Language of document : ECLI:EU:T:2024:267

Rechtssache T157/23

(auszugsweise Veröffentlichung)

Kneipp GmbH

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

 Urteil des Gerichts (Achte Kammer) vom 24. April 2024

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionswortmarke Joyful by nature – Ältere Unionswortmarke JOY – Relatives Eintragungshindernis – Beeinträchtigung der Wertschätzung – Art. 8 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/1001 – Nachweis der Bekanntheit – Unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marke“

1.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer identischen oder ähnlichen bekannten älteren Marke – Auf nicht ähnliche Waren oder Dienstleistungen erweiterter Schutz der bekannten älteren Marke – Voraussetzungen – Wertschätzung der Marke im Mitgliedstaat oder in der Union – Begriff – Beurteilungskriterien

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 5)

(vgl. Rn. 15, 19)

2.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer identischen oder ähnlichen bekannten älteren Marke – Auf nicht ähnliche Waren oder Dienstleistungen erweiterter Schutz der bekannten älteren Marke – Voraussetzungen – Wertschätzung der Marke im Mitgliedstaat oder in der Union – Nachweis der Bekanntheit – Beweislast

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 5)

(vgl. Rn. 20-22, 38-42)

3.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer identischen oder ähnlichen bekannten älteren Marke – Auf nicht ähnliche Waren oder Dienstleistungen erweiterter Schutz der bekannten älteren Marke – Wortmarken Joyful by nature und JOY

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 5)

(vgl. Rn. 31-36, 58-60, 73-75, 88, 92)

Zusammenfassung

Mit seinem Urteil weist das Gericht die Klage der Klägerin, der Kneipp GmbH, Anmelderin einer Marke, ab und äußert sich zu der Frage, von wem der Nachweis der Bekanntheit einer Marke zu erbringen ist. Es ist der Ansicht, dass der Nachweis der Bekanntheit einer Marke zwar von dem Inhaber dieser Marke zu erbringen ist, der Verlust der Bekanntheit sich jedoch schrittweise vollzieht, so dass es Sache der Klägerin ist, zu beweisen, dass die Bekanntheit, die die ältere Marke im Lauf vieler Jahre schrittweise erworben hat, im letzten geprüften Jahr plötzlich verschwunden ist.

Am 29. November 2019 meldete die Klägerin beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Unionswortmarke Joyful by nature an(1).

Jean Patou legte gegen die Eintragung dieser Marke Widerspruch ein und machte eine Verwechslungsgefahr und eine Beeinträchtigung der Wertschätzung mehrerer seiner älteren Rechte geltend, darunter die 2016 eingetragene Unionswortmarke JOY.

Die Widerspruchsabteilung des EUIPO gab dem Widerspruch auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 im Hinblick auf die Bekanntheit dieser älteren Marke statt(2).

Auf eine Beschwerde der Klägerin hob die Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Widerspruchsabteilung für bestimmte Dienstleistungen teilweise auf. Hinsichtlich der übrigen Waren und Dienstleistungen wies sie die Beschwerde jedoch insbesondere mit der Begründung zurück, dass Jean Patou die hohe Bekanntheit der älteren Marke für Parfümeriewaren und Duftstoffe nachgewiesen habe.

Daher hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 geltend macht.

Würdigung durch das Gericht

Im Rahmen der Beurteilung der Bekanntheit der älteren Marke weist das Gericht zunächst darauf hin, dass die Bekanntheit zum Zeitpunkt der Anmeldung der angemeldeten Marke nachzuweisen ist, d. h. im vorliegenden Fall am 29. November 2019.

Erstens stellt das Gericht fest, dass die von Jean Patou vorgelegten Beweise belegen, dass die ältere Marke zu diesem Zeitpunkt in einem wesentlichen Teil des Unionsgebiets für Parfümeriewaren und Duftstoffe bekannt war. Die ältere Marke ist nämlich der angesprochenen breiten Öffentlichkeit weithin bekannt, auch wenn die in den genannten Beweisen angeführten renommierten Auszeichnungen, die das Joy-Parfum erhalten hat, mehrere Jahre zurückliegen und die Verkaufszahlen zwischen 2013 und 2018 rückläufig waren. Jedenfalls ist das Gericht der Auffassung, dass die ältere Marke in der Vergangenheit über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügt hat, der, selbst wenn man annähme, dass er über die Jahre abgebaut haben mag, zum Zeitpunkt der Anmeldung der angemeldeten Marke gleichwohl noch vorlag, so dass bis zu diesem Zeitpunkt eine gewisse „Restbekanntheit“ überdauern konnte.

