URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)
19. Mai 1999 (1)
„Wettbewerb Artikel 81 Absatz 1 EG (früher Artikel 85 Absatz 1)
Alleinvertriebsvereinbarung Paralleleinfuhren“
In der Rechtssache T-176/95
Accinauto SA, Gesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel,
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Helmut Glassen, Leimen,
Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Loesch & Wolters, 11, rue Goethe,
Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten zunächst durch Bernd
Langeheine, sodann durch Wouter Wils, beide Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Heinz-Joachim Freund, Brüssel,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 95/477/EG der Kommission vom 12. Juli
1995 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/33.802 BASF Lacke
+ Farben AG und SA Accinauto) (ABl. L 272, S. 16)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter R. M. Moura
Ramos und P. Mengozzi,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13.
Januar und 2. April 1998,
folgendes
Urteil
Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt
Parteien und betroffene Erzeugnisse
- 1.
- Die Klägerin ist eine Gesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel. Sie
vertreibt seit 1937 die Autoreparaturlacke des BASF-Konzerns in Belgien und
Luxemburg. Seit 1974 ist sie in diesem Vertragsgebiet Alleinvertriebshändler für
Glasurit-Produkte. Ihr Umsatz belief sich im Steuerjahr 1991 auf 738 Mio. BFR,
wovon ca. 85 % mit BASF-Produkten erzielt wurden.
- 2.
- Die BASF Coatings AG, ehemals: BASF Lacke + Farben AG (im folgenden:
BASF), ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Münster-Hiltrup
(Deutschland) und stellt u. a. Autoreparaturlacke her, die unter der Marke Glasurit
vertrieben werden. Sie erzielte im Jahr 1991 einen Umsatz von 1,668 Mrd. DM;
davon entfielen 314 Mio. DM auf Autoreparaturlacke weltweit und 243 Mio. DM
auf Autoreparaturlacke innerhalb der Gemeinschaft.
- 3.
- Glasurit-Produkte werden vertrieben:
über BASF-Tochtergesellschaften in den Niederlanden, in Italien,
Frankreich und Spanien, im Vereinigten Königreich sowie in Irland,
Österreich, Schweden und Finnland,
durch unabhängige Vertriebshändler im Rahmen von
Alleinvertriebsvereinbarungen in Belgien, Luxemburg, Dänemark und
Portugal,
über fünf regionale Alleinvertriebshändler in Deutschland,
über einen unabhängigen Vertriebshändler ohne Alleinvertriebsrechte in
Griechenland.
- 4.
- Im Vereinigten Königreich und in Irland werden die Autoreparaturlacke des
BASF-Konzerns durch die BASF Coating and Inks Ltd (im folgenden: BASF
C & I), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des BASF-Konzerns, vertrieben.
- 5.
- Autoreparaturlacke sind von Lacken für Neufahrzeuge zu unterscheiden, obwohl
sie die gleiche Zusammensetzung haben und auf den gleichen Produktionslinien
hergestellt werden. Lacke für Neufahrzeuge sind für Automobilhersteller,
Autoreparaturlacke für Reparaturwerkstätten bestimmt. Deshalb werden
Autoreparaturlacke in anderen Aufmachungen und Mengen als Lacke für
Neufahrzeuge vertrieben.
- 6.
- Im Zeitraum 1985 bis 1992 waren die Endverbraucher-Nettopreise für
Autoreparaturlacke einschließlich der Glasurit-Produkte im Vereinigten Königreich
durchschnittlich höher als in Belgien.
Ablauf des Verwaltungsverfahrens
- 7.
- Die Ilkeston Motor Factories Ltd (im folgenden: IMF) und die Calbrook Cars Ltd
(im folgenden: Calbrook), zwei Gesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich
und Vertriebshändler für Autoreparaturlacke, reichten am 28. Januar 1991 eine
Beschwerde wegen Verstoßes der BASF und der Klägerin gegen die
gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln bei der Kommission ein.
- 8.
- Die Beschwerdeführerinnen hatten nach eigenem Vortrag seit 1986 bei der
Klägerin die IMF direkt, die Calbrook über die IMF Glasurit-Produkte
bezogen. Auf Veranlassung der BASF habe die Klägerin im Sommer 1990 die
Belieferung eingestellt. Die BASF und die Klägerin hätten sich hierbei abgestimmt,
um die Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich
durch die Beschwerdeführerinnen zu verhindern.
- 9.
- Die Kommission nahm am 26. Juni 1991 Nachprüfungen in den Geschäftsräumen
der BASF, der BASF C & I, der Klägerin und der Firma Technipaint vor, einer
1982 von den Direktoren der Klägerin gegründeten Gesellschaft mit gleichem Sitz
wie diese.
- 10.
- Sie erhielt anschließend von den verschiedenen Beteiligten schriftliche Auskünfte
gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr.
13, S. 204).
- 11.
- Am 12. Mai 1993 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte
an die BASF und die Klägerin.
- 12.
- Am 23. September 1993 fand in dieser Angelegenheit eine mündliche Anhörung
statt.
- 13.
- Nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen erließ
die Kommission am 12. Juli 1995 die Entscheidung 95/477/EG vom 12. Juli 1995
in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/33.802 BASF Lacke +
Farben AG und SA Accinauto) (ABl. L 272, S. 16; im folgenden: angefochtene
Entscheidung). Diese Entscheidung wurde der BASF am 21. Juli 1995 zugestellt.
Inhalt der angefochtenen Entscheidung
- 14.
- Im verfügenden Teil der streitigen Entscheidung stellt die Kommission fest, daß die
Vereinbarung zwischen der BASF und der Klägerin, wonach letztere vom 8.
Oktober 1982 bis 31. Dezember 1991 verpflichtet gewesen sei, von außerhalb des
Vertragsgebiets kommende Kundenanfragen an die BASF weiterzuleiten, gegen
Artikel 81 Absatz 1 EG (früher Artikel 85 Absatz 1) verstoße. Wegen ihrer
jeweiligen Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung verhängte die Kommission gegen
die BASF eine Geldbuße von 2 700 000 ECU und gegen die Klägerin eine
Geldbuße von 10 000 ECU.
- 15.
- In den Begründungserwägungen dieser Entscheidung stellt die Kommission fest,
daß sich die Klägerin nach § 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der im Juni/Oktober 1982
zwischen der BASF und der Klägerin rückwirkend zum 1. Januar 1981
geschlossenen Alleinvertriebsvereinbarung (im folgenden: Vereinbarung von 1982)
verpflichtet habe, von außerhalb des Vertragsgebiets kommende „Kundenanfragen“
an die BASF „weiterzuleiten“. Diese Wendung sei in dem Sinne zu verstehen, daß
derjenige, an den „weitergeleitet“ werde, an die Stelle desjenigen trete, der
„weiterleite“. Infolgedessen sei es der Klägerin untersagt gewesen, selbständig über
die Belieferung von außerhalb Belgiens oder Luxemburgs ansässigen Kunden zu
entscheiden. Vielmehr habe die BASF entschieden, ob und unter welchen
Bedingungen die Klägerin, sie selbst oder ein Dritter Bestellungen erfüllen dürfe.
- 16.
- Ihre Auslegung von § 2 der Vereinbarung werde durch die Art und Weise bestätigt,
in der die Parteien der Vereinbarung diese Bestimmung ständig angewendet hätten.
- 17.
- Als die IMF im März 1986 zum ersten Mal Kontakt mit der Klägerin aufgenommen
habe, habe diese eine „Sondergenehmigung“ für die Aufnahme der Belieferung
erhalten. Die BASF habe diese Genehmigung erteilt, weil sie die Parallelausfuhren
von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich habe „kanalisieren und
normalisieren“ wollen. Dies sei im Zusammenhang mit den Maßnahmen zu sehen,
die die BASF in den Jahren 1985 und 1986 gegen Paralleleinfuhren ergriffen habe.
Neun Monate lang habe sie die von den Vertriebshändlern in Belgien, den
Niederlanden und Deutschland verkauften Erzeugnisse gekennzeichnet, um zu
ermitteln, über welche Kanäle Glasurit-Produkte auf den britischen Markt
gelangten.
- 18.
- Im Juni 1989 habe die BASF die Klägerin aufgefordert, die IMF und die übrigen
britischen Kunden nicht mehr zu beliefern. Die Entscheidung, die ursprünglich
genehmigten Parallelausfuhren in das Vereinigte Königreich einzustellen, sei also
von der BASF getroffen worden.
- 19.
- Die Klägerin habe sich jedoch über das Verbot der BASF hinweggesetzt. Ab Juli
1989 habe sie die Verkäufe an die IMF über Technipaint fakturiert und damit ihre
Lieferungen in das Vereinigte Königreich ohne Wissen der BASF fortgesetzt.
- 20.
- Ende Mai 1990 habe die Klägerin die Lieferungen an die IMF eingestellt, nachdem
die BASF ihre Kontrolle verstärkt habe. Die BASF C & I habe darauf hingewiesen,
daß das Problem der Paralleleinfuhren größer werde und daß sie Beweise für die
Existenz einer belgischen Quelle habe.
- 21.
- Seit diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin ohne jede Einschränkung an die
Vereinbarung von 1982 gehalten. Die Zuwiderhandlung gegen die
Wettbewerbsregeln sei erst am 1. Januar 1992 beendet worden, dem Tag, an dem
rückwirkend eine neue Vertriebsvereinbarung in Kraft getreten sei, die von ihren
Parteien am 14. Dezember 1992 und 22. Januar 1993 unterzeichnet worden sei.
