Language of document : ECLI:EU:C:2016:706

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

21. September 2016(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2001/80/EG – Art. 4 Abs. 3 – Anhang VI Abschnitt A – Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft – Anwendung – Aberthaw Power Station“

In der Rechtssache C‑304/15

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 19. Juni 2015,

Europäische Kommission, vertreten durch K. Mifsud-Bonnici und S. Petrova als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch J. Kraehling und L. Christie als Bevollmächtigte im Beistand von G. Facenna, QC,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas und E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2016,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2016

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft (ABl. 2001, L 309, S. 1) in Verbindung mit deren Anhang VI Abschnitt A verstoßen hat, dass es diese Richtlinie auf die Aberthaw Power Station (Vereinigtes Königreich, im Folgenden: Kraftwerk Aberthaw) nicht richtig angewandt hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Richtlinie 2001/80, die die Richtlinie 88/609/EWG des Rates vom 24. November 1988 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft (ABl. 1988, L 336, S. 1) ersetzt hat, wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2016 durch die Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. 2010, L 334, S. 17) aufgehoben. Die Richtlinie 2001/80 galt nach Art. 1 „für Feuerungsanlagen, deren Feuerungswärmeleistung 50 MW oder mehr beträgt, unabhängig davon, welche Art von Brennstoff (fest, flüssig oder gasförmig) darin verfeuert wird“.

3        Die Erwägungsgründe 4 bis 6 dieser Richtlinie lauten:

„(4)      Die Kommission hat eine Mitteilung über eine Gemeinschaftsstrategie gegen die Versauerung veröffentlicht, in der die Überarbeitung der Richtlinie [88/609] als Bestandteil dieser Strategie angesehen wurde, wobei das langfristige Ziel darin besteht, die Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen so weit zu vermindern, dass es bei Depositionen und Konzentrationen zu einer Unterschreitung der kritischen Eintragsraten und Konzentrationen kommt.

(5)      In Übereinstimmung mit dem Prinzip der Subsidiarität nach Artikel 5 des Vertrags kann die angestrebte Verminderung der zur Versauerung beitragenden Emissionen aus Großfeuerungsanlagen von den Mitgliedstaaten nicht allein erreicht werden, und ein unkoordiniertes Vorgehen bietet keine Gewähr für die Erreichung des gewünschten Ziels. In Anbetracht der Notwendigkeit, die zur Versauerung beitragenden Emissionen gemeinschaftsweit zu vermindern, ist es wirksamer, auf Gemeinschaftsebene tätig zu werden.

(6)      Die bestehenden Großfeuerungsanlagen tragen erheblich zu den Emissionen von Schwefeldioxid und Stickoxiden in der Gemeinschaft bei; diese Emissionen müssen vermindert werden. Es ist daher erforderlich, das Konzept an die unterschiedlichen Merkmale des Großfeuerungsanlagensektors in den Mitgliedstaaten anzupassen.“

4        Art. 4 dieser Richtlinie sah vor:

„(1)      Unbeschadet des Artikels 17 treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, damit jede Errichtungsgenehmigung oder, falls ein solches Verfahren nicht besteht, jede Betriebsgenehmigung für Neuanlagen, die nach Auffassung der zuständigen Behörde vor dem 27. November 2002 Gegenstand eines umfassenden Genehmigungsantrags sind, sofern die Anlage bis zum 27. November 2003 in Betrieb genommen wird, Bestimmungen über die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Staub gemäß Abschnitt A der Anhänge III bis VII enthält.

(3)      Unbeschadet der Richtlinie 96/61/EG [des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. 1996, L 257, S. 26)] und der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität [(ABl. 1996, L 296, S. 55)] erzielen die Mitgliedstaaten spätestens bis zum 1. Januar 2008 eine nennenswerte Verminderung der Emissionen, indem sie

a)      geeignete Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass jede Betriebsgenehmigung für bestehende Anlagen Bestimmungen darüber enthält, dass die Emissionsgrenzwerte, die an die in Absatz 1 aufgeführten Neuanlagen gestellt werden, eingehalten werden, oder

b)      sicherstellen, dass bestehende Anlagen von dem nationalen Emissionsverminderungsplan gemäß Absatz 6 erfasst werden,

und gegebenenfalls die Artikel 5, 7 und 8 anwenden.

