Verbandes müsse „als .Beschluß' angesehen werden“,
während das tatsächliche Verhalten eines Verbandes in der Entscheidung nur als
Anhaltspunkt für das Vorliegen eines solchen Beschlusses betrachtet wird. Sowohl
in der Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch in der Entscheidung macht die
Kommission geltend, daß die Klägerin nicht ohne ausdrückliche oder
stillschweigende Einwilligung ihrer Mitglieder gehandelt habe.
- 102.
- Die Kommission hat in der Entscheidung ferner auf die satzungsmäßige Aufgabe
der Klägerin abgestellt, auf die diese in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte selbst hingewiesen hat.
- 103.
- Nach ständiger Rechtsprechung braucht die Entscheidung nicht unbedingt ein
Abbild der Darstellung der Beschwerdepunkte zu sein. Die Kommission muß die
Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens berücksichtigen, sei es, um
Beschwerdepunkte fallenzulassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen
haben, sei es, um ihre Argumentation, auf die sie die aufrechterhaltenen
Beschwerdepunkte stützt, sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht
neu zu ordnen und zu ergänzen. Die letztere Möglichkeit beeinträchtigt nicht den
durch Artikel 36 Absatz 1 des Vertrages gewährleisteten Anspruch auf rechtliches
Gehör (vgl. im Rahmen des EG-Vertrags das Urteil des Gerichts vom 10. März
1992 in der Rechtssache T-11/89, Shell/Kommission, Slg. 1992, II-757, Randnr. 59).
- 104.
- Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission darauf beschränkt, ihre
Argumentation in rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen, um auf das Vorbringen der
Klägerin zu antworten. Diese Umformulierung ihrer Argumentation war im übrigen
nicht so grundlegend, daß sie verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin erneut
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
- 105.
- Folglich ist das Vorbringen zurückzuweisen, mit dem geltend gemacht wird, daß
sich aus den Kriterien, aus denen die Kommission das Vorliegen eines Beschlusses
eines Unternehmensverbands ableitete, eine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör ergebe.
C Zum Vorliegen eines Beschlusses der Klägerin
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 106.
- Die Klägerin trägt vor, sie habe weder einen Beschluß im Sinne von Artikel 65 § 1
des Vertrages über einen Informationsaustausch gefaßt noch auch nur eine
entsprechende Empfehlung an die fraglichen Unternehmen gerichtet.
- 107.
- Beschlüsse im Sinne dieses Artikels würden definitionsgemäß von den dafür
zuständigen Organen gefaßt, und ihr Erlaß durch einen Verband setze voraus, daß
dieser nach seiner Satzung die Aufgabe habe, die Tätigkeit seiner Mitglieder zu
koordinieren (Urteil des Gerichtshofes vom 27. Januar 1987 in der Rechtssache
45/85, Verband der Sachversicherer/Kommission, Slg. 1987, 405, Randnr. 31).
Außerdem müßten diese Beschlüsse für die Mitglieder des Verbandes verbindlich
sein (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78
bis 215/78 und 218/78, van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125,
Randnrn. 88, 89 und 91, sowie Urteil Verband der Sachversicherer/Kommission,
Randnr. 30) oder zumindest von ihnen befolgt worden sein (Urteil van Landewyck
u. a./Kommission). Es sei nicht möglich, einem Verbandsbeschluß die tatsächlichen
Handlungen des betreffenden Verbandes, seiner Organe oder seiner Hilfsorgane
gleichzusetzen, wenn diese Handlungen keine Bindungswirkung für seine Mitglieder
hätten. Ein solches Vorgehen würde das Kartellverbot in ein Empfehlungsverbot
verwandeln.
- 108.
- Im vorliegenden Fall gehe aus der Entscheidung nicht hervor, wie die Klägerin
einen diesen Kriterien entsprechenden Verbandsbeschluß hätte fassen können. Das
tatsächliche Verhalten der Klägerin sei als bloßer Anhaltspunkt für das Vorliegen
eines derartigen Beschlusses angesehen worden (Randnr. 281 der Entscheidung).
Außerdem reichten die von der Kommission berücksichtigten Umstände das
Vorhandensein und die Verbreitung von Übersichten, die Tatsache, daß der
Informationsaustausch der satzungsmäßigen Aufgabe der Klägerin entspreche, und
das Erfordernis einer Genehmigung durch ihre Mitglieder, damit sie tätig werden
könne (vgl. Randnrn. 143, 144 und 281 der Entscheidung) zum Nachweis eines
solchen Beschlusses nicht aus.
Würdigung durch das Gericht
- 109.
- Nach den Ausführungen in Artikel 2 der Entscheidung und in ihren Randnummern
317, 279 und 281 hat die Klägerin den streitigen Informationsaustausch auf derGrundlage eines von ihr gefaßten Beschlusses organisiert und dadurch gegen
Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen. Folglich wurde diese Zuwiderhandlung nach
Ansicht der Kommission von der Klägerin begangen.
- 110.
- Die Klägerin, deren Mitglieder in der Mehrzahl nationale Verbände europäischer
Stahlunternehmen sind (siehe oben, Randnr. 2), ist ein „Verband von
Unternehmen“ im Sinne von Artikel 65 des Vertrages. Angesichts des Zweckes
dieser Bestimmung ist der Begriff des Unternehmensverbands, wie die Kommission
in Randnummer 280 der Entscheidung festgestellt hat, dahin auszulegen, daß ihm
gegebenenfalls auch Einrichtungen unterfallen, die aus Unternehmensverbänden
bestehen.
- 111.
- Zur Frage, ob die Klägerin einen „Beschluß“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des
Vertrages gefaßt hat, ist erstens festzustellen, daß zu den Zielen der Klägerin die
Zusammenarbeit „zwischen den Unternehmen der europäischen Eisen- und
Stahlindustrie“ gehört (Artikel 2 Absatz 1, erster Gedankenstrich, ihrer Satzung)
und daß sie diese Ziele u. a. durch „den Austausch von Informationen über alle
Probleme von gemeinsamem Interesse, insbesondere die Produktion, den Markt
und die Beschäftigung“, verwirklichen soll (Artikel 2 Absatz 2, zweiter
Gedankenstrich, ihrer Satzung).
- 112.
- Zweitens hat die Klägerin die in Rede stehenden statistischen Angaben unstreitig
selbst gesammelt, zusammengestellt und verbreitet. In ihrem Schreiben vom 30. Juli
1990 an den Vorsitzenden und das Sekretariat der Träger-Kommission, das in
Randnummer 44 der Entscheidung zitiert wird, unterschied die Klägerin im übrigen
ausdrücklich zwischen ihren eigenen Aktivitäten in bezug auf den Austausch
individueller Informationen („... haben wir beschlossen, die Weitergabe von
Statistiken mit individualisierten Produktions-, Liefer- oder Auftragszahlen
auszusetzen ...“) und den ähnlichen Aktivitäten der Träger-Kommission („... [wir]
bitten Sie, auch im Rahmen Ihres Ausschusses einstweilen von einer derartigen
Weitergabe abzusehen“).
- 113.
- Drittens ist davon auszugehen, daß das Personal der Klägerin den streitigen
Informationsaustausch ohne die Genehmigung der dafür zuständigen Organe oder
zumindest die ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung ihrer Mitglieder
nicht hätte durchführen können.
- 114.
- Viertens gehörten die Unternehmen, die insbesondere durch Übermittlung ihrer
individuellen Zahlen am fraglichen Austausch teilnahmen, unstreitig entweder der
Klägerin selbst oder einem ihrer Mitgliedsverbände an (vgl. Randnr. 281 der
Entscheidung).
- 115.
- In Anbetracht dieser Umstände war die Kommission in den Randnummern 281
und 282 der Entscheidung zu der Folgerung berechtigt, daß der streitige
Informationsaustausch ohne ausdrücklichen oder stillschweigenden Beschluß der
Klägerin, ihn zu organisieren und zu leiten, nicht hätte durchgeführt werden
können.
- 116.
- Zum Vorbringen der Klägerin, daß ein „Beschluß“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des
Vertrages für ihre Mitglieder verbindlich sein müsse, genügt die Feststellung, daß
ein Rechtsakt als „Beschluß“ eines Unternehmensverbands eingestuft werden kann,
ohne zwangsläufig für die betroffenen Mitglieder verbindlich zu sein; dies gilt
jedenfalls dann, wenn sich die Mitglieder, die dieser „Beschluß“ betrifft, an ihn
halten (vgl. analog dazu das Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den
Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ
u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 20, sowie die Urteile van Landewyck
u. a./Kommission, Randnrn. 88 und 89, und Verband der
Sachversicherer/Kommission, Randnrn. 29 bis 32). Daß dies hier der Fall war, wird
dadurch hinreichend belegt, daß die Unternehmen der Klägerin ständig ihre Zahlen
mitteilten und die von dieser auf der Grundlage aller übermittelten Daten erstellten
Tabellen widerspruchslos entgegennahmen. Dies zeigt, daß die Klägerin allen
betroffenen Unternehmen den Austausch von Informationen zumindest empfahl
und daß diese der Empfehlung folgten.
- 117.
- Selbst wenn man unterstellt, daß die Tätigkeiten der Klägerin durch eine
ausdrückliche oder stillschweigende „Vereinbarung“ ihrer Mitglieder ausgelöst
wurden, sie mit der Sammlung und Verbreitung der streitigen Statistiken zu
betrauen, ohne daß es einen förmlichen Beschluß der Organe der Klägerin gab,
wäre eine solche Vereinbarung als „Beschluß eines Verbandes von Unternehmen“
im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages einzustufen, da die fragliche
„Vereinbarung“ zwangsläufig im Rahmen der Tätigkeiten dieses Verbandes
getroffen wurde, der selbst in Einklang mit seiner satzungsmäßigen Aufgabe die
Verantwortung für die Sammlung und Verbreitung der streitigen Informationen
übernimmt.