Diese Vereinbarung enthalte nicht mehr die beanstandete Klausel, wonach die
Klägerin zur Weiterleitung von nicht aus dem Vertragsgebiet kommenden
Kundenanfragen an die BASF verpflichtet gewesen sei.
- 22.
- Mit § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 sei eine Beschränkung des
Wettbewerbs zwischen der Klägerin und anderen Anbietern von
Autoreparaturlacken der Marke Glasurit, insbesondere zwischen der Klägerin und
der BASF C & I, bezweckt und bewirkt worden. Diese Vereinbarung sei geeignet
gewesen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, indem sie für
Glasurit-Produkte Parallelausfuhren aus Belgien in das Vereinigte Königreich
eingeschränkt habe.
- 23.
- Ihre Entscheidung, gegen die BASF und gegen die Klägerin Geldbußen zu
verhängen, begründet die Kommission damit, das Verbot von Passivverkäufen stehe
im Widerspruch zu dem Ziel der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und
stelle einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar,
das in dieser Frage auch was die betroffenen Erzeugnisse und den betroffenen
Markt angehe eindeutig sei. Die BASF und Klägerin hätten diese
Zuwiderhandlung auch vorsätzlich begangen.
Verfahren
- 24.
- Die vorliegende Klage ist mit am 25. September 1995 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangener Klageschrift erhoben worden.
- 25.
- In ihrer Klageschrift beantragt die Klägerin, im Rahmen prozeßleitender
Maßnahmen anzuordnen, daß ihr ein vollständiges Protokoll der Anhörung vom 23.
September 1993 in französischer Sprache überlassen wird.
- 26.
- Die ursprünglich der Ersten erweiterten Kammer zugewiesene Rechtssache ist
gemäß den Artikeln 14 und 51 der Verfahrensordnung mit Beschluß des Gerichts
vom 4. Dezember 1997 an die Erste Kammer verwiesen worden.
- 27.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, die
von der Klägerin beantragten prozeßleitenden Maßnahmen nicht anzuordnen.
Außerdem hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne weitere
prozeßleitende Maßnahmen und ohne vorherige Beweisaufnahme anzuordnen.
- 28.
- Die Parteien haben in der Sitzung vom 13. Januar 1998 mündlich verhandelt und
mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
- 29.
- Nach dem Amtsantritt eines neuen Mitglieds des Gerichts ist die Zusammensetzung
der Ersten Kammer durch Beschluß des Gerichts vom 10. März 1998 geändert
worden.
- 30.
- Im Hinblick auf Artikel 33 § 2 der Verfahrensordnung hat das Gericht (Erste
Kammer) in seiner neuen Zusammensetzung mit Beschluß vom 13. März 1998 die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 62 der
Verfahrensordnung angeordnet.
- 31.
- Die Parteien sind in der Sitzung vom 2. April 1998 nicht erschienen. Auf Vorschlag
der Klägerin nach Anhörung der Beklagten hat das Gericht den Parteien erlaubt,sich ohne neue Anhörung auf ihre mündlichen Ausführungen vom 13. Januar 1998
zu beziehen und Abschriften dieser Ausführungen einzureichen; diese sind am 14.
April 1998 in das Register der Kanzlei eingetragen worden.
Anträge der Parteien
- 32.
- Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;
hilfsweise, die gegen sie in Artikel 2 dieser Entscheidung festgesetzte
Geldbuße aufzuheben oder herabzusetzen;
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
die Beklagte zu verurteilen, ihr neben der Rückzahlung der Geldbuße
Zinsen in der gleichen Höhe (9,5 %) zu zahlen, wie sie die Beklagte in
Artikel 2 Ziffer 2 der angefochtenen Entscheidung festgesetzt hat.
- 33.
- Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung
- 34.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Nichtigkeitsgründe. Mit dem ersten
Klagegrund macht sie einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften geltend,
da die Verteidigungsrechte mißachtet worden seien. Der zweite Klagegrund wird
auf einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG gestützt, da die Kommission zu
Unrecht festgestellt habe, daß die Vereinbarung von 1982 gegen diese Bestimmung
verstoße.
Zum Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften
Vorbringen der Parteien
- 35.
- Die Klägerin macht geltend, dadurch, daß die Kommission ihr keine vollständig in
französischer Sprache abgefaßte Fassung des Protokolls der Anhörung vom 23.
September 1993 zur Verfügung gestellt habe, habe sie gegen Artikel 3 der
Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage
für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) verstoßen.
Nach dieser Bestimmung sind „Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an
einen Mitgliedstaat oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates
unterstehende Person richtet, ... in der Sprache dieses Staates abzufassen“.
- 36.
- Das Protokoll der Anhörung stelle eine Verfahrensunterlage im Sinne von Artikel
19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr.
99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19
Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) dar. Als
beteiligtes Unternehmen habe sie Anspruch darauf, daß ihr das Protokoll in der
Sprache des Staates übermittelt werde, dem sie angehöre (Urteil des Gerichtshofes
vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg.
1970, 661, Randnrn. 48 und 49).
- 37.
- Da sie nicht über eine schriftliche Unterlage mit der Übersetzung der Erklärungen
der übrigen Beteiligten der Anhörung, die sich hierbei auf französisch oder englisch
geäußert hätten insbesondere derjenigen der Vertreter der BASF, der
beschwerdeführenden Unternehmen und der Mitgliedstaaten , verfügt habe, habe
sie ihre Verteidigung im Verwaltungsverfahren nicht sachgemäß vorbereiten
können. Zwar habe die Kommission in der Sitzung für ein Simultandolmetschen
dieser Erklärungen gesorgt; für das Verständnis der der Klägerin zur Last gelegten
Rügen sei jedoch eine französische Übersetzung des gesamten Protokolls
wesentlich, insbesondere um es ihr zu ermöglichen, die hierbei angesprochenen
Sachfragen mit ihren Angestellten zu klären, die in der Sitzung nicht anwesend
gewesen seien. Ihre Verteidigungsrechte seien daher verletzt worden.
- 38.
- Die Kommission vertritt demgegenüber die Ansicht, das Anhörungsprotokoll stelle
kein „Schriftstück“ im Sinne von Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 vom 15. April
1958 dar. In der Rechtsprechung zu Wettbewerbssachen sei diese Bestimmung nur
auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und auf die im Verwaltungsverfahren
ergangenen Entscheidungen angewandt worden. Das Protokoll diene dazu, die
Ausführungen der Vertreter der einzelnen Beteiligten festzuhalten, und werde
diesen nur übersandt, damit sie die Richtigkeit der Wiedergabe ihrer eigenen
Ausführungen überprüfen könnten (Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der
Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnrn. 72 bis
75). Es handele sich nicht um ein Schriftstück, das für die am Verfahren beteiligten
Unternehmen angefertigt werde.
Würdigung durch das Gericht
- 39.
- Nach Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 vom 25. Juli 1963 wird „über
die wesentlichen Erklärungen jeder angehörten Person ... eine Niederschrift
angefertigt. Die Niederschrift wird verlesen und von der angehörten Person
genehmigt.“
- 40.
- Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die Klägerin von ihren wesentlichen
Erklärungen in der Sitzung vom 23. September 1993, die in der Niederschrift in
französischer Sprache festgehalten wurden, in zweckdienlicher Weise Kenntnis
nehmen konnte und daß sie nicht behauptet, daß diese Niederschrift in bezug auf
sie wesentliche Unrichtigkeiten oder Auslassungen enthalte.
- 41.
- Die Klägerin bestreitet auch nicht, daß es ihr aufgrund des Simultandolmetschens
möglich gewesen sei, den Ausführungen der übrigen angehörten Personen zu
folgen.
- 42.
- Sie kann sich nicht auf das Fehlen einer Übersetzung der Teile des Protokolls
berufen, die in einer anderen Sprache als der des Mitgliedstaats abgefaßt wurden,
dem sie angehört, um eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte darzutun. Das
Fehlen einer Übersetzung kann nämlich im vorliegenden Fall keine nachteiligen
Folgen haben, die das Verwaltungsverfahren fehlerhaft machen könnten (Urteile
ACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 52, und Parker Pen/Kommission, Randnr.
74).
- 43.
- Eine andere Beurteilung kann sich auch nicht aus angeblichen Schwierigkeiten der
Klägerin bei der Vorbereitung ihrer Verteidigung ergeben, da sie in der Sitzung
vertreten war und die Kommission ihr eine schriftliche Unterlage zur Verfügung
gestellt hat, die die Erklärungen der übrigen Beteiligten in deren Originalsprache
enthielt.
- 44.
- Der Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften ist daher
zurückzuweisen.
Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 81 Absatz 1 EG, soweit die Kommission
zu Unrecht festgestellt habe, daß die Vereinbarung von 1982 gegen diese Bestimmung
verstoße
- 45.