…“

5        Art. 14 dieser Richtlinie sah vor:

„(1)      Im Falle kontinuierlicher Messungen gelten die Emissionsgrenzwerte nach Abschnitt A der Anhänge III bis VII als eingehalten, wenn die Auswertung der Ergebnisse für die Betriebsstunden innerhalb eines Kalenderjahres ergibt, dass

a)      keiner der Kalendermonatsmittelwerte die Emissionsgrenzwerte überschreitet und

b)      im Falle von

ii)      Stickoxid 95 v. H. aller 48-Stunden-Mittelwerte 110 v. H. der Emissionsgrenzwerte nicht überschreiten.

…“

6        Abschnitt A von Anhang VI der Richtlinie 2001/80 legte in einer Tabelle die NOx-Emissionsgrenzwerte für bestehende Anlagen gemäß Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie für verschiedene Arten von Brennstoffen fest. Für feste Brennstoffe, die in einer Anlage mit einer Kapazität von über 500 MW verwendet werden, betrug der Grenzwert 500 Milligramm Stickoxide pro Normkubikmeter (mg/Nm3).

7        Für feste Brennstoffe enthielt diese Tabelle allerdings einen Verweis auf die Fußnote 3 (im Folgenden: Fn. 3), die wie folgt lautete:

„Bis zum 1. Januar 2018 gilt für Anlagen, die in dem am 1. Januar 2001 zu Ende gegangenen 12-Monats-Zeitraum mit festen Brennstoffen mit weniger als 10 v. H. flüchtiger Bestandteile betrieben wurden und weiterhin damit betrieben werden, ein Grenzwert von 1 200 mg/Nm3.“

8        Nach Art. 30 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2010/75 werden in deren Anhang V Teil 1 Nr. 4 die NOx-Emissionsgrenzwerte für Anlagen festgelegt, die feste Brennstoffe verwenden. Ab dem 1. Januar 2016 liegt dieser Wert bei 200 mg/Nm3.

 Vorverfahren

9        Am 29. Mai 2012 leitete die Kommission eine unionsweite Pilotuntersuchung über die Vereinbarkeit bestimmter Großfeuerungsanlagen, insbesondere des Kraftwerks Aberthaw, mit den Anforderungen der Richtlinie 2001/80 ein. Nach den der Kommission übermittelten Informationen galt für diese Anlage nach der Fn. 3 ein weniger strenger NOx-Emissionsgrenzwert, nämlich 1 200 mg/Nm3, als der normalerweise für diese Art von Anlage, die feste Brennstoffe verwendet, geltende, nämlich 500 mg/Nm3 gemäß der Tabelle in Anhang VI Abschnitt A dieser Richtlinie. Nach Auffassung der Kommission verlangte diese Fußnote jedoch für die Inanspruchnahme der abweichenden Regelung, dass die verfeuerten Brennstoffe einen Anteil flüchtiger Bestandteile (im Folgenden: AFB) von unter 10 % aufwiesen. Die Kommission ersuchte daher das Vereinigte Königreich um Auskunft über den AFB der im Kraftwerk Aberthaw in den Jahren 2009 bis 2011 verwendeten festen Brennstoffe.

10      Das Vereinigte Königreich antwortete, dass seiner Ansicht nach der für das Kraftwerk Aberthaw geltende NOx-Emissionsgrenzwert 1 200 mg/Nm3 betrage und dass dieser Emissionsgrenzwert z. B. als eingehalten gelten müsse, wenn 95 % der während eines Zeitraums von 48 Stunden gemessenen Mittelwerte 1 320 mg/Nm3 nicht überstiegen.