- 118.
- Unter diesen Umständen war die Kommission zu der Folgerung berechtigt, daß es
einen Beschluß eines Unternehmensverbands gab, der geeignet war, die Haftung
der Klägerin auszulösen.
- 119.
- Dem ist hinzuzufügen, daß die Ausführungen, die in der Entscheidung zu finden
sind, der Klägerin die Verteidigung ihrer Rechte und dem Gericht die Ausübung
seiner Kontrolle ermöglichten und daß sie somit eine ausreichende Begründung
darstellen.
- 120.
- Folglich sind die auf das Fehlen eines Beschlusses der Klägerin gestützten
Argumente in vollem Umfang zurückzuweisen.
D Zum Ausschluß der Verbände vom Kreis der Adressaten des Verbotes in
Artikel 65 des Vertrages
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 121.
- Die Klägerin trägt vor, selbst wenn es im vorliegenden Fall einen „Beschluß eines
Unternehmensverbands“ gegeben habe, könne ein derartiger Verband als solcher
im Gegensatz zu seinen Mitgliedsunternehmen das Verbot in Artikel 65 des
Vertrages nicht verletzen.
- 122.
- Diese Auffassung entspreche erstens den Bestimmungen von Artikel 65 §§ 4
(Nichtigkeit von Vereinbarungen oder Beschlüssen) und 5 (Möglichkeit zur
Festsetzung von Geldbußen und Zwangsgeldern) des Vertrages, die allein die
Unternehmen beträfen.
- 123.
- Zweitens verfügten nur die Unternehmen als autonom handelnde wirtschaftliche
Einheiten über die durch Artikel 65 des Vertrages geschützte Handlungsfreiheit.
Folglich beträfen die wettbewerbswidrigen Wirkungen, die ein gemäß der
einschlägigen Satzung getroffener Verbandsbeschluß haben könne, nur die
Mitgliedsunternehmen des Verbandes, da sie an diesen Beschluß gebunden seien.
In einem solchen Fall drücke der fragliche Beschluß den für die Anwendung von
Artikel 65 des Vertrages unabdingbaren Konsens von mindestens zwei
Unternehmen aus. Die Satzung der Klägerin verleihe ihren Organen aber keinerlei
Befugnis, das Marktverhalten der europäischen Stahlerzeuger durch Beschluß zu
regeln. Außerdem seien die meisten ihrer Mitglieder selbst Unternehmensverbände,
und die ihnen angeschlossenen Unternehmen seien an die Beschlüsse der Klägerin
nicht gebunden. Es spiele keine Rolle, ob die fragliche Entscheidung den Verband
selbst binde.
- 124.
- Drittens könnten nur die Unternehmen den subjektiven Tatbestand des
Kartellverbots erfüllen.
- 125.
- Daß ein Verband nicht gegen dieses Verbot verstoßen könne, werde schließlich
durch die Genehmigungsvorschriften (Artikel 65 § 2 des Vertrages) bestätigt, die
mit ihm eine Einheit bildeten (vgl. Artikel 65 § 4 Absatz 2 des Vertrages und zum
EWG-Vertrag das Urteil des Gerichtshofes vom 6. April 1962 in der Rechtssache
13/61, De Geus en Uitdenbogerd, Slg. 1962, 99). Nur die Unternehmen könnten
aber Adressaten einer solchen Genehmigung sein, wie der Begriff „beteiligte
Unternehmen“ in Artikel 65 § 2 Buchstabe c des Vertrages und die Tatsache
zeigten, daß eine Genehmigung das Marktverhalten der Unternehmen betreffe
(Spezialisierung, gemeinsamer Ein- oder Verkauf).
- 126.
- Diese Auffassung stehe weder in Widerspruch zu Artikel 48 des Vertrages, der im
wesentlichen deklaratorischen Charakter habe und selbst kein Verbot aufstelle,
noch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes. Was den letztgenannten Punkt
anbelange, so betreffe insbesondere das Urteil des Gerichtshofes vom 19. März
1964 in der Rechtssache 67/63 (Sorema/Hohe Behörde, Slg. 1964, 323, 347) einen
anderen als den vorliegenden Fall.
Würdigung durch das Gericht
- 127.
- Artikel 65 § 1 des Vertrages verbietet „alle Vereinbarungen zwischen
Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle
verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt
unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern,
einzuschränken oder zu verfälschen“.
- 128.
- Artikel 65 § 4 des Vertrages lautet:
„Nach § 1 dieses Artikels untersagte Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig;
eine Berufung auf sie ist vor keinem Gericht der Mitgliedstaaten zulässig.
Vorbehaltlich der bei dem Gerichtshof zu erhebenden Klagen ist die Kommission
ausschließlich zuständig, darüber zu entscheiden, ob die genannten Vereinbarungen
oder Beschlüsse mit den Bestimmungen dieses Artikels in Einklang stehen.“
- 129.
- In Artikel 65 § 5 des Vertrages heißt es: „Gegen Unternehmen, die eine nichtige
Vereinbarung getroffen oder ... eine Vereinbarung oder einen nichtigen Beschluß
... angewendet oder anzuwenden versucht haben ... oder zu den Bestimmungen des
§ 1 im Widerspruch stehende Praktiken anwenden, kann die Kommission
Geldbußen und Zwangsgelder festsetzen ...“
- 130.
- Aus Artikel 65 § 5 des Vertrages geht zwar hervor, daß gegen einen
Unternehmensverband weder eine Geldbuße noch ein Zwangsgeld festgesetzt
werden kann; im Wortlaut von Artikel 65 § 1 gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt
dafür, daß ein Verband, der einen auf die Verhinderung, Einschränkung oder
Verfälschung des normalen Wettbewerbs abzielenden Beschluß getroffen hat, selbst
nicht unter das dort verankerte Verbot fällt.
- 131.
- Diese Auslegung wird sowohl durch Artikel 65 § 4 des Vertrages bestätigt, der sich
auch auf solche Beschlüsse bezieht, als auch durch das Urteil Sorema/Hohe
Behörde, in dem der Gerichtshof entschieden hat, daß Artikel 65 § 1 des Vertrages
auch für Verbände gilt, soweit deren eigene Tätigkeiten oder die der ihnen
angehörenden Unternehmen auf die Wirkungen abzielen, die er unterbinden soll
(Slg. 1964, S. 347). Letzteres wird nach Ansicht des Gerichtshofes überdies durch
Artikel 48 des Vertrages bestätigt, der den Verbänden die Ausübung jeder
Tätigkeit gestattet, die zu den Bestimmungen des Vertrages nicht in Widerspruch
steht.
- 132.
- Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist dem Urteil Sorema/Hohe Behörde
ferner zu entnehmen, daß ein Unternehmensverband im Sinne von Artikel 65 § 1
des Vertrages der Adressat einer Entscheidung sein kann, mit der die Kommission
eine Vereinbarung gemäß Artikel 65 § 2 des Vertrages genehmigt (vgl. Slg. 1964,
S. 347 bis 352).
- 133.
- Die Behauptung der Klägerin, daß ein Unternehmensverband im Sinne von Artikel
65 § 1 des Vertrages nicht gegen das in dieser Bestimmung verankerte Verbot
verstoßen könne, ist daher zurückzuweisen.
E Zur Befugnis der Kommission zum Erlaß einer Entscheidung, mit der das
Vorliegen einer der Klägerin zuzurechnenden Zuwiderhandlung festgestellt wird
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 134.
- Die Klägerin ist der Ansicht, daß Artikel 65 des Vertrages die Kommission nicht
zum Erlaß einer Entscheidung ermächtige, mit der eine ihr zuzurechnende
Zuwiderhandlung festgestellt werde. Insbesondere lasse sich weder aus § 4 noch aus
§ 5 dieser Bestimmung eine solche Befugnis ableiten.
- 135.
- Artikel 65 § 4 des Vertrages betreffe nur die Zuständigkeit der Kommission zur
inzidenten Feststellung von Zuwiderhandlungen in Rechtsstreitigkeiten, die bei den
Gerichten der Mitgliedstaaten anhängig seien. Er schaffe dagegen keine allgemeine
Befugnis, die es diesem Organ ermögliche, solche Feststellungsentscheidungen zu
erlassen. Außerdem beträfen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Rechtsfolgen
die Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen oder Beschlüsse und die
Unzulässigkeit einer Berufung auf sie vor den Gerichten nicht die Verbände,
sondern nur die Parteien dieser Vereinbarungen oder Beschlüsse, d. h. die
Unternehmen.
- 136.
- Artikel 65 § 5 des Vertrages ermächtige die Kommission nur zur Festsetzung von
Geldbußen und Zwangsgeldern. Er erlaube ihr nicht, Entscheidungen zur
Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 § 1 zu treffen. Die durch
Artikel 65 § 5 verliehene Befugnis erstrecke sich zwar auch auf den Erlaß von
Abstellungs- oder Unterlassungsanordnungen und, im Fall einer solchen
Anordnung, auf die inzidente Feststellung der fraglichen Zuwiderhandlung. DieseBefugnis bestehe jedoch nur gegenüber Unternehmen im Sinne von Artikel 80 des
Vertrages.
Würdigung durch das Gericht
- 137.
- Gemäß Artikel 65 § 4 Absatz 2 des Vertrages ist die Kommission vorbehaltlich der
beim Gerichtshof zu erhebenden Klagen ausschließlich zuständig, darüber zu
entscheiden, ob die unter Artikel 65 § 1 des Vertrages fallenden Vereinbarungen
und Beschlüsse von Unternehmensverbänden mit dessen Bestimmungen in
Einklang stehen.