- Die Klägerin wendet sich in erster Linie gegen die Behauptung, daß die
Vereinbarung von 1982 eine gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßende Absprache
zur Verhinderung von Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte
Königreich dargestellt habe. Die Kommission habe Beurteilungsfehler begangen
erstens bei ihrer Auslegung von § 2 Absatz 2 dieser Vereinbarung, zweitens bei
ihrer Schlußfolgerung, daß die Durchführung der Vereinbarung durch deren
Parteien (im folgenden: Vertragsparteien) ihre Auslegung dieser Vereinbarung
bestätige, drittens bei ihrer Beurteilung der Wirkungen der Vereinbarung auf den
Wettbewerb und auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten, viertens, was den
Zeitpunkt der Abstellung des angeblichen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln
angehe, und fünftens bei der Bemessung der Geldbuße.
Erster Teil: Auslegung von § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982
Vorbringen der Parteien
- 46.
- Die Klägerin trägt vor, mit der Wendung, „Kundenanfragen weiterzuleiten“ in § 2
Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 sei ausschließlich die Weiterleitung von
Informationen gemeint gewesen, die es der BASF erlaubt habe, ihre
Vertriebsorganisation und ihre Handelsstrategie besser zu planen sowie ihre
Verpflichtung zu erfüllen, den Markt im Fall von Lieferschwierigkeiten gleichmäßig
zu versorgen.
- 47.
- Sowohl in § 2 Absatz 1 als auch in § 2 Absatz 2 bedeute „weiterleiten“
„informieren“. In § 2 sei nämlich keine Verpflichtung zur Weiterleitung von
Bestellungen vorgesehen gewesen, da sich diese Verpflichtung implizit aus dem der
Klägerin nach § 1 eingeräumten Recht zum Alleinvertrieb im Vertragsgebiet
ergebe. § 2 beziehe sich auch nur auf „Anfragen“ von Kunden, die nur auf die
Erteilung von Auskünften über die Liefermöglichkeiten und -bedingungen gerichtet
seien. Er gelte also nicht für Bestellungen der Kunden.
- 48.
- Mit keinem Wort werde in § 2 Absatz 2 der Vereinbarung erwähnt, daß für
Verkäufe außerhalb des Vertragsgebiets die Zustimmung der BASF erforderlich
wäre.
- 49.
- Nach § 4 Absätze 1 und 2 der Vereinbarung von 1982 habe sich die Klägerin
verpflichtet, die BASF regelmäßig über die allgemeine Marktsituation zu
unterrichten und einen Jahresbericht über den Absatz zu erstellen. Da § 4 jedoch
nur auf Informationen über die Tätigkeit im Vertragsgebiet anwendbar gewesen sei,
würden Informationen über von außerhalb dieses Gebietes kommende Anfragen
an sie nur von § 2 Absatz 2 der Vereinbarung gedeckt. Die Informationen über die
Verkäufe außerhalb des Vertragsgebiets seien auch für sie von großer Bedeutung,
insbesondere um es der BASF zu ermöglichen, sie hinsichtlich der in den
Bestimmungsländern der Ausfuhren geltenden Qualitäts-, Schulungs- und
Zulassungsvoraussetzungen zu unterrichten.
- 50.
- Auch die Entstehungsgeschichte der Vereinbarung sei von Bedeutung, um zu
verstehen, mit welcher Sensibilität die Beteiligten die Frage der Vereinbarkeit der
Vereinbarung mit den Wettbewerbsregeln in der Gemeinschaft behandelt hätten.
Der frühere Alleinvertriebsvertrag zwischen der Klägerin und dem Rechtsvorgänger
der BASF sei der Kommission 1969 mitgeteilt worden. Auf Beanstandungen der
Kommission hin hätten die Vertragsparteien 1970 auf eine Klausel verzichtet,
wonach der Klägerin die Ausfuhr von zum Vertragsgegenstand gehörenden Waren
aus dem Vertragsgebiet in andere Länder nicht gestattet sei.
- 51.
- Unter Berücksichtigung dieses Vertragsvorgängers habe die Klägerin zur Zeit der
zu der Vereinbarung von 1982 führenden Verhandlungen vom Leiter der
Rechtsabteilung der BASF die Versicherung erhalten, daß der neue § 2 Absatz 2
mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Da die Vertragsparteien keine
Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Klausel gehabt hätten, hätten sie
es nicht für notwendig gehalten, die Vereinbarung von 1982 der Kommission
mitzuteilen.
- 52.
- Die Kommission hält die von der Klägerin vorgebrachten Gründe für diese
Auslegung der in § 2 Absatz 2 der Vereinbarung vorgesehenen
Weiterleitungsverpflichtung für nicht überzeugend. Sie bekräftigt, daß diese
Bestimmung ein verdecktes Verbot nicht zuvor genehmigter passiver
Ausfuhrverkäufe und keine bloße Verpflichtung zur Weiterleitung von
Informationen enthalte.
Würdigung durch das Gericht
- 53.
- § 2 der Vereinbarung von 1982 ist mit „Alleinvertriebsrecht und
Wettbewerbsverbot“ überschrieben. § 2 Absatz 2 Satz 1 lautet: „Der
Vertragshändler verpflichtet sich, von außerhalb des Vertragsgebietes kommende
Kundenanfragen an [die BASF] weiterzuleiten und außerhalb des Vertragsgebietes
weder Kunden zu werben noch Niederlassungen oder Auslieferungsläger für den
Vertrieb von Vertragsprodukten zu unterhalten.“
- 54.
- Zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens ist unstreitig, daß der letzte
Teil dieser Vertragsklausel ein nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft
zulässiges Verbot aktiver Verkaufsmaßnahmen des Vertragshändlers außerhalb des
Vertragsgebiets enthält. Der Streit über die zutreffende Auslegung dieser Klausel
bezieht sich daher nur auf den Teil, der die Passivverkäufe an außerhalb des
Vertragsgebiets ansässige Kunden betrifft.
- 55.
- Bei der Prüfung der Frage, ob die Parteien der Vereinbarung von 1982 eine
Beschränkung der Freiheit des Vertragshändlers, Passivverkäufe der Erzeugnisse,
die Gegenstand des Alleinvertriebsvertrags sind, an in anderen Mitgliedstaaten
ansässige Kunden zu tätigen, vereinbart haben und ob sie damit eine nach Artikel
81 Absatz 1 EG verbotene Vereinbarung geschlossen haben, hat das Gericht
mehrere Auslegungskriterien zu berücksichtigen. Zu diesen Kriterien gehören
neben der Prüfung des Wortlauts von § 2 Absatz 2 und des Anwendungsbereichs
der übrigen Klauseln des Vertrages, die mit der in § 2 Absatz 2 vorgesehenen
Verpflichtung des Vertragshändlers in Zusammenhang stehen, auch die Prüfung der
den Abschluß und die Durchführung dieser Vereinbarung betreffenden rechtlichen
und tatsächlichen Umstände, die Aufschluß über deren Zweck geben können.
- 56.
- Der Wortlaut von § 2 Absatz 2 weist klar darauf hin, daß die Vertragsparteien eine
Sonderregelung für die Behandlung von Anfragen vereinbart haben, die von
außerhalb des Vertragsgebiets ansässigen Kunden stammen. Die Klausel schweigt
jedoch dazu, zu welchem Zweck diese Anfragen dem Hersteller zu übermitteln sindund welche Folgen sich daraus für die Freiheit des Vertragshändlers, die
gewünschten Passivverkäufe zu tätigen, insbesondere dann ergeben, wenn die
Anfragen von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kunden stammen.
- 57.
- Im Rahmen einer wörtlichen Auslegung dieser Klausel kommt es darauf, daß die
Weiterleitungsverpflichtung für Anfragen, mit denen nur die Liefermöglichkeiten
und -bedingungen der Klägerin in Erfahrung gebracht werden sollten, und nicht für
die Bestellungen galt, die von außerhalb des Vertragsgebiets ansässigen Kunden
aufgegeben wurden, nicht an. Wie die Kommission hervorgehoben hat, hätte der
Kunde bei einer negativen Beantwortung einer gemäß dieser Klausel
weitergeleiteten Anfrage gar nicht erst bei der Klägerin zu bestellen brauchen.
Daraus, daß der Vertragshändler verpflichtet war, die den Bestellungen
vorausgehenden Anfragen weiterzuleiten, kann nicht geschlossen werden, daß seine
Entscheidungsfreiheit in vollem Umfang aufrechterhalten blieb und er bei der
Ausführung der Bestellungen keinen Beschränkungen unterworfen war.
- 58.
- Was die Einfügung von § 2 Absatz 2 in die Vereinbarung und die Feststellung
seines Zweckes im Vergleich zu dem anderer Klauseln betrifft, die einen
Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien vorsehen, so ist erstens die
Auffassung der Klägerin zurückzuweisen, wonach die Weiterleitungsverpflichtungen
des § 2 Absätze 1 und 2 den Auskunftsverpflichtungen nach § 4 der Vereinbarung
wesensgleich seien. Zwar war die Klägerin nach § 4 Absätze 1 und 2 verpflichtet,
die BASF regelmäßig über den Absatz und die Marktsituation im Vertragsgebiet
zu unterrichten; diese Auskünfte waren jedoch allgemeiner Natur und nach jedem
Kalenderjahr durch zusammenfassende Berichte aufzuschlüsseln. Im Gegensatz
dazu sieht § 2 Absätze 1 und 2 vor, daß entweder der Vertragshändler oder der
Hersteller unverzüglich über den Eingang von Anfragen unterrichtet wird, je
nachdem, ob diese von im Vertragsgebiet oder von außerhalb des Vertragsgebiets
ansässigen Kunden ausgehen. Es ist somit festzustellen, daß die
Weiterleitungsverpflichtungen nach § 2, soweit sie die gegenseitige Unterrichtung
über spezifische Lieferanfragen vorsehen, von anderer Art sind als die
Auskunftsverpflichtungen nach § 4.