11      Am 20. September 2012 richtete die Kommission zusätzliche Fragen an das Vereinigte Königreich, um beurteilen zu können, ob das Kraftwerk Aberthaw die Bedingungen der Fn. 3 hinsichtlich des AFB erfüllte. Das Vereinigte Königreich antwortete darauf, dass der Mittelwert des AFB der in diesem Kraftwerk zwischen 2008 bis 2011 verfeuerten Kohle 12,81 %, 11,75 %, 12,89 % bzw. 11,39 % betragen habe. Diesen Informationen zufolge wies diese Kohle somit zwischen 2008 und 2010 nur zweimal und im Lauf des Jahres 2011 nur fünfmal einen durchschnittlichen AFB von weniger als 10 % auf.

12      Da die im Kraftwerk Aberthaw verfeuerten Brennstoffe in den Jahren 2008 bis 2011 nicht der in der Fn. 3 genannten Bedingung hinsichtlich des AFB entsprachen, war die Kommission der Auffassung, dass für diese Anlage zu keiner Zeit die in dieser Fußnote vorgesehene abweichende Regelung habe in Anspruch genommen werden können und dass für sie seit dem 1. Januar 2008 der NOx-Emissionsgrenzwert von 500 mg/Nm3 hätte gelten müssen.

13      Am 21. Juni 2013 übersandte die Kommission dem Vereinigten Königreich ein Aufforderungsschreiben, in dem sie den Vorwurf erhob, dass das Vereinigte Königreich seit dem 1. Januar 2008 gegen seine Verpflichtung zur Beachtung von Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/80 in Verbindung mit der Fn. 3 verstoßen habe, weil der für das Kraftwerk Aberthaw bis zum 1. Januar 2016 geltende NOx-Emissionsgrenzwert von 500 mg/Nm3 nicht eingehalten werde.

14      In Beantwortung dieser Aufforderung wies das Vereinigte Königreich darauf hin, dass es davon ausgegangen sei, dass die in der Fn. 3 vorgesehene abweichende Regelung gerade deshalb in die Richtlinie 2001/80 aufgenommen worden sei, um den Fall des Kraftwerks Aberthaw zu erfassen, so dass diese Regelung flexibler, und zwar dahin auszulegen sei, dass sie nicht voraussetze, dass die betreffende Anlage ausschließlich mit festen Brennstoffen mit einem AFB von unter 10 % betrieben werde. Zudem bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Volatilität des von diesem Kraftwerk verfeuerten Brennstoffs und dem Niveau seiner Stickoxidemissionen.

15      Da die Kommission die Antwort des Vereinigten Königreichs nicht für überzeugend hielt, erließ sie am 16. Oktober 2014 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV.

16      In dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme wiederholte die Kommission ihre Auffassung, dass die Fn. 3 eine Abweichung von den für eine Anlage von der Größe des Kraftwerks Aberthaw festgelegten normalen Grenzwerten enthalte und dass diese Anlage den gemäß Art. 4 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2001/80 in Verbindung mit dieser Fußnote geltenden NOx-Emissionsgrenzwert übersteige.

17      Die Kommission wies auch die Auslegung der Fn. 3 zurück, wonach diese nicht verlange, dass die fragliche Anlage ausschließlich feste Brennstoffe verwende, deren auf einer jährlichen Grundlage gemessener durchschnittlicher AFB unter 10 % liege. Selbst wenn dieser Anteil in der Richtlinie 2001/80 nämlich nicht ausdrücklich als jährlicher Durchschnittswert ausgedrückt werde, entspreche dieses Verständnis dem Geist der Richtlinie, nach deren Art. 14 Abs. 1 die Emissionsgrenzwerte nach Abschnitt A ihrer Anhänge III bis VII für ein Kalenderjahr gemessen würden.

18      In seiner Antwort vom 17. Dezember 2014 wiederholte das Vereinigte Königreich unter Berufung auf die Vorarbeiten zur Richtlinie 2001/80 seinen Standpunkt, dass das Kraftwerk Aberthaw der Richtlinie 2001/80 entspreche, da die in der Fn. 3 vorgesehene abweichende Regelung speziell diese Anlage betreffe. Im Übrigen würden in dieses Kraftwerk weiterhin Investitionen zur Verbesserung der Abgasleistung getätigt.