- 138.
- Artikel 65 § 4 des Vertrages kann nicht dahin ausgelegt werden, daß er nur
inzident im Rahmen eines Rechtsstreits vor einem nationalen Gericht Anwendung
findet, wie die Klägerin behauptet. Folglich stellt diese Bestimmung im
vorliegenden Fall eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung der in
Artikel 2 der Entscheidung behandelten Zuwiderhandlung dar.
- 139.
- Das Argument der Klägerin, daß die Kommission zum Erlaß von Artikel 2 der
Entscheidung nicht befugt gewesen sei, ist daher zurückzuweisen.
F Zu den Klagegründen und Argumenten, die die wettbewerbswidrige Natur des der
Klägerin zur Last gelegten Systems betreffen
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
- 140.
- Die Klägerin trägt vor, erstens verstoße Artikel 2 der Entscheidung insofern gegen
die in Artikel 15 Absatz 1 des Vertrages verankerte Begründungspflicht, als die
Feststellung, daß zwischen dem ihr zur Last gelegten Verhalten und den in
Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten Verstößen ihrer Mitglieder ein
„Zusammenhang“ bestehe, ihre Teilnahme an den Verstößen impliziere. Diese
Annahme finde aber in den Gründen der Entscheidung keine Stütze.
- 141.
- Zweitens habe sie sich im Verwaltungsverfahren nicht zu den Tätigkeiten der
Träger-Kommission (abgesehen von der „Traverso-Methode“) äußern können,
obwohl nach Artikel 2 der Entscheidung zwischen diesen Tätigkeiten und der ihr
zur Last gelegten Zuwiderhandlung ein „Zusammenhang“ bestehe. Die Kommission
habe dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
- 142.
- Drittens habe die Kommission in Randnummer 317 der Entscheidung zu Unrecht
die Ansicht vertreten, daß ein Verband gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
verstoßen könne, indem er sich an einer von Dritten seinen Mitgliedern
begangenen Zuwiderhandlung beteilige.
- 143.
- Viertens ergebe sich aus einer Reihe von Argumenten, daß der ihr zur Last gelegte
Informationsaustausch eine Einschränkung des normalen Wettbewerbs im Sinne
von Artikel 65 § 1 des Vertrages weder bezweckt noch bewirkt habe.
- 144.
- Zunächst habe das ihr vorgeworfene Verhalten keine Wettbewerbsbeschränkung
bezweckt und folglich nicht auf eine solche Beschränkung „abgezielt“. Es reiche für
die Anwendung von Artikel 65 des Vertrages nicht aus, daß eine solche
Beschränkung als bloße Wirkung des beanstandeten Verhaltens erscheine (vgl.
Randnr. 283 der Entscheidung) oder daß dieses geeignet sei, eine solche Wirkung
zu erzielen (vgl. Randnr. 281 der Entscheidung). Das Verb „tendre à“ in der
französischen Sprachfassung der einzigen verbindlichen Fassung des EGKS-Vertrags beziehe sich ebenso wie das Wort „abzielen“ in der deutschen
Übersetzung dieses Vertrages auf das Ziel des streitigen Verhaltens.
- 145.
- Im vorliegenden Fall könne der Zweck des angeblichen Beschlusses durch einen
Informationsaustausch eine größere Markttransparenz herbeizuführen nicht als
wettbewerbswidrig eingestuft werden.
- 146.
- Der Austausch von Daten über die Lieferungen habe jedenfalls keinerlei
wettbewerbsbeschränkende Wirkung gehabt.
- 147.
- Nach der plausibelsten Auslegung der Entscheidung sei die Kommission von einer
solchen beschränkenden Wirkung ausgegangen, da das Informationsaustauschsystem
ihrer Ansicht nach die spätere Koordinierung des wirtschaftlichen Verhaltens der
Unternehmen durch die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung von Märkten
ermöglicht oder erleichtert habe. Diese Erwägungen reichten nicht aus, um das
System als wettbewerbswidrig einzustufen. Die Kommission hätte vielmehr
nachweisen müssen, daß es selbst die Freiheit der beteiligten Unternehmen zu
selbständigem und autonomem Handeln eingeschränkt habe.
- 148.
- Selbst wenn man die Entscheidung dahin auslege, daß der Informationsaustausch
eine autonome Zuwiderhandlung und keine Maßnahme zur Vorbereitung einer
solchen Zuwiderhandlung darstelle, sei der Schluß auf das Vorliegen einer
wettbewerbsbeschränkenden Wirkung ebensowenig zulässig. Die Handlungsfreiheit
der beteiligten Unternehmen sei weder durch den Erhalt der fraglichen Daten noch
durch ihre Übermittlung beeinträchtigt worden.
- 149.
- Die Daten, die die beteiligten Unternehmen erhalten hätten, hätten es ihnen nicht
erlaubt, das künftige Verhalten des betreffenden Konkurrenten zu ermitteln, da es
sich um historische Daten über vergangene Lieferungen gehandelt habe, die zur
Abwicklung von Geschäften gedient hätten, die mindestens dreieinhalb Monate (in
den meisten Fällen sechs Monate, unter Umständen sieben Monate und mehr) vor
der Verbreitung der fraglichen Informationen abgeschlossen worden seien. Die
Kenntnis des künftigen Marktverhaltens eines Konkurrenten stelle jedenfalls für
sich genommen keine Wettbewerbsbeschränkung dar, sondern sei im Gegenteil ein
wettbewerbsförderndes Element, da sie dem Betreffenden die Orientierung
erleichtere.
- 150.
- Die Pflicht zur Übermittlung bestimmter Angaben könne zwar die Handlungsfreiheit
der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer einschränken, indem sie ihnen die Vorteile
etwaiger Wettbewerbsinitiativen nehme, aber der der Klägerin zur Last gelegte
Austausch habe keine solche Wirkung entfaltet. Die historischen Daten hätten
keinen Aufschluß über einzelne Transaktionen, Kunden, Preise,
Geschäftsbedingungen oder sonstige Einzelheiten gegeben. Sie hätten sich auf
mindestens acht unter dem Oberbegriff „Träger“ zusammengefaßte
Produktkategorien bezogen. Unter diese Kategorien sei eine Fülle von Profilen und
Abmessungen gefallen. Die Produkte der verschiedenen Kategorien seien
untereinander nicht substituierbar. Unter diesen Umständen treffe die Behauptung
nicht zu, daß es jedem Unternehmen durch die Weitergabe dieser Informationen
ermöglicht worden sei, sich ein Bild vom Verhalten seiner Konkurrenten auf den
einzelnen Märkten zu machen (Randnr. 283 der Entscheidung).
- 151.
- Aufgrund der in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen Veröffentlichung der
Preislisten und Geschäftsbedingungen habe jedes Unternehmen automatisch von
den wesentlichen Parametern künftiger Transaktionen seiner Konkurrenten
erfahren, da der Wettbewerb auf den EGKS-Märkten im wesentlichen über die
Preislisten geführt werde. Folglich habe der streitige Informationsaustausch den
durch die Vorschriften des Vertrages zugelassenen Wettbewerb nicht einschränken
können.
- 152.
- Zu den Merkmalen der betreffenden Märkte sei festzustellen, daß der Trägersektor
bei über sechzehn Anbietern aus der Gemeinschaft und einem starken Einfluß von
Einfuhren aus Drittländern keine oligopolistische Struktur aufweise. Es gebe keine
Solidarität zwischen den Herstellern, sondern eine starke Rivalität. Der
Geheimwettbewerb zwischen den Herstellern sei nach den Vorschriften von Artikel
60 des Vertrages verboten. Da Artikel 65 des Vertrages nur gesetzmäßigen
Wettbewerb schütze, verstoße es nicht gegen diese Bestimmung, wenn ein
verbotener (geheimer) Wettbewerb verhindert werde.
- 153.
- Es sei auch unerheblich, ob diese Informationen als „Geschäftsgeheimnisse“
einzustufen seien (Randnr. 283 der Entscheidung). Im übrigen sei es zulässig,
solche Geheimnisse mit Einverständnis des Betroffenen aufzudecken.
- 154.
- Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen,
daß sie selbst damals zwei verschiedene Arten von Statistiken verteilt habe, und
zwar zum einen nach Unternehmen aufgeschlüsselte Statistiken, die zu Beginn der
Krisenregelung ihren Ursprung genommen hätten, und zum anderen die aus
beschleunigten Erhebungen hervorgegangenen und hinsichtlich der beteiligten
Unternehmen zusammengefaßten Statistiken.
- 155.
- Aus den Randnummern 143 bis 146 und 283 der Entscheidung gehe nicht klar
hervor, auf welche der beiden Arten von Statistiken sie sich beziehe. Einerseits
verweise die Kommission dort auf Zahlen, die zwei Monate nach dem
Bezugsquartal übermittelt worden seien (Randnr. 145), was für die Hypothese der
nach Unternehmen aufgeschlüsselten Statistiken spreche. Andererseits erwähne sie
den Begriff „Fast Bookings“ (Randnr. 143), was für die Hypothese der aus
beschleunigten Erhebungen hervorgegangenen zusammengefaßten Statistiken
spreche. Ebenso habe die Kommission in ihrer Antwort vom 23. Februar 1998 auf
Fragen des Gerichts das Interesse der Unternehmen an schneller Verfügbarkeit der
Statistiken hervorgehoben, während die Informationen, die sich in den nach
Unternehmen aufgeschlüsselten Statistiken befunden hätten, auch (und bisweilen
schneller) im Rahmen des Monitoring und des Systems der Walzstahl-Vereinigung,
die in den Randnummern 39 bis 60 der Entscheidung beschrieben würden,
verfügbar gewesen seien. Diese Umstände legten den Schluß nahe, daß die
Kommission in der Entscheidung die aus beschleunigten Erhebungen
hervorgegangenen zusammengefaßten Statistiken gemeint habe. Der Austausch
solcher zusammengefaßter Statistiken verstoße aber nicht gegen Artikel 65 des
Vertrages und habe die Begehung der übrigen in der Entscheidung behandelten
Zuwiderhandlungen nicht erleichtern können.
