Language of document : ECLI:EU:T:2018:619

Rechtssache T288/15

Ahmed Abdelaziz Ezz u. a.

gegen

Rat der Europäischen Union

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren von Geldern – Zulässigkeit – Ziele – Kriterien für die Einbeziehung der betroffenen Personen – Verlängerung der Aufführung der Kläger in der Liste der betroffenen Personen – Tatsachengrundlage – Einrede der Rechtswidrigkeit – Rechtsgrundlage – Verhältnismäßigkeit – Recht auf einen fairen Prozess – Unschuldsvermutung – Recht auf eine gute Verwaltung – Rechtsfehler – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Eigentumsrecht – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Fünfte erweiterte Kammer) vom 27. September 2018

1.      Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Bestimmung des Streitgegenstands – Aufgrund eines Schreibfehlers entstandene Bezugnahme in der Klageschrift auf ein anderes als das angeführte Schriftstück – Bezugnahme, durch die die Möglichkeit, den Streitgegenstand zu bestimmen, nicht ausgeschlossen wird

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 76)

2.      Verfahren – Rechtskraft – Entscheidungen des Unionsrichters über die Aufnahme eines Klägers in eine Liste der von restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen – Tragweite

3.      Recht der Europäischen Union – Werte und Ziele der Union – Werte – Achtung der Rechtsstaatlichkeit – Rechtsstaatlichkeit – Begriff

(Art. 2 EUV)

4.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Natur dieser Maßnahmen – Reine Sicherungsmaßnahmen – Kein Strafcharakter

(Art. 21 EUV und 29 EUV; Beschluss des Rates 2011/172/GASP)

5.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Umfang der Kontrolle – Beweis für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme – Pflicht des Rates, zu beurteilen, ob es notwendig ist, von den nationalen Behörden zusätzliche Informationen oder Beweise anzufordern – Umfang

(Art. 2 EUV, 3 EUV, 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Buchst. b EUV und 23 EUV; Beschlüsse des Rates 2011/172/GASP, [GASP] 2015/486, [GASP] 2016/411 und [GASP] 2017/496)

6.      Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Beschluss über den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Art. 29 EUV – Zulässigkeit

(Art. 21 EUV, 23 EUV, 24 EUV und 29 EUV; Beschlüsse des Rates 2011/172/GASP, Art. 1, [GASP] 2015/486, [GASP] 2016/411 und [GASP] 2017/496)

7.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Umfang der Kontrolle – Eingeschränkte Kontrolle in Bezug auf allgemeine Regeln – Kontrolle, die sich bei Maßnahmen, die sich an einzelne Einrichtungen richten, auf die Beurteilung der Tatsachen und die Überprüfung der Beweise erstreckt

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Beschlüsse des Rates 2011/172/GASP, [GASP] 2015/486, [GASP] 2016/411 und [GASP] 2017/496)

8.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Umfang der Kontrolle – Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Erlass des Beschlusses verfügbaren Informationen

(Art. 263 AEUV; Beschlüsse des Rates 2011/172/GASP, [GASP] 2015/486, [GASP] 2016/411 und [GASP] 2017/496)

9.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Einfrieren der Gelder von Personen, die an der Veruntreuung öffentlicher Gelder beteiligt waren, und von mit ihnen verbundenen natürlichen und juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Veruntreuung öffentlicher Gelder – Begriff – Autonome und einheitliche Auslegung – Weite Auslegung

(Beschluss des Rates 2011/172/GASP, Art. 1 Abs. 1)

10.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten – Folgebeschluss, mit dem der Name des Klägers in der Liste der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen belassen wurde – Verpflichtung zur Angabe der einzelfallbezogenen und spezifischen Gründe für die getroffenen Entscheidungen – Pflicht, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, zu den gegen ihn angeführten Gründen zweckdienlich Stellung zu nehmen – Umfang

(Beschlüsse des Rates 2011/172/GASP, [GASP] 2015/486, [GASP] 2016/411 und [GASP] 2017/496)

11.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Recht auf Anhörung – Verpflichtung der Organe, den Standpunkt der Beteiligten zu übernehmen – Fehlen – Verpflichtung zur Beantwortung sämtlicher Argumente der Beteiligten – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 und Art. 48)

1.      Die Anforderung, dass gemäß Art. 76 der Verfahrensordnung die Klage den Streitgegenstand enthalten muss, impliziert, dass diese Angaben hinreichend klar und deutlich sind, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Unionsgericht, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, über die Klage entscheiden kann.

