Language of document : ECLI:EU:T:2011:768

BESCHLUSS DES GERICHTS (Erste Kammer)

16. Dezember 2011?(1)

„Nichtigkeitsklage – Rechtsbehelfsfrist – Offensichtliche Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑532/11

Stefan Städter, wohnhaft in Berlin (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Kerber,

Kläger,

gegen

Europäische Zentralbank,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse der EZB vom 6. Mai 2010, 31. März 2011 und 7. Juli 2011 über temporäre Maßnahmen hinsichtlich der Notenbankfähigkeit der von der griechischen, irischen und portugiesischen Regierung begebenen oder garantierten marktfähigen Schuldtitel (ABl. L 117, S. 102; ABl. L 94, S. 33; ABl. L 182, S. 31) und auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte (ABl. L 124, S. 8),

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi (Berichterstatter) sowie der Richterin E. Cremona und des Richters S. Frimodt Nielsen,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Verfahren und Anträge des Klägers

1        Mit Klageschrift, die am 11. Oktober 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

2        Er beantragt,

–        die Durchführung der Beschlüsse der EZB vom 6. Mai 2010 (EZB/2010/3), vom 31. März 2011 (EZB/2011/4) und vom 7. Juli 2011 (EZB/2011/10) für unvereinbar mit den Art. 123 bis 125 AEUV zu erklären, die Rechtsfolge des Art. 264 AEUV auszusprechen und die weitere Durchführung zu verhindern;

–        die Durchführung des Beschlusses vom 14. Mai 2010 (EZB/2010/5) für unvereinbar mit den Art. 123 bis 125 AEUV zu erklären, die Rechtsfolge des Art. 264 AEUV auszusprechen und die weitere Durchführung zu verhindern, und

–        der Beklagten gern Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

3        Mit Schriftsatz, der am 14. November 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Herr Derk-Jan Epping beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zugelassen zu werden.

 Rechtliche Würdigung

4        Gemäß Art. 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch mit Gründen zu versehenden Beschluss entscheiden.

5        Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, gemäß diesem Artikel ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

6        Gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV ist die Nichtigkeitsklage binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der angefochtenen Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat. Nach Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung ist die Frist für die Erhebung einer Klage gegen eine Maßnahme eines Organs, wenn sie mit der Veröffentlichung dieser Maßnahme beginnt, vom Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung der Maßnahme im Amtsblatt der Europäischen Union an zu berechnen. Nach Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung ist diese Frist überdies um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen zu verlängern.

7        Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frist für die Erhebung einer Klage nach Art. 230 EG zwingenden Rechts, da sie zur Gewährleistung der Klarheit und Sicherheit der Rechtsverhältnisse und zur Vermeidung jeder Diskriminierung oder willkürlichen Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz eingeführt wurde, und es ist Sache des Unionsrichters, ihre Einhaltung von Amts wegen zu prüfen (Urteil des Gerichtshofs vom 23. Januar 1997, Coen, C‑246/95, Slg. 1997, I‑403, Randnr. 21, und Urteil des Gerichts vom 18. September 1997, Mutual Aid Administration Services/Kommission, T‑121/96 und T‑151/96, Slg. 1997, II‑1355, Randnrn. 38 und 39).

8        Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass die angefochtenen Maßnahmen am 11. Mai 2010, 20. Mai 2010, 8. April 2011 bzw. 12. Juli 2011 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden. Die Klagefristen von zwei Monaten begannen gemäß Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung vierzehn Tage nach diesen Veröffentlichungen und sind gemäß Art. 102 § 2 und Art. 101 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung am 4. August 2010, 13. August 2010, 4. Juli 2011 bzw. 6. Oktober 2011, somit vor Erhebung der vorliegenden Klage (vgl. oben, Randnr. 1), abgelaufen.

9        An diesem Ergebnis ändert das Vorbringen des Klägers nichts, dass die Durchführung der angefochtenen Maßnahmen andauere und dass sich die „Einzeltransaktionen“ bei deren Anwendung mangels Veröffentlichung seiner Kenntnis entzögen.

10      Da die Klagefristen der Wahrung der Rechtssicherheit dienen, indem sie verhindern, dass Handlungen der Union, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können, ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung, wenn eine solche erfolgt ist, das maßgebliche Kriterium für die Bestimmung des Beginns der Frist (vgl. in diesem Sinn Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 2010, Transportes Evaristo Molina/Kommission, C‑36/09 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).

11      Daraus ergibt sich zum einen hinsichtlich der Klageanträge auf Nichtigerklärung der angefochtenen Maßnahmen als solche, dass der Kläger sich der Wahrung der Klagefristen, die im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt begonnen haben, nicht mit der Begründung entziehen kann, dass diese Maßnahmen noch Gegenstand von Durchführungsakten seien. Sofern die Klage dahin auszulegen sein sollte, dass sie auf bestimmte Durchführungsakte der angefochtenen Maßnahmen gerichtet ist, ist zum anderen festzustellen, dass entgegen den Anforderungen von Art. 44 Abs. 1 Buchst. c der Verfahrensordnung in Verbindung mit Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union solche Durchführungsakte in der Klageschrift nicht einzeln angegeben worden sind. Der Kläger kann sich nicht auf seine Unkenntnis eventueller Durchführungsakte oder Einzeltransaktionen berufen, um diesen Mängeln abzuhelfen bzw. den Beginn der Klagefristen zu ändern.

12      Ferner hat der Kläger weder nachgewiesen noch auch nur behauptet, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorgelegen habe, der es dem Gericht nach Art. 45 Abs. 2 der Satzung, der nach Art. 53 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, erlauben würde, von der Einhaltung der fraglichen Frist abzusehen.

13      Nach alledem ist die Klage verspätet erhoben worden und als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne dass sie der Beklagten zugestellt zu werden braucht.

14      Unter diesen Umständen braucht über den Streithilfeantrag von Herrn Eppink nicht entschieden zu werden.

 Kosten

15      Da der vorliegende Beschluss vor Zustellung der Klageschrift an die Beklagte ergangen ist und ihr somit keine Kosten entstehen konnten, ist gemäß Art. 87 § 1 der Verfahrensordnung nur zu entscheiden, dass der Kläger seine eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1.     Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

2.      Über den Streithilfeantrag von Herrn Derk-Jan Eppink braucht nicht entschieden zu werden.

3.     Herr Stefan Städter trägt seine eigenen Kosten.

Luxemburg, den 16. Dezember 2011

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      J. Azizi


1? Verfahrenssprache: Deutsch