- 156.
- Die Kommission trägt vor, der in Artikel 2 der Entscheidung verwendete Begriff
„Zusammenhang“ bringe keine Beteiligung der Klägerin an dem in Artikel 1
genannten Verhalten der Unternehmen zum Ausdruck. Aus Wortlaut und
Systematik der Abschnitte, die der Zuwiderhandlung der Klägerin gewidmet seien
(Randnrn. 143 bis 146 und 279 bis 283), gehe klar hervor, daß die Kommission sie
im Gegenteil als selbständigen Verstoß angesehen habe.
- 157.
- In Wirklichkeit beziehe sich der Begriff „Zusammenhang“ erstens auf die
Übereinstimmung zwischen den jeweiligen Zuwiderhandlungen. So hätten die von
der Klägerin erstellten Statistiken dasselbe Produkt (Träger), annähernd denselben
Kreis von Unternehmen, denselben Zeitraum der Erfassung und dieselbe
Erfassungsart (Auftrags- und Lieferungsübersichten) betroffen wie der
Informationsaustausch im Rahmen der Träger-Kommission (vgl. die oben
genannten Abschnitte der Entscheidung). Außerdem hätten die beiden
Informationsaustauschsysteme dieselben Wirkungen (vgl. Randnr. 283 der
Entscheidung) und das gleiche Ziel gehabt, das darin bestanden habe, die
Unternehmen in die Lage zu versetzen, ihre traditionellen Handelsströme zu
bewahren und die Durchführung der Preis- und Marktaufteilungsabsprachen zu
überwachen (vgl. zum zuletzt genannten Punkt den in Randnr. 59 der Entscheidung
zitierten internen Vermerk).
- 158.
- Zweitens hätten die von der Klägerin weitergegebenen Daten die im Rahmen der
Träger-Kommission verbreiteten Daten ergänzt (was der Klägerin und den
beteiligten Unternehmen bewußt gewesen sei, vgl. Nr. 273 der Beschwerdepunkte)
und zu den von ihren Mitgliedern begangenen Zuwiderhandlungen beigetragen.
- 159.
- Da der Trägermarkt ein oligopolistischer Markt mit homogenen Produkten sei, sei
die Kommission jedenfalls berechtigt gewesen, den von der Klägerin organisierten
Informationsaustausch unabhängig von einem Zusammenhang mit den
Zuwiderhandlungen der Unternehmen im Rahmen der Träger-Kommission zu
beanstanden.
- 160.
- Insoweit sei u. a. auf die Erläuterungen in den Nummern 272 bis 284 und 470 bis
474 der Beschwerdepunkte zu verweisen. Insbesondere habe es der von der
Klägerin organisierte Informationsaustausch nach den Angaben in Nummer 474 der
Beschwerdepunkte jedem Unternehmen ermöglicht, „sich ein Bild vom früheren
oder gegenwärtigen Marktverhalten seiner Wettbewerber zu machen, und
gleichzeitig ein System der Solidarität und der wechselseitigen Einflußnahme
zwischen diesen Unternehmen geschaffen, das zu einer Koordinierung ihrer
Wirtschaftstätigkeiten führte“. Diese Koordinierung werde den Unternehmen in
Artikel 1 der Entscheidung vorgeworfen. Der „Zusammenhang“, von dem Artikel 2
der Entscheidung spreche, stelle folglich kein neues Element dar, zu dem die
Klägerin nicht habe Stellung nehmen können.
- 161.
- Speziell zur wettbewerbswidrigen Natur des streitigen Informationsaustauschs sei
festzustellen, daß die fraglichen Daten zwei Monate nach Ablauf des
Referenzquartals verbreitet worden seien. Die Verfügbarkeit dieser Daten, die
nicht als rein historisch eingestuft werden könnten, habe es den Unternehmen
ermöglicht, sich ein Bild vom Verhalten ihrer Konkurrenten auf den Märkten der
Gemeinschaft zu machen. Eine solche Erhöhung der Transparenz könne zwar
grundsätzlich den Wettbewerb verstärken; dies gelte aber nicht, wenn es sich um
einen oligopolistischen Markt wie den Trägermarkt handele. In diesem Fallverstärke sie die Reaktionsverbundenheit und Solidarität der Unternehmen und
vermindere die Intensität des Wettbewerbs. Im vorliegenden Fall sei es bei den
Diskussionen in der Träger-Kommission darum gegangen, die bestehenden
Handelsströme zu festigen und ein Eindringen von Konkurrenten in
„Heimatmärkte“ der jeweiligen Unternehmen zu verhindern. Die Kenntnis des
Verhaltens ihrer Konkurrenten habe die Unternehmen in die Lage versetzt, zu
entscheiden, ob sie diese zu einer Verhaltensänderung auffordern sollten.
- 162.
- Außerdem sei der beanstandete Informationsaustausch nur den beteiligten
Anbietern zugute gekommen und habe ihren Abnehmern die Möglichkeit
genommen, den normalerweise selbst auf oligopolistisch strukturierten Märkten
noch vorhandenen „Geheimwettbewerb“ auszunutzen. Artikel 60 des Vertrages
habe auf diese Erwägungen keinen Einfluß. Während die nach diesem Artikel
erforderliche Veröffentlichung der Preislisten die Information nicht nur der
Konkurrenten, sondern auch der Käufer ermögliche, hätten von dem der Klägerin
zur Last gelegten Datenaustausch nur erstere profitiert.
- 163.
- In Beantwortung einer Frage des Gerichts hat die Kommission hinzugefügt, der
streitige Austausch habe zur Erleichterung der Absprachen über die
Preisfestsetzung und die Aufteilung der Märkte und damit zur Begehung der in
Artikel 1 Buchstaben b ff. genannten Zuwiderhandlungen gedient; diese
Zuwiderhandlungen seien dadurch ermöglicht worden, daß die Unternehmen die
Angaben der Klägerin genutzt hätten. In Artikel 2 der Entscheidung komme
angesichts dieses Verhaltens und in Einklang mit den Erläuterungen in
Randnummer 283 der Gedanke zum Ausdruck, daß die Klägerin in Zusammenhang
mit den Zuwiderhandlungen, für die die Unternehmen gemäß Artikel 1 selbst
verantwortlich seien, eine eigene Verantwortung trage.
- 164.
- In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission, ebenfalls in bezug auf
Artikel 2 der Entscheidung, noch den funktionalen Zusammenhang zwischen dem
genannten Austausch und der Traverso-Methode hervorgehoben. Dieser
Zusammenhang werde in den Randnummern 72 und 74 der Entscheidung
angesprochen.
Würdigung durch das Gericht
1. Die in der Entscheidung behandelten Statistiken
- 165.
- Wie die Ermittlungen des Gerichts ergeben haben, verbreitete die Klägerin im
maßgeblichen Zeitraum zwei verschiedene Arten von Statistiken. Erstens
verbreitete sie, wie aus Randnummer 144 und Anhang II der Entscheidung
hervorgeht, Auftragszahlen in globaler Form sowie nach Unternehmen und nach
den Märkten der Mitgliedstaaten aufgeschlüsselte Lieferzahlen. Gemäß
Randnummer 145 der Entscheidung wurden die Lieferstatistiken spätestens etwa
zwei Monate nach dem Ende des betreffenden Quartals oder Monats an die
beteiligten Unternehmen weitergegeben. Ferner heißt es dort, daß dieser Austausch
mindestens seit 1986 praktiziert worden sei.
- 166.
- Zweitens führte die Klägerin im Januar 1989 ein System des schnellen Austauschs
von Informationen ein, in dessen Rahmen die monatlichen Angaben über Aufträge
und Lieferungen auf den einzelnen nationalen Märkten den beteiligten
Unternehmen in globaler Form übermittelt wurden. Über dieses System von
Schnellstatistiken wurde die Kommission in einer Sitzung vom 21. März 1989
informiert, und die daraus resultierenden rasch verfügbaren Angaben wurden der
Kommission sodann regelmäßig im Rahmen des durch die Entscheidung
Nr. 2448/88 eingeführten Überwachungssystems und der Vorbereitung der in
Artikel 46 des Vertrages erwähnten Vorausschätzungsprogramme mitgeteilt.
- 167.
- Entgegen der Behauptung der Klägerin geht aus den Randnummern 143 bis 145
in Verbindung mit Randnummer 283 der Entscheidung jedoch klar hervor, daß es
sich bei den Angaben, deren Verbreitung ihr zur Last gelegt wird, um die nach
Unternehmen und nationalen Märkten aufgeschlüsselten Lieferdaten handelt; dies
wird auch durch die in Anhang II der Entscheidung genannten Unterlagen
bestätigt. Auch wenn die Verwendung der Bezeichnung „Fast Bookings“ in
Randnummer 143 der Entscheidung verwirrend ist, folgt daraus, daß die
Entscheidung nicht das mit Wissen der Kommission im Jahr 1989 eingeführte
System aus beschleunigten Erhebungen hervorgegangener globaler Auftrags- und
Lieferstatistiken betrifft, sondern den 1986 eingeführten Austausch nach
Unternehmen aufgeschlüsselter Lieferstatistiken.