Wenn der oder die angefochtenen Rechtsakte aufgrund des Inhalts der Klageschrift festgestellt werden kann bzw. können, ist es jedoch möglich, dass Anträge, die den oder die fraglichen Rechtsakte ungenau oder falsch bezeichnen, umzudeuten. Dies gilt im Fall von Schreibfehlern in der Situation, in der ein Kläger in seiner Klageschrift die Nummer eines Rechtsaktes angibt, sich aber auf die Bestimmungen und den vollständigen Titel eines anderen Rechtsaktes bezieht und der Klageschrift eine Kopie des anderen Rechtsaktes beifügt.

(vgl. Rn. 38-40)

2.      Die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Benennung oder der Verlängerung der Benennung eines Klägers in einer Liste der Personen, die von restriktiven Maßnahmen betroffen sind, die bereits in früheren Klagen angefochten wurden, kann nicht in Frage gestellt werden, indem dem Gericht Fragen vorlegt werden, über die die Unionsgerichte durch Entscheidungen bereits entschieden haben, da einer solchen Anfechtung die Rechtskraft entgegenstünde, die nicht nur den Tenor dieser Entscheidungen erfasst, sondern auch die Gründe, die die Entscheidung tragen.

(vgl. Rn. 52)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 61)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 64)

5.      Jede Maßnahme der Union – auch im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – muss die Grundsätze zur Gewährleistung des Rechtsstaatsprinzips sowie zur Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde beachten, wie sich aus den Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3 EUV und Art. 23 EUB ergibt.

Was insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren und auf Achtung der Unschuldsvermutung anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass es vor allem im Strafverfahren einen herausragenden Platz in jeder demokratischen Gesellschaft einnimmt. Des Gleichen sind die Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie das Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle grundlegende Normen für die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, die wiederum einer der grundlegenden Werte ist, auf denen die Union beruht, wie sich aus Art. 2 EU-Vertrag und den Präambeln der Verträge und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergibt. Die Anforderungen, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren und auf Achtung der Unschuldsvermutung folgen, sind insbesondere im Strafverfahren darauf gerichtet, zu gewährleisten, dass die Entscheidung, mit der endgültig über die Begründetheit der gegen die betreffende Person erhobenen Anschuldigungen entschieden wird, zuverlässig und nicht wegen Rechtsverweigerung oder gar Willkür fehlerhaft ist, was der Rechtsstaatlichkeit widerspräche.

Die Merkmale der im Beschluss 2011/172 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten getroffenen Regelung lassen keine Ausnahme von der allgemeinen Verpflichtung des Rates zu, dass er beim Erlass restriktiver Maßnahmen die Grundrechte, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, beachten muss. Diese Ausnahme hätte zur Folge, dass der Rat nicht prüfen müsste, ob in Ägypten die Achtung der Grundrechte gewährleistet ist.

Folglich kann zum einen, da der Beschluss 2011/172 Teil einer Politik zur Unterstützung der ägyptischen Behörden ist, die insbesondere auf die Festigung und Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundsätze des Völkerrechts gerichtet ist, nicht völlig ausgeschlossen werden, dass dieser Beschluss im Hinblick auf diese Ziele wegen des Vorliegens schwerwiegender und systematischer Grundrechtsverletzungen offensichtlich ungeeignet ist.

Zum anderen ist zwar das Vorliegen laufender Gerichtsverfahren in Ägypten grundsätzlich eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage für die Benennung von Personen in der Liste im Anhang des Beschlusses 2011/172 sowie für deren Verlängerung. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Rat vernünftigerweise annehmen muss, dass die am Ende dieser Verfahren getroffene Entscheidung nicht zuverlässig sein wird, umso mehr als es grundsätzlich nicht Sache des Rates ist, die Richtigkeit und Relevanz der Angaben zu beurteilen, auf denen diese Verfahren beruhen.

