Language of document : ECLI:EU:T:2014:22





Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 23. Januar 2014 – Evonik Degussa und AlzChem/Kommission

(Rechtssache T‑391/09)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl‑ und die Gasindustrien im EWR außer Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung und Marktaufteilung – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Geldbußen – Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Mildernde Umstände – Verhältnismäßigkeit – Dauer der Zuwiderhandlung – Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße – Leitlinien 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen“

1.                     Wettbewerb – Unionsrecht – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält – Widerlegbarkeit – Beweislast – Verstoß gegen die Unschuldsvermutung – Fehlen – Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit – Fehlen – Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen – Fehlen (Art. 81 EG und 82 EG) (vgl. Rn. 16-21, 24, 25, 30-38, 47, 48, 77, 89, 94, 96, 152)

2.                     Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – An mehrere Adressaten gerichtete Entscheidung, durch die Geldbußen aufgrund Kartellrechtsverstoß auferlegt werden – Praktiken eines Tochterunternehmens werden dem Mutterunternehmen zugerechnet – Notwendigkeit einer ausführlichen Begründung – Umfang (Art. 81 EG und 253 EG) (vgl. Rn. 59-61)

3.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Berücksichtigter Umsatz (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 13) (vgl. Rn. 129, 131)

4.                     Wettbewerb – Geldbußen – Verhängung – Erfordernis eines Vorteils, den das Unternehmen aus der Zuwiderhandlung gezogen hat – Fehlen – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Kein Gewinn – Nichteinbeziehung (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29 und 31) (vgl. Rn. 133, 238-242)

5.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall – Begriff (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 28) (vgl. Rn. 141-145, 153, 155)

6.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang (Art. 261 AEUV und 263 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31) (vgl. Rn. 166, 261)

7.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Einführung eines Programms zur Befolgung der Wettbewerbsregeln – Keine zwingende Berücksichtigung (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29) (vgl. Rn. 168, 169, 174, 175, 183)

8.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Schlechte Finanzlage in der betreffenden Branche – Ausschluss (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29) (vgl. Rn. 187)

9.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessensspielraum der Kommission – Grenzen – Einhaltung der Kronzeugenregelung (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission, Nr. 23) (vgl. Rn. 201-203, 210, 211)

10.                     Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Abschreckungswirkung der Geldbuße – Ermessen der Kommission – Hinzufügung der Eintrittsgebühr beim Grundbetrag der Geldbuße und Erhöhung wegen Wiederholungstäterschaft – Zulässigkeit – Rundung der Dauer der Beteiligung der verschiedenen Unternehmen an ein und derselben Zuwiderhandlung – Rechtfertigung – Fehlen – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 19 bis 26) (vgl. Rn. 218-223, 225-236)

11.                     Wettbewerb – Geldbußen – Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung – Voraussetzungen – Wirtschaftliche Einheit – Ausnahmen (Art. 81 EG) (vgl. Rn. 244-246, 271)

12.                     Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Entscheidung der Kommission, mit der ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und eine Geldbuße verhängt wird – Unternehmen, das mit anderen Einheiten gesamtschuldnerisch haftet – Zulässigkeit (Art. 81 EG und 230 Abs. 4 EG) (vgl. Rn. 258-260)

13.                     Gerichtliches Verfahren – Vorbringen neuer Angriffs‑ und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens – Voraussetzungen – Neues Vorbringen – Begriff (Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 48 § 2 Abs. 1) (vgl. Rn. 280, 281)

14.                     Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe – Bloße Verweisung auf ein früheres Urteil des Gerichts – Unzulässigkeit (Satzung des Gerichts, Art. 21 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c und Art. 48 § 2) (vgl. Rn. 282-285)

Gegenstand

Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2009) 5791 endg. der Kommission vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl‑ und die Gasindustrien), soweit sie die Klägerinnen betrifft, hilfsweise, Abänderung dieser Entscheidung dahin, dass die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße aufgehoben oder herabgesetzt wird und die SKW Stahl‑Technik GmbH & Co. KG zusammen mit den Klägerinnen für den vollen Betrag dieser Geldbuße gesamtschuldnerisch haftet

Tenor

1.

Art. 2 Buchst. g und h der Entscheidung K(2009) 5791 endg. der Kommission vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/39.396 – Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl‑ und die Gasindustrien) wird für nichtig erklärt, soweit er die Evonik Degussa GmbH und die AlzChem AG betrifft. Die befreiende Wirkung gegenüber der SKW Stahl‑Technik GmbH & Co. KG von Zahlungen einer dieser beiden Gesellschaften auf die Geldbuße, die wegen der in Art. 1 Buchst. f der genannten Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung gegen sie gesamtschuldnerisch verhängt wird, und auf die in Art. 2 Buchst. g dieser Entscheidung gegen die SKW Stahl‑Technik GmbH & Co. KG verhängte Geldbuße wird dadurch nicht berührt.

2.

Für die in Art. 1 Buchst. f der Entscheidung K(2009) 5791 endg. im Hinblick auf Evonik Degussa und AlzChem festgestellte Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:

–        gegen Evonik Degussa und AlzChem gesamtschuldnerisch: 2,49 Mio. Euro, wobei diese Geldbuße insoweit als von Evonik Degussa und AlzChem gezahlt gilt, als SKW Stahl‑Technik die in Art. 2 Buchst. f und g der genannten Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße zahlt;

–        gegen Evonik Degussa: 1,24 Mio. Euro, wobei Evonik Degussa für die Zahlung dieser Geldbuße allein verantwortlich ist.

3.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.

Evonik Degussa und AlzChem tragen zwei Drittel ihrer eigenen Kosten und zwei Drittel der Kosten der Europäischen Kommission. Die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten und ein Drittel der Kosten von Evonik Degussa und AlzChem.