- 168.
- Das auf eine widersprüchliche Darstellung des Sachverhalts in der Entscheidung
gestützte Argument der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
2. Die Auslegung von Artikel 2 der Entscheidung
- 169.
- Zur Beurteilung der übrigen Argumente der Klägerin ist zunächst zu prüfen, ob ihr
in Artikel 2 der Entscheidung eine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages zur Last gelegt wird oder ob sich die Rechtswidrigkeit der
Handlungen der Klägerin aus ihrem „Zusammenhang“ mit den von den
Trägerherstellern begangenen und in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen
Zuwiderhandlungen ergeben soll.
- 170.
- Artikel 2 der Entscheidung lautet wie folgt:
„Eurofer hat gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag verstoßen, indem sie den Austausch
vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern
begangenen Verstößen nach Artikel 1 organisierte.“
- 171.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist der verfügende Teil einer Entscheidung im Licht
ihrer Begründung auszulegen (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1997
in der Rechtssache C-355/95 P, TWD/Kommission, Slg. 1997, I-2549, Randnr. 21).
- 172.
- Randnummer 283 der Entscheidung lautet:
„Die Weitergabe von Informationen über Eurofer hatte die gleichen für den
Wettbewerb schädlichen Wirkungen wie die weiter oben beschriebenen
Informationsaustauschsysteme (siehe Randnummern 263 bis 272). Eurofer versorgte
ihre (direkten oder indirekten) Mitglieder mit Informationen über die Lieferungen
deren Wettbewerber. Durch die Weitergabe solcher gewöhnlich als
Betriebsgeheimnis eingestufter Informationen wurde es jedem Unternehmen
ermöglicht, sich ein Bild vom Verhalten seiner Wettbewerber auf einzelnen
Märkten zu machen. Damit hatte dieser Informationsaustausch zur Folge, daß an
die Stelle der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit trat
und Wettbewerbsbedingungen geschaffen wurden, die von denen eines normalen
Marktes verschieden waren. Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zu Artikel
65 § 1 des EGKS-Vertrags.“
- 173.
- Wie aus Randnummer 283 der Entscheidung klar hervorgeht, stellt die Verbreitung
der streitigen Informationen durch die Klägerin nach Ansicht der Kommission eine
eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages dar, die vom
etwaigen „Zusammenhang“ zwischen diesem Informationsaustausch und den
übrigen Zuwiderhandlungen, die den beteiligten Unternehmen zur Last gelegt
werden, unabhängig ist.
- 174.
- Diese Auslegung steht auch in Einklang mit Nummer 474 der Beschwerdepunkte,
wo sich die Kommission wie folgt äußerte:
„Die Weitergabe von Informationen über Eurofer hatte die gleichen
wettbewerbsfeindlichen Wirkungen wie die oben beschriebenen
Informationsaustauschsysteme (siehe Punkte 435-456). Eurofer versorgte seine
(direkten oder indirekten) Mitglieder mit Informationen über die
Auftragsbuchungen und Lieferungen ihrer Wettbewerber. Durch die Weitergabe
solcher gewöhnlich als Betriebsgeheimnis eingestufter Informationen wurde es
jedem Unternehmen ermöglicht, sich ein Bild vom früheren oder gegenwärtigen
Marktverhalten seiner Wettbewerber zu machen, und gleichzeitig ein System der
Solidarität und der wechselseitigen Einflußnahme zwischen diesen Unternehmen
geschaffen, das zu einer Koordinierung ihrer Wirtschaftstätigkeiten führte. Dieser
Informationsaustausch hatte somit zur Folge, daß an die Stelle der normalen
Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit trat und
Wettbewerbsbedingungen geschaffen wurden, die von denen eines normalen
Marktes verschieden waren. Ein solches Verhalten steht im Widerspruch zu Artikel
65 § 1 des EGKS-Vertrages.“
- 175.
- Daraus folgt zum einen, daß die Kommission stets davon ausging, daß der
Informationsaustausch, den sie der Klägerin zur Last legt, eine eigenständige
Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages darstellte, und zum anderen,
daß die Klägerin während des Verwaltungsverfahrens Gelegenheit hatte, zu dieser
Frage Stellung zu nehmen.
- 176.
- Zur Bedeutung der Worte „im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern
begangenen Verstößen nach Artikel 1“ geht schon aus dem Wortlaut hervor, daß
sie nicht dahin ausgelegt werden können, daß die Einstufung der Verbreitung der
streitigen Informationen durch die Klägerin als Zuwiderhandlung ganz von einem
angeblichen Zusammenhang zwischen diesem Austausch und den übrigen, von
ihren Mitgliedern begangenen und in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten
Zuwiderhandlungen abhängt. Eine solche Auslegung stünde im übrigen in
Widerspruch zu Randnummer 283 der Entscheidung.
- 177.
- In Randnummer 317 Absatz 2 der Entscheidung wird allerdings folgendes
ausgeführt:
„Im vorliegenden Fall erleichterte Eurofer Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65
EGKS-Vertrag seitens ihrer Mitglieder, indem sie den Austausch einiger der
notwendigen vertraulichen Informationen organisierte. Da gegen diese Mitglieder
jedoch bereits wegen der Zuwiderhandlungen einschließlich des Austauschs
vertraulicher Informationen in Zusammenhang mit Preisfestsetzungs- und
Marktaufteilungsmaßnahmen Geldbußen festgesetzt werden, hält es die
Kommission nicht für erforderlich, gegen sie wegen des Verhaltens ihres Verbandes
zusätzliche Geldbußen festzusetzen.“
- 178.
- Auch wenn der Wortlaut von Artikel 2 der Entscheidung kein Muster an Klarheit
darstellt, ist daraus zu schließen, daß diese Bestimmung bei einer Auslegung im
Licht der Begründung der Entscheidung die Feststellung enthält, daß i) der
Austausch vertraulicher Informationen mit Hilfe von Eurofer als solcher gegen
Artikel 65 § 1 des Vertrages verstieß und ii) ein Zusammenhang zwischen diesem
Informationsaustausch und den übrigen in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten
Zuwiderhandlungen besteht.
- 179.
- Angesichts dieser Klarstellungen ist das Argument der Klägerin zurückzuweisen,
daß die Kommission ihr eine bloße Beteiligung an von Dritten begangenen
Zuwiderhandlungen vorwerfe. Wie bereits festgestellt, wird der Klägerin in der
Entscheidung eine eigenständige, von ihr selbst durch die Organisation des
streitigen Informationsaustauschs begangene Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1
des Vertrages vorgeworfen.
- 180.
- Demnach hängt die Rechtmäßigkeit von Artikel 2 der Entscheidung zum einen
davon ab, ob der von der Klägerin organisierte Informationsaustausch als solcher
eine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages darstellt,
und zum anderen davon, ob es einen „Zusammenhang“ zwischen diesem
Informationsaustausch und den übrigen in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten
Zuwiderhandlungen gab. Das Gericht wird diese beiden Fragen nacheinander
prüfen.
3. Der eigenständige Charakter der Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des
Vertrages, die in dem von der Klägerin organisierten Informationsaustausch besteht
- 181.
- In seiner Stellungnahme 1/61 vom 13. Dezember 1961 (Slg. 1961, 527) hat der
Gerichtshof ausgeführt, daß der Zweck von Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages
darin besteht, die Unternehmen daran zu hindern, mit Hilfe einschränkender
Praktiken eine Stellung zu erlangen, die ihnen eine Aufteilung oder Ausbeutung der
Märkte gestattet. Dieses durch Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzte Verbot gilt
nach Ansicht des Gerichtshofes in ganzer Strenge und ist für die vom Vertrag
geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend (S. 566). Überdies hat der
Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 66/63
(Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1964, 1149, 1180) entschieden, daß der vom
Vertrag angestrebte Wettbewerb im freien Spiel der Kräfte auf dem Markt und der
Strategie unabhängiger Wirtschaftseinheiten mit entgegengesetzten Interessen
besteht.
- 182.
- Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin nach dem Ende der Krisenzeit am
30. Juni 1988 fortfuhr, ein System des Austauschs von Informationen zu
organisieren und zu leiten, das spätestens 1986 in Zusammenhang mit dem damals
geltenden System der „I-“ und „i-Quoten“ eingeführt worden war (siehe oben,
Randnr. 7). Nach diesem System verteilte die Klägerin an die Trägerhersteller
Statistiken über die Lieferungen ihrer Konkurrenten auf den wichtigsten Märkten
der Gemeinschaft, die nach Unternehmen und Mitgliedstaaten aufgeschlüsselt
waren. Diese Statistiken wurden etwa zwei Monate nach dem Ende des
betreffenden Quartals oder Monats verbreitet.
- 183.
- Gemäß Randnummer 283 der Entscheidung verstieß dieser Informationsaustausch
insofern gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages, als es durch „die Weitergabe solcher
gewöhnlich als Betriebsgeheimnis eingestufter Informationen ... jedem
Unternehmen ermöglicht [wurde], sich ein Bild vom Verhalten seiner
Wettbewerber auf einzelnen Märkten zu machen. Damit hatte dieser
Informationsaustausch zur Folge, daß an die Stelle der normalen
Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit trat undWettbewerbsbedingungen geschaffen wurden, die von denen eines normalen
Marktes verschieden waren. Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zu Artikel
65 § 1 des EGKS-Vertrags.“
- 184.