Im Rahmen einer Regelung restriktiver Maßnahmen wie derjenigen des Beschlusses 2011/172 kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Rat prüfen muss, ob die Gerichtsverfahren, auf die er sich stützt, als zuverlässig angesehen werden können angesichts der von den betroffenen Personen gemachten Angaben zu Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf ein faires Verfahren, vorausgesetzt, es handelt sich um objektive, verlässliche, klare und schlüssige Angaben, die geeignet sind, berechtigte Fragen hinsichtlich der Beachtung dieses Rechts aufkommen zu lassen.

Im Hinblick auf diese Grundsätze hat das Gericht daher im Prinzip eine vollständige Prüfung vorzunehmen, ob der Rat seiner Pflicht zu einer sorgfältigen und unparteiischen Prüfung nachgekommen ist, indem er sich vergewissert hat, dass er die Strafverfahren gegen den betroffenen Kläger als zuverlässig ansehen konnte. Diese Kontrolle impliziert insbesondere, dass geprüft wird, ob der Rat zu Recht davon ausgegangen ist, dass er über ausreichend Informationen verfügte, um anzunehmen, dass dies vorliegend der Fall sei, ungeachtet der gegenteiligen Behauptungen des Klägers.

Ungeachtet ihres Sicherungscharakters hat im Übrigen die mit dem Beschluss 2011/172 erlassene Anordnung des Einfrierens der Vermögenswerte eine beträchtliche negative Auswirkung auf die Freiheiten und Rechte der betroffenen Personen, so dass es, um einen gerechten Ausgleich zwischen den Zielen des Einfrierens der Vermögenswerte und dem Schutz dieser Rechte und Freiheiten zu gewährleisten, unerlässlich ist, dass der Rat, der dabei der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt, das Risiko solcher Verletzungen gegebenenfalls angemessen beurteilen kann.

(vgl. Rn. 58-63, 66-71, 213, 214)

6.      Art. 1 des Beschlusses 2011/172 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten in seiner mit den Beschlüssen 2015/486, 2016/411 und 2017/496 verlängerten Fassung kann rechtsgültig auf Art. 29 EUV gestützt werden.

Die Prüfung der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts ermöglicht es nämlich, festzustellen, ob der Urheber des Rechtsakts zuständig ist und das Verfahren zum Erlass dieses Rechtsakts rechtswidrig war. Außerdem muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören.

In dieser Hinsicht reicht es aus, dass mit diesem Rechtsakt Ziele verfolgt werden, die mit den in Art. 21 EUV genannten Zielen zusammenhängen, damit er als unter die GASP fallend angesehen werden kann. Zudem ist in Anbetracht der großen Reichweite der Ziele und Zwecke der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), wie sie in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV und in den Sonderbestimmungen für die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV ausgedrückt sind, das Bestreiten der Begründetheit dieses Rechtsakts im Hinblick auf die in Art. 21 EUV festgelegten Ziele nicht geeignet, um das Fehlen einer Rechtsgrundlage für diesen Rechtsakt nachzuweisen.

Insoweit erfüllen die Beschlüsse 2015/486, 2016/411 und 2017/496, mit denen lediglich der Beschluss 2011/172 verlängert wurde und die sich in den Rahmen derselben Politik einfügen, die, wie aus dem ersten Erwägungsgrund des letztgenannten Beschlusses hervorgeht, darauf gerichtet ist, den Prozess der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Ägyptens unter Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte zu unterstützen, diese Anforderungen.

Selbst wenn sich die Lage in Ägypten, angesichts derer der Rat den Beschluss 2011/172 erlassen hat, geändert haben sollte, auch in eine für die Demokratisierung, die mit der Politik, in deren Rahmen sich dieser Beschluss einfügt, unterstützt werden soll, ungünstige Richtung, berührt dieser Umstand jedenfalls nicht die Kompetenz dieses Organs, diesen Beschluss auf der Grundlage von Art. 29 AEUV zu verlängern. Ungeachtet dieses Umstands fallen nämlich die mit den Beschlüssen 2015/486, 2016/411 und 2017/496 verfolgten Ziele und die Regeln, deren Gültigkeit sie verlängern, genauso unter die GASP.