19      Da die Antwort des Vereinigten Königreichs sie nicht zufriedenstellte, beschloss die Kommission am 19. Juni 2015, die vorliegende Klage zu erheben.

 Zur Klage

 Vorbringen der Parteien

20      Die Kommission ist der Ansicht, dass für das Kraftwerk Aberthaw die in der Fn. 3 vorgesehene abweichende Regelung nicht in Anspruch genommen werden könne, weil diese Anlage das dort genannte Kriterium nicht erfülle. Folglich müssten die Stickoxidemissionen dieser Anlage dem Standardgrenzwert von 500 mg/Nm3 entsprechen. Zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage habe der in der Betriebsgenehmigung für dieses Kraftwerk genannte Wert jedoch 1 050 mg/Nm3 betragen, so dass der Klage stattzugeben sei.

21      Zur Stützung dieser Rüge bringt die Kommission erstens vor, dass der Wortlaut der Fn. 3 klar sei. Diese Bestimmung gelte nur für Anlagen, die tatsächlich feste Brennstoffe mit einem AFB von unter 10 % verfeuerten. In dieser Fußnote sei weder von Anlagen die Rede, die mit einem solchen Brennstoff betrieben werden „können“, noch von irgendeiner Anwendungsbeschränkung, die einer unerheblichen Menge an Brennstoff entspreche. Das Kriterium eines AFB von 10 % sei nämlich zum Zweck der Festlegung einer Schwelle eingeführt worden, durch die für Kraftwerke die Möglichkeiten für Abweichungen begrenzt werden sollten.

22      Zweitens sei es irrelevant, dass die in der Fn. 3 enthaltene abweichende Regelung möglicherweise speziell auf das Kraftwerk Aberthaw ausgerichtet gewesen sei, da der subjektive Wille bestimmter Akteure im Gesetzgebungsverfahren kein gültiges Auslegungskriterium sei.

23      Drittens erfülle das Kraftwerk Aberthaw auch dann, wenn eine Berechnungsmethode zugrunde gelegt werde, die nicht auf einem jährlichen, sondern einem monatlichen Durchschnitt beruhe, noch immer nicht die Kriterien für diese Abweichung.

24      Das Vereinigte Königreich ist der Ansicht, dass die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung der Fn. 3 sowohl deren Wortlaut als auch dem Willen des Unionsgesetzgebers widerspreche, so dass die vorliegende Klage abzuweisen sei.

25      Zunächst trägt das Vereinigte Königreich vor, das Kraftwerk Aberthaw sei immer mit einem Brennstoff betrieben worden, der hauptsächlich aus anthrazitischer Kohle mit einem AFB zwischen 6 % und 15 % bestehe, einschließlich eines erheblichen Anteils von Kohle mit einem AFB von unter 10 %. Es sei jedoch nie ausschließlich mit Kohle mit einem AFB von unter 10 % oder mit einer Mischung betrieben worden, die einen durchschnittlichen AFB von unter 10 % aufgewiesen habe. Einer solchen Betriebsweise stünden wichtige praktische und sicherheitstechnische Erwägungen entgegen.

26      Sodann widerspricht das Vereinigte Königreich zum einen der von der Kommission vorgeschlagenen Auslegung, wonach eine Anlage zur Inanspruchnahme der in der Fn. 3 vorgesehenen abweichenden Regelung ausschließlich mit festem Brennstoff mit einem im Jahresdurchschnitt gemessenen AFB von unter 10 % betrieben werden müsse. Mit einer solchen Auslegung werde eine zusätzliche Anforderung aufgestellt, die die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Regelung weiter einschränke. Die Fn. 3 enthalte nicht die Adverbien „nur“ oder „ausschließlich“. Wenn der Unionsgesetzgeber die Fn. 3 auf Kraftwerke hätte beschränken wollen, die Kohle mit einem AFB von unter 10 % verwenden, hätte deren Wortlaut diesen Willen ausdrücklich widergespiegelt. Wenn im Übrigen die Richtlinie 2001/80 die Verwendung eines Mittelwerts vorsehe, stelle sie das ausdrücklich klar.