- Darüber hinaus hatte der von der Klägerin organisierte Informationsaustausch nach
Ansicht der Kommission die gleichen für den Wettbewerb schädlichen Wirkungen
wie die von der Träger-Kommission organisierten und in den Randnummern 263
bis 272 der Entscheidung beschriebenen Informationsaustauschsysteme, in deren
Rahmen die teilnehmenden Unternehmen Auftrags- und Lieferstatistiken
austauschten, die ebenfalls nach Unternehmen und nationalen Märkten
aufgeschlüsselt waren und in der Träger-Kommission erörtert wurden (vgl.
Randnrn. 39 bis 46 der Entscheidung). Bei diesem System des „Monitoring“
wurden jede Woche aktuelle Auftragszahlen verbreitet; die Lieferzahlen wurden
weniger als drei Monate nach dem Ende des betreffenden Quartals verbreitet
(Randnr. 267 der Entscheidung).
- 185.
- Es trifft zu, daß der von der Klägerin organisierte Informationsaustausch im
Gegensatz zu dem von der Träger-Kommission organisierten Monitoring nicht die
nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselten Auftragsstatistiken betraf,
sondern nur den Austausch nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselter
Lieferstatistiken.
- 186.
- Erstens ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Statistiken über die fraglichen
Lieferungen normalerweise als streng vertraulich betrachtet werden, wie die
Kommission in Randnummer 283 der Entscheidung festgestellt hat. Entgegen den
Behauptungen der Klägerin sind derartige Angaben, aus denen die aktuellen
Marktanteile der Teilnehmer hervorgehen und die nicht öffentlich verfügbar sind,
ihrem Wesen nach vertraulicher Art.
- 187.
- Zweitens beschränkte sich der streitige Informationsaustausch allein auf die
teilnehmenden Hersteller unter Ausschluß der Verbraucher und der übrigen
Konkurrenten.
- 188.
- Drittens betraf der streitige Austausch homogene Produkte (vgl. Randnr. 269 der
Entscheidung), so daß der Wettbewerb anhand der Merkmale der Produkte nur
eine begrenzte Rolle spielte. Es gibt in den Akten keinen Anhaltspunkt dafür, daß
es wie die Klägerin andeutet genauerer Informationen über die Art der
Erzeugnisse oder über die Identität der Kunden bedurft hätte, um das Interesse der
Teilnehmer an der Kenntnis der Marktstellung ihrer Konkurrenten zu befriedigen.
- 189.
- Viertens entfielen 1989 auf neun der am streitigen Informationsaustausch
teilnehmenden Unternehmen (TradeARBED, Peine-Salzgitter, Thyssen, Unimétal,
Cockerill-Sambre, Ferdofin, Ensidesa, Saarstahl und British Steel) etwa 60 % des
sichtbaren Verbrauchs (Randnr. 19 der Entscheidung). Bei einer solchen
Marktstruktur, die entgegen den Behauptungen der Klägerin oligopolistischen
Charakter hat und selbst schon den Wettbewerb verringern kann, ist es um so
notwendiger, die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und den verbleibenden
Wettbewerb zu schützen.
- 190.
- Fünftens erlaubten es die streitigen Informationen den teilnehmenden
Unternehmen im vorliegenden Fall u. a., die genauen Marktanteile jedes ihrer
Konkurrenten in Erfahrung zu bringen und insbesondere herauszufinden, in
welchem Umfang jeder von ihnen Lieferungen außerhalb seines „Heimatmarkts“
vornahm.
- 191.
- Die Tatsache, daß das streitige System spätestens 1986 im Rahmen des damals von
der Klägerin verwalteten Quotensystems eingeführt wurde, zeigt, daß es
ursprünglich dazu diente, die Einhaltung der jedem teilnehmenden Unternehmen
zugeteilten Quoten in einem Zusammenhang zu überwachen, in dem die
Kommission eine Politik der „traditionellen Handelsströme“ verfolgte (siehe oben,
Randnr. 7). Die Fortsetzung des streitigen Austauschs nach dem Ende des
Quotensystems am 30. Juni 1988 (vgl. S. 3482 und 3483 der Akten) ermöglichte es
den Unternehmen zu überwachen, in welchem Umfang jedes von ihnen weiterhin
die Heimatmärkte respektierte, die als Grundlage für das Quotensystem dienten.
Ein solcher Informationsaustausch zielte naturgemäß darauf ab, die Abschottung
der Märkte unter Bezugnahme auf die traditionellen Handelsströme
aufrechtzuerhalten.
- 192.
- Sechstens fand der streitige Informationsaustausch zu einer Zeit statt, als es in der
betreffenden Branche mit der Träger-Kommission ein Forum gab, in dem sich die
beteiligten Unternehmen regelmäßig trafen, um u. a. wie die Randnummern 49
bis 60 der Entscheidung belegen die Interpenetration der einzelnen nationalen
Märkte durch diese Unternehmen zu erörtern. Bei ihren Erörterungen nahmen die
Unternehmen regelmäßig auf Zahlen aus der Vergangenheit Bezug (Randnrn. 51,
53, 57 und 58), wobei sie den Begriff „traditionelle Handelsströme“ verwandten
(Randnr. 57). Ferner wurden wegen als überzogen angesehener Verhaltensweisen
Drohungen ausgesprochen (Randnr. 58), und die kritisierten Unternehmen
versuchten mehrfach, ihr Verhalten zu erklären (Randnrn. 52 und 56).
- 193.
- Auch wenn die Kommission nicht speziell darauf hingewiesen hat, daß die in den
Randnummern 44 bis 60 der Entscheidung behandelten Erörterungen sowohl auf
der Grundlage der Zahlen des von der Träger-Kommission organisierten
Monitoring als auch auf der Grundlage des von der Klägerin geleiteten
Informationsaustauschs stattfanden, ist hierzu festzustellen, daß z. B. die von der
Klägerin verbreiteten Lieferzahlen für die ersten beiden Quartale von 1989 (S. 3162
und 3163 der Akten) identisch sind mit den Zahlen für diese beiden Quartale in
der Übersicht (S. 1864 der Akten), die in Randnummer 55 der Entscheidung
herangezogen wird und die Peine-Salzgitter Anfang März 1990 mit folgendem
handschriftlichen Vermerk an British Steel gesandt hat: „According to these figures
there is I fear no backlog due to BS plc!“ (Nach diesen Zahlen gibt es so
fürchte ich keinen Rückstand zugunsten von BS plc!).
- 194.
- Siebtens waren die fraglichen Angaben, die jedenfalls weniger als drei Monate nach
dem betreffenden Quartal verbreitet wurden, entgegen den Behauptungen der
Klägerin hinreichend aktuell, um es den betreffenden Unternehmen zu
ermöglichen, die Entwicklung der Marktanteile ihrer Konkurrenten in
zweckdienlicher Weise zu verfolgen und gegebenenfalls darauf zu reagieren.
- 195.
- Die Informationen, die die Unternehmen im Rahmen des streitigen Systems
erhielten, waren demnach geeignet, ihr Verhalten spürbar zu beeinflussen, und
zwar sowohl deshalb, weil sich jedes Unternehmen der genauen Überwachung
durch seine Konkurrenten bewußt war, als auch deshalb, weil es selbst
gegebenenfalls auf deren Verhalten anhand relativ aktueller Lieferdaten reagieren
konnte.
- 196.
- Folglich zielte das streitige Informationsaustauschsystem darauf ab, den normalen
Wettbewerb im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu verhindern,
einzuschränken oder zu verfälschen, indem es den teilnehmenden Herstellern
erlaubte, an die Stelle der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische
Zusammenarbeit zwischen ihnen zu setzen.
- 197.
- Das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten war folglich auch nicht durch
Abschnitt II Nummer 1 der Bekanntmachung von 1968 gedeckt, der schon nach
seinem Wortlaut nicht für einen Austausch von Informationen gilt, der die
Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer einschränkt oder geeignet ist, ein
koordiniertes Marktverhalten zu erleichtern. Im übrigen handelte es sich vorliegend
um einen Austausch individualisierter Daten im Rahmen eines oligopolistischen
Marktes homogener Produkte, der zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme
auf die traditionellen Handelsströme diente.
- 198.
- Soweit die Klägerin zur Rechtfertigung des streitigen Systems auf Artikel 60 des
Vertrages Bezug nimmt, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Zum einen
beschränkt sich diese Bestimmung auf den Preisbereich und bezieht sich nicht auf
Informationen über die auf den Markt gebrachten Mengen. Zum anderen sollen
von der in Artikel 60 § 2 des Vertrages vorgesehenen Veröffentlichung der Preise
u. a. die Verbraucher profitieren (vgl. insbesondere das Urteil des Gerichtshofes
vom 21. Dezember 1954 in der Rechtssache 1/54, Frankreich/Hohe Behörde, Slg.
1954, 7, 23), während die streitigen Systeme nur den teilnehmenden Herstellern
zugute kamen. Desgleichen gestattet es Artikel 47 des Vertrages der Kommission
ebensowenig wie Artikel 46, Informationen über das Wettbewerbsverhalten der
Unternehmen bei den Mengen bekanntzugeben, die allein den Herstellern nutzen.
Aus den gleichen Gründen kann sich die Klägerin nicht auf einen im EGKS-Vertrag enthaltenen allgemeinen Grundsatz der Transparenz berufen, zumal es sich
vorliegend um vertrauliche Angaben handelt, die ihrem Wesen nach
Geschäftsgeheimnisse darstellen.
- 199.
- Zu der auf die Artikel 5 und 46 bis 48 des Vertrages sowie die Entscheidung Nr.