- 59.
- Zweitens ist festzustellen, daß die Verpflichtung der BASF aus § 2 Absatz 1, an
den Vertragshändler alle Anfragen und Informationen weiterzuleiten, die geeignet
sind, den Verkauf der betreffenden Produkte im Vertragsgebiet zu ermöglichen, auf
das an die BASF gerichtete Verbot folgt, sich im Vertragsgebiet anderer
Vertriebswege zu bedienen. Die in dieser Klausel vorgesehene
Weiterleitungsverpflichtung gehört damit ebenso wie das Verbot, sich anderer
Vertriebswege zu bedienen, insoweit zum Kerngehalt des der Klägerin gewährten
Ausschließlichkeitsrechts, als sie zu dessen tatsächlicher Ausübung notwendig ist.
Folglich ist die Auslegung der Klägerin, wonach der Begriff „weiterleiten“ sowohl
in Absatz 1 als auch in Absatz 2 des § 2 nur bedeute, daß die andere
Vertragspartei vom Bestehen von Lieferanfragen „unterrichtet“ werde,
zurückzuweisen.
- 60.
- Da sich die Weiterleitungsverpflichtung des Vertragshändlers nach § 2 Absatz 2 der
Vereinbarung nur auf von außerhalb des Vertragsgebiets kommende Anfragen
bezieht, kann nicht angenommen werden, daß der einzige Zweck dieser Klausel
darin besteht, es der BASF zu ermöglichen, ihre Vertriebsorganisation und ihre
Handelsstrategie besser zu planen. Die Kommission hat zu Recht darauf
hingewiesen, daß, wenn die BASF über Menge und Art der Erzeugnisse hätte
informiert werden wollen, die Gegenstand der an die Klägerin gerichteten Anfragen
gewesen seien, die Weiterleitungsverpflichtung in gleichem Umfang auch für
Anfragen von im Vertragsgebiet ansässigen Kunden hätte gelten müssen.
Außerdem hätten diese Informationen der BASF statt vor jeder einzelnen
Lieferung regelmäßig in allgemeiner Form oder im Rahmen zusammenfassender
Berichte, wie sie in § 4 der Vereinbarung vorgesehen sind, erteilt werden können.
Auch hätte die BASF nicht im voraus zu wissen brauchen, wohin die bei der
Klägerin bestellten Waren gingen, um begrenzte Liefermengen gleichmäßig auf ihre
Vertragshändler aufteilen zu können. Ihr Interesse daran, Informationen über den
Exportabsatz zu erhalten, um insbesondere die Werbezuschüsse, die sie jedem
Vertragshändler gewährt habe, berechnen zu können, hätte auch durch eine
Verpflichtung, zusammenfassende Berichte über diesen Absatz zu erstellen,
befriedigt werden können. Das Interesse der Klägerin daran, Informationen über
die auf den Märkten, für die die Erzeugnisse bestimmt gewesen seien, geltenden
Bedingungen zu erhalten unterstellt, ein solches Interesse bestand tatsächlich ,
hätte überdies auch anders als durch die vorherige Unterrichtung des Herstellers
über die Ausfuhren befriedigt werden können.
- 61.
- Folglich können die Erklärungen der Klägerin über den Zweck der
Weiterleitungsverpflichtung aus § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 nicht die
Auffassung der Kommission widerlegen, daß diese Klausel ein verdecktes Verbot
nicht vorher genehmigter passiver Ausfuhrverkäufe enthalte.
- 62.
- Die mehrdeutige Abfassung der beanstandeten Klausel der Vereinbarung von 1982
durch deren Parteien und der Umstand, daß es sich bei dem darin enthaltenen
Ausfuhrverbot um ein verdecktes Verbot gehandelt hat, lassen sich überdies aus
der Entstehungsgeschichte der Vereinbarung erklären. Den Vertragsparteien war
nämlich aufgrund ihrer Erfahrung hinreichend bewußt, daß eine ausdrückliche
Beschränkung der Freiheit des Vertragshändlers, Passivverkäufe außerhalb des
Vertragsgebiets vorzunehmen, gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft
verstößt. Trotzdem haben sie ihre Absicht klar zum Ausdruck gebracht, die von
außerhalb des Vertragsgebiets kommenden Anfragen einem besonderen
Mitteilungssystem zu unterwerfen, das den Hersteller stillschweigend in die Lage
versetzte, das Verhalten des Vertragshändlers im Hinblick auf Ausfuhren zu
beeinflussen, wenn sich dies als notwendig erwies.
- 63.
- Mithin ist zu prüfen, ob, wie die Kommission vorträgt, ihre Auslegung von § 2
Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 weiter dadurch bestätigt wird, daß die
Vertragsparteien eine Absprache durchgeführt haben, mit der Parallelausfuhren
von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich verhindert werden sollten.
Zweiter Teil: Durchführung der Vereinbarung
Vorbringen der Parteien
- 64.
- Nach Ansicht der Klägerin zeigt die Durchführung der streitigen Vereinbarung, daß
die Kommission den Begriff „weiterleiten“ irrig ausgelegt habe. Die Tatsachen
bestätigten vielmehr ihre eigene Auslegung dieser Vereinbarung.
- 65.
- Als die IMF im März 1986 erstmals eine Anfrage an sie gerichtet habe, habe ihr
Direktor Dudouet nur zu dem Zweck Kontakt mit der BASF aufgenommen, sich
über die Marktlage und die Verfügbarkeit der nachgefragten Erzeugnisse zu
erkundigen. Herr Dudouet sei nur ausnahmsweise im Export tätig gewesen und
habe den Anfragen entnommen, daß es sich bei den Bestellungen für den britischen
Markt voraussichtlich um größere Mengen handeln würde. Da es sich bei den von
der IMF nachgefragten Erzeugnissen um „Selbstläufer“ gehandelt habe und
bestellte Mengen nach den Gepflogenheiten des Autoreparaturmarktes kurzfristig
auszuliefern gewesen seien, hätten Lieferverzögerungen zu erheblichen Problemen
bei den Kunden führen können. Entgegen der Auffassung der Kommission habe
sie somit weder im Hinblick auf die Durchführung von Lieferungen an die IMF
noch im Hinblick auf die Festlegung der Bedingungen für diese Verkäufe um eine
Genehmigung der BASF nachgesucht.
- 66.
- Sie habe der IMF die gewünschten Mengen geliefert, und die
Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Firmen hätten sich in der Folgezeit
erfolgreich entwickelt. Bis 1990 hätten sich das Aufkommen der ausgeführten
Bestellungen und die Rabatte, die der IMF von ihr gewährt worden seien, ständig
erhöht.
- 67.
- Ihre Verkäufe an die IMF seien ab Juni 1989 nur zu dem Zweck unter der Firma
Technipaint fakturiert worden, die Exportgeschäfte vom belgischen Umsatz zu
trennen. Diese Trennung sei nach der Inbetriebnahme einer neuen EDV-Anlage
im Jahr 1989 möglich geworden. Hierdurch habe sie die Transparenz ihrer
Geschäftstätigkeit erhöhen und die Zahlung der ihren Mitarbeitern geschuldeten
Prämien begrenzen können. Der BASF sei an einer getrennten Ausweisung dieser
Geschäfte auch deshalb gelegen gewesen, weil sie sich an den Werbekosten für die
Absätze im Vertragsgebiet beteiligt habe.
- 68.
- Entgegen den Ausführungen in den Randnummern 75 und 76 der angefochtenen
Entscheidung habe sie die Belieferung der IMF nicht Ende Mai 1990, sondern erst
im Dezember 1990 eingestellt. Die erste Bestellung, die bei ihr nach der Lieferung
von Ende Mai 1990 eingegangen sei, trage das Datum des 4. Dezember 1990.
Zwischen diesen beiden Zeitpunkten habe die IMF trotz des Hinweises auf eine
künftige Bestellung im Schreiben der Anwälte der IMF vom 3. Juli 1990 an sie
keine neue Bestellung aufgegeben.
- 69.
- Die Entscheidung, die IMF nicht mehr zu beliefern, habe sie wegen deren
Unzuverlässigkeit und bedrohlichen Haltung selbständig getroffen. Seit August 1989
habe die IMF die Rechnungen nicht mehr fristgerecht bezahlt. Bei einem Gespräch
mit ihr am 5. Juni 1990 habe die IMF auf zusätzlichen Lieferungen bestanden,
obwohl bei einer Vielzahl von Glasurit-Produkten Lieferengpässe bestanden hätten.
Die IMF habe angedroht, sie wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu
verklagen und eine eigene Niederlassung in Belgien zu errichten, um
Direktausfuhren in das Vereinigte Königreich zu tätigen.
- 70.
- Sie habe die BASF erstmals durch Schreiben vom 7. Februar 1991, mit dem sie ihr
eine Kopie ihres Schreibens vom 19. Dezember 1990 an die IMF übersandt habe,
über den endgültigen Abbruch ihrer Lieferbeziehungen zu dieser unterrichtet.
- 71.
