Language of document : ECLI:EU:T:2021:617

BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)

20. September 2021(*)

„Nichtigkeitsklage – Freiberuflich tätiger Dienstleister der Kommission (Freelance) – Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Ruhegehaltsansprüchen – Vertragliche Natur des Rechtsstreits – Fehlen einer Schiedsklausel – Offensichtliche Unzuständigkeit“

In der Rechtssache T‑241/21,

Michael Kipper, wohnhaft in Remich (Luxemburg), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt K. Herrmann,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Amtes für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) der Kommission vom 25. Februar 2021, mit der es abgelehnt wurde, dem Kläger Ruhegehaltsansprüche zuzuerkennen,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin A. Marcoulli (Berichterstatterin) sowie der Richter S. Frimodt Nielsen und C. Iliopoulos,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Der Kläger gibt an, er habe vom 16. August 1976 bis zum 15. August 1977 Tätigkeiten bei Eurostat (Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften [jetzt Statistisches Amt der Europäischen Union]) ausgeführt und sei in der Zeit von Mai 1980 bis Dezember 1990 beim Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften (OPOCE) (jetzt Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union [OP]) sowie beim Generalsekretariat der Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Korrektor beschäftigt gewesen.

2        Er machte gegenüber dem Amt für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) der Europäischen Kommission u. a. mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 Ruhegehaltsansprüche geltend. Sein Antrag wurde mit Schreiben vom 25. Februar 2021 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) mit der Begründung abgelehnt, dass von den ihm als freiberuflichem Korrektor (Freelance) gezahlten Honoraren keine Altersversorgungsbeiträge einbehalten worden seien.

 Verfahren und Anträge des Klägers

3        Mit am 30. April 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener und am 21. Juni 2021 ergänzter Klageschrift hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

4        Er beantragt,

–        die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären;

–        infolgedessen festzustellen, dass er aufgrund seiner Tätigkeiten bei der Europäischen Union Ruhegehaltsansprüche erworben hat und dass die Kommission verpflichtet ist, eine diese Feststellung konkretisierende Entscheidung unter Bezifferung der jährlichen Höhe seines Ruhegehalts und des Betrags der geschuldeten Nachzahlung zu erlassen.

 Rechtliche Würdigung

5        Nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn es für die Entscheidung über eine Klage offensichtlich unzuständig ist oder wenn diese offensichtlich unzulässig ist oder ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

6        Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht für durch die Aktenstücke hinreichend unterrichtet und trifft die Entscheidung, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

7        Der Kläger beantragt die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage des in der Klageschrift ausdrücklich genannten Art. 263 AEUV. Diese Grundlage ergibt sich auch aus dem Vorbringen des Klägers, mit dem er die Zuständigkeit des Gerichts und die Zulässigkeit der Klage dartun möchte.

8        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegen alle Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union gegeben ist, die – unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form – dazu bestimmt sind, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren (vgl. Urteil vom 9. September 2015, Lito Maieftiko Gynaikologiko kai Cheirourgiko Kentro/Kommission, C‑506/13 P, EU:C:2015:562, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

9        Bei Vorliegen eines Vertrags, der den Kläger an ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union bindet, kann jedoch eine Klage nach Art. 263 AEUV nur dann bei den Unionsgerichten anhängig gemacht werden, wenn die angefochtene Handlung verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll, die außerhalb der vertraglichen Beziehung, die die Parteien bindet, angesiedelt sind und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse voraussetzen, die dem vertragschließenden Organ, der vertragschließenden Einrichtung oder der vertragschließenden sonstigen Stelle der Union als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind. Wenn sich nämlich die Unionsgerichte für Rechtsstreitigkeiten über die Nichtigerklärung von Rechtshandlungen für zuständig erklärten, die in einem rein vertraglichen Rahmen stehen, liefen sie nicht nur Gefahr, Art. 272 AEUV überflüssig zu machen, der die Begründung der gerichtlichen Zuständigkeit der Union aufgrund einer Schiedsklausel ermöglicht, sondern außerdem, falls der Vertrag keine solche Klausel enthält, ihre Zuständigkeit über die Grenzen hinaus auszudehnen, die in Art. 274 AEUV gezogen worden sind, der den nationalen Gerichten die allgemeine Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitsachen überträgt, in denen die Union Partei ist (vgl. Urteil vom 25. Juni 2020, SATCEN/KF, C‑14/19 P, EU:C:2020:492, Rn. 78 und 79 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

10      Im vorliegenden Fall trägt der Kläger vor, er habe über mehr als zehn Jahre hinweg hoheitliche Tätigkeiten unter ständiger Anleitung und Prüfung durch seine Vorgesetzten ausgeführt, ohne über einen eigenen Entscheidungsspielraum oder unternehmerische Freiheit zu verfügen und ohne ein finanzielles Risiko zu tragen. Er habe auch keine eigenen Arbeitsmittel eingebracht und sei konkret in die Organisation der Unionsbehörden eingegliedert gewesen. Daraus schließt er, dass er die Kriterien dafür erfülle, als Unionsbediensteter und nicht als Freiberufler angesehen werden zu können, und in dieser Eigenschaft einen Ruhegehaltsanspruch habe. Der Umstand, dass er insoweit keine Beiträge habe entrichten dürfen, könne nicht zu seinen Lasten gehen.