(vgl. Rn. 118, 122-124)

7.      Der Rat verfügt generell über ein weites Ermessen, wenn es um den Erlass von Rechtsakten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geht, bei der es sich um einen Bereich handelt, in dem er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Prüfungen vornehmen muss.

Zudem verfügt der Rat über ein weites Ermessen hinsichtlich der Festlegung der allgemeinen Kriterien zur Eingrenzung des Personenkreises, auf den die restriktiven Maßnahmen Anwendung finden können, im Hinblick auf die Ziele, auf denen diese Maßnahmen beruhen.

Daher ist dem Rat für die Verlängerung der Anwendung dieser Kriterien ein entsprechender Ermessensspielraum einzuräumen.

Da die mit dem Beschluss 2011/172 aufgestellte Regelung restriktiver Maßnahmen lediglich dazu dient, den ägyptischen Behörden die Feststellung der rechtswidrigen Verwendung staatlicher Gelder zu erleichtern und diesen Behörden die Möglichkeit zu erhalten, die Erträge aus einer solchen Verwendung wiederzuerlangen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Verlängerung dieser Regelung nach wie vor relevant ist, auch im Fall von politischen und rechtlichen Entwicklungen, die für die Fortentwicklung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit oder der Achtung der Grundrechte ungünstig sind. Es oblag daher dem Rat, zu beurteilen, ob er für die mit diesem Beschluss vorgenommene Verlängerung der erstmaligen Benennung der Kläger in der Liste der von den angefochtenen Beschlüssen betroffenen Personen angesichts der Informationen, über die er verfügte, vernünftigerweise davon ausgehen konnte, dass die Fortsetzung der Unterstützung der ägyptischen Behörden beim Vorgehen gegen die rechtswidrige Verwendung staatlicher Gelder weiterhin, auch in einem solchen Kontext, ein geeignetes Mittel war, um die Ziele der politischen Stabilität und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu fördern.

Dagegen unterliegt der Rat beim Erlass restriktiver Maßnahmen, die eine individuelle Betroffenheit der betroffenen Personen begründen, dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, nach dem er die ihm übermittelten Beweise im Licht insbesondere der von diesen Personen vorgelegten Stellungnahmen und der ihnen gegebenenfalls beigefügten entlastenden Gesichtspunkte sorgfältig und unparteiisch prüfen muss.

Die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistete Effektivität der gerichtlichen Kontrolle erfordert daher eine im Prinzip vollständige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Gründe, die der Entscheidung zugrunde liegen, eine Person in die Liste der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen aufzunehmen. Insbesondere müssen sich die Unionsgerichte vergewissern, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht.

(vgl. Rn. 130, 155, 211, 212)

8.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 205)

9.      Im Rahmen der mit dem Beschluss 2011/172 getroffenen Regelung restriktiver Maßnahmen ist der Begriff der rechtswidrigen Verwendung staatlicher Gelder im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2011/72 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Ägypten so zu verstehen, dass er jede Handlung erfasst, die eine unrechtmäßige Verwendung von Mitteln, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft gehören oder deren Kontrolle unterstellt sind, zu bestimmungswidrigen, insbesondere privaten Zwecken darstellt und bei diesen öffentlich-rechtlichen Körperschaften einen in Geld zu bemessenden Schaden verursacht haben.

Insoweit bedeutet in einer Situation, in der die nationalen Behörden eine strafrechtliche Würdigung des dem Kläger zur Last gelegten Sachverhalts vorgenommen haben, die dem Begriff der rechtswidrigen Verwendung staatlicher Gelder entspricht, der Umstand, dass der Begriff der rechtswidrigen Verwendung staatlicher Gelder im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2011/72 eine autonome Auslegung erhalten muss, die vom nationalen System unabhängig ist, nicht, dass dieser Begriff möglicherweise Handlungen ausschließen kann, die von den ägyptischen Behörden eine solche strafrechtliche Würdigung erfahren haben. Im Gegenteil: Dieser Begriff zielt mindestens auf Handlungen ab, die nach dem ägyptischen Strafrecht so eingestuft werden können.