- Die Klägerin wirft der Kommission vor, nicht die genannten Lieferschwierigkeiten
berücksichtigt zu haben, zu deren Nachweis sie im Verwaltungsverfahren
überzeugende Beweismittel beigebracht habe. Aus verschiedenen Gründen hätten
sich während des genannten Zeitraums erhebliche Engpässe bei der Lieferkapazität
der BASF ergeben. Hiervon seien die Produkthauptgruppen, besonders die am
meisten verwendeten Basisfarben, betroffen gewesen.
- 72.
- Um in einer Verknappungssituation eine gleichmäßige Versorgung des
europäischen Marktes sicherzustellen, habe die BASF ein Informationsnetz zu ihren
Vertriebshändlern, darunter die Klägerin, errichtet. Um nämlich ihre
Lieferverpflichtungen gegenüber Glasurit-Kunden zu erfüllen, habe die BASF
Kenntnis von den Warenströmen und der Absatzlage auf den einzelnen nationalen
Märkten erhalten wollen.
- 73.
- Außerdem sei sie verpflichtet gewesen, die Kunden in ihrem Vertragsgebiet so gut
wie möglich zu versorgen. Es sei normal gewesen, wenn sie, nachdem die IMF an
sie herangetreten sei, zunächst die Liefermöglichkeiten mit der BASF abgeklärt
habe, um nicht ihren vertraglichen Verpflichtungen zuwiderzuhandeln. Sie habe die
knappen Ressourcen nicht dazu verwenden dürfen, neue Aufträge anzunehmen
oder Lieferungen außerhalb ihres Vertragsgebiets auszuführen.
- 74.
- Die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens sei in den Begründungserwägungen der
Verordnung (EWG) Nr. 1983/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 über die
Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von
Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 1) anerkannt worden, wie sie auch
schon zuvor in den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 67/67/EWG der
Kommission vom 22. März 1967 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des
Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. 1967, Nr. 57,
S. 849) anerkannt worden sei. Es sei daher zulässig, wenn die Parteien einer
Alleinvertriebsvereinbarung in deren Rahmen Absprachen träfen, die es dem
Hersteller erlaubten, zu überprüfen, ob das vordringliche Ziel einer solchen
Vereinbarung, im Vertragsgebiet eine intensive Tätigkeit zu entfalten, vom
Vertriebshändler beachtet werde.
- 75.
- Nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin, wie sie in Randnummer 22 der
angefochtenen Entscheidung wiedergegeben seien, solle die BASF im März 1986
unter der Bedingung in die Belieferung der IMF eingewilligt haben, daß die
Klägerin einen Rabatt von höchstens 19 % des Listenpreises gewähre. Diesen
Behauptungen stehe jedoch entgegen, daß die IMF damals einen Rabatt von 8 %
akzeptiert habe und daß ihr im gesamten Jahr 1986 von der Klägerin kein Rabatt
von 19 % gewährt worden sei. Es widerspreche jeder kaufmännischen Erfahrung,
daß sich die IMF mit einem Rabatt von 8 % zufriedengegeben hätte, wenn Herr
Dudouet hätte durchblicken lassen, daß die BASF mit einer Rabattgewährung von
bis zu 19 % einverstanden gewesen wäre. Dieser Umstand liefere ein
überzeugendes Indiz dafür, daß auch der übrige Inhalt des Telefongesprächs
zwischen ihr und der BASF von der Beschwerdeführerin unzutreffend
wiedergegeben worden sei.
- 76.
- Aus der von Herrn Augustin unterzeichneten internen Notiz vom 5. Juni 1990
ergebe sich, daß die BASF über alle ihre Lieferungen an die IMF im Jahr 1989
unterrichtet gewesen sei. Sie verwahre sich daher entschieden gegen die
Unterstellung der Kommission, sie habe ihre Ausfuhren in das VereinigteKönigreich durch eine Fakturierung über die Firma Technipaint verdecken wollen.
- 77.
- Die Kommission wiederholt ihre Schlußfolgerung, daß die Durchführung der
Vereinbarung durch deren Parteien, insbesondere ab 1986, bestätige, daß ihr § 2
Absatz 2 tatsächlich einen Genehmigungsvorbehalt des Herstellers für
Passivverkäufe enthalte. Die Ausführungen der Klägerin seien nicht überzeugend
und nicht geeignet, die rechtliche Beurteilung der in der angefochtenen
Entscheidung festgestellten Verhaltensweisen zu widerlegen.
- 78.
- Die Akten widerlegten die Sachverhaltsdarstellung der Klägerin. Die in den
Randnummern 43 und 52 der angefochtenen Entscheidung angeführte interne
Notiz vom 5. Juni 1990 zeige, daß die BASF Herrn Dudouet nach der ersten von
der IMF bei der Klägerin im März 1986 aufgegebenen Bestellung eine
„Sondergenehmigung“ zur Belieferung der IMF erteilt habe. Aus weiteren
Schriftstücken gehe hervor, daß die Einstellung der Belieferung der IMF tatsächlich
auf Veranlassung der BASF erfolgt sei und daß die Klägerin diese Verkäufe ab
Juni 1989 über die Technipaint fakturiert habe, um sie zu verschleiern. Schließlich
habe die Klägerin die Ausfuhren im Mai 1990 nach einer strengeren Kontrolle
durch die BASF eingestellt.
- 79.
- Die von der Klägerin angeführten Lieferschwierigkeiten könnten das Verhalten der
Parteien der Vereinbarung nicht erklären, da sich der Verknappungszeitraum nur
von 1988 bis Ende 1990 erstreckt habe. Außerdem lasse die Korrespondenz
zwischen der BASF und ihren Vertragshändlern über die Paralleleinfuhren in das
Vereinigte Königreich nicht die Spur einer Sorge erkennen, daß die übrigen
nationalen Märkte unzureichend versorgt werden könnten. Der Widerruf der der
Klägerin gewährten Sondergenehmigung sei nicht durch die Lieferschwierigkeiten
der BASF, sondern dadurch zu erklären, daß die Paralleleinfuhren der BASF C & I
geschadet hätten und zu einem Rückgang der Preise im Vereinigten Königreich
geführt hätten.
- 80.
- Die Schlüsse, die die Klägerin aus einem möglichen Irrtum der Beschwerdeführerin
IMF über den von BASF genehmigten Rabatthöchstsatz von 19 % ziehe, seien
übertrieben. Zum einen habe die Klägerin anläßlich der Beantwortung eines
Auskunftsersuchens bestätigt, daß sie der IMF einen Rabatt von 19 % gewährt
habe. Es sei somit Sache der Klägerin, den Widerspruch zwischen ihrer Antwort
an die Kommission und ihrem jetzigen Vortrag auszuräumen. Zum anderen sei es
normal, wenn die Klägerin den vom Hersteller genehmigten Rabatthöchstsatz der
IMF nicht von Anfang an gewährt habe, zumal die ursprünglichen Bestellungen nur
geringe Mengen betroffen hätten. Die Einwände der Klägerin hinsichtlich der
Richtigkeit der Behauptungen der Beschwerdeführerin seien unbegründet. Ob und
gegebenenfalls wann der IMF der Rabatthöchstsatz von 19 % in voller Höhe
gewährt worden sei, habe nichts damit zu tun, daß die Klägerin im März 1986 die
Genehmigung der BASF zur Belieferung der Beschwerdeführerin sowie zur
Anwendung der Rabatte erhalten habe.
- 81.
- Die Notiz eines Mitarbeiters der BASF vom 5. Juni 1990 könne nicht beweisen,
daß die BASF bereits 1989 über die unter Einschaltung von Technipaint
durchgeführten Lieferungen unterrichtet gewesen sei. Die in den Randnummern
47 und 50 der angefochtenen Entscheidung genannten internen Vermerke zeigten,
daß die Klägerin ihre Lieferungen an die IMF fortgesetzt habe, ohne daß die BASF
hiervon Kenntnis gehabt und sie genehmigt hätte.
- 82.
- Die Klägerin verkehre bei ihrer Darlegung der Gründe, aus denen sie die
Lieferbeziehungen zur IMF abgebrochen haben wolle, Ursache und Wirkung. Die
Androhung einer Klage im Gespräch vom 5. Juni 1990 sei erfolgt, nachdem Herr
Dudouet der IMF Ende Mai 1990 mitgeteilt habe, daß er wegen des von der BASF
auf ihn ausgeübten Druckes keine Glasurit-Produkte mehr liefern könne. Erst
nachdem es zum Streit zwischen der IMF und der Klägerin gekommen sei, sei im
Juli die Weigerung, die Rechnung für Mai zu bezahlen, erfolgt. Ihre eigenen
Feststellungen zu Zeitpunkt und Umständen der Einstellung der Lieferungen an
die IMF träfen daher zu. Im übrigen habe die Klägerin nicht nachgewiesen, daß die
IMF von ihr umfangreichere Lieferungen oder günstigere Bedingungen verlangt
habe.
Würdigung durch das Gericht
- 83.
- Der in der angefochtenen Entscheidung festgestellte Verstoß gegen die
Wettbewerbsregeln betrifft den Abschluß einer Vereinbarung durch die
Vertragsparteien, der bezweckte, Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das
Vereinigte Königreich zu verhindern. Bei der Prüfung der Frage der Durchführung
der Vereinbarung von 1982 geht es also nur darum, zu bestätigen, ob die
Kommission § 2 Absatz 2 dieser Vereinbarung zutreffend ausgelegt hat.
- 84.