2448/88 gestützten Argumentation, daß der Austausch von Informationen im
Rahmen der Zusammenarbeit mit der Kommission erforderlich gewesen sei, ist
festzustellen, daß keine dieser Bestimmungen ausdrücklich einen Austausch von
Informationen der vorliegenden Art zwischen Unternehmen erlaubt. Die Frage, ob
ein solcher Austausch durch das Verhalten der GD III stillschweigend gestattet
wurde, wird in Abschnitt G behandelt.
- 200.
- Unter diesem Vorbehalt und insbesondere in Anbetracht des Grundprinzips des
Vertrages, wonach der dort angestrebte Wettbewerb im Spiel unabhängiger und
entgegengesetzter Kräfte und Wirtschaftsstrategien auf dem Markt besteht (Urteil
Niederlande/Hohe Behörde, S. 1180), hat die Kommission keinen Rechtsfehler
begangen, als sie in Randnummer 271 der angefochtenen Entscheidung auf einige
frühere Entscheidungen verwies, die sie im Bereich des EWG-Vertrags in bezug auf
oligopolistische Märkte getroffen hatte. Speziell zur Entscheidung 92/157/EWG vom
17. Februar 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.370 und
31.446 UK Agricultural Tractor Registration Exchange, ABl. L 68, S. 19) haben
sowohl das Gericht als auch der Gerichtshof ausgeführt, daß der Austausch von
Marktinformationen auf einem hochgradig konzentrierten oligopolistischen Markt
geeignet ist, den Unternehmen Aufschluß über die Marktposition und die
Verkaufsstrategie ihrer Konkurrenten zu geben und damit den noch bestehenden
Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen
(Urteil des Gerichts in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnr. 51; Urteil des
Gerichtshofes vom 28. Mai 1998 in der Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission,
Slg. 1998, I-3111, Randnrn. 88 bis 90).
- 201.
- Im übrigen hat die Kommission ihren Standpunkt, daß das streitige System dem
normalen Wettbewerb widersprochen habe, in den Randnummern 279 bis 283 der
Entscheidung rechtlich hinreichend begründet.
- 202.
- Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin zur Einstufung des streitigen
Informationsaustauschs als eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des
Vertrages vorbehaltlich der in Abschnitt G getroffenen Feststellungen in vollem
Umfang zurückzuweisen.
4. Zum „Zusammenhang“ zwischen dem von der Klägerin organisierten
Informationsaustausch und den in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten
Zuwiderhandlungen
- 203.
- Wie bereits festgestellt, hängt die Einstufung des von der Klägerin organisierten
Informationsaustauschs als Zuwiderhandlung nicht von seinem angeblichen
„Zusammenhang“ mit den von ihren Mitgliedern begangenen und in Artikel 1 der
Entscheidung aufgezählten Zuwiderhandlungen ab, da dieser Austausch eine
eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages darstellt.
- 204.
- Festzustellen ist jedoch auch, daß der von der Klägerin organisierte
Informationsaustausch parallel zu dem von der Träger-Kommission organisierten
Informationsaustausch über Aufträge und Lieferungen stattfand und die gleichen
Unternehmen betraf. Der streitige Informationsaustausch fand auch in dem
Zeitraum statt, in den nach Artikel 1 der Entscheidung die verschiedenen
Zuwiderhandlungen fielen. Damit steht fest, daß er im Rahmen der in der
Entscheidung beschriebenen umfassenderen Zuwiderhandlungen ablief.
- 205.
- Unter diesen Umständen sind die Worte „im Zusammenhang mit den von ihren
Mitgliedern begangenen Verstößen nach Artikel 1“ als ergänzende Erwägung zu
verstehen, mit der sich die Kommission auf die Feststellung beschränkte, daß der
streitige, von der Klägerin organisierte Informationsaustausch Teil eines den
Adressaten der Entscheidung zur Last gelegten größeren Komplexes von
Zuwiderhandlungen war, ohne ihr die Teilnahme an den übrigen in Rede
stehenden Zuwiderhandlungen vorzuwerfen.
- 206.
- Im Hinblick auf den ergänzenden Charakter dieser Feststellung war die
Kommission nicht zu einer zusätzlichen Begründung verpflichtet.
- 207.
- Ferner steht fest, daß die Klägerin als Adressatin der Mitteilung der
Beschwerdepunkte im Verwaltungsverfahren Gelegenheit hatte, ihren Standpunkt
zum gesamten Sachverhalt vorzutragen, in den sich der ihr einzig zur Last gelegte
Informationsaustausch einfügt.
- 208.
- Das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie sich gegen die Feststellung der
Kommission in Artikel 2 der Entscheidung wendet, daß der von der Klägerin
organisierte Austausch vertraulicher Informationen „im Zusammenhang“ mit den
übrigen, in Artikel 1 aufgezählten Zuwiderhandlungen stand, ist daher in vollem
Umfang zurückzuweisen.
G Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung
- 209.
- Die Frage, ob die Kommission selbst in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung verwickelt war, ist nicht in deren Schriftsätzen aufgeworfen
worden, sondern im Rahmen der gemeinsamen Ausführungen der Klägerinnen in
der mündlichen Verhandlung, auf die die Klägerin dort ausdrücklich Bezug
genommen hat.
- 210.
- Aus den Ermittlungen des Gerichts geht aber nicht nur hervor, daß die Kommission
von dem Informationsaustausch, den die Klägerin organisierte, keine Kenntnis
hatte, sondern daß diese sowohl der GD III als auch der Generaldirektion
Wettbewerb (GD IV) die Existenz von Informationsaustauschsystemen, die sich auf
individualisierte Daten erstreckten, verheimlichte.
- 211.
- Bei dem Treffen im kleinen Kreis vom 21. März 1989, an dem Vertreter der
GD III und der Industrie teilnahmen (vgl. das Protokoll dieses Treffens,
Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 24), teilte Herr
von Hülsen, der Generaldirektor der Klägerin, der GD III mit, daß im Rahmen von
Eurofer ein System beschleunigter statistischer Erhebungen eingeführt worden sei,
das sich auf die zusammengefaßten monatlichen Auftrags- und Lieferdaten
erstrecke (siehe oben, Randnr. 166). Er informierte die GD III aber weder über
das streitige Informationsaustauschsystem, das den Austausch individualisierter
Daten einschloß, noch über die Einführung des in den Randnummern 263 bis 271
der Entscheidung behandelten Auftrags- und Liefermonitoring, obwohl dessen erste
Ergebnisse von den beteiligten Unternehmen in der Sitzung der Träger-Kommission vom 9. Februar 1989 erstmals erörtert worden waren.
- 212.
- Herr Vanderseypen, der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommen
worden ist, hat bestätigt, daß die fraglichen Schnellstatistiken auf
Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen
Zielmärkten aufgeschlüsselt waren, so daß kein Unternehmen den Marktanteil
seiner Konkurrenten ermitteln konnte. Er hat hinzugefügt, die Kommission habe
von der Klägerin nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten und
keine Kenntnis davon gehabt, daß bei ihr solche Zahlen in Umlauf gewesen seien.
- 213.
- Im Schreiben vom 22. Juni 1990 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang
4, Schriftwechsel 1) sprach Herr Temple Lang, der Leiter der Direktion D
„Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige
Wettbewerbsverzerrungen III“ der GD IV, u. a. das allgemeine Problem der
Sammlung und des Austauschs von Informationen und statistischen Angaben im
Rahmen von Eurofer an. Er wies darauf hin, daß es die Kommission in einer
Sitzung des Statistischen Ausschusses Stahl vom 11. Juni 1990 „angesichts der
ungewöhnlichen Lösung bei der Sammlung von Informationen für erforderlich hielt,
die Mitglieder des Ausschusses und insbesondere den Vertreter von Eurofer auf
die Anwendbarkeit von Artikel 65 EGKS-Vertrag aufmerksam zu machen“. Er wies
ferner auf den „Standpunkt der Kommission in der Frage der gemeinsamen
Erstellung von Statistiken und des Informationsaustauschs ... unter Unternehmen
oder im Rahmen einer dritten Stelle“ hin, wobei er den Unterschied „zwischen
einer Vereinbarung über die Sammlung allgemein bekannter und nicht aktueller
Informationen einerseits und der Sammlung aktueller und detaillierter Statistiken,
die den Konkurrenten sonst nicht zugänglich wären, andererseits“ hervorhob. Er
fügte hinzu, daß die Mitglieder des Ausschusses bereits in der Sitzung vom 7. Juli
1989 durch die Übersendung einer Kopie der Bekanntmachung von 1968 informiert
worden seien. Er ersuchte den Generaldirektor der Klägerin deshalb um eine
Reihe von Auskünften, um „prüfen zu können, ob [seine] Aktivitäten im Bereich
der gemeinsamen Erstellung von Statistiken den wirksamen Wettbewerb
beeinträchtigen können“, und insbesondere um eine „Beschreibung der Methode
zur Sammlung und Verteilung von Statistiken innerhalb [seiner] Vereinigung“.
- 214.
- Aus der Antwort des Generaldirektors der Klägerin vom 24. Juli 1990 (Klageschrift
in der Rechtssache T-151/94, Anhang 4, Schriftwechsel 1) geht jedoch hervor, daß
die GD IV trotz ihrer ausdrücklichen Bitte nicht genau über Art und Umfang des
Informationsaustauschs informiert wurde, d. h. darüber, daß die Klägerin einen
Austausch individueller, nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselter
Lieferdaten organisierte und daß auch im Rahmen des von ihrer Träger-Kommission organisierten Monitoring individuelle Auftrags- und Lieferdaten
ausgetauscht wurden.
- 215.