27      Das Vereinigte Königreich trägt daher vor, dass die Fn. 3 für Anlagen gelten solle, die mit einem wesentlichen Anteil von Kohle mit einem AFB von unter 10 % betrieben würden.

28      Zum anderen berücksichtige die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung der Fn. 3 nicht, dass die dort vorgesehene Abweichung im Gesetzgebungsverfahren ausgehandelt und in die Richtlinie 2001/80 aufgenommen worden sei, um speziell den Fall des Kraftwerks Aberthaw zu erfassen.

29      Schließlich sei die betriebliche Sicherheitsanforderung für die im Kraftwerk Aberthaw verfeuerte Kohlemischung auf einen Mindest‑AFB von 9 % festgelegt. Um die sich aus der Auslegung der Fn. 3 durch die Kommission ergebenden Grenzen einzuhalten, dürfte der Betreiber dieses Kraftwerks nur feste Brennstoffe verwenden, die die Einhaltung einer sehr geringen AFB-Spanne zwischen 9 % und 9,9 % erlaubten. Aufgrund einer Reihe von Parametern, die bei der Mischung dieser Brennstoffe zu berücksichtigen seien, nämlich Feuchtigkeitsgehalt, Asche, Schwefel, Chlor, Brennwert, Härte und Korngrößenbereich, sei dies für ein Kraftwerk dieser Größe weder realistisch noch durchführbar. Insbesondere sei dieser Betreiber nicht in der Lage, die sehr großen Mengen Kohle zu beschaffen und genau und verlässlich zu testen, die das Kraftwerk Aberthaw einsetze, um sicherzustellen, dass der gesamte AFB genau zwischen 9 % und 9,9 % gehalten werde.

30      Überdies diene die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung der Fn. 3 auch keinem Umweltschutzziel. Die höheren Stickoxidemissionen des Kraftwerks Aberthaw seien nämlich die Folge des Kesseldesigns und der höheren Temperaturen, die erforderlich seien, um die Verbrennung von anthrazitischer Kohle mit geringem AFB in Gang zu halten. Diese Emissionen würden durch den AFB der Kraftstoffmischung nicht signifikant beeinflusst, so dass dieser Anteil nicht erheblich gemindert würde, wenn man dieses Kraftwerk verpflichte, nicht wie derzeit eine Kohlemischung mit einem allgemeinen AFB zwischen 11 % und 12 % als Kraftstoff zu verwenden, sondern – angenommen, dies wäre möglich – eine Kohle mit einem AFB von 9,5 %. Im Gegenteil bewirke die Verbrennung von Kohle mit einem geringeren AFB höhere Stickoxidemissionen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

31      Die Richtlinie 2001/80 hat gemäß ihren Erwägungsgründen 4 bis 6 zum Ziel, die Versauerung durch eine Verminderung der Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen zu bekämpfen, zu denen Großfeuerungsanlagen in erheblichem Maße beitragen.

32      Hierzu sehen die Anhänge III bis VII dieser Richtlinie eine Reihe von Beschränkungen vor. Insbesondere legt gemäß Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie deren Anhang VI Abschnitt A für verschiedene Arten von Brennstoffen NOx-Emissionsgrenzwerte für bestehende Anlagen fest. Für die in einer Anlage mit einer Kapazität von mehr als 500 MW verwendeten festen Brennstoffe beträgt der Grenzwert 500 mg/Nm3.

33      Nach der Fn. 3 gilt jedoch „[b]is zum 1. Januar 2018 … für Anlagen, die in dem am 1. Januar 2001 zu Ende gegangenen 12-Monats-Zeitraum mit festen Brennstoffen mit weniger als 10 v. H. flüchtiger Bestandteile betrieben wurden und weiterhin damit betrieben werden, ein Grenzwert von 1 200 mg/Nm3“.