- Insoweit verneint die Klägerin das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen
den in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Tatsachen und der
Durchführung einer angeblich gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßenden
Vereinbarung. Das Verhalten der Parteien der Vereinbarung von 1982 erkläre sich
aus den Lieferschwierigkeiten, denen sich die BASF im Bezugszeitraum
gegenübergesehen habe, sowie aus von der Klägerin selbständig getroffenen
kaufmännischen Entscheidungen.
- 85.
- Die Kommission hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß die Lieferungen der
BASF nur von 1988 bis 1990 durch Engpässe beeinträchtigt gewesen seien,
während die beanstandete Vereinbarung von 1982 bis 1991 in Kraft gewesen sei.
- 86.
- Diese Schwierigkeiten können auch nicht die Darstellung bestätigen, mit der die
Klägerin ihren Kontakt mit der BASF im März 1986, vor der ersten Lieferung an
die IMF, erklärt. Es ist nämlich kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, daß Herr
Dudouet sich zunächst nach der Verfügbarkeit der bestellten Erzeugnisse hätte
erkundigen müssen.
- 87.
- Außerdem haben sich die Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und der
IMF ungeachtet der ernsten Schwierigkeiten, denen sich die BASF im ganzen Jahr
1989 gegenübergesehen hatte, in eben diesem Jahr intensiviert. Als diese
Beziehungen im Juni 1990 abgebrochen wurden, hatte sich die von der Klägerin
angeführte Verknappungssituation bereits weitgehend entspannt.
- 88.
- Überdies geht aus den internen Notizen der BASF sowie aus den Schreiben der
BASF C & I und der Klägerin an sie hervor, daß sich das Problem der
Paralleleinfuhren unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkungen auf die Tätigkeit der
britischen Tochtergesellschaft und nicht im Zusammenhang mit den
Lieferschwierigkeiten stellte, die möglicherweise die Versorgung der belgischen und
luxemburgischen Kunden beeinträchtigten.
- 89.
- Daher haben sich die Lieferschwierigkeiten der BASF im vorliegenden Fall nicht
wesentlich auf die Durchführung der Vereinbarung von 1982 ausgewirkt. Somit
kommt es im Rahmen der Prüfung der vorliegenden Rechtssache nicht auf die
Argumente an, die die BASF zur Rechtfertigung ihres Verhaltens in einer
Verknappungssituation insbesondere unter Berufung auf das Urteil BP/Kommission
und die Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1983/83 vorgetragen hat.
- 90.
- Die Klägerin hatte nach einer internen Notiz der BASF vom 5. Juni 1990 eine
„Sondergenehmigung“ zur Belieferung der IMF erhalten:
„[Der] Inhaber [der] Fa. [IMF], Derby[,] besteht auf weitere AL-Produkt-Lieferung
durch Klägerin (1989 ca. 10 to). Für diesen Kunden ... hatte Herr Dudouet
seinerzeit eine Sondergenehmigung zur Belieferung durch Herrn Kunath. Seinerzeit
erfolgte Freigabe unter dem Aspekt, eine begrenzte Liefermenge ex Brüssel
zuzulassen. Hintergrund: keine Volumenausweitung durch andere Händler aus
Belgien. Sollte einer weiteren Belieferung keine Zustimmung gegeben werden, wird
Rechtsklage angedroht ... Herr Dudouet wartet auf Information, wie es weitergehen
soll!“
- 91.
- In einem Schreiben vom 7. Juni 1989 an die BASF bezieht sich Herr Dudouet auf
den Zusammenhang, in dem diese Genehmigung erteilt und bis zu diesem
Zeitpunkt aufrechterhalten wurde:
„Vor drei oder vier Jahren hat GLASURIT aufgrund des großen Volumens
paralleler Einfuhr in England beschlossen, mit unserer Hilfe alle Verkäufe aus
unseren Lägern jeweils mit einer jedem Kunden eigenen Markierung zu versehen,
um den Ursprung der Belieferung leicht nachzuweisen ... Angesichts dieses Handels
haben wir mit GLASURIT abgesprochen, zu versuchen, diese Einkäufe zu
kanalisieren und zu normalisieren, um den Abnahmemengen unserer Kunden
unabhängig des Verkaufs außerhalb des Verkaufsgebietes zu folgen ... Wir machen
Sie darauf aufmerksam, daß, wenn wir dieses Netz abbrechen, wir Ihnen nicht mehr
gewähren können, daß unsere 70 Händler oder große Karosseriebetriebe nicht in
Versuchung kommen oder gefragt werden, Geschäfte mit Großbritannien zu
führen, und so unseren Binnenmarkt erheblich stören.“
- 92.
- Aus diesen besonders deutlichen Schriftstücken ergibt sich, daß die Klägerin
entgegen ihrer Behauptung im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen zur IMF nicht
selbständig gehandelt hat. Die Intensität der von der BASF auf ihre Ausfuhren
ausgeübten Kontrolle wird in einer weiteren internen Notiz vom Juni 1990
bestätigt:
„Anbei die Antwort von Accinauto auf unsere Frage, wieviel Gt-Material ex
Belgien nach GB geht. Wir sollten unterstellen, daß Dudouet die Wahrheit sagt. Er
weiß genau, daß er von uns abhängig ist, und wird nichts riskieren wollen.“
- 93.
- Demgemäß ist der zweite Teil des Klagegrundes, mit dem geltend gemacht wird,
daß die Kommission bei der Beurteilung der Durchführung der Vereinbarung von
1982 einen Irrtum begangen habe, zurückzuweisen.
Dritter Teil: Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb und den Handel
zwischen Mitgliedstaaten
Vorbringen der Parteien
- 94.
- Die Klägerin rügt, die Kommission habe die Besonderheiten des britischen Marktes
für Autoreparaturlacke nicht hinreichend berücksichtigt.
- 95.
- Die Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten hätten sich wegen des auf dem Markt
für Autoreparaturlacke bestehenden Preisgefälles zwischen dem Vereinigten
Königreich und den übrigen Ländern der Gemeinschaft entfaltet. Dieses
Preisgefälle sei vor allem durch die höheren Vermarktungskosten im Vereinigten
Königreich, jedoch auch durch das in Belgien seit Beginn der achtziger Jahre
geltende Preiskontrollsystem zu erklären, das vom belgischen Staat eingeführt
worden sei, um eine Erhöhung der Endverbraucherpreise zu verhindern.
- 96.
- Gleichwohl habe die Kommission zu Unrecht angenommen, daß die Stellung der
Glasurit-Produkte auf dem britischen Markt und das bestehende Preisgefälle
zwischen Belgien und dem Vereinigten Königreich geeignet seien, eine erhebliche
Paralleleinfuhrtätigkeit zu begünstigen, die angeblich durch die Vereinbarung von
1982 verhindert worden sei.
- 97.
- Zum einen seien im Wettbewerb die Nettoabgabepreise des Vertriebshändlers
entscheidend, die den aufzuwendenden Kaufpreisen entsprächen. Die Differenzen
zwischen dem Preisniveau Belgiens und dem des Vereinigten Königreichs
schrumpften jedoch deutlich, wenn man auf die praktizierten Nettoabgabepreise
abstelle. Zum anderen habe neben der tatsächlichen, in vollem Umfang
befriedigten Nachfrage keine darüber hinausgehende potentielle Nachfrage
bestanden. Die Beschwerdeführerinnen seien nach eigenen Bekundungen mit ihren
Geschäftsbeziehungen zu ihr zufrieden gewesen, und aufgrund der ihnen
eingeräumten günstigen Konditionen habe die IMF Glasurit-Produkte nicht nur der
Calbrook, sondern auch weiteren Händlern im Vereinigten Königreich liefern
können.
- 98.
- Ab 1986 habe sie außer den Bestellungen der IMF keine anderen Bestellungen
mehr erhalten. Nicht existierende Bestellungen hätten folglich auch nicht auf
Veranlassung von BASF von ihr zurückgewiesen werden können. Demgemäß treffe
auch die Feststellung der Kommission nicht zu, daß sich die für sie objektiv
gegebenen Liefermöglichkeiten keineswegs in den tatsächlich an die IMF und die
Calbrook gelieferten Mengen erschöpft hätten. Im übrigen sei nicht ersichtlich, wie
durch eine in der Vereinbarung enthaltene Klausel, die nach der Auslegung der
Kommission Parallelausfuhren nicht verbiete, sondern lediglich deren Genehmigung
durch den Hersteller vorsehe, diese Ausfuhren hätten verhindert werden können,
wenn kein Fall bekannt sei, in dem sie um eine Genehmigung nachgesucht, diese
jedoch nicht erhalten hätte. Die Alleinvertriebsvereinbarung habe jedenfalls
Parallelausfuhren nicht verhindert und keine Auswirkungen auf die
Inanspruchnahme objektiv gegebener potentieller Liefermöglichkeiten durch sie
gehabt.
- 99.
- Die Vereinbarung von 1982 habe den Wettbewerb und den Handel zwischen
Mitgliedstaaten auch nicht in anderer Weise beeinträchtigt. Die Parallelimporteure
seien über die jeweiligen Bezugsquellen in den einzelnen EG-Ländern bestens
informiert gewesen und hätten gemeinsam Waren bei den Betriebshändlern mit
den für die jeweilige Produktreihe günstigsten Preisen bezogen. Dies werde dadurch
bestätigt, daß die IMF bei der Klägerin bestimmte Produkte für Rechnung der
Calbrook bezogen habe, während die Calbrook wiederum andere Erzeugnisse zubesseren Konditionen in den Niederlanden und in Deutschland bezogen habe. Die
Anfrage- und Angebotssituation dürfe auch nicht statisch gesehen werden. Sie habe
vielmehr ständig Korrekturen erfahren, die von den Parallelimporteuren bei ihrer
Entscheidung, bei einem Vertriebshändler eine Bestellung aufzugeben,
berücksichtigt worden seien.
- 100.
- Die Kommission erwidert, die bei der BASF aufgefundenen Unterlagen belegten
die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Preisunterschiede, die geeignet
gewesen seien, einen Anreiz für Parallelausfuhren aus Belgien in das Vereinigte
Königreich zu schaffen. Jedenfalls räume die Klägerin in ihrer Klageschrift selbst
ein, daß das zwischen dem Vereinigten Königreich und anderen Mitgliedstaaten
bestehende Preisgefälle eine der Ursachen für die Paralleleinfuhren gewesen sei.
- 101.
- Sie habe bereits dargetan, daß die fragliche Vereinbarung geeignet gewesen sei,
sich spürbar auf den innergemeinschaftlichen Handel auszuwirken, und daß sie
nicht verpflichtet sei, nachzuweisen, daß eine spürbare Beeinträchtigung des
Handels zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich eingetreten sei (Urteil des
Gerichtshofes vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission,
Slg. 1978, 131, Randnr. 15). Sie habe die erforderlichen Untersuchungen
durchgeführt und in der angefochtenen Entscheidung ihre Feststellungen zur
Marktstellung der betreffenden Unternehmen, zum Umfang von Produktion und
Ausfuhren dieser Unternehmen sowie zu deren Preispolitik getroffen.
- 102.
- Auch die Behauptung der Klägerin, daß im fraglichen Zeitraum auf dem britischen
Markt keine potentielle Nachfrage nach Glasurit-Produkten bestanden habe, sei
unzutreffend. Die Klägerin habe selbst angegeben, daß sie mit einem Anstieg der
von der IMF und der Calbrook bestellten Mengen gerechnet habe, da das
Aufnahmevolumen des britischen Marktes dasjenige des belgischen Marktes um ein
Vielfaches übersteige.
- 103.
- Die Verpflichtung aus § 2 Absatz 2 der Alleinvertriebsvereinbarung stelle in
Wirklichkeit ein allgemeines Ausfuhrverbot dar, das unter den Vorbehalt von
BASF gestellt worden sei, im Einzelfall eine Genehmigung zu erteilen. Daher sei
der Einwand der Klägerin zurückzuweisen, daß die Vereinbarung deshalb keine
wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen habe entfalten können, weil sie nur die
Verpflichtung, für Ausfuhren die Genehmigung des Herstellers einzuholen, nicht
aber ein Verbot dieser Verkäufe statuiert habe.
Würdigung durch das Gericht
- 104.
- Artikel 81 Absatz 1 EG verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die
eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes
bezwecken oder bewirken, sofern sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu
beeinträchtigen geeignet sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Klausel,
durch die einem Abnehmer der Weiterverkauf oder die Ausfuhr der erworbenen
Ware verboten werden soll, ihrem Wesen nach geeignet, die Märkte abzuschotten
und damit den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (Urteile des
Gerichtshofes Miller/Kommission, Randnr. 7, und vom 31. März 1993 in den
verbundenen Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und
C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeythiö u. a./Kommission „Zellstoff“, Slg.
1993, I-1307, Randnr. 176). Wenn sich herausstellt, daß die Verkäufe zumindest
einer Partei der wettbewerbswidrigen Vereinbarung einen nicht unbeachtlichen Teil
des relevanten Marktes ausmachen, ist Artikel 81 Absatz 1 EG anzuwenden
(Urteile Miller/Kommission, Randnr. 10, und Parker Pen/Kommission, Randnr. 44).
- 105.
- Im vorliegenden Fall stellt die Klägerin nicht die von der Kommission
vorgenommene Definition des relevanten Produktmarkts, nämlich des britischen
Marktes der Autoreparaturlacke, in Frage und bestreitet auch nicht, daß sich der
Anteil der BASF an diesem Markt 1991 auf 16 % belief, von denen 12 % auf
Glasurit-Produkte entfielen. Sie beanstandet vielmehr nur die von der Kommission
berücksichtigten Volumina der Paralleleinfuhren sowie die Behauptungen der
Kommission über eine potentielle Nachfrage, die von der Klägerin hätte befriedigt
werden können. Angesichts der Stellung der BASF auf dem relevanten Markt sowie
des von ihr selbst bestätigten Umstands, daß die zwischen 1986 und 1991 auf
diesem Markt angewandten Preise für Glasurit-Produkte durchschnittlich höher
waren als die Preise auf den Märkten anderer Mitgliedstaaten, insbesondere
Belgiens, ist die Kommission zu Recht zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die
beanstandete Vereinbarung geeignet war, den innergemeinschaftlichen Handel zu
beeinträchtigen.
- 106.
- Somit ist festzustellen, daß die Vereinbarung ihrem Zweck nach eine nach Artikel
81 Absatz 1 EG verbotene Beschränkung des Wettbewerbs darstellt, ohne daß zu
prüfen wäre, ob, wie die Klägerin vorträgt, spürbare Wirkungen dieser
Vereinbarung auf den fraglichen Markt ausgeblieben sind (Urteil des Gerichtshofes
vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und
Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429, und Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1994 in
der Rechtssache T-43/92, Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441,
Randnr. 127).
- 107.
- Folglich gehen die weiteren Rügen, die die Klägerin gegenüber der Feststellung
eines Verstoßes gegen diese Bestimmung des Vertrages durch die Kommission
erhoben hat, ins Leere, da eine Begründetheit dieser Rügen jedenfalls nicht zu der
Schlußfolgerung führen kann, daß eine Vereinbarung, die den gleichen Gegenstand
und die gleiche Tragweite wie die Vereinbarung hat, um die es im vorliegenden
Fall geht, nicht gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln verstößt.
Vierter Teil: Zeitpunkt der Abstellung des Verstoßes
Vorbringen der Parteien
- 108.
- Die Klägerin trägt vor, selbst wenn tatsächlich ein Verstoß gegen die
Wettbewerbsregeln vorgelegen haben sollte, sei dieser spätestens Ende Juni 1990
beendet worden. Die Kommission hätte feststellen müssen, daß es im Schreiben der
BASF vom 21. Juni 1990 an die Klägerin klar geheißen habe, daß diese in ihren
Verkaufsentscheidungen frei sei. Jedenfalls habe die Kommission selbst eingeräumt,
daß das Schreiben der BASF vom 22. Juni 1990 an die Anwälte der IMF, von dem
eine Kopie an die Klägerin gesandt worden sei, insoweit hinreichend verständlich
und eindeutig sei.
- 109.
- Die Kommission wiederholt ihre Schlußfolgerung, daß die
wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung erst mit der Streichung der
beanstandeten Klausel durch die Vertragsparteien beendet gewesen sei. Die
Klägerin habe unter den gegebenen Umständen die Kopie des im Juni 1990 an die
Anwälte der Beschwerdeführerin gesandten Schreibens nicht dahin auslegen
können, daß die BASF damit auf ihren Genehmigungsvorbehalt nach § 2 Absatz
2 der Vereinbarung von 1982 verzichte. Zweck dieses Schreibens sei es allein
gewesen, mögliche Ansprüche der IMF abzuwehren.
Würdigung durch das Gericht
- 110.
- Da die mit der angefochtenen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung der
Abschluß und die Beteiligung der Vertragsparteien an einer
Alleinvertriebsvereinbarung war, die eine Klausel enthielt, deren Zweck gegen
Artikel 81 Absatz 1 EG verstieß, nimmt die Kommission zu Recht an, daß diese
Zuwiderhandlung erst mit der Streichung dieser Klausel durch die beiden
Vertragsparteien beendet wurde. Nach der Rechtsprechung ist eine Klausel, die
eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, nicht allein deshalb dem Verbot des
Artikels 81 Absatz 1 EG entzogen, weil die Vertragspartner sie nicht angewandt
haben (Urteile Miller/Kommission, Randnr. 7, und „Zellstoff“, Randnr. 175). Im
vorliegenden Fall belegen die von der Klägerin angeführten Schreiben der BASF
nicht, daß die Vertragsparteien tatsächlich die Absicht hatten, auf die beanstandete
Klausel zu verzichten. Mit der Kommission ist nämlich davon auszugehen, daß die
im Schreiben vom 22. Juni 1990 verwendeten eindeutigeren Formulierungen
tatsächlich bezweckten, die den Vertragsparteien von der Beschwerdeführerin IMF
zur Last gelegten Vorwürfe eines wettbewerbswidrigen Verhaltens abzuschwächen.
Fünfter Teil: Bemessung der Geldbuße
Vorbringen der Parteien
- 111.
- Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr Ermessen mißbräuchlich ausgeübt zu
haben, da sie bei der Bemessung der Geldbuße nicht berücksichtigt habe, daß die
angebliche Zuwiderhandlung von minderer Schwere und von kurzer Dauer gewesen
sei, daß die wirtschaftliche Lage der Klägerin schwierig gewesen sei und daß ein
Vorsatz gefehlt habe.