- Zugleich richtete die Verwaltung der Klägerin am 30. Juli 1990, also weniger als
eine Woche nach ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der GD IV, u. a. an
den Vorsitzenden und das Sekretariat der Träger-Kommission ein Schreiben mit
der Überschrift „Austausch und Verteilung von Statistiken“ (S. 1681 der Akten der
Kommission), dessen Wortlaut in Randnummer 44 der Entscheidung wie folgt
wiedergegeben wird:
„Die jüngste Entscheidung der Kommission in der Sache nichtrostende
Flacherzeugnisse und verschiedentliche Kontakte zwischen der GD IV und dem
Eurofer-Vorstand haben die Aufmerksamkeit auf die Frage des Austauschs bzw.
der Verteilung von Statistiken durch uns oder die Ausschußsekretariate und deren
Vereinbarkeit mit Artikel 65 des EGKS-Vertrags gelenkt.
Bis zu einer eingehenden rechtlichen Prüfung der Frage haben wir beschlossen, die
Weitergabe von Statistiken mit individualisierten Produktions-, Liefer- oder
Auftragszahlen auszusetzen, und bitten Sie, auch im Rahmen Ihres Ausschusses
einstweilen von einer derartigen Weitergabe abzusehen.
Von diesem Ersuchen nicht betroffen sind natürlich die Erfassung individualisierter
Zahlen durch eine neutrale Stelle, d. h. Eurofer, und die Weitergabe globaler
Ergebnisse ohne individualisierte Zahlen, wie wir dies gewöhnlich tun. Solche
Statistiken sind rechtlich absolut unbedenklich, da mit ihnen nur überschlägige
Informationen über die Wirtschafts- und Marktentwicklung vermittelt werden
sollen. Diese Statistiken werden von uns wie bisher fortgeführt, wobei Sie in
gleicher Weise verfahren können.“
- 216.
- Somit ist festzustellen, daß die Klägerin trotz des an sie gerichteten
ausdrücklichen Auskunftsverlangens der GD IV der Kommission den Austausch
und die Verbreitung individueller Statistiken, die sie selbst organisierte oder die mit
ihrem Wissen in ihren Produktausschüssen und insbesondere in der Träger-Kommission stattfanden, bewußt verheimlichte und die Ausschüsse zugleich bat,
davon künftig abzusehen. Die Klägerin hat im übrigen die Angabe in Randnummer
145 der Entscheidung, daß sie die Verbreitung der streitigen individuellen
Statistiken kurz danach wiederaufgenommen habe, nicht in Abrede gestellt.
- 217.
- Demnach ist das Vorbringen der Klägerin zur angeblichen Verwicklung der
Kommission in die ihr zur Last gelegte Zuwiderhandlung in vollem Umfang
zurückzuweisen, ohne daß darüber entschieden zu werden braucht, ob diese
Argumentation im Hinblick auf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts
zulässig ist.
H Zum Ermessensmißbrauch
- 218.
- Im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben die
Klägerinnen einen Ermessensmißbrauch gerügt, der darin bestehen soll, daß die
Kommission, statt ihre Befugnisse aufgrund des Vertrages und insbesondere dessen
Artikel 58 auszuüben, die Hersteller habe „zwingen“ wollen, die von ihr als
unabdingbar angesehenen Umstrukturierungen vorzunehmen, und deren Weigerung
durch die Verhängung hoher Geldbußen in der Entscheidung „geahndet“ habe, die
am Tag nach dem Abbruch der mit Vertretern der Stahlindustrie geführten
Verhandlungen erlassen worden sei.
- 219.
- Die Klägerin hat sich jedoch in ihren Schriftsätzen nicht auf den Klagegrund eines
Ermessensmißbrauchs berufen. Da während des Verfahrens vor dem Gericht kein
neuer Gesichtspunkt zutage getreten ist, aus dem sich das Vorliegen eines solchen
Ermessensmißbrauchs ergeben könnte, ist diese Rüge der Klägerin als unzulässig
zurückzuweisen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 220.
- Die Klägerin trägt vor, die ihr durch Artikel 3 der Entscheidung auferlegte
Verpflichtung, die in Artikel 2 beanstandete Zuwiderhandlung abzustellen und es
zu unterlassen, die dort genannten Handlungen zu wiederholen oder fortzusetzen
und Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen, verletze Artikel 65 § 5 des
Vertrages. Diese Bestimmung die einzige denkbare Rechtsgrundlage für derartige
Anordnungen beziehe sich nur auf Unternehmen und nicht auf Verbände.
- 221.
- Áußerdem richte sich ihre Rüge einer unzureichenden Begründung, die sie gegen
Artikel 2 der Entscheidung erhebe, auch gegen deren Artikel 3. Diesem lasse sich
nicht entnehmen, ob das darin enthaltene Verbot in bezug auf die Klägerin eine
Tätigkeit im Rahmen des von ihr selbst organisierten Systems oder eine Tätigkeit
im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Träger-Kommission oder mit anderen
Wettbewerbsbeschränkungen betreffe, wie sie den Unternehmen in der
Entscheidung vorgeworfen würden.
- 222.
- Darüber hinaus werde die Pflicht, „Maßnahmen gleicher Wirkung“ zu unterlassen,
nicht ausreichend begründet. Mangels einer genauen Definition der Merkmale
einer solchen Maßnahme untersage Artikel 3 der Entscheidung letztlich jede
Wettbewerbsbeschränkung und erfülle damit nicht den Zweck von Abstellungs- und
Unterlassungsverfügungen, die Pflichten der Betroffenen zu konkretisieren.
Würdigung durch das Gericht
- 223.
- Das Gericht hat bereits ausgeführt, daß ein Unternehmensverband wie die Klägerin
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen kann und daß die Kommission
berechtigt ist, eine solche Zuwiderhandlung auf der Grundlage von Artikel 65 § 4
des Vertrages festzustellen.
- 224.
- Durch die Verpflichtung der Klägerin nach Artikel 3 der Entscheidung, die in
Artikel 2 beanstandeten Verhaltensweisen abzustellen und es zu unterlassen, sie zu
wiederholen oder fortzusetzen, hat die Kommission überdies nur die Konsequenzen
zum Ausdruck gebracht, die sich für ihr künftiges Verhalten aus der Feststellung
der Rechtswidrigkeit in Artikel 2 ergeben (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes
vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85,
C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg.
1993, I-1307, Randnr. 184).
- 225.
- Zur Tragweite von Artikel 3 der Entscheidung geht aus den vom Gericht bereits
getroffenen Feststellungen hervor, daß er sich auf den Informationsaustausch
bezieht, den die Klägerin organisiert hat und der in den Randnummern 143 bis 146
und 279 bis 283 der Entscheidung beschrieben ist.
- 226.
- Das Verbot, „Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen“, ist rein deklaratorischer
Art, da es die Unternehmen an der Wiederholung von Verhaltensweisen hindern
soll, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober
1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg.
1994, II-905, Randnr. 39). Die Kommission ist jedenfalls berechtigt, gegen etwaige
spätere Zuwiderhandlungen auf der Grundlage von Artikel 65 des Vertrages selbst
vorzugehen (vgl. Urteil Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Randnr. 39).
- 227.
- Diese Anordnung ist im übrigen hinreichend genau, da aus der Begründung der
Entscheidung in den Randnummern 143 bis 146 und 279 bis 283 hervorgeht, welche
Umstände die Kommission zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der in Artikel 2
beanstandeten Verhaltensweisen veranlaßt haben (vgl. Urteil des Gerichtshofes
vom 17. September 1985 in den Rechtssachen 25/84 und 26/84, Ford/Kommission,
Slg. 1985, 2725, Randnr. 42, und Urteil Fiatagri und New Holland
Ford/Kommission, Randnr. 39).
- 228.
- Der Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung ist daher
zurückzuweisen.
Kosten
- 229.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung ihrer Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem
Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. März 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
C. W. Bellamy
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II - 2
A Vorbemerkungen
II - 2
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
II - 4
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
II - 5
D Die angefochtene Entscheidung
II - 6
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
II - 7
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
II - 11
A Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
II - 12
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 12
Würdigung durch das Gericht
II - 14
Zulässigkeit
II - 14
Die Nichterreichung des Quorums
II - 14
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der
der Klägerin notifizierten Entscheidung
II - 18
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
II - 20
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
II - 21
B Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
II - 22
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 22
Würdigung durch das Gericht
II - 22
C Zum Vorliegen eines Beschlusses der Klägerin
II - 25
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 25
Würdigung durch das Gericht
II - 26
D Zum Ausschluß der Verbände vom Kreis der Adressaten des Verbotes in
Artikel 65 des Vertrages
II - 28
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 28
Würdigung durch das Gericht
II - 29
E Zur Befugnis der Kommission zum Erlaß einer Entscheidung, mit der das
Vorliegen einer der Klägerin zuzurechnenden Zuwiderhandlung festgestellt
wird
II - 30
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 30
Würdigung durch das Gericht
II - 31
F Zu den Klagegründen und Argumenten, die die wettbewerbswidrige Natur des
der Klägerin zur Last gelegten Systems betreffen
II - 31
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
II - 31
Würdigung durch das Gericht
II - 36
1. Die in der Entscheidung behandelten Statistiken
II - 36
2. Die Auslegung von Artikel 2 der Entscheidung
II - 37
3. Der eigenständige Charakter der Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1
des Vertrages, die in dem von der Klägerin organisierten
Informationsaustausch besteht
II - 39
4. Zum „Zusammenhang“ zwischen dem von der Klägerin organisierten
Informationsaustausch und den in Artikel 1 der Entscheidung
aufgezählten Zuwiderhandlungen
II - 44
G Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung
II - 44
H Zum Ermessensmißbrauch
II - 47
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung
II - 47
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 47
Würdigung durch das Gericht
II - 48
Kosten
II - 49