34      Im vorliegenden Fall wirft die Kommission dem Vereinigten Königreich vor, für das Kraftwerk Aberthaw die Voraussetzungen für die in dieser Fußnote genannte Abweichung nicht zu erfüllen und daher den festgelegten NOx‑Standardemissionsgrenzwert von 500 mg/Nm3 nicht einzuhalten.

35      Das Vereinigte Königreich und die Kommission streiten insbesondere über den Referenzzeitraum für die Erhebung der Daten, anhand deren geprüft werden soll, ob die betreffenden Anlagen das Emissionsniveau für Stickoxide einhalten.

36      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zwar der zweite Teil des Satzes, aus dem die Fn. 3 besteht, diesen Referenzzeitraum nicht definiert, der erste Teil dieser Bestimmung aber ausdrücklich die Wortfolge „für Anlagen, die in dem am 1. Januar 2001 zu Ende gegangenen 12-Monats-Zeitraum … betrieben wurden“ enthält.

37      Daraus ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass die Fn. 3 entsprechend dahin auszulegen ist, dass der Referenzzeitraum für die Erhebung der Daten zur Prüfung, ob die bezeichneten Anlagen weiterhin gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 2001/80 betrieben werden, der gleiche ist wie derjenige, anhand dessen bestimmt worden ist, ob eine Anlage unter die in dieser Fußnote enthaltene abweichende Regelung fallen kann, d. h. ein Jahr.

38      Soweit der AFB auf einer jährlichen oder monatlichen Basis berechnet wird, stellt das Vereinigte Königreich nicht in Abrede, dass das Kraftwerk Aberthaw das in der Fn. 3 genannte Kriterium betreffend die von dieser Anlage zu verwendenden Brennstoffe, wie es von der Kommission ausgelegt wurde, zu keiner Zeit erfüllt hat.

39      Das Vereinigte Königreich hält diese Auslegung, wonach eine Anlage, um unter die in dieser Fußnote enthaltene abweichende Regelung fallen zu können, nur Brennstoffe mit einem durchschnittlichen AFB von unter 10 % verwenden darf, der über den Zeitraum eines Jahres berechnet wird, für fehlerhaft, da das Adverb „ausschließlich“ nicht im Wortlaut dieser Fußnote enthalten ist.

40      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

41      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Bestimmung zur Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nämlich unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihres Kontexts und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, A, C‑184/14, EU:C:2015:479, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Was den Wortlaut der Fn. 3 angeht, sieht diese vor, dass die betreffende Anlage zur Inanspruchnahme der in dieser Fußnote vorgesehenen Abweichung „mit festen Brennstoffen mit weniger als 10 v. H. flüchtiger Bestandteile … betrieben werden“ muss.

43      Entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs lässt der Umstand, dass dieser Wortlaut die Adverbien „nur“ oder „ausschließlich“ nicht enthält, nicht den Schluss zu, dass es für die Inanspruchnahme der mit dieser Fußnote eingeführten abweichenden Regelung ausreicht, dass der in der Anlage verfeuerte Brennstoff entweder einen „bedeutenden Anteil“ oder einen „bestimmten Anteil“ an festen Brennstoffen mit einem AFB von unter 10 % enthält. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 24 ff. seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wird die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung der Fn. 3 durch kein rechtliches Argument gestützt.

44      Dem Vorschlag des Generalanwalts in den Nrn. 27 bis 30 seiner Schlussanträge entsprechend ist die Fn. 3 nämlich dahin auszulegen, dass die dort genannte Grenze von 10 % bedeutet, dass die in einer Anlage verfeuerte Kohle einen durchschnittlichen AFB von unter 10 % haben muss.

45      Eine solche Auslegung wird durch den Kontext der Fn. 3 und das Ziel der Richtlinie 2001/80 bestätigt.

46      Was erstens den Kontext dieser Bestimmung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese es zulässt, auf Anlagen, die die in ihr vorgesehenen Bedingungen erfüllen, einen höheren NOx‑Emissionsgrenzwert als den in Anhang VI Abschnitt A der Richtlinie 2001/80 genannten allgemeinen Emissionsgrenzwert von 500 mg/Nm3 anzuwenden.