11      Der Rechtsstreit geht somit auf die Weigerung seitens der Verwaltung zurück, dem Kläger ein Altersruhegehalt zu gewähren, auf das er aufgrund seiner Arbeitsverträge mit der Union Anspruch zu haben behauptet. Da der Kläger nicht nachgewiesen und im Übrigen auch nicht vorgebracht hat, dass die Kommission mit der angefochtenen Entscheidung wie eine Verwaltungsbehörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hätte, ist diese Entscheidung als untrennbar mit seinen ehemaligen vertraglichen Beziehungen zur Union verbunden anzusehen.

12      Der Kläger beruft sich ferner nicht auf einen Vertrag, der eine Schiedsklausel enthielte, aufgrund deren das Gericht für die Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit zuständig wäre. In den ab 1. Januar 1984 geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Leistungen der freiberuflichen Korrektoren (Freelance), die der Klageschrift beigefügt sind, ist insoweit eine derartige Klausel nicht enthalten.

13      Demnach ist das Gericht nicht dafür zuständig, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage von Art. 263 AEUV zu beurteilen. Ebensowenig ist es angesichts der vorstehend in Rn. 12 getroffenen Feststellungen dafür zuständig, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage von Art. 272 AEUV zu beurteilen.

14      Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich einer Rechtsverweigerung infolge der Unzuständigkeit der örtlich zuständigen nationalen Gerichte, die im Hinblick auf den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts die luxemburgischen Gerichte seien, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Nach der Rechtsprechung ist es nämlich Sache der Unionsgerichte, die mit einem Rechtsstreit über einen von einer Unionsbehörde geschlossenen Vertrag befasst sind, festzustellen, ob sie insoweit zuständig sind oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. April 2013, Kommission/Systran und Systran Luxembourg, C‑103/11 P, EU:C:2013:245, Rn. 61 bis 63; vgl. auch Beschluss vom 27. September 2018, Sógor/Rat u. a., T‑302/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:621, Rn. 20). Im Übrigen macht der Kläger nicht geltend, dass er den Rechtsstreit vor die luxemburgischen Gerichte gebracht hätte und dass diese ihre Zuständigkeit verneint hätten.

15      Selbst wenn darüber hinaus der Kläger seine Klage auf Art. 270 AEUV hätte stützen wollen, ist festzustellen, dass er in Anbetracht seines Vorbringens, dass er einem „sonstigen Bediensteten“ der Union im Sinne der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Union gleichzustellen sei, einräumt, nie förmlich als Bediensteter der Union eingestellt worden zu sein. Wie aber das Gericht in Rn. 17 des Beschlusses vom 16. Dezember 2019, Kipper/Kommission (T‑394/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:863), ausgeführt hat, hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Aushilfsdolmetscher, der nach der internen Regelung der Kommission für freiberuflich tätige Konferenzdolmetscher (Freelance) beschäftigt wird, nicht die Eigenschaft eines Bediensteten der Union für sich in Anspruch nehmen kann und ihm somit auch nicht der Rechtsweg nach Art. 179 EWG-Vertrag, jetzt Art. 270 AEUV, offensteht (Urteil vom 11. Juli 1985, Maag/Kommission, 43/84, EU:C:1985:328, Rn. 23).

16      Nach alledem ist die vorliegende Klage wegen offensichtlicher Unzuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung darüber abzuweisen, ohne dass die Klageschrift der Beklagten zugestellt zu werden braucht.

 Kosten

17      Da der vorliegende Beschluss ergeht, bevor die Klageschrift der Beklagten zugestellt wurde und dieser Kosten entstehen konnten, trägt der Kläger nach Art. 133 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als vor einem dafür unzuständigen Gericht erhoben abgewiesen.

2.      Herr Michael Kipper trägt seine eigenen Kosten.

Luxemburg, den 20. September 2021

Der Kanzler

 

Die Präsidentin

E. Coulon

 

A. Marcoulli


*      Verfahrenssprache: Deutsch