(vgl. Rn. 253, 255, 266)

10.    Die Unionsgerichte müssen im Einklang mit den Befugnissen, die ihnen aufgrund des AEU-Vertrags zustehen, eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten, zu denen u. a. das Recht auf die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gehören.

Insbesondere im Rahmen eines Verfahrens, das den Erlass einer Entscheidung betrifft, eine Person in eine Liste von Personen und Organisationen aufzunehmen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, oder diese Benennung zu verlängern, erfordert die Achtung der Verteidigungsrechte, dass die zuständige Unionsbehörde der betroffenen Person die dieser Behörde vorliegenden Informationen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, mitteilt, damit diese Person ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in Kenntnis aller Umstände entscheiden kann, ob es angebracht ist, die Unionsgerichte anzurufen. Darüber hinaus muss die zuständige Unionsbehörde im Zusammenhang mit dieser Mitteilung diese Person in die Lage versetzen, ihren Standpunkt zu den in dem betreffenden Fall herangezogenen Gründen in sachdienlicher Weise vorzutragen. Überdies muss bei einer Entscheidung, die darin besteht, den Namen der betroffenen Person auf einer solchen Liste zu belassen, diese doppelte Verfahrenspflicht, anders als bei einer erstmaligen Aufnahme, vor dem Erlass dieser Entscheidung erfüllt werden. Diese doppelte Verfahrenspflicht gilt jedoch nur, wenn sich die zuständige Behörde für die Verlängerung der Benennung der betroffenen Personen auf neue Umstände stützt. Im Übrigen verfügen die betroffenen Personen in jedem Fall dauerhaft über das Recht auf Abgabe von Stellungnahmen, insbesondere bei der regelmäßigen Überprüfung der sie betreffenden restriktiven Maßnahmen.

Insoweit hat das Recht auf Anhörung zur Folge, dass die zuständige Behörde ihre Entscheidung begründen und dabei die einzelfallbezogenen, spezifischen und konkreten Gründe nennen muss, aus denen die zuständigen Behörden der Auffassung sind, dass gegen die betroffene Person weiterhin restriktive Maßnahmen zu verhängen sind, trotz der möglichen von dieser Person vorgelegten entlastenden Gesichtspunkte.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Vorliegen einer Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz anhand der besonderen Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen ist, insbesondere anhand der Natur des betreffenden Rechtsakts, des Kontextes seines Erlasses sowie der Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

In der Situation, in der die Benennung des Klägers mit laufenden Gerichtsverfahren begründet wird, hat der Rat insbesondere bei der regelmäßigen Überprüfung dieser Benennung für eine mögliche Verlängerung zu prüfen, in welchem Stadium sich diese Gerichtsverfahren befinden und zu welchem Ergebnis sie gegebenenfalls geführt haben.

Um die Verteidigungsrechte des Klägers und sein Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren, muss folglich der Rat ihm diese aktualisierten Informationen mitteilen, ihm vor dem Erlass der angefochtenen Beschlüsse Gelegenheit geben, hierzu Stellung zu nehmen, und in der Begründung dieser Beschlüsse die Gründe benennen, weshalb er weiterhin der Ansicht ist, dass die Verlängerung seiner Benennung gerechtfertigt sei.

(vgl. Rn. 312-316)

11.    Die Achtung der Verteidigungsrechte verlangt zwar, dass die Unionsorgane den betroffenen Personen Gelegenheit geben, ihren Standpunkt sachgerecht zu vertreten, sie verpflichtet sie aber nicht dazu, diesen Standpunkt zu übernehmen. Die sachgerechte Darlegung des Standpunkts dieser Personen setzt lediglich voraus, dass dieser so rechtzeitig unterbreitet werden konnte, dass die Unionsorgane davon Kenntnis nehmen und mit der gebotenen Sorgfalt dessen Relevanz für den Inhalt der zu erlassenden Maßnahme prüfen können.

(vgl. Rn. 330)