47      Die Fn. 3 stellt eine Abweichung von der in dieser Bestimmung des Anhangs VI vorgesehenen allgemeinen Regel dar und ist daher nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. September 2015, Nannoka Vulcanus Industries, C‑81/14, EU:C:2015:575, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Was zweitens das Ziel der Richtlinie 2001/80 betrifft, zeigt, wie die Kommission geltend macht und wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Entwicklung der Instrumente des Unionsrechts, die dieser Richtlinie vorausgegangen sind, wie die Richtlinie 88/609, dass das Niveau der Schwellen, die in Bestimmungen wie der Fn. 3 festgelegt sind, in erster Linie dazu dient, die Zahl der Anlagen, für die eine solche abweichende Regelung in Anspruch genommen werden kann, weitestmöglich zu begrenzen, was als solches zur Verwirklichung der Ziele beiträgt, die mit der Richtlinie 2001/80 verfolgt werden und in Rn. 34 des vorliegenden Urteils wiedergegeben sind.

49      Daher ist das Vorbringen des Vereinigten Königreichs zurückzuweisen, dass die Begrenzung des AFB des verwendeten festen Kraftstoffs auf 10 % die Erfüllung des Umweltschutzziels der Richtlinie 2001/80 nicht zulasse, da sie die Stickoxidemissionen nicht wesentlich beeinflusse. Wie aus der vorstehenden Randnummer hervorgeht, trägt die Fn. 3 zu dem genannten Umweltschutzziel bei, indem sie die Zahl der Anlagen begrenzt, für die die in dieser Fußnote vorgesehene Befreiung in Anspruch genommen werden kann.

50      Des Weiteren ist erstens das in Rn. 28 des vorliegenden Urteils dargelegte Vorbringen des Vereinigten Königreichs zurückzuweisen, denn selbst wenn feststünde, dass die in Fn. 3 vorgesehene Abweichung ausgehandelt wurde, um eine Anlage wie das Kraftwerk Aberthaw einzubeziehen, müsste diese gleichwohl die in dieser Bestimmung definierten Kriterien erfüllen, damit diese abweichende Regelung – auch weiterhin – für sie in Anspruch genommen werden kann.

51      Zweitens ist das Vorbringen des Vereinigten Königreichs zurückzuweisen, dass es aus Sicherheitsgründen nicht möglich sei, die fragliche 10%-Schwelle anzuwenden. Insoweit geht aus den Erklärungen dieses Mitgliedstaats hervor, dass die im Kraftwerk Aberthaw verfeuerte Mischung einen AFB hat, der zwischen 6 % und 15 % schwanken kann. Somit steht fest, dass die in dieser Anlage als Brennstoff verwendete Kohle einen durchschnittlichen AFB von unter 10 % haben kann.

52      Drittens ist auch das Vorbringen des Vereinigten Königreichs zurückzuweisen, dass es hauptsächlich an wirtschaftlichen Zwängen liege, dass Umbauten zur Verbesserung des Umweltverhaltens dieser Anlage und zur Erfüllung der Anforderungen der Fn. 3 nicht verwirklicht worden seien. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann nämlich das Vereinigte Königreich im vorliegenden Fall rein wirtschaftliche Gründe nicht mit Erfolg geltend machen, um die ihm vorgeworfene Vertragsverletzung zu bestreiten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember 1997, Kommission/Frankreich, C‑265/95, EU:C:1997:595, Rn. 62, und vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C‑515/14, EU:C:2016:30, Rn. 53).

53      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/80 in Verbindung mit deren Anhang VI Abschnitt A verstoßen hat, dass es diese Richtlinie auf das Kraftwerk Aberthaw nicht richtig angewandt hat.

 Kosten

54      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Vereinigte Königreich mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft in Verbindung mit deren Anhang VI Abschnitt A verstoßen, dass es diese Richtlinie auf das Kraftwerk Aberthaw (Vereinigtes Königreich) nicht richtig angewandt hat.

2.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.