Zweitens äußert sich das Gericht zur Beweislast für die Bekanntheit und weist darauf hin, dass ein Dokument, das einige Zeit vor oder nach dem Anmeldetag der in Rede stehenden Marke erstellt wurde, sachdienliche Hinweise enthalten kann, wenn man berücksichtigt, dass die Bekanntheit einer Marke im Allgemeinen schrittweise erworben wird. Die gleichen Erwägungen gelten für den Verlust einer solchen Bekanntheit, die im Allgemeinen ebenfalls schrittweise verloren geht. Der Beweiswert eines solchen Dokuments kann davon abhängen, wie weit der Zeitraum, den es betrifft, vom Anmeldetag entfernt ist. Insoweit geht aus der Rechtsprechung hervor, dass allein der bloße Umstand, dass Beweismittel ein Datum tragen, das fünf Jahre vor dem Anmeldetag liegt, ihnen nicht ihren Beweiswert absprechen kann. Aus der Rechtsprechung ergibt sich ferner, dass der Nachweis der Bekanntheit von dem Inhaber der älteren Marke zu erbringen ist.

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer hervorgehoben, dass die meisten der vorgelegten Beweismittel den Zeitraum von 2013 bis 2017 betrafen und einige von ihnen aus den Jahren 1990, 2000 oder 2006 stammten, dass die Beweismittel aber tatsächlich Angaben zu den kontinuierlichen Bemühungen von Jean Patou enthielten, seinen Marktanteil im Jahr 2018 zu halten. Sie hat hinzugefügt, dass der Verlust der Wertschätzung selten auf einmal eintrete, sondern vielmehr ein kontinuierlicher Prozess über einen längeren Zeitraum sei, da Bekanntheit in der Regel über Jahre hinweg aufgebaut werde und nicht einfach aktiviert und deaktiviert werden könne. Daher liege die Beweislast für einen derart drastischen Verlust an Bekanntheit innerhalb eines kurzen Zeitraums bei der Klägerin.

Das Gericht stellt fest, dass diese Beurteilung keine Umkehr der Beweislast darstellt und im Einklang mit der angeführten Rechtsprechung steht. Da nämlich keine konkreten Beweise dafür vorliegen, dass die Bekanntheit, die die ältere Marke im Lauf vieler Jahre schrittweise erworben hat, im letzten geprüften Jahr plötzlich verschwunden ist, durfte die Beschwerdekammer zu dem Schluss gelangen, dass die ältere Marke zum maßgeblichen Zeitpunkt noch bekannt war.

Damit setzt das Gericht seine Prüfung fort und stellt fest, dass die Beschwerdekammer ohne Beurteilungsfehler angenommen hat, dass die maßgeblichen Verkehrskreise eine gedankliche Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken herstellen könnten. Nach der Feststellung, dass zum einen eine nicht nur hypothetische Gefahr besteht, dass die Klägerin die Wertschätzung der älteren Marke in unlauterer Weise ausnutzen könnte, und dass zum anderen kein rechtfertigender Grund für die Benutzung der angemeldeten Marke vorliegt, weist das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.


1      Die Anmeldung erfasste u. a. Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 4, 35 und 44 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung.


2      Art. 8 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) bestimmt: „Auf Widerspruch des Inhabers einer eingetragenen älteren Marke im Sinne des Absatzes 2 ist die angemeldete Marke auch dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist oder dieser ähnlich ist, ungeachtet dessen, ob die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen werden soll, mit denen identisch oder denen ähnlich oder nicht ähnlich sind, für die eine ältere Marke eingetragen ist, wenn es sich im Falle einer älteren Unionsmarke um eine in der Union bekannte Marke und im Falle einer älteren nationalen Marke um eine in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannte Marke handelt und die Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde“.