- 112.
- Die Schwere der Zuwiderhandlung sei nach Maßgabe der Auswirkungen der
angeblich wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung auf den Handel zu beurteilen.
Die beanstandete Vereinbarung habe aber keine Auswirkungen gehabt, da ihre
Parteien sie nicht durchgeführt hätten. Selbst wenn die Vereinbarung durchgeführt
worden wäre, hätte sie doch nicht den Warenstrom der Paralleleinfuhren aus
Belgien in das Vereinigte Königreich berührt. Es habe eine einzige
Lieferverweigerung im Dezember 1990 gegeben, die nicht auf die
Vereinbarung, sondern auf einen selbständigen Entschluß der Klägerin
zurückzuführen sei. Überdies sei der Umfang der von der Vereinbarung von 1982
betroffenen Paralleleinfuhren im Vergleich zum gesamten Absatz von
Glasurit-Produkten im Vereinigten Königreich unbedeutend gewesen.
- 113.
- Zu Unrecht habe die Kommission für die Ermittlung der Dauer der
Zuwiderhandlung auf die gesamte Laufzeit der Vereinbarung zwischen ihrem
Abschluß am 8. Oktober 1982 und dem Inkrafttreten der neuen Vereinbarung am
1. Januar 1992 abgestellt. Zum einen habe die Kommission selbst eingeräumt,
daß Auswirkungen der Vereinbarung überhaupt erst ab 1986 in Betracht kämen.
Zum anderen habe die Klägerin nur ein einziges Mal eine Lieferung an die IMF
verweigert, und die angebliche Zuwiderhandlung sei spätestens im Juni 1990
beendet gewesen, als die BASF der Beschwerdeführerin und der Klägerin klar zu
erkennen gegeben habe, daß Letztere frei sei, Passivverkäufe in Mitgliedstaaten der
Gemeinschaft zu tätigen. Die Berücksichtigung der gesamten Laufzeit der
Vereinbarung sei daher unangemessen und verletze in grober Weise den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit.
- 114.
- Außerdem hätten die bei Abschluß der Vereinbarung hinzugezogenen Juristen die
fragliche Klausel für gemeinschaftsrechtskonform gehalten. Den Vertragsparteien
und ihren Mitarbeitern sei daher während der Laufzeit der Vereinbarung nicht
bewußt gewesen, daß sie einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages
begangen hätten.
- 115.
- Die Kommission erinnert daran, daß Ausfuhrverbote ihrem Wesen nach schwere
Wettbewerbsverstöße seien, da sie dazu führten, daß Preisunterschiede zwischen
den Märkten der Mitgliedstaaten künstlich aufrechterhalten würden, und da sie den
freien innergemeinschaftlichen Handelsverkehr beeinträchtigten (Urteil vom 7. Juni
1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique
Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 107). Der
Marktanteil der von der Zuwiderhandlung betroffenen Paralleleinfuhren sei für die
Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ohne Belang. Im übrigen habe sie
das Vorbringen der Klägerin, daß die Vereinbarung von 1982 keine wirtschaftlichen
Auswirkungen insbesondere auf Paralleleinfuhren aus Belgien in das Vereinigte
Königreich und keinen Einfluß auf ihre Entscheidungen gehabt habe, bereits
zurückgewiesen.
- 116.
- Die Zuwiderhandlung habe mit dem Abschluß der den Genehmigungsvorbehalt des
Herstellers enthaltenden Alleinvertriebsvereinbarung begonnen und habe sich über
die gesamte Laufzeit dieser Vereinbarung erstreckt (Urteil des Gerichtshofes vom
8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82,
105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 59). Das
bloße Schweigen der Klägerin auf die Schreiben der BASF vom 21. Juni und 22.
Juni 1990 habe die Vereinbarung von 1982 nicht wirksam ändern können. Nach
§ 12 Absatz 2 hätten Änderungen der Vereinbarung der Schriftform bedurft.
- 117.
- Das Vorbringen der Klägerin, eine vorsätzliche Wettbewerbsbeschränkung habe
deshalb nicht vorgelegen, weil den Parteien der Vereinbarung nicht bewußt
gewesen sei, gegen Gemeinschaftsrecht zu verstoßen, sei zurückzuweisen. Der
Umstand, daß die Juristen der BASF möglicherweise einem Rechtsirrtum erlegen
seien, ändere nichts daran, daß die BASF den Vorsatz gehabt habe, der Klägerin
eine Weiterleitungsverpflichtung aufzuerlegen und damit die Parallelausfuhren in
das Vereinigte Königreich zu kontrollieren.
Würdigung durch das Gericht
- 118.
- Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission durch
Entscheidung gegen Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig eine
Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG begangen haben, Geldbußen in
Höhe von eintausend bis einer Million ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu
zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten
Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Innerhalb
dieser Grenzen wird die Höhe der Geldbuße unter Berücksichtigung von Schwere
und Dauer der Zuwiderhandlung festgesetzt (Urteil Musique Diffusion française
u. a./Kommission, Randnr. 118, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der
Rechtssache T-327/94, SCA Holding/Kommission, Slg. 1998, II-1373, Randnr. 175).
- 119.
- Für eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages
genügt es, wenn dem Unternehmen bewußt war, daß das gerügte Verhalten eine
Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckte, gleichviel, ob es sich dabei auch bewußt
war, gegen ein in diesen Regeln enthaltenes Verbot zu verstoßen (Urteil IAZ
u. a./Kommission, Randnr. 45, und Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der
Rechtssache T-66/92, Herlitz/Kommission, Slg. 1994, II-531, Randnr. 45). Wie sich
aus den obigen Feststellungen des Gerichts ergibt, konnte sich die Klägerin nicht
in Unkenntnis darüber befinden, daß die beanstandete Klausel der Vereinbarung
von 1982 bezweckte, Paralleleinfuhren zu beschränken und damit durch die
Abschottung der einzelnen nationalen Märkte dem vom Vertrag angestrebten Ziel
der Verwirklichung des einheitlichen Marktes zuwiderzulaufen. Die Äußerung eines
Rechtsberaters, auf die sie sich beruft, kann sie insoweit nicht entschuldigen (Urteil
Miller/Kommission, Randnr. 18).
- 120.
- Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, daß die Kommission die in der
Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze, die auf den Gesamtumsatz des
betreffenden Unternehmens Bezug nimmt, beachtet hat (Urteil Musique Diffusion
française u. a./Kommission, Randnr. 119, und Urteil des Gerichts vom 6. Oktober
1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr.
247). Die Höhe der Geldbuße entspricht damit nur 0,05 % des von der Klägerin
im Jahr 1991 erzielten Gesamtumsatzes, der etwa 18 450 000 ECU (738 Mio. BFR;
vgl. oben, Randnr. 1) erreicht hat.
- 121.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß die Geldbuße den Umständen und der
Schwere der Zuwiderhandlung entsprechen; bei der Beurteilung der Schwere ist
insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen (Urteile
des Gerichts Parker Pen/Kommission, Randnr. 92, und vom 22. Oktober 1997 in
den verbundenen Rechtssachen T-213/95 und T-18/96, SCK und FNK/Kommission,
Slg. 1997, II-1739, Randnr. 246).
- 122.
- Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht die festgestellte
Zuwiderhandlung angesichts des Wesens der fraglichen Wettbewerbsbeschränkung
und der starken Stellung der BASF auf dem Markt für Autoreparaturlacke in
Europa als besonders schwerwiegend angesehen.
- 123.
- Auch die Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung durch die Kommission ist
nicht fehlerhaft, da diese Zuwiderhandlung durch den Abschluß einer Vereinbarung
durch die Vertragsparteien gekennzeichnet war, die eine Klausel enthielt, deren
Zweck gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstieß. Selbst wenn davon auszugehen
wäre, daß das Gericht nicht hat feststellen können, daß diese Klausel auch
angewandt wurde, ist doch zu betonen, daß bereits ihr Vorhandensein ein
„optisches und psychologisches“ Klima schaffen konnte, das zu einer Aufteilung der
Märkte beiträgt (Urteile Miller/Kommission, Randnr. 7, und Herlitz/Kommission,
Randnr. 40). Die mit dem Abschluß der Vereinbarung von 1982 begonnene
Zuwiderhandlung wurde somit erst mit der tatsächlichen Beseitigung der
beanstandeten Klausel beendet.
- 124.
- Schließlich ist festzustellen, daß die Kommission als mildernden Umstand
berücksichtigt hat, daß die Vertragsparteien die Zuwiderhandlung am 1. Januar
1992 abgestellt haben, d. h., bevor ihnen mit Schreiben vom 12. Mai 1993 die
Beschwerdegründe mitgeteilt wurden. Sie hat auch berücksichtigt, daß die Klägerin
wirtschaftlich von der BASF abhängt und daß diese Abhängigkeit von der BASF
zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen ausgenutzt wurde.
- 125.
- Daraus ist zu folgern, daß die Kommission das ihr bei der Bemessung von
Geldbußen zustehende Ermessen nicht überschritten hat, indem sie die gegen die
Klägerin verhängte Geldbuße auf 10 000 ECU festgesetzt hat.
- 126.
- Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne daß der Antrag auf
Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 9,5 % auf den
Betrag der Geldbuße geprüft zu werden braucht.
Kosten
- 127.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen
unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die
Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
VesterdorfMoura Ramos
Mengozzi
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Mai 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf