URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
14. Mai 1998 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Beweis für die Beteiligung an
Absprachen Geldbuße Bestimmung der Höhe Begründung“
In der Rechtssache T-295/94
Buchmann GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Rinnthal,
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Helmut Braun, Bergmannstraße 21, Dresden,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Bernd Langeheine
und Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt
Dirk Schroeder, Köln, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli
1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton, ABl.
L 243, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der
Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25.
Juni bis zum 8. Juli 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission
vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833
Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung
der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im
folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller
und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz
1 des Vertrages Geldbußen festgesetzt.
- 2.
- Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung
werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“
zugeordnet werden.
- 3.
- Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer
grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
- 4.
- Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage
und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung
erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein
Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.
- 5.
- SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur
Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber
hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.
- 6.
- Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries
Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen
Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte
geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine
Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und
ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu
machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der
Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
- 7.
- Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der
Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend
den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
- 8.
- Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14
Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr.
13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und
Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig
Nachprüfungen vor.
- 9.
- Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten
der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und
ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.
- 10.
- Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und
Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem
Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den
meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
- 11.
- Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit
Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten
antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche
Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
- 12.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende
Bestimmungen enthält:
„Artikel 1
Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard
the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH
& Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV (unter der Firma BPB de
Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke
Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och
Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A.,
Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper &
Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher
Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen
Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich
im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens
Ende 1990,
im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens
Ende April 1991 und
im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,
in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,
an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft
sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen
zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur
Einschränkung des Wettbewerbs trafen;
sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder
Landeswährung verständigten;
gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft
planten und durchführten;
sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;
in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen
sicherzustellen;
als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen
(über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und
Kapazitätsauslastung) austauschten.
...
Artikel 3
Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten
Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt:
i) gegen Buchmann GmbH eine Geldbuße in Höhe von 2 200 000 ECU;
...“
- 13.
- Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus
mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens
„Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG Karton).
- 14.
- Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents'
Working Group“ (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der
(etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
- 15.
- Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte,
Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende
Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern
vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
- 16.
- Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr
oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden
Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum
zweimal pro Jahr getagt.
- 17.
- Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die
Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und,
wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom
PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im
Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu
gelangen.
- 18.
- Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) unter anderem die
Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und
dem JMC oder bis Ende 1987 dessen Vorgänger, dem „Marketing Committee“,
über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder
Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals
pro Jahr zusammengetreten.
- 19.
- Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach
Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die
Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In
der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der
FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und
Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten
Daten erhalten.
- 20.
- Die Klägerin soll der Entscheidung zufolge an einigen Sitzungen des JMC und an
einer Sitzung der WK teilgenommen haben. Ihr wird eine Beteiligung an der
Zuwiderhandlung von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990 zur Last gelegt.
Verfahren
- 21.
- Mit Klageschrift, die am 28. September 1994 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
- 22.
- Mit besonderem Schriftsatz, der am 14. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat sie ferner die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung
beantragt. Mit Beschluß vom 21. Dezember 1994 in der Rechtssache T-295/94 R
(Buchmann/Kommission, Slg. 1994, II-1265) hat der Präsident des Gerichts diesen
Antrag zurückgewiesen.
- 23.
- Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten
Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben
(Rechtssachen T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94,
T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94,
T-352/94 und T-354/94).
- 24.
- Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre
Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der
Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen
worden.
- 25.
- Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung
Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten
Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt
(verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).
- 26.
- Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der
Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8.
Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch
Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist dieseRechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
- 27.
- Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer
informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der
Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94,
T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und
T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser
Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen
Verbindung einverstanden erklärt.
- 28.
- Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer
des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß
Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung
verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf
vertrauliche Behandlung stattgegeben.
- 29.
- Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der
Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.
- 30.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer)
beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende
Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen
zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen
Ersuchen nachgekommen.
- 31.
- Die Parteien in den in Randnummer 27 genannten Rechtssachen haben in der
Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 32.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung für nichtig zu erklären;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 33.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens einschließlich der
Kosten für das Verfahren der einstweiligen Anordnung zu tragen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung
Zum Klagegrund des Vorliegens eines Verfahrensfehlers
Vorbringen der Parteien
- 34.
- Die Klägerin trägt vor, nach dem Protokoll der Anhörung vor der Kommission
habe ein Vertreter der Kommission ausgeführt, daß sie zu den Kartonherstellern
gehört habe, die mehr oder weniger alle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte
erhobenen Vorwürfe zugegeben hätten. Sie habe an dieser Anhörung nicht
teilgenommen, und die fragliche Äußerung sei falsch.
- 35.
- Somit seien alle bei der Anhörung und später vorgelegten Beweise rechtswidrig
erlangt worden, denn die übrigen Unternehmen hätten ihre Stellungnahmen auf der
Grundlage des angeblich von ihr abgelegten Geständnisses abgegeben.
- 36.
- Die Kommission trägt vor, die Äußerung ihres Vertreters während der Anhörung
treffe zu, da die Klägerin die von ihr erhobenen tatsächlichen Vorwürfe in der Tat
im wesentlichen anerkannt habe. Im übrigen habe ihr Vertreter seine
Ausführungen ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Berichtigung gemacht.
- 37.
- Schließlich gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie den Beitrag der Klägerin
zum fraglichen Kartell nicht zutreffend gewürdigt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 38.
- Dem vorgebrachten Klagegrund kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man
unterstellt, daß die streitige Äußerung des Vertreters der Kommission bei der
Anhörung vor der Kommission falsch war, behauptet die Klägerin lediglich, daß die
Kommission die in der Entscheidung angeführten Beweise infolge dieser Äußerung
erlangt habe, ohne dafür irgendein Indiz zu liefern.
- 39.
- Der Vertreter der Kommission hat seine Ausführungen jedenfalls ausdrücklich
unter dem Vorbehalt der Berichtigung gemacht (Protokoll der Anhörung, S. 12),
so daß den an der Anhörung teilnehmenden Unternehmen klar sein mußte, daß sie
sich auf die fragliche Angabe nicht verlassen konnten.
Zum Klagegrund einer fehlerhaften Würdigung des konkreten Tatbeitrags der Klägerin
Vorbringen der Parteien
- 40.
- Die Klägerin führt aus, die Entscheidung zeige, daß sich die Kommission in
mehreren Punkten auf falsche oder ungenaue Tatsachenfeststellungen gestützt
habe. Durch die Stützung auf allgemeine Feststellungen habe die Kommission
einen Fehler begangen. Aus der Begründung der Entscheidung hätte hervorgehen
müssen, wie die Kommission die Bestandteile der Zuwiderhandlung in bezug auf
sie und in bezug auf die anderen Unternehmen bewertet habe. Die Entscheidung
sei daher als rechtswidrig anzusehen.
- 41.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Zuwiderhandlung eine Vielzahl von
Unternehmen und einen Zeitraum von fast fünf Jahren betroffen habe. Unter
derartigen Umständen müsse die Entscheidung zwangsläufig allgemeinere Aussagen
über das Kartell enthalten. In der Entscheidung und ihren Anhängen befinde sich
jedoch eine Beschreibung des Tatbeitrags der Klägerin (vgl. Randnrn. 44 ff.,49 ff.,
74 ff. und 167 ff.).
- 42.
- Außerdem sei in den Randnummern 116 ff. der Entscheidung klargestellt worden,
daß die Beteiligung jedes Unternehmens an jeder Handlung des Kartells nicht im
einzelnen nachgewiesen werden müsse. Alle Handlungen hätten zu einem
Gesamtplan gehört, mit dem ein gemeinsames Ziel verfolgt worden sei, und die
Unternehmen, die dem Gesamtplan zugestimmt hätten, hätten daher zwangsläufig
am gesamten Kartell mitgewirkt. Die einzelnen Bestandteile der Zuwiderhandlung
seien nämlich untrennbar miteinander verbundene Aspekte ein und desselben
Gesamtplans gewesen.
Würdigung durch das Gericht
- 43.
- Das Vorbringen der Klägerin ist so zu verstehen, daß sie die Entscheidung in bezug
auf ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung für unzureichend begründet hält.
- 44.
- Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der
Rechtssache 24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und vom 17.
Januar 1984 in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission,
Slg. 1984, 19, Randnr. 22, sowie Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der
Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 42) soll die
Begründung einer beschwerenden Entscheidung dem Gemeinschaftsrichter die
Ausübung seiner Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen
gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen,
damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung zutreffend
begründet ist.
- 45.
- Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen
Klagegrund dar, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend
gemacht wird; als solcher ist er von dem im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung
einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu unterscheiden, mit dem die
Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.
- 46.
- Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der
Beschreibung der abgestimmten Preiserhöhungen (Randnrn. 76, 78 und 79)
unmittelbar auf die Klägerin Bezug genommen. Außerdem beziehen sich die
Randnummern der Entscheidung, in denen die wettbewerbsfeindlichen Gespräche
im JMC beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58, 71, 73, 84, 85
und 87), zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an den Sitzungen dieses
Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen,
aus denen die Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging,
klar dargestellt (Randnrn. 116 bis 119).
- 47.
- Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende
Anhaltspunkte, denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen
Gesichtspunkte entnehmen konnte, die die Kommission dazu veranlaßten, sie für
eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verantwortlich zu
machen.
- 48.
- Folglich ist der Klagegrund einer unzureichenden Begründung der Entscheidung
als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Klagegrund einer fehlerhaften Würdigung der Dauer der Beteiligung der Klägerin
am Kartell
- 49.
- Die Klägerin trägt in ihren Schriftsätzen vor, die Kommission sei zu Unrecht davon
ausgegangen, daß sie ab Mitte 1986 am Kartell beteiligt gewesen sei (Randnr. 2 der
Entscheidung), während sie sich erst ab 1988 am Kartell beteiligt habe.
- 50.
- In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin an diesem Klagegrund jedoch
nicht festgehalten.
Zum Klagegrund einer fehlerhaften Würdigung der Teilnahme der Klägerin an den
verschiedenen Gremien und Ausschüssen der PG Karton
Vorbringen der Parteien
- 51.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe ihre Teilnahme an den verschiedenen
Gremien der PG Karton falsch gewürdigt. Sie habe nur sporadisch ab 1988 an
Sitzungen des JMC teilgenommen. Sie habe folglich nicht an „einer Reihe geheimer
und institutionalisierter Sitzungen“ (vgl. Randnr. 2, erster Gedankenstrich, der
Entscheidung) mitgewirkt. Insbesondere habe sie nicht an der Sitzung des JMC
vom 16. Oktober 1989 teilgenommen, auf die sich Anlage 109 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte (Randnr. 82 der Entscheidung) beziehe.
- 52.
- Sie habe weder an Sitzungen des PWG noch an Treffen der PK teilgenommen. Auf
die Einlassung der Kommission in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen,
daß Randnummer 42 der Entscheidung, in der es heiße, daß alle Hersteller an den
Sitzungen der PK teilgenommen hätten, einen redaktionellen Fehler enthalte, sei
zu entgegnen, daß die Teilnahme an den Sitzungen des PWG und der PK als
wesentlicher Bestandteil der Zuwiderhandlung angesehen worden sei.
- 53.
- Schließlich habe sie nur an einer Sitzung der WK teilgenommen, die zur
Besichtigung der neuen Anlagen der Kartonfabrik von Cascades gedient habe.
- 54.
- Die Kommission stellt das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Teilnahme an
Sitzungen der verschiedenen Gremien und Ausschüsse der PG Karton nicht in
Abrede. Aus der Entscheidung ergebe sich, daß nicht von einer umfangreicheren
als der von der Klägerin selbst eingeräumten Teilnahme an den Sitzungen der
Gremien der PG Karton ausgegangen worden sei.
- 55.
- Sie habe zwar in Randnummer 42 der Entscheidung fälschlich ausgeführt, daß alle
Adressaten der Entscheidung an den Sitzungen der PK teilgenommen hätten.
Dabei handele es sich aber nur um einen redaktionellen Fehler, wie Randnummer
119 der Entscheidung und die ihr beigefügte Tabelle 7 zeigten. Im übrigen sei die
Teilnahme an den Sitzungen der PK kein tragendes Element des Kartellvorwurfs.
- 56.
- Daß die Klägerin möglicherweise nicht an der Sitzung des JMC vom 16. Oktober
1989 teilgenommen habe, sei unerheblich.
- 57.
- Schließlich sei die Kommission zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin nur
an einer Sitzung der WK teilgenommen habe.
Würdigung durch das Gericht
- 58.
- Die Kommission ist unstreitig nicht von einer Teilnahme der Klägerin an den
Sitzungen des PWG ausgegangen.
- 59.
- Nach Tabelle 7 im Anhang der Entscheidung wirkte die Klägerin im JMC mit.
Überdies heißt es in der Entscheidung, daß sie seit 1986 an einer Sitzung der WK
teilgenommen habe.
- 60.
- Die Häufigkeit ihrer Teilnahme an den Sitzungen des JMC ist Tabelle 4 im Anhang
der Entscheidung zu entnehmen. Danach hat sie in der Zeit von Mitte 1986 bis
Ende 1990 an fünf Sitzungen dieses Gremiums teilgenommen, die alle zwischen
Februar 1990 und November 1990 stattfanden. Ferner heißt es in einer Fußnote:
„Buchmann gibt Teilnahme ab 1988 zu, für die Zeit vor 1990 liegen jedoch keine
näheren Angaben vor.“ Aus Tabelle 4 ergibt sich ferner, daß die Kommission nicht
von einer Teilnahme der Klägerin an der Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989
ausgegangen ist.
- 61.
- Schließlich geht hinsichtlich der Teilnahme an den Sitzungen der PK aus einer
Gesamtbetrachtung der Entscheidung hervor, daß es sich bei Randnummer 42
Absatz 1 Satz 1 („Alle Unternehmen, an die die vorliegende Entscheidung gerichtet
ist, waren in der Präsidentenkonferenz vertreten.“) um einen von der Kommission
eingeräumten redaktionellen Fehler handelt. Insoweit genügt der Hinweis darauf,
daß die Klägerin nach den der Entscheidung beigefügten Tabellen 3 und 7 nicht
zu den Unternehmen gehört, die an Sitzungen der PK teilnahmen.
- 62.
- Da die Teilnahme der Klägerin an Sitzungen des JMC, die Daten der Sitzungen
dieses Gremiums, an denen sie nach Ansicht der Kommission teilnahm, und ihre
Teilnahme an einer Sitzung der WK unstreitig sind, hat die Kommission ihre
Teilnahme an den Gremien der PG Karton ordnungsgemäß dargetan.
- 63.
- Folglich ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Klagegrund einer fehlerhaften Würdigung der Beteiligung der Klägerin an
Handlungen des Kartells
Vorbringen der Parteien
- 64.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß sie
sich an Maßnahmen zur Mengenkontrolle und zum Einfrieren der Marktanteile auf
dem erreichten Niveau beteiligt habe. Sie habe im fraglichen Zeitraum stets mit
voller Kapazität gearbeitet, ihre Maschinen nie abgestellt und ihre Erzeugnisse
auch nicht außerhalb der Gemeinschaft verkauft. Es sei ihr vielmehr gelungen, ihre
Umsätze auf dem französischen Markt durch eine aggressive Preispolitik zu
verdoppeln. Außerdem habe sie nie dem PWG angehört, bei dem es sich um das
Gremium der PG Karton handele, in dem gemäß Randnummer 56 der
Entscheidung über die Marktanteile diskutiert worden sei.
- 65.
- Zu ihrer angeblichen Beteiligung an Preisinitiativen führt sie unter Bezugnahme auf
Randnummer 38 der Entscheidung und auf ihr Schreiben an die Kommission vom
2. November 1991 aus, sie habe die von Feldmühle erhaltenen Informationen über
Preiserhöhungen nie angefordert. Außerdem hätten die von dieser einseitig
mitgeteilten Informationen ihr Verhalten nicht beeinflußt; die Preiserhöhungen von
Feldmühle seien auch oft geringer ausgefallen oder später erfolgt als angekündigt.
Entgegen der Behauptung der Kommission sei sie nicht voll über das Verhalten
ihrer Konkurrenten unterrichtet gewesen.
- 66.
- Sie sei auch keiner Preisdisziplin unterworfen worden. Dies werde dadurch belegt,
daß es ihr gelungen sei, ihre Marktanteile im In- und Ausland zu erhöhen. Die
Behauptung in Randnummer 136 letzter Absatz der Entscheidung, daß auf
Sitzungen des JMC „Zauderer gedrängt wurden, die Preiserhöhungen der
Marktführer zu unterstützen“, treffe folglich auf sie nicht zu.
- 67.
- Sie gehöre insbesondere nicht zu den Unternehmen, die nach Randnummer 77 der
Entscheidung an der zwischen Februar und April 1988 in Frankreich
durchgeführten Preiserhöhung teilgenommen hätten. Auch die Darstellung der
Preise in den bei FS-Karton gefundenen Notizen (Anlage 115 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) beziehe sich nicht auf sie, denn sie werde darin im
Zusammenhang mit der Angabe der bei den wichtigsten Kunden in Deutschland
praktizierten Preise nicht erwähnt.
- 68.
- Schließlich habe sie sich nie am Austausch von Informationen über die
Auftragseingänge und den Auftragsbestand beteiligt, weder der FIDES noch
anderen solche Informationen gemeldet und keine Statistiken darüber erhalten.
Nach Randnummer 82 der Entscheidung sei der Austausch von Informationen über
den Auftragsbestand jedoch ein wichtiger Faktor des Kartells gewesen. Außerdem
sei die Kommission von der irrigen Annahme ausgegangen, daß sie tatsächlich am
fraglichen Informationsaustausch (vgl. Randnrn. 2, 116 und 134 der Entscheidung)
und insbesondere an der Überwachung der Auftragsbestände mitgewirkt habe.
- 69.
- Nach Ansicht der Kommission enthalten die Entscheidung und ihre Anhänge eine
Beschreibung des Tatbeitrags der Klägerin in bezug auf die Maßnahmen zur
Kontrolle des Angebots und zur Festlegung der Marktanteile (vgl. Randnrn. 44 ff.,
49 ff., 74 ff. und 167 ff.).
- 70.
- Außerdem sei in den Randnummern 116 ff. der Entscheidung klargestellt worden,
daß die Beteiligung jedes Unternehmens an jeder Handlung des Kartells nicht im
einzelnen nachgewiesen werden müsse. Alle Handlungen hätten zu einem
Gesamtplan gehört, mit dem ein gemeinsames Ziel verfolgt worden sei, und die
Unternehmen, die dem Gesamtplan zugestimmt hätten, hätten daher zwangsläufig
am gesamten Kartell mitgewirkt.
- 71.
- Das JMC habe eine äußerst wichtige Funktion innerhalb des Kartells erfüllt, da es
u. a. zu seinen Aufgaben gehört habe, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls wie sich
Preiserhöhungen durchsetzen ließen. Im JMC seien die praktischen Aspekte der
Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen erörtert und ausgearbeitet
worden. Es sei auch für die tatsächliche Umsetzung der Preisinitiativen
verantwortlich gewesen. Die fortgesetzte Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen
dieses Gremiums rechtfertige unter diesen Umständen den gegen sie erhobenen
Vorwurf. Angesichts des Charakters der Gespräche im JMC sei es auf dessen
Sitzungen nämlich zwangsläufig um die Mengenkontrolle und die Marktaufteilung
gegangen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sei daher davon auszugehen, daß
die Klägerin den dort getroffenen Absprachen zugestimmt habe (vgl. Urteil des
Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, Randnrn. 56 und 66 f.).
- 72.
- Daß die Klägerin möglicherweise nicht an allen fraglichen Maßnahmen beteiligt
gewesen sei, spiele keine Rolle, denn diese Maßnahmen hätten zwar vor allem
große Hersteller betroffen, ließen sich aber nicht von den Maßnahmen in bezug auf
Preiserhöhungen trennen (vgl. Urteile des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der
Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 287, und
vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules
Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 272). Der Grund für die
Erstreckung des Kartells auf Mengenkontrollen und die ausdrückliche Erwähnung
einer „Preis-vor-Menge“-Politik habe nämlich gerade darin bestanden, daß allen
Herstellern bewußt gewesen sei, daß sich Preiserhöhungen bei einem Überangebot
nicht durchsetzen ließen.
- 73.
- Auch das Vorbringen der Klägerin, daß sie ihre Maschinen nicht abgestellt und ihre
Kapazitäten ausgenutzt habe, sei unerheblich, denn in den Randnummern 70 ff. der
Entscheidung werde ausdrücklich dargelegt, daß die Kapazitäten 1988 und 1989 voll
ausgelastet gewesen und die Hersteller 1990 zu Abstellzeiten ermutigt worden
seien. Da sich die getroffenen Vereinbarungen unstreitig auf Mengenkontrollen
erstreckt hätten, spiele der individuelle Beitrag der Klägerin zur Einhaltung dieser
Vereinbarungen zudem für die Frage ihrer Beteiligung an ihnen keine Rolle (vgl.
Urteile des Gerichts in der Rechtssache Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 125,
und vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992,
II-1021, Randnrn. 291, 293 und 305).
- 74.
- Die Klägerin bestreite nicht, an den in den Anhängen der Entscheidung im
einzelnen aufgeführten Preisinitiativen beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere habe
ihr die Kommission eine Beteiligung an der zwischen Februar und April 1988 in
Frankreich durchgeführten Preiserhöhung nie vorgeworfen. Sie habe aber in
Deutschland an allen Preiserhöhungen während des maßgeblichen Zeitraums
mitgewirkt.
- 75.
- Die Behauptung der Klägerin, daß die Informationen von Feldmühle ihr Verhalten
nicht beeinflußt hätten, ändere nichts daran, daß sie aufgrund ihrer Teilnahme an
den Sitzungen des JMC stets Gewißheit über das zukünftige Verhalten ihrer
Konkurrenten gehabt habe.
- 76.
- Was schließlich den Informationsaustausch anbelange, so treffe es zu, daß die
Klägerin der FIDES ihre Auftragseingänge und -bestände nicht gemeldet habe. Wie
in Randnummer 69 der Entscheidung dargelegt werde, sei es jedoch üblich
gewesen, daß die Hersteller auf den Sitzungen des JMC ihren Auftragsbestand
offengelegt hätten. Dies werde durch die bei FS-Karton gefundenen Notizen
(Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, vgl. Randnr. 92 der
Entscheidung) bestätigt, die Angaben über die prozentualen Marktanteile und den
Auftragsbestand bestimmter Unternehmen sowie über Preise und geplante
Preisanhebungen enthielten.
- 77.
- Die Klägerin bestreite nur, von der FIDES Statistiken erhalten zu haben, nicht aber
die Erlangung solcher Informationen aus anderer Quelle (Schreiben an die
Kommission vom 5. August 1991, Punkt 6 unter c).
Würdigung durch das Gericht
- 78.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich im Fall der Klägerin
von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990 an einer seit Mitte 1986
bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch
die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. „sich über regelmäßige
Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten“ und
„gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft
planten und durchführten“, „sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die
Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten“
und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung
der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.
- 79.
- Folglich haben alle in Artikel 1 der Entscheidung aufgeführten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer einzigen
Zuwiderhandlung in Form von Absprachen beteiligten, die sich auf drei
verschiedene Gegenstände bezogen, mit denen aber ein gemeinsames Ziel verfolgt
wurde. Diese Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells anzusehen.
- 80.
- Die Klägerin beteiligte sich unstreitig vor März 1988 nicht an einer
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages. Ferner bestreitet die
Klägerin weder, in der Zeit von Februar 1990 bis Ende 1990 an fünf Sitzungen des
JMC teilgenommen zu haben, noch ihre Teilnahme an einer Sitzung der WK im
Februar 1990.
- 81.
- In bezug auf das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin in der Zeit von März
1988 bis Ende 1990 geht aus der Entscheidung hervor, daß die Kommission über
Beweise zu verfügen glaubt, nach denen dieses Unternehmen im März/April 1988,
im Oktober 1988, im April 1989, im Oktober 1989 und im April 1990 an
abgestimmten Preiserhöhungen in Deutschland teilnahm.
- 82.
- Angesichts dessen ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß sich die
Klägerin im fraglichen Zeitraum an den drei Bestandteilen der Zuwiderhandlung
einer Preisabsprache, einer Absprache über die Abstellzeiten und einer
Absprache über die Marktanteile beteiligte, bevor auf das Vorbringen der
Klägerin zum Informationsaustauschsystem der FIDES eingegangen wird.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache
- 83.
- Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende
Hauptaufgabe:
„ zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie,
und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;
die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten
Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in
Europa zu gelangen ...“ (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).
- 84.
- Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der
Entscheidung folgendes aus:
„[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG
vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die
praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen
wurden in .Round Table'-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer
Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äußern.
Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen
Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit
wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) .zu versuchen
hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen'. Das JMC
erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG
aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die
hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern.“
- 85.
- Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der
Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte).
- 86.
- Außerdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung
des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über
die Sitzungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990
erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). In
diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der
Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen
wiedergegeben, die auf diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen
stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben
des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.
- 87.
- Insoweit genügt es, als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die
Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a. heißt:
„Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:
Frankreich 40 FF
Niederlande 14
Deutschland 12 DM
Italien 80 LIT
Belgien 2,50 BFR
Schweiz 9 FS
England 40 UKL
Irland 45 IRL
Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.
Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr.
Für Lieferungen ab 7. Januar.
Nicht später als 31. Januar.
Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof).
19. September. Brief von Feldmühle geht raus.
Cascades vor Ende September.
Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein.“
- 88.
- Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert,
konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die
Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen
tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.
- 89.
- Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl
der Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum betreffen,
bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die
Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten
Preiserhöhungen festzulegen und zu planen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von
offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender
Beweis für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den
Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der
Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der
Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt,
und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums
teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmäßiges Ziel verfolgte.
Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht
angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums
geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.
- 90.
- Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an fünf
Sitzungen des JMC in einem Zeitraum von etwa elf Monaten angesichts des
Vorstehenden und trotz des Fehlens schriftlicher Beweise für die bei diesen fünf
Sitzungen geführten Gespräche als hinreichender Beleg für ihre Beteiligung an der
Preisabsprache während dieses Zeitraums anzusehen.
- 91.
- Diese Feststellung wird durch die von der Kommission angeführten Unterlagen
zum tatsächlichen Preisverhalten der Klägerin bestätigt. Insoweit stellt die Klägerin
die Angaben in den der Entscheidung beigefügten Tabellen zum Umfang der
Preiserhöhungen und zum Zeitpunkt ihrer Ankündigung und ihres Inkrafttretens
nicht in Abrede. Aus diesen Tabellen geht hervor, daß die Klägerin in der Zeit, für
die ihr die Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, auf dem deutschen Markt
Preiserhöhungen angekündigt und vorgenommen hat, die hinsichtlich des Umfangs,
des Zeitpunkts der Ankündigung und des Inkrafttretens den in der PG Karton
getroffenen Entscheidungen entsprachen.
- 92.
- Das Vorbringen der Klägerin, daß ihr Verhalten durch die von Feldmühle
erhaltenen Informationen über Preiserhöhungen nicht beeinflußt worden sei, ist
zurückzuweisen. Zum einen bestätigt nämlich ihr Eingeständnis, Informationen über
die Preise erhalten zu haben, folgende Aussage von Stora: „Kleinere deutsche
Hersteller von GD-Sorten, die auf den PWG-Sitzungen nicht vertreten waren
darunter Buchmann und [Laakmann] , wurden von Zeit zu Zeit durch eines der
deutschsprachigen Unternehmen, die an diesen Sitzungen teilnahmen d. h.
Feldmühle, Mayr-Melnhof, Weig , über ihren Ausgang informiert“ (Anlage 38 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte). Zum anderen wird die Behauptung eines
angeblichen autonomen Marktverhaltens durch die zu diesem Punkt in der
Entscheidung enthaltenen und von der Klägerin nicht bestrittenen Angaben nicht
gestützt.
- 93.
- Im Ergebnis hat die Kommission somit nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der
Zeit von März 1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache beteiligte.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
- 94.
- Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG
teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die
Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.
- 95.
- Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfaßte der eigentliche
Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora „die Erörterung und
Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“.
Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die „1987 im PWG erzielte
Vereinbarung“ (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu
gedient, „.das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten“ (Randnr. 58
Absatz 1 der Entscheidung).
- 96.
- Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die
Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der
Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine
entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität
zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt
es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten
zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht
durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen
Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich
anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt
werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“
(Randnr. 70 der Entscheidung).
- 97.
- Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedem
Hersteller seine .Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische
Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller
aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses System der
Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
- 98.
- In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt
24) führt Stora aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den
PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988
erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden,
um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne
Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts
zunehmender Überkapazität nicht halten können.“
- 99.
- Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die
Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen
Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ...
Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die
Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch)
einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden.
Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses
System der Ermutigung bestand ...“
- 100.
- Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten
der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn
Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller)
vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
- 101.
- Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten
Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im
„Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“. Der Ausdruck „Präsidentenkreis“
ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG
und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein
bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese Auslegung braucht im vorliegenden
Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
- 102.
- Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung
der Aktennotiz als „Verlierer“ ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen
einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten
dar.
- 103.
- Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:
„4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten
über das Gewollte.
...
c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren
Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte
Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere
geänderte Einstellung zum Markt nicht früher wurde nur Tonnage
gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen
abzustellen).“
- 104.
- Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte),
daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt
betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser
Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im
„Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das
Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung
von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar
die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros
angewandt wird.
- 105.
- Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer
Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den
Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.
- 106.
- In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden
Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.
- 107.
- Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:
„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller
auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.
Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen)
waren aus zweierlei Gründen wichtig:
einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen
vorgenommen werden können;
zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“
(Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).
- 108.
- Ferner stellt sie fest:
„Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe
Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere
Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen ..., daß die großen Hersteller
ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne
unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang
zuvorzukommen“ (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).
- 109.
- Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117
und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über
Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten
Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September 1990 (siehe auch
oben, Randnr. 87), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die
Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in
Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der
Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen,
die er z. B. wie folgt aufführt:
„Kopparfors 5 15 days
5/9 will stop for five days“
- 110.
- Außerdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte
obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten
enthalten , daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungendes JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.
- 111.
- Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen
hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC
vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der
Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewußt, daß
durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die
Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die
Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern
auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das
vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht
aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die
Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung
einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt
hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die
Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer
künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern
würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.
- 112.
- Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der
Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen,
daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des
JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die
Abstellzeiten nachgewiesen hat.
- 113.
- Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von März 1988 bis
Ende 1990 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
- 114.
- Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu
haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu
stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine
Vereinbarung getroffen hätten, die „ein .Einfrieren' der Marktanteile der
führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfaßte], ohne
daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch
aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen“ (Randnr. 52
Absatz 1).
- 115.
- Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf
die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes
ausführt:
„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen,
nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile
unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der .Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie
sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf
verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie
ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten
entsprechend anzupassen“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
- 116.
- Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die
Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:
„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht
über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen
der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft
der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanter
Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.
In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht
am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder
Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine
Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).
- 117.
- Die Kommission stützt sich somit wie Stora im wesentlichen auf die Annahme,
daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber
nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung
beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über
die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren
Beweise gibt.
- 118.
- Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die
Kommission kein Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die
nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung
zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller
vorsah.
- 119.
- Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer
Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg
dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten.
Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der
Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder
der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die
Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller
der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich
gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt
selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere
des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion
zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten
Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an
der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sich
die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, unmittelbar
an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wußten
oder zwangsläufig davon wissen mußten.
- 120.
- Drittens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und
3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von
Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des
Nordic Paperboard Institute (NPI) am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als
zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die
Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme
auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den
bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die
Marktanteile darstellen kann.
- 121.
- Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der
vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein
Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen
entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile
des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen
unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn
feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells
unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen
werden, sofern es wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß die Absprache, an
der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan
auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die
Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des
Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher
Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten
Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
- 122.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin
wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines
Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die
Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die
Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.
- 123.
- Somit ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die
Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin
beteiligte, „vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen ... [zur] Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller“ diente, in bezug auf die
Klägerin für nichtig zu erklären.
Zum Vorbringen der Klägerin in bezug auf das Informationsaustauschsystem
der FIDES
- 124.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer Vereinbarung
und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. „als Absicherung
der vorgenannten Maßnahmen [d. h. einer Preisabsprache, einer Absprache über
die Marktanteile und einer Absprache über die Abstellzeiten]
Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände
und Kapazitätsauslastung) austauschten“.
- 125.
- In bezug auf das Informationsaustauschsystem der FIDES ist die Entscheidung
angesichts ihres verfügenden Teils und ihrer Randnummer 134 Absatz 3 dahin
auszulegen, daß die Kommission den Verstoß dieses Systems gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte.
- 126.
- Gemäß Randnummer 134 Absatz 3 der Entscheidung handelte es sich beim
Informationsaustauschsystem der FIDES um „eine wichtige Hilfe bei
der laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile;
der laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im
Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung;
den Entscheidungen darüber, ob abgestimmte Preiserhöhungen
vorgenommen werden könnten;
der Planung der notwendigen Abstellzeiten“.
- 127.
- Die Behauptung der Klägerin, daß sie der FIDES keine Informationen über die
Auftragseingänge und den Auftragsbestand geliefert habe, wird von der
Kommission nicht bestritten. In der Entscheidung wird auch nicht geltend gemacht,
daß die Klägerin der FIDES solche Informationen geliefert habe. Die Kommission
beschränkt sich in Randnummer 61 Absatz 2 der Entscheidung auf die Feststellung,
daß die „meisten Mitglieder der PG Karton“ der FIDES Informationen verschafft
hätten.
- 128.
- Da der Verstoß des Informationsaustauschsystems der FIDES gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages nur darin gesehen wurde, daß es das festgestellte Kartell
stützte, ist die Tatsache, daß die Klägerin dieses System nicht mit Informationen
versorgte, als solche unerheblich. Dagegen ist zu prüfen, ob die Klägerin an den
Gesprächen über die FIDES-Statistiken teilnahm, um die wettbewerbswidrigen
Verhaltensweisen zu unterstützen, an denen sie sich nachweislich beteiligte.
- 129.
- Insoweit hat die Klägerin in einem Schreiben an die Kommission vom 13. August
1991, mit dem ein Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17
beantwortet wurde, die Beteiligung an Gesprächen über die FIDES-Statistiken
eingeräumt und dies in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In bezug auf die
Gespräche im Rahmen der Sitzungen des JMC führt sie in dem fraglichen
Schreiben aus (Punkt 6 unter c): „Besprochen wurden vor allem die Fides-Statistiken ... Daneben beanspruchten Berichte über die Beschäftigung der
einzelnen Unternehmen viel Zeit. Für uns waren die jeweils aktuellen Statistiken
der Fides zum Auftragseingang, Auftragsbestand, verkauften und unverkauften
Lagerbestand im Vergleich zur Kapazität der meldenden Firmen von großem
Interesse; da wir an den entsprechenden Meldungen zur Fides nicht teilnahmen,
erhielten wir von dort diese Statistiken nicht.“
- 130.
- Im übrigen bestreitet die Klägerin nicht die Richtigkeit der Behauptungen in der
Entscheidung über die Verwendung der FIDES-Statistiken zu wettbewerbswidrigen
Zwecken (siehe oben, Randnr. 126).
- 131.
- Unter diesen Umständen ist der Beweis erbracht, daß sie an einem u. a. die
Auftragseingänge und den Auftragsbestand betreffenden Informationsaustausch
teilnahm, um die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu unterstützen, an denen
sie sich nachweislich beteiligte.
- 132.
- Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf
die Klägerin für nichtig zu erklären; im übrigen ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund, daß die Kommission fälschlich angenommen habe, daß die Klägerin
den vorgebrachten Sachverhalt im Kern nicht bestritten habe
- 133.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe zu Unrecht behauptet, daß sie zu den
Adressaten der Entscheidung gehört habe, die „in ihren schriftlichen Einlassungen
nicht den Versuch [unternahmen], die gegen sie in der Mitteilung derBeschwerdepunkte vorgebrachten Sachverhalte im Kern zu bestreiten“ (Randnr.
107 der Entscheidung).
- 134.
- Dieser Klagegrund ist zurückzuweisen.
- 135.
- Die Klägerin hat nicht erläutert, inwiefern sich eine etwaige Unrichtigkeit der
Entscheidung in diesem Punkt auf deren Rechtmäßigkeit hätte auswirken können.
Sie macht insoweit nicht geltend, daß sie daran gehindert gewesen sei, die
Tatsachenbehauptungen der Kommission im Verwaltungsverfahren oder im
Verfahren vor dem Gericht zu bestreiten.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt
wurde
- 136.
- In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen
die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindung
der Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit
gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu
ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen
Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren
Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden
Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.
- 137.
- Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden
ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer
mündlicher Ausführungen behandeln wollten, darunter
a) die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des
Kartells,
b) das allgemeine Bußgeldniveau und dessen Begründung in der Entscheidung
und
c) die Frage der Rechtmäßigkeit der von der Kommission gewährten
Bußgeldnachlässe.
- 138.
- In ihrer Klageschrift hat die Klägerin einige Bemerkungen zur Begründung der
Entscheidung in bezug auf die Geldbußen gemacht (siehe unten, Randnr. 158).
Dagegen enthält die Klageschrift kein Vorbringen zur Beschreibung des Marktes
und zu den fehlenden Auswirkungen des Kartells, zum allgemeinen Bußgeldniveau
oder zur Rechtmäßigkeit der von der Kommission gewährten Bußgeldnachlässe.
Die Klägerin hat in der Verhandlung gleichwohl erklärt, daß sie sich den
betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.
- 139.
- Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es
sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin
keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder
tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen rechtfertigen
könnte.
- 140.
- Daher sind die betreffenden Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in der
Verhandlung berufen hat, unzulässig.
Zum Klagegrund der fälschlichen Berücksichtigung des durch den Verkauf von
Graukarton erzielten Umsatzes bei der Bußgeldbemessung
Vorbringen der Parteien
- 141.
- In der Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, die Kommission habe bei
der Bußgeldbemessung eine falsche Umsatzzahl herangezogen. Aus der Antwort
der Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts gehe hervor, daß die Höhe
der einzelnen Geldbußen anhand des jeweiligen Umsatzes der in Artikel 1 der
Entscheidung genannten Unternehmen im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der
Gemeinschaft festgelegt worden sei.
- 142.
- In ihrem Fall habe die Kommission fälschlich den 1990 mit einem von der
Entscheidung nicht erfaßten Erzeugnis, dem Graukarton (vgl. Randnr. 4 Absatz 2
der Entscheidung), erzielten Umsatz einbezogen.
- 143.
- Sie habe der Kommission mit Schreiben vom 28. August 1991 in Beantwortung
eines Auskunftsverlangens gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Auskünfte
über ihren u. a. im Jahr 1990 durch den Verkauf von Karton erzielten Umsatz
erteilt. Sie habe in diesem Schreiben angegeben, daß sie mit Kartonprodukten
weltweit einen Umsatz von etwa 156 Millionen DM erzielt habe, davon etwa 154
Millionen DM auf dem Gemeinschaftsmarkt. Aus dem Schreiben gehe klar hervor,
daß etwa 17 % der mitgeteilten Beträge auf den Verkauf anderer Kartonprodukte
als „FBB“ (vgl. in diesem Zusammenhang die Definitionen der verschiedenen
Kartonsorten in Randnr. 4 der Entscheidung) entfielen. Die Kommission hätte ihr
daher zusätzliche Fragen stellen müssen, um genauere Auskünfte über den Umsatz
zu erhalten, der allein mit den in das Verfahren einbezogenen Erzeugnissen erzielt
worden sei.
- 144.
- Da der Klägerin bis zum Erhalt der Antwort der Kommission auf eine schriftliche
Frage des Gerichts nach der Methode zur Festlegung der Höhe der Geldbußen
nicht bekannt gewesen sei, wie die Geldbußen berechnet worden seien, habe sie
den von der Kommission begangenen Fehler in ihrer Klageschrift nicht rügen
können.
- 145.
- Die Kommission hat geantwortet, daß das Schreiben der Klägerin vom 28. August
1991 keine Aufschlüsselung des Umsatzes nach Kartonsorten enthalte. Außerdem
gehe aus diesem Schreiben zwar hervor, daß der mitgeteilte Umsatz nicht allein
durch den Verkauf von „FBB“ erzielt worden sei, aber die Entscheidung betreffe
auch nicht allein diese Kartonsorte (vgl. Randnr. 4 der Entscheidung). Schließlich
sei in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hingewiesen
worden, daß sich das Verfahren nicht auf Graukarton erstrecke. Unter diesen
Umständen sei sie berechtigt gewesen, sich auf die von der Klägerin mitgeteilte
Zahl zu stützen.
Würdigung durch das Gericht
- 146.
- Wie bereits ausgeführt, können gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der
Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des
Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder
tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage
getreten sind.
- 147.
- Im vorliegenden Fall ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß sich
dieser Klagegrund auf Gründe stützt, die in der Antwort der Kommission auf eine
schriftliche Frage des Gerichts zutage getreten sind.
- 148.
- Wie sich aus Randnummer 169 Absatz 1, dritter Gedankenstrich, der Entscheidung
ergibt, hat die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen gegen die einzelnen
Unternehmen u. a. den Umsatz in der ganzen Kartonbranche berücksichtigt.
Außerdem führt die Kommission in Randnummer 4 Absätze 1 und 2 der
Entscheidung aus, daß diese sich auf GC-, GD- und SBS-Karton erstrecke, während
andere Erzeugnisse wie Graukarton „nicht unter den Begriff .Karton'
(Cartonboard) [fallen], wie er von den Herstellern selbst verwendet wird, und ...
nicht Gegenstand dieses Verfahrens [sind]“.
- 149.
- Der Klägerin konnte daher nicht verborgen bleiben, daß die Kommission die Höhe
jeder Geldbuße anhand des Umsatzes der einzelnen Unternehmen „in der ganzen
Kartonbranche“ festlegte, d. h. anhand des Umsatzes, den die einzelnen
Unternehmen allein durch den Verkauf der von der Entscheidung erfaßten
Erzeugnisse unter Ausschluß insbesondere von Graukarton erzielt hatten.
- 150.
- Im übrigen enthält die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügte
Einzeldarstellung Angaben zu dem von der Klägerin in den Jahren 1988 bis 1990
im Kartonbereich erzielten Umsatz. Daraus geht hervor, daß die Kommission das
Schreiben der Klägerin vom 28. August 1991 so verstanden hat, daß der von ihr
mitgeteilte Umsatz allein die in das Verfahren einbezogenen Erzeugnisse betraf.
Hierzu ist festzustellen, daß die von der Klägerin übermittelten Umsatzzahlen nicht
nach Kartonprodukten aufgeschlüsselt waren.
- 151.
- Da die Klägerin schließlich nicht geltend gemacht hat, daß die Kommission über
Informationen eventuell für einen anderen Zeitraum als das Jahr 1990
hinsichtlich des Umsatzes verfügt habe, den die Klägerin allein mit den von der
Entscheidung erfaßten Erzeugnissen erzielte, verfügte die Klägerin zum Zeitpunkt
der Erhebung der vorliegenden Klage über alle zur Geltendmachung des in Rede
stehenden Klagegrundes erforderlichen Angaben.
- 152.
- Der Klagegrund ist folglich als unzulässig zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der fälschlichen Berücksichtigung des weltweiten Umsatzes der
Klägerin
- 153.
- In der Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, der Übersicht über die
Festlegung der Höhe der Geldbußen, die die Kommission in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegt habe, sei zu entnehmen, daß die gegen
sie festgesetzte Geldbuße anhand des durch den Kartonverkauf weltweit erzielten
Umsatzes (76,2 Millionen ECU oder etwa 156 Millionen DM) und nicht des in der
Gemeinschaft erzielten Umsatzes (75,1 Millionen ECU oder etwa 154 Millionen
DM) ermittelt worden sei.
- 154.
- Die Kommission hat sich darauf beschränkt, die Richtigkeit dieser Behauptung zu
bestreiten.
- 155.
- Wie die von der Kommission vorgelegte Übersicht zeigt, ist sie bei der Ermittlung
der gegen die Klägerin festzusetzenden Geldbuße von einem Umsatz von 76,2
Millionen ECU ausgegangen. Aus der der Mitteilung der Beschwerdepunkte
beigefügten Einzeldarstellung geht hervor, daß diese Zahl dem von der Klägerin
im Jahr 1990 durch den weltweiten Kartonverkauf erzielten Umsatz entspricht. Wie
sich aus dieser Einzeldarstellung ferner ergibt, verfügte die Kommission auch über
den von der Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatz im
Kartonbereich.
- 156.
- Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, daß vergleichbare
Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern eine
Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist, hätte die Kommission daher, wie
sie es bei den anderen in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen
getan hat, den von der Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten
Umsatz im Kartonbereich von 75,1 Millionen ECU und nicht den auf dem
Weltmarkt erzielten Umsatz heranziehen müssen. Zudem konnte die Klägerin erst
dann, als sie erfuhr, wie die Kommission bei der Ermittlung der Höhe der
einzelnen Geldbußen vorgegangen war, feststellen, daß die Kommission in ihrem
Fall von einem anderen Umsatz als bei den übrigen von der Entscheidung erfaßten
Unternehmen ausgegangen war. Da der im Jahr 1990 durch den Kartonverkauf in
der Gemeinschaft erzielte Umsatz um 1,1 Millionen ECU niedriger war als der
weltweite Umsatz mit diesem Erzeugnis im Jahr 1990, ist eine Herabsetzung der
Geldbuße gerechtfertigt.
- 157.
- Das Gericht wird dieser Feststellung im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur
unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen Rechnung tragen (siehe unten,
Randnr. 181).
Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages in bezug auf die
Geldbußen
Vorbringen der Parteien
- 158.
- Die Klägerin macht in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen geltend, daß
die Kommission die Tatsachen, die zur Festsetzung einer Geldbuße geführt hätten,
nicht ausreichend geprüft habe und daß sie in der Entscheidung hätte angeben
müssen, wie sie den Sachverhalt bewertet habe und von welchen Gründen sie sich
bei der Bemessung der Geldbuße habe leiten lassen.
- 159.
- In der Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, daß sie eine Verletzung der
Pflicht zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbußen habe rügen
wollen (siehe oben, Randnr. 138).
- 160.
- Die Kommission geht auf dieses Vorbringen in ihren Schriftsätzen nicht gesondert
ein. In der Verhandlung hat sie im Rahmen ihrer Antwort auf die gemeinsamen
mündlichen Ausführungen zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die
Geldbußen vorgetragen, die Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung
enthielten eine ausreichende Begründung für die von ihr bei der Bestimmung der
Höhe der Geldbußen herangezogenen Gesichtspunkte.
Würdigung durch das Gericht
- 161.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich die Klägerin in ihren Schriftsätzen nicht
ausdrücklich auf den Klagegrund eines Begründungsmangels der Entscheidung in
bezug auf die Geldbußen berufen hat. Sie hat jedoch in der Verhandlung
klargestellt, daß sie sich auf einen solchen Klagegrund habe berufen wollen, und
sich insoweit den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen
angeschlossen. Da der Klagegrund der Verletzung von Artikel 190 des Vertrages
von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ist im vorliegenden Fall seine Begründetheit
zu prüfen, ohne daß auf die Frage seiner Zulässigkeit eingegangen zu werden
braucht.
- 162.
- Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von
Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfungder Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen
so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung
zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre
Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der
Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen
wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache
T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51).
- 163.
- Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen
mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln
der Gemeinschaft Geldbußen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des
Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere
der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln
ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die
Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder
abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden
müßten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache
C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).
- 164.
- Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen
Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue
mathematische Formel anzuwenden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom
6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995,
II-1165, Randnr. 59).
- 165.
- Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der Höhe der
individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien finden sich in den
Randnummern 168 und 169 der Entscheidung. Zudem führt die Kommission in
bezug auf die individuellen Geldbußen in Randnummer 170 aus, daß die
Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich
als „Anführer“ des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen „gewöhnliche
Mitglieder“ angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern
171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbußen
erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der
Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen, darunter die
Klägerin, ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten
Geldbuße kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in
der Substanz nicht bestritten hätten.
- 166.
- In ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission
erläutert, daß die Geldbußen auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten
der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten
Umsatzes berechnet worden seien. Gegen die als „Anführer“ des Kartells
angesehenen Unternehmen seien Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und
gegen die übrigen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 %
festgesetzt worden. Schließlich habe die Kommission gegebenenfalls dem
kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen während des
Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen. Bei zwei Unternehmen seien die
Geldbußen aus diesem Grund um zwei Drittel und bei anderen Unternehmen um
ein Drittel herabgesetzt worden.
- 167.
- Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die
Angaben zur Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbußen enthält, daß diese
zwar nicht durch streng mathematische Anwendung allein der oben genannten
Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen jedoch bei der Berechnung der
Geldbußen systematisch herangezogen wurden.
- 168.
- In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbußen auf der
Grundlage des von den einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der
Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet wurden. Auch die zur
Berechnung der festgesetzten Geldbußen angewandten Basissätze von 9 % für die
als „Anführer“ angesehenen Unternehmen und von 7,5 % für die „gewöhnlichen
Mitglieder“ sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang
der Herabsetzung bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen
Unternehmen andererseits.
- 169.
- Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis
172 der Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu
findenden eingehenden Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten
Sachverhalte ausreichende und sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten
enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und der Dauer der von den
einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (in
diesem Sinne auch Urteil Petrofina/Kommission, Randnr. 264). Ebenso enthält
Randnummer 168 der Entscheidung, die im Licht der allgemeinen Erwägungen
über die Geldbußen in Randnummer 167 zu sehen ist, ausreichende Angaben zu
den Gesichtspunkten, die bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der
Geldbußen herangezogen wurden.
- 170.
- Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbußen wie hier auf der
Grundlage der systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten
ermittelt wird, die Angabe all dieser Faktoren in der Entscheidung den
Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die Kommission bei der
Festlegung der Höhe der individuellen Geldbuße Fehler begangen hat und ob die
Höhe jeder individuellen Geldbuße in Anbetracht der angewandten allgemeinen
Kriterien gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der
fraglichen Faktoren Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und
Umfang der Herabsetzung der Geldbußen in der Entscheidung keine
möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstoßende implizite Preisgabe
des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn
der Endbetrag der individuellen Geldbußen ergibt sich, wie die Kommission selbst
ausgeführt hat, nicht aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.
- 171.
- Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der
Entscheidung die systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am
Tag ihres Erlasses bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Begründung einer Entscheidung nach
ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst enthalten sein muß und daß
nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter außergewöhnlichen
Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992
in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992,
II-1931, Randnr. 131; in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 12. Dezember
1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439,
Randnr. 136).
- 172.
- Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der
Geldbußen in den Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso
detailliert ist wie die Begründung in früheren Entscheidungen der Kommission, die
ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der Klagegrund eines
Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der
Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem
Fall die Praxis der Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbußen
gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89
(Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und in zwei anderen
Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de
Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und
T-151/89 (Société des treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191,
abgekürzte Veröffentlichung) hat es das Gericht erstmals als wünschenswert
bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten
Geldbuße im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck
gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.
- 173.
- Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran
beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte
Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen heranzieht, diese
Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu
ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbuße zu überprüfen und
festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.
- 174.
- Unter den zuvor in Randnummer 172 genannten besonderen Umständen und unter
Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen
Verfahren alle Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbußen zu geben,
kann das Fehlen einer speziellen Begründung für den Berechnungsmodus der
Geldbußen in der Entscheidung im vorliegenden Fall nicht als Verstoß gegen die
Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise
Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbußen rechtfertigt.
- 175.
- Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
- 176.
- Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf
die Klägerin für nichtig zu erklären.
- 177.
- Hinsichtlich der in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten
Geldbuße ist zunächst zu klären, ob die Tatsache, daß der Klägerin im Rahmen der
von ihr begangenen Zuwiderhandlung keine Absprache über die Marktanteile zur
Last gelegt werden kann, zu einer Herabsetzung dieser Geldbuße führen muß.
- 178.
- Das Gericht ist im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten
Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so schwerwiegend bleibt, daß die
Geldbuße nicht herabzusetzen ist.
- 179.
- Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht
als „Anführer“ des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der
Kommission nicht zu den „treibenden Kräften“ des Kartells gehörte (Randnr. 170
Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 7,5 %
ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich
verhängt. Dieses von der Klägerin nicht beanstandete allgemeine Bußgeldniveau
erscheint gerechtfertigt.
- 180.
- Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG
vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile „sehr wohl bekannt“
gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der
Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen
über das „Einfrieren“ der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und
daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen
wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der
Entscheidung aus, „daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den
Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen
nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen“. Die der Klägerin fälschlich
zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission
selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.
- 181.
- Was die auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße gerichteten
Klagegründe anbelangt, so hat sich die Kommission nach den Feststellungen des
Gerichts bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße fälschlich auf den im Jahr
1990 durch den Verkauf von Karton weltweit erzielten Umsatz der Klägerin
gestützt, statt allein den in diesem Jahr durch den Absatz in der Gemeinschaft
erzielten Umsatz heranzuziehen. Da die übrigen Klagegründe zurückgewiesen
worden sind, setzt das Gericht die in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin
verhängte Geldbuße in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung
auf 2 150 000 ECU fest.
Kosten
- 182.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem
Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der
Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Verfahrens
des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601/EG der
Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85
EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton) wird in bezug auf die Klägerin für
nichtig erklärt.
2. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße wird auf 2 150 000 ECU festgesetzt.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des
Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.
VesterdorfBriët
Lindh
Potocki Cooke
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf